Medienspiegel 14. November 2021

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++POLEN/EU/BELARUS
-> https://www.blick.ch/ausland/tragoedie-am-grenzzaun-zu-belarus-so-liess-sich-eine-hilflose-eu-uebertoelpeln-id16985355.html
-> https://nzzas.nzz.ch/international/weissrusslands-lukaschenko-kassiert-6000-euro-fuer-einen-migranten-ld.1655176
-> https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-11/belarus-fluechtlinge-polen-grenzbarriere-durchbrechung-grenzuebertritt-eu-migration
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1158583.asylpolitik-krieg-gegen-schutzsuchende.html
-> https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/europamagazin/sendung/wdr/johansson-102.html
-> https://www.jungewelt.de/artikel/414513.eu-grenzregime-br%C3%BCssel-l%C3%A4sst-sterben.html
-> https://www.jungewelt.de/artikel/414520.festung-europa-in-manchen-d%C3%B6rfern-gibt-es-mehr-soldaten-als-einwohner.html


+++ATLANTIK
75 Kilometer vor Gran Canaria: Acht Migranten bei Überfahrt gestorben
Bei der Fahrt von Afrika in Richtung der Kanarischen Inseln sind acht Menschen ums Leben gekommen – ihr Boot trieb offenbar eine Woche ohne Antrieb im Meer. Vor der kalabrischen Küste konnten 500 Menschen aus zwei Booten gerettet werden.
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/migranten-mittelmeer-109.html


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Klimastreik: Demo gegen Zuger Grosskonzerne
Heute Sonntag demonstrierte der Klimastreik in Zug gegen Grosskonzerne wie Glencore und Holcim. Diese drückten sich vor ihrer Verantwortung beim Klimaschutz.
https://www.nau.ch/news/schweiz/klima-demo-gegen-zuger-grosskonzerne-66044203
-> https://www.cash.ch/news/politik/klima-klimaschuetzer-demonstrieren-zug-gegen-grosskonzerne-1855066
-> https://www.tele1.ch/nachrichten/klimademo-gegen-grosskonzerne-144358672
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/stefan-calivers-wir-sind-als-lokalzeitung-sprachrohr-fuer-alle?id=12089186 (ab 04:40)
-> https://www.zentralplus.ch/velo-fahren-reicht-nicht-um-klimawandel-zu-stoppen-2234395/
-> https://www.luzernerzeitung.ch/news-service/inland-schweiz/klima-klimabewegung-demonstriert-in-zug-gegen-internationale-grosskonzerne-ld.2214271



luzernerzeitung.ch 14.11.2021

Engagiert, aber friedlich: Klimabewegung demonstriert in Zug gegen internationale Grosskonzerne

Hunderte Menschen gingen am Sonntag bei der Klimagerechtigkeits-Demonstration auf die Zuger Strassen.

Nils Rogenmoser

«Klima schützen ist kein Verbrechen», «Ufe mit de Klimaziel, abe mitem CO2» oder «Power to the People» – gegen 400 Demonstrierende sparten am Sonntag nicht mit Dringlichkeitsparolen und verschafften sich lautstark Gehör.

Das zentrale Anliegen war offensichtlich die Klimagerechtigkeit, deren Umsetzung eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung sei – so waren vom Kleinkind bis zur Seniorin und zum Senior jegliche Generationen mit Plakaten, Fahnen und unüberhörbarer Stimme präsent. Auf dem Weg vom Stierenmarktareal via Hafen und Seepromenade zum Landsgemeindeplatz zog der Tross mit den Megafonen auch das Interesse der Passanten und Spazierenden auf sich.

«Klimanotstand benötigte auch keine Bewilligung»

Werner Kaspar Huber aus Altdorf UR besuchte zusammen mit Robert Aschwanden aus Bauen UR die vom Klimastreik Zug organisierte Klimagerechtigkeits-Demonstration. Er habe die Problematik bereits vor über 30 Jahren erkannt, erläutert Huber: «In den 1980er-Jahren waren die Lärm- und Abgasemissionen durch die Nationalstrasse N2 im Kanton Uri längst sehr hoch, was mir damals schon aufgefallen ist – heute ist das Klimathema aktueller denn je. Ich engagiere mich aktiv für den Klimaschutz, so ist mein Haus mit Wärmepumpe und Sonnenlicht-Detektoren umweltfreundlich ausgestaltet.» Auch er habe schon vor zig Jahren den Handlungsbedarf erkannt, stimmt Aschwanden zu und ergänzt: «Ich stehe für die Werte der Klimabewegung ein und habe national schon an einigen Demonstrationen teilgenommen.» Er finde es toll, dass heute eine bewilligte Demonstration stattfindet, meint Huber, fügt aber sarkastisch hinzu, dass der Klimanotstand keine Bewilligung benötigt habe.»

Emerson Melan findet, dass die Klimakrise das zentrale Anliegen ihrer noch jungen Generation sei: «Es ist für mich unverständlich, dass das Thema in der institutionellen Politik keine höhere Priorität geniesst. Ich habe das Gefühl, dass das Klima in der Schweiz vielen Leuten egal ist. Gemessen an der Bevölkerungszahl der Schweiz, sind die Emissionen hochgerechnet viel zu hoch.»

Dieser Meinung sind auch die OK-Mitglieder Nina Abächerli und Erich Schmidiger vom Klimastreik Zug. Schmidiger unterstreicht, warum jetzt gehandelt werden müsse: «Grosskonzerne mit Sitz in Zug sind für rund 1,5 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Während die Klimakrise in erster Linie in Ländern des globalen Nordens herbeigeführt wird, bekommt der globale Süden die Folgen davon zuerst in aller Härte zu spüren. Diese umweltzerstörerischen Strukturen sind menschenverachtend.» Abächerli ist stolz auf die bewilligte Demonstration, die derart viele Menschen auf die Strasse gelockt hat: «Frühere Klimademonstrationen fanden bloss lokal statt – es ist deshalb umso erfreulicher, dass man am heutigen Tag in der ganzen Schweiz auf die Strassen geht.»

Fehlender Wille in der Politik

Der Klimastreik Zug habe im Vorfeld aktiv über die sozialen Medien und mit Flyern für den Anlass mobilisiert: «Die vorgegebenen Klimaziele müssen dringend umgesetzt werden, doch der Wille in der Politik ist noch zu wenig da. Genau deswegen müssen wir uns hörbar machen.» Man habe deutlich kommuniziert, dass die Forderungen auf dem friedlichen Weg kundgetan werden würden, so Abächerli abschliessend.

Dieses Anliegen haben sich alle Demonstrierenden zu Herzen genommen – die Stimmung blieb ansteckend engagiert, aber durchwegs friedlich.
(https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/zug/engagierte-stimmung-bei-klimademo-ld.2214316)


+++ANTITERRORSTAAT
NZZ am Sonntag 14.11.2021

Mehr Schlagkraft gegen Terrorismus

Der neue Bundesanwalt Stefan Blättler soll den Kampf gegen den Terror verstärken. Das fordern Polizeikader.

Andrea Kučera

Stefan Blätter lässt sich nicht in die Karten blicken. Am 1. Januar 2022 tritt der heutige Polizeikommandant des Kantons Bern seine neue Stelle als Bundesanwalt an. Wo will er als höchster Strafverfolger der Schweiz den Schwerpunkt legen? «Das kann ich noch nicht sagen», antwortete er im September auf die entsprechende Frage der «Republik».

Eine klare Vorstellung, wo Blättler den Fokus setzen sollte, hat hingegen sein Waadtländer Amtskollege, Polizeikommandant Jacques Antenen: «Der neue Bundesanwalt wäre gut beraten, mehr Mittel in die Terrorismusbekämpfung zu stecken und eine unabhängige Antiterror-Einheit nach dem Vorbild Frankreichs oder Deutschlands zu schaffen», sagt er. «Die heute zur Verfügung stehenden Ressourcen sind meiner Meinung nach ungenügend.»

Antenen ist mit der Forderung nicht allein. Auch der Waadtländer Staatsanwalt Eric Cottier sieht Handlungsbedarf: «Zwar wurden in den letzten Jahren bei der Bundesanwaltschaft neue Stellen geschaffen in der Prävention und Strafverfolgung von Terrorismus», sagt er. «Aber man muss heute klar feststellen, dass das nicht reicht. Die Ressourcen genügen nicht, um der Terrorgefahr adäquat zu begegnen.»

Dass ausgerechnet in der Waadt der Ruf nach einer Antiterror-Einheit laut wird, ist kein Zufall: Hier ereignete sich vor gut einem Jahr der erste Terroranschlag der Schweiz: Am 12. September 2020 erstach in Morges ein türkisch-schweizerischer Doppelbürger vor einem Kebab-Lokal einen Gast. Laut Medienberichten befand sich der Täter bereits seit 2017 auf der Liste islamistischer Gefährder des Nachrichtendienstes.

Zwei Monate später, im November 2020, stach eine Frau in Lugano mit einem Messer auf Menschen ein. Eine Passantin wurde schwer verletzt. Auch hier gehen die Ermittler von einem jihadistischen Motiv aus. Für Antenen waren diese zwei Attentate ein Wendepunkt: «Seither ist Terrorismus in der Schweiz nicht mehr eine hypothetische, sondern eine reelle Gefahr», sagt er. «Diese Tatsache fand bis jetzt aber nicht überall in der Schweiz die nötige Aufmerksamkeit.»

Die Schweizerische Staatsanwälte-Konferenz schätzt die in der Schweiz zur Verfolgung von Delikten im Bereich Extremismus und Terror zur Verfügung stehenden Ressourcen ebenfalls «als relativ knapp ein», wie sie auf Anfrage schreibt. Aber: «Konkrete Massnahmen sollten immer gestützt auf sorgfältige Gefährdungsanalysen oder aufgrund eines gesteigerten Fallaufkommens ergriffen werden, und nicht als Reaktion auf einzelne Fälle.»

Die Bundesanwaltschaft selbst kommentiert den Vorschlag einer Antiterror-Einheit nicht. Sie hält fest, dass der Ressourceneinsatz laufend überprüft werde und der Bereich Terrorismus in den vergangenen Jahren verstärkt worden sei: «Nebst dem Verantwortlichen Terrorismus wurden dem Deliktfeld Terrorismus noch weitere Staats- und Assistenzstaatsanwälte fest zugeteilt.»

Wie stark die Terrorgefahr die Bundesanwaltschaft fordert, zeigt der Blick in den jüngsten Tätigkeitsbericht. Für das Jahr 2020 ist dort ein deutlicher Anstieg von Gefährdungsmeldungen im Bereich des Terrorismus vermerkt. Weiter hält die Bundesanwaltschaft fest: «Die Anzahl und Komplexität der in der Abteilung geführten Verfahren führte zu einer anhaltenden, starken Belastung aller Mitarbeitenden. Nicht zuletzt die jüngsten, zueinander zeitnah in der Schweiz verübten terroristischen Anschläge forderten die operativen Kräfte massiv.» Derzeit sind bei der Bundesanwaltschaft 70 Verfahren zu jihadistisch motiviertem Terrorismus hängig – darunter jene zu den Angriffen in Morges und Lugano.
(https://nzzas.nzz.ch/schweiz/mehr-schlagkraft-gegen-terrorismus-ld.1655174)


+++POLIZEI USA
„There’s a black male running down the street.“ Zur Kriminalisierung schwarzer Mobilität in den USA
Immer wieder werden Afroamerikaner:innen Opfer von Polizeigewalt. Dies lässt sich nicht allein mit veralteten Polizeitaktiken oder Alltagsrassismus erklären. Vielmehr finden sich hier die Echos historischer Praktiken, die vor allem schwarze Mobilität kriminalisieren.
https://geschichtedergegenwart.ch/jobs-polizaigewalt/


++++HISTORY
Debatte über Bührle-Gemälde: Zürcher Kunststreit wird zum PR-Desaster
Laut dem Ex-Vize des Kunsthauses könnte es sich bei 52 Bührle-Werken um Fluchtgut verfolgter Juden handeln. Die Stiftung wehrt sich. Die Schweiz steht am Pranger. Wie konnte es so weit kommen?
https://www.blick.ch/schweiz/debatte-ueber-buehrle-gemaelde-zuercher-kunststreit-wird-zum-pr-desaster-id16985143.html
-> https://www.blick.ch/politik/pr-desaster-um-die-buehrle-sammlung-hilflose-elite-id16985274.html
-> https://www.blick.ch/people-tv/schweiz/kunstexperte-patrick-frey-fordert-aufklaerung-von-buehrle-sammlung-wir-duerfen-keine-insel-fuer-raubkunst-mehr-sein-id16985168.html
-> https://www.blick.ch/politik/sammlung-darf-keine-ns-gedenkstaette-werden-buehrle-stiftungsdirektor-droht-mit-abzug-der-bilder-id16985209.html
-> https://www.bernerzeitung.ch/lukas-gloor-gibt-die-direktion-der-buehrle-stiftung-ab-865345469623
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/zuerich-ruestet-sich-fuer-booster-impfung-fuer-alle?id=12089156


+++RECHTSEXTREMISMUS
Zoff unter Richtern – Swisscoy-Offizier bleibt trotz Hitlergruss bis heute straffrei
Nach vier Jahren noch immer keine Einigung: Richter streiten sich darüber, ob ein Thurgauer Leutnant mit Nazigesten gegen die Rassismus-Strafnorm verstossen habe oder nicht. Nun wird eine Verschärfung des entsprechenden Gesetzes gefordert.
https://www.watson.ch/schweiz/armee/176096592-swisscoy-offizier-bleibt-trotz-hitlergruss-bis-heute-straffrei
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/linke-wollen-hitlergruss-strafbar-machen-66044190
-> https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/rechtsextremismus-heil-hitler-thurgauer-swisscoy-offizier-bleibt-wegen-streit-unter-richtern-bis-heute-straffrei-ld.2214181
-> https://www.blick.ch/politik/streit-unter-richtern-swisscoy-offizier-schockte-mit-hitlergruss-bis-heute-straffrei-id16984975.html
-> https://www.blick.ch/schweiz/gesetz-aendern-nazigeste-bestrafen-verbietet-den-hitlergruss-id16985250.html


Wieder einmal braune Flecken
Die Tessiner Staatsanwaltschaft verurteilt eine ehemalige SVP-Kandidatin wegen Rassendiskriminierung. Der Strafbefehl ist nicht rechtskräftig.
https://www.tachles.ch/artikel/news/wieder-einmal-braune-flecken


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
La haine avant la votation sur la loi COVID
https://www.rts.ch/play/tv/mise-au-point/video/la-haine-avant-la-votation-sur-la-loi-covid?urn=urn:rts:video:12640872



Sonntagszeitung 14.11.2021

Gegner schüren Unruhe: Sicherheitsbehörden fürchten sich vor Abstimmungssonntag

Auf Flyern und in sozialen Medien wird über Manipulationen geraunt und Stimmung gemacht.

Cyrill Pinto

Die Stimmung ist aufgeheizt: Fast jeden Tag finden Kundgebungen gegen das Covid-Gesetz statt. Gestern zum Beispiel vor dem Schweizer Fernsehen in Zürich-Oerlikon. An der Veranstaltung verteilten die Massnahmenkritiker Flyer, auf denen sie vor Manipulation der Abstimmung warnen. Auch auf dem Messenger-Dienst Telegram wird seit Tagen über eine drohende Manipulation der Abstimmung debattiert.

Gegner des Covid-Gesetzes spekulieren dort, wie das Ergebnis von den Befürwortern beeinflusst werden könnte: indem die Behörden für den Gang an die Urne plötzlich eine Zertifikatspflicht ausrufen. Sie werde deshalb ein paar Tage vorher brieflich abstimmen, empfiehlt ein Mitglied der Gruppe «Widerstand2020». Jemand anders behauptet in der gleichen Gruppe exakt das Gegenteil und will unbedingt selbst an die Urne gehen, «da bei der brieflichen Abstimmung die Möglichkeit der Manipulation» bestehe.

Sicherheitschef Nause erwartet heissen Abstimmungssonntag

Auch der Stadtberner Sicherheitsdirektor Reto Nause (Mitte) fürchtet sich vor dem kommenden 28. November. «Wir erwarten einen unruhigen Abstimmungssonntag. Was, wenn die Gegner des Covid-Gesetzes das demokratische Verdikt nicht akzeptieren?», fragt Nause. Die Rhetorik der Bewegung zeige erschreckende Parallelen zu den USA, wo Unterstützer von Donald Trump das Resultat der Präsidentschaftswahl nicht akzeptierten und Anfang Jahr das Capitol stürmten.

Nause hat als Regierungsmitglied inzwischen 13 Jahre Erfahrung mit Demonstrationen. Doch ein so herausforderndes Jahr wie seit Ausbruch der Pandemie hat er noch nicht erlebt, wie er sagt. «Die Bewegung der Massnahmengegner ist bedrohlich und bereitet uns grosse Sorgen. Auf einschlägigen Portalen ist schon dazu aufgerufen worden, sich zu bewaffnen», sagt Nause.

Nicht nur Gegner des Covid-Gesetzes fürchten sich vor der Einflussnahme am Abstimmungssonntag, auch Befürworter äussern auf Social-Media-Kanälen ihre Bedenken: Trychler würden am Tag der Entscheidung den Zugang zur Urne versperren, fürchten sie.
(https://www.derbund.ch/nause-erwartet-unruhigen-abstimmungssonntag-573279069514)
-> https://www.20min.ch/story/abstimmungssonntag-laesst-sicherheitsbehoerden-zittern-653885707712
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/covid-abstimmung-berner-sicherheitschef-furchtet-sich-vor-28-november-66044187



Hell Bells für Eidgenossistan
Spätestens seit Bundesrat Ueli Maurer im „Freiheitstrychler“-Gewand seinen rechtspopulistischen Auftritt hatte, sind die Trychler*innen in aller Munde. Seit Monaten tauchen sie an Schwurbeldemos auf und bringen Verschwörungsgläubigen und Rechtslibertären die (reaktionäre) Kraft der Urschweiz. Kling, Glöcklein, klingelingeling für Eidgenossistan? Eine kleine Rundschau.
https://barrikade.info/article/4842



Sonntagszeitung 14.11.2021

Anzeigen und Hausverbot: Freiheitstrychler ist ein Behördenschreck

Andy Benz ist das Aushängeschild der Protestbewegung gegen das Covid-Gesetz. Seine Wut auf den Staat startete schon vor der Pandemie – und eskalierte an einer Gemeindesversammlung.

Cyrill Pinto

Seit Monaten befindet er sich im Protestmodus. Fast täglich ist Andy Benz mit seinen Freiheitstrychlern irgendwo in der Schweiz im Einsatz, um gegen die – in ihren Augen –Behördenwillkür zu demonstrieren. So laut er seine Meinung mit seinen Glocken kundtut, mit ihm ins Gespräch zu kommen, ist nicht ganz einfach. Nach mehrfachen Anfragen willigt er widerwillig auf ein Treffen ein – und erscheint dann mit einem Begleiter. So missmutig er gegenüber den Medien ist, mit der Zeit öffnet er sich dann doch und berichtet von seinem Ärger mit Behörden und auch stolz von seiner Arbeit als Bauleiter, die ihn bis ins Herz von Afrika führte.

In seiner Wohngemeinde Altendorf SZ ist Benz schon lange als Behördenschreck gefürchtet. Seine Wut wurzelt in einem «Bauskandal», wie er es selber nennt. Im Zuge der sogenannten Disponibel-Affäre wurde Benz’ Wohnung im Seepark Altendorf zu einem Bastelraum herabgestuft – und war dadurch plötzlich fast nichts mehr wert. Bauherr und Behördenmitglieder hätten sich beim illegalen Bau bereichert, sagt Benz. Seither steht er in einem Dauerkampf gegen «die korrupten Gemeindebehörden», wie er sagt.

Gemeindepräsident als «Arschloch» bezeichnet

Laut Gemeinde wurden im Seepark inzwischen alle Wohnungen in einen legalen Zustand überführt. Doch Benz bleibt dabei: «Bis heute wurde keine korrekte Bauabnahme durchgeführt, und so lange befindet sich der Seepark in einem illegalen Zustand.»

Zeitweise weigerte er sich deshalb, Liegenschaftssteuern zu zahlen. Auf das Angebot, den Betrag auf ein Sperrkonto zu überweisen, ging die Verwaltung nicht ein und leitete die Betreibung ein. Der Konflikt führte dazu, dass die Gemeinde Altendorf gegen Benz ein Hausverbot aussprach. Er darf das Gemeindehaus nicht mehr betreten. Der Bausekretär zeigte Benz wegen Drohung und Gewalt gegen Behördenmitglieder an. Im Mai sprach das Bezirksgericht March Benz frei.

Zuletzt eskalierte der Konflikt an der Gemeindeversammlung. Benz verlangte gegen Ende der Versammlung das Wort. Doch weil er zu diesem Zeitpunkt nicht in Altendorf gemeldet war, liess ihn der Gemeindepräsident nicht ausreden. Es kam zu einem Wortgefecht, bei dem Benz den Gemeindepräsidenten als «Arschloch» bezeichnete.

Er schwang die Glocken beim EWR für Blocher

Entstanden sind die Freiheitstrychler im Herbst 2020, um gegen die Corona-Massnahmen zu protestieren. «Wir sind unabhängig und freiheitsliebend. Wir brauchen keine Vereinsstrukturen», sagt Benz. Gut organisiert sind die Freiheitstrychler trotzdem: Per SMS und Telegram stehen die rund 250 Trychler dauernd in Kontakt. Laufend werden sie über alles informiert: Schliesst die Polizei eine Beiz, weil die Betreiber sich weigern, das Zertifikat zu prüfen, sind sie schnell vor Ort. Wie zügig das geht, zeigt sich beim Gespräch mit ihm: Mittendrin nimmt er plötzlich sein Smartphone zur Hand und organisiert kurzerhand per SMS den Protest vor der Pizzeria in Ottenbach, die zuvor von der Polizei dichtgemacht wurde.

Auch als die Polizei das Gasthaus Hölloch in Muotathal schloss, waren die Trychler gleichentags vor Ort, setzten sich aus Protest in die Beiz. Vor zwei Wochen wiederholte sich das Spiel in Zermatt, nachdem die Behörden dort die Walliserkanne geschlossen hatten. Danach schwangen Benz und seine Kameraden vor dem Untersuchungsgefängnis, wo das Wirtepaar inhaftiert war, die Glocken. «Sie haben sich über unseren Auftritt gefreut, wie uns ihre Anwälte versicherten», sagt Benz.

Benz politisiert nicht erst seit Corona mit seinen Trycheln: 1992 trug er zum ersten Mal das Joch mit den beiden Trycheln. Vor der Abstimmung zum EWR reiste er mit dem Militärschützenverein Vorderthal nach Bern, um mit lautstarkem Glockengeläut gegen den Beitritt zu demonstrieren. «Ich war damals erst 19 Jahre alt», sagt Benz.

Trychler marschieren am liebsten ohne Bewilligung

So viel Aufmerksamkeit wie heute hatten sie damals aber noch nicht. Obwohl es bei den Freiheitstrychlern bereits zu einer Spaltung gekommen ist – die sogenannten Helvetia-Trychler wollen einen Verein gründen –, fliessen die Spendengelder. Als sie einen Anhänger kaufen wollten und neue Trycheln, waren die dafür nötigen 56’000 Franken in kurzer Zeit beisammen. Aufgenommen wird man bei den Trychlern nicht einfach so, ein Götti muss ein neues Mitglied empfehlen.

Weder Benz noch seine Trychler halten sich an die Vorgaben der Behörden; sie würden am liebsten immer ohne Bewilligung auflaufen. Im September setzte die Berner Polizei die Organisatoren der Kundgebung auf dem Bundesplatz unter Druck, forderte von den Veranstaltern, für die Sicherheit zu sorgen. Benz verhandelte mit Sicherheitsdirektor Reto Nause und erinnert sich: «Wir hätten für allfällige Schäden haften müssen, wir mussten die Kundgebung offiziell absagen.» In einem Video, zusammen mit Vertretern der Protestbewegung Massvoll, forderte Benz die Leute auf, nicht nach Bern zu kommen. Er selbst war dann doch dabei. Davor rasierte er sich den Bart ab und setzte sich eine Dächlikappe auf. In jener Nacht wurde er sogar von der Polizei kontrolliert. «Ich war privat dort, wollte mich versichern, dass niemand mit dem Trychler-Hemmli auflief», sagt er. Bei einer späteren Demonstration in Bern verbrachte Benz sogar zwei Nächte in einem Festhalteraum bei der Berner Polizei. Schämen tut er sich dafür nicht, im Gegenteil. Er ist sogar ein bisschen stolz darauf.
(https://www.derbund.ch/der-trychler-der-die-revolution-probt-610244566464)



NZZ am Sonntag 14.11.2021

Sie horten tonnenweise Nahrungsmittel und Diesel. Die Freiheitstrychler bereiten sich vor für den ganz grossen Kollaps

Die Freiheitstrychler wappnen sich für einen Showdown zwischen der freien und der unfreien Schweiz.

Sacha Batthyany (Text) und Helmut Wachter (Bilder)

Die Stimmung im Car ist ausgelassen, die meisten trinken Bier an diesem Samstagmorgen um halb neun, später soll es noch Kaffee geben. Sie haben sich auf einem Parkplatz versammelt irgendwo im Kanton Schwyz, den Grossen Mythen im Rücken, und sind jetzt unterwegs nach Bern, um mit ihren Schellen ihre Heimat wachzuscheppern.

Noch bevor sie die Autobahn erreichen, wird Appenzeller-Schnaps dreifingerbreit in Plastikgläsern verteilt. «Das ist unsere Impfung», sagt einer, ein anderer zieht sich haselnussgrosse Schnupftabakladungen die Nase hoch, irgendwann vor Solothurn streikt der Abfluss der Toilette, der Chauffeur sagt, wer dringend müsse, könne vielleicht in den Burger King an der Raststätte.

Aber wie soll das gehen, ohne Maske und Zertifikat?

70 Freiheitstrychler auf dem Weg zum Bundeshaus, Männer, Frauen, Kinder, die Herbstsonne blendet durch die Scheiben. «Wir sind wie eine Familie», vergewissern sie sich immer wieder.

Sie alle eint das Gefühl, dass etwas nicht mehr stimmt mit ihrem Land. Sie haben hitzige Diskussionen mit ihren Verwandten hinter sich, mussten sich anhören, verblendet zu sein, haben Kunden und Freunde verloren, «weil wir den Mainstream hinterfragen». Sie sind wütend auf die Medien und wütend auf die Politiker, doch Wut schweisst zusammen, darauf noch ein letztes Bier kurz vor dem Stade de Suisse und eine Booster-Impfung Schnaps.

Ankunft um zwölf, Spurt auf die Toilette des Parkhauses, weil ihnen die penibel frisierten Barista in den Cafés unter den Lauben ohne Maske den Eintritt verweigern. Aufjochen der Treicheln, die Krumme im Mundwinkel brennt schon.

Auf dem Münsterplatz und in den nahen Gassen warten bereits Zehntausende, es ist Ende Oktober, und es liegt Aufruhr in der Luft.

Man sieht Che-Guevara-Fahnen, Aluhüte, Peace-Logos, auf Kartonschildern ist von Impfdiktatur die Rede; drei schmächtige Jungs mit Seitenscheiteln und flaumigem Oberlippenbart verteilen Ausgaben des rechtsnationalen «Compact»-Magazins; ein paar Mütter nebenan ziehen ihren Kindern Ohrschützer an und schreien: «Wir wollen keinen Überwachungsstaat!»

Vor allem aber sieht man Schweizer Fahnen, Kantonswappen, Menschen in Trachten balancieren Gesslers Hut auf Stangen. Der Widerstand gegen Corona hat sich vom Virus verabschiedet und nationalisiert. Die Trychler kritisieren zwar die Massnahmen, aber das ist nur ein Schattenkampf. Wenn es um Masken und Impfungen geht, geht es eigentlich um Selbstbestimmung und Entwurzelung.

Ihr archaisches Geläut ist ein verzweifelter Schrei von ganz tief innen. Ihre Heimat kommt ihnen abhanden.

Und plötzlich hört man es, das blecherne Fanal. Die Demonstranten in Bern, die wie eine Horde grasender Tiere herumstanden, machen die hohle Gasse, durch die die Trychler in ihren blütenweissen Hirtenhemden schreiten, vorneweg der bärtige Guido Arnold, den alle nur «den echten Tell» nennen; er hält den Apfel in der Hand, die Spielzeugarmbrust hat ihm ein Polizist namens, es klingt wie ein Witz, Peter Schütz abgenommen.

Sie werden bejubelt und mit Blumen beworfen, als wären sie Feuerwehrmänner in den USA, und ziehen im Gleichschritt langsam bimmelnd vors Bundeshaus, wo sie einen Kreis formen und ihre drei rechten Finger zum Eid der Genossen in den Himmel strecken: Friede, Freiheit, das Volk ist souverän.

Sechs Stunden nachdem sie sich im Bus trafen und durch die Schweiz fuhren, fallen sie sich jetzt in die Arme, manche haben Tränen in den Augen, wie Pilger an Ostern, die in Rom vor dem Petersdom stehen. «Wir kämpfen für unsere Kinder», sagen sie, was pathetisch klingt, aber sie meinen es so. «Wir wollen, dass sie in einer freien Schweiz aufwachsen.»

«Never give up»

Was sind das für Menschen, diese Trychler, die den Corona-Widerstand in der Schweiz seit Monaten orchestrieren und mit ihren Klängen einen beachtlichen Teil der Bevölkerung erreichen? Und was wollen sie wirklich?

Antworten erhält man in der Stadt Schwyz, ein paar Tage sind vergangen seit der Kundgebung in Bern. Vor der Staatskanzlei im Zentrum stehen rund 80 Menschen. Wie jeden Dienstag pfeifen sie die Regierungsräte aus, die in ihren Slim-Fit-Anzügen vor die Türe treten, nachdem sie fertig getagt haben. Initiator des Protests ist ein Mann, den man hier Hölloch-Bruno nennt, ein Wirt aus dem Muotathal, dessen Restaurant geschlossen wurde, weil er sich nicht an die Covid-Massnahmen hielt.

Inmitten der Menge steht Andy Benz, selbständiger Bauführer, Mitglied der SVP International, er hat die Freiheitstrychler gegründet. «Er ist unser Leader», sagen einige, «der Urvater der Bewegung», sagen andere – «ohne den Benz läuft gar nichts», sind sie sich einig.

Man muss ein wenig ausholen, um diesen Benz zu verstehen, der in Fidel-Castro-Manier gerne mit Zigarre posiert, nur ist die in Schwyz auf dem Land eben krumm.

Benz ist, entgegen dem Klischee des Innerschweizer Berglers, ein weitgereister und weltoffener Mann. Er arbeitete jahrelang erst in Nord-, später in Südamerika, baute ein Luxushotel im Nyungwe-Nationalpark in Rwanda und den Flughafen im Sudan. Er sah vom Genozid gezeichnete Menschen, erlebte Modernisierungsschub und Bürgerkrieg, Aufbruchstimmung und Kolonialherrengetue. Und wenn man ihn fragt, was er in Afrika gelernt habe, dann antwortet er, ohne zu zögern: «In Fluchtrichtung parkieren», da sei man schneller weg, wenn es chlöpft, und: «never give up», Benz tippt sich an die Stirn. «Der Kampf entscheidet sich im Kopf.»

Im Jahr 2015 kommt er zurück in die Schweiz und zieht in eine Siedlung namens Seepark in Altendorf, Bezirk March, es war, wenn man so will, die Geburtsstunde der Freiheitstrychler. Denn Benz gerät in einen Behördenkonflikt um seine Wohnung, der Dutzende Ordner füllt und der damit begann, dass ihm das Bauamt Kanton Schwyz eines Tages mitteilt, es handle sich bei seinem Eigentum gemäss Grundbuchamt nur um einen Bastelraum, der nicht bewohnt werden dürfe.

Was folgt, ist eine jahrelange Posse um Bewilligungen und «behördliche Willkür», so nennt es Benz, der in den Akten über seine Siedlung gravierende Ungereimtheiten findet und von «Korruption» und «mafiösen Zuständen» spricht.

Die Behörden wiederum werfen ihm vor, seine Steuern nicht bezahlt und Beamte am Kragen gepackt zu haben, worauf er Hausverbot erhielt. «Der Benz hat ein aufbrausendes Temperament», heisst es im Kanton. Er sei nicht der aufrechte Schweizer, als den er sich immer ausgebe. Er habe auch dann noch Beschwerde eingereicht, als der Streit längst beigelegt war, weil er sich in der Rolle des Märtyrers inszeniere. Selbst in seiner Partei, der SVP, sind ihm nicht alle wohlgesinnt. «Er kann nicht loslassen», heisst es.

Never give up.

Tatsächlich umweht diesen Andy Benz etwas Trotziges, ein Mini-Kohlhaas aus der March, «der Querulant ist eine Figur», heisst es in einem Buch des Kulturwissenschafters Rupert ­Gaderer, «die erst durch die preussische Bürokratie entstanden ist. Querulanten sehen sich ihrer Rechte beraubt, ihrer Freiheiten beschnitten und gehen auf im Kampf gegen den Staat.» Das ist der Benz.

Er kramt sein Handy aus der Hosentasche, klickt auf eine ­E-Mail, die Jahre zurückliegt, Absender: Dr. Christoph Blocher. «Kleine Taten sind besser als grosse Pläne», schrieb er.

Benz hat das verinnerlicht.

Im Sommer 2020 nahm er an den ersten unbewilligten Kundgebungen teil und sah, wie die Polizei in Zürich gegen Maskenverweigerer vorging. Das habe ihn aufgeschreckt. Er kam eine Woche später mit Treicheln und ein paar Freunden zurück, war bald auf Fotos der Zeitungen zu sehen, die Krumme im Mund. Wochen später liess er den Namen und das Logo patentieren.

Es folgen kleinere und grössere Kundgebungen, im Frühling dieses Jahres werden sie in Altdorf, Uri, von Polizisten mit Tränengas attackiert. Bei jedem ihrer Auftritte kommen neue Männer und Frauen hinzu, vom Klang der Schellen verführt. «Bei uns gibt’s alles», sagt Benz, Alte und Junge, viele Secondos aus dem Balkan, die «ein Sensorium für Diktaturen» hätten, bunte Vögel aus der Esoterik-Szene, darunter ein Bolivianer, den sie «dä Schamani» nennen; ein paar radikale Impfgegner und Verschwörungstheoretiker hätten sich von ihnen jüngst abgespalten, «die lesen zu viel wirres Zeugs».

Derweil sei die Nachfrage nach Treicheln gestiegen, drucksen maulfaule Schmiede aus dem Muotathal heraus. Neu verkauft einer «Schellen für Städter». Statt den Kallen, die gegen die Innenseite der Bleche knallen, hängen Lautsprecher herunter, die über das Handy verbunden sind.

Und mit dem Bekanntheitsgrad wächst die Kritik. Nicht nur an den Freiheitstrychlern, auch den Helvetiatrychlern, die für dasselbe kämpfen, aber sich anders organisieren. Benz legt sich eine kugelsichere Weste zu, weil er in den sozialen Netzwerken auf Abschusslisten steht. Bald nennt man seine Gruppe, mit Anspielung auf ihre weissen Kutten, Kuh-Kux-Klan und drückt sie in die stramm rechte Ecke.

Aber so einfach ist das nicht.

«Ihr seid die letzte Verteidigungslinie der Schweiz», mit diesen Worten bedankt sich Roger Köppel an einer SVP-Feier bei den Freiheitstrychlern, oben in den Hügeln von Morschach Ende Juni. Er animiert sie dazu, sich vor das Büro von Bundesrat Alain Berset zu stellen, um ihm zu zeigen, wie es den Menschen auf dem Land gehe, «wo die Schweiz noch die Schweiz ist».
-> https://youtu.be/UOeHh0clMf8

«Das hat uns inspiriert», sagt Roland Schätti.

Wir sitzen in einem ihrer Rückzugsorte, Restaurant Wendelstube, Kanton Schwyz, für die Trychler so etwas wie Robin Hoods Sherwood Forest.

«Ich ging zufällig an eine Kundgebung nach Rapperswil», erzählt er über seinen Erweckungsmoment. «Und als ich diese Glocken hörte, hatte ich Tränen in den Augen.» Schätti, 55, ist mittlerweile einer der führenden Köpfe in der Gruppe.

«Ich sah die wahren Eidgenossen», sagt er, «die Erben des Rütlischwurs.» Noch am selben Tag schloss er sich der Gruppe an und hörte auf, Masken zu tragen, «meine Kinder halten mich für verrückt», fügt er an. «Der Staat kann dir deine Existenz nehmen, deine Seele aber bleibt unverkäuflich.» Der Satz könnte in Schillers «Tell» stehen. «Ich bin lange genug auf dem Sofa vergammelt. Es ist Zeit, zu handeln.»

Kühlcontainer voller Nahrungsmittel

Der Kampf gegen die Corona-Massnahmen sei für ihn allerdings zweitrangig. Schätti kommt, wie Andy Benz, aus der March, «Keimzelle des Widerstands». Ihn hat die Annahme des Anti-Terror-Gesetztes im Sommer aufgeschreckt, der mächtige Staat fresse sich immer weiter vor. «Mich erstaunt, wie sich die Bürger manipulieren lassen. Alles folgsame Schafe.» Deshalb also das Gebimmel, die Schweiz soll aus der Hypnose erwachen. Nach der Covid-Abstimmung Ende November sei ihr Kampf um mehr Unabhängigkeit alles andere als vorbei. «Wir fangen erst an.»

Als all die Fotos von den Menschen aus der Stadt die Runde machten, die WC-Rollen hamsterten und sich bemitleideten, weil ihre Frühstücksflocken im Migros-Regal fehlten, da hätten sie sich schmunzelnd zwei warme Eier aus dem Hühnerstall geholt. Auf dem Land sei man autarker, vielleicht sei deshalb die Liebe zum Boden und den Wurzeln hier grösser und dieser unbändige Wille zur Unabhängigkeit stärker.

All dies aber gelte es zu verteidigen, deshalb haben die Freiheitstrychler im ganzen Land mehrere Kühlcontainer verteilt, manche vergruben sie unter der Erde, so erzählen sie es. Sie horten mehrere Tonnen Reis, Büchsenravioli, Mehl, Wasser, gefriergetrocknete Früchte, «wenn dereinst die Nahrungsmittelversorgung zusammenbricht, kommt es zum Gemetzel», sagen sie. Dazu kommen 60 Tonnen Diesel und mehrere Notstromaggregatoren.

Sie bereiten sich vor für den ganz grossen Kollaps.

«Aus der Geschichte muss man lernen», das sagt der Benz und pafft seine Krumme.

«Der Staat hat schon mit den Masken versagt. Es gab auch kein Desinfektionsmittel mehr. Wer sagt denn, dass es immer Kartoffeln geben wird?», fragt Silvan Fuchs, der neben Schätti in der «Wendelstube» sitzt. Es ist kalt geworden auf der Aussenterrasse, wer aufs Zertifikat pfeift, wie diese Trychler, der friert und muss warme Schokolade schlürfen, wie Fuchs. «Besser, man ist gewappnet, als sich in Abhängigkeit zu geben», sagt er.

«Man muss tun, was nötig ist», sagt Benz.

Silvan Fuchs, so etwas wie Benz’ rechte Hand, verkauft eigentlich Ersatzteile für Oldtimer, aber seit ein paar Monaten hat er sich «dem Widerstand verschrieben», dem Kampf um die Grundrechte, so, wie sie in der Verfassung stehen. «Ich verdiene zwar weniger, weil ich kaum noch arbeite, und habe Streit mit meiner Familie, aber ich spüre eine ungeheure Energie», sagt Fuchs, 63. «Es ist die Zeit meines Lebens.»

Fuchs hat Andy Benz einen seiner beiden Mercedes Diesel vermacht, Baujahr 1985, 770 000 Kilometer. Die Wahl sei kein Zufall, «wenn der Sprit knapp wird», sagt Fuchs, könne das Auto auch «mit altem Pommes-Öl aus der Fritteuse» fahren. Er lacht, aber er meint das todernst.

Ein Indoor-Spielplatz mit Hüpfburg und Trampolin in Reichenburg, Schwyz, wurde bereits in eine zertifikationsfreie Zone verwandelt; und die Freiheitstrychler denken über Räume nach, in denen sie Kinder unterrichten, die die Eltern aufgrund eines möglichen Impfzwangs aus der öffentlichen Schule nehmen.

Homeschooling, Nahrungsmittellager, Notstromanlagen – es gärt in der Urschweiz. Wären wir in Amerika, hätten sie auch irgendwo ein Waffenarsenal verbuddelt, aber daran seien sie überhaupt nicht interessiert.

«Die Glocken sind unsere Waffen», sagt der Schätti Roland.

Von der «Wendelstube» fahren sie nach Flüelen, Axenstrasse, der spiegelglatte Urnersee liegt vor uns wie ein ascheschwarzes Tuch. Sie treffen sich mit rund 50 Männern und Frauen, um gegen die Massnahmen zu protestieren, der Schamani ist da und der echte Tell, und sie umarmen sich alle, weil sie von Social Distancing nichts halten.

Die Meldung, dass die Infektionszahlen gerade in der Zentralschweiz stärker steigen, wo viele der Trychler herkommen, halten sie für Angstmacherei. «Leben und sterben ist Privatsache», sagt Andy Benz, es klingt wie das Motto des US-Gliedstaates New Hampshire: «Live free or die», das auch zu den Freiheitstrychlern passen würde, die sich nur dann impfen liessen, wenn ihnen Berset empföhle, es nicht zu tun.

In Flüelen laufen sie, eskortiert von der Polizei, quer durch die Stadt und zurück. Die Anwohner blicken hinter Gardinen aus den Fenstern, als würden sie etwas Verbotenes sehen.

An beinahe jedem Abend im Oktober lassen sie ihre Treicheln schwingen, Unterägeri, Näfels, Sursee, dazu kommen die von Roger Köppel inspirierten Märsche durch Bern.

Andy Benz, 48, der bei der Polizei bereits bekannt ist, schneidet sich vor einer dieser Kundgebungen im Zug den Bart, als wäre er auf der Flucht, damit sie ihn nicht erkennen. Die Treicheln schmuggeln sie in falschen Anhängern in die Innenstadt, während ihr offizieller Anhänger mit dem Logo, auf den sich die Polizisten stürzten, leer ist. Es kommt zu Verhaftungen und Gummischrot. Die Demonstranten, darunter Neonazis und Krawallbrüder, werden gemeinsam mit Trychlern und Männern mit Dudelsäcken eingekesselt.

Es bimmelt und dudelt, der schottische Freiheitskämpfer William Wallace und Wilhelm Tell vereint im Kampf gegen die Elite, so sehen sie sich zumindest, denn die Passanten, die auf die Züge eilen, schütteln die Köpfe – der Halbmond über Bern an diesem Abend ist gespalten wie das Land.

Es ist Mitternacht, als man Benz und Fuchs, den Autoersatzteilverkäufer, abführt und sie in Gitterboxen steckt, Polizeiwache Neufeld, die die Trychler um zwei Uhr morgens verlassen dürfen, aber ihre Schellen behalten sie.

Hells Bells.

Es gärt auf dem Land – es brodelt in der Stadt

Jahrelang war es still gewesen in der Schweiz, während sich in Ostdeutschland Zehntausende den Märschen der fremdenfeindlichen Pegida anschlossen, in Frankreich blockierten Gelbwesten den Verkehr, in den USA hievten die Empörten einen Entertainer ins Weisse Haus. Die Hintergründe unterscheiden sich, aber die Elitenkritik veranlasst Menschen auf der ganzen Welt, ihren Unmut auf die Strassen zu tragen.

Pessimismusverdrossenheit nannte das der Anthropologe David Graeber, Mitbegründer von Occupy Wall Street, der weltweit ein «beispielloses Anschwellen sozialen Widerstands» beobachtete, von links wie rechts.

In der Corona-Krise verschärfte sich auch in der Schweiz der Ton. Politiker werden bedroht, Journalistinnen angefeindet, «die Furcht vor gesellschaftlichen Verwerfungen» wächst, steht in der aktuellen Corona-Umfrage der SRG.

Das Bild des niedlichen Heidilands erfährt Risse, aber das ist nicht nur schlecht, der Wohlstand hat die Menschen harmoniedusselig gemacht. Bricht jetzt etwas auf?

So wie Schätti und Fuchs, so sei es vielen ihrer Freunde gegangen, sie hätten die letzten Jahre stumm ertragen, wie sich die Macht verschob, wie sich Politiker zur Unkenntlichkeit verbogen, wie Moraldebatten die Gesellschaft umpflügten. Noch seien wir nicht in Südafrika, wo man Bauern enteigne, in Österreich, wo man Ungeimpfte einsperre, oder in den USA, wo man an Universitäten nur noch eine Meinung zulasse.

«Aber was ist in fünf Jahren?», fragt Fuchs.

«Ich habe in Afrika erlebt, wie schnell alles zusammenbricht», meint Benz.

Er sei auch davon überzeugt, dass man sein Handy überwacht. Wie sonst hätten die Polizisten gewusst, welche Routen sie nehmen, welche Treffpunkte sie vereinbarten. Und wenn man ihn ungläubig anstarrt, als würde er sich masslos aufspielen, antwortet er: «Das ist kein Witz.»

Die Schweiz der Freiheitstrychler, die es gemäss Benz und Fuchs zu verteidigen gilt, ist nicht die Schweiz von 1848, «sie fremdeln mit dem Bundesstaat», meint der Historiker Josef Lang. «Ihr Bild der Schweiz gründet tiefer»; es sei ein Rückgriff auf eine jahrhundertealte Ursubstanz, daher die zwanghafte Übernahme alter Traditionen. «Es ist eine imaginierte Eidgenossenschaft, in die man umso mehr hineinprojizieren kann.»

Auch das Bild der freiheitsliebenden Urkantone, das sie heraufbeschwören, sei nichts als ein Mythos. In den historisch wichtigen Abstimmungen über die Freiheitsfrage, der Niederlassungs- und Glaubensfreiheit für Juden etwa, oder dem Frauenstimmrecht, hätten sie sich stets quergelegt. Die Urschweiz sei in Wahrheit «die unfreiheitlichste Gegend der Schweiz».

Auffallend seien hingegen die Parallelen zu den USA, die Wut, die Ideologisierung der Debatte, die Fahnen an den Kundgebungen, die emotionale Nähe zur Verfassung sei «ein Import aus den Staaten». Wenn Köppel von den ländlichen Trychlern spricht, «wo die Schweiz noch die Schweiz ist», erinnert er an Trump, der auf das wahre Amerika verwies, das es nie gab.

Und unter das gemeinsame Foto mit Benz in kugelsicherer Weste twittert Nationalrat Andreas Glarner nicht etwa in heimischem Dialekt, sondern auf Englisch: «True Freedom Fighters».

Fehlen nur die Millionen, und eine Art Schweizer Steve Bannon, und die Freiheitstrychler könnten zu einer politischen Kraft heranwachsen. Doch die Spenden fliessen zäh, klagt Roland Schätti, etwas mehr als 50 000 Franken seien eingegangen: «Ist denn die Zukunft der Schweiz niemandem etwas wert?» Ein paar Kleinbetriebe hätten ein bisschen was gesammelt. Jemand spendete einen Smart. Der Verein «Freundeskreis Schweiz – Iran» gab den Anhänger, mit dem sie ihre Treicheln transportieren.

Vor jedem Haus ein Trampolin

Es ist sechs Uhr abends, der letzte sonnige Herbsttag im Oktober, am Helvetiaplatz in Zürich erinnert wenig an die March, die Heimat von Benz. Statt Kühe bimmeln hier die Velos, und unter Freiheit versteht man die Auswahl zwischen lokalen und internationalen Bieren. «Für die Gerechtigkeit geht Benz auf die Barrikaden», das sagt Mandu dos Santos Pinto, 47, Architekt, der Vater ursprünglich aus Angola, die Mutter aus der Schweiz. Er hat Benz in der schweizerisch-afrikanischen Handelskammer kennengelernt, in der sich dos Santos Pinto dafür einsetzte, dass nicht nur alte weisse Männer den Ton angeben.

«Wir sind nicht die engsten Freunde, aber wir schätzen uns und tauschen uns aus über unsere Projekte», erzählt er.

Als im Sommer 2020 mehrere Tausend Menschen an der Black-Lives-Matter-Kundgebung in Zürich gegen die Diskriminierung von Menschen anderer Hautfarbe protestierten, marschierte Mandu dos Santos Pinto vorne mit. «Rassismus ist ein Teil der Schweizer Gesellschaft», das Land habe vom Kolonialismus profitiert.

Es war der Tag, an dem auch Benz vor der Oper gegen die Maskenpflicht demonstrierte. Die beiden ungleichen Anlässe haben auf den ersten Blick nichts miteinander gemein.

Aber das täuscht.

«Auch Massnahmengegner wie Andy Benz werden ausgegrenzt», sagt dos Santos Pinto. «Zum ersten Mal macht die weisse Mittelschicht Erfahrungen mit Diskriminierung, Polizeigewalt und staatlicher Willkür. Vielleicht öffnet ihnen das endlich auch die Augen für unsere Anliegen.»

Man müsse die Haltung von Corona-Kritikern nicht teilen, aber man sollte mit Menschen, die anders denken, im Dialog bleiben und sie nicht anprangern. «Sonst wird daraus Hetze.»

Aber wie soll man als Staat mit Gegnern der Massnahmen umgehen, mit Menschen wie Andy Benz, der die Freiheit einfordert, keine Maske zu tragen, damit aber die Freiheit anderer beschneidet? Wo hört Toleranz auf, wo fängt Repression an?

«Solche Fragen gehen vielen von uns durch den Kopf», sagt ein Mann, der bis vor kurzem Polizist war und anonym bleiben will.

Vor wenigen Wochen kündigte man ihm, weil er als Mitglied der Gruppe «Wir für Euch» enttarnt wurde, die aus Polizisten besteht, aus Richtern und Staatsanwälten, die die Covid-19-Massnahmen nicht mehr bedenkenlos unterstützen können.

«Wir sind mehrere Hundert», behauptet er. Überprüfbar sind seine Worte nicht.

Einzelne Polizisten hätten Anfang 2020 begonnen, sich an das Bundesamt für Gesundheit und verschiedene Parlamentarier zu wenden. «Wir wollten verstehen, was hier passiert.»

Sie sahen, wie die Polizei in Deutschland auf Corona-Demonstrationen zu immer härteren Mitteln griff. Sie sahen, wie die Massnahmenkritiker diskriminiert wurden, und stellten sich die Frage nach der Verhältnismässigkeit. «Es ist wichtig, dass Polizisten ihre Einsätze hinterfragen und nicht alle Befehle blindlings befolgen», sagt er. «Wir wären sonst in Venezuela.»

Und weil sie von ihren Vorgesetzten abgewiesen wurden, fingen sie an, sich auszutauschen. Sie mussten vorsichtig vorgehen, niemand durfte davon erfahren. «Viele haben Angst, sich uns anzuschliessen», der Druck innerhalb des Corps sei immens. Der Polizeiverband habe jüngst verlauten lassen, wer sich bei «Wir für Euch» engagiere, sei «kein Kollege» – unter Polizisten ist das die höchste Form verbaler Ächtung.

«Wir machen nichts Illegales. Alles im weissen Bereich. Wir suchen nur nach Antworten.» Im Herbst begannen sie, mit den Trychlern Kontakt aufzunehmen. «Diese Glocken sind ein starkes Symbol.» Einst fand man damit verirrte Tiere, sagt er. Jetzt öffne man verirrten Bürgern die Augen.

Es ist Anfang November, ein letztes Treffen mit den Trychlern. Eine Fahrt aufs Land bedeutet auch, dass vor jedem Haus ein Trampolin steht. Benz und Fuchs zeigen eines ihrer Nahrungsmittellager, kiloweise Äpfel, Wasser, Mehl; sie zeigen ihren neuen Bus, den sie ­erworben haben, das Geld stamme von einflussreichen Unternehmern, die sich auf ihre Seite schlugen.

Es gärt nicht nur auf dem Land, hier formiert sich etwas.

Sie waren am Vortag im Wallis und haben die Nacht draussen vor einem Feuer verbracht. Sie sind ungeduscht, aber aufgekratzt, die Bevölkerung wache auf, «der Wind dreht», sagt Benz in alter Guerilla-Manier, um sich und Fuchs Mut zu machen.

Diese Schellen werden so schnell nicht verklingen.
(https://nzzas.nzz.ch/magazin/freiheitstrychler-der-kampf-um-corona-ist-erst-der-anfang-ld.1655021)



Corona-Massnahmenkritiker Freiheitstrychler, Mass-Voll & Co
Sie sind gekommen, um zu bleiben
Die Kritiker der Pandemiepolitik sagen dem Staat den Kampf an. Sie wollen die Schweiz verändern. Doch schon bald könnte ihnen die Luft ausgehen.
https://www.beobachter.ch/gesellschaft/corona-massnahmenkritiker-freiheitstrychler-mass-voll-co-sie-sind-gekommen-um-zu



NZZ am Sonntag 14.11.2021

Sie hatten Mühe, «diesen Wahnsinn zu verantworten». Jetzt wehren sich Ex-Polizisten gegen ihre Entlassung

Drei massnahmenkritische Polizisten, die ihren Job verloren, wehren sich. Der Fall wirft die Frage auf, was Polizisten in Krisen dürfen.

Sacha Batthyany, Anja Burri

Sie wollten am Anfang bloss Fragen stellen. Und am Ende waren sie ihren Traumjob los: Drei Polizisten, die sich bei der massnahmenkritischen Plattform «Wir für Euch» engagierten, wehren sich gegen die fristlosen Kündigungen beziehungsweise gegen die Freistellung.

Ihr Anwalt Valentin Landmann bestätigt dies: Ein solch repressives Verhalten gegenüber kritischen Beamten gehöre nicht in die Schweiz. Es handelt sich um zwei Polizisten aus Zürich und einen aus St. Gallen. Wie Recherchen der «NZZ am Sonntag» zeigen, hat sogar der Zürcher Sicherheitsdirektor Mario Fehr ein Gespräch zwischen den Polizisten und dem Kommandanten ermöglicht.

Der Fall der drei Polizisten ist interessant, weil er zeigt, wie die Pandemie und ihre Auswirkungen Spaltung bewirken – und wie rasch die Lage eskalieren kann.

Einer der beiden ehemaligen Zürcher Kantonspolizisten erzählt: Kurz nach dem Lockdown, im Frühling 2020, hätten sie begonnen, sich ans Bundesamt für Gesundheit und an einzelne Parlamentarier zu wenden. «Wir verstanden nicht, was hier passiert, und suchten nach Antworten.»

Die Frage nach der Verhältnismässigkeit sei immer im Zentrum gestanden. «Als Polizist stützt man sich auf Gesetze. Es gibt Befehle von Vorgesetzten, denen wir stets Folge leisteten.» Nie hätten sie sich in Ungehorsam geübt, nie einen Auftrag verweigert. «Dennoch hat man einen gewissen Spielraum als Beamter», sagen beide. Dieser Spielraum sei zentral, weil er einen zwinge, Befehle nicht blindlings zu befolgen.

In den ersten sechs Monaten nach dem Lockdown seien sie dazu angehalten worden, «Augenmass walten zu lassen» im Umgang mit der Bevölkerung. Doch mit der Zeit habe sich der Spielraum verengt. «Plötzlich gab es weniger Toleranz. Viele, die gegen die Massnahmen verstiessen, wurden verzeigt», sagt einer der beiden.

Der andere sagt: «Massnahmengegner wurden diskriminiert.» Sie hätten zunehmend Mühe bekundet, «diesen Wahnsinn zu verantworten». Im Frühling 2021 schilderten sie Regierungsrat Fehr ihr moralisches Dilemma und baten in einem Schreiben um ein Gespräch mit dem Kommandanten.

In einem Brief vom 19. April 2021 antwortete Fehr Anwalt Landmann: «Ich kann Ihnen mitteilen, dass mir der Kommandant versichert hat, Ihre Klienten zu einem Gespräch zu empfangen. Selbstverständlich kann ich Ihnen zusichern, dass diesen daraus keine Nachteile erwachsen werden.» Polizisten, die Tätigkeiten an der Front nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können, haben die Möglichkeit, sich versetzen zu lassen.

Doch das Gespräch enttäuschte die Polizisten. Ihre Fragen und Zweifel seien abgeblockt worden. Schliesslich hätten sie sich bei der Plattform «Wir für Euch» gemeldet, um sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen. «Wir kennen die Betreiber der Plattform nicht», behaupten sie. Auf der Website finden sich rechtliche Analysen der Zertifikatspflicht und Handlungsanleitungen, um sich gegen die Massnahmen zu wehren.

Über die Gruppe «Wir für Euch», die angeblich von Polizisten gegründet wurde, kursierten im Sommer erste Medienberichte. Ein Video, das die Vereinigung mit den Helvetiatrychlern zeigt und in dem die Corona-Massnahmen als unverhältnismässig bezeichnet werden, brachte ihr die Aufmerksamkeit, die sie offenbar suchte. Und den Polizisten die Kündigung.

«Zwei Polizisten, die öffentlich zu Strafanzeigen gegen Polizistinnen und Polizisten aufgerufen haben, wurden fristlos entlassen. Ein derartiger Aufruf verstösst gegen die Werte der Kantonspolizei und das Gelübde, das jeder Polizist vor dem Eintritt ins Korps leistet, und kann das Vertrauen der Bevölkerung in die Arbeit und die Redlichkeit der Kantonspolizei untergraben», teilt die Kantonspolizei Zürich mit.

In einer internen Stellungnahme des Kommandanten heisst es, «wer es sich zum Beruf gemacht hat, dem Staat zu dienen, darf – auch in der Freizeit – nicht gegen den Staat arbeiten». Die St. Galler Kantonspolizei wollte sich nicht zum laufenden Verfahren äussern. Offenbar merkten auch die Betreiber von «Wir für Euch», dass sie zu weit gegangen waren: Sie löschten die schärfsten Formulierungen von der Website.

Laut Schätzungen von Polizeivertretern zählen sich schweizweit «ein paar hundert» Polizisten zu Massnahmengegnern, die meisten von ihnen leisten weiterhin ihren Dienst. Gemessen an den rund 20 000 Polizisten ist das eine kleine Zahl. Die drei Kündigungen werfen dennoch Fragen auf, nicht nur bei der Polizei: Wie kritisch dürfen sich Staatsangestellte dem Staat gegenüber äussern – gerade in Krisenzeiten wie diesen? Die entlassenen Polizisten beklagen eine «Kultur der Angst». Man fürchte, für ein falsches Wort verpfiffen zu werden.

«Ich wurde für meine Einträge auf Facebook kritisiert», sagt auch ein ehemaliger Assistenz-Staatsanwalt. Er sei kurz vor seiner Nominierung zum Staatsanwalt gestanden, als man ihm mitteilte, er sei fachlich zwar tadellos, seine öffentlich geäusserte Kritik an den Massnahmen aber sei problematisch.

Bei drei von rund 300 Facebook-Einträgen über Corona wurde ihm vorgeworfen, die Grenze des Sagbaren überschritten zu haben. Er habe in einer internen Whatsapp-Gruppe ausserdem auf «Wir für Euch» verwiesen, was ihm ebenfalls zur Last gelegt wurde, worauf er die Konsequenzen zog und kündigte.

Markus Mohler, ehemaliger Staatsanwalt und Kommandant der Kantonspolizei Basel-Stadt, ordnet ein: «Natürlich dürfen Polizisten kritische Fragen stellen.» Sie seien auch dazu verpflichtet, bei Einsätzen die Verhältnismässigkeit zu wahren. Aber bei den Pandemie-Massnahmen sei die Rechtslage klar: «Die gesetzliche Abstützung des Zertifikats und anderer Massnahmen ist lupenrein. Es ist nicht Aufgabe der Polizei, Gesetze inhaltlich zu hinterfragen.»
(https://nzzas.nzz.ch/schweiz/corona-massnahmen-polizisten-im-dilemma-ld.1655202)
-> https://www.blick.ch/schweiz/hatten-muehe-diesen-wahnsinn-zu-verantworten-jetzt-brechen-die-massnahmekritischen-polizisten-ihr-schweigen-id16985924.html



Ein Gespräch mit dem Autorenkollektiv Wu Ming über Kritik an Italiens Pandemiepolitik
»Der Green Pass ist ein reines Propagandainstrument«
Das linke Autorenkollektiv Wu Ming spricht im Interview über Proteste gegen den sogenannten Green Pass in Italien, Verschwörungsglauben und radikale Kritik an der Pandemiepolitik.
https://jungle.world/artikel/2021/45/der-green-pass-ist-ein-reines-propagandainstrument


Abstimmung über Covid-Gesetz: In Skeptiker-Dörfern stürmen die Bürger an die Urnen
In vielen Dörfern mit niedriger Impfquote ist die Quote hoch. Was das für den Urnengang bedeutet.
https://www.blick.ch/schweiz/abstimmung-ueber-covid-gesetz-in-skeptiker-doerfern-stuermen-die-buerger-an-die-urnen-id16985286.html


Die rechte Parallelwelt Telegram ist das Zentrum der Corona-LeugnerInnen
Telegram ist die zentrale Plattform zur Organisierung der extremen Rechten und Corona-LeugnerInnen. Dort werden die Aufmärsche koordiniert – und dort werden Anschläge und ein rechter Umsturz am „Tag X“ geplant.
https://www.bonvalot.net/die-rechte-parallelwelt-telegram-ist-das-zentrum-der-corona-leugnerinnen-721/



bernerzeitung.ch 14.11.2021

Panne beim amtlichen Anzeiger: Meinungsmache der Massnahmen¬gegner zwischen Baugesuchen

Der Anzeiger Oberaargau publiziert im amtlichen Teil unfiltriert einen Beitrag gegen das Covid-Gesetz. Das stösst auf Unverständnis auch bei den Trägergemeinden.

Kathrin Holzer

Die Meinungen sind frei. Man darf die bundesrätliche Pandemiepolitik befürworten oder sie infrage stellen. Man darf für oder gegen das Covid-19-Gesetz sein, das am 28. November erneut zur Abstimmung kommt.

Selbstredend, dass die unterschiedlichen Meinungen im Abstimmungskampf zum Ausdruck gebracht werden. Im Anzeiger Oberaargau warben Gegner und Gegnerinnen der Vorlage am 4. November mit einem grossflächigen Inserat gegen ebendiese. Eine Woche später machen sich Befürworterinnen und Befürworter ebenfalls mit einem Inserat auf kleinerer Fläche für das Gesetz stark.

So weit, so gut. Dass auch in der emotionsgeladenen Debatte rund um die Covid-Pandemie und die mit ihr verbundenen Massnahmen die Meinungsfreiheit zu wahren sei, hat erst diesen Sommer vor ähnlichem Hintergrund das Regierungsstatthalteramt Bern-Mittelland festgehalten. Sogenannte Corona-Skeptiker hatten damals im Anzeiger Region Bern ein Inserat gegen mRNA-Impfstoffe geschaltet, wogegen eine Aufsichtsanzeige eingegangen war.

Neue Fragen wirft nun ein Textbeitrag im vorderen, sogenannten amtlichen Teil des aktuellen Anzeigers Oberaargau auf. Eins zu eins wird dort eine Medienmitteilung von Gegnern und Gegnerinnen des Covid-19-Gesetzes wiedergegeben. Ist von einem «immer fragwürdigeren Aktionismus in der staatlichen Pandemiepolitik» zu lesen und von «unverhältnismässigen Massnahmen». Wird vermeldet, wie zahlreiche Bürgerinnen und Bürger zusammengefunden hätten, um möglichst viele Menschen von einem Nein zu überzeugen. Zumal sämtliche Massnahmen endlich aufgehoben werden «können und müssen».

Am falschen Platz

Das Gemeindegesetz des Kantons Bern hält fest, dass im amtlichen Teil des Anzeigers nur amtliche Bekanntmachungen von Behörden veröffentlicht werden dürfen. Was also hat erwähnter Textbeitrag dort verloren? Und ist dessen ungefilterte Veröffentlichung in dieser Form überhaupt vertretbar im von 43 Gemeinden getragenen Publikationsorgan?

Der Beitrag ist weder als Inserat gekennzeichnet noch als Medienmitteilung deklariert. Als Autoren genannt werden «Irene Ruckstuhl, Langenthal/Pascal Dietrich, Langenthal». Die zwei sind zumindest lokal für ihren Widerstand gegen die bundesrätlichen Massnahmen bekannt. Im weitläufigen Verbreitungsgebiet dürften die beiden Stadtratsmitglieder* indes längst nicht allen Empfängerinnen und Empfängern ein Begriff sein.

Entsprechend irritiert fallen erste Reaktionen bei den Gemeinden aus. Als «sehr heikel» bezeichnet Langenthals Stadtpräsident Reto Müller (SP) die Publikation auf Anfrage. «Es kann meiner Meinung nach nicht sein, dass so etwas ungefiltert im amtlichen Teil des Anzeigers erscheint.» Ins selbe Horn stösst Kurt Bläuenstein (FDP), Gemeindepräsident von Aarwangen: Gegen ein Inserat dieser Art wäre nichts einzuwenden, findet er. «Das Reglement ist aber klar: Im amtlichen Teil hätte der Text nicht erscheinen dürfen.»

Das Amt für Gemeinden und Raumordnung will den Fall, darauf angesprochen, nicht beurteilen. Die Aufsichtsfunktion über die Anzeiger liegt seit 2010 bei den Gemeinden respektive den eingesetzten Trägerschaften.

Daniel Ott, Verwaltungsratspräsident der Anzeiger Oberaargau AG, entschuldigt sich: Der Verwaltungsrat bedaure es, dass der Beitrag im amtlichen Teil abgedruckt worden sei, nimmt er auf Anfrage Stellung. Tatsächlich suggeriere die Platzierung an dieser Stelle dem Text «einen amtlichen Charakter, den er nicht haben dürfte». Im nicht amtlichen Teil wäre die Publikation indes unbedenklich gewesen, findet auch Ott.

Im Gemeindegesetz steht dazu: «Verboten sind redaktionell aufbereitete meinungsbildende Textbeiträge und Kommentare sowie Inserate und übrige Textbeiträge, welche die öffentliche Ruhe und Ordnung gefährden, diskriminierend oder unsittlich sind.» Die Medienmitteilung stelle mit ihrem Inhalt keine Gefahr für die öffentliche Ruhe und Ordnung dar, bezieht sich Ott auf den zweiten Teil der Gesetzgebung.

Auch die Autorenschaft erachtet Ott nicht als verwirrend. «Die Absender sind deklariert. Aus unserer Optik ist klar, dass es sich nicht um unsere Autoren handelt.» Ob das auch den Leserinnen und Lesern klar ist, bleibt fraglich.

*In der ursprünglichen Version dieses Artikels war von den FDP-Stadtratsmitgliedern Irene Ruckstuhl und Pascal Dietrich die Rede. Richtig ist, dass beide der FDP/JLL-Fraktion im Stadtrat angehören, Dietrich aber als Parteiloser.
(https://www.bernerzeitung.ch/meinungsmache-der-massnahmengegner-zwischen-baugesuchen-740837914361)



Gemeinsames Referendumskomitee zieht Nominierung einer MASS-VOLL!-Vertreterin für die zweite Reihe in der SRF Arena zurück
Das gemeinsame Referendumskomitee von Freunden der Verfassung, Aktionsbündnis Urkantone und Netzwerk Impfentscheid hat die Nominierung einer MASS-VOLL!-Vertreterin für die zweite Reihe in der SRF Arena zurückgezogen. Ausschlaggebend dafür ist die von MASS-VOLL!-Aktivisten gegen den erklärten Willen des Kampagnenteams organisierte unbewilligte Demonstration gegen das «Impfdorf» im Zürcher Hauptbahnhof sowie die aggressive Rhetorik einzelner MASS-VOLL-Vertreter.
https://mailchi.mp/verfassungsfreunde.ch/neues-aus-absurdistan-13376282?e=8dfe2e6d74