Medienspiegel 17. Juli 2022

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+++LUZERN
Essens-Angebote in Luzern gefragt: Ukrainische Flüchtlinge: Geld reicht nicht fürs Essen
Die finanzielle Hilfe für ukrainische Flüchtlinge liegt in Luzern weit unter dem Existenzminimum. Viele Ukrainerinnen greifen deswegen auf Angebote zurück, wo sie vergünstigt oder gar gratis Essen kriegen. Auch in Luzern ist die Nachfrage massiv gestiegen.
https://www.zentralplus.ch/gesellschaft/ukrainische-fluechtlinge-geld-reicht-nicht-fuers-essen-2408949/


+++ZÜRICH
Sonntagszeitung 17.07.2022

Geflüchtete beim Zahnarzt: Ukrainerinnen werden die Zähne gezogen statt geflickt

Die Zürcher Asylorganisation weigert sich, die Zahnbehandlung einer jungen Ukrainerin zu bezahlen, obwohl diese Schmerzen hat und kaum mehr kauen kann.

Cyrill Pinto

Zahnärztin Tatjana Staub bricht in Tränen aus, als sie die Geschichte ihrer Patientin erzählt, die neben ihr sitzt. Anastasiya V.* flüchtete im März aus Kiew in die Schweiz, zusammen mit ihrer achtjährigen Tochter und ihrer Mutter. In Zürich meldete sie sich bei den Behörden an und wurde einer Gemeinde im Zürcher Oberland zugeteilt. Stolz zeigt sie ihren S-Ausweis. Die Tochter geht zur Schule. Mit 670 Franken pro Monat schlägt sich die Familie durch.

Doch Anastasiya V. hat schlechte Zähne. Aufgrund einer Verletzung und wegen Karies. Irgendwann waren ihre Zahnschmerzen so gross, dass sie Hilfe suchte. Über eine Bekannte fand sie Zahnärztin Staub, eine gebürtige Ukrainerin. Nach einer Konsultation zeigten die Röntgenaufnahmen klar: Die junge Frau hat ein sanierungsbedürftiges Gebiss. Aufgrund eines Traumas sind die Wurzeln mehrerer Vorderzähne chronisch entzündet. An den Seiten fehlen Zähne, die übrigen weisen kariöse Läsionen auf. Staub erstellte einen Kostenvoranschlag mittels für Geflüchtete geltender Spezialtarife – und kam auf einen Betrag von 2800 Franken. Der grösste Teil der Kosten machen die Prothesen aus, welche die Kaufähigkeit wiederherstellen sollen.

Staub schickte einen Antrag auf Kostengutsprache an die Asylorganisation Zürich (AOZ). Diese holte bei einem Vertrauensarzt eine Einschätzung aufgrund der Patientenakte ein. Darin heisst es: «Die vorgeschlagene Behandlung ist wohl zweckmässig, aber keine den Asyl-Richtlinien entsprechende Massnahme.» Und weiter: «Bis zur definitiven Aufnahme bzw. bei abgelehntem Asylentscheid oder bei Status S können nur minimale schmerzstillende Massnahmen wie Extraktionen oder allenfalls manchmal provisorische Füllungen geplant werden.» Ohne die Patientin zu sehen und nur aufgrund der Akte schreibt der Vertrauensarzt: «Es ist keine Rede von Schmerzen, sodass der bisherige, schlechte Zustand des Gebisses noch belassen werden muss.»

Die meisten Geflüchteten können sich den Zahnarztbesuch nicht leisten

Aufgrund dieser Einschätzung legte die AOZ die maximale Kostenbeteiligung auf 500 Franken fest. Für Staub völlig unverständlich. «Ich kann doch einer jungen Frau nicht einfach die Vorderzähne ziehen», sagt sie, «das würde an Körperverletzung grenzen.» Die Frau brauche ausserdem Prothesen, damit sie wieder richtig kauen könne.

Viele Ukrainer sind in der gleichen Situation. In Telegram-Kanälen tauschen sie sich aus und schildern, wie sie von den Schweizer Preisen geschockt waren. Manche gehen deshalb nach Deutschland für eine Behandlung. In den Chats schreiben die Ukrainer auch: Im Kanton Zug ist es einfacher, eine Kostengutsprache für eine Zahnbehandlung zu bekommen. In Kantonen mit privaten Asyldienstleistern wie etwa in Zürich ist es schwieriger. Nur eines ist klar: Die meisten Betroffenen können sich mit dem wenigen Geld, das ihnen zur Verfügung steht, keinen Zahnarzt leisten.

Der auf Haftpflichtrecht und Menschenrechte spezialisierte Anwalt Philip Stolkin hat bereits viele ähnliche Fälle gesehen: «Menschen im Asylverfahren werden als Bürger zweiter Klasse behandelt, die Kosten möglichst tief gehalten, ohne Rücksicht auf die Betroffenen.» Die Verfügung der AOZ aufgrund der Einschätzung des Vertrauensarztes sei anzufechten – mit guten Chancen auf Erfolg, wie Stolkin sagt. «Die Person hat Schmerzen, also hat sie auch Anrecht auf eine angemessene medizinische Behandlung», sagt der Anwalt, der schon viele Fälle vor Gericht gebracht – und gewonnen hat.

Laut der Schweizerischen Zahnärzte-Gesellschaft (SSO) liegt es am behandelnden Zahnarzt, bei der Sozialbehörde einen Kostenvoranschlag einzureichen. «Die Kriterien für die Behandlungen sind in den Empfehlungen der Vereinigung der Kantonszahnärzte genau spezifiziert. Diese stützt sich auf die gesetzliche Forderung nach einer wirksamen, zweckmässigen und wirtschaftlichen Behandlung», schreibt die SSO.

In den Empfehlungen ist festgehalten, dass eine Behandlung Schmerzen beseitigen oder die Kaufähigkeit erhalten muss. Bei Anastasiya ist eine Behandlung laut ihrer Zahnärztin wegen beider Kriterien nötig.

«Wir bezahlen keine weitere Behandlung»

Trotzdem kam die Sozialarbeiterin der AOZ zum Schluss: «Die Einschätzung des Vertrauensarztes folgt nach Asyl-Richtlinien. Wir werden die Rechnung von 690 Franken übernehmen, jedoch keine weitere Behandlung in dieser Hinsicht.» Die AOZ liess mehrere Anfragen für eine Stellungnahme unbeantwortet.

Zahnärztin Staub kann im Pausenraum ihrer Praxis nur den Kopf schütteln. «Es ist eine Zumutung für eine 27-jährige Frau, Frontzähne zu ziehen und so zu belassen. Das ist für mich als Zahnärztin ethisch nicht zu verantworten.» Obwohl nur ein kleiner Teil der Kosten übernommen werden soll, hat sie nun versucht, einen Vorderzahn zu retten und die übrigen Zähne zu behandeln. Doch sie sagt auch: «Ich kann es mir nicht leisten, alle Behandlungen kostenlos durchzuführen. Ich muss auch externe Dienstleister wie etwa den Hersteller der Prothesen bezahlen.»

Staub kann die Behörden nicht verstehen. «Es sind doch Menschen, die Hilfe brauchen. Wie kann man da so knausrig sein, wenn sie Zahnschmerzen haben?»

* Name bekannt
(https://www.derbund.ch/ukrainerinnen-werden-die-zaehne-gezogen-statt-geflickt-159975434072)


+++POLIZEI SO
solothurnerzeitung.ch 16.07.2022

Die Solothurner Polizei hat einen grossen Datenhunger: Warum will sie so viele Handybesitzer und Internetnutzer ausfindig machen?

Die Kantonspolizei verlangt Tausende Auskünfte: Sie möchte immer häufiger wissen, wer welche Handynummern nutzt, wem eine bestimmte E-Mail-Adresse gehört oder wer sich hinter einer Spur im Netz verbirgt. Das sind die Gründe dafür.

Sven Altermatt

Es ist ein Massengeschäft, anders kann man das nicht nennen. Denn die Solothurner Kantonspolizei tut es mittlerweile fast 20-mal am Tag: Sie verlangt die Personalien von Handybesitzern, Internetnutzern oder E-Mail-Schreibern – mit einer sogenannten einfachen Auskunft. Der Appetit auf solche Daten wird immer grösser.

Einfache Auskunft, das klingt sperrig. Aber das Thema kann jede und jeden betreffen. Mit einer einfachen Auskunft wollen die Ermittler ausfindig machen, wer welche Handynummern nutzt oder wem eine bestimmte E-Mail-Adresse gehört. Sie wollen wissen, wer hinter einer IP-Adresse steckt, der digitalen Spur beim Surfen im Internet. Oder auch, welche entsprechenden Anschlüsse auf eine gewisse Person registriert sind. Im Fachjargon spricht man von Bestandsdaten.

Ob die Polizei nun gegen Räuber und Betrüger ermittelt; ob sie einen Nutzer identifizieren muss, der unter Pseudonym im Web unterwegs ist; ob sie den Besitzer eines gefundenen Handys eruieren will: Ohne die Bestandsdaten geht heute fast nichts mehr. Telekomfirmen wie Swisscom, Sunrise oder Salt müssen diese bereitstellen, wenn es die Behörden verlangen.

Konkret fordern sie von ihnen Namen oder andere Angaben, mit denen Personen identifiziert werden können. Die verlangten Kundendaten können ebenso Wohnadressen, Ausweisnummern oder SIM-Karten-Nummern umfassen.

Klar ist: Es geht dabei um Informationen, welche die Privatsphäre betreffen. Und die für die Behörden nicht standardmässig zugänglich sind.

Das gilt besonders für IP-Adressen. Jedes Gerät, das mit dem Internet verbunden ist, hat eine solche Adresse; etwa Computer, Handys und Tablets. Sie hinterlassen Spuren beim Surfen: Der Betreiber einer Website kann sehen, von welchen IP-Adressen aus seine Seiten besucht werden. Aber nur die Telekomfirmen wissen, welchem ihrer Abonnenten eine bestimmte IP-Adresse zugeordnet ist.

Auch bei Handynummern ist vielen die Privatsphäre heilig: Heute können diese meist nicht mehr einfach so nachgeschaut werden. Nur ein Bruchteil der Nummern ist im öffentlichen Telefonbuch eingetragen.

Im Kanton Solothurn verzeichnen die Statistiken einen enormen Anstieg bei den einfachen Auskünften: Ihre Zahl hat sich innerhalb von zwei Jahren mehr als verdreifacht. Machte die Polizei im Jahr 2019 noch 2193 Abfragen, waren es 2020 bereits deren 3869. Im vergangenen Jahr schliesslich wurden sogar 7065 Abfragen verzeichnet – so viele wie nie zuvor.

Oder anders ausgedrückt: Die Ermittler verlangten zuletzt mehr als 25 Auskünfte pro tausend Einwohner des Kantons. Wie ist der Anstieg zu erklären? Und in welchen Fällen wühlt die Polizei überhaupt im Datenstrom der Telekomfirmen? Eine Spurensuche.

1) Die Zahl der Cyberdelikte steigt laufend

Die Gründe, weshalb eine einfache Auskunft eingeholt wird, sind laut der Kantonspolizei vielfältig. Medienchef Andreas Mock spricht von «alltäglichen Routinegeschäften, die im Zusammenhang mit vielen Deliktarten und Ereignissen notwendig sind».

Ebenso habe die Zahl der Verfahren allgemein zugenommen. Ein wesentlicher Treiber dieser Entwicklung: Die Delikte verlagern sich in den digitalen Raum. «Die stetig zunehmende Zahl der Cyberdelikte hat zur Folge, dass sich die damit zusammenhängenden einfachen Auskünfte von 2020 zu 2021 verdoppelt haben», erklärt Mock. Dabei gehe es etwa um Abklärungen rund um Telefon- und Onlinebetrug.

Immer wichtiger werden gemäss offizieller Statistik denn auch Abfragen zu IP-Adressen. Anschauungsbeispiele gibt es genug: Es geht um Waren aus Onlineshops, die trotz Vorauszahlung nicht geliefert werden. Um missbrauchte Kreditkartendaten. Oder um Fälle von Pornografie. Die Cyberdelikte würden im Durchschnitt komplexer, bilanzierte die Kantonspolizei jüngst.

2) Die Polizei kriegt die Daten jetzt gratis

Komplexe Fälle hin oder her: Die Zahl der einfachen Anfragen wächst deutlich stärker als jene der Verbrechen im digitalen Raum; die Behörden verzeichneten hier 2021 «nur» eine Zunahme von drei Prozent. Es muss also noch andere Gründe geben, warum die Behörden so viele Handynummern, IP-Adressen oder E-Mail-Adressen ausfindig machen wollen.

Eng damit verknüpft dürfte die Geldfrage sein: Die Ermittler in den Kantonen müssen für eine einfache Auskunft unterdessen nichts mehr bezahlen. Ein Dammbruch? Selbst bei Bagatellen könnte vermehrt auf die Daten zurückgegriffen werden, warnen jedenfalls Datenschützer.

Dass die Abfragen nun gratis sind, nennt Polizeisprecher Mock tatsächlich als einen der Gründe für deren Zunahme. In seinen Worten: «Die einfachen Abfragen haben seit 1. Juli 2020 keine Kostenfolgen für den anfragenden Kanton mehr.»

Swisscom, Sunrise und Co. liefern die Bestandsdaten nicht direkt an die Polizei. Die Ermittler wenden sich dafür elektronisch an den Dienst Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr (ÜPF) des Bundes, er bildet quasi die Verbindungsstelle. Eine richterliche Genehmigung braucht es für einfache Auskünfte nicht.

3) Solothurner Ermittler wissen die Werkzeuge zu nutzen

Immer mehr Ermittler wissen den Werkzeugkasten, der ihnen zur Verfügung steht, auch einzusetzen. Zum einen sind die Abfragen beim Dienst ÜPF heute einfacher in der Handhabe. Und zum anderen hat die Kantonspolizei einen neuen Fachbereich geschaffen und spezielle Schulungen entwickelt. Die Ermittler könnten so die technischen Möglichkeiten «gezielter nutzen», wie es Andreas Mock nennt, gerade bei den Vorabklärungen einer Ermittlung.

Bereits in diesem Stadium ist das eine aufwendige Sache. Zum Beispiel dann, wenn die Polizei klären will, welche Handynummern auf eine bestimmte Person registriert sind. Dafür kommen bis zu 32 Anbieter in Frage – entsprechend viele Antworten müssen eingeholt werden.

4) Umstrittene Praxis: Daten für Fundbüros

Und dann ist da noch eine umstrittene Praxis: Die Kantonspolizei ermöglicht Fundbüros den Zugang zu den Bestandsdaten. Sie nutzen den Dienst, um die Besitzer gefundener Handys ausfindig zu machen. Dabei geht es etwa um Geräte, die im Postverteilzentrum in Härkingen gestrandet sind.

Konkret versucht die Polizei via SIM-Karten-Nummer, das Handy einem Besitzer zuzuordnen. «Allein diese Abklärungen haben 2021 um rund einen Drittel zugenommen», sagt Mock. Und in der ersten Jahreshälfte 2022 habe man bereits Gleichstand mit dem gesamten Jahr 2020.

Dass es diese Praxis in Solothurn gibt, war bisher nicht bekannt. Heiligt der Zweck hier die Mittel? Zweifellos dürfte sich jeder freuen, der sein verloren gegangenes Handy zurückbekommt. Aber gleichzeitig geht es um sensible Daten. Das Überwachungsgesetz, in dem die einfachen Auskünfte geregelt sind, dient primär der Aufklärung von Straftaten.

Ist es also zulässig, dass die Abfragemöglichkeiten auch Fundbüros zugänglich sind? Unter Juristen wird die Frage kontrovers diskutiert. Losgetreten wurde die Debatte darüber vor fünf Jahren, als SRF-Reporter erstmals publik machten, dass Fundbüros die Bestandsdaten nutzen. Betroffen waren damals die Kantone Aargau und Zürich.

Die Fürsprecher dieser Praxis verweisen auf die «Erfüllung von Polizeiaufgaben», die das Gesetz ebenfalls einschliesse. Und in diesen Bereich falle nun mal auch die Zuordnung von gefundenen Handys.
(https://www.solothurnerzeitung.ch/solothurn/kanton-solothurn/rekordzahlen-die-solothurner-polizei-hat-einen-grossen-datenhunger-warum-will-sie-so-viele-handybesitzer-und-internetnutzer-ausfindig-machen-ld.2317906)


+++RASSISMUS
ANTIRA-WOCHENSCHAU: Griechenland muss zahlen, Frontex sammelt Daten, Yaser Örnek ist frei
https://antira.org/2022/07/17/griechenland-muss-zahlen-frontex-sammelt-daten-yaser-oernek-ist-frei/


+++RECHTSPOPULISMUS
Köppels August-Reden polarisieren
In Spreitenbach, Gipf-Oberfrick und in Dürrenäsch hält Roger Köppel seine 1.-August-Reden. Seit dies bekannt wurde, herrscht helle Aufregung im Kanton Aargau. Der Nationalrat und Weltwoche-Chef sorgte für Aufruhr wegen seiner Aussagen zum Ukraine-Krieg.
https://www.telem1.ch/aktuell/koeppels-august-reden-polarisieren-147202012


+++RECHTSEXTREMISMUS
Zwischenbilanz Juli 2022
Ende März ist diese Seite mit der Ankündigung gestartet, jede Woche einen Nazi der Jungen Tat zu outen, bis ihr gesamtes Netzwerk offengelegt ist. Heute sind auf nazifrei.ch 20 Mitglieder und enge Unterstützer:innen verzeichnet. Das entspricht noch nicht dem ganzen Sumpf der Jungen Tat. Aber es ist Zeit für eine Zwischenbilanz.
https://nazifrei.ch/post/zwischenbillanz-juli-22/



nzz.ch 17.07.2022

Weshalb die Zürcher Behörden vom Aufmarsch der «Blood & Honour»-Neonazis in einem Pfadiheim in Rüti überrumpelt worden sind

Der Zürcher Regierungsrat spricht von verstärkten rechtsextremen Aktivitäten. Gemeinden sollen sensibilisiert werden, um Treffen zu verhindern.

Fabian Baumgartner

Angemeldet war eine Wandergruppe, doch im Pfadiheim erschienen Neonazis. Das Fest in einer Waldhütte am Rande von Rüti überrumpelte am 18. Juni alle – die Pfadi, die Behörden, aber auch die Polizei. Bis zum Beginn des Anlasses gelang es den Rechtsextremen, das Treffen im Zürcher Oberland geheim zu halten.

Schliesslich waren es Anwohner, die am Abend die Zürcher Einsatzkräfte alarmierten, weil Gegröle, rechtsextreme Parolen und laute Musik aus dem Pfadiheim zu vernehmen waren. Als die Polizisten bei der Unterkunft eintrafen, war das Fest bereits in vollem Gang.

Anwesend waren Bands und Exponenten aus dem Umfeld des militanten «Blood & Honour»-Netzwerks. Auffallend viele der Neonazis kamen dabei aus Deutschland. Laut «Sonntags-Blick» stammten 34 der 53 kontrollierten Personen aus Deutschland, 17 aus der Schweiz und je eine aus Frankreich und Ungarn.

Doch wie konnte es den Rechtsextremen gelingen, den Anlass vor den Behörden geheim zu halten?

Lediglich Hinweis auf Treffen in Zentralschweiz

In seiner Antwort auf eine Anfrage der beiden SP-Kantonsrätinnen Leandra Columberg und Michèle Dünki-Bättig und ihres Parteikollegen Nicola Siegrist hat der Zürcher Regierungsrat nun eine Erklärung dafür geliefert, weshalb die Polizei das Treffen im Zürcher Oberland nicht im Vorfeld verhindern konnte.

Demnach war die Kantonspolizei zwar zwei Tage vor dem Aufmarsch darüber informiert worden, dass in der Zentralschweiz ein rechtsextremistischer Anlass stattfinden könnte. Die genaue Örtlichkeit sei jedoch nicht bekannt gewesen, es habe auch keinerlei Hinweise darauf gegeben, dass der Kanton Zürich zum Veranstaltungsort werden könnte, heisst es in der Antwort des Regierungsrats.

Es ist allerdings bekannt, dass die Rechtsextremen für ihre Anlässe meist mehrere Orte organisieren. Dasselbe Vorgehen wandten sie bereits in der Vergangenheit immer wieder an. Meist werden dazu einige Lokale unter einem Vorwand und manchmal auch unter falschem Namen angemietet, um sich mindestens an einem der Orte ungestört treffen zu können. Im Pfadiheim in Rüti meldeten sie sich als «Wandergruppe Züger» an.

Die Regierung weist zudem darauf hin, dass die Behörden solche Versammlungen nicht so einfach unterbunden können. Erst wenn Straftaten verübt, die innere Sicherheit oder die öffentliche Ruhe und Ordnung gefährdet seien, könne der Staat einschreiten. Im Fall von Rüti klärt die Polizei derzeit noch immer ab, ob der Tatbestand der Diskriminierung und des Aufrufs zu Hass erfüllt worden ist.

Anders als den Zürcher Behörden gelang es den St. Galler Polizei, das Zusammenkommen zu verhindern. Diese hatte nach Hinweisen sämtliche Veranstalter im Kanton kontaktiert und war so auf ein Lokal in Kaltbrunn gestossen. Auch dort hatten die Neonazis mithilfe eines Täuschungsmanövers an das Lokal kommen wollen.

Der Mietvertrag in der St. Galler Gemeinde wurde schliesslich annulliert. Die Polizei sprach gegen den rechtsextremen Organisator ein Veranstaltungsverbot im ganzen Kanton aus. Dabei wurde erstmals der Nachtrag zum Polizeigesetz angewendet, welcher es der Kantonspolizei St. Gallen ermöglicht, ein Veranstaltungsverbot auszusprechen, wenn die demokratische und rechtsstaatliche Grundordnung oder das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung durch die Veranstaltung massgeblich beeinträchtigt wird.

Obwohl nur Ausweichstandort, dürfte es auch kein Zufall sein, dass die «Blood & Honour»-Mitglieder Rüti für ihre Zusammenkunft ausgewählt haben. Im Zürcher Oberland verfügen sie über etablierte Strukturen, die bereits in der Vergangenheit funktionierten. Dies hält auch der Regierungsrat fest: Veranstaltungen und Aktivitäten der Szene hätten in der jüngeren Vergangenheit vornehmlich in der Stadt und der Region Winterthur sowie im Zürcher Oberland stattgefunden.

Rechtsextreme werden aktiver

Der Regierungsrat hält auch fest, dass seit der Gründung der «Eisenjugend Schweiz» Anfang des Jahres 2020 und der Nachfolgeorganisation «Junge Tat» gewalttätige Rechtsextreme im Kanton Zürich wieder sichtbarer auftreten. Zwischen 10 und 15 Prozent der Ereignisse im Bereich des gewalttätigen Extremismus seien Rechtsextremen zuzuordnen, rund 80 Prozent dem Linksextremismus.

Der Regierungsrat listet eine Reihe von Aktionen auf, die auf das Konto von Rechtsextremen gingen. Graffiti und Aufkleber mit radikalen Parolen im öffentlichen Raum, Attacken von Mitgliedern der Jungen Tat auf Zoom-Veranstaltungen an der Zürcher Hochschule der Künste sowie Vorfälle an Demonstrationen.

Eine ähnliche Entwicklung stellt auch der Nachrichtendienst des Bundes fest. In seinem jüngsten Lagebericht spricht der NDB von einer deutlichen Steigerung von Ereignissen mit rechtsextremem Hintergrund. Der Nachrichtendienst geht deshalb von einem markanten Bedrohungspotenzial aus. Es sei wahrscheinlich, dass der Wille zur Auseinandersetzung bei den gewalttätigen Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten seit 2020 stärker geworden sei. Damit würden auch gewaltsame Vorfälle wahrscheinlicher.

Vermehrte Aktivitäten von Rechtsextremen will der Zürcher Regierungsrat jedoch nicht hinnehmen. Man unternehme alles, was im rechtlichen Rahmen zur Aufrechterhaltung von Sicherheit, Ruhe und Ordnung möglich sei. So stehe die Kantonspolizei unter anderem seit Jahren in ständigem Kontakt mit den Gemeinden. Diese würden im Umgang mit unbekannten Veranstaltern sensibilisiert, um Treffen von extremistischen Gruppierungen zu verhindern.
(https://www.nzz.ch/zuerich/neonazis-im-pfadiheim-wie-zuercher-behoerden-ueberrumpelt-wurden-ld.1693844)