Medienspiegel 29. April 2022

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+++BERN
bernerzeitung.ch 29.04.2022

Flüchtlingshilfe in Steffisburg: Was der Krieg in der Ukraine an der Zulg auslöst

Die Flüchtenden des Kriegs in der Ukraine erreichten Steffisburg früh. Gemeinde, Schulen, Kirchen und Privatleute helfen mit, die für alle besondere Situation zu meistern.

Godi Huber

Reto Jakob (SVP) war noch keine zwei Monate als Gemeindepräsident von Steffisburg im Amt, und die Pandemie war endlich am Abklingen. Da überfiel Russland die Ukraine, und bereits in der gleichen Woche trafen die ersten Flüchtenden im Dorf an der Zulg ein. «Am Anfang mussten über Nacht Lösungen gefunden werden», blickt Jakob zurück, «entsprechend gross war die Hektik.» Diese habe sich inzwischen gelegt. «Wir sind in der Konsolidierungsphase angekommen.» Wie hat die Gemeinde, die aktuell rund 60 Flüchtende beherbergt, das in so kurzer Zeit geschafft?

«Wir wollten von Anfang an unbürokratisch dort helfen, wo wir Unterstützung bieten können», so Jakob. Die Gemeinde hat sich intern organisiert und mit Vertretungen aller betroffenen Abteilungen eine Taskforce gebildet, welche die Lage laufend prüft und daraus Massnahmen ableitet. Chef der Taskforce ist Marc Hüppi, der die Abteilung Soziales der Gemeinde leitet. Das Team hat rasch erkannt, dass es nicht alles selbst machen kann.

Mit der Sprache und dem Dorf in Kontakt kommen

«Wir haben die Zusammenarbeit gesucht und Partner ins Boot geholt», sagt Hüppi. Asyl Berner Oberland, Hilfswerke und die Kirchen vor Ort gehören dazu. Neben der Evangelisch-Reformierten Kirche engagieren sich auch die Freikirchen in ihrem Verbund «Fürenand Mitenand» mit konfessionell neutralen Angeboten. Wichtige und hilfreiche Partner sind auch die Ukrainerinnen und Ukrainer, welche bereits in Steffisburg wohnten und mit denen ein Übersetzernetzwerk aufgebaut werden konnte.

Ein Angebot, das die Kirchen ab dieser Woche gemeinsam betreiben, ist der Deutschtreff. Dort können sich die im Dorf wohnenden Ukrainerinnen und Ukrainer treffen und mit der deutschen Sprache und dem Dorf in Kontakt kommen. Das Angebot sei niederschwellig und trotzdem von hoher Qualität, da ausgebildete Lehrpersonen die Deutschlektionen durchführten, so Hüppi.

Dies entspreche einem Bedürfnis und konkurrenziere die Sprachkurse des Kantons nicht. Denn man wolle keine Parallelstrukturen aufbauen. Wo immer möglich, wolle man die Angebote auch für Flüchtende anderer Nationen öffnen, beim Deutschtreff sei dies möglich.

Kinder werden in die Klassen integriert

Auch für die Kinder und Jugendlichen hat Steffisburg praktikable Lösungen gefunden. Diese nehmen einerseits in regulären Schulklassen am Unterricht teil und absolvieren in separaten Klassen den Sprachunterricht. Ältere Jugendliche können sich zusätzlich am Fernunterricht in der Ukraine beteiligen, wo dieser noch funktioniert.

Für die Unterbringung der Flüchtenden steht in Steffisburg zurzeit genügend Wohnraum zur Verfügung, einquartiert sind auch mehrere Grossfamilien. «Wir haben zum Glück bisher ausreichend geeignete Wohnungen gefunden», erklärt Hüppi. Dazu beigetragen hätten Private, Institutionen und die Gemeinde. Die Möbel wurden gespendet, in mehreren Fällen haben die Flüchtenden selbst aktiv bei Räumungs- und Umbauarbeiten mitgeholfen.

Berührende Bilder

Marc Hüppi bezeichnet die Stimmung im Dorf als «interessiert und engagiert». Es gebe immer wieder Anfragen, wie man helfen könne. Ein Steffisburger habe einen runden Geburtstag gefeiert. Anstelle von Geschenken sammelte er Geld für die Flüchtenden, auf diese Weise seien 1200 Franken zusammengekommen.

Auch vonseiten der Flüchtenden gebe es berührende Zeichen. Eine Ukrainerin sei bei der Wohnungsbesichtigung in Tränen ausgebrochen und habe die Gastgeberin gefragt, ob sie sie umarmen dürfe. Aber auch das Bild der Grossfamilie, die sich zwei Wochen im Kriegsgebiet verstecken musste, nach einer Odyssee erschöpft in Steffisburg ankam, sofort in den Sesseln einschlief und danach heftige körperliche Reaktionen zeigte, ist bei Hüppi präsent.

Das grosse Engagement der Bevölkerung bei der Unterbringung und in der ehrenamtlichen Mitarbeit will die Gemeinde im Juni mit einem Wertschätzungsanlass würdigen.

«Planen bis in den Sommer»

Die Gegenwart kann in Steffisburg bewältigt werden. Doch wie sieht die Zukunft aus? Der Gemeindepräsident weiss es nicht und bleibt trotzdem ruhig: «Wir denken und planen vorerst bis in den Sommer.» Darüber hinaus gebe es noch viel Unbekanntes, man könne sich nicht auf alles vorbereiten. Doch eines ist für Reto Jakob und sein Team klar: «Wir wollen uns auch in Zukunft so gut wie möglich für diese Menschen einsetzen.»
(https://www.bernerzeitung.ch/was-der-krieg-in-der-ukraine-an-der-zulg-ausloest-144888666520)



Ukrainische Flüchtlinge in Pflegeheim untergebracht
Seit Anfang April steht das Chalet Stampach leer, denn alle acht bisherigen Bewohnerinnen und Bewohner sind bereits im März in ihre neue Unterkunft umgezogen. Bis ein Käufer oder eine Käuferin für das Gebäude gefunden wird, wird es als Unterkunft für Ukraine-Flüchtlinge genutzt. Das haben die Spitäler fmi AG, die Gemeinde Aeschi und Asyl Berner Oberland gemeinsam vereinbart.
https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/199257/


+++AARGAU
Fachhochschule Brugg-Windisch: Eine Spendenaktion hat viel Geld erbracht, um Flüchtlinge, speziell aus der Ukraine, auf ein Studium vorzubereiten. (ab 08:14)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/globale-mindeststeuer-aargauer-regierung-will-profitieren?id=12184242


Unterbringung von ukrainischen Flüchtlingen: Stadt bildet Taskforce und sucht leerstehende Wohnungen
Statt 28 muss die Stadt Bremgarten bald 90 Flüchtlinge aufnehmen. Damit sie ihrer Aufnahmepflicht von Asylsuchenden und Geflüchteten aus der Ukraine nachkommen kann, hat der Stadtrat eine Taskforce gegründet, die sämtliche Unterbringungsmöglichkeiten im Stadtgebiet auslotet.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/freiamt/bremgarten-unterbringung-von-ukrainischen-fluechtlingen-stadt-bildet-taskforce-und-sucht-leerstehende-wohnungen-ld.2281869


+++GLARUS
Flüchtlinge in Glarner Schulhäusern (ab 02:59)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/kontroverse-auseinandersetzung-zu-rassismus-im-museum?id=12184266


+++LUZERN
«Ich hasse diese Situation, aber ich bin der Schweiz dankbar»
Im Luzerner Maihofquartier leben rund 170 Geflüchtete aus der Ukraine. Die Ehepaare und Familien sind seit einem Monat in acht Genossenschaftshäusern untergebracht. Sie hätten ein gutes Leben, ein Haus, Arbeit und Familie zurückgelassen, erzählt etwa die 39-jährige Personalmanagerin Liya. (ab 09:35)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/ich-hasse-diese-situation-aber-ich-bin-der-schweiz-dankbar?id=12184245


+++SOLOTHURN
Initiative gegen “Scheinflüchtlinge”
Die Solothurner Bevölkerung stimmt am 15. Mai über eine SVP-Initiative ab, welche die Gelder für gewisse Flüchtlinge reduzieren möchte. (ab 03:57)
https://web.telebielingue.ch/de/sendungen/info/2022-04-29


+++ZÜRICH
tagesanzeiger.ch 29.04.2022

Abstimmung zur City-Card: Wieso die Zürcher Linken Genf um Pierre Maudet beneiden

Genf hat Tausenden Sans-Papiers zu einer B-Bewilligung verholfen. In Zürich sind solche Versuche gescheitert. Aber die Linke drängt weiter. Und die FDP bewegt sich.

Beat Metzler

So eifrig die Befürworterinnen und Befürworter für die Züri-City-Card werben – eigentlich wollen sie etwas anderes.

Aus ihrer Sicht ist der Ausweis vor allem eine Krücke, nötig, weil eine bessere Lösung fehlt: dass Sans-Papiers Papiere bekommen.

Als oft erwähntes Vorbild dient dabei der Genfer Pierre Maudet (FDP). Wegen einer Korruptionsaffäre gilt er mittlerweile als politisch Aussätziger. Doch vor seinem Niedergang startete er als Genfer Regierungsrat die «Operation Papyrus». 2017 und 2018 verhalf diese 2390 Menschen (darunter 727 Kinder), die sich illegal in Genf aufhielten, zu einer B-Aufenthaltsbewilligung.

Von einer solchen Operation träumt die Zürcher Linke. Im Kantonsrat hat sie mehrere Vorstösse eingereicht. Auch der (links-grün dominierte) Zürcher Stadtrat gelangte 2017 mit der Forderung an den (bürgerlich dominierten) Regierungsrat und wiederholt sie seitdem regelmässig. Dem Finanzvorstand Daniel Leupi (Grüne) ist das Anliegen so wichtig, dass er viele öffentliche Statements damit abschliesst.

Doch die Appelle des Stadtrats verhallen. Und der Kantonsrat hat alle Vorstösse abgelehnt, zuletzt im Januar 2021 ein Postulat zur «Regularisierung gut integrierter Sans-Papiers». SP, Grüne, GLP und AL unterlagen mit 78 zu 86 Stimmen.

Auch weil eine Regularisierung im Kanton keine Mehrheit findet, stimmt die Stadt Zürich am 15. Mai über die City-Card ab. «Nun muss die Stadt eine Vorbildfunktion übernehmen», sagt Kantonsrätin Silvia Rigoni (Grüne), von der unter anderem das Regularisierungs-Postulat stammt.

Warum aber ist in Genf gelungen, was in Zürich bisher gescheitert ist?

Genf sei eine internationale Stadt, sagt Mit-Postulantin Birgit Tognella-Geertsen (SP). «Auch die FDP tickt dort ein bisschen anders.» Ausserdem habe Pierre Maudet das Anliegen stark vorangetrieben.

Sans-Papiers lebten vor allem in Städten, sagt David Kaufmann, ETH-Assistenzprofessor für Raumentwicklung und Stadtpolitik, der zum Thema forscht. «Dort finden sie Netzwerke, Anonymität, Arbeit.» Daher sei das Bewusstsein für das Problem in einem urban geprägten Kanton wie Genf grösser. Genfer Gewerkschaften und NGOs hätten sich schon früh für Sans-Papiers eingesetzt. «Aber am Ende brauchte es einen Exekutivpolitiker, der sich des Themas annimmt», sagt Kaufmann.

Ein solcher fehlt in Zürich. Der zuständige Sicherheitsdirektor Mario Fehr (bis Mitte 2021 SP-Mitglied, seither parteilos) schätzt die «Operation Papyrus» als rechtsstaatlich problematisch ein. In der Kantonsratsdebatte vom Januar 2021 sagte Fehr, dass er beim Bund nachgefragt habe, ob sich die Situation des Kantons Genf auf Zürich übertragen lasse. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) habe dies verneint.

SVP, FDP, EVP und Mitte unterstützten Fehr. Sie kritisieren Regularisierungen als «eine kollektive Privilegierung». Die Aussicht auf einen B-Ausweis motiviere Sans-Papiers dazu, nach Zürich zu kommen.

Mario Fehr verwies in der Debatte darauf, dass illegale Migrantinnen, die schon lange in Zürich leben, ein Härtefallgesuch für eine Aufenthaltsbewilligung einreichen können. So sieht es das nationale Asylrecht vor. Der Kanton mache Betroffene darauf aufmerksam.

Das gewöhnliche Härtefallgesuch unterscheidet sich allerdings in zwei Punkten von der Genfer «Operation Papyrus». In Zürich müssen die Gesuchstellenden gemäss der kantonalen Weisung ihre Identität offenlegen. «Dadurch riskieren Sans-Papiers die Ausschaffung, wenn ihr Gesuch abgelehnt wird», sagt Silvia Rigoni. Genf hingegen habe eine anonyme Vorprüfung angeboten. «Die Sans-Papiers mussten sich erst zu erkennen geben, wenn sie wussten, dass sie sehr gute Chancen haben.»

Bei der «Operation Papyrus» verzichtete der Kanton Genf auch auf eine der Anforderungen, die es für ein Härtefallgesuch braucht: die «Unzumutbarkeit der Rückkehr ins Heimatland». Dieses Kriterium sei nicht klar definiert, sagt der ETH-Forscher David Kaufmann. Dadurch erhielten die Behörden viel Spielraum. «Mit der Streichung hat Genf das Verfahren viel berechenbarer gemacht.»

In Zürich hingegen fehle die Sicherheit, wie das Migrationsamt entscheide, sagt Silvia Rigoni. «Weil man zudem alles offenlegt, ist ein Gesuch eine riskante Sache.»

Mario Fehr will individuelle Lösungen

In der Kantonsrsatsdebatte vom Januar 2021 stellte Mario Fehr die Situation anders dar. Er empfahl langjährigen Sans-Papiers, sich beim Migrationsamt zu melden. «Wir haben dort geschulte Leute, die diese Gesuche gutheissen möchten.» Der Kanton Zürich nutze die vorhandenen Spielräume. Auf Anfrage sagt Mario Fehr, dass er sich aktiv um «gerechte Lösungen im Einzelfall» bemühe.

Bea Schwager von der Sans-Papier-Anlaufstelle bestätigt dies. «Wir haben einen Kontakt beim Migrationsamt, um Gesuche ohne Namensnennung vorzusondieren.» Das helfe aber nur teilweise. Am Ende würden oft persönliche Faktoren entscheiden.

Immerhin habe der Kanton die Deutschanforderungen kürzlich von B1 auf A2 abgestuft, sagt Bea Schwager. Dadurch erfüllten viele Sans-Papiers neu alle Härtefallansprüche. Das Verfahren bleibe aber wegen der grossen Spielräume der Behörden heikel. «Daher empfehlen wir es nach wie vor nur zurückhaltend.»

Entsprechend wenige solcher Gesuche von Sans-Papiers gehen beim Kanton ein. 2021 waren es zehn, 2020 acht und 2019 vier Gesuche. 2020 sowie 2019 lehnte das Migrationsamt je eines davon ab.

Zum Vergleich: Der Regierungsrat schätzt die Zahl der Sans-Papiers, welche die Voraussetzungen für eine Härtefallbewilligung erfüllten, im Kanton auf 2500 bis 3000. Und der Kanton Genf hat im letzten Jahr 508 nachträglich eingereichte Papyrus-Gesuche bewilligt.

In Genf ist man glücklich

Die Linke hat die Hoffnung auf eine Aktion à la Genf nicht aufgegeben. «In der kommenden Legislatur werden wir einen weiteren Versuch prüfen», sagt Birgit Tognella-Geertsen. «2021 haben wir nur knapp verloren.» Einige aus den Mitteparteien seien kurzfristig abgesprungen. Bis in die FDP hinein gebe es Vertreter, die Sympathien zeigten.

Dazu gehört etwa Përparim Avdili, Gemeinderat und angehender Präsident der Stadtzürcher FDP. Avdili sitzt auch im Vorstand des Vereins Secondas Zürich, der die City-Card befürwortet. Diese lehnt Avdili zwar ab. «Rechtsstaatlich geht das nicht.» Das Anliegen dahinter hält er aber für berechtigt. Nur brauche es eine kantonale Lösung. «Den Genfer Ansatz könnte sich die FDP verstärkter ansehen.»

In der Kantonsratsfraktion bleibe eine «Amnestie am Gesetz vorbei» chancenlos, sagt FDP-Kantonsrat Marc Bourgeois. «Das will auch der Bundesrat nicht mehr.» Bourgeois findet aber, dass das Instrument der Härtefallgesuche im Kanton Zürich zu schlecht genutzt werde. Er erwägt daher, eine Motion einzureichen, die eine anonyme Vorprüfung der Gesuche ermöglichen soll – ähnlich wie es Genf machte. «Das würde vielen Sans-Papiers, die Anrecht haben auf eine Bewilligung, die Angst nehmen.»

Auch die SVP lehnt Sonderaktionen ab. «Sans-Papiers wissen, dass sie das Gesetz brechen», sagt SVP-Gemeinderat Stefan Urech. Eine solche Haltung dürfe der Staat nicht belohnen.

Ähnlich urteilt der Bundesrat. In einem Bericht von Dezember 2020 schreibt er, dass «kollektive Regularisierungen» die Missachtung von Vorschriften belohnten und eine Erwartungshaltung erzeugten.

Die Genfer Regierung hingegen bereut nichts. Im Gegenteil. Die «Operation Papyrus» habe keine Sogwirkung gehabt, schreibt sie im Abschlussbericht. Gewonnen hätten nicht nur die Betroffenen, sondern die ganze Gesellschaft, auch dank höheren Steuereinnahmen.



Darum geht es bei der Vorlage

Mit der Züri-City-Card soll die Stadt Zürich einen offiziellen Ausweis für alle Städterinnen und Städter einführen – unabhängig ihres Aufenthaltsstatus. Gegenüber städtischen Behörden wie der Stadtpolizei wäre die Züri-City-Card als Ausweis gültig. Auf ihr sollen auch alle städtischen Karten wie Badi-Abos oder Bibliotheksausweise gebündelt werden. Möglichst viele Zürcherinnen sollen die City-Card benutzen. So würden Menschen, die sie vorzeigen, nicht als Sans-Papiers auffallen.

SP, Grüne und AL forderten die City-Card in einer gemeinsamen Motion: Der Ausweis sorge für einen besseren Schutz der Sans-Papiers, die mit ihrer Arbeit entscheidend zum Funktionieren der Stadt beitrügen. Der Stadtrat liess zwei Rechtsgutachten erstellen. Diese kamen zum Schluss, dass die Züri-City-Card weder gegen kantonales noch gegen Bundesrecht verstösst. Darauf stellte sich auch der Stadtrat hinter die Idee.

FDP, SVP, Mitte und EVP haben das Referendum ergriffen gegen den Kredit von 3,2 Millionen Franken. Sie finden, dass die City-Card eine Legalisierung vortäusche, und verweisen auf den Bundesrat, der sie als rechtswidrig bezeichnet. Das Projekt sei reine Geldverschwendung, sagen die Gegnerinnen. Die GLP hat sich enthalten.

Gemäss einer vom Kanton beauftragten Studie lebten im Kanton Zürich im Jahr 2020 rund 19’000 Sans-Papiers, die Mehrheit von ihnen in der Stadt Zürich. Geschätzte zwei Drittel von ihnen sind Frauen, viele stammen aus Lateinamerika. Fast alle haben einen Job. Eine Mehrheit der Frauen ist in Privathaushalten angestellt. Männer sind unter anderem auf dem Bau beschäftigt, als Küchenhilfen oder im Transport. (bat)



Städte testen ihre Grenzen aus

Die Züri-City-Card ist eine Kopie. Das Original kommt aus New Haven.

Die Stadt im US-amerikanischen Bundesstaat Connecticut führte 2007 die Elm City Resident’s Card ein, eine Identitätskarte für alle Menschen, die in New Haven wohnen, egal, welchen Aufenthaltsstatus sie haben. Weitere amerikanische Städte zogen nach, darunter San Francisco, Los Angeles und 2015 New York. Die Ausweise waren eine Gegenreaktion auf den nationalen Umgang mit illegalen Migrantinnen, den viele Städter als zu hart ansehen.

Auch europäische Städte wie Barcelona haben in den letzten Jahren den Nationalstaat in der Migrationspolitik herausgefordert. «Die Städte nutzen ihren Spielraum und testen die Grenzen», sagt David Kaufmann, ETH-Assistenzprofessor, der zum Thema forscht.

Das habe zuerst praktische Gründe. Menschen ohne Aufenthaltsstatus sammelten sich vor allem in den Städten. «Hier gehen sie zum Arzt, hier besuchen ihre Kinder die Schule», sagt Kaufmann. Gegen die konkreten Schwierigkeiten, die so entstehen, wollen die Städte etwas unternehmen. Die Nationalstaaten versuchten ihrerseits, das Leben für Illegale abschreckend zu gestalten. «Das passt nicht zusammen.»

Die kommunale Aneignung der Migrationspolitik habe zusätzlich einen ideologischen Hintergrund. Die Bewegung des «New Municipalism» versuche, Städte als progressive, politische Akteure zu stärken, sagt David Kaufmann. Schweizer Städte, auch Zürich, nähmen aber nicht aktiv Teil an dieser Bewegung. Im Vergleich zu spanischen, englischen oder italienischen Städten würden sie sich «eher zahm» verhalten.

Was Städte tun können, unterscheidet sich stark von Land zu Land. Schweizer Städte hätten im europäischen Vergleich den Vorteil, dass sie selber Einkommenssteuern erheben und unabhängig über ihr Geld bestimmen könnten, sagt Kaufmann. «Das erleichtert die Durchführung eines nicht ganz günstigen Versuchs wie der City-Card.»

In den USA wiederum könnten städtische Behörden die Zusammenarbeit mit der nationalen Migrationspolizei verweigern, sagt David Kaufmann. So hat New York Mitarbeitenden der nationalen Migrationspolizei verboten, Schulen oder Gerichte zu betreten. Solche Befugnisse fehlten in der Schweiz. (bat)
(https://www.tagesanzeiger.ch/wieso-die-zuercher-linken-genf-um-pierre-maudet-beneiden-764927117701)


+++SCHWEIZ
Migrant Solidarity Network: Referendumsführer der Frontex-Vorlage – Rendez-vous
Am 15. Mai 2022 stimmen die Schweizer Stimmberechtigten über die Beteiligung der Schweiz am Ausbau des europäischen Grenzschutzes «Frontex» ab. Die Berner Gruppierung «Migrant Solidarity Network» hat dazu, unter anderen, das Referendum ergriffen. Weil es an den EU-Aussengrenzen Menschenrechtsverletzungen gebe, zum Beispiel illegale Push-Backs, von denen die Frontex wisse.
https://www.srf.ch/audio/rendez-vous/migrant-solidarity-network-referendumsfuehrer-der-frontex-vorlage?partId=12184131


Was der Ukraine-Krieg mit Frontex zu tun hat
Wie schützen wir Menschen, die auf der Flucht sind? Oder: Wo die Arbeit der Grenzschutz-Agentur Frontex Menschen auf der Flucht hilft und wo nicht. Zwei auffallende Fakten: Das Budget von Frontex ist innerhalb von 20 Jahren um 9000 Prozent gewachsen. Und ohne Frontex wird das Leben von Flüchtenden nicht einfacher. Nun: Du findest in diesem Video alle Argumente für ein JA und für ein NEIN zur Frontex-Abstimmung vom 15. Mai. #frontex #schengendublin #abstimmung #ichstimme
https://www.youtube.com/watch?v=rwi7uMql9T4


Abstimmung am 15. Mai: Ein Nein zur Frontex-Vorlage gefährdet nicht die Personenfreizügigkeit.
Noch mehr Millionen für die EU-Grenzschutzagentur?
Diese Abstimmung ist die humanitär wichtigste in diesem Jahr: Die EU will ihre Grenzschutzagentur Frontex massiv aufrüsten. Auch die Schweiz müsste noch mehr bezahlen. «Nicht mit uns!», sagen die Gewerkschaften.
https://www.workzeitung.ch/2022/04/noch-mehr-millionen-fuer-die-umstrittene-eu-grenzschutzagentur/
-> https://www.aargauerzeitung.ch/meinung/abstimmung-das-komitee-gegen-frontex-hat-viel-erreicht-doch-jetzt-gilt-kein-poker-mit-so-hohem-risiko-ld.2281723


Gastfamilien gibts nicht gratis
Zehntausende bieten sich über Campax als Gastfamilien für ukrainische Geflüchtete an. Was kaum jemand weiss: Die Behörden müssen für den Zugriff auf diese Daten bezahlen.
https://www.woz.ch/blog/der-woz-blog-zum-ukrainekrieg/2022/04/29/gastfamilien-gibts-nicht-gratis


Ukraine-Krieg: Neuanfang in der Schweiz – Schweiz Aktuell
Zwei ukrainische Familien leben sich langsam in ihrem neuem Zuhause im Thurgau ein. Ein Alltag voller Sprachbarrieren, Heimweh und Zukunftsängste.
https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/ukraine-krieg-neuanfang-in-der-schweiz?urn=urn:srf:video:57f1bc22-6de8-44e1-abe0-bb35df027401


«Abstimmungs-Arena» zur Finanzierung Frontex
Für Bundesrat und Parlament ist die Europäische Grenz- und Küstenwache Frontex wichtig für die Sicherheit im Schengen-Raum. Für das Referendumskomitee ist Frontex mitverantwortlich für Gewalt an den Aussengrenzen der EU. Bundesrat Ueli Maurer ist zu Gast in der «Abstimmungs-Arena».
https://www.srf.ch/play/tv/arena/video/abstimmungs-arena-zur-finanzierung-frontex?urn=urn:srf:video:d97215e2-15ae-4c6b-8c84-224210ffb494


+++DEUTSCHLAND
Fortgesetzte Grenzkontrollen: rechtswidrige Zurückweisung von Geflüchteten
Die Verlängerung der Grenzkontrollen durch das Bundesinnenministerium ist ein Affront gegenüber dem Europäischen Gerichtshof und ein beunruhigendes Signal für die Rechtsstaatlichkeit in Europa. Von der Entscheidung dürften vor allem geflüchtete Menschen betroffen sein.
https://www.proasyl.de/pressemitteilung/fortgesetzte-grenzkontrollen-rechtswidrige-zurueckweisung-von-gefluechteten/


+++ITALIEN
Die afrikanischen Migranten, die Italien des Menschenschmuggels bezichtigt
In unserer Reihe Briefe von afrikanischen Journalist*innen trifft Ismail Einashe einen jungen Senegalesen, der, nachdem er selbst die Überfahrt über das Mittelmeer überlebt hatte, beschuldigt wurde, Menschen zu schmuggeln.
https://www.borderlinesicilia.it/de/news-de/die-afrikanischen-migranten-die-italien-des-menschenschmuggels-bezichtigt/


+++MITTELMEER
Europäische Mittelmeermission: In unruhigen Gewässern
Die Operation Irini hat nur symbolische Wirkung beim Kampf gegen Waffenschmuggel. Der Bundestag muss eine Neuausrichtung im Blick haben.
https://taz.de/Europaeische-Mittelmeermission/!5847425/


+++EUROPA
Nach SPIEGEL-Enthüllungen über illegale Pushbacks: Frontex-Chef Leggeri bietet Rücktritt an
Er vertuschte die illegalen Pushbacks der griechischen Küstenwache in der Ägäis, jetzt hat er den politischen Rückhalt verloren. Nach SPIEGEL-Informationen stellt der Chef der EU-Grenzschutzagentur Fabrice Leggeri sein Amt zur Verfügung.
https://www.spiegel.de/ausland/frontex-chef-fabrice-leggeri-bietet-ruecktritt-an-a-735aff41-6d49-4154-ada6-37957488a381
-> https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-04/frontex-eu-grenzschutzagentur-fabrice-leggeri-ruecktritt
-> https://www.srf.ch/news/international/eu-grenzschutzagentur-frontex-chef-leggeri-bietet-seinen-ruecktritt-an
-> Rendez-vous: https://www.srf.ch/audio/rendez-vous/frontex-direktor-fabrice-leggeri-tritt-zurueck?partId=12184128
-> https://www.derstandard.at/story/2000135306467/frontex-chef-leggeri-bietet-ruecktritt-an?ref=rss
-> https://www.tagesschau.de/ausland/europa/frontex-leggeri-ruecktritt-103.html
-> https://www.srf.ch/news/international/knall-bei-frontex-frontex-direktor-schmeisst-hin-das-steckt-dahinter
-> https://www.srf.ch/news/international/eu-agentur-frontex-frontex-der-chef-ist-weg-die-probleme-bleiben
-> https://taz.de/Frontex-Chef-tritt-ab/!5849366/
-> https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-04/frontex-eu-grenzschutzbehoerde-fabrice-leggeri
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/frontex-chef-leggeri-summe-der-verfehlungen-fuehrten-zu-ruecktritt?partId=12184272
-> Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/frontex-chef-fabrice-leggeri-tritt-zurueck?urn=urn:srf:video:e760e6fe-79a6-47be-962a-1520b338c634
-> https://www.watson.ch/schweiz/international/680062582-frontex-direktor-fabrice-leggeri-kurz-vor-ruecktritt
-> https://www.watson.ch/international/frontex-referendum/104263926-frontex-chef-fabrice-leggeri-gibt-ruecktritt-bekannt
-> 10vor10: https://www.srf.ch/play/tv/10-vor-10/video/frontex-chef-fabrice-leggeri-tritt-zurueck?urn=urn:srf:video:352e8c6a-0fe1-44b6-846a-10a29040d5b8


EU-Mission “Irini” Bundeswehreinsatz vor Libyen verlängert
Der Bundestag hat das Mandat zur Teilnahme deutscher Soldaten an der EU-Mission “Irini” vor der Küste Libyens um ein Jahr verlängert. Anders als bisher ist die Ausbildung der umstrittenen libyschen Küstenwache nicht mehr vorgesehen.
https://www.tagesschau.de/inland/bundeswehr-mandat-libyen-101.html


+++AUSLÄNDER*INNEN-RECHT
Ringen um Sozialhilfe für Ausländer: Wer arm ist, soll nicht mehr ausgeschafft werden
Seit 2019 droht Ausländern, die Sozialhilfe beziehen, die Ausschaffung. Das führt aber auch zu eigentlich ungewollten Härtefällen. Jetzt will das Parlament das ändern.
https://www.blick.ch/politik/ringen-um-sozialhilfe-fuer-auslaender-wer-arm-ist-soll-nicht-mehr-ausgeschafft-werden-id17447651.html


+++JUSTIZ
Bundesanwalt Blättler will Behörde nicht grundlegend reformieren – Rendez-vous
Nach knapp vier Monaten im Amt hat Bundesanwalt Stefan Blättler eine erste Bilanz gezogen. Er will seine Behörde nicht grundlegend reformieren – er setzt seinen Fokus auf die Bekämpfung von kriminellen Organisationen, Geldwäscherei, Terror und Kriegsverbrechen. Die Affäre um seinen Vorgänger, Michael Lauber, will er ruhen lassen.
https://www.srf.ch/audio/rendez-vous/bundesanwalt-blaettler-will-behoerde-nicht-grundlegend-reformieren?partId=12184110
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/nach-100-tagen-im-amt-wie-wollen-sie-die-mafia-bekaempfen-herr-blaettler
-> https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/bundesanwalt-stefan-blaettler-zieht-erste-bilanz?urn=urn:srf:video:b35af82d-0f2d-4154-a8ee-6ce6ca437877
-> https://www.derbund.ch/diese-vier-schwerpunkte-will-stefan-blaettler-setzen-329939970102
-> 10vor10: https://www.srf.ch/play/tv/10-vor-10/video/bundesanwalt-stefan-blaettler-zieht-zwischenbilanz?urn=urn:srf:video:d85f62bc-d216-4782-ae7b-059f78e4892d


+++FRAUEN/QUEER
derbund.ch 29.04.2022

Häusliche Gewalt: Doch kein Berner Mädchenhaus

Statt eines Schutzhauses für Mädchen will der Kanton Bern nur vier Plätze in bestehenden Frauenhäusern bereitstellen. Die Fachwelt und die Grünen sind empört.

Naomi Jones

Anstatt wie andere Mädchen in den Ausgang zu gehen, mit Jungen zu flirten oder einfach zusammen einen lustigen Nachmittag zu verbringen, müssen sie im Haushalt arbeiten. Sie werden geschlagen, wenn sie sich nicht konform verhalten. Manchmal werden sie sogar an Leib und Leben bedroht oder sollen gegen ihren Willen verheiratet werden.

Das alles erzählt Claire Magnin am Telefon über die Mädchen und jungen Frauen, für die sie sich engagiert. Magnin ist Co-Präsidentin eines Vereins, der analog zu den bestehenden Frauenhäusern in Biel ein Mädchenhaus aufbauen will. Ein solches gibt es nur in Zürich. Zwar seien mehrheitlich junge Frauen mit Migrationshintergrund von häuslicher Gewalt betroffen, doch längst nicht nur, sagt Magnin. Auch Schweizerinnen aus allen Schichten bräuchten Schutz, etwa wenn ein sehr patriarchales Weltbild im Spiel sei.

«Doppelspurigkeiten» vermeiden

Deshalb war der Kanton vor drei Jahren dafür offen, ein Mädchenhaus zu schaffen. Eine Analyse ergab laut Magnin einen Bedarf von sieben bis zehn Schutzplätzen. Im Frühling vor zwei Jahren beauftragte der Grosse Rat den Regierungsrat bis Ende 2021 ein Mädchenhaus zu schaffen. Doch nun hat die kantonale Gesundheits- und Sozialdirektion (GSI) eine Opferhilfestrategie publiziert, die gerade einmal vier Schutzplätze vorsieht. Und dafür will der Kanton nicht ein Mädchenhaus schaffen, sondern die bedrohten jungen Frauen entweder in Frauenhäusern oder in Institutionen für Kinder und Jugendliche unterbringen. Am Donnerstag endete das Konsultationsverfahren.

Die Grünen des Kantons Bern lehnen die vorgeschlagene Strategie ab. Es fehle darin ein «überzeugendes Konzept zum Schutz von Kindern und Mädchen», schreiben sie in einer Mitteilung und fordern eine «umgehende Korrektur der Opferhilfestrategie».

Der Kanton wolle «zunächst die Nutzbarkeit» verschiedener Institutionen überprüfen, um «Doppelspurigkeiten» zu vermeiden, schreibt der GSI-Sprecher Gundekar Giebel auf Anfrage. Deshalb habe er mit verschiedenen Institutionen als Übergangslösung Leistungsverträge abgeschlossen. Zudem wolle er wissen, wie viele Plätze tatsächlich nötig seien.

Spezifisches Fachwissen nötig

Das überzeugt die Grünen nicht. Die Betreuung von Kindern und Jugendlichen, die Schutz benötigten, erfordere spezifisches Fachwissen und entsprechendes Personal, schreiben sie in ihrer Stellungnahme.

Das bestätigt Marlies Haller von der Stiftung gegen Gewalt an Frauen und Kindern, die im Kanton zwei Frauenhäuser und zwei Fachstellen für Opferhilfe führt. «Jugendliche haben andere Bedürfnisse als die Mütter, die mit ihren Kindern im Frauenhaus sind», erklärt Haller. Die traumatisierten Jugendlichen brauchten eine andere Struktur, als sie im Frauenhaus vorhanden sei.

Im Zürcher Mädchenhaus werden die Jugendlichen von Sozialpädagoginnen betreut, wie eine Mitarbeiterin erklärt. Sozialarbeiterinnen kümmern sich um das Administrative, etwa den Kontakt zum Kindes- und Erwachsenenschutz. Eine Lehrerin hilft den Jugendlichen beim Lernen und allenfalls bei der Lehrstellensuche. «Für traumatisierte Jugendliche ist es wichtig, dass sie eine sichere Tagesstruktur haben und zur Ruhe kommen, ohne den Anschluss an die Schule zu verpassen», erklärt die Mitarbeiterin, die aus Sicherheitsgründen anonym bleibt. Je nach Situation sei es für die Mädchen in der angestammten Schule zu gefährlich, weil die Täter sie dort suchten. Die Mädchen müssten viel enger betreut werden als erwachsene Frauen.

Kinderheime stehen im Telefonbuch

Pädagogisch ausgebildetes Personal gibt es in den Institutionen für Kinder und Jugendliche, wo der Kanton ebenfalls schutzbedürftige Mädchen unterbringen möchte, etwa in der Notaufnahmegruppe für Jugendliche der Stadt Bern. Hier werden schon heute rund um die Uhr Kinder und Jugendliche in Notsituationen aufgenommen, wie der Leiter des städtischen Jugendamtes Alex Haller bestätigt. Allerdings sei die Situation von bedrohten Mädchen besonders herausfordernd, etwa wenn es um die Sicherheit der Mädchen gehe. Und das ist tatsächlich eines der zentralen Probleme bei häuslicher Gewalt. «Sie ist sehr gefährlich, man muss richtig reagieren können», sagt Marlies Haller von den Frauenhäusern. Es komme oft vor, dass Täter die Frauen suchten. Frauenhäuser seien deshalb anonym und hätten ein Schutzkonzept sowohl für die betroffenen Frauen als auch für die Mitarbeiterinnen. Die Adresse von Kinderheimen steht aber im Telefonbuch.

Für dieses Dilemma – gutes Schutzkonzept oder geeignete Betreuerinnen – hat der Kanton noch keine Lösung. «Diese Themen sind aktuell in Klärung», schreibt Giebel.
(https://www.derbund.ch/doch-kein-berner-maedchenhaus-166276241887)


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Der Fall Naidoo: wie man zum «Querdenker» wird – und wieder zur Vernunft kommt
Berühmt wurde der Pop-Sänger Xavier Naidoo dank seinem deutschsprachigen Soul. Berüchtigt war er lange für seinen Glauben an Verschwörungstheorien. Nun hat er diesem plötzlich abgeschworen.
https://www.nzz.ch/feuilleton/xavier-naidoo-zu-den-querdenkern-und-wieder-zur-vernunft-ld.1681491


Xavier Naidoo – Comeback eines Verschwörungs-Stars?
Mit seinem Distanzierungs-Video hat Xavier Naidoo Deutschland überrascht. „Die Spur“ zeigt, wie sich der Popstar radikalisiert hat – und wieso es mit einer Distanzierung nicht getan ist.
https://www.zdf.de/dokumentation/die-spur/xavier-naidoo-telegram-verschwoerung-video-konzert-comeback-102.html#xtor=CS5-4


Prominente wie Alice Schwarzer oder Dieter Nuhr warnen vor Drittem Weltkrieg – und ernten scharfe Kritik
Bundeskanzler Olaf Scholz solle keine schweren Waffen liefern, sondern an einem Kompromiss in der Ukraine arbeiten. Das fordern Schauspielerinnen und Schriftsteller in einem Appell. Die ukrainische Seite zeigt sich empört.
https://www.aargauerzeitung.ch/international/offener-brief-an-kanzler-scholz-warnung-vor-lieferung-schwerer-waffen-prominente-wie-alice-schwarzer-oder-dieter-nuhr-warnen-vor-drittem-weltkrieg-und-ernten-scharfe-kritik-ld.2282804


+++HISTORY
Daniel Hagmann hat ein Buch zum Archiv des Staatsschutzes veröffentlicht (ab 11:35)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/ministerpraesident-winfried-kretschmann-besucht-basel?id=12184260


Kontroverse Auseinandersetzung zu Rassismus im Museum
Das Historische Museum Thurgau in Frauenfeld hat sich, anhand eigener Ausstellungsstücke, mit dem Diskurs zu rassistischen Sujets auseinandergesetzt. Zum Beispiel wie man mit Malereien, die “Mohren” zeigen, umgehen soll.  (ab 05:49)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/kontroverse-auseinandersetzung-zu-rassismus-im-museum?id=12184266


+++RECHTSEXTREMISMUS
spiegel.de 29.04..2022

Ausgebremste Behörden: Warum Rechtsextremisten ungestört Geschäfte machen können

Konzerte, Onlineversandhandel, Kampfsportevents: Rechtsextreme erwirtschaften teils hohe Summen. Doch der Verfassungsschutz kann die Geldquellen der Szene bislang zu wenig ausleuchten. Das soll sich ändern.

Von Maik Baumgärtner, Ann-Katrin Müller, Sven Röbel, Ansgar Siemens und Wolf Wiedmann-Schmidt

Es war ein Zufallsfund. Bei den Ermittlungen gegen den Mörder des CDU-Politikers Walter Lübcke stießen Polizisten auf eine Autogrammkarte mit persönlicher Widmung. Der Attentäter Stephan Ernst hatte sie von »Komplott« bekommen, einem rechtsextremen Rapper, der in einem seiner Lieder zum »Heldenkampf« um die Heimat aufrief. Auch eine Überweisung an den Musiker in Höhe von 27,99 Euro entdeckten die Beamten.

Finanzermittler des baden-württembergischen Verfassungsschutzes durchleuchteten daraufhin 2020 die Konten von »Komplott«. Sie stellten fest, dass der Mann, der heute als Anwalt in einer Kanzlei der rechten Szene arbeitet, nicht nur Geld von Fans seiner CDs und T-Shirts bekam – sondern offenbar auch für die »Identitäre Bewegung« (IB) sammelte, was er wie alles andere bestreitet. »IB-Aktion«, »Heil Dir Kamerad« oder »Spende IB« lauteten Betreffzeilen von Überweisungen auf sein Konto.

Das Motto »Follow the Money« ist offenkundig nicht nur bei Mafia-Ermittlungen oder im politischen Kriminalfall Watergate hilfreich. »Folge dem Geld: Das muss besonders für rechtsextreme Gruppen und Szeneprojekte gelten, die überraschend große Summen einsetzen können«, sagt der Brandenburger Verfassungsschutzchef Jörg Müller. »An der Quelle der Finanzströme befinden sich die Akteure, die unsere Gesellschaft spalten wollen.«

Doch ein interner Bericht zu »Finanzströmen und Einnahmequellen im Rechtsextremismus« (Finrex) für die Innenministerkonferenz zeigt, wie selten die Verfassungsschutzbehörden das Instrument bisher nutzen. Neben dem Bundesamt hat nur eine Handvoll der Landesämter eigens geschulte Finanzermittler. Und die wenigen Experten, die sich um diesen komplexen Bereich kümmern, sind offenbar häufig überlastet.

Dazu kommen hohe rechtliche Hürden. Die Beamten können in vielen Fällen nur die Geldströme von Extremisten mit »Gewaltbezug« durchleuchten. Bei Verfassungsfeinden, die unterhalb dieser Schwelle »still und leise« ihren Geschäften nachgingen und so die Demokratie unterhöhlten, könnten »tiefergehende Finanzinformationen mit den derzeitigen Mitteln nur selten gewonnen werden«, beklagen die Verfasser des Papiers.

Hinweis auf schwarze Kasse

Immer wieder sind die Verfassungsschützer auf Tipps anderer Behörden angewiesen. So erhielt die Financial Intelligence Unit (FIU) beim Zoll in den vergangenen fünf Jahren aus dem Banken- und Finanzsektor 414 Geldwäscheverdachtsmeldungen, bei denen es um Rechtsextremisten ging, wie eine Anfrage der Linkenabgeordneten Martina Renner ergab.

Der FIU-Hinweis mit der Nummer SV6006 half dem Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln-Chorweiler, einen Blick in das Innenleben des inzwischen offiziell aufgelösten völkischen »Flügels« der AfD zu werfen – und eine mutmaßliche schwarze Kasse aufzudecken.

Auf einem Konto eines Bundestagsabgeordneten bei der Deutschen Kreditbank waren laut Verwendungszweck Dutzende Spenden an die Parteiströmung eingegangen. Sie stammten unter anderem von prominenten AfD-Rechtsaußen wie Björn Höcke. Bei einer Einzahlung in Höhe von 500 Euro handelte es sich laut Betreff offenbar um eine Spende von Götz Kubitschek, der von einem Rittergut in Sachsen-Anhalt aus die Strippen im Lager der Neuen Rechten zieht. Der Inhaber des Kontos bestritt, dass es sich um ein Spendensammelkonto für die AfD-Parteiströmung handelte. Warum aber wurde die Kontonummer dann monatelang auf der Website des »Flügels« genannt?

Ebenfalls durch eine Verdachtsmeldung der FIU stießen die Verfassungsschutzämter auf heimliche Finanziers des Wohnprojekts »Flamberg« der »Identitären Bewegung« in Halle an der Saale. Der Blick in die Kontobewegungen zeigte: Nicht nur Rechtsextremisten aus dem ganzen Bundesgebiet unterstützten die für die Szene einst symbolträchtige und inzwischen wieder aufgegebene Immobilie. Eine der größten Spenden stammte von einem in Brixen in Südtirol lebenden Altnazi. Im Betreff der Überweisung bezeichnete der Mann sich als »Heimatschützer«.

In den letzten Jahren bemerkten die Behörden, dass die rechtsextreme Szene zunehmend versucht, Grundstücke und Gebäude auf dem Land zu kaufen. Doch Immobilienmakler und Notare sind nicht verpflichtet, dem Bundesamt für Verfassungsschutz Auskünfte zu geben. Auch Geldwäscheverdachtsmeldungen an den Zoll kommen selten aus dieser Ecke, wie Kriminalisten beklagen.

350.000 Euro Einnahmen bei Neonazikonzert

Dass in der Szene mitunter hohe Summen bewegt werden, hat Thüringen in dem 144-seitigen Finrex-Bericht vorgerechnet. Demnach waren vor sechs Jahren Neonazis aus dem Freistaat an der Organisation des »Rocktoberfests« im Schweizer Kanton St. Gallen beteiligt, eines der größten rechtsextremen Konzerte in Europa. Nach Erkenntnissen des Thüringer Verfassungsschutzes spülte allein der Kartenverkauf rund 130.000 Euro in die Kassen der Neonazis. Samt Erlösen aus dem Verkauf von Getränken, CDs oder T-Shirts beliefen sich die Einnahmen auf geschätzt 350.000 Euro. Selbst nach Abzug aller Kosten sei wohl »ein hoher fünfstelliger Betrag« als Gewinn in den Taschen der Organisatoren gelandet, heißt es in dem Bericht.

Bei den »Tagen der nationalen Bewegung« 2019 im thüringischen Themar, bei denen rechtsextreme Szenebands auftraten, geht das Landesamt von Ticketeinnahmen in Höhe von rund 45.000 Euro aus. Weitere 10.800 Euro seien in der Spendenkasse der rechtsextremen Partei NPD gelandet. Wie hoch die Gagen für die Musiker waren, ließ sich nicht genau herausfinden. Der Kopf der Band Blutlinie soll jedoch in einem Briefumschlag 1500 Euro in bar bekommen haben, notierten die Verfassungsschützer. Immerhin eine wichtige Einnahmequelle konnten die Behörden damals schließen: Sie erließen ein Alkoholverbot für das Konzertwochenende, die Polizei beschlagnahmte mehrere Fässer Bier.

Ein weiteres traditionelles Geschäftsfeld für Rechtsextremisten ist der Musikversandhandel, deutschlandweit sind hier mehrere Dutzend Szeneunternehmen aktiv. In einem Fall, dem zwischenzeitlich in Santa Ponca auf Mallorca firmierenden »Zeughaus«, fielen dem bayerischen Verfassungsschutz Finanzdaten von 2013 bis 2018 in die Hände. Demnach generierte der Versand in diesen Jahren 366.580 Euro Umsatz. Einen nennenswerten Gewinn des Unternehmens konnten die Beamten jedoch nicht entdecken – vielleicht nur, weil die Ermittlungen nicht tief genug reichten, wie sie selbstkritisch vermerkten.

In einem anderen Fall vermuten die Behörden, dass ein Versandhandel von einem Strohmann betrieben wird. »Küsten Textil«, das unter anderem Kapuzenjacken mit der Szenechiffre »88« im Angebot hat, wird offiziell von einem Alleingesellschafter geführt. Vor einiger Zeit verlegte er den Sitz der Firma laut Website von Niedersachsen an eine Postfachadresse im thüringischen Artern. Ermittlungen legen nahe, dass in Wirklichkeit ein führender Kopf der rechtsextremen »Hammerskins« in dem Versandhandel das Sagen hat – und regelmäßig Geld vom Geschäftskonto an ihn fließt. Eine Anfrage ließ die Firma unbeantwortet.

Die Verfassungsschutzämter würden die Finanzströme der Szene gerne noch stärker durchleuchten. Doch der Verwaltungsaufwand, um solche Ermittlungen anzustoßen, sei zu hoch und nehme »unnötig Zeit in Anspruch«, heißt es in dem internen Finrex-Bericht. Zudem fehlt es vielerorts an Personal.

Das baden-württembergische Landesamt beklagte demnach, dass es mit nur einem Mitarbeiter für Finanzermittlungen unterbesetzt sei und es teils zu »enormen zeitlichen Verzögerungen« komme. Sachsen-Anhalts Verfassungsschutz hat laut dem Papier ebenfalls nur einen Spezialisten für den Bereich. In einem Fall hätten die Finanzermittlungen ganze 14 Monate gedauert: 70 Konten bei 23 Banken im gesamten Bundesgebiet mussten ausgewertet werden.

Ärger mit den Banken

Die Zusammenarbeit mit den Banken läuft für die Behörden nicht immer optimal. Kriminalbeamte berichten, dass Geldhäuser in Einzelfällen rechtsextremen Kunden mit einem expliziten Verweis auf ein Strafverfahren gekündigt haben – und sie so vor verdeckten Ermittlungen warnten.

Auch der Verfassungsschutz hat mitunter Ärger mit den Banken. So lehnte ein Finanzinstitut in Brandenburg eine Anfrage aus Sachsen-Anhalt zunächst ab, in der falschen Annahme, die Behörde aus dem Nachbarbundesland habe kein Recht, Daten ihrer Kunden abzufragen.

Die rund 20 Finanzermittler des Bundesamts haben außerdem ganz praktische Probleme: Sie bekommen viele Daten immer noch nicht digital übermittelt, sondern altmodisch per Fax oder Brief. Das Übertragen ist nicht nur anfällig für Fehler, sondern bedeutet auch viel Arbeit.

Schwierig gestaltet sich die Zusammenarbeit mit Internetbanken – hier verzweifeln Verfassungsschützer immer wieder daran, den richtigen Ansprechpartner zu finden. Sitzt die Bank im Ausland, wird der Erfolg der Ermittlungen vollends zum Glücksspiel. Dazu kommen Onlinebezahldienste wie Stripe oder Patreon sowie Zahlungen per Bitcoin und anderen Kryptowährungen, die für die Behörden schwer nachzuvollziehen sind.

Eine noch regelmäßigere Zusammenarbeit der Verfassungsschützer mit der Finanzbranche könnte Vertrauen schaffen, heißt es im Finrex-Bericht. Doch gleichzeitig brauche es für die »Verstetigung von Finanzermittlungen« im Rechtsextremismus eine »andere gesetzliche Grundlage«. Auch die Frage, ob die rechte Szene in Deutschland durch Geld etwa aus Russland unterstützt wird, haben die Dienste laut Kennern der Materie noch nicht systematisch ausgeleuchtet.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will sich der Probleme nun annehmen. Vor Kurzem hat sie einen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus vorgestellt. Dieser sehe auch vor, »dass das Bundesamt für Verfassungsschutz die Aufklärung und Analyse rechtsextremistischer Finanzaktivitäten deutlich ausweitet«, sagte die Innenministerin dem SPIEGEL.

Besonders wichtig sei dabei der Blick auf die rechtsextreme Kampfsportszene, auf Konzerte und Geschäfte mit Szeneprodukten. »Die Finanzquellen von Rechtsextremisten auszutrocknen«, so Faeser, »ist von großer Bedeutung, um Propaganda, Hetze und Radikalisierung zu stoppen und rechtsextremistische Gewalt zu verhindern.«
(https://www.spiegel.de/politik/deutschland/ausgebremste-behoerden-warum-rechtsextremisten-ungestoert-geschaefte-machen-koennen-a-f1754ff9-771e-475a-80ed-70816bca38af)