Medienspiegel 10. April 2022

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++BERN
Zivilschutzanlage in Bern: Ausbruch von Durchfall-Krankheit und Corona in Berner Ukraine-Unterkunft
Im Erstaufnahmezentrum für Geflüchtete aus der Ukraine sind mehrere Personen an einer Durchfallkrankheit und an Covid erkrankt. Risikopersonen wurden in andere Unterkünfte gebracht.
https://www.20min.ch/story/ausbruch-von-durchfall-krankheit-und-corona-in-berner-ukraine-unterkunft-570620313330
-> https://www.be.ch/de/start/dienstleistungen/medien/medienmitteilungen.html?newsID=00b741cd-176f-4f56-b938-6ca0054a78b3


«Geben sie niemals ihren Reisepass ab!»
Pro Tag kommen 100 bis 150 Flüchtlinge im Kanton Bern an. Hauptsächlich Frauen und Kinder, die einem besonders grossen Risiko für Ausbeutung ausgesetzt sind. Die Stadt Bern hat verschiedene Massnahmen ergriffen, um solche Ausbeutungssituationen zu vermeiden.
https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/198736/


+++LUZERN
Kaum genug zum Leben: So viel zahlen Luzern und Zug an Ukrainer aus
Geflüchtete aus der Ukraine kriegen je nach Kanton unterschiedlich viel Geld zur Verfügung – im Schnitt jedoch weniger als andere Geflüchtete. So zahlen Luzern und Zug.
https://www.zentralplus.ch/politik/so-viel-zahlen-luzern-und-zug-an-ukrainer-aus-2343011/


+++ZUG
Kritik von Helfer: Zuger Regierung nimmt Stellung
https://www.tele1.ch/nachrichten/kritik-von-helfer-zuger-regierung-nimmt-stellung-146121069


+++ZÜRICH
Züri City-Card: Pragmatische Lösung oder illegal? Zürcher stimmen über Ausweis für Sans-Papiers ab
Die Stadt Zürich will eine Züri City-Card einführen. Hier findest  du einen Überblick zur Abstimmung im Mai.
https://www.20min.ch/story/pragmatische-loesung-oder-illegal-zuercher-stimmen-ueber-ausweis-fuer-sans-papiers-ab-101497943589


+++SCHWEIZ
Ukraine Krieg: Andreas Glarner nimmt doch keine Flüchtlinge auf
SVP-Asylchef Andreas Glarner kündete an, ukrainische Flüchtlinge aufnehmen zu wollen. Daraus wird nun nichts. Er erfülle die Anforderungen nicht, sagt er.
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/ukraine-krieg-andreas-glarner-nimmt-doch-keine-fluchtlinge-auf-66151021



Sonntagszeitung 10.04.2022

Hilfsorganisationen schlagen Alarm: Ukrainer stehen für Gratisessen an

Vereine, die Lebensmittel an Bedürftige verteilen, stellen fest, dass Geflüchtete zunehmend auf ihre Spenden angewiesen sind.

Cyrill Pinto

Etwa 150 Menschen stehen im strömenden Regen und trotz starker Windböen Schlange. Sie warten auf eine kostenlose Mahlzeit und ein paar Lebensmittel zum Mitnehmen. Eingeklemmt zwischen Bahngleisen und Langstrasse, haben die freiwilligen Helfer des Vereins Incontro eine Art Fassstrasse eingerichtet. Der Bereich ist mit bunten Wimpeln abgesteckt. Manche der Wartenden haben kleine Hocker dabei, weil es dauern kann, bis sie an der Reihe sind.

Mitten in der Gruppe steht am Freitagabend Olga* mit ihrem Sohn Daniel. Die 38-jährige Ukrainerin ist aus Mikolajiw am Schwarzen Meer in die Schweiz geflüchtet. Seit dem 9. März ist sie beim Zürcher Migrationsamt offiziell registriert. Doch abgesehen von einem Stempel auf einem Blatt Papier hat sie bisher keine Hilfe von den Behörden erhalten. Sie wohnt mit ihrem 11-jährigen Sohn in einem kleinen Zimmer einer Privatunterkunft. Zuletzt wurde sie beim Empfangszentrum des Kantons bei der Kaserne abgewiesen, sagt sie. «Ich wollte dort Lebensmittelgutscheine abholen, um damit einkaufen zu können. Doch man hat mich einfach weggeschickt. Es gebe keine Gutscheine mehr.» Deshalb hat sie sich jetzt unter die Bedürftigen eingereiht. Eine Tasche voller Lebensmittel und eine warme Mahlzeit für sie und ihren Sohn bekommt sie hier.

In der Stadt fallen die Menschen durchs Netz

Allein an diesem Abend stehen zehn Ukrainer in der Schlange. «In den vergangenen Tagen nahm die Zahl der Geflüchteten spürbar zu», berichten Schwester Ariane und Pfarrer Karl Wolf, welche die Lebensmittelausgabe jeden Abend organisieren.

Nicht nur sie, auch andere Tafeln stellten fest, dass vermehrt Ukrainer auf Essensspenden angewiesen sind. Etwa der Verein «Essen für alle», der jeweils am Samstag in Zürich-Manegg Lebensmittel verteilt. «Ja, wir haben in den letzten Wochen vermehrt geflüchtete Ukrainer», heisst es auch dort. Zuletzt waren es 300 Personen mehr als üblich, darunter viele aus dem vom Krieg geplagten Land.

Ins Leben gerufen hat Incontro seine Essensausgabe mit dem Namen «Broken Bread take away» zu Beginn der Corona-Pandemie im Frühling 2020. Als vielen Menschen wegen des Lockdown die Lebensgrundlage wegbrach und sie gleichzeitig durch die Maschen der Sozialbehörden fielen, organisierte der Verein warmes Essen und Lebensmittel von privaten Spendern wie etwa dem Warenhaus Globus. Abend für Abend holen seither 20 freiwillige Helfer unter Anleitung von Schwester Ariane und Pfarrer Wolf die angelieferten Lebensmittel aus einem Lager im Zürcher Kreis 4, packen diese in kleine Ziehwagen und gehen damit zum 25 Hours Hotel an der Europaallee. Dort hat der Verein Incontro ein kleines Lager, die Hotelküche unterstützt die Helfer mit frisch zubereiteten Mahlzeiten. «Die Leute vom Hotel haben uns seit Beginn der Pandemie sehr grosszügig unterstützt», sagt Pfarrer Wolf.

Im Lauf der Zeit hat sich die Zusammensetzung der Bedürftigen in der Schlange verändert. Zu Beginn, im März 2020 waren es Tagelöhner sowie Frauen und Männer, die im Milieu arbeiten. Sie standen plötzlich ohne Einkommen da. Dann kamen Leute von der Gasse hinzu und Flüchtlinge, die keinen Asylstatus erhielten.

Neu reihen sich Geflüchtete aus der Ukraine vor den Essensausgaben ein. Manche von ihnen kommen schon länger. Sie helfen inzwischen dem Incontro-Team bei der Arbeit. Darunter Irina* aus Kiew, die mit ihren drei Kindern in die Schweiz geflüchtet ist und nun in einer Wohnung von Incontro wohnt. Auch sie berichtet von Problemen mit den Behörden. Seit ihrer Ankunft in Zürich vor fünf Wochen holte sie zunächst täglich einen Einkaufsgutschein beim Aufnahmezentrum in der Kaserne.

Auch Irina wurde in der Kaserne abgewiesen

Für 8 Franken pro Tag konnte sie damit einkaufen. Manchmal erhielt sie für ihre ganze Familie nur eine solche Karte, manchmal gar keine. «Am letzten Wochenende wollte ich bei der Kaserne Gutscheine abholen, da sagte man mir, man habe keine – und zeigte auf das Brot und die Bananen, die dort für die Ankommenden bereitstanden.» Irina hat seit ihrer Flucht in die Schweiz einen abgebrochenen Zahn, der sie schmerzt. Doch diesen behandeln zu lassen, stellte sich als nicht machbar heraus. «Damit ein Zahnarzt den Zahn flicken kann, braucht es eine Kostengutsprache. Doch die zu bekommen, war unmöglich», sagt Schwester Ariane, die viel Erfahrung im Umgang mit Behörden hat. «Viele Ukrainer fallen zurzeit durch die Maschen – selbst für die Helfer in den Zentren ist das belastend», sagt sie.

Um die ankommenden Geflüchteten aus der Ukraine kümmert sich neben dem Staatssekretariat für Migration in einer ersten Phase auch das Migrationsamt des Kantons Zürich unter Sicherheitsdirektor Mario Fehr. «Grundsätzlich ist die Gemeinde für die Versorgung der Flüchtlinge zuständig», sagt Fehr. Es könne jedoch sein, dass aufgrund der grossen Zahl Ankommender «Friktionen entstehen», so Fehr. Betroffene sollten sich bei der zuständigen Behörde melden, in Zürich etwa bei der Empfangsstelle in der Militärkaserne.

Kurz vor acht, nach über drei Stunden Einsatz, kommen die freiwilligen Helfer für eine Nachbesprechung zusammen. Alle, die für Essen angestanden waren, haben etwas bekommen. Irina sagt, sie fände es gut, sich mit Landsleuten austauschen und sie unterstützen zu können. Danach packen die Helfer die übrig gebliebenen Lebensmittel zusammen und fahren damit zurück ins Warenlager, ein paar Strassen weiter. Manche von ihnen werden schon am nächsten Tag wieder im Einsatz stehen.

*Namen bekannt
(https://www.tagesanzeiger.ch/ukrainer-stehen-fuer-gratisessen-an-676590079523)



Sonntagszeitung 10.04.2022

Wie viel Ukrainer fürs Leben bekommen: Im Aargau darf ein Mittagessen nur 2.65 Franken kosten

Vielerorts liegt die finanzielle Hilfe für ukrainische Flüchtlinge weit unter dem Existenzminimum, wie ein Vergleich aller Kantone zeigt. Nun fordert sogar SVP-Asylhardliner Andreas Glarner eine Erhöhung.

Mischa Aebi, Denis von Burg

So herzlich die Menschen aus der Ukraine in der Schweiz empfangen wurden, so schnell bekommen sie die harte Realität des Asylsystems zu spüren. Sie werden mit einer finanziellen Unterstützung zurechtkommen müssen, die in manchen Kantonen nicht einmal der Hälfte des von der Sozialhilfekonferenz festgelegten Existenzminimums entspricht. Eine Auswertung der SonntagsZeitung zeigt erstmals am Beispiel einer dreiköpfigen Familie, in welchem Kanton die Kriegsflüchtlinge wie viel Geld fürs Leben bekommen (siehe Grafik).

Menschen aus der Ukraine erhalten zwar ohne langwieriges Asylverfahren den Schutzstatus S. Der Nachteil: Ihnen steht deutlich weniger finanzielle Unterstützung zu als regulären Flüchtlingen. Die Kantone können weitgehend selber bestimmen, wie viel Geld sie ihnen zum Leben geben.

Zu den Kantonen mit der tiefsten finanziellen Unterstützung zählt der Kanton Aargau: Krankenkassenprämien und Unterkunft übernehmen wie überall in der Schweiz das Sozialamt, falls die Betroffenen selber nicht genug Geld haben. Darüber hinaus erhält eine ukrainische Mutter mit zwei Kindern im Aargau 865 Franken im Monat für den sogenannten Grundbedarf. Das muss ausreichen fürs Essen, Hygieneartikel, ÖV und Kleider von drei Personen.

Geht man davon aus, dass die Familie monatlich für WC-Papier, Windeln, Shampoo, Zahnpasta, ÖV und Kleider 120 Franken braucht, bleiben 745 Franken fürs Essen. Das sind pro Kopf täglich knapp 8 Franken, oder anders gerechnet: 2.65 Franken für eine Hauptmahlzeit.

Würden Ukrainer als reguläre Flüchtlinge anerkannt, bekäme eine dreiköpfige Familie mehr als doppelt so viel Geld für Essen, Hygieneartikel und Kleider, nämlich gut 1800 Franken.

Noch weniger als die Aargauer zahlt der Kanton Appenzell Innerrhoden seinen ukrainischen Gästen. Sie bekommen laut Mathias Cajochen, Generalsekretär des kantonalen Sozialdepartements, sogar noch weniger, als das kantonale Reglement eigentlich vorsieht.

Die Begründung des Generalsekretärs: Ukrainerinnen und Ukrainer profitieren derzeit von «verschiedenen Vergünstigungen» im ÖV und bei Telefongebühren. Deshalb habe man den Betrag «reduziert».

SVP-Nationalrat Glarner: «Da bin ich der Erste, der eine Erhöhung fordert»

SP-Nationalrätin und Asylspezialistin Samira Marti sagt: «Die tiefen Beiträge reichen überhaupt nicht zum Leben und treiben die Betroffenen nur in noch prekärere Situationen.» Selbst SVP-Nationalrat Andreas Glarner gibt das zu denken. Er sagt: Wenn man im Aldi oder im Lidl einkaufe, sei eine Mahlzeit für zwei Franken zwar grundsätzlich möglich. «Aber der Betrag ist tatsächlich knapp, wenn man bedenkt, dass das Geld auch noch für anderes wie zum Beispiel Windeln oder Kleider reichen muss», sagt der Aargauer SVPler.

Glarner, landesweit bekannt als Verfechter einer knallharten Migrationspolitik, wird bei den Flüchtlingen aus dem Kriegsgebiet mild: «Wenn sich jetzt zeigt, dass der Betrag für den Lebensbedarf für die Ukrainerinnen und Ukrainer zu klein ist, müssen wir ihn anheben. Da bin ich der Erste, der das fordert.» Denn Ukrainer seien echte Flüchtlinge. «Ich habe immer gesagt, dass wir bei richtigen Flüchtlingen dafür sorgen müssen, dass es ihnen hier gut geht.»

Noch deutlicher als Glarner werden andere bürgerliche Politiker. Mitte-Nationalrat Alois Gmür sagt: «Die Entschädigung ist tatsächlich klein.» Es seien echte Flüchtlinge, «deshalb sollte man für sie die Beiträge für Essen und Kleider erhöhen». Gemäss Gmür sollten sie «gleich viel bekommen wie die regulären Flüchtlinge».

Basel ist mit Ukrainern am grosszügigsten

Am besten haben es die Kriegsflüchtlinge im Kanton Basel-Stadt. Dort erhält eine dreiköpfige Familie aus der Ukraine 1571 Franken. Selbst das liegt noch rund 10 bis 15 Prozent unter dem Existenzminimum für reguläre Flüchtlinge und einheimische Sozialfälle.

In den grossen Kantonen Bern und Zürich sehen die Richtlinien knapp 1300 Franken für den Grundbedarf einer dreiköpfigen Familie mit S-Status vor. In Zürich sind die kantonalen Richtlinien nur Empfehlungen. Einige Gemeinden zahlen den Flüchtlingen weniger, als der Kanton empfiehlt.

Ukrainer bevorzugen oder für alle Flüchtlinge gleich viel Geld?

Die unterschiedliche Einstufung sorgt nicht erst seit Ausbruch des Krieges für Diskussionen. Der Grund: Die Gesetze unterscheiden zwischen der regulären Sozialhilfe für Schweizer Bürger und anerkannte Flüchtlinge sowie der Asylsozialhilfe mit deutlich tieferen Ansätzen. Diese gilt für Asylbewerber, vorläufig Aufgenommene und Ukrainer mit dem Schutzstatus S.

Durch die Ukraine-Krise wird der politische Streit nun neu entfacht. Während die bürgerlichen Politiker Glarner und Gmür die Asylsozialhilfe nur für Ukrainer anheben wollen, fordern linke und grüne Politiker auch für Asylsuchende und vorläufig Aufgenommene eine höhere Unterstützung.

Die SP-Nationalrätin Marti sagt:  Die Ungleichbehandlung führe dazu, dass die Hilfe für viele Geflüchtete «überhaupt nicht zum Leben reicht». Zudem sei dieses System der unterschiedlichen Hilfen illegal, es verstosse gegen die Genfer Flüchtlingskonvention. Diese verlangt eine Gleichbehandlung von anerkannten Geflüchteten mit Einheimischen.

Marti verlangt, dass der Bundesrat diese Praxis jetzt abstellt und «dafür sorgt, dass die ukrainischen Flüchtlinge und mit ihnen alle Flüchtlinge mindestens die ordentliche Sozialhilfe erhalten».

Noch weiter geht Jürg Grossen, Chef der Grünliberalen: Er verlangt nichts weniger als eine Reform des umstrittenen Status der vorläufigen Aufnahme und des Schutzstatus S der Ukrainer. «Jeder, der in der Schweiz lebt, muss die Mittel erhalten, um ein menschenwürdiges Leben führen zu können. Wir dürfen nicht bei den verletzlichsten Menschen knausrig sein und sie noch zusätzlich herunterdrücken», sagt Grossen  Deshalb sei der Status der vorläufig Aufgenommenen «grundsätzlich» zu überarbeiten. «Diese Menschen brauchen eine klare Perspektive.» Gemeint ist nicht nur mehr Unterstützung, sondern auch ein einfacherer Zugang zum Arbeitsmarkt.
(https://www.tagesanzeiger.ch/im-aargau-darf-ein-mittagessen-nur-2-65-franken-kosten-937649563735)
-> https://tv.telezueri.ch/zuerinews/erhalten-ukrainefluechtlinge-in-der-schweiz-zu-wenig-geld-146120968
-> https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/ukraine-krieg-so-viel-finanzielle-unterstuetzung-erhalten-fluechtende-aus-der-ukraine-im-kanton-aargau-ld.2274852



Sonntagszeitung 10.04.2022

Altersheim und Feuerwehrwache: Geflüchtete kommen in leer stehenden Wohnungen unter

Um Ukrainerinnen und Ukrainern Unterkünfte zu bieten, wird nun auch Leerstand genutzt. Doch nicht alle Immobilieneigentümer sind bereit, auf Mieten zu verzichten.

Maren Meyer

Die leer stehenden Wohnungen oberhalb der ehemaligen Feuerwehrwache in Zumikon ZH erhalten einen neuen Zweck: In die sechs 140 Quadratmeter grossen Wohnungen ziehen geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer ein. Auch in Zürich wird Leerstand sinnvoll genutzt und bald auch in Küsnacht ZH, wie Projekt Interim auf Anfrage mitteilt. Das Unternehmen ist auf die Vermittlung leer stehender Immobilien auf Zeit spezialisiert.

«Wir arbeiten mit Flüchtlingsorganisationen und den Gemeinden zusammen, um die Unterbringung der Geflüchteten zu ermöglichen», sagt Sprecher Simon Günthard. Um die derzeit über 26’000 Geflüchteten in der Schweiz unterzubringen, wird Wohnraum benötigt. Neben den Asylzentren bieten bisher schweizweit Hotels oder Privatpersonen Zimmer und Wohnungen an.

Jetzt wird auch der Leerstand genutzt. In Küsnacht sollen bald geflüchtete Familien und Einzelpersonen in ein ehemaliges Altersheim einziehen. «Wir stehen noch im Gespräch mit der Gemeinde, denn das Gebäude ist sehr gross. Wir planen eine Mischnutzung mit Geflüchteten und Studenten», sagt Günthard. Auch Büroflächen seien im Gespräch. Doch sei die Umnutzung von Gewerbe- in Wohnzonen hier ein Problem und dauere viel zu lange.

Grundsätzlich erhält Projekt Interim, wie auch andere Zwischennutzungsanbieter, den Auftrag von den Immobilienbesitzern, Mieterinnen und Mieter auf Zeit zu finden. Diese wollen den Leerstand vor einer Renovation oder eines Abrisses überbrücken. Oft wird für die Dauer nur ein kleiner Mietzins verlangt. Aktuell würden Gemeinden und Immobilienbesitzer Kompromisse für die Mietregelungen finden. Projekt Interim verzichtet auf seinen Vermittlungsanteil.

Das Unternehmen Novac Solutions, das sich ebenfalls um Zwischennutzungen kümmert, steht im Austausch mit den Kantonen und Gemeinden. Ziel ist es, Wohnungen, Hallen oder Büros zu finden, die dann registrierten Geflüchteten zugewiesen würden.

Verantwortlichkeiten sind unklar

Etwas schwieriger gestaltet sich die Umsetzung beim Unternehmen Intermezzo. Bisher sei eine Vermittlung noch nicht zustande gekommen. Problematisch seien die oft kurzfristige Mietdauer der Objekte und die Frage, wer die Menschen während ihres Aufenthalts betreue. «Bisher hat der Austausch mit den Behörden keine Klärung gebracht», sagt Geschäftsführer Gabriel Jundt.

Zudem brauche es die Zustimmung des Eigentümers, um Geflüchtete in den leer stehenden Wohnungen unterbringen zu können. Da die Flüchtlinge vorerst finanziell nicht durch die reguläre Sozialhilfe unterstützt werden, müssten die Immobilienbesitzer auf Mieteinnahmen verzichten und sich persönlich um die Angelegenheiten kümmern. Insbesondere für institutionelle Hauseigentümer sei das keine Option. «Wir beobachten die Entwicklung, vielleicht ergibt sich in Zukunft eine Möglichkeit», sagt Jundt.

Bei den Wohnungen, die Projekt Interim vermittelt, gibt es noch einen kleinen Haken: Sie sind nicht möbliert. Die Flüchtlingsorganisationen sind auf Sachspenden angewiesen. In Zumikon habe das sehr gut geklappt, erzählt Günthard. Die Bevölkerung habe Betten und Schränke aus ihren Kellern geholt, um die Wohnungen einzurichten.
(https://www.tagesanzeiger.ch/gefluechtete-kommen-in-leer-stehenden-wohnungen-unter-546076606873)



NZZ am Sonntag 10.04.2022

Schaffen sie das?

Für die Geflüchteten aus der Ukraine Platz zu finden, wird immer schwieriger. An der Front wachsen die Zweifel.

Mirko Plüss, Ladina Triaca

Wohin mit all den Geflüchteten? Seit gut einem Monat suchen Bund und Kantone nach freien Betten – intensiv und zunehmend optimistisch. «Die Lage hat sich etwas verbessert», sagte David Keller, der Leiter des Krisenstabs, diese Woche vor den Medien. Der Bund habe seine Reserve an Betten von 900 auf 2500 aufgestockt. «Das lässt mich wieder ein bisschen ruhiger schlafen.» Auch Gaby Szöllösy von der Konferenz der kantonalen Sozialdirektoren wies darauf hin, dass die Kantone noch genügend freie Plätze hätten – etwas über 5000 – und rasch ausbauen könnten. Hinzu kämen 36 000 Betten in Hotels und Gruppenunterkünften sowie 450 leere Wohnungen. Das lasse sie – wie ihren Kollegen beim Bund – wieder ruhiger schlafen.

Und an der Front? Wie ruhig schläft man da? Anruf in der Stadt Bern bei Alexander Ott, dem Leiter der Ukraine-Task-Force. Wie viele freie Plätze haben Sie noch? «Keine.» Im Ernst? «Die Lage ist tatsächlich prekär.» Am Freitagmorgen steht Ott an einem Stehtisch in seinem Büro, vor sich einen Espresso. Im Raum nebenan geben Frauen aus der Ukraine ihre Daten ab. Rund 100 erreichen täglich die Stadt Bern. Den genauen Überblick – wie viele hier leben und wo noch freie Betten stehen – hat Ott nicht. Was er weiss: In der Zivilschutzanlage beim Berner Eishockeystadion übernachten im Moment rund 370 Menschen. Unterirdisch, ohne Fenster. «Es ist nicht angenehm, in einer Zivilschutzanlage zu wohnen», sagt Ott. Deshalb sollen die Menschen höchstens zwei bis drei Nächte hier verbringen. Doch im Moment werden aus drei manchmal vier oder fünf Nächte. «Das zeigt, dass der Abfluss – also die Weiterverteilung an Private und andere Unterkünfte – stockt», sagt Ott.

Zur gleichen Zeit in Neftenbach bei Winterthur. Urs Wuffli, Asylchef, geht durchs Dorf und sucht die Geflüchteten. «26 kenne ich mit Namen», sagt er. «Von weiteren 15 weiss ich, dass sie definitiv irgendwo sind, aber uns fehlen noch ihre Daten.» Das wären 41 Geflüchtete – viele für ein Dorf mit 5800 Einwohnern. Doch es könnten auch weitaus mehr sein. Urs Wuffli hat von mehreren privat Untergebrachten gehört, die sich nicht beim Bund registrieren liessen. Und dann gibt es noch die Freikirche im Dorf, die ohne Absprache mit der Gemeinde 25 Betten parat gemacht hat. «Diese Betten beginnen sich jetzt zu füllen, ohne dass diese Menschen uns vom Kanton zugewiesen worden wären», sagt Wuffli. Der FDP-Gemeinderat erlebt bereits seine zweite Migrationskrise. Wuffli wurde im Flüchtlingsjahr 2016 als Protagonist einer SRF-Dok-Sendung bekannt. Die Kameras filmten ihn mit Geflüchteten beim Fussballtraining und am Stammtisch mit der Dorfbevölkerung. Gross waren Wufflis Anstrengungen schon damals, doch was sich 2016 über Monate hinweg entwickelte, passiert jetzt in kürzester Zeit. Seine Mitarbeiter erhöhen ihre Pensen und machen Überstunden – beispielsweise um bei Ikea Möbel für die Geflüchteten einzukaufen. Schaffen wir das, Herr Wuffli? «Wir tun unser Bestes, aber vielleicht reicht das diesmal nicht.»

Die neuesten Zahlen des Bundes verdeutlichen das horrende Tempo, mit dem die ukrainischen Geflüchteten die Schweizer Notunterkünfte füllen. 26 717 Geflüchtete hat der Bund seit Ausbruch des Krieges vor sechs Wochen registriert. Das sind fast doppelt so viele Menschen, wie im letzten Jahr ein Asylgesuch stellten. Und die Behörden rechnen damit, dass pro Monat weiterhin 15 000 bis 30 000 Menschen kommen werden.

Angesichts dieser Szenarien wird die Hektik hinter den Kulissen grösser. Mehrere Regierungsräte bestätigen, dass die Kantone bereits jetzt mit konkreten Notfallplänen arbeiten. Wenn weiterhin jeden Tag 500 bis 1000 Personen ins Land kommen, dann reichen die Ressourcen bald nicht mehr, heisst es unisono. Die Neuankömmlinge sollen dann kollektiv in Turnhallen, Industriegebäuden oder in leerstehenden Etagen von Hotels, Pflegeheimen und Spitälern untergebracht werden. Auch Zivilschutzanlagen oder mobile Wohneinheiten werden geprüft.

Turnhallen sind heilig

In Neftenbach sah man sich bereits nach Wohnwagen und Wohncontainern um – doch die sind alle schon weg. Viele Gemeinden haben derzeit offenbar dieselben Ideen. «Man könnte die Geflüchteten auch in Häusern unterbringen, die abgerissen werden sollen», sagt Asylchef Urs Wuffli. «Oder man baut Notunterkünfte – ohne Möglichkeit zum Rekurs. Dies alles aber mit der Gefahr, dass in der Bevölkerung irgendwann die Stimmung kippt.» Zwischen Dorfkirche und Riegelhäusern zeigt Wuffli auf Wohnblöcke: «Der Druck im Tiefpreissegment ist heute schon sehr hoch. Es hat praktisch keinen Platz mehr.» Könnte die Gemeinde ihre grosse Turnhalle für Geflüchtete öffnen? «Wir sind ein Vereinsdorf, das wäre politischer Selbstmord.»

In Bern ist der Notfall schon Realität. Damit die Menschen nicht länger in der unterirdischen Zivilschutzanlage ausharren müssen, wird seit Freitag auf dem Viererfeld – einer Grünfläche im Norden der Stadt – ein Containerdorf gebaut. 1000 Menschen sollen hier jeweils für einige Tage unterkommen, bevor sie auf die Gemeinden weiterverteilt werden. «Ein solches Containerdorf hat es in der Schweiz noch nie gegeben», sagt Alexander Ott von der Stadt Bern. Im Moment kaufen die Behörden Betten und Tische für die Innenausstattung. Nach Ostern sollen die ersten Menschen einziehen. Im Moment rechne man mit zweistöckigen Containern, sagt Ott. «Doch wir könnten auch auf drei Stöcke erhöhen, damit wir noch mehr Platz haben.» Das neue Dorf dürften vor allem die Anwohnerinnen und Anwohner des nahe gelegenen Länggassquartiers zu spüren bekommen. Sie wurden erst vor wenigen Tagen informiert – und vor vollendete Tatsachen gestellt. Man sei zuversichtlich, dass die Bevölkerung Verständnis zeige, hiess es vonseiten der Stadt. Alexander Ott sagt: «Jetzt zählen Taten statt Worte.»

Der Warteraum füllt sich

Die Behörden sind auf die einheimische Bevölkerung angewiesen. Auch bei der Unterbringung der Geflüchteten. Bisher haben sich gut 30 000 Gastfamilien bei der Schweizerischen Flüchtlingshilfe gemeldet, um jemanden bei sich zu Hause aufzunehmen. Vermittelt werden die Geflüchteten in den sechs Bundesasylzentren. Eines davon befindet sich im alten Zieglerspital in Bern. Am Freitagnachmittag stehen vor dem Gebäude mehrere Autos mit ukrainischen Nummernschildern. Drinnen warten Frauen und Kinder auf Stühlen vor dem ehemaligen Operationssaal. Hier hat die Heilsarmee gemeinsam mit der Caritas Tische und Telefone für die Vermittlungsgespräche aufgebaut. Manchmal laufe die Zuteilung auf die Gastfamilien gut, sagt Michel Sterckx von der Heilsarmee, dann feiere man eine regelrechte «Party». Manchmal hingegen suche er stundenlang nach einer passenden Familie. «Das ist dann ein Frust.» Trotzdem hält er Gastfamilien für das weitaus menschenwürdigere Modell als Zivilschutzanlagen oder Containerdörfer.

Fakt ist aber auch, dass die Vermittlung an Gastfamilien deutlich mehr Zeit in Anspruch nimmt. Sterckx und seine Kollegen vermitteln pro Tag im Schnitt 50 Menschen. Das sind wenige, angesichts der Tausenden, die warten. Er sagt: «Wenn ich sehe, dass der Warteraum voll ist, steigt der Druck auch bei mir.» Es habe schon Tage gegeben, an denen er seinen Mitarbeitern gesagt habe, sie sollten die Suche einstellen – und auf einen Plan B ausweichen. Das heisst in der Regel: Die Geflüchteten werden zurück an den Bund geschickt. Und von da weiter in die Kantone.



Ankommende brauchen Platz
26 717 – Die Zahl der in der Schweiz registrierten Geflüchteten steigt täglich an.
41 — So viele Geflüchtete zählt Neftenbach, doch ganz sicher ist man sich nicht.
1000 – So viele Menschen sollen in einem neuartigen Containerdorf in der Stadt Bern Platz finden.



Diskussion um Verteilschlüssel

Genf will sich freikaufen

Viele Geflüchtete lassen sich in den Städten nieder. Entsprechend sind urbane Kantone wie Bern, Zürich oder Basel überproportional vom Zustrom betroffen. Der Basler Regierungsrat Kaspar Sutter meint, man müsse so rasch wie möglich zu einer ausgewogenen Verteilung zurückkehren, wie sie der interkantonale Verteilschlüssel vorsieht. Gar einen Systemwechsel fordert der Genfer Staatsrat Mauro Poggia: «Sollte die Flüchtlingskrise andauern, fordert der Kanton Genf eine Anpassung des Verteilschlüssels.» Konkret solle für den Schlüssel künftig nicht nur die Bevölkerungszahl, sondern auch die Kantonsgrösse und die Bevölkerungsdichte beigezogen werden. Genf wolle sich damit nicht aus der Verantwortung stehlen. «Wir sind weiterhin bereit, für die uns zugeteilten Flüchtlinge finanziell aufzukommen», sagt Poggia. «Unser Vorschlag wäre aber, dass sie in einem anderen Kanton untergebracht werden. Ich denke da etwa an wenig dicht besiedelte Deutschschweizer Landkantone.» aku./mpl.
(https://magazin.nzz.ch/nzz-am-sonntag/schweiz/einwanderung-schaffen-sie-das-ld.1678899)



Ukraine Krieg: Geflüchtete wachen noch immer um 5 Uhr auf
Menschen, die vor dem Ukraine-Krieg in die Schweiz flüchten konnten, sind zwar in Sicherheit. Doch in Gedanken bleiben sie in ihrem Heimatland.
https://www.nau.ch/news/schweiz/ukraine-krieg-gefluchtete-wachen-noch-immer-um-5-uhr-auf-66143943


Ukraine-Krieg: Flüchtende Kinder lernen auch stundenlang digital
Der Ukraine-Krieg hat tausende Kinder aus ihrem Alltag und aus ihren Schulen gerissen. Geflüchtete, wie die Töchter von Vitaly, können digital weiterlernen.
https://www.nau.ch/news/schweiz/ukraine-krieg-fluchtende-kinder-lernen-auch-stundenlang-digital-66147385


Küsnacht zeigt sich grosszügig: An der noblen Goldküste haben Ukraine-Flüchtlinge Seesicht
Die reichen Goldküsten-Gemeinden Küsnacht und Zumikon zeigen sich besonders grosszügig, was die Unterbringung von Ukraine-Flüchtlingen angeht. Sie bieten Zimmer mit Sicht auf den See oder 140 Quadratmeter grosse Wohnungen an.
https://www.blick.ch/wirtschaft/kuesnacht-zeigt-sich-grosszuegig-an-der-noblen-goldkueste-haben-ukraine-fluechtlinge-seesicht-id17394874.html


+++MITTELMEER
Deutsche Seenotretter bargen mehr als 200 Menschen aus dem Mittelmeer
Dutzende Menschen konnten allerdings nicht mehr gerettet werden und sind ertrunken. Unterdessen konnte ein Rettungsschiff der Ärzte ohne Grenzen nach zwei Wochen in einem Hafen anlegen
https://www.derstandard.at/story/2000134820256/deutsche-seenotretter-bargen-mehr-als-200-menschen-aus-dem-mittelmeer?ref=rss


+++GASSE
derbund.ch 10.04.2022

Verdächtiger angehalten – Messerstecherei mitten in Bümpliz: Ging es um Drogen?

Am Freitagabend ist ein 20-Jähriger bei einem Streit an einer Bümplizer Bushaltestelle erstochen worden. Der Tatort soll ein Treffpunkt von Alkohol- und Drogensüchtigen sein.

jsp/sih/ske/pd

Die blutigen Szenen spielen sich mitten in einem Wohnquartier ab: Am Freitagabend kurz nach 21.50 Uhr kommt es an der Bushaltestelle Statthalterstrasse in Bümpliz zu einem folgenschweren Streit zwischen zwei jungen Männern. Einer der beiden verletzt den anderen schwer, flüchtet daraufhin.

Passanten leisten dem Schwerverletzten erste Hilfe, alarmieren die Einsatzkräfte, die kurz darauf vor Ort eintreffen und den Mann medizinisch versorgen. Die Hilfe kommt zu spät. Im Spital erliegt der Mann kurze Zeit später seinen Verletzungen.

Ein Drogen-Hotspot?

Am Samstagabend ist von der Tragödie, die sich hier knapp 24 Stunden zuvor abgespielt hat, nichts mehr zu sehen. Es ist ruhig. Nur das Glas-Geschepper von Flaschen ist zu hören, die zur Entsorgungsstelle an der Statthalterstrasse gebracht werden. «Jetzt kommt niemand mehr her, jetzt haben sie Angst, weil einer aus der Szene fehlt», sagt ein Anwohner.

Aus der Szene? Mehrere Personen vor Ort berichten einem Reporter dieser Zeitung gegenüber, dass es sich beim Platz hinter der Bushaltestelle (Linie 32 nach Riedbach-BH) und der Tramhaltestelle (Linie 7 Richtung Saali) um einen Treffpunkt von Alkohol- und Drogenabhängigen handele. Auch beim tödlichen Streit am Freitagabend soll es um Geld und Drogen gegangen sein, behaupten drei junge Männer. Von einer Messerstecherei ist die Rede.

Verdächtiger ist ein 18-Jähriger

Am Sonntag bestätigt dies die Polizei. Das Opfer sei durch Stichverletzungen gestorben, schreibt sie. Es handelt sich um einen 20-jährigen Somalier aus dem Kanton Bern. Den mutmasslichen Täter, der nach dem Streit von der Bushaltestelle geflohen war, konnte die Polizei in der Nacht auf Samstag anhalten. Nach den ersten Befragungen und Auswertungen von Hinweisen erhärtet sich der Tatverdacht gegen ihn. Es handelt sich um einen 18-jährigen Somalier. Er befindet sich in Haft.

Ob es sich beim Platz hinter dem Tatort tatsächlich um einen berüchtigten Ort handelt, dazu konnte die Kantonspolizei am Sonntag keine Angaben machen. Die Quartierkommission Bümpliz-Bethlehem spricht im Zusammenhang mit dem Perimeter nicht von einem Hotspot. «Der Ort wäre mir nicht als Drogenumschlagplatz bekannt», sagt Geschäftsführerin Rachel Picard auf Anfrage dieser Zeitung.

In der Vergangenheit sei der Platz auch nicht wegen erhöhter Lärmbelastung oder wegen gewalttätiger Auseinandersetzungen aufgefallen. Beschwerden habe die Quartierkommission einzig wegen des Litterings bei der dortigen Entsorgungsstelle erhalten.
(https://www.derbund.ch/mann-stirbt-nach-streit-an-buemplizer-bushaltestelle-251348737364)
-> https://www.police.be.ch/de/start/themen/news/medienmitteilungen.html?newsID=5e54457e-fa43-49e0-919d-952653ad0100
-> https://www.telebaern.tv/telebaern-news/buempliz-streit-zwischen-zwei-personen-endet-toedlich-146110396



Sie fallen nicht auf – Obdachlose in Zug: Sie sind unsichtbar – und doch da
Sie stehen am Rand unserer Gesellschaft und sind gerade im kleinen, reichen Zug noch unsichtbarer als sonst: armuts- und suchtbetroffene Menschen. zentralplus hat Gassenarbeiter Walter Frei auf seiner Tour begleitet und erfahren, wieso Obdachlose oft nicht auffallen.
https://www.zentralplus.ch/gesellschaft/obdachlose-in-zug-sie-sind-unsichtbar-und-doch-da-2334467/


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Das höchste Gut: Die Zeit
Weniger arbeiten, weniger konsumieren und so den Planeten retten: Das haben Hunderte Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Aktionstag von «Strike for Future» vom Samstag an Demonstrationen in über 25 Orten im ganzen Land propagiert.
https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/198740/


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
«Täter wollt Geld von mir»: Impf-Chef Berger spricht über seine Entführung
Über eine Stunde lang wird Impf-Chef Christoph Berger von Kevin W. festgehalten. Nun hat er sich erstmalsdazu geäussert.
https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/taeter-wollt-geld-von-mir-impf-chef-berger-spricht-ueber-seine-entfuehrung-id17395224.html
-> https://www.watson.ch/schweiz/coronavirus/485228559-schweiz-berger-nimmt-erstmals-stellung-zu-seiner-entfuehrung
-> https://www.20min.ch/story/der-taeter-hatte-mich-eine-stunde-in-seiner-gewalt-851063153750
-> https://www.20min.ch/story/welche-rolle-spielt-geschaeftspartner-von-b-v-beim-entfuehrungsdrama-123762324184
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/fall-wallisellen-entfuehrter-impfchef-meldet-sich-zu-wort?id=12175431
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/mysterioeser-entfuehrungsfall-christoph-berger-gibt-sich-als-entfuehrungsopfer-zu-erkennen
-> https://www.derstandard.at/story/2000134824863/entfuehrter-schweizer-impf-chef-taeter-wollte-geld?ref=rss
-> https://tv.telezueri.ch/zuerinews/entfuehrer-des-impfchefs-christoph-berger-habe-nur-finanzielle-interessen-gehabt-146120961
-> https://www.toponline.ch/news/schweiz/detail/news/entfuehrter-impf-chef-berger-meldet-sich-zu-wort-taeter-wollte-geld-00180733/
-> https://www.tele1.ch/nachrichten/impfchef-christoph-berger-nimmt-stellung-zu-entfuehrung-146120944



tagblatt..ch 10.04.2022

Impf-Präsident Christoph Berger über seine Entführung: «Der Täter wollte Geld. Er hatte mich eine Stunde lang in seiner Gewalt»

Beim Prominenten, der im Fall Wallisellen das Entführungsopfer war, handelt es sich um Christoph Berger. Er schildert nun die Vorgänge der Entführung. Wie schon am Samstag von CH Media berichtet, hat Berger den Eindruck, die Entführung stehe nicht mit seinem Amt bei der Impf-Kommission im Zusammenhang. Dem Täter ging es um Geld.

Patrik Müller und Peter Walthard

Christoph Berger, Kinderarzt am Kinderspital Zürich und Präsident der Impf-Kommission, hat sich am Sonntag Nachmittag mit einer persönlichen Stellungnahme an die Medien gewandt. Darin schreibt er:
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«Ich bin letzte Woche Opfer der Entführung im Kanton Zürich geworden, über die in verschiedenen Medien berichtet wurde. Das Medium, das meinen Namen als Opfer der genannten Straftat publiziert hat (Tamedia, Anm. der Red.), brachte diese Straftat mit meiner Rolle als Präsident der Impfkommission in Verbindung. Dieses Narrativ widerspricht meinem persönlichen Erleben während der Entführung. Gleichzeitig sind mir die grossen emotionalen und gesellschaftlichen Spannungen bewusst, die Impffragen in den letzten beiden Jahren erhalten haben.

Gerne mache ich Ihnen einige Angaben zum Tatablauf. Auf Anraten von Polizei und Staatsanwaltschaft lasse ich dabei bestimmte Details weg, auch wenn diese für Sie vielleicht interessant sein könnten.

Der mir bis dahin unbekannte Täter hatte mich eine gute Stunde in seiner Gewalt. Er hat mich in dieser Zeit mit der Forderung eines substanziellen Geldbetrags konfrontiert. Diese Forderung hat er mit Drohungen verknüpft, was passieren könnte, wenn ich der Forderung nicht innert der von ihm genannten Frist nachkäme.

Es standen also einzig wirtschaftliche Interessen des Täters im Vordergrund. Bezüge zu meiner Rolle als Präsident der Impfkommission machte der Täter dabei nicht. Nachdem ich dem Täter die Erfüllung seiner Forderung zugesichert hatte, liess er mich wieder frei. Ich habe mich danach sofort mit der Kantonspolizei in Verbindung gesetzt, die mich und meine verängstigte Familie seither sehr gut betreut. Der Schutz meiner Familie stand in dieser Phase und selbstverständlich auch jetzt noch für mich an erster Stelle.

Über diese Angaben hinaus werde ich mich zu diesem Vorfall mindestens bis zum Abschluss der Strafuntersuchung nur gegenüber den Strafverfolgungsbehörden äussern. Medienschaffenden gebe ich auch dann keine Auskünfte zum Vorfall, wenn ich ihnen im privaten Kontext oder bei Ausübung meiner beruflichen Funktion begegne.

In diesem Sinne bitte ich Sie, meine und die Privatsphäre meiner Familie zu respektieren. Damit verbunden ist auch die Hoffnung, dass Sie in Ihrer Berichterstattung weiterhin meinen Namen und mein Bild nicht oder nur mit grosser Zurückhaltung verwenden, auch ohne, dass ich dafür die Gerichte bemühen müsste. Ihre Reaktion auf den Erlass der superprovisorischen Verfügung gegenüber dem erstberichtenden Medium bestärkt mich in dieser Hoffnung.»
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CH Media hatte bislang freiwillig auf die Namensnennung verzichtet, anders als z.B. die NZZ und diverse Newsportale. Weil der Name aber dadurch bekannt war, nennen wir ihn nun ebenfalls.

Entführer bei Schusswechsel getötet

Christoph Berger war am Abend des 31. März entführt und mit einer Waffe bedroht worden. Nach einigen Stunden wurde er vom Verdächtigen unverletzt freigelassen. Die Polizei fahndete in der Folge nach dem mutmasslichen Entführer. Am letzten Mittwoch sollte in Wallisellen die Verhaftung stattfinden.

Da der Mann aber eine Schusswaffe zog, kam es zu einem Schusswechsel mit der Polizei. Am Ende waren der 38-jährige Deutsche und seine Begleiterin, eine 28-jährige Schweizerin tot. Nach einer ersten Untersuchung gab die Polizei am Freitag bekannt, dass sie durch einen Schuss ihres Begleiters gestorben war.

Am selben Tag veröffentlichten die Tamedia-Zeitungen eine Recherche, wonach es sich bei dem Entführten um Impfchef Christoph Berger gehandelt habe. Dieser war als Präsident der eidgenössischen Kommission für Impffragen während der Pandemie stark im Rampenlicht gestanden.

Mutmasslicher Täter nahm an Corona-Demos teil

Die Tamedia-Berichterstattung zeichnete den erschossenen mutmasslichen Täter ausserdem als Waffennarren und Coronaskeptiker, der an der Pistole trainiert haben soll. Ein Geschäftspartner des Mannes soll an Demonstrationen gegen die Coronamassnahmen beteiligt gewesen sein und über Verbindungen in das Milieu der sogenannten «Flat Earther» verfügen.

Dass es sich bei dem Entführten um Christoph Berger handelte, wurde in der Folge von zahlreichen Medien aufgenommen. Die Verbreitung des Namens wurde jedoch gleichentags durch eine gerichtliche Verfügung untersagt, die entsprechenden Publikationen mussten vom Netz genommen oder angepasst werden.
(https://www.tagblatt.ch/news-service/inland-schweiz/fall-wallisellen-impf-praesident-christoph-berger-ueber-seine-entfuehrung-der-taeter-wollte-geld-er-hatte-mich-eine-stunde-lang-in-seiner-gewalt-ld.2274883)



Schüsse bei Verhaftung in Wallisellen: Welche Rolle spielt Geschäftspartner von B.V. beim Entführungsdrama?
T.W. ist der Geschäftspartner des bei einer Verhaftung in Wallisellen erschossenen 38-jährigen Mannes. Seit Tagen haben Familienangehörige nichts mehr vom 34-Jährigen gehört.
https://www.20min.ch/story/welche-rolle-spielt-geschaeftspartner-von-b-v-beim-entfuehrungsdrama-123762324184


Zwei Tote nach Entführung von Bundes-Experte: Verhafteter marschierte an Corona-Demo
Nach der gewalttätigen Entführung eines national bekannten Bundes-Experten hat die Polizei einen 34-jährigen Mann festgenommen. Recherchen zeigen: Er war aktiver Teil der Corona-Bewegung.
https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/zwei-tote-nach-entfuehrung-von-bundes-experte-verhafteter-marschierte-an-corona-demo-id17393716.html
-> https://www.vice.com/de/article/8xzp73/wir-haben-einen-flat-earther-gefragt-warum-verschworungstheorien-ihn-uberzeugen



Sonntagszeitung 10.04.2022

Entführung bekannter Person: «Ihr werdet gerichtet werden! Game Over!»

Drohungen und Beschimpfungen gegen Politiker und Beamte haben in der Pandemie ein neues Ausmass erreicht. Für Betroffene ist der Fall von Wallisellen ein Auswuchs des Hasses im Internet.

Roland Gamp, Denis von Burg

Er sei «eine Fehlbesetzung». Ein «Verbrecher». Ein «Lügner». Und das sind noch die harmloseren Beiträge.

Im Internet finden sich auch direkte Drohungen. «Eines kann ich versichern, dieser (…) steht auf der schwarzen Liste ganz oben», schreibt ein User. «Die Zeit wird kommen…»

Die Hassbotschaften aus dem Netz betreffen eine national bekannte Person. Ihren Namen darf die Redaktion aufgrund einer gerichtlichen Anordnung nicht nennen.

Sicher ist, dass es nicht bei blossen Worten blieb. Am Abend des 31. März 2022 schritt ein 38-Jähriger zur Tat. Er entführte die Person und bedrohte sie laut Polizei mit Schusswaffen. Erst in der Nacht liess der Täter sein Opfer gehen.

Laut Recherchen des «Tages-Anzeiger» handelt es sich beim Entführer um einen deutschen Staatsangehörigen mit Verbindungen zur Szene der Corona-Skeptiker. Er verstarb bei einem Schusswechsel mit der Polizei, als ihn diese letzten Mittwoch in der Zürcher Agglomerationsgemeinde Wallisellen verhaften wollte. Und riss dabei seine 28-jährige Begleiterin in den Tod, indem er sie mit einer Kugel traf.

«Die Vorgänge im Zusammenhang mit der Entführung sowie das genaue Motiv» sind laut einem Communiqué der Zürcher Staatsanwaltschaft noch unklar. Zwei Tote und ein Entführungsopfer, so die traurige Bilanz.

Der Fall erschüttert Personen, die öffentlich im Fokus stehen. Politiker, aber auch Beamte, die Hassbotschaften gewohnt sind. «Aber dass es in der Realität so ausartet, ist beängstigend», sagt zum Beispiel Christian Wasserfallen. Der FDP-Nationalrat geht offen mit Drohungen gegen seine Person um, veröffentlicht sie gleich selbst auf seiner Website. «Sie sind eine Ekel erregende Volks spaltender Bastard und passend zur Schlangenbrut der hoch korrupten FDP Satane», so der letzte Beitrag. «Ihr werdet gerichtet werden! Game Over!»

Laut Wasserfallen haben Beschimpfungen und Drohungen in der Pandemie deutlich zugenommen. «Kulminationspunkt war sicher die Abstimmung zum Covid-Gesetz, wo die Emotionen bei sehr vielen Menschen hochgekocht sind.»

Bundesamt für Polizei warnt vor realer Gefahr

Aktuelle Zahlen des Bundesamt für Polizei (Fedpol) bestätigen den Trend. Dieses ist dafür zuständig, Mitglieder des Bundesrats, des Parlaments, Magistratspersonen und Angestellte der Bundesverwaltung zu schützen. Vor Corona, im Jahr 2019, waren erst 246 Meldungen wegen Drohungen eingegangen. Im letzten Jahr bereits 1215, wie es auf Anfrage heisst. Die Qualität der Meldungen sei besorgniserregend. «Mit der Pandemie scheint die Hemmschwelle für Drohungen und Beschimpfungen gegen exponierte Personen, insbesondere aus der Politik, noch einmal gesunken zu sein», sagt Fedpol-Sprecher Florian Näf. «Im Internet multipliziert und verbreitet sich Hass enorm schnell. Die Gefahr, dass sich gewaltbereite Personen inspirieren lassen und zur Tat schreiten, ist real.»

Ein Zusammenhang, der auch im aktuellen Fall denkbar ist. «Was hier passiert ist, geht am Ende auf die Kappe aller Hetzer, die in den letzten beiden Jahren in scharfer Tonlage zu Körperverletzung und noch mehr aufgerufen haben», sagt Nationalrat Lorenz Hess (Die Mitte). «Diese Leute schreiten zwar nicht selber zur Tat. Aber sie heizen die Stimmung bewusst an und schaffen mit ihrem Hass eine Stimmung, in der dann irgendwann jemand zur Tat schreitet.»

Hess ist Mitglied der parlamentarischen Gesundheitskommission, er trug die allermeisten Corona-Entscheide des Bundesrats mit, auch öffentlich. «Das reicht bereits, um auf die Zielscheibe zu kommen.» Als der Nationalrat von den Medien als «Vater des Covid-Zertifikats» betitelt wurde, habe er extrem viele Hassbotschaften erhalten. «Das waren nicht mehr nur Skeptiker, Besserwisser oder ewige Bekehrer. Sondern massive schriftliche Attacken, verbunden mit konkreten Drohungen.» So erfuhr Hess von einem Aufruf, ihn «kaltzumachen». Diesen habe er der Bundespolizei gemeldet.

Auch SP-Präsident Cédric Wermuth gehört zu jenen exponierten Politikern, die in der Covid-Krise per Post, in Hassmails und auf Social Media massiv bedroht wurden. Er habe ernsthafte Drohungen konsequent angezeigt. Das habe offenbar gewirkt. Es habe jedenfalls nie eine zweite Drohung von der gleichen Person gegeben, sagt Wermuth. Trotzdem hatte der SP-Präsident vorübergehend verstärkten Polizeischutz.

Die Situation habe sich seit der zweiten Covid-Gesetz-Abstimmung nun zahlenmässig entspannt. Es gebe viel weniger Angriffe, und diese fänden vor allem auf Social Media statt. Gleichzeitig seien die verbalen Angriffe teilweise aber sogar noch etwas aggressiver geworden. Wermuth: «Die militante Anti-Covid-Bewegung ist klar kleiner geworden, einige haben sich aber noch einmal radikalisiert.»

«Man wird zum Gesicht, zum Symbol für etwas»

Vergangene Woche ist die neue Kriminalstatistik des Bundes erschienen. Sie zeigt bei verschiedenen Delikten einen Höchstwert während der Pandemie. 1610 Personen wurden im letzten Jahr wegen übler Nachrede angezeigt. Zehn Jahre zuvor waren es 774. Die Zahl der Beschuldigten wegen Beschimpfung hat sich fast verdoppelt und liegt nun bei über 10’000 pro Jahr. Auch Anzeigen wegen «Gewalt und Drohung gegen Beamte» erreichten in der Pandemie einen neuen Rekordwert.

Wobei sich die Aggressivität nicht nur gegen Politiker richtet. Sondern zu Zeiten von Corona auch gegen Gesundheitsbeamte, Wissenschaftlerinnen oder Ärzte. Professorin Tanja Stadler, ehemalige Leiterin der Covid-19-Taskforce des Bundes, gab vor einem Monat in einem Interview Auskunft. Welche Momente für sie am schwierigsten waren? «Ganz klar, wenn rote Linien überschritten wurden, zum Beispiel, wenn es um Drohungen ging.» Man habe ihr «sehr viele Dinge an den Hals gewünscht, die sehr persönlich waren», so Stadler. «Meist kamen die Drohungen per Mail, manchmal auch per Telefon auf der Combox.»

Rudolf Hauri äusserte sich als oberster Kantonsarzt in den letzten Monaten immer wieder pointiert. Er habe dafür Zustimmung erhalten, aber auch Ablehnung, böse Worte, Drohungen, sagt er im Gespräch. «Man wird zum Gesicht, zum Symbol für etwas. Und erhält deshalb bei jeder Äusserung auch Rückmeldungen.» Als sich der Kantonsarzt für die Maskentragpflicht einsetzte, habe jemand geschrieben, er werde ihm die Maske in den Hals stopfen. «Es gab ein paar happige Reaktionen. Die habe ich dem kantonalen Bedrohungsmanagement gemeldet.»

Hauri sagt, er habe sich dank der Polizei immer sicher gefühlt. Zum aktuellen Fall äussert er sich nicht. «Aber allgemein würde es mich nicht überraschen, wenn es einen Zusammenhang gibt zwischen dem Hass im Netz und dieser Eskalation in der Realität.»



Gericht untersagt Namensnennung

Diese Redaktion hat am Freitag, 8. April, eine exklusive Recherche zu einem Tötungsdelikt in Wallisellen sowie einer damit zusammenhängenden Entführung veröffentlicht. Kurz nach der Veröffentlichung wurde es den Tamedia-Zeitungen mittels einer superprovisorischen Verfügung durch das Bezirksgericht Zürich untersagt, Angaben zu der entführten Person zu machen. Diese Redaktion darf weder den Namen noch identifizierende Merkmale nennen. Der bereits veröffentlichte Bericht wurde umgehend von den Websites gelöscht und überarbeitet. Tamedia prüft eine Anfechtung der Verfügung. (red)
(https://www.tagesanzeiger.ch/ihr-werdet-gerichtet-werden-game-over-445523426787)
-> https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/entfuehrung-von-corona-experte-drohungen-gegen-politiker-und-beamte-haben-zugenommen-id17394767.html



NZZ am Sonntag 10.04.2022

Nervosität nach Entführung

Die Behörden reagieren auf die Entführung von Impfchef Christoph Berger. Schon länger werden Corona-Exponenten polizeilich bewacht.

Andrea Kučera, Mirko Plüss

Als Folge der Entführung von Christoph Berger, dem Präsidenten der Eidgenössischen Impfkommission, ist die Nervosität bei den Behörden gestiegen. Wie die «NZZ am Sonntag» erfahren hat, erhalten bekannte Schweizer Corona-Exponenten in diesen Tagen neue Verhaltensinstruktionen durch die Polizei. Ob konkrete Hinweise auf weitere drohende Straftaten vorliegen, ist indes nicht bekannt. Die für den Fall zuständige Kantonspolizei Zürich macht zum Fall keine Angaben.

Publik gemacht haben den Entführungsfall am Freitagabend die Tamedia-Zeitungen. Wegen einer superprovisorischen Verfügung des Bezirksgerichts Zürich mussten sie Bergers Namen allerdings nach kurzer Zeit wieder aus der Berichterstattung entfernen. Gegen die «NZZ am Sonntag» liegt keine solche Verfügung vor. Die Redaktion hat sich für die Nennung des Namens entschieden, weil nur so die politische Dimension des Falles verständlich wird.

Die Hintergründe der Entführung sind noch unklar. Bekannt ist, dass Berger am Donnerstag vor einer Woche von einem mutmasslichen Gegner der Corona-Massnahmen entführt wurde und nach wenigen Stunden wieder freikam. Der Entführer wurde bei einem späteren Polizeieinsatz in Wallisellen getötet. Christoph Berger selber äussert sich gegenüber den Medien nicht.

Heisse Phase im Herbst

Einer, der im Rahmen der Corona-Politik ebenfalls oft im Scheinwerferlicht steht, ist der oberste Kantonsarzt Rudolf Hauri. Er wurde von den Behörden direkt über den Entführungsfall informiert, wie er auf Anfrage sagt. Die Geschehnisse seien die Kulmination einer schon länger anhaltenden Bedrohung. «Beschimpfungen und auch sehr konkrete Gewaltdrohungen werden seit zwei Jahren an Corona-Exponenten wie hohe Bundesbeamte, Regierungsräte oder Task-Force-Mitglieder gerichtet», bestätigt Hauri.

Für die Betroffenen stehe ein engmaschiges Bedrohungsmanagement zur Verfügung, welches durch die Polizeibehörden koordiniert werde. Unter anderem würden einzelne exponierte Personen polizeilich überwacht. Um die polizeiliche Strategie nicht zu gefährden, macht Hauri keine detaillierteren Angaben.

Exponenten der Schweizer Corona-Politik zeigen sich auf Anfrage erschüttert über die Entführung. Albert Rösti, Präsident der Gesundheitskommission des Nationalrats, sagt: «Egal aus welchen Motiven – eine solche Gewalttat ist in aller Form zu verurteilen.» Dass es ausgerechnet den Präsidenten der Impfkommission getroffen habe, sei bezeichnend, sagt eine Person, die namentlich nicht genannt werden will. Denn die Impffrage habe in den letzten zwei Jahren neben der Maskenfrage wohl am meisten Hass gegenüber Politikern und Expertinnen ausgelöst: «Wenn man sich zur Covid-Impfung äusserte, dann war das Postfach danach voll mit aggressiven Drohungen.»

Die Bedrohungslage habe in den letzten zwei Jahren stark geschwankt, sagt die Person weiter. «Am heftigsten war es jeweils, wenn die Fallzahlen hoch und die Massnahmen streng waren.» Die «heissesten Phasen» seien der Herbst 2020 und die Phase rund um die Abstimmung über das Covid-Gesetz und das Impfzertifikat im Herbst 2021 gewesen: «Da gab es eine Vielzahl an sehr konkreten Drohungen.»

Dazu passt, dass der Walliser SP-Gesundheitsminister Mathias Reynard Morddrohungen erhalten hat, nachdem er sich im letzten Oktober am Westschweizer Fernsehen für ein Ja zum Covid-Gesetz ausgesprochen hatte. Bekannt ist weiter der Angriff auf Natalie Rickli: Bei der Einweihung eines Impfbusses in Gossau letzten Sommer übergoss ein Massnahmenkritiker die Zürcher SVP-Gesundheitsdirektorin mit Apfelschorle.

Wie der «Blick» publikmachte, schickte die Stadtpolizei Zürich am 27. August 2021 die Sondereinheit Skorpion an den Leutschenbach, um SP-Bundesrat Alain Berset während seines Auftritts in der Sendung «Arena» zu schützen. In die gleiche Zeit fällt auch die Warnung des Nachrichtendienstes des Bundes vor Anschlägen auf Impfzentren.

Bedrohungen nehmen zu

Die Pandemie hat in der Schweiz zu einer Verrohung der Sitten geführt. Wie aus einer Statistik des Bundesamtes für Polizei (Fedpol) hervorgeht, hat sich die Zahl der Bedrohungen von 246 im Jahr 2019 auf 1215 im Jahr 2021 verfünffacht. Auf Anfrage schreibt der Nachrichtendienst des Bundes, man stelle fest, dass ein Teil der Corona-Massnahmengegner Gewalttaten befürworte, fördere oder ausübe.
(https://magazin.nzz.ch/nzz-am-sonntag/schweiz/nervositaet-nach-entfuehrung-ld.1678917)



nzz.ch 10.04.2022

Es beginnt mit einer harmlosen Geschäftspartnerschaft und endet mit zwei Todesopfern. Der rätselhafte Entführungsfall Berger

Mehrere Stunden befindet sich der Schweizer Impfchef Christoph Berger in der Gewalt eines Entführers. Führt die Spur in die Szene der Verschwörungstheoretiker?

Florian Schoop, Giorgio Scherrer, Fabian Baumgartner, Forrest Rogers

Im Februar 2020 gründen zwei Männer eine Firma. Der eine ist ein Geschäftsmann mit Hang zu luxuriösem Lebensstil. Der andere tief in die Welt der Verschwörungstheorien abgetaucht. Mit ihrer Firma wollen sie der Menschheit etwas Gutes tun: Hilfe zwischen Nachbarn erleichtern, dank einer neu entwickelten App.

Etwas mehr als zwei Jahre später entführt der eine mutmasslich Christoph Berger, den Präsidenten der nationalen Impfkommission und eine zentrale Figur der Schweizer Corona-Politik. Der andere könnte ihm dabei behilflich gewesen sein. Nach einigen Stunden kommt Berger wieder frei. Sechs Tage später ereignet sich in Wallisellen eine Schiesserei mit der Polizei. Am Ende ist einer der beiden Männer tot sowie seine Partnerin.

Wie ist es so weit gekommen?

Mit ihrer App treten die beiden Männer über den Instagram-Account des Unternehmens an die Öffentlichkeit. Der Geschäftsmann, hier Sebastian Müller genannt, sitzt mit seinem Partner Marc Wyss (Name ebenfalls geändert) auf einer Mauer in Bern. Gemeinsam erklären sie, was ihr Startup alles kann: Menschen zusammenbringen, Mitfahrgelegenheiten organisieren, einen Hundesitter finden. Angefangen habe alles mit einem langen und intensiven Gespräch. Bald darauf sei die App entstanden.

Der Anhänger der Flat-Earth-Bewegung

Die beiden Gründer treten geeint auf. Doch sie unterscheiden sich in vielem. Auf einem Online-Profil gibt Wyss an, dass er Aspirant auf der Polizeischule des Kantons Zürich gewesen sei, diese Ausbildung jedoch nach einem Jahr abgebrochen habe. Danach war er bei verschiedenen Firmen tätig, meist in der Personalabteilung. Wyss ist Schweizer mit Jahrgang 1987. In den sozialen Netzwerken zeigt er sich anfangs unauffällig, postet Blumen oder Filmchen von Bowling-Abenden. Doch während der Pandemie scheint er sich immer mehr zu radikalisieren.

Es fallen Beiträge auf, in denen er sich als Anhänger der Flat-Earth-Verschwörungstheorie zu erkennen gibt. Die Erde ist demnach keine Kugel, sondern eine Scheibe. Wyss betreut eine Facebook-Site mit dem Namen «Flat Earth Switzerland». Darauf finden sich krude Thesen, etwa zu Chemtrails, Pharma-Intrigen und dem angeblichen Überwachungsstaat.

Der 34-Jährige gibt sogar ein Interview, in dem er den langen Prozess beschreibt bis zu seiner «Wahrheitsfindung». Wenn man nicht mehr an den Globus glaube, fielen damit ganz viele andere Glaubenskonstrukte in sich zusammen. Auch Corona-kritische Beiträge teilt er. Zudem marschiert er in Liestal an einer Demonstration gegen die Corona-Massnahmen des Bundes mit, wie der «Sonntags-Blick» schreibt.

Anders gibt sich sein Geschäftspartner. Der 38-jährige Sebastian Müller lässt sich lieber beim Zurich Film Festival abbilden. Oder mit Prosecco-Glas bei Netzwerk-Veranstaltungen in der Business-Welt. Er ist Deutscher, arbeitet als Vertriebsfachmann – und hat nebst der App mit Wyss noch eine weitere Firma, laut Handelsregister ansässig im Kanton Zug. Sein zweites Unternehmen stellt Entertainment-Filme her. In einem dieser Videos tritt Müller selbst auf – als Hundebesitzer, der keine Zeit hat, mit den Tieren spazieren zu gehen.

Sonst ist er auf den sozialen Netzwerken nicht sehr aktiv. Im Gegensatz zu seiner zehn Jahre jüngeren Freundin. Auf Instagram ist sie mit zwei Profilen präsent. Zusammengerechnet hat sie knapp 70 000 Follower. Nebst Aufnahmen am Strand gibt es auch Videos, die sie in einem Schiesskeller zeigen, wo sie sich im Umgang mit schweren Waffen übt.

Laut den Tamedia-Zeitungen waren Müller und seine Freundin regelmässige Gäste in einer Schiessanlage in Spreitenbach, der Swiss Shooting Group. Müller selbst soll auch der Civilian Training Unit nahegestanden haben, einer Gruppe von Sportschützen aus Volketswil, die gemeinsam den Umgang mit Waffen üben. Später werden Ermittler mehrere Waffen und Munition in Müllers Wohnung in Wallisellen finden.

Das prominente Opfer

Am 31. März schreitet Sebastian Müller zur Tat. Er entführt einen Mann mit Waffengewalt. Das Opfer: der bekannte Mediziner Christoph Berger, Schweizer Kinderarzt und Leiter der Eidgenössischen Kommission für Impffragen. Es gibt zudem Hinweise, dass sich auch Marc Wyss an der Tat beteiligt.

Mit der Personalie Berger erhält der Entführungsfall eine politische Dimension. Der Impfchef ist nicht nur einer der bekanntesten Schweizer Wissenschafter. Er gehört auch zu jenen, die in den letzten Jahren den stärksten Anfeindungen ausgesetzt waren.

Wegen Corona wurde Berger zum nationalen Pandemie-Erklärer. Und zum Gesicht der Impfkampagne des Bundes. Für Massnahmengegner wurde er zum Feindbild, speziell wenn es ums Thema Kinderimpfung ging. Dabei gehörte Berger nicht zu jenen Experten, die stets zu noch strikteren Massnahmen drängten. Gerade in Sachen Kinderimpfung äusserte er sich zurückhaltend – was wiederum Befürworter strengerer Schutzmassnahmen verärgerte.

Von beiden Seiten kritisiert, medial präsent und inmitten der grössten Impfaktion in der Geschichte der Schweiz blieb Berger fast immer ein ruhiger und sachlicher Kommunikator. Er sprach in kurzen klaren Sätzen und nüchternem Ton – wie um einer immer emotionaler geführten Debatte etwas entgegenzusetzen. Zuletzt trat er eine Woche vor seiner Entführung öffentlich auf.

Dass die persönlichen Anfeindungen ihm zusetzten, verhehlte Berger nicht. Anfang Januar sagte er in der «Rundschau» von SRF: «Wenn es zu viel wird, dann muss es halt ein anderer machen.» Wenig später erklärte er auch gegenüber der NZZ, auf die heftigen Reaktionen sei er nicht vorbereitet gewesen.

Trotz dem Ende der meisten Massnahmen bleibt Berger ein Feindbild für die radikalisierten Massnahmengegner. Nach dem Publikwerden von Bergers Entführung gehen die Anfeindungen in den einschlägigen Telegram-Kanälen weiter. Medienberichte zur Tat werden von Hunderten gelikt. Einige schreiben nicht zitierbare Drohungen unter die Meldungen. Natürlich gibt es auch bereits erste Verschwörungstheorien zum Vorfall: In einem Kanal mit über 30 000 Mitgliedern wird spekuliert, die Entführung sei bloss eine Inszenierung gewesen – mit dem Ziel, Massnahmengegner zu diskreditieren.

Die Verbindung zu Verschwörungstheoretikern ist allerdings nur eine der möglichen Spuren, denen die Ermittler derzeit nachgehen. Bis jetzt ist nämlich alles andere als klar, wieso Berger überhaupt ins Visier des Entführers geriet.

Die misslungene Entführung

In der Vergangenheit erhielt Berger wegen der massiven Anfeindungen und Drohungen Personenschutz. Ob es auch am Abend des 31. März ein solches Schutzkonzept gab, ist noch unklar. Auch der Ort der Entführung bleibt bis jetzt offen.

Die Kantonspolizei Zürich äussert sich auf Anfrage nur allgemein zur Vorgehensweise. Wenn konkrete Hinweise auf eine Bedrohung bestünden, würden die notwendigen Sicherheitsmassnahmen getroffen. Parallel dazu werde ermittelt und ein Strafverfahren eingeleitet. «Erhärten sich die Hinweise weiter, nimmt sich der spezialisierte Gewaltschutzdienst des Falls an. Das ist pro Jahr rund 400-mal der Fall.» Die Polizei hält fest, dass in allen Fällen ein Mitwirken der Betroffenen erforderlich sei.

So oder so ist es im Fall von Christoph Berger zur Entführung gekommen. Mehrere Stunden befindet sich der Arzt in der Gewalt seines Kidnappers. Dieser bedroht ihn mit Schusswaffen. Doch dann plötzlich die Kehrtwende: Der Entführer lässt Berger wieder frei. Die Gründe für den Sinneswandel sind bis jetzt völlig ungewiss.

Ob es Berger selbst war, der die Polizei darauf informiert hat, ist ebenfalls unklar. Die Polizei schreibt dazu einzig, man habe umgehend Ermittlungen aufgenommen. Diese hätten zum 38-jährigen Sebastian Müller geführt.

Über die Beteiligung seines Geschäftspartners Wyss ist ebenfalls wenig bekannt. Klar ist, dass ihn die Polizei am Donnerstag verhaftete. Offiziell heisst es, seine Tatbeteiligung sei Gegenstand der laufenden Abklärungen. Er befindet sich in Gewahrsam der Zürcher Behörden. Bis jetzt hat die Staatsanwaltschaft noch nicht entschieden, ob sie in seinem Fall Antrag auf Untersuchungshaft stellt.

Die tödlichen Schüsse

Sechs Tage nach der Entführung überstürzen sich am Mittwochabend die Ereignisse. Eine Spezialeinheit der Polizei bereitet die Festnahme von Sebastian Müller vor. In Wallisellen – an seinem Wohnort – will sie ihn abpassen. In einer Neubausiedlung lebte Müller in einer Mietwohnung im 14. Stock. Die Überbauung befindet sich mitten im Zwicky-Areal, einer ehemaligen Industriebrache in der Zürcher Agglomeration.

Die Einsatzkräfte wissen, dass der Verdächtige über Schusswaffen und Munition verfügt. Sie wollen ihn stoppen, als er gerade mit seinem BMW vor die Tiefgarage des Wohnkomplexes fährt. Auf dem Beifahrersitz befindet sich die 28-jährige Freundin des Entführers.

Doch die Verhaftungsaktion gerät ausser Kontrolle. Laut gut informierten Quellen soll sich der Zugriff so abgespielt haben: Die Einsatzkräfte nehmen das Auto in die Zange. Der Lenker versucht daraufhin, rückwärts wegzufahren. Als die Polizisten zur Verhaftung schreiten und durch eine Autoscheibe den Zugriff starten wollen, fällt plötzlich ein Schuss. Die Einsatzkräfte bekommen mit, wie Müllers Freundin zusammensackt. Danach erwidern sie das Feuer.

Der Bericht des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Zürich und des Forensischen Instituts Zürich bestätigt inzwischen, dass die 28-Jährige durch einen Schuss aus der Waffe des 38-jährigen Begleiters getötet wurde. Auch er stirbt noch vor Ort.

Zurück bleiben viele offene Fragen: Weshalb nahm der Entführer ausgerechnet Christoph Berger ins Visier? Steckt der Hass eines Verschwörungstheoretikers dahinter – oder doch finanzielle Motive, eine Erpressung? Spielen finanzielle Probleme des Entführers eine Rolle, über die die «Tamedia-Zeitungen» berichten? Und weshalb tötete Sebastian Müller bei der Polizeiaktion in Wallisellen seine Freundin? All diese Fragen müssen die Ermittlungen nun in den nächsten Monaten beantworten.



Eine relevante Personalie

dfr. Die Tamedia-Zeitungen enthüllten am Freitagabend, dass es sich beim Entführungsopfer im Fall Wallisellen um Christoph Berger, den Präsidenten der nationalen Impfkommission, handelt. Gut informierte Quellen bestätigten dies auch gegenüber der NZZ. Aufgrund einer gerichtlichen Intervention mussten die Tamedia-Zeitungen die Information zu Bergers Identität wieder aus ihrer Berichterstattung entfernen. Gegen die NZZ liegt keine superprovisorische Verfügung vor.

Die Personalie Berger ist deshalb relevant, weil der Entführungsfall dadurch potenziell eine politische Dimension erhält: Berger war während der Corona-Pandemie zur national bekannten Person geworden – und zum Feindbild von Massnahmengegnern. Inwiefern Bergers Rolle in der Pandemiebekämpfung mit seiner mutmasslichen Entführung zusammenhängt, bleibt zur Stunde offen. Die Motive der mutmasslichen Entführer sind Gegenstand der Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft.
(https://www.nzz.ch/zuerich/entfuehrung-von-christoph-berger-ein-raetselhafter-kriminalfall-ld.1678870?mktcid=smch&mktcval=twpost_2022-04-10)



Hetze gegen Ärzte: Wie Impfgegner Ängste schüren
Ärzte, die gegen COVID-19 impfen, werden immer wieder beschimpft und teilweise massiv bedroht. Wer schürt eine solche Stimmung, und wer sind die Scharfmacher im Netz?
https://www.zdf.de/politik/frontal/aerzte-von-impfgegnern-attackiert-100.html


Warum wir diesen Kommentar nicht dulden : «Zionisten kontrollieren die Weltpolitik»
Seit Beginn der Corona-Pandemie hat der Hass gegen Jüdinnen und Juden stark zugenommen. Auch in unserer Kommentarspalte beobachten wir mehr antisemitistische Äusserungen. Wieso ist dies so? Und welche Inhalte gelten eigentlich als antisemitistisch – und werden von uns gelöscht?
https://www.20min.ch/story/zionisten-kontrollieren-die-weltpolitik-571620054333


Schwurbel-Demo Altdorf
-> https://twitter.com/i/status/1513177430181265412
-> https://www.ur.ch/newsarchiv/89609


Ukraine Krieg: «Kreml streut gezielt anti-westliche Verschwörungen»
Propaganda und viele Lügen im Ukraine-Krieg: Auch in der Schweiz folgen Menschen russischen Verschwörungstheorien. Ein Experte klärt auf.
https://www.nau.ch/news/schweiz/ukraine-krieg-so-macht-putin-anfallig-fur-verschworungstheorien-66149098


+++HISTORY
NZZ am Sonntag 10.04.2022

Advocatus Diaboli

Carl Schmitt verteidigte einst Hitler, heute inspiriert er Chinas Elite und Putins radikalsten Philosophen. Über einen irritierend aktuellen Vordenker.

Linus Schöpfer

Der Tag, an dem es Atombomben regnet – Philosoph Alexander Dugin sieht ihm gelassen entgegen. Denn Gott denke durch Russland das Ende der Welt. Russland sei, so Dugin, «das Imperium des Endes». Und: «Ohne grosses Russland möge die Geschichte überhaupt aufhören!»

Die Apokalypse ist für Alexander Dugin eine valable Handlungsoption.

Der 60-jährige Dugin ist heute Russlands einflussreichster Philosoph. Seine Karriere ist erstaunlich: mittelmässiger Schüler, Mitglied eines mystischen Zirkels, Arbeit als Strassenreiniger. Dann, in Russlands anarchischen 1990ern, gründete er die Nationalbolschewistische Partei. Deren Chef war Eduard Limonow, ein gelernter Hosenschneider, früherer Punk und pornografischer Schriftsteller. Dugin, dessen Theoriegebäude auf den Bauplänen des deutschen Rechtsgelehrten Carl Schmitt basiert, übernahm die Rolle des Chefdenkers.

Um die Jahrtausendwende sickerten Dugins Ideen allmählich in den Kreml ein. Er erhielt eine Professur an der Lomonossow-Universität in Moskau, 2014 bezeichnete ihn das Magazin «Foreign Affairs» bereits als «Putins Hirn». Letzten Monat schrieb die «Washington Post», Russland folge nun seit 20 Jahren Dugins Drehbuch. Wladimir Putin teilt mit Dugin den Traum eines orthodoxen Grossrussland. Wobei der Philosoph am liebsten ganz Europa unter russischer Vorherrschaft sehen möchte, der Autokrat hingegen sich an der verblichenen Grenze der Sowjetunion orientiert.

«Töten, töten, töten»

Dugin ist nicht Putins Hirn. Aber er hockt gewissermassen an einem neuralgischen Plätzchen im Hirnstamm des Autokraten: immer dann aktiviert, wenn Putin die brachiale Konfrontation mit dem Westen sucht.

In seiner Rede zur Krim-Annexion spielte Putin deutlich auf Dugin an. Der Philosoph selber mischte früh und direkt im Ukraine-Konflikt mit. Als Einpeitscher – «Ich glaube, man muss töten, töten und töten» –, aber auch als Organisator. Laut der Investigativ-Journalistin Catherine Belton («Putins Netz») war Dugins Eurasischer Jugendbund eine Keimzelle des russischen Separatismus in der Ostukraine.

Andreas Umland, versiertester Dugin-Kenner im deutschsprachigen Raum, schreibt zum Verhältnis von Putin und Dugin: «In kurz- wie in mittelfristiger Perspektive verlaufen ihre Wege parallel, da der erste Schritt zu einem neuen Imperium im Duginschen Sinn identisch wäre mit der von Putin ersehnten Wiederauferstehung des alten.»

Leviathan versus Behemoth

Inwiefern ist Putins radikalster Philosoph ein Schmittianer?

Wie Schmitt hält Alexander Dugin politisches Handeln erst dann für möglich, wenn man seinen Feind identifiziert hat. Wie Schmitt denkt Dugin in der Kategorie von Grossreichen, die ihre Ansprüche gegen den Widerstand benachbarter, kleinerer Länder durchsetzen dürfen. Wie Schmitt betrachtet Dugin die Weltgeschichte als mystisches Ringen zwischen West und Ost, zwischen dem Seemonster Leviathan und dem Landmonster Behemoth. Und wie bei Schmitt gilt Dugins ultimativer Hass nicht dem anderen, auf immer und ewig verfeindeten Grossreich. Sondern internationalen Organisationen wie der Uno, die der Polarisierung der Welt entgegenwirken und globale Menschenrechte anstreben.

2016 veröffentlichte Dugin den Essay «Carl Schmitts fünf Lektionen für Russland», in dem er das «deutsche Genie» seinen Landsleuten als Lehrmeister empfiehlt. Wer Dugin verstehen will, kommt an Schmitt nicht vorbei.

Die Forderung nach einem starken Staat

Rückblende: Berühmt wird der Sauerländer Jurist Carl Schmitt – 1888 in Plettenberg geboren, 1985 in Plettenberg gestorben – in der Zwischenkriegszeit. Als junger Dozent lebt, denkt und schreibt er unter dem Eindruck einer taumelnden Weimarer Republik. Der Liberalismus erscheint ihm als ein Blendwerk, unglaubwürdig das Versprechen des Parlaments, Konflikte in Diskussionen auflösen zu können.

Schmitt fordert einen autoritären, entscheidungsstarken Staat. Ein Staat, der nicht daran denke, seine Macht zu schwächen durch «Liberalismus, Rechtsstaat oder wie man es nennen will». Die liberale Demokratie hält Schmitt für lebensunfähig. Ihr fehle auch – im Gegensatz zum Faschismus, aber auch zum Bolschewismus – ein Mythos, aus dem sie Kräfte schöpfen könnte.

Nach 1933 beeilt sich Schmitt, die Tyrannei zu legitimieren. Gewissensprobleme plagen ihn als Judenhasser und Demokratieverächter nicht. Nachdem Hitler in der Nacht der langen Messer seine Brutalität offenbart hat, bastelt ihm Schmitt eine juristische Absolution. Er schreibt seinen bösartigsten Satz: «Der Führer schützt das Recht vor dem schlimmsten Missbrauch, wenn er im Augenblick der Gefahr kraft seines Führertums als oberster Gerichtsherr unmittelbar Recht schafft.»

Zu dieser Zeit gilt Schmitt als «Kronjurist des Dritten Reiches» – ein Titel, der ihm bis heute anhaftet. Danach fällt er in der Hierarchie der NS-Justiz allerdings zurück. Als einer, der die katholische Kirche idealisiert hatte, musste er frühen Nazis suspekt erscheinen. Dank guter Beziehung zu Göring lebt er bis zu Hitlers Untergang ein unauffälliges Gelehrtendasein. Schmitt ist als Person diskreditiert, nicht aber sein Werk.

Die Mine, die lautlos explodiert

Carl Schmitt sei heute womöglich faszinierender denn je, schreibt der Bremer Politologieprofessor Philip Manow in «Nehmen, Teilen, Weiden», seinem letzten Monat veröffentlichten Buch.

Es ist ein weiterer Beitrag zum beeindruckend langen Regal der Sekundärliteratur. Manow beschäftigt sich mit dem Spätwerk, liest Schmitt ökonomisch, sieht eine Verschiebung von der Politik zur Wirtschaft als wahrem Träger der Macht. Schmitt sei einer der frühesten und fundiertesten Theoretiker der Globalisierung gewesen. Manows Buch ist ambitioniert, in seinen spekulativen Anleihen bei der Literatur – er liest Kafka und Schmitt parallel – aber nicht immer überzeugend.

Schmitts Werk ist also nach wie vor Stoff raffinierter akademischer Deutungen. Zugleich wird es von Leuten wie Dugin sehr konkret gelesen – als Handlungsanweisung zur Demokratie-Sprengung. «Ihnen ist eine besondere kriegstechnische Erfindung gelungen: eine Mine, die lautlos explodiert», lobte ihn einmal Ernst Jünger, der befreundete reaktionäre Schriftsteller. Wie Jünger zog und zieht Schmitts kriegerisches Weltbild viele Rechtsextreme an. Doch nicht nur diese: «Wer in linker Weise in glasklaren Feindbildern denkt, ist mit Schmitt ebenfalls bestens bedient», sagt Karlheinz Ott. Der Publizist ist ein weiterer Sachbuchautor, der sich jüngst mit Schmitt beschäftigt hat («Verfluchte Neuzeit. Eine Geschichte des reaktionären Denkens»).

Ott stellt eine Schmitt-Renaissance fest. So zitiert er den US-Politologen Mark Lilla, der geradezu verstört aus einem Gastsemester aus China heimkehrte. Lilla erinnert sich an eine Begegnung mit einem chinesischen Journalisten: Niemand, so habe ihm der Journalist erklärt, niemand nehme einen in China ernst, wenn man nichts über Carl Schmitt zu sagen wisse.

Letzten Dezember veröffentlichte die KP in Peking ein Weissbuch namens «Demokratie, die funktioniert», worin Sinologen Bezüge zu Carl Schmitt entdeckten. Tatsächlich liegt Schmitt als Stichwortgeber für diesen propagandistischen Angriff nahe. Denn der Deutsche entwickelte einen ganz eigenen Demokratiebegriff, bei dem der «Wille» des Volkes direkt auf die Machthaber übergeht, beispielsweise durch Akklamation. Auch sonst eignet sich Schmitt ideal zur Legitimation des chinesischen Systems. Seine Theorie vom Dezisionismus – «Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet» – pulverisiert die Rechte des Einzelnen. Ein dezisionistischer Staat muss für nichts garantieren und sich für nichts rechtfertigen.

Die Gegner des Liberalismus wappnen sich also mit Schmitts Schriften. Karlheinz Ott glaubt, dass der Westen angesichts des Ukraine-Kriegs nicht um die Erkenntnis herumkommt, nicht bloss Feindbilder zu haben, sondern echte Feinde.

Es wäre eine neue Volte in der Wirkungsgeschichte des Sauerländer Demokratie-Sprengers: Wer den feindselig gestimmten Schmittianer in seiner Feindseligkeit ernst nimmt, wird selber einer.

Philip Manow: Nehmen, Teilen, Weiden. Carl Schmitts politische Ökonomien. Wallstein, 2022. 188 S., um Fr. 29.–

Karlheinz Ott: Verfluchte Neuzeit. Eine Geschichte des reaktionären Denkens. Carl Hanser, 2022. 432 S., um Fr. 40.–
(https://magazin.nzz.ch/nzz-am-sonntag/kultur/carl-schmitt-der-vordenker-der-demokratie-feinde-ld.1678313)