Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel
+++BERN
Ukrainer in Burgdorf BE: Darum müssen Flüchtlingskinder teils sechs Wochen auf die Schule warten
Burgdorf erwartet über hundert ukrainische Flüchtlingskinder. Dutzende sind bereits da. Sie einzuschulen, wird für die Gemeinde eine Herkulesaufgabe.
https://www.20min.ch/story/darum-muessen-fluechtlingskinder-teils-sechs-wochen-auf-die-schule-warten-288931473654
Auf dem Waffenplatz in Thun kommen Flüchtlinge aus der Ukraine unter.(ab 00:50)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/der-pfarrer-der-russisch-orthodoxen-kirche-ist-gefordert?id=12169902
Der Pfarrer der Russisch-Orthodoxen Kirche ist gefordert
Die Russisch-Orthodoxe Kirche in Bern ist in Bewegung: In der Altstadt treffen sich Russinnen und Russen mit Menschen aus der Ukraine. Über Politik wird nicht gesprochen, diese bleibt draussen. Der Pfarrer der Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit braucht dieser Tage viel Einfühlungsvermögen. (ab 08:14)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/der-pfarrer-der-russisch-orthodoxen-kirche-ist-gefordert?id=12169902
Motion Fraktion AL/PdA (Matteo Micieli, PdA /Tabea Rai, AL): Schaffen wir das? Wir brauchen eine Kommission für Migration und Flucht!
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=832c39b456f14231900723bdf93260d9
Motion Fraktion AL/PdA (Matteo Micieli, PdA/Tabea Rai, Al): Schaffen wir das? Solidarität für und mit allen geflüchteten Menschen und zwar jetzt!
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=5d338b2a68154d6c8fe328195a8ffcde
Motion Fraktion AL/PdA (Matteo Micieli, PdA/Eva Chen, Al): Schaffen wir das? Widerstand gegen die unmenschliche Asylpolitik von Bund und Kanton
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=3321cbeff5dd456aadcb0f4ae8ab5fa6
Kleine Anfrage Fraktion AL/PdA (Matteo Micieli, PdA/Eva Chen, Al): Wo steht die Stadt bei der Einführung der City Card
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=5b596babebf34be1bfdb437823e8dd3b
Neue Pläne für das Rückkehrzentrum
Der Berner Regierungsrat Philippe Müller möchte im Rückkehrzentrum Biel-Bözingen Platz schaffen für Ukrainerinnen und Ukrainer.
https://web.telebielingue.ch/de/sendungen/info/2022-04-01
-> https://youtu.be/t9AhP0fv61k
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ajour.ch 01.04.2022
Container-Siedlung Biel – Ist das der richtige Ort, um ukrainische Frauen und ihre Kinder unterzubringen, Philippe Müller?
Der bernische Sicherheitsdirektor Philippe Müller (FDP) sagt, die Container-Siedlung in Biel sei wichtig, um die zahlreichen Flüchtlinge aus der Ukraine unterzubringen.
Deborah Balmer
Die meisten abgewiesenen Asylsuchenden im Rückkehrzentrum Bözingen müssen Anfang April ins Zentrum von Enggistein umziehen. Betroffen sind fünf Familien, deren Kinder in deutschsprachige Klassen in Biel eingeschult sind. Sie sollen damit Platz machen für ukrainische Flüchtlinge.
Philippe Müller, das Containerdorf Bözingen ist als menschenunwürdig bezeichnet worden. Ist das der richtige Ort, um ukrainische Frauen und ihre Kinder unterzubringen?
Philippe Müller: Es sind Menschen, die aus Kriegsgebieten zu uns flüchten und die froh sind, wenn sie in Sicherheit und nicht mehr im Krieg sind, also nicht mehr beschossen oder bombardiert werden. Es gibt natürlich bessere Unterkünfte, das stimmt. Wenn man aber sonst nichts hat, ist es eine Möglichkeit, um die erste Welle an Flüchtlingen aufzufangen.
Dann wird das also nur eine Notlösung sein?
Wir wissen nicht, wie die Entwicklung weitergeht. Wir haben bereits andere Notlösungen ins Leben gerufen:etwa Turnhallen oder Militärunterkünfte, die wir für Ukrainerinnen und die Kinder nutzen. Natürlich haben wir uns aber nicht jahrelang auf 30000 Flüchtlinge oder mehr aus der Ukraine vorbereitet. Das ist der Grund, wieso wir die Container in Biel freispielen müssen. Ob wir die Unterkunft tatsächlich brauchen werden, ist noch offen.
Was ist denn nicht optimal an diesen Unterkünften, wenn Sie selbst von Notlösung reden?
Diese Menschen lebten bis vor kurzem noch in ihren Wohnungen, wie wir, sind nun da, in Unterkünften, in denen sie nicht alleine sind und die sie nicht selber ausgewählt haben. Sie möchten eigentlich möglichst schnell wieder heimkehren.
Liegt der Entscheidung, wer in die Container einzieht, überhaupt beim Kanton, oder doch bei der Stadt?
Wenn die Stadt Biel Ja sagt zur Weiterbenutzung der Container für die Ukraine-Flüchtlinge über den Sommer hinaus, kann der Kanton die Zuweisung machen. Das erfolgt in jeder Gemeinde nach Absprache mit uns.
Die Familien in der Containersiedlung wollen nicht, wie vom Kanton angeordnet, nach Enggistein ziehen. Was heisst das für Sie?
Für diese Haltung habe ich überhaupt kein Verständnis. Nach meiner Meinung, stammt sie auch nicht von den Asylsuchenden selber, sondern von den NGOs. Und zwar die gleichen NGOs, die nun Monate lang gesagt haben, wie schlimm es in diesem Rückkehrzentrum für die abgewiesenen Familien ist. Nun heisst es von den gleichen Leuten:Die Familien werden den Ort nicht verlassen. Das ist sehr widersprüchlich. Zuerst demonstrieren sie gegen das Zentrum, dann dafür, dass sie bleiben dürfen. Dieabgewiesenen Asylsuchenden werden von den NGOs werden wie Schachfiguren umhergeschoben. Das hilft den Direktbetroffenen nicht.
Ist es nicht viel eher so, dass die NGOs sich dafür einsetzen, dass für die Flüchtlinge eine andere Lösung in Biel gefunden wird? Sie etwa in Wohnung in der Stadt leben können, da ihre Kinder hier zur Schule gehen?
Es wird ja eine Lösung für die französischsprachigen Familien gesucht, ich bin sehr zuversichtlich. Die Lösung für die deutschsprachigen Familien aber ist eben Enggistein. Das haben wir so kommuniziert und werden es auch so machen. Im Kanton Bern dürfen abgewiesenen Asylsuchende von Gesetzes wegen nicht in Wohnungen leben, sondern in Kollektivunterkünften.
Was erwartet die Familie in Enggistein?
Es handelt sich um einen Gutshof, ein Flüchtlingszentrum nur für Familien und Frauen, es ist also eine gute Lösung. Das bisher einzige solche Zentrum in der Schweiz in dieser Art.
Es gibt Abgewiesene, die nicht mehr in ihre Ursprungsländer zurückkehren können, weil die Länder sie nicht aufnehmen.
Das stimmt nicht. Der Entscheid des Staatssekretariats für Migration ist ja gerade, ob sie zurückkehren können oder nicht. Nicht nur, ob eine Rückkehr völkerrechtlich und humanitär zumutbar ist, sondern auch, ob sie technisch möglich ist. Sonst würden solche Flüchtlinge eine vorläufige Aufenthaltsbewilligung erhalten. Was es tatsächlich gibt, ist, dass man sie nicht zwangsweise ausschaffen kann. Das ist etwas anderes, wird aber oft verwechselt.
Betreffend der Familien: Werden Sie nochmals mit der Stadt reden?
Ja, es gibt bereits einen Termin mit Sicherheitsdirektor Feurer, bei dem es um eine konkrete Lösung gehen wird. Etwa um die Frage der Unterbringung der französischsprachigen Familien in Biel. Es stimmt nicht, dass es seit Monaten Spannungen zwischen mir und der Stadt Biel geben soll. Ich bin mit Stadtpräsident Erich Fehr im Gespräch. Ich bin der Meinung, dass eine der grössten Städte im Kanton etwas zur Lösung betreffend abgewiesene Asylsuchende beitragen muss.
Zurück zu den Ukrainern: Der Kanton hat für diese Flüchtlinge einen Sonderstab ins Leben gerufen. Dieser Sonderstab ist Pierre Alain Schnegg unterstellt. Was ist Ihre Aufgabe als Sicherheitsdirektor?
Die Gesundheitsdirektion ist zuständig für die Unterkünfte im Kanton. Deshalb ist das ihr zugewiesen. Wir haben während der Flüchtlingswelle 2015 alle Unterkünfte erfasst und unterstützen mit diesen die Listen und helfen bei der Suche nach weiteren Unterkünften. Falls nötig, unterstützen wir mit Zivilschützern oder stellen ein Gesuch um Armee-Unterstützung. Eine Gemeinde kann bei Bedarf auch ihre eigenen Zivilschützer aufbieten, wenn sie will.
Was gibt es denn für Unterbringungsmöglichkeiten?
Im Berner Oberland sind es beispielsweise Hotels, die im Frühling und Sommer nicht ausgelastet sind, die Flüchtlinge aus der Ukraine aufnehmen können. Das ist nur ein Beispiel von vielen. Turnhallen, die umfunktioniert und mit Betten, die wir zur Verfügung stellen, bestückt werden, weitere Containersiedlungen und Zivilschutzanlagen kommen bei Bedarf hinzu. Auch das ehemalige Jugendheim Prêles haben wir bereitgestellt. Viele Flüchtlinge werden von Privaten aufgenommen, die Hilfsbereitschaft ist sehr hoch. Dafür bin ich dankbar.
Wie viele Ukrainer erwartet der Kanton Bern pro Tag?
Es gab Tage, da kamen 400 Ukrainerinnen im Kanton an. In die Schweiz kommen zurzeit 1000 pro Tag. Wenn es so weitergeht, sind bis im August 150’000 in der Schweiz. Klar ist, dass der ganze Kanton mithelfen muss, um 30’000 Menschen zu versorgen. Dies Zahl steht derzeit im Raum. Wie es weitergeht, weiss aber niemand keiner genau: Auch die Ukrainerinnen und Ukrainer dachten vielleicht, sie würden den Sommer mit der Familie in den Ferien am Schwarzen Meer verbringen. Doch in der Zwischenzeit ist viel geschehen: Der Mann ist nun im Krieg, sie ist mit den Kindern geflüchtet.
Die Ukrainer werden mit offenen Armen empfangen, andere Flüchtlinge nicht, verstehen Sie, dass es zu Neid kommt?
Zum Status S sage ich nichts, das ist eine Frage für die Bundesstufe. Tatsache ist, dass jetzt Frauen und Kinder kommen, und kaum mehr junge Männer.
Sie werden oft als Hardliner bezeichnet, dem es in Flüchtlingsfragen an Empathie fehlt. Ist das ein Missverständnis?
Nein, das nennt sich «Politik». Der Entscheid, dass Abgewiesene, wie die Bieler Familien, nicht in der Schweiz bleiben können, liegt nicht bei mir. Der liegt beim Staatssekretariat für Migration. Aber es gehört offenbar zur Politik, mir das «anzuhängen». Ich kann damit leben. Aber es nützt den Direktbetroffenen überhaupt nichts.
Macht Ihnen persönlich der Ukrainekrieg Angst?
Ja, natürlich. Keiner weiss, ob der Krieg weiter eskaliert oder ob schnell eine Lösung gefunden wird. Im Moment sieht es eher leider nicht so aus. Keiner weiss, wie sich der Krieg noch auf uns und verschiedene Bereiche unseres Lebens auswirken wird. Er ist Realität.
(https://ajour.ch/story/ist-das-der-richtige-ort-um-ukrainische-frauen-und-ihre-kinder-unterzubringen-philippe-mller/4728)
+++BASEL
Ihr Einsatz für ukrainische Flüchtlinge ist jetzt auch ihr Beruf
Die Ukrainerin Halyna Rinner (42) kam vor 22 Jahren für ihr Wirtschaftsstudium nach Basel und hat seither hier gearbeitet. Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine engagiert Rinner sich rund um die Uhr ehrenamtlich im Verein „Ukrainer in Basel“: Sammeln von Hilfsgütern, Vermitteln von Gastfamilien in Basel und Umgebung, Übersetzen zwischen Ukrainerinnen, Gastfamilien und Verwaltung. Dieser Einsatz ist unter anderem der Wibrandis Stiftung aufgefallen, welche Rinner nun spontan als Projektmanagerin angestellt hat. Heute war Rinners erster offizieller Arbeitstag.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/ihr-einsatz-fuer-ukrainische-fluechtlinge-ist-jetzt-auch-ihr-beruf?partId=12169914
Soforthilfe vom Sozialamt – ohne langen Prozess
Bei privaten Hilfswerken wie der Caritas am Lindenberg füllen völlig mittellose Flüchtlinge aus der Ukraine die Wartezimmer. Ihr ukrainisches Geld ist wertlos. Das Sozialamt würden ihnen sofort helfen – nur weiss das niemand. Bis jetzt.
https://bajour.ch/a/ylVfsAsiWfJNyiP9/soforthilfe-vom-sozialamt-ohne-langen-prozess
+++FRIBOURG
Nun ist klar, wie der Kanton Freiburg Kinder und Jugendliche aus der Ukraine fördern will. (ab 03:46)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/migros-aare-hat-ein-schwieriges-jahr-hinter-sich?id=12169728
+++LUZERN
Der Kanton Luzern schafft weitere Unterkünfte für Flüchtlinge aus der Ukraine (ab 01:08)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/comic-festival-fumetto-kommt-mit-superpower-zurueck?id=12169857
Kanton richtet auf der Luzerner Allmend weitere 200 Schutzplätze für ukrainische Flüchtlinge ein
Täglich werden dem Kanton Luzern 20 bis 50 schutzsuchende ukrainische Flüchtlinge zugewiesen. Es braucht deshalb immer mehr Unterbringungsmöglichkeiten.
https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/luzern/luzern-kanton-richtet-auf-der-luzerner-allmend-weitere-200-schutzplaetze-fuer-ukrainische-fluechtlinge-ein-ld.2271519
-> https://www.zentralplus.ch/gesellschaft/luzern-schafft-auf-der-allmend-200-plaetze-fuer-fluechtlinge-2337157/
Zug ist unbürokratisch – Ukraine-Flüchtlinge müssen in Luzern Sozialhilfe beantragen
Der Bund zahlt dem Kanton Luzern pauschal 1500 Franken monatlich pro Flüchtling aus der Ukraine. Während Zug einen Teil dieses Geldes unkompliziert Gastfamilien weitergibt, müssen die Flüchtlinge in Luzern ein Gesuch um Sozialhilfe stellen.
https://www.zentralplus.ch/politik/ukraine-fluechtlinge-muessen-in-luzern-sozialhilfe-beantragen-2336779/
+++ZUG
Kanton Zug findet Platz für 200 Flüchtlinge im Kloster Menzingen (ab 02:48)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/luzerner-seifenherstellerin-gewinnt-patentstreit?id=12169584
+++ZÜRICH
Ukraine-Krieg: Zürcher Hotel hat 71 Flüchtlinge aufgenommen
Vor dem Ukraine-Krieg Geflüchtete brauchen nach ihrer Ankunft erst einmal unkompliziert ein Dach über dem Kopf. In Zürich werden dafür auch Hotels eingespannt.
https://www.nau.ch/news/schweiz/ukraine-krieg-zurcher-hotel-hat-71-fluchtlinge-aufgenommen-66144582
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tagesanzeiger.ch 01.04.2022
Folgen des Ukraine-KriegsGehörlose Flüchtlinge kommen in Konvois in Zürich an
Zürich-Oerlikon ist zum internationalen Zielort für ukrainische Gehörlose geworden. Grund sind die Hilfsangebote des einheimischen Gehörlosen-Netzwerks.
Jigme Garne, Dominique Meienberg(Fotos)
Der Pfarrer der reformierten Gehörlosengemeinde, Matthias Müller-Kuhn, weiss von gut 170 gehörlosen Geflüchteten aus der Ukraine, die schon in Oerlikon angekommen sind. Dazu kämen viele weitere, die direkt von Privatpersonen aufgenommen worden seien. «Insgesamt dürften jetzt bis zu 300 Gehörlose aus der Ukraine in Zürich sein, und es werden täglich mehr», sagt er. «Ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus.»
Seit bald drei Wochen steuern gehörlose Geflüchtete aus der Ukraine das Oerliker Gehörlosenzentrum an, noch bevor sie sich an eine offizielle Stelle wie das Bundesasylzentrum wenden. Sie kommen in Bussen, Autokonvois oder in Gruppen mit dem Zug. Zum Gehörlosenzentrum gehören neben der reformierten Gehörlosengemeinde die Beratungsstelle für Gehörlose und die Selbsthilfe-Organisation Sichtbar.
Müller-Kuhns Erklärung für den Zustrom: Nach Kriegsausbruch habe die Schweizer Gehörlosencommunity rasch Kontakte in der Ukraine aufgebaut und die Geflüchteten nach Zürich geführt, weil ihnen hier geholfen werde. Zudem ist das Gehörlosenzentrum auf einer internationalen Hilfsplattform vermerkt. Der Pfarrer und weitere engagierte Personen helfen den Geflüchteten beim Ankommen und organisieren Unterkünfte. Viele wohnen inzwischen in Hotels, Kirchgemeindehäusern und bei Privaten.
Gebärdensprachen unterscheiden sich von Land zu Land
Im Unterschied zu einheimischen Gehörlosen verfügen die Geflüchteten kaum über Hörhilfen, geschweige denn Hörimplantate. Deshalb sind sie besonders angewiesen auf die Hilfe von Menschen, die gebärden können. Zwar ist die ukrainische Gebärdensprache eine andere als die deutschschweizerische, selbst die Fingeralphabete unterscheiden sich. Allerdings ist die Sprachbarriere kleiner als zwischen gesprochenem Deutsch und Ukrainisch.
In Zürich ist nun auch Veronika Karnaukh mit ihrem Mann Konstantin und der 14-jährigen Tochter Mileha. Die gehörlose Familie stammt aus der Hafenstadt Nikopol im Süden der Ukraine. Nun ist sie mit rund 25 weiteren Personen in Wollishofen beim Zentrum für Gehör und Sprache Zürich einquartiert. Das Zentrum mit einer Gehörlosenschule ist die zweite wichtige Anlaufstelle in Zürich und hat in der Turnhalle mit Holzverschlägen eine notdürftige Unterkunft mit acht Nischen eingerichtet.
In der Turnhalle sind alle Geflüchteten gehörlos, die Kinder und die Erwachsenen. Veronika Karnaukh sitzt mit drei Frauen auf einer Festbank, sie unterhalten sich geräuschlos. Ein Kleinkind schaut auf dem iPad den Animationsfilm «Kung Fu Panda», ohne Ton. In der Turnhalle ist am Freitagmorgen einzig das Bellen der Hunde zu hören, welche die Geflüchteten mitgebracht haben.
«Wir sind wie die meisten hier über Polen nach Berlin gereist, aber dort gab es keinen Platz für uns», gebärdet Veronika Karnaukh, übersetzt vom gehörlosen Lehrer Daniel Gundi, der inzwischen einfache Konversationen mit den Geflüchteten führen kann. Die Familie habe im Internet eine Gehörlosenschule für die Tochter gesucht und sei so auf Zürich gestossen.
Cherson, Schitomir, Czernowitz – die Menschen hier stammten aus dem ganzen Land, erzählt Karnaukh weiter und zeigt in der Luft auf viele Punkte auf einer imaginären Landkarte. Gut die Hälfte sei mit dem Auto angereist, die anderen mit Bahn und Bussen. Die Flucht sei beschwerlich gewesen, aber darauf hätten sie sich eingestellt.
Tochter Mileha besucht nun die Gehörlosenschule am Zentrum in Wollishofen, gut 15 Flüchtlingskinder sind es derzeit auf Primar- und Sekundarstufe. «Ich rechne nicht damit, dass sie im Sommer schon zurückkönnen», sagt Schulleiterin Nicole Alig und geht deshalb davon aus, dass die Schule langfristig eine zusätzliche Klasse führen wird. Derzeit stemmt die Schule den Unterricht für die Geflüchteten mit den vorhandenen Ressourcen. Lehrpersonen zu finden, die gebärden können, sei äusserst schwierig, sagt Alig.
Lösung zeichnet sich ab
Auch bei der Unterbringung stosse man langsam an die Kapazitätsgrenze, sagt Pfarrer Müller-Kuhn. Man stehe jetzt in Kontakt mit Gehörloseninstitutionen in anderen Kantonen, in der Hoffnung, dass auch dort Menschen unterkommen.
«Für uns ist klar, dass unser Engagement in der Unterbringung nur vorübergehend sein kann und die Geflüchteten längerfristig andere Unterkünfte erhalten müssen», sagt Diana Rüegg von der Beratungsstelle für Schwerhörige und Gehörlose. Eine Lösung zeichnet sich ab: Gut 35 Gehörlose, darunter jene aus der Wollishofer Turnhalle, können nächste Woche nach Adliswil umziehen, wo die Stadt Zürich in einem ehemaligen Altersheim eine Flüchtlingsunterkunft errichtet.
Seit Kriegsausbruch hat Rüeggs Team mehr gehörlose Personen mit Migrationshintergrund beraten als normalerweise in einem Jahr. «Gehörlosigkeit ist eine Behinderung, die sich nur im Kontakt mit Hörenden zeigt, nicht aber innerhalb einer Community, in der alle gebärden», sagt Rüegg. Gehörlose suchen die Gemeinschaft. Darum sei es wichtig, dass die gehörlosen Flüchtlingsgruppen nicht getrennt würden, sagt Rüegg. Stattdessen sollen sie in ein Umfeld wie in Zürich kommen, wo es bereits eine Gehörlosencommunity gibt. Zudem sei zentral, dass die Kinder eine Gehörlosenschule besuchen könnten.
Rüegg, die berufliche Erfahrung im Asylwesen hat, sagt, sie habe es noch nie erlebt, dass so viele gehörlose Flüchtende in der Schweiz ankämen. Eine Erklärung ist die Nähe des Konflikts: «Anders als in anderen Konfliktländern ist die Flucht aus der Ukraine in die Schweiz auch für Kinder und Familien einfacher möglich. Die gefährliche Route über das Mittelmeer hingegen unternimmt eine Gruppe vulnerabler Menschen eher nicht.»
(https://www.tagesanzeiger.ch/gehoerlose-fluechtlinge-kommen-in-konvois-in-zuerich-an-449819483372)
+++SCHWEIZ
Weitere Unterkünfte für Flüchtlinge aus der Ukraine
Das Staatssekretariat für Migration (SEM) stellt – in Zusammenarbeit mit dem Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) – weitere Unterkunftsplätze für geflüchtete Personen aus der Ukraine bereit. An den Standorten Thun und Chamblon (ab 1. April) sowie Neuchlen und Liestal (ab 8. April) können in Mehrzweckhallen der Armee mehrere hundert Schlafmöglichkeiten vom SEM genutzt werden.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-87854.html
Ukraine: Sonderstab Asyl setzt weitere Arbeitsgruppen ein
Der Sonderstab Asyl (SONAS) traf sich am Freitag, 1. April, zum zweiten Mal. Im Zentrum der Diskussionen stand die Frage, wie Bund und Kantone in den nächsten Wochen genügend Unterbringungsplätze und personelle Ressourcen für die Betreuung der Geflüchteten zur Verfügung stellen können. Zudem soll die Zuweisung der registrierten Personen auf die Kantone optimiert werden. Es sind mehrere Arbeitsgruppen eingesetzt worden, welche die Vorbereitungen und Arbeiten in allen Bereichen vorantreiben und koordinieren.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-87861.html
Geflüchtete aus der Ukraine in der Schweiz
Die Staatspolitische Kommission des Nationalrates (SPK-N) hat sich von der Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements über die aktuelle Situation der Geflüchteten aus der Ukraine in der Schweiz informieren lassen und eine intensive Diskussion geführt.
https://www.parlament.ch/press-releases/Pages/mm-spk-n-2022-04-01.aspx
Spannungen und Missverständnisse: «Viele sind enttäuscht» – Gastfamilien schicken Geflüchtete wieder weg
Nach der Solidarität folgt bei vielen Helfern die Ernüchterung. 1800 Wohnungsangebote wurden zurückgezogen. Wegen Lärm, Problemen mit der Sauberkeit oder Sprachbarrieren wollen viele die Geflüchteten wieder loswerden – oder diese gehen lieber in ein Asylzentrum.
https://www.20min.ch/story/viele-sind-enttaeuscht-gastfamilien-schicken-gefluechtete-wieder-weg-668159363420
-> https://www.blick.ch/schweiz/probleme-auf-beiden-seiten-schweizer-gastfamilien-wollen-fluechtlinge-wieder-loswerden-id17369563.html
Private nehmen Flüchtlinge bei sich auf
In Hagenwil bei Amriswil TG haben zwei Frauen jeweils eine Ukrainerin und ihre Töchtern bei sich aufgenommen. Der Kanton berichtet von schwierigen Situationen bei Privaten, beim Löwenanteil verlaufe die Privatunterbringung aber problemlos.
https://www.toponline.ch/news/thurgau/detail/news/private-nehmen-fluechtlinge-bei-sich-auf-00179941/
Hilfspotenzial ausschöpfen
Die Anzahl jüdischer Flüchtlinge in der Schweiz steigt auf rund 250 an – nach den ersten Wellen in Zürich, Baden und Basel sind weitere Gemeinden mit Aufnahme und Betreuung konfrontiert.
https://www.tachles.ch/artikel/schweiz/hilfspotenzial-ausschoepfen
Ukraine-Krieg: Flüchtlinge ziehen in Einfamilienhäuser und Chalets
Über 22’000 Menschen sind wegen des Ukraine-Kriegs bisher in die Schweiz geflüchtet. Ein Teil von ihnen kann nun in leerstehendem Wohnraum untergebracht werden.
https://www.nau.ch/news/schweiz/ukraine-krieg-fluchtlinge-ziehen-in-einfamilienhauser-und-chalets-66142800
Frontex-Grenzwächter: «Man sieht harte Schicksale» – Echo der Zeit
Mitte Mai stimmt die Schweiz über die sogenannte «Frontex-Vorlage» ab. Dabei geht es um den Ausbau der europäischen Grenz- und Küstenwache: Mehr Personal und Geld. Für Linke, Grüne und NGOs ist die Frontex mitverantwortlich für Gewalt und Elend an den Aussengrenzen Europas. Der Schweizer Grenzwächter Maic Camenisch ist dort zeitweise für Frontex im Einsatz.
https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/frontex-grenzwaechter-man-sieht-harte-schicksale?partId=12169917
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/schweizer-frontex-mitarbeiter-ich-selbst-habe-noch-keine-pushbacks-erlebt
-> https://www.telebaern.tv/telebaern-news/frontex-abstimmung-146012975
-> https://www.tele1.ch/nachrichten/das-sagen-befuerworter-und-gegner-der-frontex-abstimmung-146013042
-> Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/abstimmungsumfrage-frontex-ja-wahrscheinlich?urn=urn:srf:video:665c6c27-5a89-4914-a9b3-4d69f3adca2d
.-> https://www.blick.ch/politik/und-die-schweiz-will-noch-mehr-zahlen-skandale-kommen-frontex-teuer-zu-stehen-id17370974.html
-> https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/abstimmung-frontex-spaltet-die-pol-parteien-bei-sp-und-gruenen-tickt-die-basis-anders-als-die-parteichefs-die-svp-ringt-um-ihre-position-ld.2271228
Flüchtlinge bei Privaten: Kommission fordert bessere Koordination
Bei der Kostenübernahme für die private Unterbringung von Flüchtlingen brauche es eine bessere Koordination. Zu diesem Schluss kommt die Staatspolitische Kommission des Nationalrates.
https://www.aargauerzeitung.ch/news-service/inland-schweiz/humanitaere-krise-fluechtlinge-bei-privaten-kommission-des-nationalrats-fordert-bessere-koordination-ld.2271226
+++EUROPA
Freie Wahl für die einen, Dublin-Zwang für die anderen?
Im Zuge der Flucht aus der Ukraine geht die EU in der europäischen Flüchtlingspolitik aktuell neue Wege, die vor wenigen Wochen noch für viele Politiker*innen undenkbar waren. Die freie Wahl des Schutzlandes wird von Menschenrechtsorganisationen schon lange gefordert, sie muss nun konsequent für alle gelten.
https://www.proasyl.de/news/freie-wahl-oder-dublin-zwang/
+++FREIRÄUME
Stadt will dort Platz für Flüchtlinge schaffen: Hinterschlund: Wagenburg bleibt – trotz Strafverfahren
Hunderte von Ukraine-Flüchtlingen erreichen derzeit die Schweiz. Die Stadt Luzern prüft deshalb, im Hinterschlund Wohncontainer aufzustellen. Nur: Das Gelände ist von einer Wagenburg besetzt.
https://www.zentralplus.ch/politik/hinterschlund-vertragen-sich-wagenburg-und-fluechtlinge-2336229/
+++GASSE
Kleine Anfrage Simone Machado (GaP), Matteo Micieli (PdA), Eva Chen (AL): Armut und Obdachlosigkeit in Bern – Was tut der Gemeinderat?
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=36ed9d29ed6141c7a072709519cd3206
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Linke demonstrieren gegen Atomkraftwerke
In Basel versammelten sich am Freitag rund 100 Menschen zu einer Kundgebung. Sie demonstrierten gegen AKWs, dazu aufgerufen hatte zuvor die Basler Juso.
https://telebasel.ch/2022/04/01/linke-demonstrieren-gegen-atomkraftwerke/?channel=105100
-> https://www.bazonline.ch/vogelgrippe-breitet-sich-in-loerrach-aus-177714431135
+++JUSTIZ
Unschuldig hinter Gittern
Ein Mann landet im Gefängnis, ohne zu wissen, warum. Nur mit Mühe und Glück gerät er an eine Anwältin, die ihn herausholt. Es ist kein Einzelfall.
https://daslamm.ch/unschuldig-hinter-gittern/
+++KNAST
Psychisch kranke Häftlinge: Justiz verurteilt Kanton Wallis
Vor 35 Jahren landeten psychisch kranke Häftlinge illegal in Walliser Gefängnissen. Daran hat sich trotz Kritik nichts geändert.
https://www.infosperber.ch/freiheit-recht/justiz/psychisch-kranke-haeftlinge-justiz-verurteilt-kanton-wallis/
Gefängnis erfolgreich getestet
Vom 24. bis am 27. März haben rund 170 Personen den Betrieb des neuen Gefängnisses Zürich West (GZW) getestet. Die Teilnehmenden haben sich als Freiwillige zur Verfügung gestellt, um die komplexen Abläufe der vorläufigen Festnahme vor der definitiven Inbetriebnahme am 4. April zu prüfen.
https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/gefaengnis-erfolgreich-getestet-00179730/
+++FRAUEN/QUEER
Der Regenbogen in der Ukraine verblasst
Queere Menschen fliehen aus der Ukraine, sie verlieren buchstäblich ihr Zuhause, ihre Sicherheit und Hoffnung.
https://www.nau.ch/news/stimmen-der-schweiz/der-regenbogen-in-der-ukraine-verblasst-66140513
+++RASSISMUS
Neuer Shitstorm gegen SVP-Aeschi wegen Flüchtlings-Kommentar
Sinti und Roma mit «nagelneuen» ukrainischen Pässen: Der Hinweis von SVP-Fraktionspräsident Thomas Aeschi sorgt für Empörung.
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/neuer-shitstorm-gegen-svp-aeschi-wegen-fluchtlings-kommentar-66145174
+++RECHTSPOPULISMUS
Mutmasslicher Geheimnisverrat: Bundesanwaltschaft trifft Abklärungen zu Roger Köppel
Die Strafverfolger untersuchen Äusserungen des SVP-Nationalrats zu russischen Repressalien aus einem vertraulichen Bericht. Auch im Bundeshaus muss er sich rechtfertigen.
https://www.derbund.ch/bundesanwaltschaft-trifft-abklaerungen-zu-roger-koeppel-756588405304
+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
tagesanzeiger.ch 01.04.2022
Verschwörungstheorie weitverbreitetSatanistische Panik erfasst selbst die Stadtpolizei Winterthur
Beweise für den rituellen Kindesmissbrauch durch Geheimzirkel fehlen. Trotzdem stützen zahlreiche Experten solche Theorien – zum Teil ungewollt.
Corsin Zander, Jonas Keller
Die Erzählung hört sich schrecklich an: In einem ansehnlichen Einfamilienhaus wird ein Mädchen gequält. Es soll mit Drogen und Hypnose zu einem effizient agierenden, aber möglichst willenlosen «Instrument für zwielichtige Organisationen» geformt werden. «Das Mädchen wird Pädophilenkreisen zur Verfügung gestellt, dann wird es als Sexsklavin eingesetzt, und später ist es ein beliebtes Sexobjekt für Vertreter der gesellschaftlichen Elite.» Das alles spiele sich «auf der Dunkelseite der Gesellschaft» ab. So beschreibt es Ex-Pfarrerin Ruth Mauz in einem Buch, das vergangenes Jahr erschienen ist.
Sie ist Gründerin des Vereins Care About Ritual Abuse (Cara) aus dem Zürcher Oberland. Der Verein veranstaltet im Winterthurer Kongresshaus Gate 27 der Freien Evangelischen Gemeinde regelmässig Tagungen und Informationsveranstaltungen und verbreitet dabei die Theorie des rituellen Missbrauchs von Kindern. Bei der Geschäftsleitung des Gate 27 distanziert man sich zwar von den Behauptungen des Vereins, sieht darin aber keinen Aufruf zum Hass und damit auch keinen Grund, die Räumlichkeiten nicht mehr an Cara zu vermieten.
Theorien von oft satanistischen Sekten aus gesellschaftlichen Elitekreisen, die Kinder rituell quälen, sie einander töten lassen, die Kinder dann essen oder deren Blut trinken, fanden bereits in den 1980er-Jahren in Nordamerika weite Verbreitung. Obwohl schon Tausende Fälle beschrieben wurden, fand sich dafür nie ein Beweis.
Die Beweise fehlen auch im Buch von Mauz. Sie sagt dazu: «Es ist auch nicht bewiesen, dass es sie nicht gibt.» Dafür versucht die Autorin, den Theorien mit Experteninterviews Glaubwürdigkeit zu verleihen. Neben verschiedenen Psychiatern und Seelsorgerinnen gibt Polizistin Corinne Greuter Auskunft. Sie leitet bei der Stadtpolizei Winterthur die Fachstelle Häusliche Gewalt.
Stadtpolizei besucht Infoveranstaltungen von Cara
Die Fachstellenleiterin hat mit ihrem Team Informationsveranstaltungen des Vereins Cara besucht – und diese haben offenbar Wirkung gezeigt: «Dadurch wurde ich sensibilisiert und begann damit zu rechnen, dass sich auch Opfer aus diesem Bereich melden würden. So entstand eine Offenheit», wird Greuter im Buch zitiert.
Diese «wohlwollende Offenheit» sei «so wichtig», sagt Interviewerin Mauz und fragt Greuter nach den Erfahrungen, die sie mit Betroffenen gemacht habe. «Erst seit kurzem haben wir die ersten Fälle», antwortet Greuter, und: «Wenn Hilfesuchende andeuten, dass sie rituellen Missbrauch und Gewalt erlitten haben, nehmen wir alles, was berichtet wird, ganz ernst.»
Von Vorgesetzten abgesegnet
Dieses Zitat wirft Fragen auf. Wurde eine Kaderpolizistin durch den Besuch einer Propagandaveranstaltung auf das Thema der sogenannten rituellen Gewalt sensibilisiert und stellt seither solche Fälle fest? Und weshalb stellt sie sich für ein Interview in einem Propagandabuch zur Verfügung?
Laut dem Mediensprecher der Stadtpolizei, Michael Wirz, ist das Interview von Greuters Vorgesetzten abgesegnet worden: «Wir behandeln grundsätzlich alle publizistisch arbeitenden Personen gleich, achten aber sehr darauf, dass wir uns neutral verhalten.» Die Auskünfte seien sachlich und nüchtern, so Wirz. Es sei ihnen vor allem darum gegangen, zu sagen, dass man alle Anzeigen ernst nehme und diese auch verfolge: «Es ist unsere gesetzliche Pflicht, bei Verdacht auf strafrechtliche Vorgänge zu handeln.»
Erst auf Nachfragen distanziert Wirz sich von «abstrusen Theorien», welche der Verein Cara verbreite, und räumt ein: «Vielleicht haben wir zu wenig geprüft, in was für einer Publikation das Interview mit Frau Greuter erscheint.» Wirz hält aber fest: «Rituelle Gewalt ist kein trennscharfer Begriff. Selbstverständlich gibt es etwa Fälle von rituellen Beschneidungen von Mädchen, die auch unter diesen Begriff fallen. Das hat aber nichts mit satanistischen Geheimzirkeln zu tun.»
Zürcher Stadtpolizist taucht in Propagandafilm auf
Die Winterthurer Kaderpolizistin ist kein Einzelfall. Auch Thomas Werner, Leiter Fachgruppe Kinderschutz der Stadtpolizei Zürich, war 2014 in einem Film des Vereins Cara aufgetreten. Nachdem dies die SRF-Sendung «Rec» vergangenen Dezember publik gemacht hatte, sagte die Stadtpolizei gegenüber dieser Zeitung: «Das war ein Fehler.»
In der Sendung trat auch eine Winterthurer Lehrerin auf, die damals im Verein Cara aktiv war. Kreisschulpflege-Präsident Christoph Baumann sagt, es sei ein «Fehlentscheid» gewesen, den SRF-Dreharbeiten in einem Schulzimmer zuzustimmen. Denn so sei der Eindruck entstanden, dass das private Engagement und Berufliches nicht klar getrennt würden. Eine solche Vermischung gebe es aber nicht. Zu diesem Schluss sei man nach «mehreren Gesprächen und einer sorgfältigen Abklärung» gekommen.
Auch Fortbildungen zum Thema ritueller Missbrauch, von denen die Lehrerin gegenüber SRF gesprochen hat, hätten nie in der Winterthurer Schule stattgefunden. «Es hat keine Weiterbildung im Auftrag oder im Kontext der öffentlichen Schule stattgefunden», sagt Baumann.
Personalrechtliche Folgen hat der Auftritt keine. Die Lehrerin lässt über ihren Anwalt mitteilen, sie sehe sich von SRF falsch dargestellt: Sie habe immer nur allgemein von rituellem Missbrauch gesprochen und klargestellt, dass sie sich nicht zu satanistischer Gewalt äussern könne. Bei den angesprochenen Weiterbildungen sei der organisierte rituelle Missbrauch nur am Rande ein Thema gewesen.
In der Fachwelt weit verbreitet
Die «Satanic Panic» wird nicht nur von Vereinen wie Cara verbreitet, sondern ist in der Fachwelt der Psychotraumatologie weit verbreitet, wie die Wochenzeitung WOZ Ende Februar in einer Recherche aufzeigte.
Sie berichtete über einen Fall einer jungen Frau, die mit 21 Jahren erstmals wegen psychischer Probleme in Behandlung ging und fünf Jahre später ihren Vater beschuldigte, er habe sie mit anderen Satanistinnen und Satanisten missbraucht, seit sie ein Baby gewesen sei. Sie erzählte von Umhängen, Fackeln und abscheulichen Ritualen, in denen sie sich mit anderen Kindern mit Schwertern bis zum Tod bekämpft haben soll. Sie behauptete gar, ihr Nachbarkind getötet zu haben. Obwohl dieses noch lebt.
Privatklinik entlässt Oberarzt
In Behandlung war sie damals bei einem Psychiater, der in der Privatklinik Clienia Littenheid die erste Traumastation der Schweiz aufgebaut hat. Über einen ähnlichen Fall berichtete auch die SRF-Sendung. Eine Tochter, die bei einem Oberarzt in Littenheid in Behandlung war, zeigte ihren Vater wegen rituell satanistischen Missbrauchs an. In beiden Fällen wurden die Ermittlungen gegen die Väter eingestellt.
Der Psychiater, der die Station aufgebaut hat, arbeitet nicht mehr bei Clienia, den Oberarzt entliess die Klinik diese Woche. Dies nachdem sie die Traumastation von zwei Experten hatte untersuchen lassen, welche der Klinik ein «sehr gutes» Zeugnis ausstellten. Ob die interne Untersuchung für weitere Ärzte Konsequenzen hat, darf die Sprecherin «aufgrund des Persönlichkeitsschutzes» nicht sagen.
Doch Littenheid scheint ein beliebter Treffpunkt für Fachleute zu sein, um über rituelle Gewalt zu sprechen. So berichtet die WOZ über regelmässig stattfindende Veranstaltungen, wie etwa eine Tagung im Oktober 2018 unter dem Titel «Impulstagung rituelle Gewalt». Dort sprach eine Betroffene über ihren Ausstieg aus einer «okkulten Sekte», und Psycho-Traumatologinnen und -Traumatologen hielten dazu Vorträge. Eine Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie berichtete von «Zwangsschwangerschaften», «eingeleiteten Geburten» und der «anschliessenden Opferung der Babys». Als Lektüre wurde auch ein Buch des Vereins Cara empfohlen.
Amt für Gesundheit untersucht Vorfälle
Die Clienia-Sprecherin sagt dazu, die Seminarräume auf dem Gelände der Privatklinik könnten von Externen gemietet werden, die Verantwortung über den Inhalt liege beim Veranstalter. Doch man werde künftig den Inhalt von fremden Veranstaltungen «gründlich prüfen und vorbesprechen», versichert die Sprecherin. Was die Therapien in der Klinik betreffe, setze man auf «evidenzbasierte leitlinienorientierte Methoden» und lehne «jegliche suggestiven Therapieformen» ab.
Ob der Fall für die Privatklinik damit erledigt ist, bleibt unklar. Zurzeit läuft noch eine Untersuchung eines Anwaltsbüros im Auftrag des Amtes für Gesundheit des Kantons Thurgau, wie ein Sprecher auf Anfrage sagt. Ende Mai wolle man über den Stand der Dinge informieren.
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Von der Ritualmordlegende zu QAnon
Mit fast identischen Vorwürfen, wie sie Cara verbreitet, wurde im Mittelalter immer wieder gegen Juden gehetzt. So führte eine Ritualmordanschuldigung im Jahr 1401 gemäss Historischem Lexikon der Schweiz zu Verfolgungen der jüdischen Einwohner von Winterthur, Schaffhausen und Diessenhofen. Die Ritualmordlegende war auch bei den Nazis fester Bestandteil der antijüdischen Propaganda.
Ausgehend von evangelikalen Kreisen, führte die Theorie in den 1980er-Jahren in den USA – dieses Mal nicht spezifisch gegen Juden gerichtet – zu über 12’000 Anschuldigungen. Eine nachträgliche Untersuchung zeigte, dass es für keine davon Beweise gab. Trotzdem sassen einige der Beschuldigten jahrzehntelang im Gefängnis, bevor sie entlastet wurden. Die Episode wurde als «Satanic Panic» bekannt, als satanistische Panik.
Im Zuge des Aufstiegs von Donald Trump als Idol der extremen Rechten entstand in den USA 2017 die QAnon-Verschwörungsbewegung (lesen Sie hier mehr zum Ursprung von QAnon). Der Onlinekult glaubt ebenfalls an ein weltweites satanistisches Netzwerk, das systematisch Kinder ermorde und deren Blut trinke. (jok)
(https://www.tagesanzeiger.ch/satanistische-panik-erfasst-selbst-die-stadtpolizei-winterthur-199085302683)
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nzz.ch 01.04.2022
«Ich muss dem Recht Sorge tragen wie ein Gärtner seinen Pflanzen» – warum ein Anwalt noch immer gegen die Corona-Massnahmen vorgeht
Eltern von Schulkindern, Testverweigerer im Militär und gegroundete Piloten – sie alle haben sich während der Pandemie an Rechtsanwalt Philipp Kruse gewendet.
Raffaela Angstmann
Die einen sehen in ihm einen Unruhestifter, für die anderen ist er ein Kämpfer für das Recht: Anwalt Philipp Kruse. Seinen Rat suchten in den vergangenen zwei Jahren Personen, die mit den Corona-Zwangsmassnahmen rangen. Er reichte seit September 2020 Masken-Beschwerden bei Gerichten in Zürich und sieben weiteren Kantonen ein. Er verlangte im Namen seiner Mandanten in Zug, Basel-Land und -Stadt zudem auch die Aufhebung der regelmässigen Testpflicht an Primarschulen. Er focht in Basel-Stadt Quarantänevorschriften und die 3-G-Pflicht an der Universität an. Er beanstandete mit einer Beschwerde die erste Abstimmung über das Covid-19-Gesetz.
«What you can do for your country»
Philipp Kruse, 55-jährig, will nicht über sich, sondern über Sachthemen sprechen, über eine «evidenzbasierte Bedrohungsanalyse des Virus» und die Auswirkungen der Massnahmen auf die Menschen. Er ist davon überzeugt, dass die Schäden durch die Beschränkungen für die Bevölkerung, die Wirtschaft und für den Staat grösser waren als die Schäden durch das Virus. Zu diesen Themen hat er der NZZ von sich aus zwei Ordner mit 308 A-4-Seiten zur Verfügung gestellt, als «Recherchegrundlage», wie er sagt. Unter den Dokumenten sind unter anderem Statistiken, Beschreibungen juristischer Fälle, die Swiss Corona Stress Study über die psychische Belastung während des Shutdowns und die Stellungnahme von Pädiatrie Schweiz zum Maskentragen bei Kindern und Jugendlichen.
Mittlerweile ist die Pandemie immer mehr in den Hintergrund gerückt. Ende März sind auch die letzten Massnahmen gefallen – einige Kantone wollen vorübergehend noch an der Maskentragpflicht in den Gesundheitseinrichtungen festhalten. Doch Philipp Kruse beschäftigen die Diskussionen der Pandemie nach wie vor: Unter anderem vertritt er Piloten und Flugbegleiter von der Swiss, die davorstehen, ihre Jobs zu verlieren, weil sie sich nicht gegen Covid-19 impfen lassen wollten.
Zudem kümmert er sich um Schadenersatzklagen von Unternehmern sowie Aufsichts- und Strafrechtsfälle im Zusammenhang mit Corona. Auch mit dem Restaurant Walliserkanne in Zermatt hat er noch ein Verfahren offen.
Kruse vertrat auch Ärzte, die ihre Lizenz verloren hatten wegen Maskendispensen. Bis im September 2021 waren seine Klienten vor allem Eltern, welche die Masken- und Testpflicht an Primarschulen nicht akzeptieren wollten.
Kaum nimmt Kruse in einer Gesprächspause sein Handy aus dem Flugmodus, klingelt es alle paar Minuten. Er geht ran: Ein Rekrut hat sich geweigert, zweimal die Woche die vorgeschriebenen PCR-Tests durchführen zu lassen. Ein Major habe dem jungen Mann gesagt, entweder er lasse sich testen, oder er könne sofort nach Hause. Kruse berät ihn telefonisch: Dafür gebe es keine rechtliche Grundlage, er solle dem Vorgesetzten sagen, dass er nur noch über seinen Anwalt kommuniziere. Er muss den Rekrut auf später vertrösten, denn die nächste Klientin ist schon da.
Die Tochter der Klientin hatte seit Einführung der Maskentragpflicht auf Sekundarstufe II immer wieder Migräne. Der Maskendispens wurde von Lehrer, Sekretariat und Schulleitung nicht akzeptiert. Nach Aussagen der Mutter wurde ihre Tochter deswegen von zwei Lehrern schikaniert. Im Rekurs werfen sie den Lehrern Mobbing vor. Auch in anderen Fällen berichteten die Kinder von Kopfschmerzen – und Konzentrationsschwierigkeiten, Kruse erwähnt auch drei Kollapse in Turnstunden.
Auf die Frage, was ihn antreibe, meint er: «Ich kämpfe letztlich für unser Gemeinwesen», sagt Kruse. Diesen Vorsatz habe er im Gymnasium von seinen Lehrern mitbekommen, und zitiert sogleich John F. Kennedy: «Ask not what your country can do for you – ask what you can do for your country.»
Kruse versuchte während der Pandemie zu verhindern, dass der Bundesrat «unnötig viel» Kompetenzen erhält, wie er selbst erklärt. Gewisse Corona-Vorschriften seien mit der Verfassung nicht vereinbar und die Einschränkung der Grundrechte sei unverhältnismässig gewesen, kritisiert Kruse. Wenn er über dieses Thema spricht, zitiert er frei aus der Bundesverfassung und dem Epidemiengesetz. Seine Hauptkritik: Die Gewaltenteilung hätte in der Pandemie nicht mehr funktioniert. Die Legislative hätte ihren Job, die besondere Lage zu überprüfen, nicht gemacht. Er räumt ein, dass die Behörden Fehler machen dürften, doch die Korrektur sei ausgeblieben – auch bei den Gerichten.
Über 19 000 folgen ihm
Philipp Kruse immigrierte 1977 als Kind mit seiner Familie von Heidelberg, Baden-Württemberg, in die Schweiz. Mit 18 Jahren erhielt er die Schweizer Staatsbürgerschaft. In Bern und Heidelberg studierte er Rechtswissenschaft. Zeitgleich absolvierte er den Schweizer Militärdienst. Seit 1998 ist er als Rechtsanwalt tätig, später spezialisierte er sich auf Steuerrecht. Er hat zwei Kinder, 11 und 16 Jahre alt.
Von 2018 bis 2020 arbeitete Philipp Kruse noch bei der Dienststelle Steuern des Kantons Luzern. Auch beim Kantonalen Steueramt von Zürich war er vier Jahre lang angestellt. Dort hätten höchste Leistungsansprüche gegolten, sagt Kruse. Der Umgang der Behörden mit dem Virus habe aber nicht denselben strengen Qualitätsmassstäben entsprochen, deswegen wollte er die Zuständigen zur Verantwortung ziehen. Dafür hat Kruse Anfang 2021 sogar seinen gut bezahlten Job aufgegeben und ist in die Selbständigkeit zurückgekehrt. Er sei nicht fundamental staatskritisch, sagt er, sondern mache seinen Job, «um den Staat auf die Verfassung zu verpflichten».
Heute hat er nebst Mandanten auch Sponsoren, die ihn in seinen rechtlichen Bestrebungen unterstützen. Im Juli 2021 war Kruses Büro in der Nähe des Paradeplatzes noch spärlich eingerichtet. Seither ist sein Team um zwei Juristen und einen ehemaligen Staatsanwalt gewachsen.
Kruse hat kein Problem, das Gesicht der Kritiker zu sein: Für die Übergabe seiner Maskenbeschwerden in Zürich und Aarau lud er sogar Medienvertreter ein. Unter Gegnern der Massnahmen ist Kruse bekannt. Auf Telegram hat sein Kanal über 19 000 Mitglieder. Auf die Frage «Prüfen Sie all die Inhalte der Links, die Sie dort teilen, auf ihren Wahrheitsgehalt?», fragt Kruse zurück: «Wieso, haben Sie etwas gesehen?» Anhand der Nachrichten, die er von anderen erhält und weiterleitet, wird deutlich: Gegenüber der Covid-19-Impfung ist er sehr kritisch eingestellt.
Die Juristen sind gespalten
Kruses Ansicht nach waren die Medien während der Pandemie zu unkritisch. Nun befürchtet er, von ihnen mit Verschwörungstheoretikern in einen Topf geworfen zu werden. Im August 2021 sprach er an einem Event in Chur. Als Kruse die Liste der Redner anschaute, war es ihm nicht ganz wohl: Beschlossen wurde der letzte Tag des Sommerfests mit der Rede eines bekannten QAnon-Anhängers. Im Gespräch distanziert er sich von ihm und anderen, er will nicht mit ihnen in Verbindung gebracht werden. Er überlegte, sich abzumelden. Schliesslich nahm er trotzdem teil. Dass umstrittene Persönlichkeiten nach ihm auftreten, müsse er «aushalten», schliesslich setze er sich für freie Meinungsäusserung ein.
Im Rahmen seiner «Mission» wurde er Mitgründer der «Freunde der Verfassung». Auch mit gleich denkenden Berufskollegen tat er sich zusammen: Gemeinsam riefen sie ein Juristen-Komitee ins Leben. Dieses kritisierte die 2-G-Zertifikatspflicht in einem Brief an die Nationalratspräsidentin und den Ständeratspräsidenten als verfassungswidrig. Unterschrieben wurde der Aufruf bis Anfang März von mehr als 300 Rechtsanwälten, Notaren, Wissenschaftern, Staatsanwälten und Richtern.
Die Juristen sind in der Pandemie gespalten, die Mehrheit allerdings sieht die Lage weit weniger kritisch als Kruse. So ist zum Beispiel Georg Müller, emeritierter Professor für öffentliches Recht an der Universität Zürich, nicht einverstanden mit der Haltung, dass etwa das Covid-Gesetz verfassungswidrig gewesen sei. Er hält es für kühn, zu behaupten, die Massnahmen seien rechtlich nicht in Ordnung gewesen, schliesslich habe es zahlreiche Urteile gegeben, welche die Massnahmen als zulässig bezeichnet hätten. «Nur in wenigen Fällen bekamen die Beschwerdeführer recht», so Müller auf Anfrage. Allerdings könne man bei der Verhältnismässigkeit immer unterschiedlicher Meinung sein – und gerade diese sei wegen der unsicheren Lage schwierig zu beurteilen gewesen.
«Die Jurisprudenz ist keine exakte Wissenschaft», erklärt der ehemalige Professor. Sie sei mehr als andere Disziplinen abhängig von Wertungen und persönlichen Auffassungen. «Ich sage jeweils: Ein Richter kann gar kein Urteil fällen ohne ein Vor-Urteil über die Sach- und Rechtslage.»
Auf die internationale Bühne
Das Bundesgericht hatte sich im Juli 2021 mit drei Beschwerden befasst und kam zum Schluss, dass, um die Schliessungen von Schulen zu vermeiden, die Maskentragpflicht weniger einschneidend und daher zulässig oder gar erforderlich sei. Dazu sagte Kruse: Es sei nicht dasselbe, wenn jemand kurz zum Einkaufen eine Maske aufsetzen müsse, oder ein Arzt, der beruflich Maske trage, – aber Kinder über Wochen oder Monate mehrere Stunden durchgehend eine Maske aufzuzwingen, dieser «Eingriff» gehe zu weit. Die Pädiatrie Schweiz verwies in ihren Stellungnahmen jeweils darauf, dass Masken bei Kindern atemphysiologisch unbedenklich seien.
Die Maskentragpflicht an den Zürcher Schulen wurde per 21. Februar 2022 aufgehoben. Trotzdem endet Kruses Bestreben nicht: Er will erreichen, dass die Kinder und Jugendlichen nie mehr zum Maskentragen gezwungen werden können. Dafür müsste allerdings ein Verwaltungsgericht die Maskentragpflicht als rechtswidrig beurteilen.
Der Jurist sieht sich in dieser Pandemie in der Verantwortung. Als Mitglied der Rechtspflege müsse er dem Recht Sorge tragen wie ein «Gärtner seinen Pflanzen», sagt Kruse. «Mir geht es darum, mit Sachlichkeit, Vernunft und Recht zu einer besseren Lösung für alle beizutragen. Wir können wirklich nicht auf ewig beim nächstbesten Virus wieder erneut alles auf null runterfahren.»
Von den Abfuhren vor Gericht lässt sich Kruse nicht beeindrucken. Nun strebt er gar auf die internationale Bühne: Zusammen mit Anwälten aus anderen europäischen Staaten wolle er eruieren, inwieweit die Weltgesundheitsorganisation (WHO) seit 2020 in die Souveränität der Staaten eingegriffen habe und welche weiteren Eingriffe geplant seien.
Dem streitbaren Anwalt dürfte die Arbeit so schnell nicht ausgehen.
(https://www.nzz.ch/zuerich/nicht-publizieren-ich-muss-dem-recht-wie-ein-gaertner-seinen-pflanzen-sorge-tragen-ein-rechtsanwalt-auf-mission-ld.1672253)
+++HISTORY
Späte Beseitigung stossenden Unrechts, das Paul Grüninger widerfahren war
Verurteilung und Rehabilitierung des St.Galler Fluchthelfers, der während des Zweiten Weltkriegs rund 2000 Flüchtlingen das Leben gerettet hatte
https://www.st-galler-nachrichten.ch/st-gallen/detail/article/spaete-beseitigung-stossenden-unrechts-das-paul-grueninger-widerfahren-war-00211144/
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derbund.ch 01.04.2022
Berner Raubgut-Forschung: Stradivari- und Guarneri-Geigen in Nazihänden
Raubkunst gab es nicht nur in der Kunst: Auch wertvolle Geigen und Cellos wurden gestohlen und unter Wert verkauft. Ein Berner Team will nun dazu forschen.
Michael Feller
1939 beging der jüdische Instrumentenhändler Felix Hildesheimer aus dem rheinländischen Speyer Suizid. Kurz zuvor hatte er sein Geschäft verkaufen müssen, wahrscheinlich auf Druck der NS-Herrschaft, also in der Not und unter Wert. Unter den vielen wertvollen Geigen, die er mit dem Laden verkaufte, war wohl auch eine Guarneri, die Geschichte schreiben sollte.
Die Spur der Guarneri verlor sich. Bis 1974, als Violinistin Sophie Hagemann das Instrument kaufte. Nach ihrem Tod ging die Geige 2010 in das Vermögen der Franz-Hofmann-und-Sophie-Hagemann-Stiftung über. Die Stiftung beschloss, das 1706 erbaute Instrument, das in einem schlechten Zustand war, zu restaurieren und begabten Studierenden der Hochschule für Musik Nürnberg zur Verfügung zu stellen. Dabei wurden die Lücken in der Herkunftsgeschichte und der wahrscheinliche frühere Besitzer Felix Hildesheimer bekannt.
Die Stiftung beschloss, die Sache proaktiv anzugehen und stellte die Guarneri 2013 in die Online-Datenbank Lost Art. Lostart.de wird meist für ungeklärte Gemälde verwendet, aber auch für Kunsthandwerk. Bei Geigen und Cellos der Spitzenklasse mit Werten bis in Millionenhöhe ist der Fall klar: Falls sie von Nazis gestohlen oder verfolgungsbedingt verkauft wurden, steht eine Wiedergutmachung im Raum. Das kann eine Rückgabe des Instruments zur Folge haben oder eine sonstige Einigung.
Über eine amerikanische Journalistin wurden die Erben von Felix Hildesheimer gefunden. Schliesslich einigte man sich Ende 2021 auf eine Entschädigung in Höhe von 285’000 Euro. Das Instrument bleibt der Stiftung erhalten.
Berner Forschung
Es gab zur Zeit des Zweiten Weltkriegs also nicht nur geschädigte Kunsthändler und -sammlerinnen, deren Bilder von Nazis gestohlen wurden – oder die zur Finanzierung ihrer Flucht Gemälde unter Wert verkaufen mussten. Raubgut- und Fluchtgutfälle gab es auch bei Musikinstrumenten. Insbesondere bei Streichinstrumenten im obersten Preissegment, in erster Linie von Stradivari und Guarneri. In welchem Umfang das passierte, ist noch weitgehend unerforscht. Die Hochschule der Künste Bern (HKB) stösst nun ein Forschungsprojekt an und lädt gemeinsam mit der Universität Bern am 4. und 5. April Fachleute zu einer zweitägigen Tagung nach Brienz. Die dortige Geigenbauschule ist Gastgeberin und Mitinitiantin.
Thomas Gartmann, Leiter der HKB-Forschung, ist eine treibende Kraft hinter dem Vorhaben. «Bei der bildenden Kunst hat man in den letzten 25 Jahren bei der Provenienzforschung grossen Aufwand betrieben. Bei den Instrumenten haben wir einen grossen Rückstand», sagt er. Sein grundsätzliches Interesse am Thema Schweiz und Zweiter Weltkrieg ist ein Aspekt, der ihn für dieses Projekt motiviert. Aber auch die Tatsache, dass für das Vorhaben Wissen aus verschiedenen Ecken zusammenfliessen muss.
Archive aufarbeiten reicht im Falle der Herkunftsforschung zu Geigen und Cellos nicht. Zusätzlich sind die Fachbereiche Restauration und Konservierung sowie die Naturwissenschaften gefragt: Die Erforschung der Geigenlacke, wo zu welcher Zeit welche Lackschicht auf die edlen Hölzer aufgetragen wurde – dieser Aspekt ist bei der Überprüfung von Streichinstrumenten unabdingbar.
Die Sache ist komplex: Bei den Bildern wurden Besitzwechsel oft auf der Rückseite vermerkt. Einträge in Geschäftsbüchern gaben über die Motive des Werks Hinweise darüber, ob es beim fraglichen Gemälde tatsächlich um das gestohlene oder verschollen geglaubte Objekt handelte. Bei Instrumenten sind oft sehr wenige Angaben vorhanden. Die Informationslücken sind zwar auch bei der Kunstprovenienzforschung das grösste Problem. Nur kommt bei einer Geige erschwerend hinzu, dass sie sich nicht ohne Weiteres von anderen Exemplaren unterscheiden lässt. Deshalb müssen verschiedene Disziplinen zur Analyse beigezogen werden.
Wie gross die Erfolgsaussichten sind, lässt Thomas Gartmann noch offen: «Nun schauen wir, was an der Tagung zusammenkommt. Und ob sich daraus tatsächlich ein grösseres Forschungsprojekt ergibt.»
Gestohlen vom «Sonderstab Musik»
Gartmann nennt neben der Hagemann-Geige weitere Fälle. «Es gab Raube in von Deutschland besetzten Gebieten und in Deutschland selbst.» Ausserdem gab es Fluchtgut, also, wenn mit dem Verkauf eines Instruments die Flucht finanziert wurde. Entweder, um die «Reichsfluchtsteuer» in Deutschland bezahlen zu können. «Auch die Schweiz war ein möglicher Umschlagplatz: Juden flohen in die Schweiz und von hier in die USA. Um sich die Weiterreise leisten zu können, verkauften sie hier ihr Hab und Gut.»
Ein prominentes Raubkunstbeispiel ist jenes im Zusammenhang mit dem Weltklasse-Cellisten Gregor Piatigorsky (1904–1976). Mitte der 30er-Jahre wohnt er in Paris, wo er Jacqueline de Rothschild, Erbin des grossen Bankhauses, kennen lernt. 1937 kommt Tochter Ephta auf die Welt. Bereits zwei Jahre später müssen sie vor den Nazis fliehen. Diese beschlagnahmen das riesige Vermögen der Rothschilds – darunter auch ein Stradivari-Cello. Das Cello wurde von den deutschen Behörden bereits 1956 an die Familie zurückgegeben.
Doch nicht nur Streichinstrumente wurden geraubt. Zu den Opfern gehörte auch die polnische Cembalistin und Pianistin Wanda Landowska (1879–1959), die in Paris wohnte, als Nazideutschland die Stadt 1940 besetzte. Wegen ihrer jüdischen Abstammung floh sie in den unbesetzten Teil Frankreichs. Ihre umfangreiche Sammlung an Musikinstrumenten, -handschriften und -büchern musste sie zurücklassen. Der «Sonderstab Musik» beschlagnahmte diese und liess sie in 54 Kisten verpackt nach Berlin schaffen. Landowska sah ihre Instrumente nicht wieder. Sie galten als verschollen und im Bombenkrieg zerstört. Doch einzelne Instrumente tauchten nach dem Tod der Cembalistin bei Auktionen wieder auf.
(https://www.derbund.ch/stradivari-und-guarneri-geigen-in-nazihaenden-496396631579)