Medienspiegel 2. Juli 2022

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++ST. GALLEN
Flüchtlingssituation in St.Gallen
Seit Februar sind über 57’000 Flüchtlinge aus der Ukraine in die Schweiz geflüchtet. Alleine in der Stadt St.Gallen wurden 400 Flüchtlinge untergebracht, unter anderem im umgenutzten Altersheim «Riederenholz».
https://www.tvo-online.ch/aktuell/fluechtlingssituation-in-st-gallen-147058107


+++SCHWEIZ
Eine Branche dominiert: 2000 Ukraine-Flüchtlinge haben einen Job gefunden
Viele Flüchtende aus der Ukraine arbeiten bereits in der Schweiz. Die Quote könnte noch höher sein. Viele Flüchtende sind Frauen. Und müssen sich erst einmal um ihre Kinder kümmern.
https://www.blick.ch/politik/eine-branche-dominiert-2000-ukraine-fluechtlinge-haben-einen-job-gefunden-id17627091.html


Unmenschliche Asylpraxis
Rund ein Drittel aller identifizierten Fälle von Menschenhandel im Opferschutzprogramm der FIZ im letzten Jahr sind Personen, die in der Schweiz im Asylverfahren stehen. Ihre Situation ist besonders prekär. Dass sie hierzulande ungenügende Unterstützung erhalten, widerspricht internationalen Richtlinien wie der Europaratskonvention.
https://www.pszeitung.ch/unmenschliche-asylpraxis/#top


Zuger Regierungsrat nimmt Stellung: Hass-Post-Skandal Steinhausen: Die wichtigsten Antworten
Der Leiter der Durchgangsstation Steinhausen ist freigestellt geworden, weil er höchst problematische Facebook-Posts verfasste. Gegenüber zentralplus äussert sich Regierungsrat Andreas Hostettler zum Fall.
https://www.zentralplus.ch/gesellschaft/hass-post-skandal-steinhausen-die-wichtigsten-antworten-2400249/


+++SPANIEN
Melilla: Tausende protestieren gegen tote Geflüchtete in Spanien
In mehreren spanischen Städten sind Tausende Menschen für die Opfer von Melilla auf die Straße gegangen. Das Motto der Demonstrationen: „Schwarze Leben zählen“.
https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-07/melilla-tote-gefluechtete-protest
-> https://www.srf.ch/news/international/demos-in-spanien-spanien-tausende-protestieren-wegen-tod-von-migranten-in-melilla
-> https://taz.de/Tragoedie-in-spanischer-Exklave-Melilla/!5865105/
-> https://www.srf.ch/play/tv/srf-news-videos/video/demos-wegen-migration-in-spanien-ebben-nicht-ab?urn=urn:srf:video:93676348-79d4-4c2c-afb6-da05d95a174f&aspectRatio=4_5


+++TÜRKEI
Hetzjagd gegen Migranten in Osmaniye
In Osmaniye in der türkischen Mittelmeerregion hat ein Lynchmob eine aus einem Internierungszentrum geflohene Gruppe Migranten verfolgt. Zahlreiche Menschen wurden verletzt, ob es Tote gibt, ist weiterhin unklar.
https://anfdeutsch.com/aktuelles/hetzjagd-gegen-migranten-in-osmaniye-32909


+++JENISCHE/SINTI/ROMA
tagblatt.ch 01.07.2022

Kein provisorischer Durchgangsplatz in Thal: Bundesgericht weist Beschwerde von Fahrenden ab

Seit Jahren kämpfen Schweizer Fahrende um Durchgangsplätze – auch im Kanton St.Gallen. Ein Provisorium in Thal scheiterte am Widerstand der Gemeinde. Dagegen zogen die Fahrenden bis vor Bundesgericht – ohne Erfolg.

Adrian Vögele

Die Suche nach Durchgangsplätzen für Jenische und Sinti bleibt so schwierig wie eh und je. Der Kanton St.Gallen bemüht sich seit Jahren, solche Areale zu definieren und scheitert immer wieder an lokalem Widerstand. Die Justiz kann dabei auch nicht viel helfen – das zeigt ein aktueller Entscheid des Bundesgerichts zu einem Gelände in Thal: Die Gemeinde könne nicht auf dem Rechtsweg dazu gezwungen werden, dort einen provisorischen Durchgangsplatz einzurichten, so das Gericht. Es lehnt damit eine Beschwerde der Radgenossenschaft der Landstrasse, der Dachorganisation der Schweizer Jenischen und Sinti, ab.

Bürger stimmten 2014 gegen nötige Umzonung

Eigentlich sieht der Kanton St.Gallen in seinem Richtplan einen fixen Durchgangsplatz in Thal vor. Die Bürgerschaft stimmte aber im Jahr 2014 gegen die nötige Umzonung. Gemeinde und Kanton starteten dann einen neuen Anlauf. Sie wollten auf dem Areal Fuchsloch einen lediglich provisorischen Durchgangsplatz einrichten – als Versuch sozusagen, befristet auf maximal fünf Jahre. Der damalige Bauchef Marc Mächler setzte sich persönlich für das Vorhaben ein. Auch dagegen gab es aber Kritik im Dorf. Der Gemeinderat entschied schliesslich, auch den provisorischen Durchgangsplatz nicht weiterzuverfolgen.

Der Kanton bedauerte den Entscheid, akzeptierte ihn aber. Anders die Radgenossenschaft: Sie beschritt den Rechtsweg und legte Beschwerde ein: Grundrechte der vom Bund anerkannten Minderheit der Jenischen und Sinti würden missachtet. Der Kanton trat darauf aber gar nicht erst ein – der Entscheid des Gemeinderats sei politischer Art und nicht anfechtbar, die Radgenossenschaft könne dagegen nicht rekurrieren, auch erfülle sie die Voraussetzungen für eine Beschwerde nicht.

Eine rein politische Angelegenheit?

Die Fahrenden gelangten daraufhin ans kantonale Verwaltungsgericht. Dieses beurteilte die Ausgangslage anders als die Vorinstanz: Eine Vielzahl der Mitglieder der Radgenossenschaft sei von der Frage betroffen, ob in Thal der erste Durchgangsplatz im Kanton St.Gallen realisiert werde. Darum sei die Organisation zur Beschwerde berechtigt, so das Gericht. Es hielt fest: «Mit Blick auf die sich aus allen Stufen der Rechtsordnung ergebende Verpflichtung der politischen Behörden, für die Schaffung von Halteplätzen für Jenische, Sinti und Roma zu sorgen, ist das Vorgehen der Beschwerdeführerin verständlich.» Die Radgenossenschaft zeigte sich erfreut über diese Beurteilung – es sei ein «Teilerfolg» im Kampf um Durchgangsplätze.

Allerdings lehnte das Verwaltungsgericht die Beschwerde im Fall Thal dann doch ab – mit ausführlicher Begründung. Der Gemeinderat habe mit dem Entscheid, den provisorischen Durchgangsplatz nicht weiterzuverfolgen, keine rechtliche Verpflichtung verletzt. Für den provisorischen Durchgangsplatz sei keine Zonenplanänderung nötig, es genüge ein Baugesuch. Ein solches liege aber nicht vor. «Das Gericht kann den Gemeinderat nicht dazu anhalten, die Planung eines provisorischen und zeitlich befristeten Durchgangsplatzes weiterzuführen.»

Auch Richtplan ist nicht verbindlich

Auch die Zonenplanänderung für einen fixen Durchgangsplatz, wie er im kantonalen Richtplan vorgesehen ist, könne nicht auf dem Rechtsmittelweg durchgesetzt werden – dafür brauche es den politischen Weg, so das Verwaltungsgericht.

Auch gegen dieses Urteil wehrte sich die Radgenossenschaft und zog vor Bundesgericht. «Unseren Minderheiten werden im politischen Entscheidprozess keine klagbaren Rechte eingeräumt», bemängelten die Fahrenden in einem Communiqué. Das Bundesgericht bestätigt nun aber die Haltung des kantonalen Verwaltungsgerichts und weist die Beschwerde ab.

Der Streit um den Durchgangsplatz ist ein weiteres Beispiel dafür, dass der kantonale Richtplan, obwohl ein zentrales Planungsinstrument und vom Bundesrat abgesegnet, im Konfliktfall nicht verbindlich ist. Dem Kanton stünden keine rechtlichen Instrumente zur Verfügung, einen festen Durchgangsplatz gegen den Willen der Gemeinde durchzusetzen, hatte das Baudepartement schon im vergangenen Jahr mitgeteilt. Eine ähnliche Diskussion entwickelte sich jüngst um das Seeufer in Rapperswil-Jona: Der Kanton sieht im Richtplan einen neuen öffentlichen Seeuferweg vor, die Stadt sieht aber keine Notwendigkeit, Schritte für eine Umsetzung zu unternehmen. Dafür fehle jeder politische Wille, stellte der Stadtrat fest.
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ressort-ostschweiz/urteil-kein-provisorischer-durchgangsplatz-in-thal-bundesgericht-weist-beschwerde-von-fahrenden-ab-ld.2311992)


+++DROGENPOLITIK
«Es ist nicht Mainstream, gegen Cannabis-Legalisierung zu sein» – Echo der Zeit
Laut Uno-Drogenbericht führt Cannabis zu einer Belastung der Gesundheitssysteme. Der Stoff werde immer stärker, was zu einem Anstieg von psychischen Erkrankungen führe. Wie verträgt sich das mit dem Ruf nach Legalisierung? Das Gespräch mit Boris Quednow, Professor für Pharmakopsychologie an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich.
https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/es-ist-nicht-mainstream-gegen-cannabis-legalisierung-zu-sein?partId=12217022


++DEMO/AKTION/REPRESSION
Kampf um Abtreibungen: Jetzt gehen die Menschen in Bern auf die Strassen
Immer mehr Menschen gehen in der Schweiz wegen dem Abtreibungs-Urteil vom letzten Freitag in den USA auf die Strassen. Nach 50 Jahren hat das oberste US-Gericht bekannt gegeben, dass Frauen nicht mehr selbst entscheiden dürfen, ob sie eine Schwangerschaft abbrechen wollen oder nicht. Gestern Abend versammeln sich rund 500 Leute auf dem Bundesplatz. Zum einen aus Solidarität mit den Amerikanerinnen zum anderen, weil im Moment in der Schweiz Unterschriften für zwei Abtreibungs-Initiativen gesammelt werden.
https://www.telebaern.tv/tele-barn-news/kampf-um-abtreibungen-jetzt-gehen-die-menschen-in-bern-auf-die-strassen-147058276


+++BIG BROTHER
nzz.ch 02.07.2022

Polizeikorps nutzen automatisierte Gesichtserkennung für die Fahndung: Bald könnte die Software auch nach Demos oder Fanmärschen eingesetzt werden

Mehrere Kantone setzen bereits heute Gesichtserkennungs-Software ein, darunter St. Gallen. Bald könnte die Anwendung ausgeweitet werden – zum Beispiel um gewalttätige Demonstranten zu erkennen. Kritiker warnen vor einer schleichenden Massenüberwachung.

Daniel Gerny

ActorDetector heisst die Gratis-App, die per Smartphone-Kamera fast jede beliebige Schauspielerin oder jeden Sänger auf Anhieb richtig zuordnet – und gleich auch eine Liste mit passenden Filmen oder Songs mitliefert. Selbst längst vergessene Stars des eidgenössischen Filmschaffens wie den vor über 50 Jahren verstorbenen Max Haufler erkennt das System zuverlässig. Unzählige Programme dieser Art sind im Internet frei verfügbar.

Sie durchforsten das Internet nach vorhandenem Bildmaterial, gleichen die Daten ab und liefern innert Sekundenbruchteilen passende Daten aller Art. Mit der polnischen Software PimEye lässt sich sogar fast jede Person identifizieren, von der ein Foto oder ein Video im Internet oder auf den sozialen Netzwerken existiert. Nur gerade 33 Franken kostet der Dienst pro Monat.

Viele dieser Programme kommen als harmlose Spielerei daher, doch sie zeigen, wie weit fortgeschritten die Technologie der Gesichtserkennung ist. Vor allem im Sicherheitsbereich scheinen die Möglichkeiten grenzenlos. Und Schweizer Polizeikorps drängen darauf, solche Systeme auch einzusetzen.

Die Fluchtroute kann rekonstruiert werden

Die Kantonspolizei St. Gallen hat seit 2021 eine Software der schwedischen Firma Griffeye in Betrieb, mit der Bild- und Videodaten in kürzester Zeit ausgewertet werden können. Für die Polizeiarbeit bedeute dies einen immensen Fortschritt und einen enormen Effizienzgewinn, erklärt Stefan Helfenberger, Leiter Ermittlungsunterstützung bei der Kantonspolizei St. Gallen.

Er macht dazu ein konkretes Beispiel: Wird ein Bankräuber beim Überfall von der Überwachungskamera aufgenommen, kann dieses Bild mit Fotos von Personen abgeglichen werden, die im Rahmen früherer Strafverfahren erkennungsdienstlich erfasst wurden und sich in der entsprechenden kantonalen Datenbank befinden. Ist der Täter bereits einmal straffällig geworden, kann er mit der Software möglicherweise erkannt werden.

Und nicht nur das: Es können auch Bilder von weiteren Überwachungskameras beigezogen und mit der Aufnahme des Täters beim Überfall abgeglichen werden, zum Beispiel um den Fluchtweg des Täters zu rekonstruieren. Solche Abklärungen wurden auch früher gemacht, doch sie mussten manuell vorgenommen werden. Man kennt das Prinzip aus dem sonntäglichen «Tatort»: Während Stunden spulen dort Beamte Überwachungsfilme vor und zurück, um die verdächtige Person irgendwo zu entdecken.

Es erscheint einleuchtend, solche Routinearbeiten zu automatisieren. Doch gleichzeitig sind die Bedenken riesig. Verschiedene NGO verlangen, dass die Politik diese Entwicklung stoppt und die automatisierte Gesichtserkennung verbietet. Zweifel bestehen ausserdem an der Rechtmässigkeit. Die St. Galler Strafrechtlerin Monika Simmler kommt zu dem Schluss, dass die Strafprozessordnung keine genügende Grundlage darstelle, um Gesichtserkennungs-Software zu Fahndungszwecken einzusetzen – so wie dies die St. Galler Kantonspolizei tut.

Bundesrat: «Rechtliche Grundlage vorhanden»

Der Bundesrat scheint dies anders zu sehen, wie er in einer Antwort auf eine Frage der Aargauer Nationalrätin Maja Riniker schreibt. Für ihn sind «die rechtlichen Grundlagen vorhanden». Doch unabhängig davon, zu welchem juristischen Schluss man kommt: Kaum jemand bestreitet, dass die automatisierte Gesichtserkennung im Strafprozess- und im Polizeirecht ungenügend geregelt ist und viele Fragen offen sind.

St. Gallen ist nicht der einzige Kanton, der auf Gesichtserkennung setzt. Bereits heute haben mehrere andere Kantone solche Systeme in Betrieb oder testen sie. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Gesichtserkennung zum Standard wird. Die Programme können für alle erdenklichen Aufgaben eingesetzt werden. So könnten auch Demonstrationen oder Fanmärsche mit Polizeikameras gefilmt werden, damit im Falle von Ausschreitungen Wiederholungstäter schneller erkannt werden.

Derzeit erlaubt das Polizeigesetz des Kantons St. Gallen solche präventivpolizeilichen Massnahmen nicht. Es sei Sache der Politik, darüber zu entscheiden, sagt Helfenberger dazu – lässt im Gespräch aber wenig Zweifel daran, dass er dies aus polizeilicher Sicht für sinnvoll hält: Wenn technische Neuerungen wie die automatisierte Gesichtserkennung aus prinzipiellen Überlegungen verboten würden, behindere man die Polizei bei der Erfüllung ihrer Kernaufgaben, sagt Helfenberger. «Die Politik muss der Polizei allerdings die Kompetenzen zuweisen oder auch beschränken.»

Angst vor einem Dammbruch

Genau diese Haltung bereitet Lukas Hafner von Amnesty International Schweiz (AI) Sorgen. Er befürchtet einen sogenannten Chilling-Effekt: Viele Leute blieben lieber zu Hause, sobald sie das Gefühl hätten, dass bei Kundgebungen oder politischen Veranstaltungen im öffentlichen Raum Gesichtserkennungs-Software im Spiel sei.

«Dadurch werden die Grundrechte wie die Versammlungs- oder die Meinungsäusserungsfreiheit schleichend ausgehöhlt», sagt Hafner. Und er befürchtet, dass der Anwendungsbereich von solchen Systemen systematisch ausgeweitet wird: «Wenn man in der Polizeiarbeit einmal mit automatischer Gesichtserkennung begonnen hat, wird man immer neue Einsatzmöglichkeiten finden – und der Damm bricht. Die Angst vor Massenüberwachung ist deshalb nicht unbegründet.»

Diesen Eindruck wollen die Behörden unbedingt vermeiden. Helfenberger betont, dass die Software der Kantonspolizei nicht in der Lage sei, Personen zu identifizieren, die der Polizei nicht ohnehin bekannt seien. Dies im Unterschied zu intelligenten Kameras in autokratischen Staaten, die der Erkennung sämtlicher Personen im öffentlichen Raum dienen. Auch Echtzeitanalysen, Live-Scans genannt, sind in der Schweiz bis anhin tabu.

Peinlich genau wird darauf geachtet, Missbrauch zu verhindern. Das Internet und soziale Netzwerke werden nicht angezapft. In St. Gallen ist die Gesichtserkennungs-Software nicht einmal mit der nationalen Fahndungs-Datenbank verknüpft. Und Bilder aus der kantonalen Datenbank müssen manuell in die Gesichtserkennungs-Software exportiert und dort nach der Auswertung wieder gelöscht werden. Es gehe einzig um Effizienz und Ressourcenschonung, erklärt Helfenberger: «Wir tun nichts, was wir nicht auch manuell erledigen können.»

Diskriminierende Software

Qualitätsgründe sprechen vorerst tatsächlich gegen eine rasche Ausweitung von Gesichtserkennungs-Software und Live-Scans. Ein Versuch an einem Berliner Bahnhof, bei dem die Bilder von 300 Testpersonen laufend mit Live-Aufnahmen von Kameras verglichen wurden, lieferte vor einigen Jahren eine Erfolgsquote von deutlich unter 90 Prozent. Das System vermeldete viel zu viele Treffer, die sich im Nachhinein als falsch erwiesen.

Was das heisst, zeigt ein einfaches Rechenexperiment: Selbst bei einer Treffsicherheit von 99 Prozent würden auf 100 000 Personen 1000 gemeldet, bei denen es sich gar nicht um die Zielperson handelt. Mit einer solchen Fehlerquote ist das System kaum effizient einsetzbar. Ausserdem werden Frauen und Menschen mit dunkler Hautfarbe besonders oft schlecht erkannt, was dazu führt, dass diese Gruppen übermässig in den Fokus der Polizei geraten. Diese diskriminierenden Verzerrungen sind ein weiterer Grund, weshalb Hafner die automatisierte Gesichtserkennung ablehnt.

Doch trotz solchen Rückschlägen scheint die Entwicklung unaufhaltbar. Die Technik wird besser, und neue Einsatzmöglichkeiten tun sich auf. In Österreich gab das Innenministerium kürzlich bekannt, dass Gesichtserkennungs-Software nicht nur bei schweren Verbrechen, sondern auch bei kleineren Delikten wie Diebstahl, Anbau von Cannabis oder Raufhandel eingesetzt werde.

In London, Europas Stadt mit den meisten Überwachungskameras, werden seit einigen Jahren auf belebten Plätzen Versuche mit Echtzeit-Gesichtserkennung durchgeführt. Dabei werden die Passanten laufend mit einer Liste von 10 000 Personen abgeglichen – zum Beispiel mit vermissten Personen oder Kriminellen. Kein anderes europäisches Land geht heute so weit. Die Erfassung von biometrischen Daten in Echtzeit scheint aber auch ausserhalb Englands nicht mehr ausgeschlossen.

Automatische Suche nach vermissten Kindern

Gemäss einem EU-Verordnungsentwurf über die künstliche Intelligenz sollen solche Live-Scans zwar grundsätzlich verboten werden. Dennoch sind einzelne Ausnahmen unter strengen Auflagen vorgesehen. So zum Beispiel für die gezielte Suche nach vermissten Kindern oder wenn es darum geht, einen unmittelbar bevorstehenden Terroranschlag zu vereiteln.

Helfenberger hält eine solche Anwendung in der Zukunft auch in der Schweiz nicht für ausgeschlossen. Er betont allerdings, dass dies nur schon aufgrund der Eingriffsintensität nichts mit dem nachträglichen Abgleich von Bildern aus unterschiedlichen Quellen zu vergleichen sei, wie dies sein Kanton heute praktiziert. Für Hafner dagegen ist der Verordnungsentwurf ein weiterer Beleg dafür, dass das Umdenken längst eingesetzt hat.

Viele Fachleute sind der Ansicht, dass die Akzeptanz in der Bevölkerung zunimmt, falls sich die Gesichtserkennung im privaten Bereich durchsetzen sollte – zum Beispiel in Fussballstadien oder in Einkaufszentren. Die Diskussion läuft auch hier an. So setzt ein dänischer Fussballklub Gesichtserkennung ein, um Fans mit einem Stadionverbot zu identifizieren. Ähnliche Überlegungen gibt es auch in der Schweiz. Und mit jedem technologischen Fortschritt erscheint der Nutzen von Gesichtserkennung grösser. Das beobachtet auch Hafner: «Die Frage ist nur, ob sich die Ausweitung auf immer mehr Anwendungsbereiche noch bremsen lässt.»
(https://www.nzz.ch/schweiz/gesichtserkennung-polizei-nutzt-software-fuer-fahndung-ld.1690155)


+++FRAUEN/QUEER
Frauen ohne Rechte
Am 24. Juni entschied der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten in seinem Urteil im Fall Dobbs vs. Jacksons Women’s Health Organization, das Recht auf Abtreibung aufzuheben. Dieses wurde 1973 im Urteil Roe vs. Wade beschlossen und 1992 im Urteil Planned Parenthood vs. Casey bestätigt. Dieser Entscheid hatte sich abgezeichnet, nachdem am 2. Mai ein Vorentwurf des Entscheids den Medien zugespielt wurde (P.S. berichtete). Jetzt wurde das Urteil mit 6 zu 3 Stimmen gefällt.
https://www.pszeitung.ch/frauen-ohne-rechte/#top


+++RASSISMUS
Jacqueline Fehr verzichtet auf Besuch des Alba-Festivals: TELE TOP war vor Ort
Jacqueline Fehr besucht das Alba-Festival nun doch nicht. Auf Twitter begründet die Regierungsrätin den Entschied dadurch, dass ihr Besuch zum Politikum geworden sei.
https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/regierungsraetin-fehr-verzichtet-auf-besuch-des-alba-festivals-00187779/


+++RECHTSEXTREMISMUS
nzz.ch 02.07.2022

«Antifa»-Kampagne gegen die «Junge Tat»: Weshalb der Schweizer Nachrichtendienst mehr offene Konflikte zwischen Neonazis und Linksradikalen erwartet

Vermehrt attackieren sich extremistische Aktivisten in aller Öffentlichkeit. Zwar sind linksradikale Kreise laut einem neuen Bericht des Nachrichtendienstes aktiver, doch vor allem bei den Rechtsextremen ist eine ungewohnte Dynamik zu beobachten.

Daniel Gerny

Diesen Monat traf es eine junge Gymnasiastin aus der Nordwestschweiz. «Nazi sein heisst Probleme kriegen», schrieb ein anonymer Autor warnend auf einer linksradikalen Website und publizierte Geburtsdatum, Adresse und Telefonnummer der Frau. Die 20-Jährige wird in dem «Antifa»-Beitrag offen als Nazi angeprangert, die mit der rechtsextremen Gruppierung «Junge Tat» auf Wanderungen gehe und mit dieser in den sozialen Netzwerken verknüpft sei. Auch Bilder der Schülerin wurden veröffentlicht.

Zeitgleich mit dem unfreiwilligen Outing im Internet schlugen die linksextremen Aktivisten in der realen Welt zu: Ein Gebäude, in dem die Maturfeier der Gymnasiastin stattfand, wurde versprayt, auch dort mit vollem Namen der Frau. Die betreffende Gemeinde hat wegen des Graffitos Anzeige gegen Unbekannt erstattet, wie die «Basler Zeitung» berichtete. Doch die Chancen auf einen Fahndungserfolg sind minim. Welche Köpfe sich hinter der Aktion verbergen, ist unbekannt.

Offene Angriffe aus der Anonymität

Die «Antifa»-Bewegung handelt anonym, auch auf den Websites finden sich keine konkreten Hinweise. Das Vorgehen der linksextremen Aktivisten folgt schon seit Monaten einem festen Muster: In regelmässigen Abständen werden Mitglieder und Sympathisanten der «Jungen Tat» geoutet, stets mit persönlichen Angaben wie Adresse und Telefonnummer. Offensiv wird die Kampagne auf diversen Kanälen vermarktet. Gegen die eindeutig rechtswidrigen Veröffentlichungen können sich die Betroffenen kaum zur Wehr setzen.

Die «Antifa»-Kampagne gegen die «Junge Tat» fügt sich in eine Entwicklung ein, die sich laut Nachrichtendienst des Bundes (NDB) sogar noch verstärken könnte – einen Anstieg offener Konflikte zwischen extremistischen Akteuren. Es sei mit einer Zunahme von Gewalttaten vor allem im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen zwischen gewalttätigen Rechts- und Linksextremistinnen und -extremisten zu rechnen, schreibt der NDB in seinem neuen Lagebericht «Sicherheit Schweiz 2022». Diese Woche wurde das Papier veröffentlicht.

Während die Linksextreme ihren antifaschistischen Kampf seit Jahren aggressiv führt, konstatiert der NDB vor allem bei den Rechtsextremen eine neue Dynamik: «Es ist wahrscheinlich, dass der Wille zur Auseinandersetzung bei den gewalttätigen Rechtsextremistinnen und -extremisten seit 2020 stärker geworden ist», stellt der Nachrichtendienst fest. Seit einiger Zeit beobachtet er Veränderungen in der rechtsextremen Szene, die über das Normalmass hinausgehen. Die von der «Antifa» ins Visier genommene «Junge Tat» beispielsweise gehört zu den Gruppierungen der neuen Rechten, die die alten Nazi-Parteien wie die mittlerweile untergegangene Pnos ablösen.

Eine neue Kraft unter den Rechtsextremen

Die «Junge Tat» gibt sich modern, vermeidet allzu direkte Bezüge zu den Nationalsozialisten, verfolgt aber eine nicht minder rassistische und demokratiefeindliche Ideologie. Sie versucht über die sozialen Netzwerke zu mobilisieren und mit kleinen und spontanen Aktionen Aufmerksamkeit zu erregen. Über Telegram, Instagram und andere Kanäle verbreitet sie Fremdenhass und rassistische Botschaften. Die Mittelbeschaffung erfolgt zeitgemäss in Kryptowährung. Mehrfach ist es in letzter Zeit auch zu Auseinandersetzungen oder Beinahe-Zusammenstössen zwischen Linksradikalen und Neonazis gekommen.

Im Februar kam es in Zürich zu Ausschreitungen, als linksextreme Gruppen zu einer unbewilligten Demo gegen Rechtsextreme aufriefen. Die früher eher diskrete Szene der Rechten scheut sich nicht, die Konfrontation in der Öffentlichkeit zu suchen. Erst vor zwei Wochen kam es bei einem Gottesdienst im Rahmen der Zurich Pride zu einer homophoben Störaktion, hinter der Mitglieder der «Jungen Tat» vermutet werden. Im vergangenen Herbst konnte die Baselbieter Polizei einen gewaltsamen Zusammenstoss zwischen Linksradikalen und Neonazis nur knapp verhindern. Schon damals waren die «Antifa»-Bewegung und die «Junge Tat» involviert.

Zwar registrierte der Nachrichtendienst im vergangenen Jahr deutlich mehr links- als rechtsextremistisch motivierte Ereignisse. Bei den Linksextremen zählte er 202 Vorkommnisse, während es bei den Rechtsextremen 38 waren. Der antifaschistische Kampf richte sich gegen alles, was die linksextreme Szene «als rechtsextremistisch wahrnehme», heisst es im NDB-Lagebericht. Zu den links- und rechtsextremen Aktionen kamen im letzten Jahr 35 Ereignisse aus dem Bereich des sogenannten Corona-Extremismus. Der NDB erfasst diese Kategorie erstmals und kann sie keiner politischen Strömung eindeutig zuordnen.

Bei den Rechten sinkt die Angst vor dem Pranger

Auffällig aber ist: Die Ereignisse aus dem Bereich des Rechtsextremismus haben 2021 gegenüber dem Vorjahr deutlich zugenommen. Ob dies mit der Neuorientierung der rechtsextremen Szene und dem Aufkommen von Organisationen wie der «Jungen Tat» zusammenhängt, lässt der NDB-Bericht offen. Schon vor einem Jahr beobachtete der NDB allerdings, «dass die neuen Gruppierungen eine ungewöhnlich provokante Strategie öffentlicher Kommunikation» verfolgten.

Zu den Pranger-Aktionen wie jene der «Antifa»-Bewegung gegen die Mitglieder der «Jungen Tat» äussert sich der Nachrichtendienst in seinem jüngsten Bericht indirekt. Das erklärte Ziel solcher Offenlegungen ist es, Betroffene blosszustellen und in die Enge zu treiben. Glaubt man dem NDB, passiert das Gegenteil, der Abschreckungseffekt nützt sich ab: Die Befürchtung, bei einem Outing als gewalttätige Rechtsextremistin oder gewalttätiger Rechtsextremist mit persönlichen Konsequenzen wie Arbeitsplatzverlust rechnen zu müssen, «ist bei diversen Exponentinnen und Exponenten gesunken», schreibt der NDB und sieht gar eine kontraproduktive Wirkung: «Dies dürfte die Motivation erhöhen, öffentliche Aktionen durchzuführen und damit auch neue Mitglieder anzuziehen.»
(https://www.nzz.ch/schweiz/antifa-und-neonazis-ndb-erwartet-noch-mehr-offene-konflikte-ld.1691789)


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Sektenbarometer: Das Coronavirus steckt noch immer in den Köpfen der Corona-Skeptiker
Der Jahresbericht der Beratungsstelle InfoSekta zeigt, dass der Coronagraben weiter existiert.
https://www.watson.ch/blogs/sektenblog/817436635-das-coronavirus-steckt-noch-immer-in-den-koepfen-der-corona-skeptiker


Zuger Regierungsrat nimmt Stellung: Hass-Post-Skandal Steinhausen: Die wichtigsten Antworten
Der Leiter der Durchgangsstation Steinhausen ist freigestellt geworden, weil er höchst problematische Facebook-Posts verfasste. Gegenüber zentralplus äussert sich Regierungsrat Andreas Hostettler zum Fall.
https://www.zentralplus.ch/gesellschaft/hass-post-skandal-steinhausen-die-wichtigsten-antworten-2400249/


+++HISTORY
Geschichte der Anarchie – Band 1 und 3
Max Nettlau (1865-1944) gilt nach wie vor als nicht nur der produktivste, sondern auch als der bedeutendste Historiker des Anarchismus. Mit seinem auf sieben Bände angelegten Werk Geschichte der Anarchie, von dem zu seinen Lebzeiten nur die ersten drei Bände erschienen sind, hat Nettlau das Fundament für eine umfassende und international ausgerichtete Geschichtsschreibung des Anarchismus geschaffen, von dem in der Folgezeit Generationen von Anarchismusforscher*innen profitiert haben. Sein Werk ist die detaillierteste und umfangreichste historische Darstellung radikal-freiheitlicher Ideen und Bestrebungen, die sich dem Anarchismus zuordnen lassen. Dies gilt insbesondere für die Früh- und Entstehungs¬geschichte sowie für die Geschichte des internationalen organisierten Anarchismus bis in die 1930er Jahre.
Band 1 befasst sich mit dem „Vorfrühling der Anarchie“ bis 1864, von La Boetie über William Godwin bis Proudhon und Max Stirner. Band 3 mit Sozialrevolutionären und Anarchisten sowie der historischen Entwicklung des Anarchismus 1880 – 1886. Verlagsfrisch aus der Restauflage des Verlags. Band 2 ist vergriffen, aber beim Libertad Verlag in einer neuen Ausgabe erschienen.
https://www.anarchia-versand.net/Buecher-und-Broschueren/Geschichte/Libertaere-Geschichte/Geschichte-der-Anarchie-Band-1-und-3::5282.html


+++ROCKERKRIEG
derbund.ch 02.07.2022

Rocker-Gruppen im Kanton Bern Die Revierkämpfe gehen weiter

Wie eine Absage eines Biker-Fests in Thun zeigt, ist die Gefahr von Auseinandersetzungen zwischen den Motorradgangs weiterhin da.

Carlo Senn

Die Revierkämpfe in Bern haben gezeigt, wozu die Motorradgangs fähig sind, wenn sich einzelne Gruppen nicht an die strikten Regeln der Szene halten. Wer denkt, dass mit dem Gerichtsurteil von dieser Woche auch die Auseinandersetzung zwischen den verfeindeten Motorcycle Clubs (MC) der Hells Angels und Bandidos abgeschlossen ist, dürfte sich irren.

Dafür gibt es zumindest Indizien: So hat die Absage des Biker-Fests Beo Bike Week auf dem Waffenplatz in Thun für Aufsehen in der Szene gesorgt. Vor Corona haben sich in Thun jährlich rund 3000 Personen versammelt, ihre Motorräder vorgeführt und Rockkonzerten zugehört.

Doch aus dem Fest, das Anfang August hätte stattfinden sollen, wird nichts. Aus Sicht der Kantonspolizei Bern besteht die Gefahr, dass die verfeindeten Gruppen Hells Angels und Bandidos aufeinandertreffen. «Das Risiko einer Eskalation bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Gruppierungen liegt aus polizeilicher Sicht bei über 90 Prozent», schreibt der Verein Beo Bike Week auf Facebook. Nach zahlreichen friedlichen Durchführungen hat die Szene wegen der Vorkommnisse in Belp ihre Unschuld verloren.

Die Polizei hat ihre Einschätzung auf Wunsch des Regierungsstatthalteramtes in Thun abgegeben. Der Verein, der die Veranstaltung organisiert, habe deshalb keine andere Möglichkeit gesehen, als das Fest abzusagen.

Wie die Polizei konkret zu ihrem Schluss kommt, bleibt im Dunkeln. Sie äussert sich nicht zu ihrer Lageeinschätzung, und auch der stellvertretende Regierungsstatthalter Thomas Blättler in Thun gibt sich bedeckt.

Laut Jürg Burkhart, Veranstalter und Präsident des Motorradvereins, handelt es sich um einen «Motorcycle-Club-Experten» der Polizei, der die Einschätzung gemacht hat. Während Gruppen der Broncos und Hells Angels seit Jahren Besucher des Fests sind, hätten sich in diesem Jahr auch Bandidos angekündigt. «Hells Angels und Bandidos können es nicht miteinander» sagt denn auch Burkhart.

Keine allgemeine Gefahr

Können nun also gar keine Biker-Feste mehr stattfinden? Nein, der Biker-Sommer ist wohl nicht gefährdet. Denn anders ist die Lage offenbar im Emmental. Dort findet vom 20. bis zum 24. Juli in Sumiswald jedes zweite Jahr ein noch grösseres Fest statt, gemäss der «Berner Zeitung» mit rund 30’000 Besuchenden. 2018 hatte der Anlass Tausende Besuchende, 2020 fiel er wegen Corona ins Wasser. Auch dort hat die Kantonspolizei auf Wunsch der Regierungsstatthalterin Claudia Rindlisbacher eine Lageeinschätzung vorgenommen.

Laut Rindlisbacher sieht die Polizei «zum jetzigen Zeitpunkt» keine Gefahr einer Auseinandersetzung zwischen den Hells Angels und den Bandidos. Sind also sonst keine formalen Fehler beim Antrag auf Bewilligung vorhanden, stehe der Durchführung nichts im Weg.

Die Gründe bleiben im Dunkeln, weshalb die Polizei hier zu einem anderen Ergebnis kommt als beim ungleich kleineren Fest in Thun. Ein Grund könnte sein, dass die Bandidos in Thun neu über ein eigenes Chapter, also eine Ortsgruppe, verfügen. Weil dies nicht mit den tonangebenden Hells Angels abgesprochen wurde, droht ihnen Ungemach.

Oder wie es das Bundesamt für Polizei ausdrückt: «Die Bildung von Schweizer Bandidos-Ablegern hat die Spannungen zwischen den beiden Motorcycle Clubs verschärft.» Wer sich über die internen Regeln dieser Szene hinwegsetze, müsse mit «Repressionen seitens der Hells Angels beziehungsweise deren Unterstützern rechnen».

«Das beste Fest aller Zeiten»

Vor diesem Hintergrund scheint es für viele kein Zufall, dass Ende 2021 das neue Thuner Clublokal der Bandidos niederbrannte. Laut Kantonspolizei war die Ursache Brandstiftung. Dass feindliche Motorradgangs dahinterstecken, ist jedoch nicht erwiesen. Bei der Ankündigung, am Thuner Fest dabei zu sein, könnte es sich um einen Versuch der Bandidos handeln, dennoch Präsenz zu zeigen. Der Festplatz von Sumiswald liegt dagegen im beschaulichen Emmental weit weg von einem Bandidos-Chapter.

Eine Anfrage ans lokale Bandidos-Chapter in Thun, ob der Club bei weiteren Festen Präsenz zeigen wolle, bleibt am Donnerstag und am Freitag unbeantwortet.

Die Veranstalter des Fests in Sumiswald – ein Motorradclub namens Dead Riders – machen der bekannten Verschwiegenheit in der Szene alle Ehre und möchten sich zum Thema nicht äussern. Ein Member schreibt auf Anfrage lediglich, dass es «das beste Fest aller Zeiten» werden könnte.
(https://www.derbund.ch/die-revier-kaempfe-gehen-weiter-947116436490)
-> https://www.neo1.ch/artikel/keine-beo-bike-week-2022-wegen-rockerkrieg


+++PSYCHIATRIE
nzz.ch 02.07.2022

Zuger Psychiatrie: «Schwere Fehler» bei Zwangsmedikation: Wie die Klinik Zugersee immer wieder gegen das Gesetz verstösst

Weitere Ex-Angestellte und ein Angehöriger prangern Missstände in der Klinik Zugersee an. Gleichzeitig wird bekannt: Seit 2016 hat das Verwaltungsgericht die Institution der Kantone Zug, Schwyz und Uri mehrfach gerügt. Diese ist sich keiner gravierenden Fehler bewusst.

Tijana Nikolic und Kilian Küttel

An einem langen Tisch sitzen mehrere Personen, die gekommen sind, um ihre Geschichte zu erzählen. Februar 2022, wenige Wochen zuvor hat unsere Zeitung von mutmasslichen Missständen in den psychiatrischen Kliniken Meissenberg und Zugersee berichtet.

In Oberwil arbeiteten auch die Leute, die jetzt über ihre Erlebnisse sprechen wollen. Aber nur wenn die Öffentlichkeit nicht erfährt, wer sie sind.

Etwas mehr als eine Stunde dauert das Gespräch, in dem Aussagen fallen wie:

    «Wir hatten so wenig Personal, dass ich mehr als einmal allein auf der Station war. Da stehst du dann und fragst dich: Wie kann ich die Sicherheit garantieren, wenn etwas passiert?»

Oder:

    «Angriffe auf Mitarbeiter sind nichts Aussergewöhnliches mehr.»

Und:

    «Ich bin gegangen, weil ich nicht mehr dahinterstehen konnte, wie Patientinnen und Patienten dort gepflegt werden.»

Die Ex-Mitarbeitenden schildern das Gleiche wie Pflegerinnen und Pfleger, die in der Vergangenheit zu Wort gekommen sind: hohe Arbeitsbelastung, unterbesetzte Teams, leidende Pflegequalität.

Klink hat unvollständige oder gar keine Behandlungspläne ausgestellt

Bei den kritischen Berichten aus der Belegschaft bleibt es nicht. Viel mehr haben sie Recherchen angestossen, die sich bis jetzt erstreckt haben. Und die unter anderem zeigen: Das Zuger Verwaltungsgericht hat die Klinik regelmässig kritisiert, wenn sie Patientinnen und Patienten gegen deren Willen Medikamente verabreicht hat.

Von den 18 Verfahren, die das Gericht seit 2016 inhaltlich wegen Zwangsmedikationen in der Oberwiler Klinik behandelt hat, rügte es in acht Fällen Verletzungen von Formvorschriften; in weiteren deuteten die Richter solche immerhin an*.

–  Zum Jahreswechsel 2016/2017 hat die Klinik Vorschriften missachtet, als eine Psychologin den Behandlungsplan eines Patienten aufsetzte und nicht der zuständige Arzt. Unterschrieben wurde der Plan nicht von der Psychologin, sondern «unleserlich i. V. von jemand anderem», wie das Gericht festhält. Und die Anordnung zur Zwangsmedikation unterzeichnete statt des Chefs- ein Assistenzarzt. (F 2017 3).
–  Ein Jahr später verabreichte die Klinik einem Patienten unter Zwang Haldol und Valium, ohne zuvor einen Behandlungsplan aufgestellt zu haben. Für eine Zwangsmedikation vier Tage danach existierte zwar ein Behandlungsplan, darin hielt die Klinik aber nicht fest, welches Medikament in welcher Dosierung sie abgeben wird. «Zudem – und das erscheint weitaus gravierender – wurde die Zwangsmassnahme nicht vom Chefarzt oder einem leitenden Arzt (…) angeordnet», so das Gericht. (F 2018 1).
–  Ende 2019 verpackte die Klinik den Behandlungsplan und die Anordnung zur Zwangsmedikation in ein einziges Dokument, was nicht zulässig ist. Allerdings behandelte das Gericht die Beschwerde nicht; die Patientin hatte sie per Fax eingereicht und so die Formvorschriften verletzt: «Auf diesen Umstand hat das Verwaltungsgericht die behandelnde Ärztin ausdrücklich hingewiesen, worauf die sofortige Nachreichung der Originalbeschwerde per Post in Aussicht gestellt wurde. Diese ist indessen bis heute nicht eingetroffen.» (F 2019 41).
–  Und im vergangenen Herbst hat die Klinik einen Patienten gar über Wochen hinweg ohne Behandlungsplan zwangsmediziert. Das Gericht ging nur nicht auf die Beschwerde ein, weil der Mann entlassen worden war, ehe die Richter einen Entscheid fällten: «Im Urteilsfall hätte jedenfalls festgestellt werden müssen, dass die Zwangsmedikation (…) zu Unrecht vorgenommen wurde.» (F 2021 43).

Experte spricht von schweren Fehlern

Eine psychiatrische Klinik hält die gesetzlichen Formvorschriften nicht ein, wenn sie Patientinnen und Patienten behandelt, die der Staat einliefern lässt. Was hat das zu bedeuten? Für Bernhard Rütsche, Professor für öffentliches Gesundheitsrecht an der Universität Luzern, steht fest:  «Wenn kein Behandlungsplan für eine Zwangsmedikation vorliegt, ist das ein schwerer Fehler.»

Statistisch könne er keine Angaben machen, da ihm der Vergleich mit anderen Kliniken fehle. Trotzdem sagt der Gesundheitsrechtler: «Hier liegt sicher eine bemerkenswerte Häufung vor. Vor allem, weil es eine Dunkelziffer geben dürfte, da nicht gegen jeden Entscheid Beschwerde erhoben wird.»

Wieso diese Versäumnisse? Zwar habe er keinen Einblick in die Institution, eine Erklärung könnte aber Ressourcenmangel sein:  «Behandlungspläne bringen eine gewisse Bürokratie mit sich. Wenn alle Mitarbeitenden eingespannt sind, könnte die Zeit fehlen, einen adäquaten Behandlungsplan aufzusetzen und von den zuständigen Personen unterschreiben zu lassen.»

Betriebsbesichtigung: Klinik zeigt sich von ihrer besten Seite

Verantwortlich für die Klinik ist seit 2018 Triaplus; eine Aktiengesellschaft der Kantone Zug, Schwyz und Uri, die für die psychiatrische Grundversorgung im Konkordatsgebiet zuständig ist.

Als unsere Zeitung das Unternehmen mit den Erkenntnissen konfrontieren will, bietet Triaplus einen Blick hinter die Kulissen an. Deshalb führen Chefarzt Michael Rufer und Pflegedienstleiter Daniel Mohr an einem Dienstagmorgen im Mai durch das 1907 erbaute ehemalige Franziskusheim Oberwil – zusammen mit einer Mediensprecherin und der Verantwortlichen für Spezialtherapien, die zuvor erklärt hatte, dass sich Patienten bei der Arbeit mit Keramik konzentrieren müssten und kreativ sein könnten.

Dass es in der Musiktherapie wichtiger sei, loszulassen, statt eine fehlerfreie Melodie zu spielen. Und dass in der Werkstatt, wo mit scharfen Werkzeugen gearbeitet wird, noch nie ein Patient oder eine Patientin die Kontrolle verloren habe. Wobei im Notfall «innerhalb von Sekunden 20 Leute aus den anderen Stationen hier wären.»

Derweil erklärt Mohr, dass ein kleiner Teil der Patienten die Station zustandsbedingt nicht verlassen kann. Die Klinik versuche jedoch, auch diesen Patienten das Malen und Spazieren an der frischen Luft zu bieten, wenn möglich mit einer Pflegeperson, in einer 1:1-Betreuung, was ihm fragende Blicke der anderen Klinikvertreter einbringt.

Und spätestens als die Zimmer mit Seesicht gepriesen werden und die Besichtigung an der öffentlichen Cafeteria vorbeiführt, drängt sich der Eindruck auf: Die Klinik will sich gerade von ihrer besten Seite zeigen.

Patientin isoliert, Lebenspartner wusste von nichts

Von einer Seite, wie sie Werner Steinauer** immer weniger gesehen hat, je länger seine Lebensgefährtin in Oberwil war. Im Frühling 2020 wird Ursula Schwarz** 18-mal gegen ihren Willen in ein Einzelzimmer gesperrt, ohne dass die Klinik Steinauer als Vertreter und Vertrauensperson in der fürsorgerischen Unterbringung informierte. Das aber hätte sie tun müssen.

Als die Besichtigung in Oberwil endet, empfängt Triaplus-CEO Erich Baumann zum Gespräch. Das freundliche Lächeln schwindet, als der Fall von Ursula Schwarz zur Sprache kommt.

Trotz Einverständniserklärung der Betroffenen beantwortet die Klinik an diesem Tag keine Fragen zu ihrem Dossier. In einem nachgereichten Statement heisst es lediglich, dass aus Gründen des Personenschutzes weder auf Details der persönlichen Situation und des Behandlungsverlaufs der Patientin noch auf die Situation ihres Lebenspartners und dessen Rolle in der Behandlung eingegangen werden kann.

Der Fall Ursula Schwarz

Allgemein wird formuliert, dass es sich um eine sehr komplexe Behandlung mit vielen Rückschlägen handelte und daher die üblichen Vorgehensweisen nicht immer umsetzbar waren. Die einzelnen Schritte und Massnahmen in der Behandlung seien jeweils gut begründet gewesen.

Die häufig äusserst schwierigen Behandlungssituationen mit der Patientin und auch ihrem Lebenspartner seien vielfach in interprofessionellen Teams und selbstverständlich auch mit der Patientin und ihrem Lebenspartner besprochen und reflektiert worden.

«Das war ein bedauerlicher formaler Fehler»

Zu den Rügen des Verwaltungsgerichts nehmen die Verantwortlichen nur zu dem Fall vom vergangenen Februar Stellung. Laut dem Entscheid, über den das Onlinemagazin «Zentralplus»berichtete, hat der gleiche Oberarzt sowohl den Behandlungsplan als auch die Anordnung zur Zwangsmedikation unterschrieben, was rechtswidrig ist. Rufer, seit August 2021 Chefarzt in Oberwil, dazu:  «Das war ein bedauerlicher formaler Fehler, der Massnahmen nach sich gezogen hat. Aber es war keine gravierende Fehlleistung, bei der etwa das Wohl des Patienten gefährdet war.»

Auf die Frage, ob Zeit- und Personalknappheit die mangelhaften Behandlungspläne erklären, sagt Rufer, er glaube nicht, dass deswegen mangelhafte Behandlungspläne erstellt wurden: «Man muss bedenken, dass wir pro Jahr etwa 500 fürsorgerische Unterbringungen haben. Das relativiert die Zahl der sehr seltenen Beanstandungen, auch wenn wir das Ziel haben, diese auf Null zu reduzieren.»

Zumal diese nicht direkt mit dem Pflegealltag zusammenhingen, ergänzt Pflegedienstleiter Daniel Mohr und sagt, seine Abteilung sei um einiges besser aufgestellt als vor wenigen Monaten. Die Klinik habe 26 Arbeitsverträge abgeschlossen und die Löhne erhöht, die Pflegenden auf den Akutstationen erhielten 200 Franken mehr im Monat und seit Oktober bekomme 150 Franken, wer kurzfristig einen Dienst übernimmt.

Damit will Triaplus dem Pflegenotstand beikommen, doch der sei ohnehin ein schweizweites Problem. Deshalb sieht CEO Erich Baumann den Staat in der Pflicht; erst recht nach dem Ja zur Pflege-Initiative:  «Das Volk hat gesagt, es will diese Veränderungen. Jetzt liegt es an der Politik, die Forderung möglichst schnell umzusetzen und in die Aus- und Weiterbildung von Pflegekräften zu investieren.»

Die Politik kann nichts tun – tatsächlich?

Zumindest im Kanton Zug verfolgt diese die Lage aufmerksam. Wer sich in der bürgerlich geprägten Gesundheitskommission des Kantonsrats umhört, erfährt im Kern: Fachkräftemangel und hohe Belastung bei den Pflegenden in der Klinik Zugersee geben zu denken, doch der Rat könne nichts tun, weil der Kanton die Psychiatrie ausgelagert hat; die Politik mische sich nicht ins operative Geschäft ein.

Das stimmt nur bedingt, sagt Gesundheitsrechtler Bernhard Rütsche. Mit dem Leistungsauftrag an Triaplus könnten die Konkordatskantone Einfluss nehmen, vor allem im Hinblick auf die Formverstösse bei den Zwangsmedikationen: «In einem Leistungsauftrag können die Vereinbarungspartner Kontroll- sowie Sanktionsinstrumente definieren.» Beispiele seien etwa Subventionskürzungen bei Qualitätsmängeln oder die Pflicht, bei Rügen Zwischenberichte vorlegen zu müssen.

Unsere Zeitung hat den Leistungsauftrag an die Triaplus AG unter Berufung auf das Öffentlichkeitsgesetz über die Verwaltung zur Einsicht verlangt. Im neunseitigen Dokument heisst es zwar, Triaplus sorge für ein umfassendes Qualitätsmanagement und erstelle jährlich einen Bericht nach Vorlage des Spitalverbands H+. Konkrete Massnahmen, wie mit Qualitätsmängeln umzugehen ist, enthält der Leistungsauftrag nicht.

Griffiger ist laut Rütsche das kantonale Gesundheitsgesetz. Demnach wacht die Gesundheitsdirektion darüber, ob Ärztinnen und Ärzte ihre Pflichten einhalten, und trifft Massnahmen bei Verstössen. Dazu Rütsche: «Die gerichtlich festgestellten wiederholten Verstösse gegen gesetzliche Vorgaben im Zusammenhang mit fürsorgerischen Unterbringungen sollten aus meiner Sicht eine aufsichtsrechtliche Sanktion auslösen.»

Zuger Gesundheitsdirektor sieht keine Systemfehler

Wann, wie oft und weshalb hat der Kanton Zug seit 2016 in der Klinik Zugersee interveniert? Statt diese Frage zu beantworten, schickt Martin Pfister, Zuger Gesundheitsdirektor und Präsident des Konkordatsrats über die Triaplus AG, eine allgemeine Stellungnahme.

Darin heisst es, bewegungseinschränkende Massnahmen müssten immer dem Kantonsarzt gemeldet werden; jede Meldung werde überprüft; auch Suizide oder Suizidversuche würden dem Kantonsarzt gemeldet, um die Umstände abzuklären. Ziel dieser gesundheitspolizeilichen Interventionen sei «das Beheben von allenfalls systematischen Fehlern, damit die Versorgungsqualität garantiert werden kann».

Und solche habe der Kantonsarzt in der Klinik Zugersee keine ausgemacht, sagt Pfister, der erst durch unsere Zeitung von den Rügen des Zuger Verwaltungsgerichts erfährt. Er gehe davon aus, dass die Formfehler zu keiner Gefährdung von Patientinnen und Patienten geführt hätten:  «Entscheidend für die Sicherheit der Patientinnen und Patienten sowie die Behandlungsqualität ist in erster Linie, dass die angeordneten Massnahmen medizinisch sinnvoll und angebracht sind»,

so der Zuger Gesundheitsdirektor, der sagt, was auch die regelmässig positiven Patientenbefragungen zeigen würden:  «Wer sich bei Triaplus und in der Klinik Zugersee behandeln lässt, ist in guten Händen.»

Ob das alle so sehen? Februar 2022, an einem langen Tisch sitzen mehrere Personen, die gekommen sind, um ihre Geschichte zu erzählen. Etwas mehr als eine Stunde dauert das Gespräch, in dem auch diese Aussage fällt: «Es haben einfach Zeit und Leute gefehlt, um auf die Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten einzugehen. Ich hatte zwischendurch das Gefühl, ihnen nicht helfen zu können.»


* Seit 2016 rügte das Zuger Verwaltungsgericht in folgenden Entscheiden Formfehler: F 2016 19 (Urteil vom 2. Mai 2016); F 2017 3 (Urteil vom 20. Januar 2017); F 2017 15 (Urteil vom 30. März 2017); F 2018 1 (Urteil vom 25. Januar 2018); F 2018 34 (Urteil vom 27. Juli 2018); F 2019 41 (Urteil vom 19. Dezember 2019); F 2021 43 (Urteil vom 9. November 2021); F 2022 09 (Urteil vom 25. Februar 2022). Daneben deutete das Gericht in weiteren Entscheiden an, die Klinik habe Formvorschriften zumindest nicht vollumfänglich eingehalten: F 2020 16 (Urteil vom 3. Juni 2020), F 2020 44 (Urteil vom 20. November 2020) und F 2022 11 (Urteil vom 18. März 2022).

** Name geändert.


Das braucht es für eine Zwangsmedikation

Wird eine Person gegen ihren Willen in eine psychiatrische Klinik eingewiesen, passiert das mit einer fürsorgerischen Unterbringung (FU). Das Instrument stammt aus dem 2013 in Kraft gesetzten Kindes- und Erwachsenenschutzrecht und hat den fürsorgerischen Freiheitsentzug abgelöst. Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden können eine FU anordnen, wenn eine Person unter einem Schwächezustand leidet, der eine Behandlung und Betreuung notwendig macht, und wenn keine mildere Massnahme ergriffen werden kann. Bei einer FU müssen behandelnder Arzt oder Ärztin einen schriftlichen Behandlungsplan erstellen, in dem sie die Patienten und eine Vertrauensperson unter anderem über Grund, Art und Risiken der Massnahmen informieren, die sie einleiten werden. Eine Klinik darf Patientinnen und Patienten in einer FU gegen deren Willen behandeln, wenn diese bezüglich ihrer Behandlungsbedürftigkeit urteilsunfähig sind, es kein weniger einschneidendes Mittel gibt, wenn ein ernsthafter Schaden droht und wenn der Chefarzt oder die Chefärztin der Abteilung die Behandlung schriftlich anordnet. Dabei darf es sich nicht um dieselben Ärzte handeln, die schon den Behandlungsplan erstellt haben. Mit diesem Vier-Augen-Prinzip will der Staat sicherstellen, dass immer mindestens zwei Ärzte über eine Zwangsmedikation entscheiden.
(https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/zug/zuger-psychiatrie-neue-vorwuerfe-an-klinik-zugersee-ich-konnte-nicht-mehr-hinter-dem-stehen-was-dort-ablaeuft-ld.2298882)