Medienspiegel 8. März 2022

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++BERN
Grosse Solidarität im Berner Oberland: Heimkinder aus der Ukraine sind in Adelboden angekommen
Momentan sind über zwei Millionen Ukrainer auf der Flucht vor dem vom Kreml lancierte Krieg. Die Bewohner vom Kinderheim Sunshine in der Nähe von Kiew, haben nun die Flucht hinter sich und sind letzten Donnerstag in Adelboden angekommen.
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/grosse-solidaritaet-im-berner-oberland-heimkinder-aus-der-ukraine-sind-in-adelboden-angekommen-145744631


+++AARGAU
aargauerzeitung.ch 08.03.2022

Andreas Glarner will Ukraine-Flüchtlinge bei sich aufnehmen: «Das ist ein Gebot der Menschlichkeit»

Einst weigerte sich SVP-Nationalrat Andreas Glarner als Gemeindeammann von Oberwil-Lieli, die vom Kanton zugewiesenen Flüchtlinge in der Gemeinde unterzubringen. Nun bietet der Asylhardliner an, eine ukrainische Flüchtlingsfamilie privat in seinem Haus aufzunehmen – woher kommt dieser Sinneswandel?

Fabian Hägler

Bis am Mittwoch haben die Kantone Zeit, sich zum Vorschlag des Bundes zu äussern, der für Ukraine-Flüchtlinge den Schutzstatus S einführen will. Wie sich der Aargau dazu stellt, dass Geflüchtete kein Asylverfahren durchlaufen müssen, sondern vorübergehend aufgenommen werden, solange der Krieg in ihrer Heimat tobt, ist noch offen.

Bereits klar dagegen positioniert hat sich SVP-Nationalrätin Martina Bircher aus Aarburg. Auf Twitter schreibt sie, der Status S sei nicht nötig, um den Geflüchteten schnell und unbürokratisch Schutz zu gewähren. Dies sei auch mit dem beschleunigten Asylverfahren möglich, das heute im Schnitt rund 50 Tage dauere.

    Das es den S Status braucht – um schnell und unbürokratisch Personen Schutz zu gewähren, ist absolut absurd. Mit dem beschleunigten Asylverfahren ist dies heute schon möglich (Durchschnitt 50 Tage).
    — Martina Bircher (@_MartinaBircher) March 4, 2022

Ein Twitter-User kritisiert Bircher für ihr Nein zum Schutzstatus S für ukrainische Flüchtlinge. «Sie dürfen gerne in einem Selbsttest zeigen, wie es ist, 50 Tage auf Asyl zu warten. Optimal mit drei Kindern, kein Geld und einem Kriegstrauma im Gepäck», heisst es im Tweet. Bircher sagt dazu: «Der Schutzstatus S wurde während der Balkankriege eingeführt, damals gab es das beschleunigte Asylverfahren noch nicht.»

Dieses Verfahren dauere im Schnitt rund 50 Tage, ukrainische Flüchtlinge können aber ohne Visum 90 Tage hier bleiben. «Sie können bei Einreise einen Asylantrag stellen, dieser wird innerhalb dieser 90 Tage bearbeitet sein.» Bircher betont, bei der Unterbringung und der finanziellen Unterstützung entstünden dadurch keine Nachteile. Zudem fordert die Nationalrätin, die Schweiz solle Wirtschaftsflüchtlinge und vorläufig Aufgenommene nach Hause schicken, «damit die Asylstrukturen entlastet werden und es genug Platz für Kriegsvertriebene gibt».

SVP Aargau in Leserbrief wegen harter Asylpolitik scharf angegriffen

In einem Leserbrief in der AZ vom Dienstag hatte der pensionierte Journalist Beat Kraushaar die SVP Aargau massiv angegriffen. Kraushaar schrieb mit Blick auf Martina Bircher und Kantonalpräsident Andreas Glarner: «Wir haben im Aargau einen Nationalrat und eine Nationalrätin aus dieser Partei, die zu den härtesten Scharfmachern in Sachen repressiver Flüchtlingspolitik gehören.»

Flüchtlingen aus der Ukraine empfahl er, nicht in den Aargau zu kommen, weil es hier schweizweit am wenigsten finanzielle Hilfe gebe. Weiter schrieb Kraushaar: «Solltet ihr trotzdem in unseren Kanton kommen, dann seid demütig und dankbar.» Wenn nicht, müssten Flüchtlinge damit rechnen, dass ihnen «von Seiten der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei SVP und in Form von Leserbriefen blanker Hass entgegenschlägt».

Andreas Glarner sieht Flüchtlingsaufnahme als Gebot der Menschlichkeit

SVP-Aargau-Präsident und Nationalrat Andreas Glarner gilt in Asylfragen als Hardliner und weigerte sich als Gemeindeammann von Oberwil-Lieli jahrelang, zugewiesene Flüchtlinge in der Gemeinde unterzubringen. Doch nun sagt Glarner: «Die Menschen, die jetzt die Ukraine verlassen, flüchten vor einem Krieg. Es ist ein Gebot der Menschlichkeit, ihnen zu helfen. Ich bin bereit, bei mir privat eine Flüchtlingsfamilie aufzunehmen.»

Er habe ein grosses Haus und genügend Platz, um eine Familie aus der Ukraine bei sich unterzubringen.

Glarner hält in einer Mitteilung der SVP fest, die aktuelle Situation unterscheide sich von den Migrationsströmen der letzten Jahre. «Anders als die Wirtschaftsmigranten, die aktuell unser Asylsystem belasten, wandern die ukrainischen Frauen und Kinder nicht aus, um künftig in einem modernen und grosszügigen Sozialstaat versorgt zu werden.» Sie seien an Leib und Leben bedroht und suchten vorübergehend Schutz, hofften auf ein baldiges Kriegsende und möchten so rasch wie möglich zurück zu ihren Familien und Angehörigen in der Ukraine.

Auf Nachfrage räumt Glarner ein, dass die ukrainischen Flüchtlinge in der Schweiz das Recht auf Familiennachzug hätten. Dabei könne durchaus die Situation entstehen, dass manche von ihnen einen Verbleib in der Schweiz der Rückkehr in ihre Heimat vorziehen würden. Dies könne insbesondere dann eintreten, «wenn der Krieg noch länger dauert und die Zerstörungen von Städten und ziviler Infrastruktur weiter zunimmt».

Bircher: Leute unterschätzen Probleme bei privater Flüchtlingsaufnahme

Martina Bircher steht der privaten Aufnahme von Flüchtlingen kritisch gegenüber: «Es ist schön und gut, wenn Leute das machen und ihre Wohnung oder ihr Haus anbieten, aber ich habe den Eindruck, dass viele Schweizerinnen und Schweizer das unterschätzen.» Sie habe als Sozialvorsteherin in Aarburg täglich mit Leuten aus anderen Kulturen zu tun, die zum Teil traumatisiert seien und intensive Betreuung brauchten.

Bircher hält fest, auch zu Ukrainern gebe es sprachliche Barrieren und kulturelle Unterschiede. Die SVP-Nationalrätin meint: «Manche Leute stellen sich das wohl zu einfach vor, eine Flüchtlingsfamilie bei sich aufzunehmen.»

Zudem wisse man nicht, wie lange der Krieg in der Ukraine dauern werde. Bircher befürchtet, dass mittelfristig wieder der Staat einspringen müsse, trotz gut gemeintem Engagement von Privaten.

SVP setzt auf Hilfe vor Ort und Kontrollen an der Grenze

Glarner sagt, aus seiner Sicht sei auch Hilfe vor Ort nötig, also in Nachbarländern der Ukraine wie Polen, Ungarn, Rumänien oder der Slowakei, die viele Flüchtlinge aufnehmen.

Der SVP-Nationalrat gründete vor rund drei Jahren die parlamentarische Gruppe Schweiz-Ungarn und stand am Montag im Kontakt mit dem ungarischen Vizebotschafter in der Schweiz. «Dieser hat mir gesagt, dass Hilfe für die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge in seinem Land sehr willkommen ist», sagt Glarner. Er prüft derzeit, ob eine Lieferung von kleinen Heizgeräten aus seiner ehemaligen Firma nach Ungarn möglich ist.

Glarner findet zudem, dass es trotz des grossen Flüchtlingsstroms aus der Ukraine eine gewisse Kontrolle an der Grenze brauche. Es könne nicht sein, dass Flüchtlinge, die gar nicht aus dem Kriegsgebiet kämen, von der Situation profitierten. In diesem Punkt ist Bircher mit ihm einig – sie schreibt in einer Mitteilung der SVP Schweiz, jetzt nutzten auch «in Belarus gestrandete Wirtschaftsmigranten die Gunst der Stunde, um über die Ukraine in die EU zu gelangen». In Polen kämen Tausende junge Menschen mit anderen ausländischen Wurzeln an und reisten unter anderem nach Deutschland weiter, so Bircher.



SP Aargau will Schutzstatus S für Ukrainer und Russen

In einem offenen Brief fordert die SP Aargau den Regierungsrat auf, sich beim Bundesrat dafür einzusetzen, dass alle Menschen, die wegen des Ukraine-Kriegs flüchten, den Schutzstatus S erhalten. Dies soll nicht nur für Flüchtlinge aus der Ukraine , sondern auch für russische Staatsangehörige gelten, die ihr Land verlassen. Weiter verlangt die SP, dass rasch Integrationsmassnahmen für die Ukraine-Flüchtlinge ergriffen werden und diese schnell Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten. Für die Unterbringung seien grosse Asylzentren nicht ideal, die SP schlägt stattdessen Mehrfamilienhäuser vor. Weiter fordern die Sozialdemokraten, dass Kinder und Jugendliche möglichst rasch in der Schweiz eingeschult werden. Schliesslich verlangt die SP, dass die Flüchtlinge soziale und psychologische Unterstützung erhalten. (fh)
(https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/svp-hardliner-andreas-glarner-wuerde-ukraine-fluechtlinge-bei-sich-aufnehmen-das-ist-ein-gebot-der-menschlichkeit-die-menschen-fliehen-vor-dem-krieg-ld.2259898)


+++APPPENZELL
Flüchtlinge aus der Ukraine im Kinderdorf Pestalozzi
Das Kinderdorf Pestalozzi in Trogen hat 37 Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen. Es ist jedoch nur eine vorübergehende Unterkunft, bleiben dürfen sie in Trogen nicht. Ein Augenschein vor Ort.  (ab 05:02)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/fluechtlinge-aus-der-ukraine-im-kinderdorf-pestalozzi?id=12155772
-> https://www.tvo-online.ch/aktuell/in-sicherheit-das-pestalozzi-kinderdorf-hilft-fluechtigen-145743858


+++BASELLAND
Notunterkunft im Spital Laufen für 150 Flüchtende aus der Ukraine (ab 03.48)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/erste-auswahl-an-gelungenen-schnitzelbaenken?id=12154827


+++LUZERN
Die Luzerner Kunsthochschule nimmt flüchtende Studierende aus der Ukraine auf (ab 01:28)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/kanton-luzern-haelt-an-flottenrabatt-fuer-mitarbeitende-fest?id=12154818


Kanton Luzern macht Flüchtlingsunterkunft beim Kloster St. Urban (ab 01.10)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/an-der-industriestrasse-luzern-entstehen-bald-gut-150-wohnungen?id=12155688
-> https://www.tele1.ch/nachrichten/kanton-luzern-richtet-asylunterkunft-in-st-urban-ein-145743957
-> https://www.zentralplus.ch/ukrainische-fluechtlinge-kanton-nutzt-kloster-st-urban-2319069/
-> https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/luzern/luzern-kanton-eroeffnet-in-st-urban-eine-temporaere-asylunterkunft-ld.2260366


+++ZÜRICH
Bereit für die Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine
Die Hilfe für Flüchtlinge ist im Kanton Zürich angelaufen. Bisher sind rund 200 Personen registriert. Ab Dienstag gibt es nun eine erste Anlaufstelle in der Stadt Zürich. Diese liegt beim Hauptbahnhof. Die Aufnahme soll unbürokratisch sein, wie die Sicherheitsdirektion versicherte.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/bereit-fuer-die-aufnahme-von-fluechtlingen-aus-der-ukraine?id=12154830


Kanton Zürich will Geld vom Bund für Integration von Ukraine-Flüchtlingen. (ab 03:16)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/der-flughafen-zuerich-ist-trotz-krise-auf-erholungskurs?id=12154950
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/bund-soll-fluechtlingsintegration-in-zuerich-finanzieren?id=12155691 (ab 04:17)


Ukrainische Flüchtlinge kommen in Zürich an
Mehr als zwei Millionen Menschen sind schon aus der Ukraine geflüchtet – immer mehr kommen in der Schweiz und in Zürich an. Heute wurde auf dem Kasernenareal ein Empfangszentrum in Betrieb genommen. Dort bekommen die Kriegsflüchtlinge schnell und unkompliziert Hilfe.
https://tv.telezueri.ch/zuerinews/ukrainische-fluechtlinge-kommen-in-zuerich-an-145744926
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/gefluechtete-aus-der-ukraine-kommen-am-zuercher-hb-an-00177555/


+++SCHWEIZ
Bund und Kantone tauschen sich über die Aufnahme von Schutzsuchenden aus
Geflüchtete aus der Ukraine suchen zunehmend Schutz in der Schweiz. Bund und Kantone koordinieren sich eng, um diese Situation bestmöglich zu bewältigen und den Schutz dieser Personen umgehend sicherzustellen. Bundesrätin Karin Keller-Sutter hat sich am 8. März 2022 mit Vertreterinnen und Vertretern der Kantone ausgetauscht, um die laufenden Arbeiten auf politischer Ebene abzustimmen.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-87501.html
-> https://www.toponline.ch/news/schweiz/detail/news/bund-und-kantone-tauschen-sich-ueber-aufnahme-von-fluechtlingen-aus-00177533/


Abgewiesene Asylsuchende sollen Lehre abbrechen müssen
Der Ständerat lehnte es knapp ab, dass Asylsuchende mit Negativ-Entscheid die Lehre beenden können. GLP-Nationalrat Jürg Grossen ärgert sich: «Die Zeichen der Zeit nicht erkannt».
https://www.20min.ch/story/abgewiesene-asylsuchende-sollen-lehre-abbrechen-muessen-758142617649


+++DEUTSCHLAND
Zum 8. März: Geflüchtete Frauen brauchen gendersensible Asylverfahren
Geflüchtete Frauen und Mädchen aus vielen Regionen der Welt haben besondere Gewalt und geschlechtsspezifische Diskriminierung erlitten. Das muss in Asylverfahren berücksichtigt werden. Zum Internationalen Frauentag am 8. März fordern PRO ASYL und einige Landesflüchtlingsräte, Asylverfahren endlich geschlechtersensibel zu gestalten.
https://www.proasyl.de/news/zum-8-maerz-gefluechtete-frauen-brauchen-gendersensible-asylverfahren/


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Umstrittenes Demoplakat – Jetzt kommt es zum Showdown im Berner «Kill Erdogan»-Prozess
Haben Berner Demonstrierende dazu aufgerufen, den türkischen Präsidenten zu töten? Das Urteil wird zum Präzedenzfall.
https://www.srf.ch/news/schweiz/umstrittenes-demoplakat-jetzt-kommt-es-zum-showdown-im-berner-kill-erdogan-prozess


Internationaler Frauentag: Mehr als tausend Frauen demonstrierten in Bern gegen Gewalt
Sie protestierten gegen «systemische Gewalt durch Patriarchat, Kapitalismus, Grenzen und Staaten». Die Demo war bewilligt und verlief friedlich.
https://www.derbund.ch/mehr-als-tausend-frauen-demonstrieren-in-bern-gegen-gewalt-759338758199
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/hunderte-demonstrieren-in-bern-gegen-gewalt-durch-das-patriarchat-66126251
-> https://www.luzernerzeitung.ch/videos/weltfrauentag-ueber-tausend-personen-an-demo-in-bern-gegen-gewalt-ld.2260615


Internationaler Tag der Frauen: Zwei Generationen sprechen über Gleichberechtigung
Sei es die Entwicklung der Gleichberechtigung, Themen wie Job, Familie, Lohn oder Gender: Von Generation zu Generation wechselt das Sinnbild der Frau. Zum Tag der Frau fragt TeleBärn zwei Frauen unterschiedlichen Alters, wie und ob die Meinungen auseinander gehen.
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/internationaler-tag-der-frauen-zwei-generationen-sprechen-ueber-gleichberechtigung-145744581


Wandbild zum 8. März
Wir haben in der Nacht auf den 8. März an verschiedenen Orten in der Stadt Bern Wandbilder angebracht. Unter der Parole „Feministische Kämpfe verbinden – Gemeinsam das Patriarchat bezwingen“, sind zwölf bedeutende Kämpfer:innen abgebildet. Die Bilder wurden jeweils mit einem Infotext zur Person und ihrem Kampf ergänzt.
https://barrikade.info/article/5054


polyphon zum (queer-)feministischen Kampftag gegen das Patriarchat.
https://rabe.ch/2022/03/08/polyphon-8-maerz/


Migrantinnen stehen am diesjährigen Weltfrauentag im Fokus
Am Weltfrauentag, dem 8. März, finden in Bern Aktionen und eine Demonstration für eine bessere Teilhabe von Migrant:innen in der Stadt Bern, gegen die Gewalt an Frauen und queeren Menschen und für Frieden statt. Die Demonstration startet um 18 Uhr auf der Schützenmatte.
https://www.neo1.ch/artikel/migrantinnen-stehen-am-diesjaehrigen-weltfrauentag-im-fokus


Kein Krieg, kein Staat, kein Patriarchat
Rund 3’000 Personen demonstrierten am Samstag in Zürich zum internationalen feministischen Kampftag vom 8. März. Trotz des grossen Polizeiaufgebot bahnten sich die Demonstrant:innen ihre Route durch die Stadt: laut, selbstbestimmt und hässig.
https://daslamm.ch/kein-krieg-kein-staat-kein-patriarchat/


Die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Kundgebung in Zürich gegen den Krieg bleibt ungenau, weil nur geschätzt werden kann.  (ab 04:14)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/bereit-fuer-die-aufnahme-von-fluechtlingen-aus-der-ukraine?id=12154830


+++KNAST
bielertagblatt.ch 08.03.2022

Das Gefängnis lässt Besuchende in der Kälte stehen

Zweimal wöchentlich können Insassinnen und Insassen des Bieler Regionalgefängnisses Besuch empfangen. Das geltende System hat aber seine Tücken – etwa stundenlanges Anstehen.

Carmen Stalder

Wie eine Burg sieht es aus, das Bieler Regionalgefängnis. Der hellgelbe Anstrich mit den schmutzig grauen Zierleisten passt nicht so recht zur wuchtigen Erscheinung. Ein hohes Eingangstor, Maschendrahtzaun und Überwachungskameras sollen unliebsame Eindringlinge abhalten – und vor allem fluchtwillige Insassen von ihrem Vorhaben abbringen. An diesem Dienstagnachmittag stehen drei Frauen vor dem Eingangstor. Eine nimmt im Stehen ihr verspätetes Mittagessen ein, eine andere tippt auf ihrem Handy herum. Sie alle warten. Sie warten darauf, ins Gefängnis eingelassen zu werden.

Wer im Gefängnis sitzt, hat sich gesetzeswidrig verhalten und muss seine ihm verhängte Strafe absitzen. Doch auch Gefängnisinsassinnen haben Rechte. Dazu gehört, dass sie Besuch von ausserhalb empfangen dürfen. Nur in Ausnahmefällen können solche Kontakte beschränkt oder untersagt werden, um die Ordnung und die Sicherheit der Strafanstalt zu gewährleisten.

Eine Besonderheit stellt die in Biel vorherrschende Untersuchungshaft dar: Hier wird eine gültige Besuchsbewilligung benötigt, die erst nach Abschluss der Ermittlungen erteilt wird. Die Bewilligung muss vor dem Besuch bei der zuständigen Untersuchungsbehörde, in der Regel bei der Staatsanwaltschaft, eingeholt werden. Dann steht einem Besuch im Gefängnis nichts mehr im Weg – oder sollte es zumindest nicht. Wer nämlich jemanden im Regionalgefängnis Biel besuchen will, muss zusätzlich viel Geduld mitbringen. Und allenfalls eine Kanne heissen Tee.

Nur noch zwei Plätze

Die Gegensprechanlage beginnt zu knattern. Eine Männerstimme meldet sich: «Die nächste bitte.» Eine der Frauen blickt auf, greift zur Tasche am Boden – sie ist gefüllt mit Esswaren, Zigaretten und Hygieneartikel, maximal drei Kilogramm pro Monat sind erlaubt – und stellt sich vor das Tor. Langsam schiebt es sich zur Seite. Die Frau tritt ein, geht über den Gefängnisvorplatz und verschwindet hinter den hellgelben Mauern. Die anderen Frauen warten weiter.

Im Regionalgefängnis Biel herrschen fixe Besuchszeiten: Jeweils am Dienstag und Donnerstag kann zwischen 14 und 16 Uhr Besuch empfangen werden. Die Eingewiesenen haben Anrecht auf eine Stunde oder zweimal eine halbe Stunde Besuch pro Woche. Aufgrund der Coronapandemie sind die Plätze für Besuchende von vier auf zwei halbiert worden – damit ein genügend grosser Abstand herrscht. Nun sitzen im Bieler Gefängnis allerdings um die 40 Personen ein. Rein rechnerisch ist es also gar nicht möglich, dass alle ihr Besuchsrecht wahrnehmen können: Sowohl am Dienstag als auch am Donnerstag reicht die Zeit höchstens für 8 Besucherinnen und Besucher, sprich 16 pro Woche.

Dieser Umstand stösst einigen Angehörigen von Bieler Gefängnisinsassen sauer auf. Und es gibt noch weitere Probleme, die sie beanstanden. Ein Betroffener hat sich beim «Bieler Tagblatt» gemeldet – woraufhin sich weitere Personen bereit erklärt haben, von ihren Erfahrungen zu erzählen. Sie alle wollen ohne Namen in der Zeitung erscheinen. Grösstes Problem, da sind sich alle einig, ist die lange Wartezeit unter freiem Himmel. Es gibt lediglich eine Stahlbank mit einem kleinen Vordach darüber. Vor Regen und Wind sei man damit kaum geschützt, sagt Elisabeth Lehmann*.

Seit neun Monaten besucht sie jede Woche ihren Sohn im Gefängnis. Dabei sei es immer wieder vorgekommen, dass so viele Besucherinnen und Besucher angestanden sind, dass nicht alle zum Zug kamen. «Ich habe dann einfach das mitgebrachte Essen abgegeben und bin wieder gegangen. So hat mein Sohn wenigstens mitbekommen, dass ich da gewesen bin.»

Mit ihrer Arbeit sei die Besuchszeit mitten am Nachmittag schwer vereinbar. Doch immerhin arbeitet Lehmann in Biel. Andere haben da einen weitaus längeren Anfahrtsweg, etwa Peter Häfliger* aus dem Berner Oberland. Seine Freundin sei wegen Umbauarbeiten im Berner Gefängnis nach Biel verlegt worden. Jetzt nimmt er jede Woche drei Stunden Fahrt auf sich, wartet bis zu zwei Stunden vor dem Gefängnistor – um dann für eine halbe Stunde eingelassen zu werden.

Denn auch darin sind sich die befragten Personen einig: Einstündige Besuche werden kaum gewährt, oft würden einen die Gefängnisaufseher nach 30 Minuten wieder rausschicken. Im Vergleich zum Gefängnis in Bern habe er sich zudem hier anfänglich kaum zurechtgefunden, sagt Häfliger: «Nichts ist angeschrieben und niemand sagt einem, wie die Anmeldung und die Besuche genau funktionieren.»

Viele Ausländer

Zwar wurden Mitte Februar die meisten Coronamassnahmen aufgehoben. Nicht jedoch im Justizvollzug. In Berner Gefängnissen herrscht vorläufig noch Maskenpflicht für alle Mitarbeiterinnen und Besucher, wichtig ist es auch, die Hände zu desinfizieren und Abstand zu halten. Das ist auch der Grund dafür, weshalb im Bieler Regionalgefängnis immer noch nur zwei statt vier Besucherplätze in Betrieb sind. «Wir haben hier viele Leute auf engem Raum», sagt die Gefängnisdirektorin Beatrice Büchner, als sie den Besucherraum zeigt.

In zwei kleinen Zimmern stehen vier Stühle vor einer Glasscheibe. Die Fenster lassen sich hochschieben, was jedoch nur den Anwälten beim Übergeben von Unterlagen gestattet ist. Alle anderen Gäste müssen durch die Scheiben mit den Insassen kommunizieren. In einem kleinen Nebenraum steht während der Besuchszeiten eine Aufseherin im Einsatz. Sie röntgt die mitgebrachten Waren und schreitet ein, wenn es im Besuchsraum laut wird.

Laut Büchner sitzen derzeit 39 Personen mit 17 verschiedenen Nationalitäten im Bieler Regionalgefängnis. Nur die Hälfte der Inhaftierten sind Schweizerinnen und Schweizer – was sich auch in der Anzahl Besuchenden niederschlage. «Nur ein Bruchteil der Gefangenen empfängt überhaupt Besuch», sagt die Direktorin. Man habe es oft mit Kriminaltouristen oder Drogendealern zu tun, die keine Angehörigen in der Schweiz haben. Das zeigen auch die Zahlen vom vergangenen Monat: Damals gab es 44 eingewiesene Personen, wovon nur 16 mindestens einmal Besuch erhielten. Laut Büchner hängt die Nachfrage nach Besuchszeiten stark von den inhaftierten Personen ab. Manchmal stünden nur drei Besucherinnen vor dem Gefängnistor an, manchmal deutlich mehr.

Offen für Ausnahmen

Grundsätzlich möchten die meisten Besucher eine Stunde am Stück bleiben. Dies versuche man zu ermöglichen, so Büchner. Seien jedoch viele Leute am Anstehen, könne es sein, dass die Besuchsdauer ausnahmsweise auf 30 Minuten verkürzt werden müsse, damit möglichst alle zum Zug kommen. «Ich kann mir nicht vorstellen, dass Besucher nach einer halben Stunde rausgeschickt werden, wenn nicht draussen schon die nächsten warten», sagt sie.

Weiter sei sie offen, Ausnahmen zu bewilligen. Sie erwähnt das Beispiel einer Mutter, deren kleine Tochter zu Besuch erschien. Die Zeit war schon vorangeschritten, doch das Mädchen habe die Besuchszeit um eine halbe Stunde überschreiten dürfen. Bei vorgängiger Anmeldung sei auch ein Treffen in der Gefängnisbibliothek möglich, insbesondere wenn Kinder dabei seien. «Ich kann mich nicht erinnern, eine Ausnahme nicht bewilligt zu haben», sagt Büchner.

In allen Gefängnissen im Kanton Bern ist es Besuchenden nicht möglich, sich für ein bestimmtes Zeitfenster im Voraus anzumelden. Stattdessen müssen sie sich vor Ort in die Reihe stellen und hoffen, dass nicht schon viele andere auf Einlass warten. Dieser Umstand sei nicht in ihrem Sinn, sagt Büchner. Sie würde es bevorzugen, wenn im Voraus ein Zeitfenster für den Besuch gebucht werden könnte. Dies müsste jedoch im ganzen Kanton einheitlich umgesetzt werden. Und das dauere länger, als ihr lieb sei. «Wir sind dabei, eine Lösung zu finden», betont sie.

Längerfristig könnte sie sich vorstellen, vermehrt auf Videotelefonie zu setzen. Andere Justizvollzugsanstalten hätten während der Coronapandemie erste positive Erfahrungen damit gemacht. Es sei wichtig, dass die Inhaftierten den Kontakt zur Aussenwelt aufrecht erhalten können – damit sie nach Absitzen der Strafe nicht ohne soziales Netzwerk dastehen.

* Namen geändert
(https://www.bielertagblatt.ch/nachrichten/biel/das-gefaengnis-laesst-besuchende-der-kaelte-stehen)



Inhaftierter im Gefängnis Horgen zündet seine Zelle an
Ein Mann hat am späten Montagabend im Gefängnis Horgen seine Zelle in Brand gesetzt und sich dabei selbst schwer verletzt. Es entstand grosser Sachschaden.
https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/inhaftierter-im-gefaengnis-horgen-zuendet-seine-zelle-an-00177540/
-> https://www.zsz.ch/brand-im-gefaengnis-horgen-400840083211


+++RECHTSEXTREMISMUS
Und mit Hilfe von rechtsextremer Schattenarmee: Putin will Ukraine «entnazifizieren» – mithilfe von russischen Nazis
Russland startete die Invasion der Ukraine unter dem Vorwand, das Land vor Nationalsozialisten wie dem Asow-Regiment schützen zu müssen. Dafür wurden auch Söldner des Wagner-Trupps angeheuert: eine Gruppierung, die selbst im rechtsextremistischen Milieu zu Hause ist.
https://www.blick.ch/ausland/und-mit-hilfe-von-rechtsextremer-schattenarmee-putin-will-ukraine-entnazifizieren-mithilfe-von-russischen-nazis-id17299714.html
-> https://www.srf.ch/news/international/kriegspropaganda-von-russland-es-ist-an-diffamierung-nicht-zu-uebertreffen



tagesanzeiger.ch 08.03.2022

«Z» auf Fahrzeugen und Kleidung: Das neue Symbol für Putins Aggression

Kurz vor der Invasion Russlands in die Ukraine tauchten weisse Zs auf russischen Militärfahrzeugen auf. Jetzt sind sie überall. Zur Bedeutung hat sich auch Russlands Regierung geäussert.

Anielle Peterhans, Frank Nienhuysen

Russische Panzer und Lastwagen haben es, Autos und Häuser sind damit besprüht, und auf ziviler Kleidung ist es zu sehen: Das mit weisser Farbe aufgemalte «Z»-Symbol ist seit der Invasion von Russlands Streitkräften in die Ukraine in den sozialen Medien omnipräsent. Während die westliche Welt blau-gelb geworden ist in den vergangenen zwei Kriegswochen, setzt jetzt offenbar auch Russland ein Zeichen.

Das Z – manchmal ist es auch ein V – wurde innert kurzer Zeit zum Kriegssymbol. Es schwärmt durch die sozialen Medien und signalisiert Unterstützung für Russlands Krieg, den keiner Krieg nennen darf, gegen den Nachbarn, für Wladimir Putin, den Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte. Und noch mehr. Was als mysteriöses militärisches Symbol begonnen hat, werde nun von Analysten als eine «neue, abschreckende nationalistische Bewegung beschrieben», schreibt die CNN.

Doch was bedeutet dieses «Z» überhaupt?

Es werde «voll faschistisch»

Kamil Galeev, ein unabhängiger Forscher und Journalist, erklärte das Phänomen am Sonntag auf Twitter: «Lassen Sie uns darüber reden, was in Russland passiert. Um es einfach auszudrücken: Sie gehen voll in den Faschismus über», twittert er. Galeev schreibt, dass das Symbol eine Propagandakampagne der russischen Regierung sei, um die Unterstützung der Bevölkerung für ihre Invasion in der Ukraine zu gewinnen – «und sie bekommen viel davon».

Tatsächlich: Nur drei Tage nach der Invasion gab das vom Kreml finanzierte staatliche Netzwerk RT auf seinen Social-Media-Kanälen bekannt, dass es Z-Waren, darunter T-Shirts und Hoodies, verkaufe, um seine Unterstützung für die russischen Truppen zu demonstrieren.

Galeev erklärt weiter: Einige würden Z als «Za pobedu» (für Sieg), andere als «Zapad» (Westen) interpretieren. Eine weitere Theorie auf den sozialen Medien besagt, dass es um den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski gehe, der als wichtigstes Angriffsziel gelte. Er hat für seinen Wahlkampf 2019 das Z als Emblem gewählt.

Das Besondere: «Z» ist nicht einmal ein russischer Buchstabe. Es ist das latinisierte stimmhafte S, das in kyrillischer Form eigentlich aussieht wie eine 3.

Eine Woche nach Beginn der Invasion hat das russische Verteidigungsministerium selbst auf seinem Instagram-Kanal eine Erklärung abgegeben. Die Buchstaben stehen demnach für die englischen Übersetzungen der Anfangsbuchstaben russischer Präpositionen aus zwei Slogans: Z wie «Za pobedu» für «Für den Sieg». V wie «Sila v pravde» für «Macht der Wahrheit».

Letzteres ist nach Angaben der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» eine Anspielung auf den russischen Film «Brat 2» (Der Bruder 2) aus dem Jahr 2000. In einer Szene fragt ein junger Russe in den USA einen Amerikaner, worin «die Kraft» liege – nämlich «in der Wahrheit» und nicht im Geld. Auch Wladimir Putin selbst soll das Zitat schon angebracht haben.

Sicher ist, die beiden Buchstaben gelten nun als Kampfansage – und als Zeichen der Unterstützung für Putins Politik. Kreml-Anhänger haben eine regelrechte Kampagne in den sozialen Medien gestartet. Neben Fotos von besprühten russischen Personenwagen kursieren diverse Fotos und Videos, die schwierig zu verifizieren sind. Auf einem sieht man etwa, wie wahrscheinlich ein russischer Soldat einen Z-Buchstaben aus den Abzeichen angeblich getöteter ukrainischer Soldaten formt.

Auf mehreren Videos sind wohl kampfbereite Männer zu sehen, die alle denselben schwarzen Hoodie mit weissem Z tragen. Sie heben die Faust und skandieren im Chor pro-russische Slogans: «Für Russland, für den Präsidenten! Für Russland, für Putin!» Über dem Z steht der Spruch: «Wir lassen die Unsrigen nicht hängen!»

In der zentralrussischen Stadt Kasan wurden etwa 60 Kinder und Mitarbeiter eines Hospizes draussen im Schnee fotografiert, wie sie vor ihrem Gebäude ein riesiges «Z» bildeten.

Wie freiwillig oder politisch gesteuert die Aktionen sind, bleibt ungeklärt.

Doch das Z-Symbol gewinnt sicherlich an Popularität. Auch durch Maria Butina. Vor drei Jahren wurde die junge Waffenlobbyistin von einem US-Gericht wegen Verschwörung gegen die USA zu einer Haftstrafe verurteilt. Jetzt ist sie 33 und Abgeordnete in der russischen Staatsduma. Butina hat auf Twitter ein kurzes Video in einer Privatwohnung aufgenommen, unterlegt mit der dramatischen Akustik von Herzschlägen. Sie trägt einen dunklen Rock, eine weisse Bluse, einen dunklen Blazer. Matrjoschkas stehen auf dem Fensterbrett. Butina zieht den Blazer aus, legt ihn auf den Tisch, malt ein weisses Z ans Revers und zieht den Blazer wieder an. Sie rückt ihren roten geflochtenen Zopf ins Bild, ballt die Faust, schaut sehr ernst und sagt: «Macht eure Arbeit, Brüder, wir sind mit euch.» Als Abgeordnete des russischen Parlaments ist Maria Butina eine Multiplikatorin mit grosser Reichweite.

Und letztes Wochenende hat der 20-jährige russische Turner Ivan Kuliak die Bühne des Weltcups in Doha genutzt, wohl um Putins Krieg zu unterstützen. Der junge Sportler trat mit einem aufgeklebten «Z» über dem Logo des russischen Verbands an. Farblich dezent, aber gut sichtbar. Er steigt auf das Sieger-Podest direkt neben seinen ukrainischen Rivalen Illia Kovtum, der Gold gewann. Der Internationale Turnverband hat nach eigenen Angaben ein Disziplinarverfahren gegen den russischen Turner eingeleitet.

So scheint für Russland der Vormarsch in der Ukraine zwar zäh zu verlaufen, aber die Dynamik im Inneren ist kaum zu bremsen. Auch bei den Behörden. Die Briefköpfe in den Verwaltungsbehörden werden derzeit umgeschrieben. Der Gouverneur des Bezirks Kemerowo lässt in offiziellen Dokumenten sein berühmtes Steinkohlerevier nun als «KuZbass» schreiben, «als Zeichen der Unterstützung für unsere Kämpfe und als Solidarität mit unserer Gesellschaft». Aus Sabaikal, dem Gebiet am Baikalsee, wird Zabaikal, und aus dem Chef der russischen Weltraumbehörde, Dmitri Rogosin, auf seinem Telegram-Account also RogoZin.

Bis zu den russischen Truppen in Syrien und auf prorussische Demonstrationen in Belgrad hat es der Buchstabe Z geschafft. «Das alles ist nicht spontan in den sozialen Medien entstanden», sagt Aglaja Snetkowa, Politikdozentin für Slawische und Osteuropäische Studien in London: «Das Regime hat das unterstützt.»

Die militärische Bedeutung indes ist weniger klar. Einige Militärexperten glauben, dass die verschiedenen Markierungen helfen sollen, die eigenen Fahrzeuge von den Panzern der Ukraine zu unterscheiden. Doch gibt es verschiedene Versionen der Markierungen – manchmal ist das Z in ein Dreieck eingeschrieben, manchmal in ein Quadrat oder einen Kreis. Auch andere Buchstaben wurden gesichtet: neben dem «V» auch etwa ein «O».

Der Veteran der russischen Spezialeinheiten, Sergei Kuwykin, sagte der Website des russischen Magazins «Life», dass unterschiedliche Symbole verschiedene Militäreinheiten markierten. Der Professor für Sicherheitsstudien, Michael Clarke, sagte gegenüber Sky News: «Es sind wahrscheinlich Zeichen, die einem sagen, welche Einheiten zum Beispiel in den Nordosten oder Nordwesten eines Bezirks fahren.» Russland markiert wohl damit zum Teil auch von ihnen eingenommene Häuserzeilen und Städte.



Auf einem Video zeigen sich junge Russen im Z-Hoodie offenbar in St. Petersburg. Sie sagen, sie werden alles daran setzten, dass «die Faschisten aus der Ukraine vertrieben» werden. «Für Russland, für den Präsidenten! Für Russland, für Putin!», schreien sie am Schluss.
Video: Tamedia (Kamil Galeev via Twitter)
https://unityvideo.appuser.ch/video/uv443986h.mp4

Z-Symbole auf Fahrzeugen sollen die Unterstützung für Putins Krieg in der Ukraine verdeutlichen.
Video: Tamedia (Hanna Liubakova via Twitter)
https://unityvideo.appuser.ch/video/uv443983h.mp4

Z-Symbol bei der Siegerehrung: Der internationale Turnverband hat ein Verfahren eingeleitet.
Video: Tamedia (Euronews)
https://unityvideo.appuser.ch/video/uv443982h.mp4
(https://www.tagesanzeiger.ch/das-neue-symbol-fuer-putins-aggression-414964616721)

+++HISTORY
woz.ch 03.03.2022

 Häusliche Gewalt: «Das Persönliche ist eben wirklich politisch»

Vor 43 Jahren wurde in Zürich eines der ersten Frauenhäuser der Schweiz eröffnet. Mitgründerin Annemarie Leiser, die heutige Geschäftsführerin Susan A. Peter und Anthoula Kazantzidou vom früheren Frauenhaus Violetta blicken auf die Geschichte zurück, in der sich die Konfliktlinien der feministischen Bewegung widerspiegeln – und wagen einen Blick in die Zukunft.

Von Noëmi Landolt (Interview) und Ursula Häne (Foto)

WOZ: Die siebziger Jahre waren eine bewegte Zeit: Schweizweit gingen Frauen für die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs auf die Strasse, in Zürich wurden der Frauenbuchladen und die Frauenbeiz Pudding Palace eröffnet. In diese Zeit fällt auch die Grundsteinlegung für das Frauenhaus Zürich. Annemarie Leiser, dass es diese Institution heute gibt, ist auf Ihre Initiative zurückzuführen. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?

Annemarie Leiser: Themen rund um den eigenen Körper waren damals sehr wichtig. Über allem stand der Slogan «Das Private ist politisch». Ich entdeckte im Frauenbuchladen Bücher von Frauenhäusern aus Berlin und Köln zum Thema Gewalt an Frauen – damals noch ein völliges Tabu in der Schweizer Gesellschaft. Das gab den eigentlichen Anstoss. Ich tauschte mich zuerst mit der kleinen Frauengruppe aus, in der ich damals aktiv war, dann gründeten wir eine Arbeitsgruppe, hängten einen Zettel ans grosse Brett im Frauenzentrum. Und es kamen zu unserem Erstaunen tatsächlich zwanzig Frauen zusammen. Die erste Zeit war recht chaotisch. Es gab unterschiedliche Tendenzen, auf der einen Seite die sogenannt «Radikalen», auf der anderen die «Realos».

Waren Sie ein Realo?

Leiser: Ja, ich wurde zu denen gezählt. Die Radikalen lachten, wenn wir Protokolle schrieben. Sie wollten lieber Plakataktionen machen und solche Sachen. Also trennten wir uns. Ich war dann noch bei ein, zwei solch nächtlichen Aktionen dabei. Aber bald gab es so viel Arbeit beim Aufbau des Frauenhausprojekts, dass ich keine Energie mehr dafür hatte.

Die Gruppe der Radikalen löste sich nach einiger Zeit auf. Die Realos wiederum gründeten einen Verein.

Leiser: Wir haben zunächst eine Umfrage gemacht bei Ärztinnen, Richtern, Pfarrern, Spitälern und so weiter, ob sie mit dem Thema Gewalt an Frauen zu tun haben. Die Rückmeldungen waren überwältigend. So viele Institutionen haben geschrieben, dass sie mit misshandelten Frauen konfrontiert waren und nicht wussten, wie sie damit umgehen sollten. Weil wir Geld brauchten, wollten wir uns ein properes Image zulegen, haben einen Verein gegründet und schliesslich im Frauenzentrum eine Beratungsstelle eröffnet. Schon am ersten Nachmittag kam eine Frau zu uns, die ihre gepackten Koffer dabeihatte. Sie dachte, sie könne hier schlafen. Wir fanden dann zum Glück einen anderen Ort für sie. Aber uns war klar, dass wir ein Frauenhaus brauchten. Und dass wir uns dafür auch an bürgerliche Frauen richten mussten mit der Öffentlichkeitsarbeit.

Susan A. Peter: Das war wohl schon eine Irritation für euch, da ihr euch vorher in den autonomen Kreisen eigentlich immer gegen die bürgerlichen Frauen abgegrenzt habt.

Leiser: Das war tatsächlich ein Spagat. Wir waren klar verwurzelt in der autonomen, feministischen Frauenbewegung; andererseits wussten wir: Wenn wir wirklich ein Frauenhaus aufmachen wollen, können wir keine Insel sein. Es gab viele und lange Diskussionen, ob das ein Verrat an der Frauenbewegung sei.

Als das Frauenhaus dann eröffnet war, basierte es auf dem Ideal einer Wohngemeinschaft, wonach es keinen Unterschied geben sollte zwischen Mitarbeiterinnen und Frauen, die Schutz suchten. Man brauchte keine Ausbildung in sozialer Arbeit, sondern es reichte, bekennende Feministin zu sein, um dort zu arbeiten. Sie haben auch gehofft, die gewaltbetroffenen Frauen für den Feminismus begeistern zu können.

Leiser: Wir dachten, wenn die Frauen erst mal im Frauenhaus sind, haben wir Zeit für Diskussionen, und die finden den Feminismus dann auch gut und wichtig. Die Realität war dann eine andere.

Susan Peter, Sie sind in den achtziger Jahren als Praktikantin ins Frauenhaus Zürich gekommen. Was haben Sie da für einen Ort angetroffen?

Peter: Ich erinnere mich noch genau an den Aushang an der Schule für Soziale Arbeit. Ich bewegte mich damals in der autonomen Frauenszene und dachte: «Frauenhaus, das klingt nach Frauen. Das ist sicher ein gutes Praktikum.» Ich hatte keine Ahnung, was mich erwartete, denn ich hatte vorher noch nie etwas mit dem Thema Gewalt an Frauen zu tun gehabt. Ich traf auf eine spannende Gruppe, es hatte schon einige Wechsel gegeben im Team. Frauen, die nach den Gründerinnen einen anderen Groove reinbrachten. Bei den Vollversammlungen im oberen Stock des Frauenzentrums an der Mattengasse gab es hitzige Diskussionen um die Lohnentwicklung. Damals gab es noch keine Betriebsleitung oder eine Geschäftsstelle, und alle redeten mit. Es ging stark um die Frage, was unsere Arbeit wert ist. Einige sagten: Politarbeit ist so wichtig, es kommt nicht darauf an, was ich bekomme. Aber wer kann es sich schon leisten, gratis zu arbeiten?

Anthoula Kazantzidou, waren Sie in jener Zeit auch schon im Umfeld des Frauenhauses unterwegs?

Anthoula Kazantzidou: Nein, nicht direkt. Ich hatte in den frühen achtziger Jahren im «Tages-Anzeiger» gelesen, dass ein Frauenhaus in Zürich existierte. Zur gleichen Zeit war eine schwangere Arbeitskollegin von mir von häuslicher Gewalt betroffen. Ich konnte sie dazu bewegen, sich beim Frauenhaus zu melden. Sie liess sich dort beraten, wohnte dann aber bei meinen Eltern, bis sie eine andere Lösung fand. Ich befasste mich auch mit dem Thema Gewalt, aber auf einer ganz anderen Ebene. Ich war bei der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit dabei. Erst 2001 stiess ich zum Frauenhaus Violetta dazu, das von Migrantinnen für Migrantinnen gegründet und geführt wurde.

Es ist spannend, dass sich die Konflikte innerhalb der feministischen Bewegung auch in der Geschichte des Zürcher Frauenhauses widerspiegeln: zuerst die Gründerinnen, die sich von der bürgerlichen Frauenbewegung abgrenzten; dann die Diskussionen um den Wert der geleisteten Arbeit; und Ende der Achtziger stellten Migrantinnen den Universalismus weisser Feministinnen infrage. Ist das Frauenhaus Violetta auch daraus entstanden?

Kazantzidou: Nein, nicht direkt. Das Frauenhaus Violetta ist Mitte der neunziger Jahre aus der städtischen Beratungsstelle für Migrantinnen Infodona heraus entstanden. Man sah, dass die Probleme von Migrantinnen, die häusliche Gewalt erfahren, anders und vielfältiger sind als jene von Schweizerinnen. Die damalige Stadträtin Emilie Lieberherr war sehr offen und hat die Eröffnung eines zweiten Frauenhauses ermöglicht. Es lag dann irgendwo in Bülach, wo man nur mit dem Taxi hinkam. Die Mitarbeiterinnen mussten das Haus erst neu streichen und Vorhänge nähen. Das waren engagierte Frauen, die vorher auf freiwilliger Basis Beratungsstellen für Migrantinnen aufgebaut hatten.

Es gab einen Konflikt mit den Betreiberinnen des ersten Frauenhauses. Wieso das?

Kazantzidou: Es war ein grosser Streitpunkt, dass es jetzt ein neues Frauenhaus gab. Auch als ich im Jahr 2001 zu Violetta stiess, habe ich noch viel Skepsis von anderen Frauenhäusern und -beratungsstellen gespürt. Vor allem von Mitarbeiterinnen des Frauenhauses Zürich und auch aus dessen Umfeld. Ich habe das lange nicht verstanden, bis mir eine Mitarbeiterin des Frauenhauses Zürich sagte: «Weisst du, wir sind ja auch Menschen.» Da habe ich begriffen, dass sie sich ausgeschlossen und auch bedroht fühlten, weil das Violetta explizit ein Projekt von Migrantinnen für Migrantinnen war. Das hat sie anscheinend zutiefst im Menschsein getroffen. Das hat mich überrascht.

Susan Peter, wie blicken Sie auf diese Zeit zurück?

Peter: Ich arbeitete damals im Team des Frauenhauses. Es gab sehr heftige Diskussionen dank Mitarbeiterinnen mit Migrationshintergrund. Benam Ates war eine sehr prägende Figur. Wir haben in Zürich den Internationalen Frauenhauskongress organisiert und Kolleginnen aus Österreich, Deutschland und den Niederlanden eingeladen. An diesem Kongress brachte Benam den Aspekt ein, dass die Situation von Mitarbeiterinnen mit Migrationshintergrund nicht dieselbe ist wie diejenige von uns Schweizerinnen. Dann hat es «geklöpft», weil deutlich wurde, dass wir weissen Mittelschichtsfrauen unseren eigenen Rassismus nicht reflektiert hatten. Es führte auch bei uns im Frauenhaus Zürich zu intensiven Diskussionen, in deren Folge schliesslich eine Migrantinnenquote von fünfzig Prozent im Team eingeführt wurde.

Und warum hat die Gründung des Frauenhauses Violetta für Irritationen gesorgt?

Peter: Zu jener Zeit war ich im Vereinsvorstand des Frauenhauses. Wir waren sauer, weil wir nicht vorgängig informiert worden waren, um eine gute Grundlage für die Zusammenarbeit zu schaffen. Hinzu kam, dass eine unserer ehemaligen Nachtmitarbeiterinnen unser Konzept mitnahm und ins Violetta einfliessen liess. Dass es mehr Plätze gab, haben wir sehr befürwortet. Aber das «Wie» von staatlicher Seite hat uns gestört. Wir fanden, die Migrantinnen liessen sich instrumentalisieren.

Kazantzidou: Das Frauenhaus Violetta war sehr wichtig, weil sich Migrantinnen endlich ermächtigt sahen, selbstbestimmt für sich zu sprechen, und auch, weil die im Ausland erworbenen Fachkenntnisse von Migrantinnen in der Schweiz einfach nicht anerkannt und extrem infrage gestellt wurden. Ich kann mich nicht erinnern, dass in irgendeiner Beratungsstelle eine Frau mit einem ausländischen Diplom gearbeitet hat. Im Violetta haben wir nicht auf einen Schweizer Abschluss geachtet. Wichtig waren der Migrationshintergrund und die Ausbildung. Wir waren alles Fachfrauen, aber wir mussten uns nach aussen hin extrem beweisen.

Im Rahmen des New Public Management wurde das Frauenhaus Violetta Anfang der nuller Jahre von der Stadt erst an die Stiftung Kinderdorf Pestalozzi ausgelagert und ging dann schliesslich zur Stiftung Frauenhaus Zürich über. Konnten die Ressentiments überwunden werden, als beide Frauenhäuser unter einem Dach waren?

Kazantzidou: Das Frauenhaus Zürich hatte ja aufgrund einer internen Krise während ein paar Monaten geschlossen und ist Anfang 2005, als das Violetta dazukam, mit einem neuen Team wieder gestartet. Wir vom Violetta hatten schon ein etabliertes Team, eine eigene Betriebskultur, und wir fühlten uns sicher in unserer Arbeit, während die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses Zürich sich erst einarbeiten mussten. Wir waren in erster Linie erleichtert, dass wir eine neue Trägerschaft gefunden hatten und das Violetta weiter bestehen konnte. Ein gewisses Misstrauen war schon noch da, das hat sich in der Zusammenarbeit dann aber aufgelöst.

Annemarie Leiser, Sie haben 1990 aufgehört, im Frauenhaus zu arbeiten. Haben Sie diesen Konflikt von aussen mitbekommen?

Leiser: Ja, eine enge Freundin arbeitete noch dort. Als ich hörte, dass ein neues Frauenhaus aufgehen sollte, dachte ich: Da will die Frau Lieberherr wieder etwas aus dem Boden stampfen und für sich beanspruchen. Wir hatten Ende der siebziger Jahre zwiespältige Erfahrungen mit ihr gemacht; sie versuchte damals, das Thema Gewalt an Frauen für sich zu pachten. Später habe ich gemerkt, dass es diesmal nicht so war. Es ist doch interessant: Erst mussten Frauen das Thema der häuslichen Gewalt aufbringen, die Männer machten das nicht. Dann haben die Migrantinnen es nochmals anders auf den Plan gebracht, auf eine Weise, wie es weisse Schweizerinnen nicht konnten.

Peter: In späteren Diskussionen im Frauenhaus ging es dann auch nicht mehr um die geografische Herkunft, sondern um Schicht und soziale Zugehörigkeit. Eine Schweizerin und eine Migrantin können einander je nachdem viel vertrauter sein als zwei Schweizerinnen, weil sie ähnlich aufgewachsen sind.

Gibt es heute noch eine Migrantinnenquote für Mitarbeiterinnen im Frauenhaus?

Peter: Seit der Zusammenlegung der beiden Häuser war uns die Wichtigkeit des Themas Migration sowohl auf Mitarbeiterinnen- als auch auf Klientinnenseite sehr bewusst. Wenn wir heute eine Stelle ausschreiben, ist es selbstverständlich, dass wir erst einmal schauen, welche Ressourcen im Team fehlen: vom fachlichen Hintergrund, von der Sprache oder vom Alter her … Wir sind da vom Fokus auf die Nationalität weggekommen. Dennoch hatten wir in den letzten Jahren immer mindestens fünfzig Prozent Migrantinnen im Team.

Frau Kazantzidou, als klar war, dass das Frauenhaus Violetta und das Frauenhaus Zürich an einem Standort fusionieren würden, haben Sie gekündigt. Warum?

Kazantzidou: Ich war immer der Meinung, dass es zwei Frauenhäuser an zwei Standorten braucht, um den Schutz der Frauen zu gewährleisten. Wenn eine Frau in einem Haus gefährdet ist, weil zum Beispiel der Partner die Adresse herausgefunden hat, dann kann man sie im anderen unterbringen. Zudem war vielen nicht klar, welche Bedeutung das Frauenhaus Violetta für die Migrantinnen hatte. Viele Mitarbeiterinnen fanden erst über ihre Arbeit im Violetta später eine andere Stelle. Dass Migrantinnen hier ihr Fachwissen beweisen konnten, war sehr wichtig und einzigartig. Ich wollte nicht die sein, die die Türen des Violetta schloss. Meiner Meinung nach fehlt diese Institution bis heute noch immer in der Zürcher Soziallandschaft.

Migrantinnen, die Opfer von häuslicher Gewalt werden, sind mit anderen Problemen konfrontiert als Schweizerinnen. Was hat sich diesbezüglich in den 43 Jahren seit der Gründung des Frauenhauses getan?

Leiser: Es hat sich viel zu wenig bewegt. Eine Frau kann heute in Zürich 35 Tage im Frauenhaus bleiben, das bezahlt die Opferhilfe. Nachher steht sie vor der Frage: Gehe ich zum Sozialamt mit allen Konsequenzen, die das mit sich bringt, oder kehre ich zum Partner zurück? Migrantinnen sind, wenn es um das Aufenthaltsrecht geht, immer noch völlig abhängig von ihren Ehemännern.

Kazantzidou: Es hat sogar Verschärfungen gegeben. Mit der Änderung des Ausländergesetzes von 2019 können nun auch Frauen mit Niederlassungsbewilligung C ihren Aufenthalt verlieren, wenn sie Sozialhilfe beziehen.

Peter: Es gibt zwar ein Bundesgerichtsurteil, das die Ausweisung einer Frau, die häusliche Gewalt erfahren und nachher Sozialhilfe bezogen hat, aufgehoben hat. Aber die Frauen, die zu uns kommen, lassen sich nicht von einem Bundesgerichtsurteil beruhigen. Und die Vorstellung, dass gewaltbetroffene Frauen innerhalb von 35 Tagen ihr Leben neu organisieren können sollen, ist an sich schon stossend.

Was müsste sich verändern?

Leiser: Es sollte wieder viel mehr im Vordergrund stehen, dass das Persönliche eben wirklich politisch ist. Gerade auch beim Thema Femizid. Es wird so getan, als wären das Einzelfälle und als trügen die Frauen möglicherweise sogar noch eine Mitschuld. Die Gesellschaft muss sich bewusst werden, dass es sich dabei um strukturelle Gewalt handelt. Eine schweizweite Datenerhebung zu häuslicher Gewalt und Femizid wäre zum Beispiel enorm wichtig.

Peter: Es fehlt immer noch an einer gesamtschweizerischen Strategie gegen häusliche Gewalt. Heute ist es quasi «Glückssache», in welchem Kanton beziehungsweise in welcher Gemeinde eine gewaltbetroffene Frau welche fachliche gute Unterstützung bekommt. Es braucht einen politisch definierten und überprüfbaren Massnahmenplan.

Vor fast vier Jahren ist in der Schweiz die Istanbul-Konvention zu Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen in Kraft getreten, die eigentlich schon konkrete Ziele setzt.

Peter: Ja, aber dieser politische Prozess der Umsetzung in den Kantonen muss erst noch passieren. Wir müssen auf allen Ebenen der Gesellschaft ansetzen und lernen, dieses vermeintlich private Problem anzugehen. Schon im Kindergarten kommt ein Verkehrspolizist und erklärt den Kindern: «Luege, lose, laufe.» Überall stehen riesige Plakate: «Achtung, Kindergärtler!» Warum wird dieser Ansatz der Prävention nicht auch im Kontext von häuslicher Gewalt praktiziert?

Warum nicht?

Peter: Weil das Thema eben immer noch stillgeschwiegen wird und geschlechterspezifisch umstritten ist. Alle wissen, dass es Gewalt gegen Frauen und Kinder gibt, und doch ist das Thema in unserer Gesellschaft anscheinend nicht wichtig genug, um dafür zu sorgen, dass wir darüber sprechen lernen.

Kazantzidou: Die patriarchalen Strukturen in der Schweiz sind sehr versteckt. Dadurch, dass viele Frauen in den letzten dreissig Jahren ihren Platz in der Gesellschaft eingenommen haben, gehen viele davon aus, dass es diese Strukturen nicht mehr gibt. Und wenn man doch einmal von ihnen spricht, schiebt man sie in den Kontext von Migration und Islam ab.

Wie sähe denn das ideale Frauenhaus der Zukunft aus?

Leiser: Spontan würde ich sagen, dass es subventioniert sein muss. Die Frauen sollen länger bleiben können. Es sollte verschiedene Formen geben, zum Beispiel von Migrantinnen für Migrantinnen, Wohngemeinschaften und Studios, denn nicht jede Frau fühlt sich in einem Grosshaushalt wohl. Es braucht Wohnungen für die Nachbegleitung. Und natürlich braucht es auch gute Arbeitsbedingungen.

Kazantzidou: Die Gesetzgebung bezüglich Migrantinnen müsste dringend verbessert werden, sodass sie keine Angst mehr um ihren Aufenthaltsstatus haben müssen, wenn sie Schutz suchen und brauchen.

Peter: Idealerweise bräuchte es gar kein Frauenhaus mehr. Leider sind wir noch lange nicht dort.



Die Gesprächspartnerinnen

Die Sozialpädagogin Annemarie Leiser ist Mitgründerin des Frauenhauses Zürich, wo sie von der Eröffnung 1979 bis 1990 auch gearbeitet hat. Sie baute zudem die Zürcher Fachstelle zur Prävention sexueller Ausbeutung Limita mit auf und war anschliessend als Supervisorin und Organisationsentwicklerin tätig.

Anthoula Kazantzidou ist ebenfalls Sozialpädagogin und war 1984 Gründungsmitglied der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit Schweiz. Sie arbeitete von 2001 bis 2011 beim Frauenhaus Violetta, die letzten fünf Jahre als Betriebsleiterin. Bis zu ihrer Pensionierung im Mai 2021 hatte sie die Bereichsleitung Sozialarbeit in der Pfarrei Liebfrauen inne.

Die Sozialpädagogin Susan A. Peter hat 1984 als Praktikantin im Frauenhaus Zürich angefangen und ist als Mitarbeiterin bis 1992 geblieben. Anschliessend arbeitete sie im Konzeptbüro und in der Betriebsgruppe der Roten Fabrik Zürich. Seit 2004 ist sie Geschäftsführerin der Stiftung Frauenhaus Zürich und war bis letztes Jahr auch im Vorstand der Dachorganisation Frauenhäuser Schweiz.



«Wann, wenn nicht jetzt»

Das Frauenhaus als Seismograf

«Wann, wenn nicht jetzt» heisst das äusserst lesenswerte Buch über die 43-jährige Geschichte der Stiftung Frauenhaus Zürich. Geschrieben hat es die Historikerin Christina Caprez, herausgegeben hat es die Institution selber, die – ursprünglich von einer kleinen Gruppe aus der autonomen Frauenbefreiungsbewegung angestossen – durch verschiedene Finanzkrisen und Teamkonflikte navigierte und heute aus der Zürcher und Schweizer Soziallandschaft nicht mehr wegzudenken ist.

Geschickt verknüpft Caprez eher trockene Materie wie Fragen um Finanzierung und Organisationsstruktur mit einprägsamen Anekdoten und Zitaten von Zeitzeuginnen und bettet das Ganze in die grösseren gesellschaftspolitischen Veränderungen der vergangenen vierzig Jahre ein: «Das Frauenhaus wurde […] zu einem Seismografen – einem Ort, an dem virulente Zeitfragen sich besonders deutlich zeigten.»

Befürchtete man etwa 1977 im Zürcher Gemeinderat noch, dass durch die Schaffung von Unterkünften für geschlagene Frauen eine «Sogwirkung» entstehe, und machten sich die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses in den ersten Jahren strafbar, wenn sie eine Klientin zu Hause beim Kofferpacken unterstützten, gibt es heute das Opferhilfe- und das Gewaltschutzgesetz, das es unter anderem erlaubt, den Täter für eine gewisse Zeit aus der gemeinsamen Wohnung zu weisen. Caprez schlägt den Bogen bis in die Gegenwart der Coronapandemie und zeigt auch auf, dass auf gesellschaftlicher und gesetzlicher Ebene weiterhin viel getan werden muss, gerade was den Schutz und die Rechte von Migrantinnen und Kindern angeht oder auch in Bezug auf die Revision des Sexualstrafrechts.

Dem historischen Teil sind eindrückliche Testimonials von ehemaligen Klientinnen angehängt, von einer Frau, die als Kind mit ihrer Mutter im Frauenhaus lebte und heute dort Bewegungskurse anbietet, von einem Polizisten, einer Staatsanwältin oder einem Sozialarbeiter, der ein Lernprogramm für Täter führt. Sie erweitern den Blick auf das komplexe und vielschichtige Thema der Gewalt an Frauen und Kindern nochmals.

Noëmi Landolt

Christina Caprez: «Wann, wenn nicht jetzt. Das Frauenhaus in Zürich». Herausgegeben von der Stiftung Frauenhaus Zürich. Limmat Verlag. Zürich 2022. 304 Seiten. 36 Franken.
(https://www.woz.ch/2209/haeusliche-gewalt/das-persoenliche-ist-eben-wirklich-politisch)