Medienspiegel 15. Juli 2022

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+++BERN
hauptstadt.be 15.07.2022

Babysitting und Selbsttherapie

Im Viererfeld hüten ukrainische Mütter gegenseitig ihre kleinen Kinder. Das Projekt setzt dort an, wo der Schweiz die Fachkräfte fehlen.

Von Jana Schmid

Lisa umschlingt das Bein ihrer Mutter Svetlana Solovei eng. Sie lässt es auch nicht los, als eine andere Frau ihr mit Pinsel und Farbe schmackhaft machen will, zusammen etwas zu malen. Daneben schubst ein kleiner Junge ein kleines Mädchen zu Boden. Beide weinen. Die Frau mit den Pinseln versucht zu schlichten.

«Ich habe einen Monat lang nur geweint, nachdem ich in die Schweiz kam», sagt Svetlana Solovei und nimmt sich einen Stuhl mit nach draussen, vor den Pavillon des Trägervereins Vorfeld auf dem Viererfeld.

Kaum gegessen und geschlafen habe sie in dieser Zeit. Und auch Lisa sei nicht mehr dieselbe, seit der Krieg in ihrer Heimatstadt Mykolajiw sie aus allem herausgerissen hat, was der Zweijährigen vorher vertraut gewesen war – ausgerechnet, als sie mit hohem Fieber und einer schweren Angina im Bett lag.

Traumata

«Wenn keine Raketen mehr einschlagen, wenn die Meereswellen das Boot nicht mehr bedrohen, tagelange Fussmärsche vorbei sind und Grenzpolizisten weit weg. Dann, wenn sie sich endlich in Sicherheit wiegen – dann beginnt bei vielen Geflüchteten erst die Hölle im Kopf», schrieb die Republik im Mai, und fragte: Ist die Schweiz bereit für Tausende traumatisierte Ukrainer*innen?
(-> https://www.republik.ch/2022/05/24/im-kopf-explodieren-die-bomben-weiter)

Nicht wirklich, so die Tendenz im Artikel. Mindestens die Hälfte der in die Schweiz geflüchteten Menschen (von allen Herkunftsländern) habe psychische Probleme. Von den Schweizer Behörden sei das jahrelang unterschätzt worden. Generell fehlten hierzulande Tausende von Therapieplätzen, und solche für Kriegstraumatisierte ganz besonders.

Kürzlich, als ein Helikopter vorüberflog, begann Svetlana Solovei zu schwitzen und am ganzen Körper zu zittern, fast wäre sie ohnmächtig geworden. Eine Panikattacke. Vielen aus ihrem Umfeld sei das in letzter Zeit passiert, erzählt sie.

Und immer, wenn sie Lärm höre, renne Lisa zu ihr und frage: «Mama, müssen wir uns nicht verstecken?»

«Ich kann sie kaum mehr allein lassen», sagt Svetlana Solovei. Vor dem Krieg war das anders: In der Ukraine sind Krippen vom Staat bezahlt. Lisa wurde regelmässig fremdbetreut. Jetzt aber, nach dem verzweifelten Ringen um einen Platz in einem Luftschutzkeller, dem überstürzten Abschied vom Ehemann und Vater, der Fahrt aus der Ukraine via Deutschland in die Schweiz, sei das einst extrovertierte Mädchen in sich gekehrt und ängstlich. Und mit Menschen, die eine fremde Sprache sprechen, sei es umso schwieriger.

Auf eigene Faust

Svetlana Solovei musste sich etwas überlegen. Wie sonst konnte sie Behördengänge erledigen, Sprachkurse besuchen oder Arbeit finden, wenn ihr Kind sie ständig brauchte?

Ihr wurde bewusst, dass die Betreuungsstrukturen für Kleinkinder hier weniger ausgebaut sind als in der Ukraine. Der Kindergarten beginnt erst ab vier Jahren, Krippenplätze sind teuer. Eine Kostenübernahme durch die Asylsozialhilfe wurde ihr bis anhin noch nicht gewährt.

Das sind schwierige Rahmenbedingungen für geflüchtete Mütter mit Kleinkindern – wie auch der Verband Kinderbetreuung Schweiz Kibesuisse gegenüber SRF betont. Besonders für Kinder mit traumatischen Erfahrungen fehle es an Fachpersonal. Das ist nicht erstaunlich, zumal der Fachkräftemangel in Kindertagesstätten und -Krippen generell zu einem immer grösseren Problem heranwächst, wie die Hauptstadt diese Woche für den Kanton Bern aufgezeigt hat.

Zu den Schwierigkeiten, überhaupt einen Betreuungsplatz zu finden, kam Lisas Ängstlichkeit hinzu: Es sei kaum möglich, sie etwa von einer Schweizer Nachbarin hüten zu lassen. «Lisa ist völlig verstört, wenn niemand ihre Sprache spricht.»

Svetlana Solovei merkte schnell, dass sie nicht die einzige war mit diesem Problem. Ihre Idee: Ukrainische Mütter hüten gegenseitig ihre Kleinkinder. Die Kinder haben so wenigstens sprachlich eine vertrautere Umgebung, und die Mütter Zeit für Sprachkurse, Behördengänge, Arbeit.

Die 24-Jährige schrieb ein Konzept, eröffnete einen Chat, wo sich interessierte Mütter vernetzen können und suchte nach einer Räumlichkeit. Letzteres war nicht ganz einfach. «Wir durften einen ersten Versuch im historischen Museum Bern starten», erzählt sie, «aber dieser Ort ist nicht gerade geeignet für Kleinkinder, die alles anfassen.»

Nun ist das «Café Ukraine» seit kurzem in der Quartierbaute auf dem Viererfeld zu Hause, der Pavillon wird von einem Trägerverein verwaltet.

«Mir war sofort klar, dass wir unsere Infrastruktur zur Verfügung stellen werden», sagt Peter Camenzind vom Trägerverein auf der Veranda des Pavillons. Der Junge, der vorher das Mädchen schubste, rollt jetzt in einer Stoffröhre hin und her. Das Mädchen malt. Und Lisa sitzt auf Svetlana Soloveis Schoss.

Peter Camenzind half bei der Finanzierung und stellte einen Antrag beim Verein Ukraine Hilfe Bern, der sich unter anderem aus Geldern der Burgergemeinde speist. Dieser nahm Verhandlungen um finanzielle Unterstützung mit dem Kanton auf, und Svetlana Solovei legte los – wenn auch vorerst im kleinen Rahmen.

Rund fünf Mütter betreuen nun täglich abwechslungsweise ihre Kleinkinder hier, freiwillig und selbstorganisiert. Im Chat sind rund 50 interessierte Frauen. Der Pavillon bietet aber nicht für viel mehr als fünf Kinder Platz, besonders bei schlechtem Wetter. «Dann ist auch das Dach etwas undicht», sagt Svetlana Solovei und deutet auf ihr handgeschriebenes Konzept, das auf welligem Papier und mit verwischten Buchstaben vor ihr liegt.

Wachsen

Dass das Projekt nicht nur praktische, sondern auch psychische Selbsthilfe ist, das merkt Svetlana Solovei erst jetzt. Der Pavillon sei für sie und die anderen Mütter auch ein Ort der Ruhe und des Austausches geworden. «Ich glaube, wir therapieren uns hier gegenseitig», sagt sie. Sie spüre, dass das ein ebenso grosses Bedürfnis sei wie die eigentliche Kinderbetreuung.

Der Verein Ukraine Hilfe Bern ist derweil auf der Suche nach einer grösseren Infrastruktur. Auch spezielle Sprachkurse für Mütter mit Kleinkindern will der Verein ergänzend aufbauen. Denn: Gleich nebenan ist die Containersiedlung Viererfeld, wo seit dieser Woche Geflüchtete Ukrainer*innen untergebracht werden. Auch diese haben höchstwahrscheinlich Kinder im Vorschulalter. Und Betreuungsangebote seien laut der Heilsarmee, die das Camp betreibt, dort bis jetzt nicht vorgesehen.

«Wir probieren das Modell hier aus und können es hoffentlich weitertragen», sagt Svetlana Solovei. Sie steht auf und hebt den Jungen hoch, der schon wieder das Mädchen geschubst hat. Lisa rennt ihr hinterher.



Infoanlass

Das «Café Ukraine» sucht Freiwillige. Der Trägerverein Vorfeld Viererfeld lädt deshalb zu einem Infoanlass ein: Samstag, 16. Juli, 10 Uhr bei der Quartierbaute, Viererfeldweg, 3012 Bern
(https://www.hauptstadt.be/a/kinderbetreuung-ukrainische-gefluchtete)



ajour.ch 15.07.2022

Häuserbesetzung: Das Kollektiv ist weg, die Enttäuschung bleibt

Das ehemalige Altersheim im Oberen Ried steht wieder leer: Die Polizei hat das Haus geräumt, das vom Kollektiv SoliBielBienne besetzt worden war.

Hannah Frei

Rund zwei Wochen war das ehemalige Altersheim im Oberen Ried in Biel vom Kollektiv SoliBiel/Bienne besetzt. Es forderte ein Gespräch, mit der Stadt, mit dem Kanton. Darüber, dass man für die abgewiesenen Asylsuchenden, die im Rückkehrzentrum in Bözingen leben und lebten, eine Anschlusslösung in Biel findet (das BT berichtete). Dafür solle unter anderem das seit Anfang Jahr leer stehende Gebäude im Oberen Ried genutzt werden, so die Forderung. Doch die Stadt schwieg, bis am 27. Juni eine Nachricht beim Kollektiv landete: Der Gemeinderat sei zu einem Gespräch bereit, sofern das Kollektiv das Haus verlasse. Dies vermeldete das Berner Migrant Solidarity Network, das sich in der Schweiz für Geflüchtete einsetzt, auf ihrer Website.

Drei Tage später folgte die Räumung: Kurz vor 12.50 Uhr sei es in besagtem Gebäude zu einem Polizeieinsatz gekommen, sagt Kapo-Mediensprecher Joël Regli. Die Besitzerin, also die Stadt Biel, habe einen entsprechenden Strafantrag gestellt. Es habe sich jedoch niemand im Gebäude aufgehalten, weshalb die Polizei lediglich die Transparente entsorgt und den Zugang gesperrt habe, so Regli.

Gespräch steht aus

«Offenbar hat es die Stadt vorgezogen, polizeilich gegen die Aktion vorzugehen, statt den direkten Austausch zu suchen», schreibt das Kollektiv auf Anfrage und hat wenig Verständnis für dieses Vorgehen. Der Bieler Sicherheitsdirektor Beat Feurer (SVP) jedoch zeichnet ein anderes Bild: «Die Liegenschaft wurde nicht geräumt», schreibt er auf Anfrage.

Zudem liege der Ball beim Kollektiv: Kurz vor den Ferien habe die Stadt ein formelles Schreiben vom Kollektiv erhalten, in dem es ein Gespräch mit dem Gesamtgemeinderat forderte. Darauf habe seine Direktion reagiert und ein Gespräch angeboten. Dieses stehe noch aus, solle jedoch zwischen den involvierten Parteien und nicht über die Medien stattfinden, weshalb er sich zum aktuellen Zeitpunkt nicht weiter dazu äussern wolle.

Zudem verweist Feurer an die Abteilung Liegenschaften der Stadt Biel und an Glenda Gonzalez Bassi (PRS), Direktorin Bildung, Kultur und Sport. Sie ist in die Angelegenheit involviert, da es sich beim besetzten Haus um ein ehemaliges Altersheim handelt und ihre Direktion folglich Nutzerin war. Das ändert sich nun jedoch, sagt Gonzalez Bassi auf Anfrage. Die Direktion habe keine Verwendung mehr für das Gebäude. Weshalb die Stadt rund zwei Wochen mit der Räumung des Hauses gewartet hat, bleibt unbeantwortet.

Viel Unverständnis

Beim Kollektiv stösst dieses Vorgehen weiter auf Unverständnis. Es habe zur Kenntnis genommen, dass die Stadt dementiert, dass es eine polizeiliche Räumung gegeben habe. «Das ist wohl Auslegungssache», schreibt das Kollektiv. Zu räumen gab es abgesehen von den Transparenten in der Tat nichts. Und das Gebäude ist laut Gonzalez Bassi in gutem Zustand.

Da beim Polizeieinsatz niemand vom Kollektiv vor Ort gewesen sei, habe es auch keine Anzeigen gegeben, so SoliBiel/Bienne. Was bleibt, ist die Enttäuschung: «Auf die dringliche Anfrage für einen Dialog mit den Betroffenen reagierten die Behörden mit maximaler Verzögerung und minimalem inhaltlichen Gehalt.»

Diese Haltung teilt auch das Migrant Solidarity Network: «Wir sind konsterniert», sagt ein MSN-Mitglied auf Anfrage. Trotz monatelanger Mobilisierung, mit Petitionen, mit Flyer-Aktionen, mit Demonstrationen und zuletzt der Hausbesetzung, habe sich in der Bieler Gemeindepolitik nichts bewegt. «Wir wurden nicht ernst genommen. Und das in einer Welle der Solidarität gegenüber Geflüchteten aus der Ukraine.» Mit «Wir» meint er die gesamte Bewegung «Wir bleiben in Biel», die von MSN mitgetragen wird.
(https://ajour.ch/story/huserbesetzung-das-kollektiv-ist-weg-die-enttuschung-bleibt/18352)


+++BASEL
«Die Idee»: Basler Migrantinnen gründen eigene Firma – 10vor10
Frauen mit Migrationshintergrund haben es besonders schwer, in der Arbeitswelt Fuss zu fassen. In Basel wird nun ein neuer Ansatz verfolgt. Mehrere Migrantinnen gründeten zusammen das Start-Up-Unternehmen «Flexifeen». So verschaffen sie sich selber Arbeit – und sind gleichzeitig ihre eigenen Chefinnen.
https://www.srf.ch/play/tv/-/video/-?urn=urn:srf:video:ee51031f-690e-4aa7-9e10-262996dedcaf


+++TESSIN
15-jähriger Asylbewerber wird tödlich von Zug erfasst
Im Südkanton kam es am Donnerstag zu einem schweren Unfall: Ein 15-jähriger Asylbewerber kam dabei ums Leben.
https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/201423/


+++ZÜRICH
Wie Flüchtlinge helfen, die Energiewende zu meistern
In der Schweiz fehlen Fachkräfte für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Bestehende Lücken könnten aber auch mit Flüchtlingen gefüllt werden. Das Integrationsprogramm «Refugees go Solar+» zeigt, wie es geht.
https://www.20min.ch/story/wie-fluechtlinge-helfen-die-energiewende-zu-meistern-172398070561


+++SCHWEIZ
Krise in Sri Lanka: Verzicht auf Rückführungen, bis sich die Lage stabilisiert hat
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) ist besorgt über die aktuellen Entwicklungen in Sri Lanka. Aufgrund der Wirtschaftskrise ist die Ernährungssicherheit und die medizinische Versorgung der Bevölkerung gefährdet. Dies SFH fordert deshalb einen Verzicht auf Rückführungen nach Sri Lanka, bis sich die Lage stabilisiert hat
https://www.fluechtlingshilfe.ch/publikationen/news-und-stories/krise-in-sri-lanka-verzicht-auf-rueckfuehrungen-bis-sich-die-lage-stabilisiert-hat


+++FREIRÄUME
Twitter-Fight wegen Bruchstrasse: Mitte und SP zoffen sich wegen Luzerner Hausbesetzern
Die Besetzung an der Bruchstrasse sorgt für rote Köpfe. Auf Twitter liefern sich Mitte und SP Stadt Luzern einen Schlagabtausch.
https://www.zentralplus.ch/news/mitte-und-sp-zoffen-sich-wegen-luzerner-hausbesetzern-2409845/


+++POLIZEI LU
Grundrechte werden eingeschränkt: Datenschutz: Neues Luzerner Polizeigesetz fällt durch
Die Luzerner Regierung will der Polizei mehr Freiheiten geben, um Verbrechen und kleinere Delikte zu bekämpfen. Dass dabei Grundrechte von uns allen verletzt werden, wird teils ausgeblendet.
https://www.zentralplus.ch/polizei/datenschutz-neues-luzerner-polizeigesetz-faellt-durch-2407447/


Kantonsgericht rüffelt Luzerner Polizei: Polizei zwang 72-Jährige, sich auszuziehen – das ging zu weit
Die Luzerner Polizei hat im Februar eine Frau verhaftet, weil sie sich gegen eine Hausdurchsuchung wehrte. Bevor die Rentnerin in die Zelle gebracht wurde, musste sie sich für eine Leibesvisitation ausziehen. Das war rechtswidrig, sagt nun das Kantonsgericht.
https://www.zentralplus.ch/justiz/polizei-zwang-72-jaehrige-sich-auszuziehen-das-ging-zu-weit-2409571/



luzernerzeitung.ch 15.07.2022

72-Jährige musste sich erst oben, dann unten entblössen – Luzerner Polizei erneut wegen Leibesvisitation gerüffelt

Die Luzerner Polizei suchte einen Mann, fand aber in der Wohnung nur dessen Mutter vor. Die 72-Jährige musste sich dann auf dem Posten ausziehen – zu Unrecht, urteilt das Kantonsgericht. Es ist nicht der erste Vorfall dieser Art.

Alexander von Däniken

Unverhältnismässig, widerrechtlich und entwürdigend sei die Leibesvisitation gewesen. Das erklärte die Seniorin in ihrer Beschwerde an das Kantonsgericht, die sie gegen die Luzerner Polizei eingereicht hatte. Die Richter hiessen die Beschwerde gut. Es ist nicht der erste Schuss vor den Bug der Luzerner Polizei, wenn es um die Praxis des Entkleidens von Festgenommenen geht. Doch dazu später mehr.

Am 22. Februar dieses Jahres rückten Angehörige der Luzerner Polizei aus, um einen Mann zu suchen, der aus der Psychiatrie entwichen war. Um etwa 8.30 Uhr klopften die Polizistinnen und Polizisten an die Wohnungstür der Mutter des Entwichenen. Nach einiger Zeit öffnete die 72-Jährige die Tür. Sie war allein, hatte ein Pyjama und Filzpantoffeln an, und fühlte sich nach eigenen Aussagen überrumpelt. Aus einer spontanen Reaktion heraus, wie sie später erzählen wird, versetzte sie einem Polizisten einen leichten Tritt ins Gesäss. Darauf habe sie sich entschuldigt und sich auch gemäss Polizeirapporten kooperativ gezeigt. Die Frau wurde aufgrund des Tritts aber vorläufig festgenommen. Dabei durfte sie sich richtige Kleidung überziehen.

Oberteil und Unterhemd, dann Hose und Unterhose

Um 9 Uhr hat man der Frau im Polizeihauptposten Luzern unter anderem die Fingerabdrücke abgenommen. Dann wurde sie in eine Zelle gebracht. Bei offener Zellentür führte eine Polizistin bei der Frau eine Leibesvisitation durch. Zuerst musste sie Oberteil und Unterhemd aus- und wieder anziehen. Danach waren Hose und Unterhose an der Reihe, sodass nacheinander Ober- und Unterkörper komplett nackt waren. Nach ein paar Stunden in der Zelle und weiteren erkennungsdienstlichen Massnahmen wurde die Seniorin gegen 17.30 Uhr wieder auf freien Fuss gesetzt.

Die Frau gelangte darauf ans Luzerner Kantonsgericht. Vor allem die Leibesvisitation ging ihr zu weit. Denn grundsätzlich braucht es für eine solche Massnahme eine Gefährdung für die Person selbst oder für andere. Aber weder wurde die Frau zuvor je straffällig, noch nahm sie zum Zeitpunkt der Festnahme Medikamente oder andere Substanzen. Eine oberflächliche Durchsuchung mit angezogenen Kleidern hätte genügt. Die Luzerner Polizei stellte sich hingegen auf den Standpunkt, dass immer mit einer Gefährdung gerechnet werden müsse, unabhängig des Alters. Das zeige der notorische Polizeialltag. Zudem sei die Leibesvisitation nach Dienstvorschrift erfolgt.

Dienstbefehl sieht auch Abtasten über Kleidern vor

Der entsprechende Dienstbefehl hält fest, dass jede Person, die in eine Zelle versetzt wird, «unter Beachtung der Verhältnismässigkeit» durchsucht wird. Dabei wird die Person entweder über den Kleidern abgetastet oder es gibt eine Leibesvisitation. Diese wird dann durchgeführt, wenn eine aktuelle oder polizeilich bekannte Fremd- oder Selbstgefährdung besteht, bei schweren Delikten (namentlich Gewaltdelikte), bei aggressivem Verhalten; bei überraschender Festnahmesituation oder bei zu vermutendem Konsum harter Drogen.

Das Kantonsgericht folgert in Bezug auf den aktuellen Fall: «Insgesamt sind nach dem Ausgeführten gestützt auf die Akten keine Gründe und Umstände erkennbar, die die bei der Beschuldigten durchgeführte Leibesvisitation als notwendig erscheinen lassen würden.»

Es hätten keine konkrete Anhaltspunkte für eine Selbst- oder Fremdgefährdung vorgelegen, die ausnahmsweise eine Leibesvisitation hätten rechtfertigen können. Das aktenkundige Verhalten der Frau könne im Übrigen nur schwerlich als aggressiv im Sinne des Dienstbefehls betrachtet werden.

Alt Kantonsrätin musste sich ebenfalls ausziehen

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, wurde aber keine drei Wochen ausgesprochen, nachdem alt Kantonsrätin Heidi Joos vor Bundesgericht einen Teilsieg errungen hatte. Die ehemalige Politikerin wurde anlässlich einer Corona-Mahnwache 2020 festgenommen und musste sich danach ebenfalls einer Leibesvisitation unterziehen, wie unsere Zeitung berichtete. Weder die Staatsanwaltschaft noch das Kantonsgericht traten auf Joos’ Beschwerde ein. Das war falsch, wie die Bundesrichter Anfang Juni dieses Jahres feststellten: Die Leibesvisitation im Hauptgebäude der Luzerner Polizei und die Festhaltung während einer Nacht hätten untersucht werden müssen. Die Kantonsrichterinnen und -richter müssen sich nun nochmals über diesen Fall beugen, scheinen aber in der Zwischenzeit die Lehren gezogen zu haben, wie der aktuellere Fall der Seniorin zeigt.

Und die Polizei? Schon vor fünf Jahren rügte das Bundesgericht die Luzerner Ordnungshüter, weil sich ein Mann in der Arrestzelle vollständig entkleiden musste. Die Polizei gelobte Besserung und eine Anpassung der Dienstvorschrift. Inwiefern, gab sie damals nicht bekannt. Seitens Staatsanwaltschaft heisst es nun auf Anfrage, man habe die Polizei vor zwei Jahren aufgefordert, den entsprechenden Dienstbefehl der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichts anzupassen.

«Mehrere tausend Visitationen pro Jahr»

Weil das aktuelle Kantonsgerichtsurteil noch nicht rechtskräftig ist, nimmt die Luzerner Polizei dazu keine konkrete Stellung. Ob sie das Urteil anfechtet, ist noch unklar. Man habe den entsprechenden Dienstbefehl seit 2017 mehrfach überarbeitet und der jeweils neuen Ausbildungspraxis durch das Schweizerische Polizei-Institut angepasst, erklärt Mediensprecher Christian Bertschi. Wie oft die Luzerner Polizei pro Jahr Leibesvisitationen – über den Kleidern und ohne Kleider – durchführt, darüber werde keine Statistik geführt. «Es dürften aber pro Jahr mehrere tausend Visitationen der verschiedenen Stufen stattfinden.» Demgegenüber stünden rund ein bis zwei Beschwerden. Wie oft eine festgenommene Person sich selbst oder andere gefährdet, weil keine Leibesvisitation durchgeführt wurde, ist laut Bertschi nicht bekannt.

Eine Leibesvisitation erfolge jeweils nach Einschätzung der handelnden Patrouille. «Im genannten Fall wurde die Beschwerde durch die Staatsanwaltschaft anhand genommen und untersucht», sagt Bertschi weiter. Die Oberstaatsanwaltschaft sei es auch, welche den entsprechenden Dienstbefehl visiere. Der Befehl werde vom Kommandanten erlassen. Konkreten Handlungsbedarf aufgrund des aktuellen Falls sieht die Luzerner Polizei nicht: Der Dienstbefehl werde wie erwähnt regelmässig überarbeitet. «Gleichzeitig erfolgt jeweils auch die Schulung der Mitarbeitenden.»

Die Festnahme und die Leibesvisitation haben der Seniorin jedenfalls stark zugesetzt, wie ihr Anwalt Raphael Zingg auf Anfrage sagt. Sie sei traumatisiert gewesen und habe sich psychotherapeutisch behandeln lassen. «Leibesvisitationen ohne hinreichende Annahme auf Eigen- oder Fremdgefährdung sind nicht nur unzulässig, sondern für die Betroffenen entwürdigend.»

Zingg hofft, dass die Luzerner Polizei diesen Folgen künftig mehr Rechnung trägt.
(https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/kanton-luzern/heikle-praxis-72-jaehrige-musste-sich-erst-oben-dann-unten-entbloessen-luzerner-polizei-erneut-wegen-leibesvisitation-gerueffelt-ld.2315963)


+++FRAUEN/QUEER
Nicht nur in Zürich: «Die Frauenhäuser in der Schweiz sind restlos voll»
Die Dachorganisation der Frauenhäuser Schweiz und Liechtenstein DAO und die Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren SODK schlagen Alarm: Die Frauenhäuser im ganzen Land haben kaum mehr freie Plätze. Wir haben nachgefragt.
https://tsri.ch/zh/nicht-nur-in-zuerich-frauenhaeuser-in-der-schweiz-sind-restlos-voll.Lff7NjMCl1YYlBqd


++++RASSISMUS
«Ich werde immer der schwarze Mann sein»
Pfarrer Scotty Williams ist in Louisiana, USA, aufgewachsen und lebt seit 12 Jahren in der Schweiz. Sowohl in den USA wie auch hierzulande hat er schmerzvolle Erfahrungen mit Rassismus gemacht. Trotzdem ist für ihn klar: Schwarz-Sein ist keine Bürde, sondern ein Segen.
https://www.srf.ch/play/tv/srf-news-videos/video/ich-werde-immer-der-schwarze-mann-sein?urn=urn:srf:video:d59422de-a7bd-4b0d-91be-d0b2764b5244&aspectRatio=4_5


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
#SatanicPanic #Kirschblütler #PZMMünsingen
Rituelle Gewalt und Scheinerinnerungen: Wenn die Therapie destabilisiert
In diesem Film stellt sich der Reporter Manuel Möglich die Frage, was mit schwer traumatisierten Menschen in der Therapie passiert, wenn diese vermeidlich falsch behandelt werden? Können Patienten durch eine möglicherweise falsche Behandlung sogenannte Scheinerinnerungen entwickeln und so tatsächliches und scheinbares Geschehen nicht mehr unterscheiden?
https://www.youtube.com/watch?v=o8AD5hz3s0Q


Das christliche Europa schuf den Judenhass im Mittelalter
Die Corona-Pandemie hat erneut gezeigt: Fast jede Verschwörungserzählung sieht die Juden als Verantwortliche für die Übel dieser Welt. Ihren Ursprung haben die bis heute verbreiteten Lügen im Europa des Mittelalters.
https://www.swissinfo.ch/ger/das-christliche-europa-schuf-den-judenhass-im-mittelalter/47755110


Verbindungen zu Neonazis und Reichsbürgern? Der Kanton St.Gallen erteilt rechts-esoterischer Privatschule provisorische Bewilligung
Militärischer Drill, Volkstanz und Schwertkampf: Der Bildungsrat des Kantons St.Gallen hat eine Sektenschule in Uznach bewilligt, hinter der eine Bewegung mit verschwörungstheoretischen, nationalistischen und rechtsesoterischen Züge stehen soll.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ressort-ostschweiz/schule-im-einklang-mit-der-natur-rassistisch-und-antisemitisch-ld.2317802
-> https://www.tvo-online.ch/aktuell/unklare-situation-sekten-wirrwar-um-uznacher-privatschule-147176505
-> https://www.woz.ch/2228/kanton-st-gallen/amtlich-bewilligte-sektenschule