Medienspiegel 10. Dezember 2021

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++ZÜRICH
tagesanzeiger.ch 10.12.2021

Bezirksrat hat entschieden: Zürcher Basishilfe für Sans-Papiers per sofort gestoppt

Die Stadt Zürich darf bedürftigen Ausländern keine Hilfsgelder mehr auszahlen. Das verstosse gegen übergeordnetes Recht, so der Bezirksrat.

Liliane Minor

Unerfreuliches Weihnachtsgeschenk für die Sans-Papiers, die kein Anrecht auf Sozialhilfe haben, und für bedürftige Ausländer, die sich nicht trauen, Sozialhilfe zu beantragen: Der Bezirksrat, der unter anderem die Tätigkeit von Behörden und Verwaltung beaufsichtigt, hat die Basishilfe für diese Menschen per sofort gestoppt.

Die Basishilfe ist ein Herzensprojekt von Sozialvorsteher Raphael Golta (SP). Ziel ist es, die Betroffenen unkompliziert zu unterstützen, ohne dass sie eine Wegweisung fürchten müssen. Ausbezahlt wurden die Gelder von Hilfsorganisationen.

Doch das ist nach Ansicht des Bezirksrats nicht mit übergeordnetem Recht vereinbar. Insbesondere verletze der Stadtrat mit dem Projekt gesetzlich vorgeschriebene Meldepflichten. Denn die Sozialbehörden müssen die Migrationsämter informieren, wenn Ausländerinnen und Ausländer über längere Zeit Sozialhilfe beziehen. Und die Behörden sind ebenso meldepflichtig, wenn sie erfahren, dass sich jemand als Sans-Papier, also ohne Bewilligung, in der Schweiz aufhält.

Ausserdem könne der Stadtrat keine Beiträge auszahlen, für die keine gesetzliche Grundlage bestehe, erklärt der Bezirksrat. Sans-Papiers hätten lediglich Anrecht auf Nothilfe (wobei ihnen die Ausweisung droht, wenn sie diese beantragen). Nach Ansicht des Bezirksrats übersteigt die Basishilfe die gesetzlich festgelegte Nothilfe, weshalb sie unzulässig ist.

Heikles Timing

Der Entscheid kommt nicht nur zu einem unerfreulichen Zeitpunkt für die Betroffenen, das Timing ist auch in anderer Hinsicht heikel. Zum einen hat der Bezirksrat diesen nur ein paar Stunden vor der anstehenden Gemeinderatsdebatte über die Basishilfe veröffentlicht.

Zum anderen hat der Bezirksrat vor gerade mal drei Wochen, am 17. November, einen Zwischenentscheid gefällt, in dem er die Basishilfe untersagt, bis ein Entscheid in der Sache vorliegt. Dass dieser definitive Entscheid nun so rasch kommt, noch während die Rekursfrist für den Zwischenentscheid läuft, ist eher überraschend.

Offenbar hatten die Beschwerdeführer, die drei FDP-Gemeinderäte Alexander Brunner, Mélissa Dufournet und Patrick Brunner, Druck gemacht. Dem Urteil ist zu entnehmen, dass sie am 9. November «um beförderliche Behandlung der Beschwerde ersuchten».

Statthalter und Bezirksratspräsident Mathis Kläntschi (Grüne) sieht im zeitlichen Ablauf freilich nichts Aussergewöhnliches, wie er auf Anfrage sagt. Der Zwischenentscheid sei nach Abschluss der vorgeschriebenen Vernehmlassung gefallen, «weil wir die Zahlungen möglichst rasch stoppen wollten». Dass der Entscheid kurz vor der Gemeinderatsdebatte gefallen sei, sei Zufall.

Stadt prüft Weiterzug

Wie es mit der Basishilfe nun weitergeht, ist noch offen. Die Stadt hat die Zahlungen per sofort gestoppt, wie die Sprecherin des Sozialdepartements, Heike Isselhorst, sagte. Man werde die Lage nun analysieren und dann über einen allfälligen Weiterzug an den Regierungsrat entscheiden.
(https://www.tagesanzeiger.ch/zuercher-basishilfe-fuer-sans-papiers-per-sofort-gestoppt-337959561974)



nzz.ch 10.12.2021

Bargeld für Sans-Papiers: Der Stadtzürcher Sozialvorsteher Raphael Golta kassiert vor Gericht eine Abfuhr

Die sogenannte Basishilfe in der Stadt Zürich ist ungesetzlich. Dies hat der Bezirksrat entschieden.

Michael von Ledebur / Daniel Fritzsche

Der Zürcher Sozialvorsteher Raphael Golta (sp.) hat eine Art parallele Sozialhilfe für Sans-Papiers aufgezogen, die aus Sicht der Bürgerlichen gegen das Ausländerrecht verstösst. Um die Sachlage zu klären, hat die FDP der Stadt Zürich Mitte Juli eine aufsichtsrechtliche Beschwerde beim Bezirksrat eingereicht. Damit hat sie nun Erfolg gehabt, wie am Freitag bekanntwurde. Das Vorgehen des Stadtrats ist gesetzeswidrig.

Der Bezirksratsentscheid liegt der NZZ vor. Der Bezirksrat kommt zu dem Schluss, dass der Stadtrat mit seinem Vorgehen gleich gegen eine Vielzahl von Gesetzesartikeln verstösst. Es geht unter anderem um die Vereitelung der Meldepflicht. So sei es zwar in Ausnahmefällen möglich, Nothilfe an Leute ohne gültigen Aufenthaltsstatus abzugeben, aber dies sei stets mit einer Meldepflicht gegenüber der Ausländerbehörde verbunden. Sozialbehörden müssen die Migrationsämter auch informieren, wenn Ausländerinnen und Ausländer über längere Zeit Sozialhilfe beziehen.

«Unzulässige Rechtsumgehung»

Die Stadt Zürich habe die Meldepflicht zu umgehen versucht, indem sie die Hilfe durch zivilgesellschaftliche Organisationen habe ausrichten lassen. Dies sei eine Umgehung des kantonalen Rechts, so der Bezirksrat. Nach Ansicht des Bezirksrats übersteigt die Basishilfe zudem die Nothilfe: Indem sie sich an den Ansätzen der Asylfürsorge orientiere, gehe sie über die Nothilfe hinaus und sei eine wirtschaftliche Hilfe. Das sei unzulässig nach kantonalem Recht. Die Stadt handle somit ohne gesetzliche Grundlage.

Der FDP-Gemeinderat Alexander Brunner sagt, der Bezirksrat habe es in seinem Urteil gut formuliert: «Er spricht von unzulässiger Rechtsumgehung. Das ist ein sehr schöner Begriff für Gesetzesbruch.» Es sei doch ein wenig feige, dass die Stadt das Geld nicht selbst verteilt, sondern dies den Hilfswerken überlassen habe. Der Bezirksrat habe diesen Trick durchschaut.

Golta hatte Anfang Mai das Pilotprojekt Basishilfe vorgestellt und damit eine politische Kontroverse ausgelöst. Die Stadt reagiert mit dem Versuch auf in der Pandemie sichtbar gewordene Armut. Eine qualitative Befragung der Zürcher Fachhochschule im Auftrag der Stadt hat gezeigt, dass viele der Betroffenen einen Migrationshintergrund haben und darauf verzichten, ihren Anspruch auf Sozialhilfe geltend zu machen, aus Angst, aus dem Land ausgewiesen zu werden.

Der Stadtrat hatte im Juni 2 Millionen Franken für ein 18-monatiges Pilotprojekt bewilligt. Das Sozialdepartement hat kürzlich mitgeteilt, dass der Versuch mit der wirtschaftlichen Basishilfe «gut angelaufen» sei. Bis Ende Oktober seien 88 Gesuche eingereicht worden, 45 davon habe man bewilligt, 24 seien noch hängig. Gesamthaft seien bisher 49 Erwachsene und 24 Kinder unterstützt worden. Davon habe rund die Hälfte eine gültige Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung, die anderen seien Sans-Papiers.

Es sind schon 88 776 Franken verteilt worden. Die Auszahlung erfolgt über die vier Hilfswerke Caritas, Schweizerisches Rotes Kreuz, Sans-Papiers-Anlaufstelle Zürich und Solidara Zürich (vormals Stadtmission). Die Geldverteilung ist allerdings nach einem Zwischenentscheid des Bezirksrats Mitte November gestoppt worden.

Speziell ist der Zeitpunkt des jetzigen Entscheides, weil die Basishilfe auch Teil der Budgetdebatte diese Woche im Stadtparlament ist. Die Ausgaben für die Basishilfe dürften dennoch ins Budget aufgenommen werden. Die SP schreibt, es stehe ausser Frage, die Mittel für die Basishilfe zu streichen, wie dies von FDP und SVP verlangt werde. Der Entscheid sei noch nicht rechtskräftig und das letzte juristische Wort noch nicht gesprochen.

«Kaltschnäuzig», sagen die Grünen

Die Grünen kritisieren den Bezirksratsentscheid scharf: Dieser sei «so nicht haltbar». «Mit dem Entzug der aufschiebenden Wirkung zeigt sich der Bezirksrat mitten im Winter und auf dem Höhepunkt der fünften Corona-Welle besonders kaltschnäuzig.» Sie fordern den Stadtrat zum Rekurs auf und halten am Budgetvorschlag fest. «Wir wollen bereit sein, wenn die Stadt Zürich diesen Rechtsstreit gewinnt.» Ob die Stadt das Urteil weiterzieht, ist offen. Heike Isselhorst, Sprecherin des Sozialdepartements, sagt, man werde die Lage analysieren und dann über einen allfälligen Weiterzug an den Regierungsrat entscheiden.

FDP-Gemeinderat Brunner hat Mühe mit dieser Haltung der rot-grünen Parteien. Wenn kommunale Parlamentarier sich um das nationale Recht foutierten, sei er «am Ende seines Lateins». Den Vorwurf, die Bürgerlichen seien herzlos, weist Brunner zurück. Zahlreiche Hilfswerke gäben Essen ab. Wäre es anders und wäre eine Nothilfe durch die Stadt nötig, hätte die FDP nichts dagegen. «Wir wollen nicht, dass jemand in Zürich hungert, und dies ist auch nicht der Fall. Aber man kann kein neues Sozialhilfesystem aufbauen.»

Ein solches Parallelsystem sei ungerecht, weil im ordentlichen Sozialhilfesystem genau geprüft werde, ob jemand anspruchsberechtigt sei oder nicht – genau dafür sei das Sozialdepartement da. Bei der Basishilfe hingegen gebe es naturgemäss keinerlei Prüfung. Die regulären Sozialhilfebezüger wären somit schlechtergestellt. Dieser unhaltbare Zustand habe der Bezirksrat nun glücklicherweise korrigiert.

Nicht zum ersten Mal korrigiert

Es ist nicht das erste Mal, dass Entscheide des rot-grünen Stadtrats auf dem juristischen Weg korrigiert wurden. Im April verweigerte der Regierungsrat der städtischen Rechnung die Genehmigung. Der Stadtrat wollte eine Fehlinvestition beim Triemli-Spital mit einem Finanzkniff korrigieren. Doch es fehlte die gesetzliche Grundlage dafür.

Auch beim Kauf der sogenannten Gammelhäuser handelte der Stadtrat laut Verwaltungsgericht nicht gesetzmässig. Er kaufte die drei heruntergekommenen Liegenschaften im Langstrassenquartier für rund 32 Millionen Franken – ohne vorher das Parlament zu konsultieren.
(https://www.nzz.ch/zuerich/geld-fuer-sans-papiers-die-stadt-zuerich-kassiert-vor-gericht-eine-abfuhr-ld.1659631)



Bezirksrat entscheidet gegen «Basishilfe»-Projekt der Stadt Zürich
Der Stadtratsbeschluss zur Lancierung des Projektes wirtschaftliche Basishilfe wurde nun vom Bezirksrat aufgehoben. Mitglieder der FDP reichten zuvor Beschwerde ein. Laut Bezirksrat würden Meldepflichten und ausländerrechtliche Bestimmungen des Bundes vereitelt.
https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/sozialhilfe-bezirksrat-entscheidet-gegen-basishilfe-projekt-der-stadt-zuerich-ld.2226497
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/wirtschaftliche-basishilfe-bezirksrat-pfeift-zuercher-stadtrat-zurueck-00170512/
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/bezirksrat-stoppt-hilfsgelder-fuer-sans-papiers-in-zuerich?id=12105455
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/intelligente-lichtsignale-sollen-den-verkehrsfluss-verbessern?id=12105590
-> https://www.telezueri.ch/zuerinews/gemeinderat-diskutiert-ueber-umstrittene-hilfsgelder-144663778
-> Schweiz aktuell: https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/zuerich-muss-finanzielle-hilfen-fuer-sans-papiers-einstellen?urn=urn:srf:video:54a32e42-4ba4-4f50-a33a-3d75340284af
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/bezirksrat-stoppt-basishilfe-zuerich-muss-finanzielle-hilfen-fuer-sans-papiers-einstellen


+++GASSE
Genf verbietet Betteln an stark frequentierten Orten
Der Kanton Genf kann das Betteln nicht verbieten, aber schränkt es stark ein. An stark frequentierten Orten, wie bei Bahnhöfen, soll Betteln untersagt werden.
https://www.nau.ch/news/schweiz/genf-verbietet-betteln-an-stark-frequentierten-orten-66064650


Interpellation (SVP): Neuregelung bei Drogenabgaben
https://www.gr.be.ch/gr/de/index/geschaefte/geschaefte/suche/geschaeft.gid-95cd488f74a848fd8b72cbe420f08616.html


+++SEXWORK
«Aliena»-Gründerin Viky Eberhard freut sich auf Langeweile
Vor 20 Jahren baute Viky Eberhard die Beratungsstelle «Aliena» für Frauen im Sexgewerbe auf. Jetzt setzt sie sich zur Ruhe, hofft auf Langeweile im Privatleben und dass sich Prostituierte weiterhin wohlfühlen bei «Aliena».
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/aliena-gruenderin-viky-eberhard-freut-sich-auf-langeweile?partId=12105659


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Interfraktionelle Kleine Anfrage SP/JUSO, GB/JA! (Bernadette Häfliger SP/Lea Bill, GB): Überwälzung der Demokosten: Sind dem Gemeinderat die Beschlüsse des Stadtrates egal?
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=84b86983c9e9410e9a3f88752a66f134


+++SPORTREPRESSION
Einführung von personalisierte Tickets für die Klubs der Super League wird vertieft geprüft
Die Sicherheitsdirektorinnen und -direktoren der Kantone und Städte haben heute die Zielsetzung formuliert, für den Zutritt zu Fussballspielen der obersten Liga personalisierte Tickets und einen Abgleich zwischen den Identitätsausweisen und der HOOGAN-Datenbank einzuführen. Damit sollen Personen mit Stadion- und Rayonverboten von Spielbesuchen abgehalten und die Strafverfolgung bei gewalttätigen Vorfällen in den Stadien erleichtert werden. Die Details sollen zusammen mit den involvierten Partnern in einem Umsetzungskonzept festgelegt werden. Der definitive Entscheid wird erst gefällt, wenn dieses vorliegt. Dies dürfte eher länger als ein halbes Jahr in Anspruch nehmen.
https://www.kkjpd.ch/newsreader/einf%C3%BChrung-von-personalisierte-tickets-f%C3%BCr-die-klubs-der-super-league-wird-vertieft-gepr%C3%BCft.html
-> https://www.tele1.ch/nachrichten/entscheid-personalisierte-tickets-in-stadien-144663541
-> https://www.telezueri.ch/zuerinews/kurznews-144663752
-> https://bajour.ch/a/WMajKS7S1El2knU2/id-pflicht-fcb-fans



nzz.ch 10.12.2021

Personalisierte Tickets in den Fussballstadien: die KKJPD hat die Pläne aufgeschoben, aber nicht aufgehoben

Die Politik hält am Ziel fest, dass Matchbesucher ihre Identität angeben. Die Fankurven sind dagegen und zeigen auf ihre Art Widerstand.

Stephan Ramming Aktualisiert

Hat der Berg eine Maus geboren? Auf den ersten Blick scheint es so. Eigentlich war es das Ziel der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizei-Direktoren und -Direktorinnen (KKJPD), am Freitag die Einführung von personalisierten Eintrittskarten zu beschliessen. Herausgekommen ist eine «vertiefte Prüfung», wie es in der Mitteilung der KKJPD heisst. Und diese Prüfung werde eine Zeit von «kaum unter sechs Monaten beanspruchen». Am Freitag waren erstmals auch die Vertreter der städtischen und kantonalen Bewilligungsbehörden beteiligt. Deren Fragen zur Umsetzung haben nun das Tempo aus der Diskussion genommen.

Ein Mittel für Strafverfolgung?

Die Swiss Football League (SFL) begrüsst das Vorgehen. Die Liga hatte befürchtet, dass der Entscheid übereilt gefällt werde und offenlasse, was er für die Klubs bedeutet. Nun gehe es darum, «mit allen involvierten Partnern ein detailliertes Umsetzungskonzept zu erarbeiten», verlautet von der SFL.

«Wir haben festgestellt, dass die rechtlichen und operativen Grundlagen zuerst in den Details geklärt werden müssen», sagt Paul Winiker, der Präsident der Bewilligungsbehörden. Der Sicherheitsdirektor des Kantons Luzern spricht von «Fragen der Umsetzung», die nun beantwortet werden müssten. «Die Bewilligungsbehörden wollen genau wissen, auf welchen konkreten Vorgaben sie künftig arbeiten und was sie den Vereinen auferlegen», sagt Winiker. Das Ziel bleibe bestehen: «Wir wollen wissen, wer sich im Stadion befindet.»

Das kann nur mit personalisierten Tickets funktionieren: Es soll «die Strafverfolgung bei gewalttätigen Vorfällen in den Stadien erleichtert werden», wie es in der Mitteilung der KKJPD heisst. Ob dieses Ziel erreicht werden kann, hängt davon ab, was es in der Praxis bedeutet, wenn die Personendaten der Stadionbesucher erhoben werden.

Zunächst stellt sich die Frage, was «Personendaten» überhaupt bedeutet. Gehören der Name und die Adresse dazu, oder bedeutet dies auch biometrische Daten wie eine Porträtfotografie, die identisch sein müsste mit dem Bild auf der Identitätskarte? Das wäre sinnvoll, nimmt man das Ziel zum Massstab, «Strafverfolgung bei gewalttätigen Vorfällen» zu erleichtern. Das ist ein erstes Beispiel für eine der offenen Fragen bei der Umsetzung.

Ein weiteres Beispiel: Wenn bei der Eingangskontrolle die Identitätskarte mit dem Ticket abgeglichen wird, müsste gewährleistet sein, dass sich der Besucher während des ganzen Spiels beim zugewiesenen Sitzplatz befindet, will die Polizei gegebenenfalls Ermittlungen anstellen. Ob sich die Person X auf dem Platz Y befindet, kann nur mit einem grossen Kontrollaufwand durch Stewards und Sicherheitsleute gewährleistet werden. In Stadionsektoren ohne Sitzplätze ist dies fast unmöglich. Die Fankurven haben keine Sitzplätze, die Identifizierung von Einzelpersonen und der Abgleich mit erhobenen Personendaten sind deshalb schwierig. Ein Weg zur Lösung des Problems wären Sitzplätze in den Fansektoren. Dies schliesst die KKJPD nun aber aus. Sie schreibt: «Die Aufhebung der Stehplatzsektoren steht derzeit nicht zur Diskussion.»

Seit die KKJPD am 19. November die Einführung von personalisierten Tickets angekündigt hat, erklingt aus allen Fankurven grosser Unmut. Hintergrund für die Ankündigung waren die Ausschreitungen am Zürcher Derby, als FCZ-Fans Petarden in den GC-Sektor schossen. Polizeikreise nahmen dies zum Anlass, politisch ein Zeichen zu setzen, und empfahlen den Bewilligungsbehörden dringend die Einführung der personalisierten Tickets.

Seither stellen sich die Fankurven sämtlicher Klubs gegen die Empfehlung. Mit Transparenten wird Widerstand gegen die Massnahme geäussert und dieser unterstrichen mit Aktionen wie zeitweiligem Verlassen der Kurve während der Spiele. Die Meinungen in den Fankurven sind gemacht.

Die Gründe für den Widerstand sind diffus. Sie reichen von der Angst vor dem Überwachungsstaat zur Verkomplizierung der Eingangskontrollen, von einer Erschwernis des Zugangs zum Volksvergnügen Fussball über die Einschränkung von spontanen Weitergaben der Eintrittskarten bis zum Gefühl, als Fan unter den Generalverdacht d er Gewalttätigkeit gestellt zu werden. Der Unmut über die Ticket-Pläne äusserte sich in den vergangenen Wochen wiederholt in Ausschreitungen von Gästefans vor und nach Spielen, etwa in Luzern oder in St. Gallen.

Trotz geschlossenen Sektoren

In den kommenden Tagen dürfte die Fan- und Gewaltthematik im Fokus der Aufmerksamkeit bleiben. Anfang Woche beschloss die Liga, dass die Sektoren der Gästefans geschlossen bleiben. Als Grund gab man die verschärfte Lage der Corona-Pandemie an. Ein anderer Grund war, dass die Berner Behörden einen Marsch der FCB-Fans nicht akzeptieren und den Young Boys die Bewilligung für das Spiel am Mittwoch nicht erteilen wollten. YB stellte nach dem Entscheid umgehend den Ticketverkauf ein. Offen ist, was die FCB-Fans für den Mittwoch planen.

Anders die Zürcher Südkurve. Über 1000 Fans sollen sich für die Zugreise nach Lausanne angemeldet haben. Sie ist nun abgesagt, gereist werden soll trotzdem. Die Südkurve rief am Freitag auf ihrer Homepage dazu auf, «am Samstag individuell und neutral gekleidet nach Lausanne zu reisen, mit dem Auto, Zug oder wie auch immer». Eine Stunde vor Spielbeginn soll der Treffpunkt bekanntgegeben werden. Von dort werden sich also die FCZ-Fans zum Stadion begeben und im günstigen Fall vor den geschlossenen Toren das Team anfeuern; im schlechten Fall werden sie versuchen, sich Zutritt in den Gästesektor zu verschaffen. Der Polizei in Lausanne dürfte am Samstag also einiges an Arbeit bevorstehen, die den Normalbetrieb mit Gästefans im Stadion übertreffen könnte.
(https://www.nzz.ch/sport/schweizer-fussball-kkjpd-beschliesst-noch-keine-ausweispflicht-ld.1659652)


+++KNAST
“Brian” und der Strafvollzug
Dass im Strafvollzug Straftaten begangen werden, dürfte nicht überraschen. Dass man für solche Straftaten aber zu einer Freiheitsstrafe von über sechs Jahren verurteilt wird, ist schon sehr bemerkenswert. Das entsprechende Urteil des Obergerichts ZH erwies sich nun aber als falsch. Das Bundesgericht wirft der Vorinstanz vor, den Sachverhalt in Bezug auf den geltend gemachten Notstand nur unvollständig abgeklärt zu haben (BGer 6B_882/20210 vom 12.11.2021, Fünferbesetzung). “Brian” machte u.a. geltend, er sei vom Staat seit seinem 10. Lebensjahr wiederholt unmenschlich und erniedrigend behandelt worden (vgl. auch die Medienmitteilung des Bundesgerichts).
https://www.strafprozess.ch/brian-und-der-strafvollzug/


+++POLICE BE
Kanton Bern: Pilotversuch zur automatisierten Fahrzeugfahndung startet
Ab Freitag setzt die Kantonspolizei Bern im Rahmen eines Pilotversuchs drei stationäre Anlagen für automatisierte Fahrzeugfahndungen bei konkreten Fahndungsaufträgen ein. Über die Beschaffung weiterer stationärer Anlagen wird gestützt auf die gewonnenen Erkenntnisse zu einem späteren Zeitpunkt entschieden. Geschwindigkeitskontrollen oder Videoüberwachungen werden mit diesen Systemen nicht durchgeführt.
https://www.police.be.ch/de/start/themen/news/medienmitteilungen.html?newsID=b57bccd2-2f92-4157-a72b-cee10fddcbf4
-> https://www.derbund.ch/jetzt-kann-die-kantonspolizei-automatisiert-nach-autos-fahnden-677272058416


Motion (GLP): Eine Polizei für alle Berner und Bernerinnen – Anpassung der Anstellungsvoraussetzungen
https://www.gr.be.ch/gr/de/index/geschaefte/geschaefte/suche/geschaeft.gid-b40e8bc9e6a34d8c9dbd4da1af4bd864.html


+++RECHTSPOPULISMUS
derbund.ch 10.12.2021

SVP-Stadtrat in Argumentationsnot: Erich Hess – der renitente Maskenverweigerer

Seit Montag gilt in der Schweiz eine verschärfte Maskenpflicht. Doch SVP-Politiker Erich Hess weigert sich, diese «komische» Regel im Berner Stadtrat zu beachten.

Stefan Schnyder

Die Verordnung des Kantons Bern ist klar: Seit dem 29. November gilt «in allen öffentlich zugänglich Innenräumen» eine Maskenpflicht. Und am vergangenen Freitag doppelte der Bundesrat nach und erliess ebenfalls eine Maskenpflicht in Innenräumen. Die selbst dann, wenn der Zutritt nur mit Zertifikat erlaubt ist. «In öffentlich zugänglichen Innenräumen gilt Maskenpflicht», steht nun auf der Internetseite des Bundesamts für Gesundheit (BAG).

Doch die verschärfte Rechtslage ist für den notorischen Maskenverweigerer und Stadtrat Erich Hess kein Grund, eine Maske zu tragen. So auch am Donnerstagabend im Berner Stadtrat. Der SVP-Politiker hatte im Rathaus zwar eine Maske dabei. Manchmal hing sie unter dem Mund, manchmal am Ohr. Aber er hat sie während der ersten Sitzung, die von 17 bis 19 Uhr dauerte, nie korrekt über Mund und Nase getragen.

«Ich habe regelmässig getrunken», begründet Hess seinen speziellen Umgang mit der Maske. Zudem glaube er nicht an den Nutzen der Maskenpflicht. «Die Mitglieder des Stadtrats gehen in der Sitzungspause mit ihrer Fraktion essen. Dabei sitzen sie ohne Maske am Tisch», betont er. Deshalb sei die Maskenpflicht am Sitzplatz eine «komische» Regel. Er ist indes das einzige Mitglied der SVP-Fraktion, das sich nicht an diese halten mag.

Hess legt zudem Wert auf die Feststellung, dass er sich im Alltag an die Maskenpflicht halte: «In einem Laden oder wenn ich ein Restaurant betrete, ziehe ich die Maske jeweils korrekt an.» Er wolle nicht, dass die Betreiber seinetwegen Probleme kriegen.

Tribüne ist öffentlich zugänglich

Diese Zeitung hatte Hess bereits vor einer Woche darauf angesprochen, dass er keine Maske trage. «Für mich ist das Gesetz massgebend», antwortete er. Wenn der Bundesrat eine «generelle Maskenpflicht in Innenräumen» beschliesse, werde er sich wohl daran halten, fügte er an.

Die Argumentation von Hess basiert auf der Spitzfindigkeit, dass der Regierungsrat und der Bundesrat eine Maskentragpflicht nicht für alle Innenräume, sondern nur für öffentlich zugängliche erlassen haben. Doch diese Argumentation zielt ins Leere: «Die Sitzungen des Stadtrats sind öffentlich», heisst es auf der Internetseite der Stadt Bern. Interessierte Bürgerinnen und Bürger können ohne Voranmeldung die Verhandlungen im Stadtrat jederzeit auf der Zuschauertribüne verfolgen.

Die möglichen Konsequenzen

Bei Stadtratspräsident Kurt Rüegsegger (SVP) ist in der Causa Hess eine gewisse Resignation festzustellen: «Ich habe Erich Hess an der letzten Sitzung des Stadtrats zweimal zu mir gerufen und ihn ermahnt. Doch es nützt alles nichts», sagt er. Es sei zu bedauern, dass sich Hess als Parlamentarier nicht an die Regeln halte, die für alle gälten. «Leider hat er nicht begriffen, dass sich die Situation nochmals verschärft hat», fügt er an.

Ein Verstoss gegen die Maskenpflicht stellt einen Straftatbestand dar und kann mit einer Ordnungsbusse von 50 bis 200 Franken bestraft werden. Dem Ratspräsidium dagegen stehen kaum Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung. Als gewähltes Parlamentsmitglied hat Erich Hess das demokratiepolitisch legitimierte Recht, im Saal zu sitzen und abzustimmen. «Ich habe keine Handhabe, ihn aus dem Saal zu verweisen», sagt Ratspräsident Rüegsegger.

Hess will auch nicht versprechen, dass er der Stadtratssitzung vom nächsten Donnerstag eine Maske tragen wird. «Es wird davon abhängen, wie viel Durst ich habe», sagt er spitzbübisch.
(https://www.derbund.ch/erich-hess-der-renitente-maskenverweigerer-849139023169)


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
tagesanzeiger.ch 10.12.2021

Corona-Fälle an der Uni: Direktor des Zürcher Zentrums für Zahnmedizin ist Corona-Skeptiker

Der Bundesrat lügt? Der Umgang mit «kritischen Denkern» erinnert an die Hexenverfolgung? Mitarbeitende an der Uni-Zahnklinik sind entsetzt über die Äusserungen eines Direktors.

Corsin Zander

Mehrere Angestellte einer Abteilung des Zentrums für Zahnmedizin sind kürzlich an Corona erkrankt. Dies hat das Onlineportal «Inside Paradeplatz» am Montag berichtet. Angesichts der stark steigenden Fallzahlen wäre das kaum eine Meldung wert.
-> https://insideparadeplatz.ch/2021/12/06/covid-ausbruch-in-uni-zahnklinik-null-vorsicht/

Doch wer sich an der Zahnklinik der Universität Zürich umhört, stösst auf Erstaunliches. Hier ärgert man sich einerseits darüber, dass intern ungenügend über die Ansteckungen informiert worden ist. Andererseits fällt immer wieder der Name Kai von Massenbach. Am Zentrum für Zahnmedizin mit seinen 400 Mitarbeitenden und 150 Studierenden wäre er als Direktor der Verwaltung zuständig für die Corona-Schutzkonzepte.

Über die Landesgrenzen bekannt

In den sozialen Medien hat sich von Massenbach vor allem damit einen Namen gemacht, dass er die Schutzmassnahmen des Bundesrats kritisiert. Er beschrieb sich in einem Video auf Youtube selbst als Betriebswirtschafter und Psychologe, der mehrere Jahre in der Forschung gearbeitet und dabei Daten aufgearbeitet habe. Medien und Behörden würden in der aktuellen Pandemie Angst verbreiten, ohne dies mit Daten zu begründen.

In einem anderen Video bezeichnet er verschiedene Bundesräte als Lügner. Die Videos wurden so rege auch in Deutschland und Österreich geteilt, dass sich von Massenbach entschied, Hochdeutsch statt Mundart zu sprechen, damit ihn alle «Freunde» verstehen könnten. In der Zwischenzeit hat er die Videos bei Youtube gelöscht, sie liegen dieser Zeitung aber vor.

Noch immer aufgeschaltet ist von Massenbachs persönliche Website. Darauf vergleicht er in einem Beitrag den Umgang mit «kritisch Denkenden» mit der Hexenverfolgung im Mittelalter. Aktiv ist von Massenbach in verschiedenen sozialen Medien und in Kommentarspalten von Onlinezeitungen. Doch auch in der realen Welt lebt er seinen Aktivismus.

Der Verein Widerstand 2020 (WIR2020) lief unter seinem Namen, er vertritt den Verein Corona-Reset und führt «Corona-Dialoge» durch. Dabei handelt es sich um Kommunikationskurse für 150 Franken mit dem Ziel: «Die Mauer von Schweigen, Ablehnung und Selbstzensur überwinden.»

Und zugleich war Kai von Massenbach seit Beginn der Pandemie am Zentrum für Zahnmedizin zusammen mit anderen zuständig für die Schutzkonzepte. Er hat sie nicht nur mitverfasst, sondern auch allen Angestellten verschickt. In E-Mails, die dieser Zeitung vorliegen, betont er im ersten Satz, die meisten Corona-Erkrankungen würden milde verlaufen.

Die Schutzkonzepte als solche entsprechen den behördlichen Vorgaben. Dies betont auch eine Sprecherin der Universität Zürich. Nach der Doppelrolle des Direktors gefragt, antwortet sie: «Die Schutzkonzepte waren am ZZM zum Teil sogar strenger als die Vorgaben von Bund und Kantonen und wurden von Kai von Massenbach zu jedem Zeitpunkt mitorganisiert und vollumfänglich mitgetragen.» Von Massenbach verfolge und verantworte seine Engagements als Privatperson. Entscheidend sei, dass er sich beruflich an die Schutzmassnahmen halte und diese unterstütze, betont die Sprecherin.

Schutzmassnahmen nicht konsequent durchgesetzt

Mehrere ZZM-Mitarbeitende zeichnen im Gespräch mit dieser Zeitung allerdings ein anderes Bild. Zwar würden die Schutzmassnahmen im Bereich der Kliniken streng eingehalten, sodass keine Patientinnen und Patienten gefährdet seien; an der Uni-Zahnklinik finden pro Jahr über 23’000 Behandlungen und gegen 70’000 Konsultationen statt. Doch in den öffentlichen Bereichen würden die Massnahmen nur ungenügend eingehalten. Masken würden nicht korrekt getragen, die maximale Belegung der Lifte nicht eingehalten.

Deshalb ist auch niemand über die neuerlichen Ansteckungen von Mitarbeitenden erstaunt. Aus Angst vor Konsequenzen möchte niemand mit dem Namen hinstehen. Eine Mitarbeiterin spricht von einer «Angstkultur», die am ZZM herrsche.

Austritt aus der Corona-Taskforce

In der Zwischenzeit ist Kai von Massenbach nicht mehr Teil der internen Taskforce des ZZM. Laut mehreren Mitarbeitenden führte eine Strafanzeige, die von Massenbach im April 2021 verfasst hat, zu dessen Austritt. Er zeigte die SRF-Redaktion der Sendung «Puls» an, nachdem diese einen Beitrag über Long Covid und die Folgen für Jugendliche gesendet hatte.

Von Massenbach betont in der Anzeige, er sei selbst im Gesundheitswesen tätig. Seiner Ansicht nach würden in der Sendung getätigte Aussagen den Straftatbestand der Schreckung der Bevölkerung erfüllen. Die Staatsanwaltschaft sah das indes anders, sie sah keinen Grund, ein Strafverfahren zu eröffnen. Die sogenannte Nichtanhandnahmeverfügung ist inzwischen rechtskräftig.

Mit Ausnahme seines Austritts aus der Taskforce hatte sein Engagement für von Massenbach am ZZM bisher keine Folgen. «Den Mitarbeitenden der Universität Zürich steht es frei, sich an der Meinungsbildung zu beteiligen», schreibt die Medienstelle. Von Massenbach verfolge und verantworte seine Engagements als Privatperson.

So beflissen wie sich Kai von Massenbach in sozialen Medien zur Corona-Pandemie äussert, so verschlossen zeigt er sich gegenüber dieser Zeitung. Das Antworten überlässt er der Medienstelle der Uni Zürich.
(https://www.tagesanzeiger.ch/direktor-des-zuercher-zentrums-fuer-zahnmedizin-ist-corona-skeptiker-177089616649)



Corona-Leugnerin: Impfung als Rassenfrage
Einer der rührigsten Trommlerinnen gegen die Corona-Maßnahmen ist Jennifer Klauninger. Die Unbekümmertheit, mit der sie rassistischen Unsinn absondert, ist beeindruckend
https://www.derstandard.de/story/2000122378389/corona-demos-impfung-als-rassenfrage


«Sie erzählen von A bis Z nur Stuss!» – Bündner Politikerin kassiert Anpfiff für Impf-Fake-News
Der Bündner Grosse Rat hat in seiner Sitzung über die Corona-Lage diskutiert. Dabei fiel die Politikerin Myriam Fasani-Horath mit kruden Falschtheorien zur Impfung auf. Ihr Kollege Conradin Caviezel hat sie dafür scharf kritisiert.
https://www.blick.ch/schweiz/graubuenden/sie-erzaehlen-von-a-bis-z-nur-stuss-buendner-politikerin-kassiert-anpfiff-fuer-impf-fake-news-id17056864.html


+++HISTORY
Als in Zürich noch von der Revolution geträumt wurde
Eine Ausstellung in der Universitätsbibliothek Basel erzählt die Vater-Sohn-Beziehung zwischen Fritz Platten und Fritz N. Platten, in der viel Weltgeschichte steckt.
https://www.pszeitung.ch/als-in-zuerich-noch-von-der-revolution-getraeumt-wurde/#top


Hitler und wir
Der Schweizer Historiker Alexis Schwarzenbach stammt aus der Zürcher Industriellenfamilie Schwarzenbach, kontinuierlich arbeitet er die Familiengeschichte auf, entdeckt Antifaschisten, Rassismus und Unterstützer des Nationalsozialismus – und neue Dokumente über Hitlers Zürich-Reise 1923.
https://www.tachles.ch/artikel/schweiz/hitler-und-wir


Kunstmuseum Bern gibt Werke aus der Gurlitt-Sammlung zurück – Tagesschau
Nach jahrelanger Provenienzforschung hat das Kunstmuseum Bern entschieden, zwei Kunstwerke aus der umstrittenen Sammlung Gurlitt zurückzugeben. Dies, obwohl kein lückenloser Beweis für Raubkunst vorliegt.
https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/kunstmuseum-bern-gibt-werke-aus-der-gurlitt-sammlung-zurueck?urn=urn:srf:video:83da8846-15e5-48a0-9e4a-d87b4daffc75



derbund.ch 10.12.2021

Raubkunst im Gurlitt-ErbeDas Kunstmuseum Bern verzichtet auf ungeklärte Gurlitt-Bilder

Auch Werke mit ungeklärter Herkunft werden nun zurückgegeben. Nur: An wen überhaupt? Das neue Level an Selbstlosigkeit macht den Umgang mit Gurlitt nicht einfacher.

Michael Feller

400 Seiten dick ist der Bericht, den der Gurlitt-Verantwortliche Marcel Brühlhart vom Kunstmuseum Bern am Freitagmorgen veröffentlicht hat. Es ist nicht ganz der Schlussstrich unter das Kapitel Gurlitt, aber er soll Klarheit schaffen, was vom Erbe bleibt, das Kunstsammler Cornelius Gurlitt (1932–2014) testamentarisch dem Kunstmuseum Bern vermachte.

Bisher wurden neun Werke als Raubkunst identifiziert und restituiert, also an die Erbinnen und Erben früherer Besitzer zurückgegeben. Nun geht das Kunstmuseum viel weiter. Es will das Eigentum an Werken mit ungeklärter Provenienz, also lückenhafter Herkunftsgeschichte, aufgeben – wenn es Hinweise auf Raubkunst «oder auffällige Begleitumstände» gebe. Also verzichtet es auch dann auf die Bilder, wenn die Beweislage dürftig ist und vage Szenarien über die Besitzgeschichte eines Bildes gegeneinander abgewogen werden müssen.

Damit setzt das Kunstmuseum einen neuen Standard, der in der internationalen Kunstszene zu reden geben dürfte. Kaum je hat ein Museum die Regeln so streng interpretiert. Als öffentlich finanziertes Haus hat es sich der Washingtoner Erklärung von 1998 verpflichtet. Die Selbstverpflichtung der unterzeichnenden Staaten besagt, dass Nazi-Raubkunst in erhärteten Fällen zurückgegeben wird, ungeachtet von Verjährungsfristen. Doch Bern geht viel weiter.

Schliesslich droht der Verlust

Während des Zweiten Weltkriegs wurde vom NS-Regime im grossen Stil Kunst beschlagnahmt, darüber hinaus mussten viele Jüdinnen und Juden wegen ihrer Verfolgung und wegen Berufsverboten Kunst verkaufen. Auch 76 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben viele Museen noch wenig Aufwand betrieben, um ihre Sammlungen auf Raubkunst zu untersuchen. Schliesslich droht der Verlust von wichtigen Werken.

Jüngst ist die Debatte mit der Erweiterung des Kunsthauses Zürich entfacht, in der die Sammlung Bührle untergebracht ist. Zwar sucht man in dieser seit 20 Jahren nach Raubkunst – allerdings ohne Ergebnisse in Form von Restitutionen. Diese Tatsache – unter anderen – sorgt für Kritik am Kunsthaus, an der Stadt und dem Kanton Zürich, die dem belasteten Bührle-Erbe einen eigenen Bau hingestellt haben.

Die Praxis des Kunstmuseums Bern kontrastiert geradezu zu den Zürcher Wirren. Konkret gibt das Museum zwei Aquarelle von Otto Dix zurück, «Dame in der Loge» (1922) und «Dompteuse» (1922). Die Erbinnen und Erben nach Ismar Littmann hatten 2014 den Anspruch auf 25 Werke aus dem Legat Gurlitt angemeldet. Deutschland, das zunächst die Provenienz untersuchen liess, lehnte eine Rückgabe wegen der löchrigen Beweislage ab.

Nach weiterer eigener Forschung willigt das Kunstmuseum Bern nun in die Rückgabe der zwei Bilder ein, während die Erbengemeinschaft ihren Anspruch auf die restlichen 23 zurückzieht. Seit 2019 sei man in intensivem Austausch gewesen und habe die Grundlagen für eine einvernehmliche Lösung erarbeitet, heisst es im Bericht des Museums.

Wie weiter mit den Bildern?

Was nun aber genau mit der «Dame in der Loge» und der «Dompteuse» passiert, ist noch nicht klar. Denn neben den Littmann-Nachfahren könnten genauso gut die Erben von Paul Schaefer Anspruch auf die Bilder erheben. Wie kompliziert die Sache mit den Restitutionen sein kann, zeigt der Umstand, dass allein die Rekonstruktion der Geschichte der Dix-Bilder 200 der 400 Seiten umfasst.

Wer war der Geschädigte? Der jüdisch-deutsche Rechtsanwalt Ismar Littmann war Kunst-Mäzen und Sammler. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde ihm die Ausübung seines Berufs verboten. Sozial ausgegrenzt und in wirtschaftlicher Not, starb er 1934 an den Folgen eines Suizidversuchs. Davor hatte er einen Teil der Sammlung verkauft, unter anderem an den befreundeten Zahnarzt Paul Schaefer, auch er Jude. Die Quellen beinhalten weder Angaben über die gehandelten Werke noch über den Preis, den Schaefer bezahlte.

1935 sollte die Sammlung Littmann bei Kunstversteigerer Max Perl unter den Hammer kommen. Von den rund 3100 Losen hatte Schaefer rund 2900 eingeliefert, die anderen waren Banken und Private, die verpfändete Bilder zur Auktion brachten. Doch die Bilder wurden wenige Tage vor der Auktion von der preussischen geheimen Staatspolizei beschlagnahmt, wegen «kultur-bolschewistischer Tendenz». Die Bilder von Otto Dix und jene von zahlreichen anderen Künstlerinnen und Künstlern der Moderne galten als «entartete Kunst», wurden aus den Museen und Auktionshäusern eingesammelt und später zwecks Kriegsfinanzierung verscherbelt. Einer der involvierten Kunsthändler war Hildebrand Gurlitt (1895–1956), der Vater von Cornelius Gurlitt, der die Sammlung dem Kunstmuseum Bern vermacht hat.

So gelangten die beiden Bilder in das Gurlitt-Konvolut. Das Kunstmuseum will sie «gemeinschaftlich» an die beiden Familien übergeben. Was das letztlich bedeutet, wird erst noch verhandelt.

Die Provenienz-Ampel

Die beiden Bilder sind 2 von 29 Werken aus der Kategorie «Gelb-Rot». Das Ampelsystem zeigt an, wie viele Werke in welchem Masse raubkunstverdächtig sind. Rot heisst «Raubkunst», Gelb-Rot bedeutet: Es gibt zwar keine Beweise, aber Hinweise auf Raubkunst. Fünf Bilder dieser Kategorie gibt das Kunstmuseum Bern an Deutschland zurück, 22 bleiben zur weiteren Forschung in Bern.

Damit sendet das Kunstmuseum ein klares Signal aus: Es kämpft nicht um die Bilder, sondern bemüht sich um Lösungen. Es verdeutlicht eine Strategie, die es seit der Erklärung der Erb-Annahme Ende 2014 verfolgt. Damals war die Befürchtung gross, dass Raubkunst-Rückgabeforderungen und die damit verbundene Forschung die Möglichkeiten des Kunstmuseums sprengen würden.

Also nahm es das Erbe nur unter der Bedingung an, dass Deutschland einen grossen Teil der Provenienzforschung übernehmen würde. Deutschland schlug ein – ein grosser Verhandlungserfolg von Stiftungsrat Marcel Brülhart, der bis heute das Projekt Gurlitt leitet. Schon damals war klar: Das Museum will keine Raubkunst, stattdessen eine transparente Aufarbeitung. Damit wies es ein grosses finanzielles Risiko von sich. Dem Risiko eines Image-Schadens wegen der durch Raubkunst belasteten Gurlitt-Sammlung begegnete das Museum mit einer kompromisslosen Aufarbeitungsstrategie.

«Kein Präjudiz»

Wird die grosszügige Rückgabestrategie Schule machen? «Ein Präjudiz für die direkte Anwendung der Washingtoner Prinzipien soll damit nicht verbunden sein», hält Brülhart im Bericht fest. Er selbst hat ihn zusammen mit den Raubkunst-Fachleuten Nikola Doll, Katharina Garbers-von Boehm und Andrea F. G. Raschèr verfasst. Der Bericht bezeichnet Gurlitt als Sonderfall. Dennoch dürfte die Praxis in den anderen Museen zu reden geben. Auch im eigenen Haus: Wie grosszügig ist man künftig in ähnlich gelagerten Fällen in anderen Teilen der Sammlung?

Eines ist klar, die Transparenzoffensive geht weiter: Das Kunstmuseum Bern veröffentlicht in einer Online-Galerie zu allen Werken des Gurlitt-Legats den Stand der Provenienzforschung. Im Herbst 2022 folgt eine umfangreiche Ausstellung zum Gurlitt-Nachlass.



Gurlitt: Was bisher geschah

– 2012: In den Wohnungen des 80-jährigen Deutschen Cornelius Gurlitt in München-Schwabing und Salzburg werden 1280 Kunstwerke beschlagnahmt. Es ist die Sammlung, die Cornelius’ Vater Hildebrand Gurlitt aufgebaut hat. Er war Kunsthändler während des Zweiten Weltkriegs: Raubkunstverdacht.

– 2014: Am 6. Mai stirbt Cornelius Gurlitt. Tags darauf wird bekannt, dass Gurlitt das Kunstmuseum Bern als Alleinerbin seiner Sammlung bestimmt hat. Damit hat niemand gerechnet. Recherchen der «Berner Zeitung» zeigen die Bedeutung der Geschäftsbeziehung von Cornelius Gurlitt ins Berner Auktionshaus Kornfeld auf.

– 2014: Am 22. November entscheidet sich der Stiftungsrat des Kunstmuseums, das Erbe anzunehmen. Die Bundesrepublik Deutschland übernimmt einen grossen Teil der Herkunftsforschung.

– 2016: Ein Teil der Gurlitt-Verwandtschaft hat die Gültigkeit des Testaments angefochten. Im Dezember wird die Gültigkeit gerichtlich bestätigt.

– 2021: Bis jetzt sind neun Raubkunst-Fälle restituiert worden. Zwei weitere Bilder mit ungeklärter Provenienz, aber Raubkunstverdacht werden zurückgegeben. (mfe)
(https://www.derbund.ch/das-kunstmuseum-bern-verzichtet-auf-ungeklaerte-gurlitt-bilder-784647203517)