Medienspiegel 31. März 2022

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++BERN
Der Berner Online TV-Sender Diaspora-TV sendet neu auch Infosendungen in ukrainischer Sprache – damit sich die vielen Flüchtlinge informieren können. (ab 15:02)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/neues-dorf-fuer-demenzkranke-menschen-in-wiedlisbach?id=12169455


bernerzeitung.ch 31.03.2022

Ukraine-Flüchtlinge im Kanton Bern: Dank privaten Betten landet niemand auf der Strasse

Die meisten Ukraine-Flüchtlinge sind bei Privaten untergebracht – eine enorme Entlastung für den Kanton Bern, der seine Notunterkünfte so nicht öffnen muss.

Christoph Albrecht, Andres Marti, Beat Mathys(Fotos)

3600. Ungefähr so viele Menschen sind seit Kriegsausbruch aus der Ukraine in den Kanton Bern geflüchtet und haben sich hier registrieren lassen. Dazu kommt laut der bernischen Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion (GSI) «eine unbekannte Zahl» an Geflüchteten, die sich zwar hier befinde, sich aber noch nicht registrieren liess.

Der Kanton selber hat bisher gerade einmal rund 400 Flüchtlinge in den eigenen Asylunterkünften untergebracht. Der Rest und damit die grosse Mehrheit ist bei Privaten einquartiert. Denn dort ist das Angebot gross. Gemäss der Organisation Campax haben im Kanton Bern bisher über 4500 Privathaushalte zusammengezählt fast 12’000 Betten für ukrainische Flüchtlinge zugesichert. Dazu kommen über 6000 Hotelbetten, die zur Verfügung stehen.

Nur 80 Prozent Auslastung

Das grosse Angebot seitens der Privaten verschafft dem Kanton bei der Suche nach Unterkünften mehr Zeit – und bewahrt ihn vor Kapazitätsproblemen. «Dank den Privaten ist der Druck auf das System derzeit noch nicht so gross», sagt Giebel. Dies belegen auch die Zahlen der 16 bernischen Asylunterkünfte. Zwar ist die Auslastung in den letzten Wochen deutlich gestiegen. Noch immer beträgt sie jedoch lediglich 80 Prozent. «Zurzeit stehen noch rund 800 leere Betten zur dauernden Nutzung zur Verfügung.»

Der Kanton sieht deshalb aktuell auch keine Notwendigkeit, die Gemeinden dazu zu verpflichten, Unterkünfte bereitzustellen. 2015 hatte er dies per Notrecht getan. «Wir wollen es mit den Gemeinden partnerschaftlich angehen», so Giebel.

Auch bestehe derzeit kein dringender Bedarf, unterirdische Notunterkünfte in Betrieb zu nehmen. Solche könnte man laut Giebel im Notfall innert weniger Tage bereitstellen und so rund 700 Betten anbieten. «Das wäre aber nur bei einem sehr grossen Ansturm nötig.» Bisher würden die Flüchtlinge aber eher gestaffelt eintreffen. Am Mittwoch beispielsweise waren es 260 Neuankömmlinge. Normalerweise seien es pro Tag um die 100.

Dennoch: Bisher hat der Kanton erst einen Bruchteil der Unterkünfte bereitgestellt, die er sich zum Ziel gesetzt hat. Bis Ende Jahr plant er, gegen 30’000 Betten anbieten zu können. «Wir sind erst ganz am Anfang», so Giebel. Das Angebot werde laufend ausgebaut.

Auch Turnhallen werden geprüft

Zu ebendiesem Angebot könnten bald auch Turn- und Mehrzweckhallen gehören. «Wir treffen bereits Vorbereitungen, für den Fall, dass wir auf solche Infrastrukturen zurückgreifen müssen.» Konkrete Standorte nennt Giebel nicht. «Es gibt noch keine Vereinbarung mit einer Gemeinde.» Standortgemeinden müssten jeder neuen Unterbringung zuerst zustimmen und die entsprechenden Bewilligungen erteilen.

Geprüft werden derzeit auch Containerdörfer, so auch in der Stadt Bern. Laut dem Leiter der Stadtberner Fremdenpolizei, Alexander Ott, laufen derzeit Abklärungen, um auf der Kasernenwiese im Breitenrainquartier ein Containerdorf zu errichten.

Gescheiterte Lösungen bei Privaten

Bis diese Container stehen, kann die Stadt Bern allerdings nicht zuwarten. In der Bundesstadt scheint eine Platzknappheit zu bestehen. Sie musste unlängst auf die Zivilschutzanlage an der Mingerstrasse bei der Postfinance-Arena zurückgreifen, die gemäss Ott Platz für 170 Personen bietet. «Sie dient als Ausweichmöglichkeit für Ukraine-Flüchtlinge, die im Bundesasylzentrum beim Zieglerspital nicht mehr aufgenommen werden können.» Mit der Inbetriebnahme habe man verhindert, dass Flüchtlinge auf der Strasse übernachten mussten, wie es etwa in Zürich oder Basel geschehen sei.

Im Kanton Bern soll es bisher zu keinen derartigen Zuständen gekommen sein. «Uns sind keine Fälle bekannt», sagt GSI-Sprecher Gundekar Giebel. Hingegen sei es bereits vorgekommen, dass das Zusammenleben von ukrainischen Flüchtlingen und Privaten nicht funktioniert habe und die jeweilige Unterbringungssituation habe beendet werden müssen. «Das sind aber Einzelfälle.»
(https://www.bernerzeitung.ch/dank-privaten-betten-landet-niemand-auf-der-strasse-842356988593)



bielertagblatt.ch 30.03.2022

Lengnau bereitet sich auf die Geflüchteten aus der Ukraine vor

Der Eltern-Kind-Treff in Lengnau wird seine Unterkunft zugunsten von Geflüchteten aus der Ukraine räumen. Rund 20 Personen werden darin Platz haben.

Brigitte Jeckelmann

Woche fünf im Ukrainekrieg. Täglich strömen die Flüchtenden in die Schweiz. Inzwischen sind 19289 Personen registriert, wie das Staatssekretariat für Migration gestern auf Twitter mitteilte. 11912 von ihnen hätten den Schutzstatus S erhalten. Fieberhaft beschaffen Bund und Kantone Unterkünfte. Im Kanton Bern haben die Regierungsstatthalterämter die Gemeinden in der vorvergangenen Woche per Schreiben aufgefordert, mögliche Unterkünfte zu melden. Romi Stebler, Regierungsstatthalterin des Verwaltungskreises Biel, sagt, die Rückmeldungen aus den Gemeinden seien zahlreich. «Die Solidarität ist gross», sagt sie am Telefon. Wie viele Unterkünfte benötigt werden, kann Stebler nicht sagen. Für die Gemeinden gilt eine ungefähre Zahl von 0,5 Unterkünften pro 100 Einwohnerinnen und Einwohner, sagt sie.

90 bis 100 Plätze in Lengnau

Für Lengnau würde dies bedeuten, Plätze für 90 bis 100 Personen zur Verfügung stellen zu müssen, wie Marcel Krebs dem BT per Mail schreibt, der Geschäftsleiter von Lengnau. Die Gemeinde selbst verfüge über einige Altbauwohnungen, die derzeit nur teilweise genutzt werden, wie zum Beispiel im ehemaligen Fleischerhaus an der Solothurnstrasse 32. Darin sind derzeit die Schulsozialarbeit und der Eltern-Kind-Treff untergebracht. Den Treff hat Lengnaus Gemeindepräsidentin Sandra Huber (SP) vor etwa vier Jahren mit ins Leben gerufen. Nun steht sie in der Wohnung im ersten Stock des Hauses und führt durch die Räume. Es handelt sich um eine 5-Zimmer-Wohnung mit einer geräumigen Wohnküche und einer grossen Terrasse.

Der Eltern-Kind-Treff fand bisher einmal wöchentlich statt, am Freitag von neun bis elf Uhr, an dem vorwiegend Migrantinnen teilnehmen. Sandra Huber zeigt Bilder auf ihrem Handy. Da sind lachende Frauen am Küchentisch zu sehen, plaudernd mit Kaffee und Kuchen. Für die Kinder steht eine Auswahl Spielsachen zur Verfügung, die Frauen vertreiben sich die Zeit mit Nähen, anderen Handarbeiten und manche sind froh, wenn die Betreuenden mit ihnen Lesen und schreiben pauken. In dieser Wohnung wie auch der angrenzenden, wo bis vor Kurzem noch die Schulsozialarbeit untergebracht war, glaubt Sandra Huber, dass etwa insgesamt 20 Personen untergebracht werden können. Die beiden Wohnungen seien dem Regierungsstatthalteramt gemeldet worden. Nun warte man auf Antwort. Sandra Huber: «Bei Bedarf können wir die Wohnung dann sehr schnell räumen und mit den nötigen Möbeln ausrüsten.» Die Schulsozialarbeit ist inzwischen im Schulhaus Kleinfeld zu Hause. Der Eltern-Kind-Treff werde je nach Wetter entweder nach draussen ins Freie verlegt oder finde in Räumen der neuen Dreifachturnhalle statt. Laut Marcel Krebs prüft die Gemeinde derzeit weitere Liegenschaften. Zudem sei mit privaten Vermietern Kontakt aufgenommen worden, um das erforderliche Kontingent zu erfüllen. Marcel Krebs: «Uns ist es ein Anliegen, dass die Menschen nicht in Zivilschutzkellern oder in Provisorien untergebracht werden müssen.» Denn man gehe davon aus, dass diese Menschen über eine längere Dauer in Lengnau verbleiben.

100 Menschen treffen täglich im Kanton Bern ein

Inzwischen sind gemäss Krebs bereits Geflüchtete aus der Ukraine auf private Initiativen hin im Dorf eingetroffen. Diese würden auch privat betreut. Zudem seien auch schon Kinder eingeschult und in die ordentlichen Klassen integriert worden. In der Schule sei für die Kinder aus der Ukraine primär Sprachunterricht angesagt. Derzeit betreffe dies erst einige wenige Kinder. Sollte sich die Situation so entwickeln, dass viel mehr Menschen mit ihren Kindern eintreffen, sehe Lengnau separate Klassen für Kinder aus der Ukraine vor, um erst die Sprache zu lernen. Die Integration in die ordentlichen Klassen sei für ausgewählte Fächer wie Sport, handwerkliche Fähigkeiten oder bildnerisches Gestalten vorgesehen.

Noch ist unklar, wie viele Geflüchtete aus der Ukraine die Schweiz aufnehmen wird. Der Kanton Bern rechnet mit einer Anzahl von fünf bis 30 000 Menschen, wie Gundekar Giebel von der Gesundheits- Sozial- und Integrationsdirektion des Kantons Bern sagt. Wobei man von der maximalen Anzahl ausgehe. Derzeit würden rund 100 Menschen täglich im Kanton Bern eintreffen. Die Unterkünfte, die von den Regierungsstatthalterämtern gemeldet worden sind, werden laut Giebel nun geprüft, bewohnbar gemacht und dann in den kantonalen Bestand aufgenommen. Wie Giebel sagt, verwaltet neu die Organisation Campax die privaten Unterkünfte. Sollten Privatpersonen, Firmen oder Organisationen über Möglichkeiten zur zentralen Unterbringung von 40 und mehr Menschen verfügen, dann ist wie bis anhin der Kanton die Anlaufstelle.

Der Kanton Bern hat eine zentrale Website eingerichtet mit allen verfügbaren Informationen zum Thema.
https://www.be.ch/ukraine
(https://ajour.ch/story/lengnau-bereitet-sich-auf-die-gefl%C3%BCchteten-aus-der-ukraine-vor/4315)



Gemeinderat lehnt Änderungen bei der Sozialhilfe ab
Der Gemeinderat der Stadt Bern lehnt die geplante Einschränkung der Sozialhilfe für Ausländer*innen aus Drittstaaten ab. Die vom Bundesrat vorgeschlagene Änderung der Ausländer- und Integrationsgesetzes AIG ist aus Sicht des Gemeinderates diskriminierend und nicht zielführend.
https://www.bern.ch/mediencenter/medienmitteilungen/aktuell_ptk/gemeinderat-lehnt-aenderungen-bei-der-sozialhilfe-ab


Ansturm ukrainischer Flüchtlinge
Wir besuchen eine Gastfamilie, die eine junge Ukrainerin mit Kind aufgenommen hat.
https://web.telebielingue.ch/de/sendungen/info/2022-03-31


+++AARGAU
Lenzburg: Die Stadt mietet das ehemalige Hotel Lenzburg und will darin bis zu 60 Flüchtlinge aus der Ukraine unterbringen. Es sei ein ideales Gebäude mit vielen Zimmern und Gemeinschaftsräumen, heisst es in einer Mitteilung. (ab 03.54)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/limmattal-viele-vorzuege-aber-keine-gemeinsame-identitaet?id=12168462


Asylsuchende in Villmergen drohen mit einem Hungerstreik
Sie sollen Platz machen für allein geflüchteten Kinder. Mit einer Kundgebung wollen die Bewohner des Asylheims gegen ihre Umquartierung kämpfen. Der Kanton Aargau hat aber kaum eine andere Option. Es wurden bereits erste Verlegungen vorgenommen.
https://www.telem1.ch/aktuell/asylsuchende-in-villmergen-drohen-mit-einem-hungerstreik-146000273


+++BASEL
Gastfamilien und ihre Probleme
Tausende Ukrainerinnen und Ukrainer sind in den letzten Wochen in die Schweiz geflüchtet und viele finden auch in der Region Basel Unterschlupf bei Gastfamilien. Das Zusammenleben gestaltet sich jedoch nicht immer einfach. Es kommt auch zu Umplatzierungen.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/gastfamilien-und-ihre-probleme?id=12168447


+++BASELLAND
Debatte in Liestal: Herr der Lage in der Flüchtlingsfrage
Der Einwohnerrat stellt dem Stadtrat die Frage, wie dieser den Flüchtlingsansturm bewältige, ob er die Lage im Griff habe.
https://www.bazonline.ch/herr-der-lage-in-der-fluechtlingsfrage-697227593092


Bei Gygers wohnen jetzt auch Nekrasovas
Drei Wochen teilen die Baselbieter Gygers ihr Haus nun mit der ukrainischen Familie Nekrasova. Mutter Natalia und ihre beiden Kinder Andrii (16) und Zlata (9) sind aus der Umgebung von Berdjansk geflüchtet. Kennengelernt haben sich die beiden Familien an der polnisch-ukrainischen Grenze. Alexandra Gyger und ihr Mann Daniel brachten kurz nach der russischen Invasion Hilfsgüter dorthin. Wir haben die beiden Familien in Ormalingen getroffen.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/bei-gygers-wohnen-jetzt-auch-nekrasovas?partId=12169431



bzbasel.ch 31.03.2022

Geflüchtete sollen ihr Auto vorläufig im Baselbiet behalten dürfen – obwohl das die Sozialhilfe eigentlich verbietet

Viele sind mit dem Auto von der Ukraine hierher geflüchtet. Wenn sie Sozialhilfe beanspruchen, müssen sie im Baselbiet laut Gesetz ihr Auto verkaufen. Doch es spricht vieles dafür, den Verkauf zu verschieben.

Michel Ecklin

Es ist auffallend: Viele Menschen sind mit dem Auto vor dem Krieg in der Ukraine hierher geflüchtet. Dank des pauschal erteilten Asylstatus S haben Ukrainerinnen und Ukrainer in der Schweiz automatisch auch Anrecht auf Sozialhilfe.

Doch auf Flüchtlinge mit einem eigenen Fahrzeug ist die Sozialhilfe nicht vorbereitet. Denn in bisherigen Krisen flohen die Menschen mit allen möglichen Verkehrsmitteln in die Schweiz, nur nicht mit dem eigenen Auto. Gemäss Baselbieter Sozialhilfegesetz müsste man jetzt die Autos der Ukrainerinnen und Ukrainer als Vermögen werten, das aufgezehrt werden muss, bevor Geld vom Staat fliesst.

Gilt ein Haus in der Ukraine als Vermögen?

Konkret heisst das: Die Flüchtenden müssten ihr Auto verkaufen oder zumindest die Nummern abgeben. Doch wenigstens vorläufig geschieht das im Baselbiet nicht. Denn derzeit sei es fast unmöglich, die gesetzliche Regelung umzusetzen; «wegen praktischer Schwierigkeiten», wie Fabian Dinkel, Leiter des Baselbieter Sozialamts, erklärt: «Um alle Vermögenswerte aufzulisten, braucht es sehr viele Abklärungen.»

Wie geht man zum Beispiel mit einem Haus in der Ukraine um, von dem man nicht weiss, ob es jemals wieder bezogen werden kann oder vielleicht schon in Trümmern liegt? Und manche Flüchtende haben derzeit Zugriff auf ihre ukrainischen Bankkonten, manche nicht.

«Solche Nachforschungen in der jetzigen Situation vorzunehmen, ist oft unmöglich und teils auch unzumutbar», sagt Dinkel. Im Vordergrund stehe derzeit die Sozialhilfe im Sinne einer Soforthilfe.

Jobsuche mit Erfolgsaussichten

Ein grosses Fragezeichen ist, wie lange die ukrainischen Flüchtlinge hier bleiben. «Wenn sie in wenigen Monaten wieder heim können, macht es Sinn, dass sie ihr Auto behalten», sagt der kantonale Asylkoordinator Rolf Rossi. Zudem weiss er, dass viele Flüchtende hier Arbeit suchen, mit einigen Erfolgsaussichten. «Die Ukrainer sind so: Sie möchten unabhängig vom Staat sein.»

Sozialhilfe wird also vermutlich für viele bloss eine kurze Übergangslösung sein. Vorläufig den Ukrainerinnen und Ukrainern ihr Auto zu lassen und sie trotzdem zu unterstützen, entspricht der Empfehlung der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (Skos). Erst nach sechs Monaten Aufenthalt sei «die Verwertung der persönlichen Effekte sowie die Sicherung allfälliger noch nicht verfügbarer Vermögenswerte in der Ukraine zu prüfen».

Gleichbehandlung wird langfristig wichtig

Der Bundesrat hat bei der Inkraftsetzung von Status S betont, dieser sei «rückkehrorientiert». Falls trotzdem längere Sozialhilfeabhängigkeiten entstehen, müssen die Behörden Lösungen finden. Dessen ist sich Rossi bewusst – und zwar schon nur aus Gründen der rechtlichen Gleichbehandlung. «Wenn ein Einheimischer sieht, dass er von der Sozialhilfe schlechter gestellt wird als Leute aus der Ukraine, sendet das langfristig nicht gerade eine gute Botschaft aus.»

Die Bevölkerung reagiere sehr sensibel auf solche Beobachtungen. In der Zwischenzeit stellen sich praktische Fragen. Sollen Asylzentren Parkplätze für Bewohnende zur Verfügung stellen? Sollen die Gemeinden für Privatwohnungen Abstellplätze mieten? Oder brauchen die Flüchtenden eine Parkkarte? Wenn ja, wer bezahlt diese?

«Wir müssen noch klären, wie wir mit solchen Fragen umgehen», sagt Susanna Keller, Präsidentin des Baselbieter Verbands für Sozialhilfe. Es würden Gespräche zwischen den Gemeinden und dem kantonalen Sozialamt stattfinden.

Ukrainische Versicherungen sind gültig

Mit einer Frage müssen sich die ukrainischen Autobesitzenden allerdings nicht sonderlich beeilen: mit der Anmeldung ihres Fahrzeugs. Wie alle, die in die Schweiz ziehen, haben sie dafür ein Jahr Zeit, wie Pascal Donati, Leiter der Baselbieter Motorfahrzeugkontrolle, erklärt. Auch in Sachen Versicherung müssen sie sich seiner Meinung nach keine Sorgen machen, denn: «Ich gehe davon aus, dass ihre Autos in der Ukraine versichert sind.»

Und falls Flüchtende ihr Auto verkaufen wollen oder müssen? Dann fallen ihre Fahrzeuge unter die üblichen europäischen Importbestimmungen. Donati: «In Europa gekaufte Autos entsprechen unseren Normen, das ist höchst selten ein Problem.» Spätestens hier wird einem wieder bewusst, wie nahe die Ukraine liegt.
(https://www.bzbasel.ch/basel/baselland/ukraine-krieg-gefluechtete-sollen-vorlaeufig-ihr-auto-im-baselbiet-behalten-duerfen-obwohl-das-die-sozialhilfe-eigentlich-verbietet-ld.2270213)


++++GLARUS
Kanton Glarus rechnet bis Juni mit 300 Kriegsflüchtlingen (ab 01:07)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/kleinflugzeug-im-saentisgebiet-abgestuerzt?id=12168429
-> https://www.gl.ch/public-newsroom.html/31/newsroomnews/2681/title/grundlagen-fur-aufnahme-von-fluchtlingen-aus-der-ukraine-geschaffen


+++GRAUBÜNDEN
Ukraine-Krieg: Flüchtlingskinder in Churer Schule
https://www.suedostschweiz.ch/sendungen/rondo-news/rondo-news-31-03-22


+++LUZERN
Ukraine Krieg: In Luzern schon 60 Flüchtlinge umplatziert
Flüchtlinge aus dem Ukraine-Krieg bei Gastfamilien zu integrieren, ist eine Herausforderung. Aus diversen Gründen kommt es zu Umplatzierungen.
https://www.nau.ch/news/schweiz/ukraine-krieg-in-luzern-schon-60-fluchtlinge-umplatziert-66142801


+++ZUG
Integrationsklasse für ukrainische Flüchtlinge
https://www.tele1.ch/nachrichten/integrationsklasse-fuer-ukrainische-fluechtlinge-146000117


In Menzingen entsteht eine weitere Flüchtlingsunterkunft: 200 Menschen sollen im Kloster Platz finden
Der Kanton Zug, das Kloster Menzingen und die Gemeinde sind übereingekommen, dass der freistehende Südtrakt beim Mutterhaus temporär für Geflüchtete aus der Ukraine genutzt werden kann. Bezugsbereit ist der Gebäudeteil Mitte April.
https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/zug/ukrainekrieg-groesste-fluechtlingsunterkunft-im-kanton-zug-kommt-nach-menzingen-200-fluechtlinge-sollen-im-kloster-unterkommen-ld.2270457


+++ZÜRICH
Flüchtlingskinder in Zürcher Schulen
Wie integrieren die Zürcher Stadtschulen die ukrainischen Flüchtlingskinder? Vor dieser Aufgabe steht derzeit Stadtrat Filippo Leutenegger. Er und sein Departement suchen nach Lösungen, um die bevorstehende Flüchtlingswelle in den Schulen zu stemmen. Gleichzeitig zeigt er auch privat Herz und stellt seine Wohnung einer sechsköpfigen ukrainischen Flüchtlingsfamilie zur Verfügung.
https://tv.telezueri.ch/talktaeglich/fluechtlingskinder-in-zuercher-schulen-145796212


+++SCHWEIZ
Familie Nasser kommt an
«Es war der Horror, einfach nur Horror, ein Trauma». Raoaa Nasser ist vor acht Jahren aus dem Krieg in Syrien in die Schweiz geflüchtet und jetzt wiederholt sich die Geschichte. Täglich sieht sie Bilder von Flüchtlingen aus der Ukraine.
https://www.srf.ch/play/tv/dok/video/familie-nasser-kommt-an?urn=urn:srf:video:2db17005-aa90-469f-b278-05971d5efa6b&aspectRatio=16_9


«Warum erhalten wir nicht diese Möglichkeiten?»
Während die Schweiz Geflüchtete aus der Ukraine willkommen heisst, stecken andere im repressiven Asylregime fest. Ihre Gesuche werden derzeit nicht einmal bearbeitet.
https://www.woz.ch/blog/der-woz-blog-zum-ukrainekrieg/2022/03/31/warum-erhalten-wir-nicht-diese-moeglichkeiten
-> https://journal-b.ch/artikel/warum-erhalten-wir-nicht-diese-moeglichkeiten/
-> https://www.telebaern.tv/telebaern-news/die-ungleiche-behandlung-von-fluechtlingen-kommt-nicht-gut-an-146000771


Offene Türen: Solidaritäts-Welle für Flüchtende – Rundschau
Viele in der Schweiz wollen Flüchtenden aus der Ukraine helfen. Tausende Gastfamilien sind bereit, Menschen aufzunehmen. Die «Rundschau» zeigt zwei Geschichten von geflohenen Familien, die in der Schweiz ein neues Zuhause gefunden haben.
https://www.srf.ch/play/tv/rundschau/video/offene-tueren-solidaritaets-welle-fuer-fluechtende?urn=urn:srf:video:8618df91-7c75-4dd5-b18e-a0dd540cd0f2
-> https://www.toponline.ch/news/schweiz/detail/news/bund-muss-weitere-plaetze-fuer-schutzsuchende-schaffen-00179810/
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/gefluechtete-aus-der-ukraine-fluechtlinge-vieles-funktioniert-aber-bund-braucht-mehr-plaetze
-> https://www.luzernerzeitung.ch/news-service/inland-schweiz/ukraine-krieg-zu-wenig-plaetze-fuer-fluechtlinge-bund-oeffnet-militaerturnhallen-ld.2270760


Ukraine-Krieg: Bund & Kantone informieren über Geflüchtete
Bereits über 20’000 Menschen sind vor dem Ukraine-Krieg in die Schweiz geflüchtet. Der Bund und die Kantone informieren über die aktuelle Lage.
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/ukraine-krieg-bund-kantone-informieren-uber-gefluchtete-66144525
-> https://telebasel.ch/2022/03/31/bund-braucht-zusaetzliche-plaetze-fuer-fluechtlinge-aus-ukraine/?utm_source=lead&utm_medium=grid&utm_campaign=pos%200&channel=105105


Warum die Operation Libero bei der Linken gerade in Ungnade fällt
Zwischen der Linken und der Operation Libero knirscht es im Gebälk. Hintergrund ist die Aufstockung des Frontex-Beitrages, über die die Schweizer Stimmbevölkerung am 15. Mai abstimmt.
https://www.watson.ch/!939606573


Flüchtlingshilfe fordert kostenlose Strafregisterauszüge
Um Geflüchtete bei sich aufzunehmen, gibt es gewisse Anforderungen. Zum Beispiel das Vorweisen eines Strafregisterauszugs. Doch die Hürden für die Freiwilligenarbeit sollen abgebaut werden.
https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/ukraine-krieg-fluechtlingshilfe-fordert-kostenlose-strafregisterauszuege-ld.2270794


Bündnis: Gleichbehandlung aller Geflüchteten
Das «Bündnis unabhängiger Rechtsarbeit im Asylbereich» freut sich über die grosse Unterstützung der Geflüchteten aus der Ukraine. Die Solidarität steht allen Schutzsuchenden zu.
https://beobachtungsstelle.ch/news/buendnis-gleichbehandlung-aller-gefluechteten/


+++DEUTSCHLAND
Tönnies wirbt ukrainische Geflüchtete an: Aus der Not Profit schlagen
Der Schlachtbetrieb Tönnies rekrutiert in Polen ukrainische Geflüchtete als Arbeitskräfte. Nur gegen Arbeitsvertrag gibt es Transport und Unterkunft.
https://taz.de/Toennies-wirbt-ukrainische-Gefluechtete-an/!5845384/
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1162646.toennies-wenn-krieg-profit-in-aussicht-stellt.html


+++ITALIEN
Gegen illegale und unmenschliche Inhaftierungen. Wir sagen Nein zu den CPR*
Am vergangenen Samstag, den 12. März, fand eine von verschiedenen antirassistischen Gruppen einberufene Mahnwache vor dem Eingangstor des CPR* von Trapani – Milo statt, einer der Institutionen in Italien, in der irreguläre Ausländer*innen zur Verwaltungshaft festgehalten und so ihrer Freiheit beraubt werden, auch wenn sie keine Straftat begangen haben.
https://www.borderlinesicilia.it/de/news-de/gegen-illegale-und-unmenschliche-inhaftierungen-wir-sagen-nein-zu-den-cpr/


+++MOLDAWIEN
Der Berner Musiker Bänz Margot (44) hilft im armen Moldawien ukrainischen Flüchtlingen: «Sie verehren uns hier wie Götter»
Auf der Flucht aus der Ukraine verschlug es Bänz Margot (44) in die Hauptstadt Moldawiens. Dort setzt er sich für die Menschen auf der Flucht ein. Es herrscht Angst darüber, dass Putin auch dieses Land angreifen könnte.
https://www.blick.ch/ausland/der-berner-musiker-baenz-margot-44-hilft-im-armen-moldawien-ukrainischen-fluechtlingen-sie-verehren-uns-hier-wie-goetter-id17365356.html


+++MITTELMEER
Aus einem Schlauchboot: Sea-Eye rettet mehr als 70 Menschen im Mittelmeer
Die »Sea-Eye 4« hat am Mittwoch 74 Menschen von einem Schlauchboot im Mittelmeer aufgenommen. Zusammen mit weiteren Geflüchteten sind sie nun auf dem Seenotrettungsschiff auf der Suche nach einem Hafen.
https://www.spiegel.de/ausland/mittelmeer-sea-eye-rettet-mehr-als-70-menschen-a-0351bac3-7eff-4a70-a66f-6b2dd961ac11?utm_source=dlvr.it&utm_medium=twitter#ref=rss


+++GASSE
Pandemie verlagerte Drogenkonsum der Zürcher in die eigenen vier Wände (ab 10:02)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/fallen-am-freitag-die-masken-tatsaechlich?id=12169380
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/pandemiebedingt-weniger-drogenkonsum-im-oeffentlichen-raum-in-zuerich-00179790/


+++KNAST
Neues Solothurner Untersuchungsgefängnis nimmt Form an
Nun ist klar, wie das neue Untersuchungsgefängnis im Schachen in Deitingen aussehen wird: Das Siegerprojekt des Architekturwettbewerbs ist bekannt. Im neuen Untersuchungsgefängnis gibt es Platz für 150 Personen. (ab 11.07)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/neues-solothurner-untersuchungsgefaengnis-nimmt-form-an?id=12169212


+++BIG BROTHER
«18 aus 18»: Die Aufsichtsbehörde über die nachrichtendienstlichen Tätigkeiten AB-ND veröffentlicht ihren Tätigkeitsbericht 2021
Die unabhängige Aufsichtsbehörde über die nachrichtendienstlichen Tätigkeiten (AB-ND) führte 2021 18 Prüfungen bei den Nachrichtendiensten durch und sprach 18 Empfehlungen aus. Damit reduziert sich im Vergleich zu den letzten Jahren die Anzahl der Empfehlungen deutlich. Der neue Tätigkeitsbericht 2021 stellt die wichtigsten Erkenntnisse aus Sicht der nachrichtendienstlichen Aufsicht vor. Er ist der letzte Bericht unter der Leitung von Thomas Fritschi, der die AB-ND per Ende März 2022 verlässt.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-87812.html


Nachrichtendienst-Mitarbeitende könnten laut Bericht Infos leaken
Zahlreiche Führungswechsel beim Nachrichtendienst des Bundes haben zu schlechtem Arbeitsklima geführt. Laut einem Bericht besteht die Gefahr, dass unzufriedene Mitarbeitende geheime Informationen durchsickern lassen.
https://www.20min.ch/story/nachrichtendienst-mitarbeitende-koennten-laut-bericht-infos-leaken-330343380905
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/nachrichtendienst-aufsicht-kritisiert-fuhrungslose-zeit-66144890
-> https://www.blick.ch/politik/fuehrungslose-zeit-hat-folgen-dicke-luft-beim-nachrichtendienst-id17365747.html


Aufsicht hat Gesichtserkennungssystem des Nachrichtendienstes unter die Lupe genommen
In ihrem neusten Bericht äussert sich die Aufsichtsbehörde AB-ND zu Facial Recognition beim NDB.
https://www.inside-it.ch/gesichtserkennungssystem-des-nachrichtendienstes-unter-der-lupe-der-aufsicht-20220331


+++POLICE BE
DEINE RECHTE im Umgang mit Polizei und Justiz
augenauf Bern hat eine weitere Rechtshilfeinfo-Broschüre erstellt.
https://barrikade.info/article/5090
https://www.augenauf.ch/deine-rechte.html


+++FRAUEN/QUEER
Tag der Sichtbarkeit – Trans Musiker Msoke: «Ich habe schmerzhafte Erfahrungen gemacht»
Der Zürcher Reggae-Sänger musste zu sich selbst finden – und das in einer transphoben Szene.
https://www.srf.ch/news/panorama/tag-der-sichtbarkeit-trans-musiker-msoke-ich-habe-schmerzhafte-erfahrungen-gemacht


+++RECHTSPOPULISMUS
Kleine Anfrage Fraktion SVP (Alexander Feuz/Thomas Glauser, SVP): Reithalle Bern: was für Konsequenzen zieht der Gemeinderat daraus, dass der Regierungsrat den Entzug der Bewilligungsbefugnis in und rund um die Reithalle Bern prüfen muss und der Regierungsrat zusätzlich abklären will, ob auch die Denkmalpflege und Baupolizei dem Kanton übertragen will?
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=672f629e1fcf4468a8c8be1bcb0146c8


Kleine Anfrage Fraktion SVP (Alexander Feuz/Thomas Glauser, SVP): Neue «Zwischennutzer im Stöckacker mit Slogans ACAB (all cops are bastards). Greift der Gemeinderat endlich ein oder toleriert der Gemeinderat diese menschenverachtenden Äusserungen als Ausfluss der freien Meinungsäusserung?
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=ecc0ef9a2e8649bc9c098cdf64b14f71


«Die SVP will seit Kriegsausbruch die Stimmung kippen»
Sozialwissenschaftler Marco Ković erklärt im Gespräch, wieso Medien mehr über Positives berichten sollten und was die Corona-Pandemie mit dem Ukraine-Konflikt gemeinsam hat.
https://bajour.ch/a/KsJh95UJiLEoidNk/sozialwissenschaftler-marco-kovic-uber-solidaritat-und-medien


Breites Bündnis für die Ukraine in Bern: Nur die SVP steht bei der Friedensdemo abseits
Am Samstag findet erneut eine grosse Friedensdemo statt. Dahinter steht ein breites Bündnis – bis hin zu den bürgerlichen Parteien GLP, Mitte und FDP. Nur die SVP macht nicht mit und kritisiert ihre bürgerlichen Kontrahenten.
https://www.blick.ch/politik/breites-buendnis-fuer-die-ukraine-in-bern-nur-die-svp-steht-bei-der-friedensdemo-abseits-id17367371.html


+++RECHTSEXTREMISMUS
derbund.ch 31.03.2022

Freispruch vor Gericht: Hitlergruss hat keine Konsequenzen

Ein Massnahmengegner zeigte an einer Demo in Bern den Hitlergruss. Er habe bloss provozieren wollen, argumentierte der 50-Jährige vor Gericht.

Michael Bucher

Er sei sicher kein Nazi, gab der Mann vor Gericht zu verstehen. «Es war eine spontane Handlung.» Alles in allem habe er bloss provozieren wollen, legte er am Donnerstagnachmittag vor dem Regionalgericht Bern dar.

Bei besagter Provokation handelt es sich um einen Hitlergruss. Gezeigt hatte ihn der heute 50-jährige Berner am 8. September letzten Jahres an einer bewilligten Kundgebung der Massnahmenkritikerinnen und -kritiker. Geschätzt 3000 aufgebrachte Menschen marschierten an jenem Abend durch Bern. Der Bundesrat hatte zuvor die Ausdehnung der Zertifikatspflicht auf Restaurants bekannt gegeben.

Beim Waisenhausplatz traf der Demozug auf eine kleinere Gegenkundgebung aus dem linksaktivistischen Milieu. Es kam zu gegenseitigen Beleidigungen. Inmitten dieser aufgeheizten Stimmung hob der Beschuldigte den Arm zum Hitlergruss in die Höhe und verharrte so einige Sekunden.

Weil später ein Video von der Szene auf Social Media kursierte, brach ein Shitstorm über den Mann herein. Er fühlte sich genötigt, seine Tat zu erklären. Dies tat er mit einer längeren Stellungnahme auf seiner Website. Am Donnerstag konnte er sich auch vor Gericht rechtfertigen. Dies deshalb, weil er sich gegen die von der Staatsanwaltschaft ausgesprochene Busse von 200 Franken gewehrt hatte.

Mann sieht sich als Opfer

Der Beschuldigte, der in Bern einen Verkaufsstand betreibt, sieht sich in der ganzen Geschichte als Opfer einer öffentlichen Anprangerung. Wegen des von linken Gegendemonstranten gestreuten Videos hätten sich viele Leute von ihm distanziert, weil sie dachten, er sei ein Rechtsradikaler. «Ein schlimmeres Image kann man nicht haben», meinte der Mann.

Die Gegendemonstranten hätten den Massnahmenkritikern den Mittelfinger gezeigt. «Da dachte ich: Wenn ihr uns als Nazis beschuldigt, so grüsse ich euch halt wie einer», so der Beschuldigte. «Ich wollte ihnen den Spiegel vorhalten.» Denn wer andere Meinungen nicht toleriere, handle antidemokratisch.

Provokationen wie jene des Beschuldigten bewegen sich in einem juristischen Graubereich. Denn anders als etwa Deutschland hat die Schweiz eine relativ lasche Gesetzgebung, wenn es um das öffentliche Zurschaustellen von Nazi-Symbolik geht. Hier gilt: Der Hitlergruss ist grundsätzlich erlaubt. Nur wer damit Propaganda für den Nationalsozialismus betreibt, macht sich wegen Rassendiskriminierung strafbar. So hat es das Bundesgericht 2014 in einem Urteil festgehalten.

Bund will kein Verbot

Das wusste natürlich auch die Staatsanwaltschaft. Deshalb «flüchtete» sie sich wohl in den Vorwurf des «unanständigen Benehmens», der schliesslich im Strafbefehl steht. Doch dieser breit gefasste Straftatbestand verfing nicht. Die Richterin sprach den Mann frei und brummte dem Kanton die Verfahrenskosten von 1100 Franken auf.

Sie argumentierte mit der fehlenden Rechtsgrundlage auf Bundesebene und verwies darauf, dass sich auch der Bundesrat und die eidgenössischen Räte mehrmals dagegen aussprachen, Nazi-Symbolik wie etwa den Hitlergruss generell unter Strafe zu stellen.

Der Mann nahm das Urteil regungslos zur Kenntnis. Später dankte er der Richterin, fügte jedoch an, dass er «nichts anderes erwartet» habe.
(https://www.derbund.ch/hitlergruss-hat-keine-konsequenzen-576876571571)
-> https://www.20min.ch/story/r-c-zeigte-an-corona-demo-den-hitlergruss-gericht-spricht-ihn-frei-794060388665
-> https://www.20min.ch/video/mit-dem-hitlergruss-habe-ich-viele-freunde-vor-den-kopf-gestossen-404505309496



derbund.ch 31.03.2022

Ultarechtes Asow-Regiment Die Neonazis, die für die Ukraine kämpfen

Die Stadt Mariupol wird vor allem vom rechtsextremen Asow-Regiment verteidigt. Weil die ukrainische Regierung froh ist um jeden Kämpfer, hat sie die schlagkräftige Gruppe in die Nationalgarde aufgenommen.

Florian Hassel aus Belgrad

Es war eine staatstragende Botschaft, mit der sich das Asow-Regiment am 28. März an die Bevölkerung Russlands wandte. In einer vom russischen Journalisten Alexander Newsorow verbreiteten Botschaft wünschten die Kämpfer, die bei der Verteidigung der eingeschlossenen Hafenstadt Mariupol die Hauptrolle spielen, «denkenden Russen, ihre Regierung zu stürzen, die ihre Söhne wegen lügnerischer Illusionen einer verdrehten Wirklichkeit in den Tod schickt».

Zur verdrehten Wirklichkeit gehört demnach die Propaganda, die Russland über die angeblich in der Ukraine regierenden «Faschisten» verbreitet – und dabei dem Asow-Regiment besondere Aufmerksamkeit widme. «Die Kreml-Propaganda nennt uns Nazis und Faschisten und sich selbst Befreier, die eine ‹Denazifizierung› durchführen.» Tatsächlich sei Asow «eine Unterabteilung der Nationalgarde, in der Ukrainer und Russen, Juden und Griechen, Georgier, Krimtataren und Weissrussen dienen. Wir verurteilen Nazismus und Stalinismus. Denn unser Land hat am meisten unter diesen totalitären Regimen und verlogenen Ideologien gelitten.»

Die Armee zählt auf die Asow-Kämpfer

Diese Darstellung ist Regierungslinie und wird auch vom Zentrum für Gegenwirkung gegen Desinformation verbreitet, das an den Nationalen Sicherheitsrat der Ukraine angebunden ist. Oder von ukrainischen Vertretern im Ausland, etwa dem deutschen Botschafter Andri Melnik.

Tatsächlich besteht kein Zweifel daran, dass die Männer des Asow-Regiments seit Wochen Mariupol verteidigen und ohne sie die strategisch wichtige Hafenstadt wohl schon in russischer Hand wäre. Das bestätigte vor einigen Tagen selbst Denis Puschilin, der nominelle Führer der Moskauer Marionettenregion «Volksrepublik Donezk», als er im russischen Fernsehen dortige Erwartungen auf eine schnelle Einnahme Mariupols mit dem Hinweis auf die «mehreren Tausend Mann» des Asow-Regiments dämpfte.

Groteske russische Propaganda

Klar ist auch, dass die Moskauer Propaganda, bei der Präsident Wladimir Putin die gesamte ukrainische Führung einschliesslich Präsident Wolodimir Selenski als «Faschisten» bezeichnet, eine groteske Lüge ist. In Bezug auf Selenski ist sie besonders zynisch angesichts der Tatsache, dass er Jude ist und einen grossen Teil seiner Vorfahren durch deutsche Mörder im Holocaust verlor.

Freilich sind etliche Männer des Asow-Regiments alles andere als bekennende Antifaschisten und Demokraten. Die Ursprünge der früher Asow-Bataillon genannten Einheit reichen nach Charkiw zurück, der heute ebenfalls heftig umkämpften zweitgrössten Stadt der Ukraine. Dort gehörten Ultrarechte und Hooligans des dortigen Fanclubs FC Metalist Charkiw zu denjenigen, die 2014 im beginnenden Krieg gegen Russland in der Ostukraine als Freiwillige antraten.

Helme mit SS-Runen

Ultranationalistisches und neonazistisches Gedankengut war bei Asow an der Tagesordnung. Asow-Gründer Andri Bilezki etwa erklärte 2010, «die historische Mission unserer Nation» sei es, «die weissen Rassen der Welt in einem finalen Kreuzzug für ihr Überleben, einem Kreuzzug gegen die semitisch geleiteten Untermenschen» anzuführen. Asow-Kämpfer liessen sich 2014 mit Helmen mit SS-Runen abbilden, noch ein Jahr später zeigten Kämpfer einem polnischen Journalisten Nazi-Tattoos und -Embleme auf ihren Uniformen.

Auch in vergangenen Jahren berichteten ausländische Journalistinnen und Journalisten über sich freizügig als Nazis bekennende Asow-Kämpfer – und deren grosse Anziehungskraft auf Rechtsradikale und angebliche weisse Übermenschen aus etlichen Ländern. Der englische Investigativdienst Bellingcat dokumentierte detailliert die Kontakte von Asow zu US-Rechtsradikalen und der White-Supremacy-Bewegung. Bellingcat-Forscher Oleksii Kusmenko urteilte im Ukraine-Fachdienst des Atlantic Council, Rechtsradikale hätten dem Image der Ukraine geschadet.

Froh um jeden Kämpfer

Warum akzeptiert die Ukraine Rechtsradikale in ihren Reihen? Die wohl wesentlichste Antwort: weil sie froh über jeden ist, der das Land mit der Waffe verteidigt. Als Russland 2014 die Übernahme ostukrainischer Städte durch russische Geheimdienstler und von ihnen gesteuerte lokale Kräfte organisierte, Waffen und russische Truppen in die Ukraine schickte, stand die damals heruntergewirtschaftete ukrainische Armee mit dem Rücken zur Wand. Präsident Petro Poroschenko und der langjährige Innenminister Arsen Awakow akzeptierten die Aufstellung von Freiwilligenbataillonen, bei denen nicht nur das Asow-Bataillon Männer mit rechtsradikaler oder ultranationalistischer Gesinnung aufnahm, Widersprüche nicht ausgeschlossen: Hauptfinanzier des Asow-Bataillons war in dessen Anfangszeit der jüdische Milliardär und Oligarch Ihor Kolomoiski.

Mut und Kampfeseifer der Asow-Männer standen bald ausser Frage. Die Asow-Kämpfer machten sich an etlichen Stellen der Front einen Namen, auch bei der Befreiung Mariupols von den russischen «Separatisten». Der UNO-Menschenrechtskommissar berichtete indes 2014/2015 mehrfach über Plünderungen, illegale Festnahmen und Folter durch Asow-Männer.

Wichtig in Mariupol

Gleichwohl wurde das Bataillon zum Regiment aufgewertet und wie andere Freiwilligenbataillone in eine dem Innenministerium unterstellte Nationalgarde aufgenommen. Seitdem ist Asow mit seinem Hauptquartier in Mariupol die zentrale Verteidigungseinheit der strategisch überragend wichtigen Hafenstadt. Der Grund ist der gleiche wie seit Kriegsbeginn 2014: Die ukrainische Armee ist überfordert, allein das nach Russland flächenmässig grösste Land Europas zu verteidigen. Politikwissenschaftler und Ukraine-Experte Andreas Umland meint, die meisten Ukrainer interessierten sich für Symbole und Ideologie der Asow-Kämpfer angesichts ihrer militärischen Schlagkraft herzlich wenig.

Trotzdem urteilte Umland 2020, dass das Szenario einer nach rechts abdriftenden Ukraine ähnlich wie Deutschland in der Weimarer Republik zwar unwahrscheinlich sei, doch seien die politischen Ableger des Asow-Regiments «die möglicherweise grösste einheimische rechtsradikal-extremistische Bedrohung für die Demokratie der Ukraine». Dies vor allem, weil das Asow-Lager mit mehreren politischen Untergruppen eine ultranationalistische, modern verpackte Identität geschaffen habe, die in der ganzen Ukraine vor allem junge Menschen anspreche.

Deren Elemente sind Ultranationalismus, Anti-LGBT-Aktionen oder Gegnerschaft zu Feminismus. Schlagzeilen machten Attacken auf eine Antidiskriminierungsveranstaltung in Mariupol und 2018 auf einen antifaschistischen Marsch in Kiew. Dazu ein Anschlag auf eine Roma-Siedlung in Lwiw am 23. Juni 2018. Dabei starb ein 24 Jahre alter Mann, vier Menschen wurden verletzt. Die mutmasslichen Täter sagten aus, sie gehörten zur «Nüchternen und wütenden Jugend», einer rechtsradikalen Gruppe mit direkter Verbindung zu Asow.

Politisch wenig bedeutend

Gleichzeitig ist die politische Durchschlagskraft von Asow und anderen Rechtsradikalen gering. Weder die ultranationalistische Swoboda-Partei noch die rechtsradikale Organisation Prawy Sektor noch Asow haben nennenswerte politische Unterstützung. Der Asow-Ableger «Nationales Korps» etwa, geführt von Asow-Gründer Bilezki, kam bei der letzten Parlamentswahl 2019 selbst in einem Bündnis mit Swoboda und anderen Rechtsradikalen gerade auf klägliche 2,15 Prozent der Stimmen.
(https://www.derbund.ch/die-neonazis-die-fuer-die-ukraine-kaempfen-178927390637)


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
tagesanzeiger.ch 31.03.2022

Verschwörungstheorien aus Winterthur: Millionen von Klicks für «lokales» Pro-Putin-Portal

Das Onlineportal Uncutnews.ch publiziert verschwörungstheoretische Artikel aus aller Welt. Es generiert mehr Traffic denn je. Lanciert hat es ein Winterthurer.

Till Hirsekorn

«Wird Ihr Land von einem Psychopathen geführt? Die Welt wird jetzt von einer Gruppe von Verschwörern kontrolliert.» Oder: «Was Ihnen die Medien über den Krieg in der Ukraine verschweigen.» Oder: «Arzt über Covid-Impfung: ‹Das ist vorsätzlicher Massenmord.›» Es sind schrille Schlagzeilen wie diese, die auf dem Alt-News-Portal www.uncutnews.ch platziert werden. Ton und Thesen sind gesetzt: Geteilt werden antiwestliche, Corona-skeptische und prorussische Inhalte. Die verlinkten Quellen führen auf dubiose private Blogs auf der ganzen Welt. Häufig auch auf rechtslibertäre News-Websites aus den USA, die gegen die Eliten und den «linken Mainstream» anschreiben.

Gegründet wurde Uncut-News von einem Winterthurer, Horst B. Mit dem Moviehouse hatte er an der Bollstrasse in Seen jahrelang eine Videothek betrieben, später einen Onlinevertrieb mit Abhollager.

3,6 Millionen Besuche pro Monat

2018 hat diese Zeitung erstmals über Uncut-News berichtet. Seither ist viel passiert. Mit polarisierenden Themen wie der US-Präsidentschaft von Donald Trump, Covid-19 und nun dem Ukraine-Krieg ist auch Uncut-News gewachsen – und zwar deutlich: Die Anzahl Besuche («Visits») hat sich seit 2018 mehr als verfünffacht. Gemäss dem Web-Traffic-Monitoringdienst Similarweb waren es seit letztem Dezember zwischen 3,2 bis 3,6 Millionen Visits pro Monat.

Die Zahlen sind eher ungenau und variieren je nach Tracker. Dennoch zeigen sie die Relation: Blick.ch hatte laut Similarweb zuletzt knapp 39 Millionen, Watson.ch 8,4 und die «Aargauer Zeitung» 3,1 Millionen Visits pro Monat.

Was sich seit 2018 nicht verändert hat: Mehr als die Hälfte der Besuche, die Uncut-News registriert, stammen aus Deutschland. Dort scheint das Portal bekannter zu sein als in der Schweiz. Bei den Bundestagswahlen 2021 hat das Center für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas) untersucht, welche Rolle Verschwörungstheorien während des Endspurts der letzten Bundestagswahlen gespielt haben. In einem Wahlkampf, der von «diffamierenden Kampagnen und Desinformation» geprägt gewesen sei, die oft von einem «verschwörungsideologischen und rechtsextremen Milieu» initiiert, genutzt oder weiterverbreitet worden seien.

Der klar beliebteste Kanal, um solche Inhalte zu verbreiten, war der Messenger-Dienst Telegram: 209’000 verlinkte Artikel «alternativer Medien» zählte das Cemas in seiner Analyse. Auf den Plätzen zwei und drei folgen Youtube (86’000) und Twitter (10’100). Der Befund: Von den zehn einflussreichsten Alt-News-Portalen in Deutschland wurde Uncut-News am häufigsten geteilt, insgesamt 15’572-mal. Mehr als der russische Staatssender Russia Today DE (12’670) oder die rechtspopulistische Epochtimes.de (10’779).

Journalist Till Eckert vom Investigativnetzwerk Correctiv wird in der Studie wie folgt zitiert: «Uncut-News fiel während der Corona-Pandemie vor allem durch irreführende Artikel zum Coronavirus auf.» Als Beispiel nennt Eckert die Todesfälle in einem Pflegeheim in Spanien, die das Portal mit der Impfung in Verbindung gebracht habe, obwohl nachweislich Covid-19 die Todesursache gewesen sei. «Uncut-News bediente damit ein Narrativ, das zu dieser Zeit besonders viralging.»

Auch zum Thema Ukraine-Krieg wird Uncut-News in Deutschland fleissig geteilt, wie Cemas für einschlägige Telegram-Kanäle ausgewertet hat: Platz 5 in der ersten Woche seit Kriegsbeginn, mit fast 2000 Links.

Übersetzte Artikel von US-Blogs

Sozialwissenschaftler Marko Kovic ist Experte für Verschwörungstheorien. Er attestiert Uncut-News eine gewisse Professionalität, zumindest was die Aufmachung, die Frequenz und das Spektrum anbelangt. Der Uncut-News-Betreiber schreibt kaum je selber. Er kuratiert die Seite. Zwischen 20 und 30 Artikel und Essays laufen täglich auf die Seite. Sie stammen von anderen Portalen, wurden kopiert, neu produziert und auf die Uncut-News-Seite abgefüllt, kommen zwei Web-Entwickler übereinstimmend zum Schluss. Möglich sei, dass der Betreiber über einen Feed an gewisse Artikel komme. «Am schnellsten ginge es wohl, sich die Artikel auf einschlägigen Telegram-Kanälen zusammenzusuchen», meint etwa der Winterthurer IT-Unternehmer Christian Fehrlin.

Die Artikelauswahl, so Kovic, decke ein breites Spektrum an Blogs und Portalen ab. Vor allem auch englischsprachige Beiträge aus den USA, die gut übersetzt seien. Beiträge von einschlägigen Alt-News-Seiten wie Gateaway Pundit, Zero Hedge, aber auch vom ultrakonservativen US-Sender Fox-News und dessen Starmoderator Tucker Carlson. Dieser verbreitete unlängst die Theorie, dass die USA und die Ukraine gemeinsame Biowaffen-Labore betreiben würden. Neuster Dreh der «Bio-Lab»-These, den auch Uncut-News bemüht: Hunter Biden, der Sohn des demokratischen US-Präsidenten, soll die Labore finanziert haben.

Uncut-News verbreite laut Kovic die klassischen Verschwörungsnarrative: Covid-19 ist eine Erfindung der Eliten und Pharmakonzerne, die Impfung dagegen tödlich, die Massenmedien lügen, im Ukraine-Krieg geht die Aggression vom Westen aus. Präsident Putin – der kluge und entschlossene Stratege – reagiert nun darauf. «Das ist Kremlpropaganda, und zwar ziemlich fadengerade», meint Kovic. Uncut-News fische am rechten Rand. Zu diesem Schluss kam bereits schon Kommunikationswissenschaftlerin Edda Humprecht, die an der Universität Zürich zu Fake-News-Trends forscht.

Auf Telegram hat Uncut-News über 84’000 Mitglieder. Der Ton der Diskussion in diesem Forum sei vergleichsweise gemässigt, meint Kovic. Sein Fazit zu Uncut-News: Bemerkenswert sei vor allem, dass es Texte und Theorien aus dem angelsächsischen Raum übersetze und so in der deutschsprachigen Community bekannter mache. «Und das mit relativ wenig Aufwand.»

Nach Thailand ausgewandert?

Auf Anfragen per Mail reagierte Horst B. nicht mehr. Seit zehn Jahren ist neben dem 59-Jährigen im Handelsregister auch eine W. Speich bei der Movie-House GmbH eingetragen. Das war bis 2010 auch drei Jahre lang B.s Sohn. Dieser sagt am Telefon, sein Vater sei inzwischen nach Thailand ausgewandert und der Kontakt zu ihm sei praktisch abgebrochen.

Eine Bande in die Schweiz und nach Winterthur besteht aber nach wie vor. Der Status der Firma ist nach wie vor «aktiv», Sitz ist die Bollstrasse 4 in Winterthur. Gehostet wird die Website von der Firma Hostpoint aus Rapperswil-Jona. Und auf Uncutnews.ch – wo ein echtes Impressum fehlt – wird um Spenden gebeten, und dabei auf ein Konto bei der Zürcher Kantonalbank verwiesen.



Fake-News erkennen, aber wie?

Im aktuellen sicherheitspolitischen Bericht zählt der Bundesrat «Beeinflussungsaktivitäten und Desinformation» zu einer von zehn potenziellen Bedrohungen für die Schweiz. Dabei bezieht er sich vor allem auf staatlich gelenkte Kampagnen, Aktionen und manipulierte Informationen, die sich gegen die «offene und demokratische Gesellschaft» richten. Als Akteure explizit erwähnt werden die Länder China und Russland. In der EU wurden der staatliche russische TV-Sender Russia Today und Sputnik Anfang März wegen der Verbreitung von Kriegspropaganda verboten. Tipps, wie man Desinformation im Netz erkennt, geben Portale wie CH.ch, Avaaz.org oder Klicksafe.de.

Um Verschwörungstheorien oder Falschmeldungen zu erkennen, helfen folgende Kontrollen:
1) Titel und Narrativ hinterfragen: Ist er reisserisch, schockierend und letztlich unwahrscheinlich? Falschmeldungen versuchen zu emotionalisieren. Oft wird strikt zwischen «Gut und Böse» getrennt, zwischen «Opfer und Täter». Um Behauptungen als faktenbasiert darzustellen, wird oft auf das Motiv einer Person oder Gruppe (die Profiteure) fokussiert. Es werden Zusammenhänge konstruiert, es wird die absolute Wahrheit verkündet und zum Handeln aufgerufen.
2) Quelle prüfen: Wer ist der Autor des Artikels? Sind die zitierten Experten seriös, echte Kapazitäten auf ihrem Gebiet und arbeiten für eine renommierte Einrichtung? Oder täuschen sie Seriosität vor, etwa mit einem Doktortitel?
3) Fakten-Check: Haben andere, vertrauenswürdige Nachrichtenportale diese Meldung auch veröffentlicht?

Wer auf Social Media eine Falschnachricht entdeckt, sollte dies dem Betreiber melden.
Weitere Portale mit Tipps zum Umgang mit Verschwörungstheorien und Falschmeldungen:
– Amadeu-Antonio-Stiftung
– Dergoldenealuhut.de
– Correctiv.org. (hit)
(https://www.tagesanzeiger.ch/millionen-von-klicks-fuer-pro-putin-portal-245770902613)

-> https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/propaganda-fuer-putin-schweizer-verschwoerer-portal-macht-millionen-klicks-id17365660.html



Österreicherinnen und Österreicher für Verschwörungsideologien besonders anfällig
Die Hälfte der Ungeimpften glaubt den teils rechtsextremen und antisemitischen Botschaften der QAnon-Szene
https://www.derstandard.at/story/2000134567681/oesterreicher-fuer-verschwoerungsideologien-besonders-anfaellig?ref=rss


„Welt“-Reporter und Querdenken: Streit um „Coronaleugner“
Dem „Welt“-Chefreporter Tim Röhn wird vorgeworfen, er verteidige Demos von Verschwörungsideologen. Gegen die Kritik geht er nun juristisch vor.
https://taz.de/Welt-Reporter-und-Querdenken/!5841293/


Umfrage zu Verschwörungsmythen: QAnon-Legenden bei AfD-Wählern verbreitet
Von Geschichten über Kinder, die geopfert würden, bis hin zum Sturm auf das Kapitol: Die QAnon-Bewegung hat in den USA für viel Aufsehen gesorgt. Eine Studie zeigt: In Deutschland glauben vor allem AfD-Wähler an diese Legenden.
https://www.tagesschau.de/investigativ/qanon-studie-101.html


Verschwörungstheorien in Deutschland: Querdenker für Putin
Putin wolle in der Ukraine nur Biowaffen-Labore zerstören. Und die Bilder von toten Zivilisten seien von westlichen Geheimdiensten manipuliert. Es sind krude Verschwörungsideologen und Falschinformationen, die sich in der Querdenker-Szene breit machen. Auf Demonstrationen werden nun russische Fahnen geschwenkt. Eine Begeisterung für Russland, die bereits 2014 mit dem Ukraine-Konflikt und den so genannten „Mahnwachen für den Frieden“ begann. Ein Bündnis, dem sich auch Antisemiten und Rechtsextreme anschlossen. Viele Akteure, die heute im Querdenker-Milieu eine Rolle spielen, mischten damals schon mit – etwa Jürgen Elsässer, rechtsradikaler Vordenker und Chefredakteur des „Compact“-Magazins. Welche Rolle spielt dabei russische Desinformation?
https://www.rbb-online.de/kontraste/archiv/kontraste-vom-31-03-2022/querdenker-fuer-putin.html



luzernerzeitung.ch 31.03.2022

Und ewig lockt das Megafon – oder die Mühen von «Mass-Voll» mit dem Ende der «Tyrannei»

Die letzten Massnahmen sind weg, die Schweiz zurück in der normalen Lage. Nicolas A. Rimoldi, Kopf der Bewegung «Mass-Voll», leidet unter der geschwundenen Medienaufmerksamkeit.

Christoph Bernet

Morgen Freitag kehrt die Schweiz nach 668 Tagen in der besonderen und 68 Tagen in der ausserordentlichen Lage zurück zur normalen Lage. Damit fallen die letzten pandemiebedingten, behördlich angeordneten Massnahmen: die Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr und die Isolationspflicht nach einem positiven Test.

Mehr als zwei Jahre im Krisenmodus hat unser Land hinter sich. Infektionszahlen stiegen an und gingen zurück, Intensivstationen füllten und leerten sich, die Schlangen vor Impf- und Testzentren wurden länger und lösten sich wieder auf. Eines jedoch blieb konstant grenzenlos: das Sendungsbewusstsein von Nicolas A. Rimoldi, Gründer und Co-Präsident der ‹Jugendbewegung› «Mass-Voll», einer Gruppierung von Massnahmenkritikern.

Rimoldis Omnipräsenz und die Hartnäckigkeit, mit der er sich selber ins Zentrum rückte, waren innerhalb der Szene umstritten. Zwei Co-Präsidentinnen verliessen Rimoldis Seite und kehrten «Mass-Voll» den Rücken zu. Manche bekannte Livestreamer aus den «alternativen Medien» der Massnahmenkritiker unterbrachen ihre Berichterstattung, wenn Rimoldi das Wort ergriff. Andere ärgerten sich über Versuche des Luzerners und seiner Getreuen, sich mit ihren violetten Fahnen an die Spitze praktisch jedes Demonstrationszugs zu setzen. Auch eine unbewilligte Demo von «Mass-Voll» gegen das Impfdorf im Zürcher Hauptbahnhof kam szeneintern schlecht an.

Je länger, desto schriller

Doch es gelang Rimoldi, zu einem der bekanntesten Gesichter der Bewegung zu werden. Sein bärtiges Gesicht, oft mit einer Zigarre im Mund, war auf Pressebildern und Videos nicht wegzudenken. Der 27-Jährige, dessen politisches Engagement bei den Luzerner Jungfreisinnigen begann, genoss die Aufmerksamkeit offensichtlich. Und schien von ihr abhängig zu werden.

Je länger die Pandemie andauerte, desto radikaler wurden seine Aussagen, desto brachialer die Rhetorik, desto simpler das Schwarz-Weiss-Schema: Auf der hellen Seite die «Bürgerrechtsbewegung», die sich gegen «menschenverachtende Zwangsmassnahmen» einsetzt. Und auf der dunklen Seite der «staatlich-mediale Komplex» mit seiner «Propaganda», an dessen Spitze der tyrannische Bundesrat stehe, der «ins Gefängnis gehört».

Am Mittwoch nun hat dieser tyrannische Bundesrat die letzten Massnahmen, die Rimoldis Leben noch irgendwie betroffen haben, von sich aus aufgehoben. (Wobei er von der Maskenpflicht im ÖV dank eines ärztlichen Dispenses schon länger entbunden war.)

Dennoch rief ein bunter Strauss an massnahmenkritischen Bewegungen für den Mittwochabend zu einer Demonstration in Bern auf. Noch vor Wochenfrist zeigte sich Rimoldi zuversichtlich, dass dies «die grösste Bürgerrechtsdemo der letzten zwei Jahre» werden könnte.

    Das könnte die Grösste Bürgerrechtsdemo der letzten zwei Jahre werden. Jetzt wird es für gewisse Journalisten ganz schwierig, an der Verschwörungstheorie festzuhalten, die Bürgerrechtsbewegung sei zerstritten, gespalten und entvölkert. Wir weichen nicht! ✊🏻💜 https://t.co/i7FZo1Kn4B
    — Nicolas A. Rimoldi 💜🇰🇲 (@narimoldi) March 24, 2022

Bereits vorletztes Wochenende litt Rimoldi öffentlich unter der schwindenden Aufmerksamkeit, weil die Medien kaum über eine Demonstration in Basel (geschätzte Teilnehmerzahl: 500) berichteten. Dabei sei «Mass-Voll» so stark wie noch nie, versicherte er. Am Mittwochabend fanden sich gemäss Medienberichten noch rund 250 Menschen auf dem Bundesplatz in Bern ein – eine Zahl, welche die Stadtberner Sicherheitsdirektion auf Anfrage für realistisch hält. Das ist ein Bruchteil jener Zehntausenden Menschen, welche die Bewegung im letzten Oktober im Vorfeld der zweiten Abstimmung über das Covid-Gesetz mobilisieren konnte.

Die Luft ist draussen bei den Massnahmenkritikern. Die Mass, wie man in Bayern sagt, ist fast leer. Sie ist schal geworden.
(https://www.luzernerzeitung.ch/schweiz/glosse-und-ewig-lockt-das-megafon-oder-die-muehen-von-mass-voll-mit-dem-ende-der-tyrannei-ld.2270485)


+++HISTORY
hauptstadt.be 31.03.2022

Die saubere Berner Drogen-Normalität

Vor 30 Jahren schlossen die Berner Behörden die offene Drogenszene im Kocherpark. Heute ist der Konsum harter Drogen unsichtbar integriert in den städtischen Alltag. Zu welchem Preis?

Von Jürg Steiner

Bern war Anfang der 90er-Jahre in den Schlagzeilen, und zwar so richtig. Der US-Sender CNN zeigte mit drastischen Bildern, wie sich Fixer*innen auf der Bundesterrasse oder der Kleinen Schanze Heroin spritzten. Oder wie sie ohnmächtig herumlagen, sich prostituierten. Alles unter den Augen der nationalen Politik.

Die überforderten lokalen Behörden verdrängten die Szene nach ein paar Monaten aus dem ganz grossen Schaufenster hinüber in den Kocherpark, wo mehrere Hundert drogenabhängige Menschen rund ein Jahr lang in übelsten Verhältnissen verkehrten, wie man sie aus dem Film «Platzspitzbaby» aus der damaligen Zürcher Drogenszene kennt (einen Rückblick auf diese Zeit findest du hier).

Sanierung für eine halbe Million

Am 31.3.1992 untersagte die Berner Stadtregierung, damals noch mit bürgerlicher Mehrheit, «öffentlich sichtbares Fixen und Handeln» und sperrte den Kocherpark ab. Sie liess ihn für rund eine halbe Million Franken sanieren und neu anlegen.

Aus heutiger Sicht wirkt das wie der Start zu einer 30-jährigen Kampagne zwecks Aufwertung des öffentlichen Raums in der Stadt. Heute ist der Kocherpark, bei schönem Wetter, eine ruhige urbane Oase zwischen den brummenden Baustellen des Inselareals und des Bahnhofs. Menschen liegen über Mittag hemmungslos auf dem sorgsam gepflegten Rasen, wie man das früher nur von richtigen Grossstädten wie Berlin oder Paris kannte.

Und die Drogenszene?

Der schmucklose Eingang an der dicht befahrenen Zieglerstrasse, nur ein paar Hundert Meter vom Kocherpark entfernt, führt in ein ebensolches Treppenhaus. Dann hoch in den ersten Stock, wo Empfang, ambulante Medikamentenabgabe und Behandlungszimmer sauber getrennt sind. Ein interdisziplinäres Team aus Ärzt*innen, Psychotherapeut*innen  und Sozialarbeiter*innen bietet Sprechstunden oder Gesprächstherapien an. Die Besucher*innen werden Patient*innen genannt, wie in einer Arztpraxis.

Damit man bei der ambulanten Suchtbehandlung der Stiftung Contact einen Termin erhält, muss man bestimmte Voraussetzungen erfüllen. In erster Linie eine Opioidabhängigkeit, oder landläufig: eine Heroinsucht. Die meisten Patient*innen werden nicht zugewiesen, sondern melden sich selber an, sagt Max Bitterli, Leiter der Contact-Suchtbehandlung in Bern und Langenthal. Beim Erstgespräch vor Behandlungsstart würden sie sogar zum Urintest gebeten: «Wir wollen einen hieb- und stichfesten Nachweis, dass eine körperliche Abhängigkeit vorliegt.» So werde das Risiko minimiert, dass die eigentlich zur Behandlung abgegebenen Substanzen in Tat und Wahrheit weiter verdealt werden.

In der Gesellschaft integriert

Aktuell befinden sich laut Bitterli 390 abhängige Personen aus allen Gesellschaftsschichten bei Contact in der Suchtbehandlung, jede Therapie vom Kantonsärztlichen Dienst einzeln bewilligt. Die ältesten Patient*innen sind im Pensionsalter und begannen ihre Drogenlaufbahn in der Kocherpark-Epoche. «Die Zusammensetzung unserer Klientel», sagt Bitterli, «kann man mit derjenigen vergleichen, die Anfang der neunziger Jahre unter prekärsten Bedingungen in der offenen Szene verkehrte.» Mit dem Unterschied, dass die Betroffenen damals unter menschenunwürdigen Umständen dahinvegetierten. Heute führen sie ein weitgehend normales Leben.

Rund 20 Prozent der Patient*innen seien gut in die Gesellschaft integriert, sagt Bitterli. Sie arbeiten, studieren oder gehen sonst einer regelmässigen Beschäftigung nach, von aussen ist nicht sichtbar, dass eine anhaltende starke Abhängigkeit vorliegt. Andere sind randständig, haben Mühe, im Arbeitsmarkt Fuss zu fassen, eine Wohnung zu finden oder sich überhaupt eine Tagesstruktur zu geben. Auch für sie gibt es spezifische Betreuungsangebote.

Individuelle Dosierung

Kernpunkt der Suchtbehandlung ist jedoch die Abgabe von Ersatzmedikamenten für Heroin. In abgeschlossenen Schränken der Suchtbehandlungsstelle stapeln sich die Medikamentenschachteln. Die Substitutionsmedikamente werden sogar in einem eigenen geschlossenen Tresor aufbewahrt. Aus dem Schubladengestell ragt eine Plastikflasche mit eigentümlichem Spender, durch den die Mitarbeitenden der Medikamentenabgabe eine rötliche Flüssigkeit in mundgerechte Dosen abfüllen: Methadon.

Bei Unverträglichkeit wird auf tablettenförmige Produkte umgestiegen, Subutex zum Beispiel. «Wir stellen Präparat und Dosis bei allen Patient*innen individuell ein», sagt Bitterli, und zwar die möglichst richtige Dosierung, damit kein Verlangen nach einem Nebenkonsum anderer Substanzen entsteht.

Krankenkasse zahlt

Ziel der Suchtbehandlung ist nicht in erster Linie die Abstinenz, sondern ein beschwerdefreies Leben mit Tagesstruktur, aber ohne Beschaffungskriminalität. «Sucht ist eine chronische Krankheit», sagt Max Bitterli. Deshalb übernimmt die Krankenkassen-Grundversicherung die Kosten für die medikamentöse Behandlung.

Die meisten bleiben über sehr lange Zeit Patient*innen und holen an der Zieglerstrasse zwischen täglich und einmal pro Woche ihre verschriebene Ration ab – je nachdem, wie sie mit der Versuchung, grössere Stoffmengen schneller zu konsumieren, umgehen können. Wird Missbrauch entdeckt, steht umgehend ein Gesprächstermin an. Dass jemand aus der Suchtbehandlung geworfen wird, sei allerdings höchst selten.

Verschriebenes Heroin

Die Contact-Suchtbehandlung ist bloss ein Element im fein geflochtenen Netz der Unterstützung für Drogenabhängige, das in den letzten Jahrzehnten entstanden ist. Für die Konsumation von Drogen steht die Anlaufstelle an der Hodlerstrasse zur Verfügung, die von 700 registrierten Benutzer*innen frequentiert wird. Nur ein paar Schritte von der Praxis an der Zieglerstrasse entfernt befindet sich an der Belpstrasse die heroingestützte Behandlungsstelle Koda, die nicht von Contact, sondern von einem eigenen Verein betrieben wird.

Süchtige, die in dieses Programm aufgenommen werden, erhalten von medizinischem Fachpersonal Heroin gespritzt. Im Unterschied zur Behandlung mit Medikamenten, die das körperliche Verlangen lindern, erleben die Opioid-Süchtigen mit echtem Heroin den Flash. Koda bietet rund 200 Behandlungsplätze, finanziert ebenfalls über die Grundversicherung der Krankenkasse.

Rechnet man kurz zusammen, wird klar, dass im Vergleich zur den Zeiten des Kocherparks die Zahl der Heroin-Abhängigen – wenn überhaupt –  nur geringfügig abgenommen hat. Das bestätigt Rahel Gall, Geschäftsleiterin der Stiftung Contact: «Es wäre blauäugig, die Tatsache zu ignorieren, dass es im Kanton Bern nach wie vor viele Menschen gibt, die dauerhaft intravenös Heroin konsumieren.» In den letzten Jahrzehnten habe man aber gelernt, dass weder Repressionen noch Hilfsangebote alleine die Lösung seien. Sondern eine fein abgestimmte Kombination aus Repression, Prävention, Therapie und Schadensminderung.

Konkret: Wenn die Polizei Ansammlungen von Drogensüchtigen, die es bis heute immer wieder gibt, auflöst, kann sie sicher sein, dass den Vertriebenen Auffangangebote zur Verfügung stehen. Auf der anderen Seite haben die Anbieter*innen von Therapien oder Hilfestellungen die Gewähr, dass es bei repressivem Druck zu keiner Verelendung wie in den 90er-Jahren kommt, sondern betroffene Personen die schadensmindernden Angebote der Suchthilfe aufsuchen.

Konsum unter Kontrolle

Dieses Gleichgewicht, sagt Rahel Gall, sei jedoch kein Selbstläufer. Kleinste Veränderungen könnten die Balance stören – sei es, dass die Polizei ein wenig die Schraube anziehe oder sich das Angebot auf dem illegalen Drogenmarkt verändere.

Was in der Öffentlichkeit beim Thema Drogen oft aus dem Blickwinkel gerate, sei allerdings, wie viele Leute kontrolliert mit Suchtmitteln umgehen könnten. Die Konsumnachfrage hat sich von der «Verliererdroge» Heroin in Richtung aufputschender Substanzen wie etwa Ecstasy verlagert. «Mit diesen Drogen sind natürlich Risiken verbunden, die man unter keinen Umständen kleinreden darf», sagt Gall. Trotzdem könnten sie viele Menschen in vernünftigem Mass konsumieren, ohne eine Sucht zu entwickeln.

Deshalb plädiert sie dafür, als Fortsetzung der Drogenpolitik der letzten 30 Jahre «die kontraproduktiven Widersprüchlichkeiten anzugehen», die ihr nach wie vor innewohnten. Etwa die Illegalität von Substanzen wie Cannabis, dessen Suchtpotenzial nachgewiesenermassen nicht grösser sei als dasjenige von Alkohol. «Als Gesellschaft schreiben wir der Eigenverantwortung einen hohen Stellenwert zu, bei Risikosportarten zum Beispiel, wo wir Gefahren akzeptieren und autonom mit ihnen umgehen», sagt Rahel Gall. Warum wir ausgerechnet bei Drogen die Eigenverantwortung nicht höher gewichten, leuchtet ihr nicht ein.
(https://www.hauptstadt.be/article/30-jahre-schliessung-kocherpark)



hauptstadt.be 31.03.2022

Die Kocherpark-Epoche

Anfang der 90er-Jahre dominierte das «Drogenproblem» das Stadtbild in heute kaum mehr vorstellbarer Art. Jürg Steiner, damals junger Lokaljournalist bei der «Berner Zeitung», erinnert sich.

Von Jürg Steiner

In der Nacht auf heute vor genau 30 Jahren schloss die Berner Stadtregierung die offene Szene im Kocherpark und verbot öffentliches Fixen. Im Rückblick gilt das als politischer Akt, der die Entwicklung zur entspannten drogenpolitischen Situation von heute einleitete.

Es war, natürlich, komplizierter. Und ist es bis heute. Die ewige Frage, ob man Drogensüchtigen gegenüber zu viel Toleranz zeigt oder ihnen mit zu viel Repression begegnet, soll und muss man immer wieder aufwerfen. Abschliessend beantwortet wird sie wohl nie.

Vor 30 Jahren war das Bild von Menschen, die sich irgendwo in der Stadt in aller Öffentlichkeit einen Schuss setzten, allgegenwärtig. Ab 1982 trieb die Polizei die wachsende offene Szene zwecks Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung von der Münsterplattform in die Münster- und Herrengasse, später auf die Kleine Schanze, ehe sie im Kocherpark strandete. Alle diese Orte gehören heute zum herausgeputzten Stadtbild.

Für alle, die sich an die Kocherpark-Epoche nur noch schwach oder gar nicht erinnern, kommentiere ich folgende vier Bilder.

Man spricht immer vom Kocherpark, aber die Kleine Schanze war vor und nach der Kocherpark-Phase der Treffpunkt der Drogenszene. Eigentlich war das Betreten des Rasens auf der Kleinen Schanze verboten, aber die offene Szene richtete den von Hunderten frequentierten illegalen Freiluftdrogenbazar trotzdem ein.

Im Umfeld des Bundeshauses spielten sich unglaubliche Szenen ab. Auf der Bundesterrasse lungerten Junkies und Alkoholiker*innen und bettelten eidgenössische Parlamentarier und Bundespersonal an. Bundesratssitzungen fanden bei geschlossenen Fenstern statt, damit sie nicht von grölenden Alkoholiker*innen gestört wurden. Oder von Fixer*innen, die sich in den abgebundenen Arm einen Schuss setzten. Auf der Bundesgasse, zwischen Kleiner Schanze und dem «Bellevue», befand sich der Berner Strassen- und Drogenstrich, auf dem über 100 Frauen arbeiteten.

Der Bundesrat begehrte auf. Er verlangte von der Berner Stadtregierung, mit einem Zaun um Bundeshaus und Kleine Schanze einen überwachten Park einzurichten, aus dem weggeschafft werde, wer sich nicht an die Benimmregeln halte. Die Stadt weigerte sich und versuchte, sich mit der Verdrängung der Szene in den Kocherpark Luft zu verschaffe. Als sie diesen Ende März 1992 schloss, kehrte die Szene auf die Kleine Schanze zurück. Entspannung gab es erst nach der Jahrtausendwende, als man die Kleine Schanze für fast eine Million Franken sanierte und der Öffentlichkeit zugänglich machte.

«Wenn wir eine unliebsame Minderheit weghaben wollen, braucht es eine Gestaltung, von der die Mehrheit etwas hat», erklärte der zuständige Chefbeamte der Polizeidirektion damals den Medien.

Zwischen 1991 und 1992 war der Grünraum im Villettequartier, einen Steinwurf nur von den Bürohochhäusern des City West entfernt, aber ausserhalb des Sichtbereichs der Bundespolitik, deshalb der Treffpunkt der offenen Drogenszene. Hunderte Fixer vegetierten im Kocherpark, teilweise in behelfsmässigen, sumpfigen Unterständen oder Zelten, im vor Schmutz starrenden Park. Das zu lukrativen Marktpreisen verdealte Heroin war oft zu rein oder dann wieder gestreckt mit Fremdsubstanzen, unberechenbar, so dass lebensgefährliche Überdosen zur Normalität gehörten.

Allerdings wurden offene Drogenszenen nicht nur als Übel gesehen. Besonders Fachleute aus der Drogenarbeit sahen in den grossen Ansammlungen auch die Möglichkeit, überhaupt mit den Abhängigen in Kontakt zu kommen und ihnen medizinische oder soziale Unterstützung zu geben. Deshalb war jede politische Entscheidung zur offenen Drogenszene heftig umstritten.

Die öffentliche Debatte um den Umgang mit Drogenabhängigen rief auch zuvor kaum bekannte zivilgesellschaftliche Aktivitäten hervor. 1990 entstand die erste Notschlafstelle, die auch Drogenkonsument*innen akzeptierte. Freiwillige sorgten mit Gassenküchen für eine Basisversorgung der Drogenabhängigen. Allerdings stilisierten sie die Junkies oft hoch zu Opfern der kapitalistischen Leistungsphilosophie.

Meiner Meinung nach ist etwas in Vergessenheit geraten, dass die Stadt Bern in drogenpolitischen Fragen Innovationsgeist zeigte, früh voranging und pragmatische Lösungen möglich machte. Oft orientierte man sich am Vorbild Holland.

Schon 1986 eröffnete Bern als erste Stadt der Welt ein sogenanntes Fixerstübli, einen Ort, an dem Heroinabhängige unbehelligt ihren Stoff konsumierten. Ein «Erdbeben in der Drogenpolitik», sei das gewesen, kommentierte Jakob Huber, der langjährige Geschäftsführer der Berner Suchthilfestiftung Contact. Es war der Vorläufer der heutigen Drogen-Anlaufstelle an der Hodlerstrasse.

An den Standorten der offenen Drogenszene verteilten Sozialarbeiter*innen saubere Spritzen. Die Gefahr einer HIV-Infektion war gross. Bis zu 7000 Spritzen wurden beispielsweise im Kocherpark abgegeben.

1994 begann man, in einem Pilotprojekt im pathologischen Institut der Universität Bern ausgewählten Süchtigen unter ärztlicher Kontrolle versuchsweise Heroin abzugeben. Dieser Versuch war eine Grundlage für den Bundesbeschluss über die ärztliche Verschreibung von Heroin, den das Schweizer Stimmvolk 1999 annahm. Dieser politische Schritt beschleunigte das Verschwinden des Drogenelends aus der öffentlichen Wahrnehmung in der Stadt Bern entscheidend.

Nach der Räumung des Kocherparks verkleinerte sich die offene Drogenszene zwar, auch, weil auswärtige Abhängige konsequent weggewiesen wurden. Aber die Szene verkroch sich, von der Polizei in einem endlosen, unwürdigen Katz- und Mausspiel gejagt, unter die Lauben der oberen Altstadt, wo Laden- und Hausbesitzer zu Selbsthilfe griffen, private Sicherheitsfirmen engagierten und etwa die Zeughausgasspassage nachts mit einem absenkbaren Gitter verschlossen. An den Kornhausplatz, auf die Schützenmatte.

Jahrelang beschäftigte sich die Stadtregierung in höchster Priorität mit einer von Gymnasiast*innenen betriebenen mobilen Gassenküche, die immer am Sonntag abend in der Reitschule zubereitete Mahlzeiten gratis an Randständige verteilte. Die Küchenbetreiber hielten sich nicht an die von den Behörden definierten Standorte, weshalb die Polizei sie regelmässig mit Tränengas einnebelte mit der Begründung, dass die Gassenküche die Neubildung einer Drogenszene begünstige.

Es dauerte nach der Kocherpark-Schliessung noch Jahre, ehe sich eine Balance zwischen Repression, Therapie, Prävention und Schadensminderung einstellte. Bis heute müsse dieses Gleichgewicht immer wieder neu justiert werden, sagt Rahel Gall, Geschäftsleiterin von Contact. Ein wesentlicher Schritt war 2004 die Etablierung der in linken Kreisen umstrittenen Gasseninterventionstruppe Pinto – abgekürzt für Prävention, Intervention, Toleranz. Pinto, eine nicht polizeiliche Patrouille, versucht, störendes Verhalten im öffentlichen Raum im Gespräch mit den Betroffenen zu eliminieren.
(https://www.hauptstadt.be/article/kocherpark-in-bildern)



Lisbeth Sippel – Frau der ersten Stunde im Zürcher Frauenhaus
Die Sozialarbeiterin Lisbeth Sippel gehört zu den Gründerinnen des Zürcher Frauenhauses, das 1979 aufging. Die Geschichte dieser Institution wird im Buch „Wann, wenn nicht jetzt?“ der Journalistin Christina Caprez aufgerollt. Es zeigt auf, wie steinig der Weg war, um Frauen vor Gewalt zu schützen.
https://www.srf.ch/audio/kontext/lisbeth-sippel-frau-der-ersten-stunde-im-zuercher-frauenhaus?id=12164642