Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel
+++BERN
Femizid in der Asylunterkunft Büren BE – die Hintergründe einer schrecklichen Nacht // Getötet in der Asylunterkunft – Organisationen kritisieren fehlende Betreuung
In einer Asylunterkunft im Kanton Bern erstach ein Mann am Sonntag mutmasslich seine Ehefrau. Bewohner wurden Zeugen der Tat und retteten die anwesenden Kinder aus dem Zimmer.
https://www.watson.ch/!958841462
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(…) Liliane Zurflüh, Präsidentin der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Seeland sagt zum Verbleib der Kinder: «Die fünf Kinder sind zusammen an einem guten Ort, in fachkundigen Händen, in Sicherheit. Was die ausländerrechtlichen Fragen angeht, kann ich zur Zeit keine Auskunft geben. Es mussten zuerst dringendere Probleme gelöst werden.» Dass die fünf Kinder zusammen untergebracht wurden, lässt darauf schliessen, dass sie in einem Kinderheim oder in einer Pflegefamilie platziert wurden und nicht in einem Zentrum für unbegleitete minderjährige Asylsuchende.
(https://ajour.ch/story/femizid-in-der-asylunterkunft-b%25C3%25BCren-die-hintergr%25C3%25BCnde-einer-schrecklichen-nacht/8279)
Ukraine Krieg: Schwarzer Arzt klagt über Diskriminierung in Schweiz
Der Ukraine-Krieg vertrieb einen ukrainischen Arzt aus seiner Heimat. Angekommen in der Schweiz, fühlt er sich aufgrund seiner Hautfarbe benachteiligt.
https://www.nau.ch/news/schweiz/ukraine-krieg-schwarzer-arzt-klagt-uber-diskriminierung-in-schweiz-66165245
Ukraine-Flüchtlinge: Grosse Solidarität im Kanton Bern – Tagesschau
Verhältnismässig viele Geflüchtete bringt der Kanton Bern unter. Zum Beispiel im Berner Oberland, im Parkhotel in Oberhofen. Dort finden 117 Menschen aus der Ukraine Unterschlupf. Die Solidarität im Dorf ist gross.
https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/ukraine-fluechtlinge-grosse-solidaritaet-im-kanton-bern?urn=urn:srf:video:6b984674-d7e8-4f48-ae59-e31fc80e7aa7
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derbund.ch 28.04.2022
Kirchen und Politik: Frontex-Vorlage führt zur Spaltung unter Berner Kirchenleuten
Ein Kirchenkomitee stellt sich gegen den Ausbau der Grenzschutzorganisation der EU. Dafür erntet es Kritik aus der Wirtschaft – aber auch aus den eigenen Reihen.
Esther Diener-Morscher
«Wenn Menschenrechte auf dem Spiel stehen, dann dürfen Kirchen sich positionieren und sich politisch äussern»: Solch deutliche Worte braucht der reformierte Pfarrer Christian Walti zu einem derzeit heiklen Thema. Das katholische «Pfarrblatt» warf in einem Interview mit Walti die Frage auf: Warum engagieren sich Kirchen gegen den Ausbau der Grenzschutzorganisation Frontex?
Die Abstimmungsvorlage vom 15. Mai über den Beitrag der Schweiz an die EU-Grenzschutzorganisation Frontex wird von den verschiedenen Exponenten der Kirche ganz unterschiedlich beurteilt. Zum einen hat sich eine Gruppe von kirchlich engagierten Einzelpersonen zu einem ökumenischen Komitee «Kirchen gegen Frontex-Ausbau» zusammengeschlossen. Zum anderen ist es vielen Kirchenleuten nicht wohl dabei, wenn Exponenten der Kirche im Vorfeld einer Abstimmung so klar Position beziehen.
«Kirche muss sich einmischen»
Wie Christian Walti ist auch Andreas Nufer Mitglied der Vereinigung «Kirchen gegen Frontex-Ausbau». Für den Pfarrer an der Berner Heiliggeistkirche ist klar: «Die Kirche muss sich einmischen. Das ist ihr Auftrag.» Nufer ist sich sehr wohl bewusst, dass nicht alle Kirchenmitglieder dieser Meinung sind. Und er wurde auch schon zur Vorsicht gemahnt. «Aber es sind eindeutig mehr Stimmen, die möchten, dass wir unsere Haltung zeigen», sagt er.
Eine Predigt mit einer Abstimmungsempfehlung würde er aber trotzdem nicht halten. Auch Nufers Kirchgemeinde Heiliggeist verkündet keine Abstimmungsparole. Doch sie hat zusammen mit der «Offenen Kirche Bern», die in der Heiliggeistkirche zu Gast ist, vor drei Wochen ein Podiumsgespräch zur Abstimmung und vor zwei Wochen eine Menschenkette organisiert, die mit «No Frontex»-Tüchern für ein Nein warb. Die beiden Veranstaltungen sind Teil des Projekts «Beim Namen nennen – über 48’000 Opfer der Festung Europa».
Warnung aus der Wirtschaft
Es ist nicht das erste Mal, dass Kirchenkreise in einen nationalen Abstimmungskampf eingreifen. Vor anderthalb Jahren hängten etliche Berner Kirchgemeinden orange Banner an ihre Kirchen. Sie warben weitherum sichtbar für ein Ja zur Konzernverantwortungsinitiative und sorgten für heftige Diskussionen in der Bevölkerung.
Die Botschaft der Kirche kam in bürgerlich gesinnten ländlichen Teilen des Kantons nicht gut an. Dieses Mal ist es ähnlich: Der Unternehmer und FDP-Grossrat Daniel Arn hat wenig Verständnis dafür, wenn die Kirche politisch wird und Partei gegen die Schweizer Wirtschaft ergreift. «Wir werden nämlich unheimliche Schwierigkeiten bekommen, wenn wir beim Schengen-Abkommen nicht mehr dabei sind», begründet er seine Haltung. Folge das Schweizervolk der Nein-Parole der Kirche und stelle sich gegen den Ausbau der Grenzschutzorganisation Frontex, drohten der Schweiz Einschränkungen beim freien Personen- und Warenverkehr an den Grenzen, erklärt Daniel Arn. Sogleich präzisiert er: «Ich finde es sehr gut, wenn sich die Kirche für Flüchtlinge engagiert.» Aber in der Abstimmung gehe es eben nicht nur um Flüchtlinge, sondern auch um die Wirtschaft. «Und das ist nicht das Kerngeschäft der Kirche.»
Und wie schon letztes Mal bei der Konzernverantwortungsinitiative kommen diese Bedenken nicht nur aus Wirtschaftskreisen, sondern auch von Kirchenleuten. Etwa von Rudolf Beyeler, dem Präsidenten des Kleinen Kirchenrates der Evangelisch-reformierten Gesamtkirchgemeinde Bern: «Ich bin der Meinung, dass sich die Kirche bei nicht kirchlichen Abstimmungen nicht positionieren sollte», sagt er. Gleichzeitig betont er aber, dass die zwölf städtischen Kirchgemeinden selbstständig seien. Der Kleine Kirchenrat könne ihnen keine inhaltlichen Vorschriften machen.
Das hat vor anderthalb Jahren auch Beyelers Vorgänger bei der Diskussion um die orangen Banner an den Berner Kirchen erfahren müssen: Als damals die erste Ja-Flagge an der Nydeggkirche gehisst wurde, verfügte er deren Entfernung. Doch nur einen Tag später prangte die politische Botschaft wieder am alten Platz. Denn Hans von Rütte, der Präsident der Kirchgemeinde Nydegg, hatte dies befürwortet.
Keine Fahnen am Kirchturm
Damals war die Abstimmung ein Thema im Kleinen Kirchenrat. Dieses Mal nicht. Rudolf Beyeler sagt, dass der Kirchenrat offiziell weder über die Frontex-Vorlage selber noch über die Haltung der Kirche dazu diskutiert habe. Es gebe für ihn keinen Grund, dass sich die Kirche bei dieser Abstimmung engagieren müsse. Und er betont denn auch, dass die Personen, die im Komitee «Kirchen gegen Frontex-Ausbau» mitmachen, dies als Privatpersonen und nicht als Kirchenleute tun.
Beyeler findet aber auch, dass es durchaus sinnvolle Aktivitäten der Kirchen in Zusammenhang mit der Frontex-Abstimmung gebe: «Die Podiumsdiskussion in der Heiliggeistkirche fand ich gut. Sie dient der Meinungsbildung.»
Er wird sich dieses Mal kaum mehr mit Abstimmungsflaggen an Kirchen befassen müssen. Denn die Kirchgemeinden verhalten sich dieses Mal zurückhaltender. So will Christian Walti von der Kirchgemeinde Frieden im Berner Stadtteil Mattenhof-Weissenbühl keine Fahne an den Kirchturm hängen. «Ich finde das nicht den effektivsten Weg», sagte er im Interview mit dem katholischen «Pfarrblatt».
Die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn haben zur eidgenössischen Abstimmungsvorlage zu Frontex keine Stellungnahme abgegeben. Der Kirchenschreiber Christian Tappenbeck sagt, dass die Landeskirche den Kirchgemeinden keine Vorgaben oder Empfehlungen mache, ob und in welcher Form diese zu politischen Themen Stellung beziehen sollen. «Auch die Pfarrleute sind frei, sich für eine politische Vorlage einzusetzen, sofern dies wertschätzend sowie in Offenheit und mit Respekt gegenüber Andersdenkenden geschieht.»
Bundesgericht wartet ab
Damit vermeidet die Kirchgemeinde politisches Glatteis. Nach der Abstimmung über die Konzernverantwortungsinitiative musste das Bundesgericht fünf Abstimmungsbeschwerden beurteilen. Diese forderten, dass sich Landeskirchen und Kirchgemeinden als quasi öffentlich-rechtliche Institutionen aus politischen Debatten und Abstimmungen heraushalten müssten.
Das Bundesgericht entschied damals nichts, weil die Initiative gescheitert war. Zwar bestehe ein «gewisses Interesse» daran, inwiefern die Kirchen in politischen Debatten mitmischen dürften. Doch die Frage klären will das Bundesgericht erst dann, wenn sich zeigt, dass die Kirche Einfluss auf ein Abstimmungsergebnis gehabt hat.
(https://www.derbund.ch/frontex-vorlage-spaltet-die-berner-kirchgemeinden-789407632498)
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derbund.ch 28.04.2022
Harzige Jobsuche im Kanton Bern: Erst 23 ukrainische Flüchtlinge haben Arbeit gefunden
Knapp 6000 Menschen sind seit dem Ukraine-Krieg in den Kanton Bern geflüchtet. Nur ein Bruchteil von ihnen hat jedoch eine Arbeitsstelle. Woran liegt das?
Christoph Albrecht
Gerade in der Gastronomie waren die Hoffnungen gross. Der Branche fehlt es seit der Pandemie dringend an Personal. Ukrainische Flüchtlinge, so dachte man, könnten die Situation entschärfen – und hätten dadurch rasch eine Beschäftigung gefunden.
Noch arbeiten in den hiesigen Küchen, hinter den Bars oder im Service allerdings praktisch keine Geflüchteten aus der Ukraine. Ganz allgemein ist die Arbeitsintegration bis anhin kaum in die Gänge gekommen, wie Zahlen des Kantons Bern zeigen. «Wir haben bisher 23 Bewilligungen erteilt», schreibt das Amt für Wirtschaft auf Anfrage. Will heissen: Gerade einmal knapp zwei Dutzend ukrainische Flüchtlinge gehen im Kanton Bern bisher einer Arbeit nach.
Gastronomie bis Industrie
Damit eine geflüchtete Person überhaupt arbeiten kann, muss der Arbeitgeber ein entsprechendes Gesuch beim Amt für Wirtschaft einreichen. Erst nach dessen Bewilligung darf die Stelle angetreten werden. Bisher hat die Behörde nach eigenen Angaben noch keine Gesuche abgelehnt.
Doch wo auf dem Arbeitsmarkt landen die Geflüchteten? «Die Personen arbeiten in den unterschiedlichsten Branchen», so das Amt für Wirtschaft. Als Beispiele nennt es die Gastronomie, die Industrie und den Gewerbebereich. Eine Branche, die besonders heraussticht, sei nicht auszumachen.
Knapp 6000 Ukraine-Flüchtlinge im Kanton
Mit 23 arbeitstätigen Personen ist die Quote – gemessen an der Anzahl Geflüchteten – verschwindend klein. Total 5962 ukrainische Flüchtlinge waren Stand Mittwochmorgen mit einem Schutzgesuch im Kanton Bern registriert. Der Kanton schätzt, dass sich zudem rund 1000 Geflüchtete im Kantonsgebiet aufhalten, die jedoch noch nirgendwo erfasst sind.
Warum es mit der Arbeitsintegration derart schleppend vorangeht, hat vor allem einen Grund: «Die Sprachkompetenz ist die grösste Herausforderung», heisst es beim Amt für Arbeitslosenversicherung des Kantons Bern. Die Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) stünden zwar bereit, Ukrainerinnen und Ukrainer zu beraten und zu vermitteln. Dafür müsse aber die Arbeitsmarktfähigkeit gegeben sein. Und für diese sind Sprachkenntnisse entscheidend. Denn wer kein Deutsch spricht, gilt als nicht vermittlungsfähig. Entsprechend hätten sich im Kanton Bern bislang «erst sehr wenige Ukrainerinnen und Ukrainer» bei den RAV gemeldet.
Ein weiterer Grund für die tiefe Beschäftigungsquote: Rund drei Viertel und damit die Mehrheit der ukrainischen Flüchtlinge im Kanton Bern sind Frauen und ihre Kinder. «Viele haben im Moment noch gar keine Kapazität für die Jobsuche», vermutet Simone Gremminger. Sie ist Geschäftsleiterin der Berner Beratungsstelle Triio, die unter anderem Flüchtlinge beim Erstellen von Bewerbungsdossiers unterstützt.
Einschulung der Kinder hat Priorität
Gremminger glaubt, dass für die meisten geflüchteten Mütter bisher schlicht die Suche nach einer Unterkunft, die Einschulung ihrer Kinder sowie das Organisieren einer Betreuungsmöglichkeit im Vordergrund standen. Entsprechend wenige Anfragen von ukrainischen Flüchtlingen hat die Beratungsstelle bisher erhalten. «Wir rechnen aber damit, dass der Ansturm noch kommt.»
Auch Simone Gremminger nennt die vielfach fehlenden Deutschkenntnisse als grösste Hürde bei der Arbeitsintegration. Dazu kämen allfällige Diplome, die in der Schweiz womöglich nicht anerkannt würden. Generell scheinen die ukrainischen Flüchtlinge aber gut qualifiziert. Gemäss einer kürzlichen Erhebung des Personalvermittlers Jobcloub haben drei von vier der Jobsuchenden einen Hochschulabschluss.
Nimmt nun Schwarzarbeit zu?
Wie die Integration in den Arbeitsmarkt beschleunigt werden könnte und ob der Erwerb besserer Sprachkenntnisse früher oder später tatsächlich die nötige Abhilfe schaffen wird, bleibt abzuwarten. «Für eine solche Beurteilung ist es zu früh», schreibt das Amt für Arbeitslosenversicherung. Es empfiehlt derweil Arbeit suchenden ukrainischen Flüchtlingen, sich «proaktiv bei Betrieben zu melden und nach offenen Stellen nachzufragen».
Bleibt die Frage, ob die vielen Hürden bei der Arbeitsintegration die Leute nicht vermehrt in die Schwarzarbeit treiben könnten. Das Amt für Wirtschaft verneint. Zumindest bisher gebe es dazu keinerlei Anzeichen.
(https://www.derbund.ch/erst-23-ukrainische-fluechtlinge-haben-arbeit-gefunden-297204720852)
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derbund.ch 28.04.2022
Nach Sri Lanka ausgeschafft: Die halbierte Familie
Viele Flüchtlinge bekommen grosse Solidarität zu spüren – andere nur das Gesetz. Dies ist die Geschichte einer tamilischen Familie aus Langenthal.
Johannes Reichen
Am Morgen des 21. Februar um 5.45 Uhr betreten 15 bis 20 Personen eine Wohnung in Langenthal. Die meisten von ihnen gehören zur Kantonspolizei Bern. Sie müssen eine Frau und deren drei Kinder abholen. Vor der Wohnungstür im ersten Stock liegt eine hellbraune Fussmatte. «Welcome» steht darauf.
Um 8.15 Uhr verlassen die Leute die Wohnung, zusammen mit der Frau und den Kindern. Die tamilische Familie wird noch am gleichen Abend in ein Flugzeug nach Colombo gesetzt. Goodbye.
Zwei Monate später im Wohnzimmer der gleichen Wohnung. Draussen ein grauer Tag, drinnen ein graues Sofa. Darauf sitzen: die Mutter, der Stiefvater, die zwölfjährige Nichte und der achtjährige Neffe der ausgeschafften Frau. Das Mädchen trägt Socken, die andern sind barfuss. Sie wollen nicht namentlich genannt werden. Sie befürchten, so ihre Angehörigen in Sri Lanka in Gefahr zu bringen.
Die Mutter und der Stiefvater leben seit rund 30 Jahren in der Schweiz. Die Nichte und der Neffe zogen 2019 zu ihnen. Sie haben keine Eltern mehr. Ihre Mutter ist verschollen, ihr Vater – der Bruder der ausgeschafften Frau – ist gestorben.
Das Mädchen spricht gut Deutsch und übersetzt während des Gesprächs. Der Junge sitzt meistens still auf dem Sofa. Nur einmal greift er ein, als die anderen das richtige Wort nicht finden. Er schon. «Halbiert» seien sie worden.
Die andere Hälfte, das sind die Mutter und ihre drei Kinder, die nach Sri Lanka zurückkehren mussten.
Durch die Instanzen
«Halbiert» ist ein Ausdruck, den auch Monika Wälti unterschreiben könnte. Sie engagiert sich bei der Reformierten Kirchgemeinde Aarwangen für Geflüchtete und gehört der Aktionsgruppe Nothilfe an, die sich für abgewiesene Asylsuchende einsetzt.
Die inzwischen ausgeschaffte Familie durfte aufgrund eines Corona-Falls zeitweise privat in Langenthal bei den Angehörigen wohnen. Ansonsten lebte sie im Rückkehrzentrum Aarwangen.
In den Rückkehrzentren leben Menschen mit einem rechtskräftigen negativen Asylentscheid. Dort erhalten sie unter anderem Nothilfe und eine Rückkehrberatung. Fixe Standorte sind im Kanton neben Aarwangen Biel-Bözingen und Gampelen. Hinzu kommen drei temporäre Unterkünfte.
Wälti kennt die Familie. «Dass sie einfach auseinandergerissen wurde, ist eine Tragödie», sagt sie. Es sei nur schwer auszuhalten, dass die Behörden kein Verständnis für ihre Situation gezeigt hätten.
Die verwinkelte Geschichte beginnt 2017. Die inzwischen ausgeschaffte Frau besuchte mit den Kindern ihre Mutter und ihren Stiefvater in der Schweiz. Ihr Ehemann, der in Sri Lanka offenbar Probleme mit einer Drogenbande hatte, riet ihr, nicht zurückzukehren. Deshalb ersuchte sie in der Schweiz um Asyl.
Das Staatssekretariat für Migration lehnte das Gesuch ab und ordnete die Wegweisung an. Dagegen erhob sie erfolglos Beschwerde. Später reichte sie mehrere Gesuche um Wiedererwägung ein.
Sie machte dabei geltend, sie nehme auch die Mutterrolle für die beiden Kinder ihrer verschollenen Schwägerin ein. Eine Wegweisung würde «das Kindswohl ihrer Nichte und ihres Neffen gefährden».
Ausserdem seien ihre beiden älteren Kinder schulisch und sozial integriert. Für ihre Cousine und ihren Cousin in Langenthal seien sie wie Geschwister.
Ausschaffung zumutbar
Auch das Sozialamt Langenthal setzte sich für die Familie ein. Die Mutter sei «eine wichtige Bezugsperson» für die Kinder ihres verstorbenen Bruders, hiess es in einem Schreiben. «Wir bitten Sie, dies in die Beurteilung der aktuellen Situation einzubeziehen», schrieb die Vormundin der beiden Kinder an den Migrationsdienst des Kantons Bern. Es sei «von einer Ausschaffung zum heutigen Zeitpunkt abzusehen».
Am 1. Dezember 2021 war ein Ausschaffungsflug annulliert worden, weil die Mutter nicht zu einem Corona-Test erschienen war.
Am Ende steht ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Januar 2022. Das Gericht wies die Beschwerde der Mutter ab und entschied, dass die Wegweisung nach Sri Lanka «weiterhin als zulässig und zumutbar» zu erachten sei. Einen Monat später wird die Familie ausgewiesen nach Sri Lanka. Das Land befindet sich aktuell in einer schweren Wirtschaftskrise.
Den Polizeieinsatz in Langenthal schildern die Angehörigen als ein traumatisches Erlebnis. Sie seien währenddessen in einem Zimmer festgehalten worden. «Die Kinder haben geweint und geweint», sagt der Grossvater. Die Grossmutter zeigt auf ihren Arm. Sie sei von einem Polizisten leicht verletzt worden, als sie beim Abschied von ihrer Tochter getrennt worden sei. Und das Mädchen erzählt, es sei zweimal in Ohnmacht gefallen.
Die Kantonspolizei Bern bestätigt den Einsatz im Auftrag der Migrationsbehörden, nennt aber keine Details. Nebst der Polizei hätten ein Arzt und eine unabhängige Kontrollinstanz im Einsatz gestanden, erklärt Sprecher Patrick Jean. Ein Kind habe Schwächesymptome gezeigt, deshalb hätten Dritte eine Ambulanz gerufen. Von einer Verletzung habe die Polizei keine Kenntnis.
Beim Einsatz sei genügend Zeit eingeplant worden. «Es steht ausser Frage, dass eine solche Zwangsmassnahme für die betroffenen Personen ein emotional belastendes Ereignis darstellt», schreibt Jean. Im gleichen Sinn äussert sich auch das Amt für Bevölkerungsdienste.
Tragische Fälle
Der Aarwanger Pfarrer Marcel Schneiter war beim Einsatz nicht dabei. Aber er kennt solche Momente. Als vom Kanton Bern akkreditierter Seelsorger gehört er bei den Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn einem Team von Betreuungspersonen in Rückkehrzentren an. Auch in der Kirchgemeinde Aarwangen engagiert er sich in der Betreuung von Flüchtenden.
«Es ist schon krass, wie momentan vorgegangen wird», sagt Schneiter. Und meint damit den Umgang mit der Familie aus Sri Lanka. Die Mutter sei eingebunden gewesen in das Familiengeflecht, sagt er. Das habe man nun zerrissen. «Das dürfte man nicht machen.»
Schneiter wägt seine Worte ab. Klar seien die Bewohnerinnen und Bewohner in den Rückkehrzentren nicht hier, um sich zu integrieren. Sondern sie warteten eben darauf, in ihr Heimatland oder – gemäss dem Dublin-Abkommen – in ein anderes europäisches Land zurückgeführt zu werden. Die Behörden bereiteten die Betroffenen auf einen solchen Schritt vor. Und die Ausschaffung mit Polizeigewalt sei das letzte Mittel.
Wenn aber die Polizei mitten in der Nacht auftauche und eine Familie abhole, dann sei das schon tragisch. «Davon erfährt niemand etwas.» Diese Menschen lebten manchmal schon seit Jahren hier, hätten alle eine Vorgeschichte.
Ein harter Kontrast
Drei Tage nach der Ausschaffung der Familie begann Russlands Krieg in der Ukraine. Seither erreichen jeden Tag Hunderte Ukrainerinnen und Ukrainer die Schweiz. Sie stossen hier auf eine grosse Hilfsbereitschaft.
«Grossartig», findet Flüchtlingshelferin Monika Wälti das. «Ich wünschte mir aber, dass die Hilfsbereitschaft gegenüber allen Asylsuchenden gross wäre.» Etwa sei es sehr schwierig, für abgewiesene Asylsuchende private Unterbringungen zu finden. «Das ist aufwendiger, die Bereitschaft dafür ist nicht so gross.»
Gerade vor dem Hintergrund der Solidarität gegenüber Ukraine-Flüchtenden empfindet sie die «restriktive Asylpolitik», wie sie aus ihrer Sicht die Familie aus Sri Lanka habe zu spüren bekommen, als umso härter und gnadenloser. «Für die Betroffenen ist das bitter.»
Auch dem Pfarrer Marcel Schneiter fällt der harte Kontrast zu den Ukraine-Flüchtlingen auf. «Von diesem Krieg sind alle betroffen, das ist in Europa, das ist nah.» Das gelte für andere Kriegs- oder Krisenländer nicht. Entsprechend spürten die Menschen aus diesen Ländern auch nicht die gleiche Solidarität.
Im Gegenteil, viele von ihnen würden schnell einmal als Profiteure abgestempelt – «in den allermeisten Fällen zu Unrecht». Dies sähen wohl auch viele Unbeteiligte so, wenn sie von den Schicksalen der Flüchtenden wüssten, mutmasst der Pfarrer. «Aber manche Leute in Aarwangen wissen nicht einmal, dass es hier ein Rückkehrzentrum gibt.»
Auch die sri-lankische Familie aus Langenthal verfolgt die Geschehnisse in der Ukraine. «Es sterben Menschen, das macht uns Angst und traurig», sagt die Grossmutter. Sie weiss aus eigener Erfahrung, was Krieg ist. 1990 hat sie ihren ersten Mann im sri-lankischen Bürgerkrieg verloren.
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Kanton verzeichnet keine Häufung
Monika Wälti und Marcel Schneiter haben den Eindruck, dass es in den letzten Monaten zu einer Häufung von Wegweisungen gekommen ist. In Aarwangen seien solche eine Zeit lang praktisch jede Woche erfolgt. Viermal habe es Familien mit Kindern betroffen. Während der Corona-Pandemie habe es weniger Rückführungen gegeben, nun bestehe offenbar Nachholbedarf. Das Amt für Bevölkerungsschutz widerspricht: «Eine explizite Häufung stellen wir nicht fest.» Durch die Aufhebung von Reisebeschränkungen, welche während der Corona-Pandemie galten, könnten wieder diverse Destinationen angeflogen werden. Es sei aber seit längerem möglich, vermehrt Wegweisungen durchzuführen, insbesondere in Dublin-Staaten. Eine grundsätzliche Wegweisungssistierung habe nie bestanden. Gemäss dem Staatssekretariat für Migration wurde der Wegweisungsvollzug 2021 trotz Pandemie auf «relativ hohem Niveau» fortgeführt. (rei)
(https://www.derbund.ch/die-halbierte-familie-816578447174)
+++GRAUBÜNDEN
Graubünden und die vielen ukrainischen Flüchtlinge.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/unterirdischer-warentransport-waere-in-der-ostschweiz-moeglich?id=12183507
Flüchtlingswelle stellt Graubünden vor Herausforderungen – Schweiz Aktuell
Im Kanton Graubünden sind bisher über 1’000 Schutzsuchende aus der Ukraine aufgenommen worden, bis Ende Jahr könnten es laut Berechnungen vom Bund 7500 sein. Deshalb werden dringend geeignete Unterbringungsmöglichkeiten gesucht.
https://www.srf.ch/play/tv/-/video/-?urn=urn:srf:video:7633390b-3954-4449-9d1a-2dcc1f3759e1
-> https://www.suedostschweiz.ch/sendungen/rondo-news/rondo-news-28-04-22
+++NIDWALDEN
Nidwalden stellt leerstehendes Hotel für Ukraine-Flüchtlinge zur Verfügung (ab 03:04)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/luzerner-ckw-investiert-eine-milliarde-in-klimafreundlichen-strom?id=12183498
-> https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/nidwalden/wolfenschiessen-hotel-alpina-wird-zur-unterkunft-fuer-40-ukrainische-fluechtlinge-ld.2281796
+++THURGAU
Das Thurgauer Asylwesen strebt Verbesserungen an: An einem Strang und in die gleiche Richtung ziehen
Den Thurgau erreichten in acht Wochen mehr Flüchtlinge als im ganzen letzten Jahr. Die Freiwilligenorganisation Netzwerk Asyl Thurgau will die Zusammenarbeit mit Behörden optimieren.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/frauenfeld/asylwesen-das-thurgauer-asylwesen-strebt-verbesserungen-an-an-einem-strang-und-in-die-gleiche-richtung-ziehen-ld.2281456
+++ZÜRICH
Arbeitsplätze für Flüchtlinge: Über 100 ukrainische Geflüchtete arbeiten im Kanton Zürich
Einige Ukrainerinnen und Ukrainer sind in Zürich bereits in den Arbeitsmarkt integriert – vor allem in der Gastronomie und im Bereich Schule und Bildung. Andere befinden sich noch auf der Stellensuche.
https://www.tagesanzeiger.ch/ueber-100-ukrainische-gefluechtete-arbeiten-im-kanton-zuerich-607024601628
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/nach-wahlchaos-fdp-holt-sitz-im-opfiker-stadtrat?id=12183537 (03:24)
-> https://www.zh.ch/de/news-uebersicht/medienmitteilungen/2022/04/im-kanton-zuerich-sind-ueber-100-ukrainische-gefluechtete-erwerbstaetig.html
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/bald-50-schulklassen-fuer-kinder-aus-der-ukraine-im-kanton-zuerich?id=12183690 (ab 09:45)
Bald 50 Schulklassen für Kinder aus der Ukraine im Kanton Zürich
Im Kanton Zürich entstehen immer mehr Schulklassen nur für Kinder aus der Ukraine. In diesen Aufnahmeklassen sollen die Kinder möglichst schnell Deutsch lernen. Zwei dutzend Gemeinden im Kanton Zürich haben bereits solche Aufnahmeklassen. Und schon bald dürfte die Zahl auf über 50 steigen.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/bald-50-schulklassen-fuer-kinder-aus-der-ukraine-im-kanton-zuerich?id=12183690
Winterthur bietet Psychologiekurse wegen Ukraine-Flüchtlingen an
Die Stadt Winterthur bietet den Freiwilligen, die Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen haben, kostenlose Psychologiekurse an. So sollen sie besser auf die Traumata ihrer Gäste reagieren können, vor allem auch auf jene der Kinder und Jugendlichen.
https://www.toponline.ch/news/winterthur/detail/news/winterthur-bietet-psychologiekurse-wegen-ukraine-fluechtlingen-an-00182237/
Linke starten erneuten Versuch für wirtschaftliche Basishilfe für Sans-Papiers
Der letzte Versuch einer wirtschaftlichen Basishilfe für Sans-Papiers in der Stadt Zürich wurde durch einen Entscheid des Bezirksrats gestoppt. Nun lanciert die linke Ratsseite des Zürcher Gemeinderats einen neuen Versuch.
https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/zuerich-linke-starten-erneuten-versuch-fuer-wirtschaftliche-basishilfe-fuer-sans-papiers-ld.2282056
+++SCHWEiZ
Ukraine: Verteilschlüssel wird bei der Zuweisung von Geflüchteten wieder eingehalten
Der Sonderstab Asyl (SONAS) begrüsst die Rückkehr zur bevölkerungsproportionalen Zuweisung der Geflüchteten aus der Ukraine an die Kantone. So können bestehende Ungleichgewichte schrittweise ausgeglichen werden. Bund und Kantone verfügen aktuell über genügend Unterbringungsplätze.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-88277.html
-> https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/ukraine-krieg-behorden-informieren-uber-lage-der-fluchtlinge-66164555
-> https://www.watson.ch/international/liveticker/398746920-ukraine-krieg-alle-news-des-tages-im-liveticker
-> https://www.20min.ch/story/staatssekretariat-fuer-migration-informiert-zum-ukraine-krieg-763465357179
-> Pressekonferenz Bund: https://youtu.be/fvt5rVzt_ko
EU-Aussengrenzen und die Rolle von Frontex: Lösungsansätze der SFH
Die Situation an den EU-Aussengrenzen und die Rolle von Frontex sind Gegenstand des aktuellen Abstimmungskampfs zur Frontex-Vorlage, über die wir am 15. Mai abstimmen. In einem Grundlagenpapier skizziert die SFH Lösungsansätze, wie die Situation an den EU-Aussengrenzen verbessert werden könnte.
https://www.fluechtlingshilfe.ch/publikationen/news-und-stories/eu-aussengrenzen-und-die-rolle-von-frontex-loesungsansaetze-der-sfh
Ukraine-Flüchtlinge: Behörden am Limit?
Wo können Geflüchtete für wenig Geld einkaufen und wer hilft bei den Behördengängen? Wo werden Deutschkurse angeboten? Rund 40 000 Geflüchtete aus der Ukraine leben zur Zeit in der Schweiz. Sie, ihre Gastfamilien, aber auch die Behörden sind gefordert. Überfordert?
https://www.srf.ch/audio/forum/ukraine-fluechtlinge-behoerden-am-limit?id=12182118
Ukrainische Flüchtlinge im Schweizer Arbeitsmarkt – Tagesschau
Schweizweit wurden vor allem in den Bereichen IT, Gastgewerbe und der Landwirtschaft mehr als 200 Arbeitsbewilligungen an aus der Ukraine Geflüchtete erteilt. Der Bund hat auch analysiert, welche Qualifikationen diese mitbringen.
https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/ukrainische-fluechtlinge-im-schweizer-arbeitsmarkt?urn=urn:srf:video:81bb5a26-b191-4ab9-8be1-4794ac6b3289
-> https://www.luzernerzeitung.ch/news-service/inland-schweiz/ukraine-krieg-gefluechtete-verfuegen-ueber-gute-berufliche-qualifikation-ld.2281986
+++EUROPA
Gemeinsam mit Sea-Watch ziehen wir gegen Frontex vor Gericht
Die EU-Agentur Frontex will ihre Zusammenarbeit mit der sogenannten libyschen Küstenwache geheim halten. In Kooperation mit FragDenStaat fechtet die Seenotrettungsorganisation Sea-Watch dies vor Gericht an.
https://fragdenstaat.de/blog/2022/04/28/gemeinsam-mit-seawatch-ziehen-wir-gegen-frontex-vor-gericht/
-> https://www.nau.ch/news/europa/sea-watch-verklagt-eu-grenzschutzagentur-frontex-66165566
Ausgesetzt in der Ägäis: Frontex ist in Pushbacks involviert – Rundschau
Pushback-Vorwürfe sind ein zentrales Thema im Abstimmungskampf zur Frontex-Vorlage. Eine gemeinsame Recherche von «Rundschau», Lighthouse Reports, Republik, Der Spiegel und Le Monde zeigt, wie Frontex in Pushbacks in der Ägäis involviert ist.
https://www.srf.ch/play/tv/rundschau/video/ausgesetzt-in-der-aegaeis-frontex-ist-in-pushbacks-involviert?urn=urn:srf:video:5ef84187-7e34-4f40-bda8-448184990621
+++JENISCHE/SINTI/ROMA
woz.ch 28.04.2022
Verfolgung von Jenischen: Mit starken Worten gegen das Unrecht
Vor fünfzig Jahren enthüllte Hans Caprez den Skandal um die rassistischen Kindswegnahmen bei den Jenischen. Das dunkle Feld der Schweizer Geschichte ist bis heute nicht vollständig ausgeleuchtet. Zu Besuch bei einem unbequemen Rechercheur.
Von Andreas Fagetti (text) und Ursula Häne (Foto)
Wer Hans Caprez besuchen will, muss in Chur in die Rhätische Bahn steigen. Die Zugfahrt führt entlang des mäandernden Vorderrheins. Der Fluss hat sich tief in die Landschaft gegraben und bizarre Felsformationen herausgeschliffen. Castrisch liegt eine Station vor Ilanz, am Fuss steiler Abhänge. Nach dem Halt auf Verlangen steigt man aus dem Zug – und taucht ein in eine unwirkliche Stille.
Etwa 400 Menschen leben hier, abseits vom Trubel der urbanen Schweiz. Auch Caprez ist vor zehn Jahren in sein Heimatdorf zurückgekehrt; seine Wohnung liegt nur zwei Gehminuten vom Bahnhof entfernt. In Castrisch hatte er seine Jugend verbracht, im Bündnerland arbeitete er einige Jahre als Primarlehrer. 1968 stieg er beim «Neuen Bündner Tagblatt» schliesslich in den Journalismus ein.
Inzwischen ist Hans Caprez 82 Jahre alt, aber immer noch ein hellwacher Zeitgenosse. Wir trinken Kaffee und plaudern. Dann steht er vom Tisch auf, verschwindet für einen Moment im Halbdunkel der Wohnung und kehrt mit seinem Laptop zurück. Unter dem Titel «Jemand muss das schreiben» hat ihn Radiotelevisiun Svizra Rumantscha vor zwanzig Jahren porträtiert. Caprez spielt die Sendung ab. So muss er seine Geschichte, die er schon oft erzählt hat, nicht nochmals im Detail wiederholen.
Das Ende des «Hilfswerks»
Der Zuschauer sieht zunächst einen Einspieler in Schwarzweiss: Aufnahmen aus einer Redaktionssitzung aus dem Jahr 1977. Der junge Caprez berichtet von schlimmen Zuständen in einem Heim, von Kindern, die brutal geschlagen würden. Es ist eine emotionale Ansprache an die Redaktionsrunde. «Bei mir ist alles bereit», sagt er, «wir könnten morgen publizieren. Und es stellt sich jetzt die Frage, ob wir direkt publizieren oder ob wir nochmals die berühmte Gegenseite anhören sollen. Ich bin dagegen, weil ich weitere Verschleppungen in dieser Frage nicht mehr hinnehmen möchte.» Die Geschichte sei wasserdicht, er könne alle Vorwürfe belegen.
Als der Film zu Ende ist, steht Caprez nochmals auf. Als er sich wieder setzt, hält er eine Schrift der Stiftung Robert F. Kennedy Human Rights in der Hand: «Menschenrechtsaktivisten, die unsere Welt verändern», so der Titel. Neben dem tschechischen Dissidenten Vaclav Havel, dem Dalai Lama oder Martin Luther King kommt auch Hans Caprez selber vor. «Da gehöre ich eigentlich nicht hinein», sagt er. Auch im Porträt des romanischen Fernsehens komme er zu gut weg. Und doch schmeichelt es wohl seiner Journalistenseele. «Natürlich bin ich auch eitel, und ich war ein ehrgeiziger Journalist.»
Der junge Caprez fiel bereits beim «Neuen Bündner Tagblatt» mit unbequemen Recherchen auf. 1970 wechselte er zum «Beobachter» nach Basel. Er schrieb fortan Jahr für Jahr Enthüllungsgeschichten und lebte dem Motto der Zeitschrift nach: «Stark für die Schwachen». Er berichtete über das dubiose Finanzgebaren und nicht gerade ideale Innenleben einer der idealistischen Kooperativen von Longo maï, er erzählte die Geschichte von Paul Meisser, der im Kantonsspital Chur gegen seinen Willen kastriert wurde – angeblich, um die soziale Integration des jungen Mannes zu erleichtern. Aber Caprez’ Name wird mit einer Geschichte verbunden bleiben, die er 1972 ans Licht der Öffentlichkeit brachte und mit der er Mediengeschichte schrieb.
Im Spätherbst 1971 war in seinem Basler Büro eine aufgebrachte Mutter aufgetaucht. Was sie ihm mitteilte, hatte Caprez bis dahin nicht für möglich gehalten: Der Frau waren ihre fünf Kinder weggenommen worden. Zunächst glaubte der Reporter, es handle sich um einen Einzelfall. Im Zuge seiner Recherchen fand er aber weitere Mütter, denen das Gleiche widerfahren war. Es waren alles Frauen, die der jenischen Minderheit angehörten.
Das Vorgehen hatte System, insgesamt waren rund 600 Kinder betroffen. Dafür verantwortlich: die Aktion «Kinder der Landstrasse». Das «Hilfswerk» hatte die angesehene Stiftung Pro Juventute 1926 ins Leben gerufen. Kopf und Antreiber der Aktion war Alfred Siegfried. Der Rassist und Fanatiker war auch ein verurteilter Sexualstraftäter. Sein Programm formulierte er so: «Wer die Vagantität erfolgreich bekämpfen will, muss versuchen, den Verband des fahrenden Volkes zu sprengen, er muss, so hart das klingen mag, die Familiengemeinschaft auseinanderreissen.» Siegfried führte über Jahrzehnte einen Zerstörungsfeldzug gegen die jenische Minderheit, getragen von Politikern bis hinauf in den Bundesrat, gedeckt von Richtern, Kirchenleuten und Behörden.
Als der «Beobachter» die Geschichte publizierte, erntete er einen Sturm der Entrüstung: 6000 Leser:innen bestellten das Abo ab. «Ohne einen standfesten Verleger wäre es nicht gegangen», erinnert sich Caprez. 47 Jahre nach der Gründung der Aktion hatten die Kindswegnahmen endlich ein Ende. 1973 wurde das «Hilfswerk» aufgelöst. Strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen wurden die Verantwortlichen allerdings nie.
Die Rolle der Justiz
In den fünf Jahrzehnten seit der Enthüllung ist dennoch viel passiert. Die Jenischen sind mittlerweile von der Schweiz offiziell als Minderheit anerkannt. Eines der unrühmlichsten Kapitel der jüngeren Schweizer Geschichte ist historisch weitgehend aufgearbeitet. Es sind zahlreiche historische Studien erschienen, etwa die umfangreiche Arbeit der Historikerin Sara Galle unter dem Titel «Kindswegnahmen». Und auch literarisch ist das Thema verhandelt worden: von den Schriftstellerinnen Isabella Huser und Mariella Mehr oder dem Publizisten und Schriftsteller Willi Wottreng, der inzwischen Geschäftsführer der Fahrendenorganisation Radgenossenschaft der Landstrasse ist.
Diesen Monat widmete das St. Galler Konzertlokal Palace der Geschichte der Aktion «Kinder der Landstrasse» vier Abende. Auf einer Podiumsveranstaltung wurde dort auch auf diverse Leerstellen in der Aufarbeitung hingewiesen, etwa in Schweizer Schulen: «Diese Geschichte kommt zwar im Unterricht gelegentlich vor, ein offizielles Lehrmittel gibt es aber nicht. Noch nicht. Ich kann aber so viel sagen: Eine von uns initiierte Arbeitsgruppe arbeitet zusammen mit der Pädagogischen Hochschule Zürich daran», sagt Radgenossenschaft-Geschäftsführer Wottreng.
Auf die Frage, ob die rassistischen Kindswegnahmen Protest ausgelöst hätten, sagt er: «Es ist wichtig zu wissen, dass sich praktisch alle jenischen Familien mit Händen und Füssen dagegen wehrten.» Auch der Widerstand bei vielen Erzieher:innen sei gross gewesen. «Sie haben nicht eingesehen, weshalb Kinder aus ihren Familien herausgerissen werden sollten.»
Auch für Uschi Waser ist die Geschichte noch nicht vollständig ausgeleuchtet. Die Präsidentin der Stiftung Naschet Jenische ist mittlerweile 69 Jahre alt. Als Kleinkind wurde auch sie ihrer Mutter weggenommen und in ein Kinderheim gesteckt: der Anfang einer schmerzhaften Odyssee. Waser wurde insgesamt rund fünfzigmal umplatziert. Abgeschlossen sei das Kapitel erst, wenn auch die Rolle der Schweizer Justiz aufgearbeitet sei, sagt Waser. Sie kennt die missbräuchliche Vorgehensweise der Behörden aus eigener Anschauung und kann sie dank ihrer persönlichen Strafakten belegen.
Ende der achtziger Jahre hatte sie Einsicht verlangt und die Originalakten erhalten. Zurückgegeben hat sie diese nie. Sie spreche die Rolle der Justiz bei jeder Gelegenheit an, in ihren Vorträgen, auch vor Politiker:innen oder Journalist:innen, so Waser. «Es nicken jeweils alle verständnisvoll. Aber es passiert nie etwas. In einem SRF-Interview habe ich hauptsächlich darüber geredet. Gesendet wurde es nicht.» Über die Rolle der Justiz hülle man den Mantel des Schweigens. «Das geht überhaupt nicht. Das ist nicht nur für jenische Menschen von Bedeutung, sondern auch für alle administrativ Versorgten.»
Der Ausstieg aus dem Beruf
So wie Uschi Waser sieht es auch Hans Caprez. Noch gebe es offene Fragen, sagt er. So hätten bekannte Schweizer Klinikleiter mit pseudowissenschaftlichen Studien über Jenische die Tätigkeit des «Hilfswerks» legitimiert. Auf solche Studien beriefen sich auch die Nazis. «Wären sie in die Schweiz einmarschiert, hätten sie im ‹Hilfswerk› eine Basis für die Vernichtung der Jenischen vorgefunden und das wohl bestimmt gleich ins Werk gesetzt.» Die Geschichten und die Schicksale belasteten ihn zusehends. Druck und Erwartungshaltungen, auch die eigenen, setzten ihm zu.
1998 – mit 58 Jahren – kehrte Caprez dem Journalismus den Rücken, zog sich mit seiner Lebenspartnerin ins Piemont zurück. Auf einem abgelegenen Hof bauten sie Früchte und Gemüse an und pflegten eine Haselnussplantage. Im eingangs erwähnten Film äussert sich Caprez auch zu seiner Auffassung von Journalismus: «Wenn du die schwachen Leute für einen Artikel benutzt, kannst du sie nicht auf halber Strecke zurücklassen und so tun, als würden sie dich nichts mehr angehen, und einer neuen Story hinterherrennen.» Das seien Menschen, die einen ein ganzes Leben lang begleiteten. «Es ist nicht so, dass du als Journalist nur gibst. Du bekommst auch etwas zurück, selbst wenn dabei kein Artikel herausschaut.»
Heute, zwanzig Jahre später, fasst er dasselbe Credo in andere Worte: «Für mich ist die Liebe zu den Menschen als Antrieb wichtiger als der Kopf. Das kommt im heutigen Journalismus zu kurz.»
(https://www.woz.ch/2217/verfolgung-von-jenischen/mit-starken-worten-gegen-das-unrecht)
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
SVP prüft Volksinitiative für Demo-Sperrzeiten in der Innenstadt
Der Grosse Rat hat sich am Donnerstag gegen Demo-Sperrzeiten in der Innenstadt ausgesprochen. Jetzt prüft die SVP eine Volksinitiative.
https://telebasel.ch/2022/04/28/grosser-rat-gegen-demo-sperrzeiten-in-der-innenstadt
SVP-Vorschlag scheitert: Das Basler Parlament will kein Teilverbot von Demonstrationen
Der Grosse Rat hat sich am Donnerstag einmal mehr mit Demonstrationen am Samstag in der Innenstadt auseinandergesetzt. Das Resultat war klar.
https://www.bazonline.ch/parlament-will-kein-teil-verbot-von-demonstrationen-in-basel-918886972722
-> https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/grosser-rat-kein-demonstrationsverbot-in-bestimmten-strassen-der-basler-innenstadt-ld.2281785
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/kein-demonstrationsverbot-am-samstag-nachmittag-in-basel?id=12183531
-> https://telebasel.ch/2022/04/28/grosser-rat-gegen-demo-sperrzeiten-in-der-innenstadt
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/grosser-rat-gegen-demo-sperrzeiten-in-der-innenstadt?id=12183651
Glencore füttert Putins Krieg
Gemeinsam mit internationalen Gewerkschafter:innen und diversen NGOs protestiert die ALG vor der heutigen Generalversammlung der Glencore. Die Alternativen-die Grünen kritisieren die engen Verbindungen des Rohstoffkonzerns zu Russland.
https://gruene-zug.ch/glencore-fuettert-putins-krieg/
ANARCHISTS AGAINST PUTIN: International Anarchist Mobilization. Part 1 -Poland
The main piece of my reportage in Poland and Ukraine is about the practical mobilization of Anarchists, their support for and their participation in the resistance against the Putin Regime’s invasion. This video takes place in Poland and it’s the first part of that main piece. It explores the response of the anarchist milieu to the war in Ukraine, across the country and internationally . How there was a unanimous opposition to Russian imperialism and how this state of emergency united the movement, despite previous division and conflict, towards a common goal. The second part, coming soon, will take place in Ukraine.
https://www.youtube.com/watch?v=uhui8LLNcwY
1-Mai-Demos und Meistertitel: Geschäftsinhaber am Helvetiaplatz bereiten sich auf Krawalle vor
Am Sonntag kann es auf dem Helvetiaplatz hoch zu und hergehen. Die 1-Mai-Demonstrationen, die schon in früheren Jahren Chaoten angezogen haben, finden statt. Ausserdem könnten der FCZ und der ZSC am Sonntag Schweizer Meister werden. Die Geschäftsinhaber am Helvetiaplatz machen sich Sorgen wegen möglichem Vandalismus.
https://tv.telezueri.ch/zuerinews/1-mai-demos-und-meistertitel-geschaeftsinhaber-am-helvetiaplatz-bereiten-sich-auf-krawalle-vor-146323714
+++KNAST
Kriminalität geht zurück: In Schweizer Gefängnissen sitzen so wenige Häftlinge wie lange nicht mehr
Kaum Ausbrüche, weniger Straftaten: Vollzugsbeamte und Polizei erlebten ein vergleichsweise gutes Jahr. Auffällig ist, dass der Frauenanteil hinter Gittern zunimmt.
https://www.tagesanzeiger.ch/in-schweizer-gefaengnissen-sitzen-so-wenig-haeftlinge-wie-lange-nicht-mehr-872972249488
+++BIG BROTHER
Abhörskandal erreicht die Schweiz – auch zwei Exil-Politikerinnen in Genf und ein Zuger ausspioniert
Über 60 Personen mit Verbindung zur katalanischen Unabhängigkeitsbewegung wurden laut einer Forschungsgruppe abgehört. Darunter sind auch drei Personen, die in der Schweiz leben.
https://www.luzernerzeitung.ch/schweiz/katalanische-unabhaengigkeit-abhoerskandal-erreicht-die-schweiz-auch-zwei-exil-politikerinnen-in-genf-und-ein-zuger-sind-betroffen-ld.2281866
+++POLICE BE
Nach Klage der Angehörigen: Tödlicher Polizeieinsatz in Adelboden wird aufgerollt
Die Berner Staatsanwaltschaft muss das Strafverfahren gegen drei Gesetzeshüter wieder aufnehmen, die an einem tödlichen Einsatz im Mai 2020 in Adelboden beteiligt waren. Das hat das Obergericht entschieden. Beim Einsatz war ein 44-jähriger Schweizer ums Leben gekommen.
https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/199193/
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/polizeieinsatz-in-adelboden-polizist-erschoss-mann-strafverfahren-wird-erneut-aufgenommen
-> https://www.20min.ch/story/ihr-verdammten-wi-er-haut-ab-spezialeinheit-erschoss-mann-in-wohnung-610848805242
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ajour.ch 28.04.2022
Andere Hautfarbe = kriminell? Ein Infoanlass in Nidau regt zum Nachdenken an
Eine andere Hautfarbe und schon verdächtig: Viele Menschen leiden unter rassistischen Äusserungen und Gesten im Umfeld. Betroffene suchen den Dialog und benennen das Problem.
Laura Münger
Seit über 17 Jahren lebt er in der Schweiz, seine Kinder sind hier geboren, er selber hat längst vergessen, dass er eine andere Hautfarbe als die Mehrheit der schweizerischen Bevölkerung hat. Doch die Tatsache, dass er im Vergleich zu einem weissen Schweizer Familienvater sehr viel häufiger von der Polizei angehalten und seine Identität ohne konkreten Grund kontrolliert wird, erinnert ihn immer wieder auf schmerzhafte Weise daran, dass er in diesen Situationen nach wie vor als «anders» und als potenziell «problematisch» wahrgenommen wird.
So schildert es ein Besucher am Informationsanlass in Nidau. Die Fachstelle Integration hat die kantonale Informations- und Beratungsstelle «Gemeinsam gegen Gewalt und Rassismus» (gggfon) ins Kulturcafé Internido eingeladen, um über Prävention und Aufklärung zum Thema Racial Profiling zu sprechen.
Das gggfon wurde 2000 als Reaktion auf einen rassistischen Übergriff in der Gemeinde Münchenbuchsee gegründet. Heute zählt die kantonale Beratungsstelle rund 40 Mitgliedgemeinden. Als Hauptziele der Präventionsarbeit verfolgt das Team, dass Meldungen aus der Bevölkerung gemacht werden, dass die Gesellschaft auf das Thema Rassismus sensibilisiert bleibt und dass durch die Zusammenarbeit mit den Behörden, der Polizei und den Schulen rassistische Handlungen verhindert werden können.
Diskriminierende Kontrollen
Das Projekt zum Thema Racial Profiling wurde in Zusammenarbeit mit der Berner Kantonspolizei und dem Swiss African Forum erarbeitet. Damit soll ein breiteres Bewusstsein für diese zuweilen subtile und schwer greifbare Form des Rassismus geschaffen werden, von der in der Schweiz hauptsächlich Männer mit dunkler Hautfarbe betroffen sind. Als Racial Profiling wird das Anwenden einer diskriminierenden Methode bei Personenkontrollen bezeichnet. Dies ist dann der Fall, wenn eine Polizistin oder ein Polizist eine Person ausschliesslich aufgrund ihrer vermuteten ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit kontrolliert, ohne dass das Verhalten der Person einen konkreten Anlass für eine Personenanhaltung gibt.
Gleichzeitig fühlen sich Polizistinnen und Polizisten manchmal vorschnell mit dem Vorwurf des Racial Profiling konfrontiert und sehen dadurch die Ausübung ihres gesetzlichen Auftrags erschwert. Im Rahmen des vorgestellten Projekts stehen das gggfon, die bernische Kantonspolizei und das Swiss African Forum seit zehn Jahren im Dialog. Gemeinsam wurde ein Flyer kreiert, der Aufschluss über die Rechte und Pflichten der Polizei bei Personenkontrollen gibt. Zudem werden gemeldete und juristisch abgeschlossene Fälle mit den beteiligten Parteien aufgearbeitet.
gggfon verzeichnet einen Rückgang der Meldungen von Racial Profiling, wobei allerdings schwer zu sagen sei, ob dies auf den Erfolg des Projektes zurückzuführen ist. Wichtig sind für den Gründer des gggfon, Giorgio Andreoli, drei Dinge: «Bei Ungerechtigkeiten muss generell hingeschaut werden. Dann muss eine Aufarbeitung geschehen und ein Dialog hergestellt werden. Nur so kann eine Veränderung stattfinden».
Weidteile im Fokus
Marie Greusing, Integrationsbeauftragte der Stadt Nidau und Gastgeberin des Informationsanlasses, versteht die Bekämpfung von allen Formen des Rassismus als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. «Damit diese als solche wahrgenommen und ausgeführt werden kann, muss die Bevölkerung auf die Problematik sensibilisiert und über mögliche Beratungsangebote und Anlaufstellen informiert sein.» Dies gelinge beispielsweise mit Integrationsanlässen, für die sie die Räume des interkulturellen Vereins Internido im Weidteilequartier benutzen kann.
Greusing ist wichtig, dass sie «am Puls» ist und so die Bedürfnisse der Bevölkerung direkt aufnehmen kann. Dafür arbeitet sie einmal in der Woche in den Räumlichkeiten des Vereins, wo sie Ratsuchenden Informationen zu Fragen des Alltags erteilt und sie bei Bedarf an andere Institutionen weiterverweist. «Diese Ausgangslage ist eine Win-Win-Situation, in der ich als Vermittlungsperson zwischen städtischer Verwaltung und lokaler Vereinsarbeit wirken kann».
Dass Marie Greusing als städtische Integrationsbeauftragte gerade im Weidteilequartier besonders präsent ist, ist kein Zufall: «Die Demographie birgt in diesem Stadtteil, der im Gegensatz zum alten Stadtkern sehr dicht besiedelt ist und einen ungleich grösseren Anteil an Ausländern und Sozialhilfebezügern aufweist, einen erhöhten Bedarf an Informationsvermittlung auf.» Doch obwohl hier Menschen aus rund 80 verschiedenen Nationen sowie Alteingesessene und Neuzugezogene auf dichtem Raum zusammenleben, hat Greusing nicht den Eindruck, dass Rassismus hier speziell ein Thema ist.
Alle sind gefordert
Ein interkultureller Begegnungsort wie das Intern ido, ein regelmässiges und niederschwelliges Beratungsangebot vor Ort sowie die kontinuierliche Aufklärungs- und Präventionsarbeit zu spezifischen Themen tragen dazu bei, dass sozialpolitische Herausforderungen wie die Integration oder die Prävention von rassistischem, diskriminierendem Verhalten nicht nur als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden wird, sondern die Menschen vor Ort aktiv an deren erfolgreichen Bewältigung mitarbeiten.
(https://ajour.ch/story/andere-hautfarbe-kriminell-ein-infoanlass-in-nidau-regt-zum-nachdenken-an/8266)
+++POLIZEI CH
Hitzkirch LU: Interkantonale Polizeischule bekommt neue Präsidentin
Die Konkordatsbehörde der Interkantonalen Polizeischule Hitzkirch wählte die Basler Justiz- und Sicherheitsdirektorin Stephanie Eymann zur neuen Präsidentin.
https://www.nau.ch/ort/hochdorf/hitzkirch-lu-interkantonalen-polizeischule-bekommt-neue-prasident-66165607
-> https://www.zentralplus.ch/polizei/polizeischule-hitzkirch-wird-neu-in-baseldeutsch-gefuehrt-2355127/
+++POLICE USA
Untersuchung nach Tod von George Floyd: Rassistische Muster bei der Polizei von Minneapolis festgestellt
Die Polizei von Minneapolis geht laut einer externen Untersuchung unter ähnlichen Umständen öfter gegen Schwarze vor als gegen als Weiße. Außerdem werde oft ein »unangemessenes Niveau der Gewalt« eingesetzt.
https://www.spiegel.de/panorama/justiz/minneapolis-in-minnesota-nach-tod-von-george-floyd-rassistische-muster-bei-der-polizei-von-minneapolis-festgestellt-a-f93a7283-de97-41a3-b64c-6f683d8dd887
-> https://www.derstandard.at/story/2000135283298/bericht-wirft-polizei-von-minneapolis-kultur-des-rassismus-vor?ref=rss
+++FRAUEN/QUEER
Nadia Brönimann: «Trans muss nicht immer Operation bedeuten»
Nadia Brönimann ist die bekannteste Transfrau der Schweiz. Ihre Geschlechtsangleichung vor 24 Jahren, die im TV-Magazin «Puls» gezeigt wurde, war ein mediales Ereignis. Warum das Skalpell nicht alle ihre Probleme löste, erzählt sie in «Focus».
https://www.srf.ch/audio/focus/nadia-broenimann-trans-muss-nicht-immer-operation-bedeuten?id=12181272#autoplay
+++RECHTSPOPULISMUS
Finale Schlacht um radikale SVP-Forderung
Die SVP blies einst zum Angriff auf die Sozialhilfe. Vielerorts wurde er abgewehrt. In Baselland und Aargau wird noch gekämpft.
https://www.infosperber.ch/gesellschaft/finale-schlacht-um-radikale-svp-forderung/
+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
woz.ch 28.04.2022
Verquere Ansichten: Putin-Freunde am Ostermarsch
Die Friedensbewegung muss derzeit viel – auch ungerechtfertigte – Kritik einstecken. Wie konnte es da passieren, dass an ihrer traditionellen Demo in Bern eine Gruppe mitlief, die Kremlpropaganda verbreitet?
Von Sarah Schmalz
In Bern versammeln sich am 18. April rund tausend Menschen zum traditionellen Ostermarsch, der dieses Jahr wegen des Kriegs gegen die Ukraine so viel Aufmerksamkeit erhält wie lange nicht mehr. Unter den Demonstrant:innen sind auch einige Frauen und Männer der sogenannten Schweizerischen Friedensbewegung. Sie führen zwei Transparente mit: «Verhandlungen statt Sanktionen» steht auf dem einen, «Wirtschaftskrieg gegen Kuba sofort stoppen» auf dem anderen. Kaum jemand begreift an diesem Tag angesichts der scheinbar harmlosen Parolen, wen diese Leute vertreten.
Die Schweizerische Friedensbewegung ist Mitglied des sogenannten Weltfriedensrats. Die Organisation hat knapp zwei Wochen vor dem von Wladimir Putin befohlenen Einmarsch in die Ukraine ein Statement veröffentlicht, das auch direkt vom Kreml stammen könnte. Titel: «Wir verurteilen die wachsende imperialistische Aggressivität und die Eskalation der Spannungen rund um die Ukraine.» Der Friedensrat gibt der Nato die alleinige Schuld an der russischen Aggression: «Sie schafft einen Gürtel, der auf die Einkreisung der Russischen Föderation abzielt.»
Es folgt die Propagandaerzählung, die Ukraine werde von Nazis regiert: «Seit dem Staatsstreich 2014 in Kiew und der Regierungsübernahme durch reaktionäre und nationalsozialistische Kräfte […] plant und realisiert die Nato ihre weitere Expansion mit dem Ziel der Integration der Ukraine in die grösste Kriegsmaschine, die im Laufe ihrer Geschichte Kriege, Verbrechen und Staatsstreiche begangen hat.» Das Statement des Weltfriedensrats endet mit der Erklärung, er sei «grundsätzlich gegen imperialistische Kriege» und verteidige «die Rechte der Völker und ihre gerechten Anliegen […]».
«Ich unterstütze die Stellungnahme»
In Bern marschiert die Schweizerische Friedensbewegung nicht nur seit jeher mit, sie gehört gar zur Trägerschaft des Ostermarschs. Die Geschichte der in Basel beheimateten Gruppe geht auf das Jahr 1948 zurück. Damals veranstalteten die Sowjets in Paris eine «Weltfriedenskonferenz». Aus ihr erwuchs ein Jahr darauf der Weltfriedensrat, der in der Folge stramm die kommunistische Parteilinie vertrat. Der Rat verurteilte im Kalten Krieg alle «imperialistischen Kriege» und liess gleichzeitig das Vorgehen der Sowjetunion, etwa in Ungarn, der Tschechoslowakei oder in Afghanistan, unkommentiert. 1979 verlieh der Weltfriedensrat Leonid Breschnew, dem sowjetischen Staatsoberhaupt, eine Friedensmedaille.
Die Schweizerische Friedensbewegung gründete sich 1949 – als direkten Ableger des Weltfriedensrats. Bis heute vertritt dieser stramm antiimperialistisches Gedankengut. Und die mit der PdA verbundene Schweizer Vertretung distanziert sich nicht einen Millimeter von der Russlandtreue und dem Blockdenken der Mutterorganisation. Auf die Frage, wie sie zum Krieg gegen die Ukraine stehe, schreibt Vorstandsmitglied Franziska Genitsch-Hofer, die zu einem Gespräch nicht bereit ist: «Ich unterstütze die Stellungnahme des Weltfriedensrats.» In einer weiteren SMS schreibt sie: «[…] In jedem Konflikt sollte man beide Seiten anhören, das lernen die Kinder schon in der Schule. Einseitige Verurteilung ohne Kenntnisse der Vorgeschichte ist kurzsichtig und nicht lösungsorientiert […].»
Seit Beginn von Putins gnadenlosem Angriffskrieg müssen Wahrheiten und Fakten noch härter verteidigt werden. Auf der einen Seite haben sich rechte Aufrüstungsfetischisten und Geostrategen in Stellung gebracht. Sie instrumentalisieren den Krieg als Beweis dafür, dass «woke Linke» einfach zu weich seien für die harten weltpolitischen Realitäten. Auf der anderen Seite: eine Linke, die angesichts der neuen Weltlage taumelt, zwischen Nato-Ausbau und Putin-Versteherei. Und mittendrin: die Friedensbewegung.
Die bürgerliche Presse schreibt derzeit genüsslich über deren Konflikte und bauscht die Frage nach den Waffenlieferungen an die Ukraine auf. Zwar gibt es etwa in der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) tatsächlich unterschiedliche Haltungen dazu, ob der Westen der Ukraine Waffen liefern soll oder nicht. Die radikal pazifistische Fraktion ist dagegen. Der langjährige GSoA-Aktivist und grüne Politiker Jo Lang hingegen zählt sich zu den «pragmatischen Pazifisten», die Waffenlieferungen derzeit für nötig halten. «An der letzten Mitgliederversammlung waren die beiden Meinungen ähnlich stark vertreten. Doch habe man auf eine Abstimmung dazu verzichtet. «Weil sich für die Schweiz die Frage realpolitisch gar nicht stellt. Was Schweizer Waffenexporte betrifft, sind alle klar dagegen.»
Nicht auf dem Schirm
Wie aber erklärt sich, dass die Friedensbewegung Kremlpropaganda toleriert? Traditionell ist sie divers aufgestellt; die Trägerschaft des Berner Ostermarsches besteht aus etwa vierzig Organisationen. Neben der GSoA und den Landeskirchen sind verschiedene NGOs und Asylorganisationen vertreten sowie etwa die feministische Friedensorganisation CFD oder der Verein Demokratischer Juristinnen und Juristen der Schweiz. Das Organisationskomitee hingegen setzt sich nur aus Vertreter:innen von fünf Gruppierungen zusammen.
Jonas Heeb, der die GSoA im Organisationskomitee mit vertrat, führt die Duldung der Putin-Freund:innen darauf zurück, dass «wir im Vorfeld der Demonstration schlicht nicht genug berücksichtigt haben, wer alles auf der Liste der Trägerschaft steht». Pandemiebedingt konnte der Ostermarsch in den letzten zwei Jahren nicht stattfinden. Das Komitee, das sich zudem immer anders zusammensetze, habe also vieles wieder neu auf die Beine stellen müssen, sagt Heeb. «Und dann brach der Krieg aus, und wir waren komplett mit Umdisponieren beschäftigt.»
Auch Jo Lang, der nicht für die Organisation verantwortlich ist, sagt, man habe die Schweizerische Friedensbewegung schlicht nicht auf dem Schirm gehabt. Zwar erinnert sich der Grüne daran, dass Leute aus deren Umfeld schon einmal für Konflikte gesorgt hätten. «Die Berner PdA wollte vor ein paar Jahren eine Pro-Assad-Demo organisieren.» Dies habe man mit einer Kundgebung gegen die Assad-Tyrannei verhindert. «Die Geschichte spielte sich jedoch ausserhalb des Kontexts der Friedensmärsche ab.»
Die russische Invasion in die Ukraine wirft ein Schlaglicht auf die antiimperialistischen Abgründe von kleinen Teilen der Friedensbewegung. Journalist:innen haben die Veranstalter:innen schon etwa eine Woche vor dem Ostermarsch mit relativierenden Äusserungen der Schweizerischen Friedensbewegung konfrontiert. Da lautete die Stellungnahme von OK-Mitglied Vanessa Bieri von der GSoA, man müsse gewisse Differenzen aushalten: «Für uns kommt es nicht infrage, eine Organisation auszuschliessen.»
Ausschluss angekündigt
Heute sagen verschiedene Gesprächspartner: Man habe auch einfach nicht mehr die Zeit gehabt, zu reagieren. Das nicht durch die Gruppierung gekennzeichnete Schild zum Russlandkrieg, mit dem die Basler:innen schliesslich an der Demo aufliefen, verstiess gegen die offizielle Haltung des Ostermarschs, der sich klar von Russland distanziert und für Sanktionen gegen das Regime einsteht. Während des Marschs kam es deshalb zu einem Disput mit dem Demoschutz, der die Träger:innen anwies, sich weiter hinten einzureihen, worauf sich diese beschwerten, man wolle ihre Meinungsfreiheit einschränken.
Jo Lang sagt, er habe, als er die Gruppe mit den zwei antiimperialistischen Transparenten am Ende des Marschs auf dem Münsterplatz entdeckte, realisiert, um wen es sich handeln müsse, und sofort ihren Ausschluss gefordert: «weil sie sich nicht an die Vorgaben gehalten hat und wegen ihrer politischen Haltung». Da sei ihm aber noch nicht klar gewesen, dass die Gruppe so extrem sei. «Dass sich der aktuelle Vorstand nicht einmal von einer Stellungnahme distanziert, die Ukrainer als Nazis bezeichnet, erfahre ich jetzt von Ihnen. Ich bin entsetzt, das ist eine Position jenseits von Frieden und Demokratie.»
Auch Heeb sagt, er sei sich der Dimension nicht bewusst gewesen. Da müsse man nun über die Bücher. Beide kündigen an, sie wollten nun auf einen Ausschluss der Gruppe vom Friedensmarsch hinwirken. Dessen OK trifft sich im Mai zu einer ersten Nachbesprechung.
(https://www.woz.ch/2217/verquere-ansichten/putin-freunde-am-ostermarsch)
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Putins intellektuelle Reste-Rampe
Vor einer Woche schrieb Sascha Lobo in seiner Kolumne für den „Spiegel“ über „Lumpen-Pazifisten“. Das war sein Begriff für selbstgerechte Menschen, Menschen, die „im Angesicht des russischen Angriffshorrors in der Ukraine nichts tun wollen, genau: nichts“. Er fand sie in der Evangelischen Kirche, in der Politik „und noch spezieller in der SPD“, in der Friedensbewegung, mindestens „in einem substanziellen Teil“ dieser Bewegung. Lobo urteilte über diesen „deutschen Lumpen-Pazifismus„: „Es handelt sich dabei um eine zutiefst egozentrische Ideologie, die den eigenen Befindlichkeitsstolz über das Leid anderer Menschen stellt.“
https://mission-lifeline.de/putins-intellektuelle-reste-rampe
-> https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/ukraine-krieg-der-deutsche-lumpen-pazifismus-kolumne-a-77ea2788-e80f-4a51-838f-591843da8356