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Machtspiel an polinisch-belarusischer Grenze forderte zehn Tote
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Gerechtigkeit für Sezgin Dağ gefordert
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Ostschweiz: Die Einreise junger Afghanen zeigt das Versagen der nationalen Migrationspolitiken auf
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Gattiker und Jenisch: Uni Freiburg verleiht zwei Rassisten den Ehrendoktortitel
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Free the #Samos2
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Zug: Soliaktion gegen Solway
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Kein Vergessen dem Tod von Rita O.
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Frankreich: Hungerstreik gegen das Grenzregime
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No Frontex! Aufruf an alle interessierten Migrant*innen
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Bosnien: Crowdfunding für das FrachCollective
Was ist neu?
Machtspiel an polinisch-belarusischer Grenze fordert mindestens zehn Tote
Auch bei Minusgraden müssen Tausende Menschen weiter an der Grenze von Belarus zu Polen ausharren. Sie werden als Machtinstrument missbraucht, ohne ihrem Leben einen Wert zuzumessen.
Die unvorstellbare Brutalität der europäischen Migrationspolitik hat sich in den letzten Wochen verschärft. Diesmal wird nicht nur alles getan, um Menschen auf der Flucht in ihrer Bewegungsfreiheit zu behindern und sie in Camps zu sperren, sondern diesmal werden sie für machtpolitische Spielchen zwischen der EU und Belarus missbraucht. Als Reaktion auf Sanktionen seitens der EU schickte der belarusische Machthaber Lukaschenko offenbar geflüchtete Menschen als Druckmittel an die Grenzen zu Polen, die über diesen Weg versuchten, in die EU einzureisen. Die EU reagierte natürlich prompt und meinte, dass sie sich nicht erpressen lassen würde und fordert ab kommenden Montag weitere Sanktionen gegen Belarus. Die Menschen auf der Flucht wurden zudem von polnischen Grenzschutzbeamt*innen konsequent an der Einreise gehindert und zurück nach Belarus gedrängt, wo sie wiederum von belarusischen Grenzschutzbeamt*innen vorwärts Richtung EU gedrängt wurden. Viele harren nun seit mehreren Wochen in diesem kaum auszuhaltenden Zustand zwischen zwei Grenzen im Nichts aus. Es gibt weder Unterkunft noch Essen und dies bei teilweise Minus-Temperaturen in der Nacht. Es sind schreckliche Bilder. Hunderte, wenn nicht Tausende Menschen auf der Flucht, die bei eisiger Kälte an der polnisch-belarusischen Grenze festsitzen. Sie kommen weder vor, in die EU, wo polnische Soldat*innen und Polizist*innen stehen. Noch zurück, bedrängt von den belarusischen Sicherheitskräften.
Was sich da gerade an der europäischen Aussengrenze abspielt, ist grauenhaft. Reale Menschen als Spielbälle für irgendwelche machtpolitischen Gelüste von westlichen Grossmächten zu verwenden, ist in seiner Abscheulichkeit kaum zu überbieten. Und es zeigt, wie wenig Wert die rassistische Gesellschaft in Europa dem Leben einer Person auf der Flucht zuschreibt. Wie sie einfach nur als zu steuernde und verwaltende Masse dargestellt werden, ohne individuelle Persönlichkeit, Bedürfnisse, Ängste und Hoffnungen.
Diese Woche hat sich nun die Situation an der EU-Aussengrenze zu Belarus erneut verschärft. Einige der festsitzenden Menschen haben versucht, den Grenzzaun zu Polen zu überwinden. Logisch – sie sitzen seit Wochen im Grenzgebiet in der bitteren Kälte und können weder vor noch zurück. Statt die EU oder Belarus für ihre Machtspielchen zu kriminalisieren, werden nun diese einigen hundert Menschen, welche versuchten, die Grenze zu überwinden, kriminalisiert. Sie wurden alle verhaftet und zurück nach Belarus gebracht. Nach den noch nicht aufgespürten Personen wird polizeilich gefahndet. Auf Bildern in den Medien waren Menschen zu sehen, die am Kopf und an den Händen bluteten. Zu sehen waren tiefe Schnittwunden in den Handflächen, offiziell vom Stacheldraht an der Grenze. Möglicherweise auch von der oftmals angewendeten Gewalt der Grenzschutzbeamt*innen. Laut polnischen Behörden sollen belarusische Sicherheitskräfte ausserdem im Grenzgebiet Schüsse abgegeben haben. Sie jagten den geflüchteten Menschen Angst ein, indem sie Schüsse in ihrer Anwesenheit abfeuerten. Auf unter anderem auf Twitter veröffentlichten Videos sind ein Schuss und Schreie von Menschen zu hören.
Dieses brutale Machtspiel führt auch regelmässig zum Tod von Menschen. Letzte Woche war es der zehnte (dokumentierte) Todesfall im Grenzgebiet seit dem Sommer. Die meisten Menschen sind – eingekesselt zwischen den Grenzen beider Länder – erfroren oder beim Versuch, Flüsse zu überqueren, gestorben. Einige starben auch an Erschöpfung.
Und was tut die EU in dieser grausamen Situation? Ihr kommt tatsächlich nichts Gescheiteres in den Sinn, als alles daran zu setzen, dass nicht noch mehr Geflüchtete versuchen, nach Europa zu kommen. Kein Wort zur Lage der momentan im Grenzgebiet ausharrenden Menschen. Kein Wort dazu, dass die EU mitverantwortlich für deren Situation ist und mehr als genug Mittel hätte, diese zu unterstützen und nicht mehr zu instrumentalisieren. Kein Wort dazu, dass solch eine Situation nur entstehen kann, weil es keine sicheren Fluchtwege nach Europa gibt. Nein, alles was geplant ist, ist ein neues Sanktionsinstrument. Vorgesehen ist unter anderem, Fluggesellschaften ins Visier zu nehmen, die Menschen aus afrikanischen oder asiatischen Ländern zur Weiterreise in die EU nach Belarus fliegen. Statt weiteren Sanktionen wollen wir, dass das Leben der Menschen im Grenzgebiet im Moment oberste Priorität hat. Wir fordern Bewegungsfreiheit für alle Menschen und ein sofortiger Stopp ihrer Instrumentalisierung!
https://www.srf.ch/news/international/grenze-polen-belarus-eu-laender-planen-sanktionen-gegen-illegale-migration
https://www.srf.ch/news/international/grenze-polen-belarus-frierende-migranten-als-spielball-wie-wird-die-eu-reagieren
https://www.infomigrants.net/en/post/36166/tenth-migrant-found-dead-on-belaruspolish-border
https://www.theguardian.com/world/2021/nov/07/on-the-frozen-frontiers-of-europe-with-the-migrants-caught-in-a-lethal-game
https://www.derbund.ch/was-sich-an-der-polnischen-grenze-abspielt-geschieht-auch-im-namen-der-schweiz-920501460067
https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-11/belarus-alexander-lukaschenko-polen-eu-grenze-sanktion/komplettansicht
https://twitter.com/i/status/1458831606978957314
Gerechtigkeit für Sezgin Dağ gefordert
Sezgin Dağ überlebte 2015 den IS-Anschlag in Pirsûs – vor einem Jahr starb er im Alter von 41 Jahren im schweizerischen Lyss, wo er als Geflüchteter im Bundesasylcamp lebte. Zum ersten Todestag ist an ihn gedacht und Gerechtigkeit gefordert worden.
Der kurdische Aktivist starb in der Nacht auf den 13. November 2020. Am Vortag begab sich Sezgin Dağ gegen 16.00 Uhr ins Spital Aarberg mit Beschwerden über Taubheitsgefühle im Arm und am Kiefer sowie Sodbrennen, Schmerzen im Hals und Magen. Diese Symptomatik hatte er auch beim Myokardinfarkt in der Türkei. In der Klinik wurden ein Blutbild und eine Röntgenaufnahme erstellt. Die Diagnose des behandelnden Arztes lautete Magenverstimmung und Herzrhythmusstörungen wegen des zuvor getrunkenen Energiegetränks. Der Mediziner verschrieb ein Dafalgan-Schmerzmittel und ein weiteres Medikament gegen das Sodbrennen und schickte Sezgin Dağ zurück ins Asylzentrum.
Im Verlauf des Tages verschlechterte sich sein Zustand immer mehr. Seine Freunde warnten die Verantwortlichen im Asylzentrum und wiesen auf den schlechten Gesundheitszustand von Sezgin Dağ hin. Gegen 22.00 Uhr wurde es sehr kritisch und lebensbedrohlich: Nach Zeugenaussagen hatte der Aktivist Schaum vor dem Mund und weinte. Er hielt sich selbst, schrie „Mein Herz, mein Herz!“ und verkrampfte zeitweise. Trotz dieser offensichtlich kritischen und lebensbedrohlichen Situation bestellte der verantwortliche ORS-Mitarbeiter ein Taxi, anstelle eines Krankenwagens. Sezgin Dağ wurde ohne Begleitung in den Wagen gesetzt, um in das Spital Aarberg gefahren zu werden. Dort ist er am 13. November 2020 um ca. 00.20 Uhr verstorben.
Seine Hinterbliebenen beschuldigen die Behörden, falsch gehandelt zu haben und damit verantwortlich für seinen Tod zu sein: Sezgin Dağ hätte nicht sterben müssen, wenn ihm eine angemessene medizinische Versorgung für seinen sensiblen Gesundheitszustand nicht verweigert worden wäre. Sie fordern Gerechtigkeit. Nach einer Schweigeminute wurden in Lyss Reden gehalten, es wurde die Geschichte von Sezgin Dağ erzählt und die Umstände seines Todes wurden geschildert. Am Nachmittag fand eine zweite Zusammenkunft statt, diesmal in den Räumlichkeiten des kurdischen Vereins in Bern.
https://anfdeutsch.com/menschenrechte/gerechtigkeit-fur-sezgin-dag-gefordert-29314
https://migrant-solidarity-network.ch/2021/11/13/genkveranstaltung-an-sezgin/
Was ist aufgefallen?
Ostschweiz: Einmal mehr zeigt sich das Versagen der nationalen Migrationspolitiken
Die Zunahme der Einreise junger Afghan*innen aus Österreich in die Schweiz sorgte in den letzten Wochen für ordentlich Betrieb in den Ostschweizer Medien, Sicherheitsbehörden und Parlamenten. Dabei wird wieder einmal gekonnt an den wichtigen Fragen vorbei diskutiert und mit Schreckensszenarien Stimmung gemacht.
Seit Juli reisen immer mehr junge Afghan*innen, viele davon noch minderjährig, von Österreich aus in die Schweiz ein. Der grosse «Andrang», wie das Wording in den bürgerlichen Medien oft lautet, würde die St. Galler Grenz- und Polizeibehörden an den Anschlag bringen. Die meisten der jungen Afghan*innen wollen in der Schweiz kein Asylgesuch stellen, sondern nach Frankreich weiterreisen. Die Berichterstattung in vielen Medien und die Aussagen kantonaler und nationaler Sicherheitspolitiker*innen sind dabei voll von rassistischen Stereotypen und behandeln Migration als ein rein behördliches Problem, welches durch die Unterbindung der Weiterreise und Rückübernahmeabkommen gelöst werden könnte. Dabei ist klar, dass das nationalistische Denken, die Abschiebung von Verantwortung und das Fehlen einer gemeinsamen, solidarischen Strategie im Umgang mit Migration ein Hauptgrund für die katastrophale Situation vieler Migrant*innen in Europa ist.
Das Ziel vieler afghanischer Migrant*innen ist Frankreich. Klaus Hofstätter von der Asylkoordination Österreich begründet dies damit, dass Frankreich bei Rückführungen nach Afghanistan lange zurückhaltender als Österreich und andere EU-Staaten gewesen sei. In Österreich existiere zudem keine altersgerechte Rechtsberatung, die Menschen müssen viel zu lange in Erstaufnahmezentren bleiben und die migrationsfeindliche Regierungspolitik lässt die jungen Menschen ohnehin nicht daran glauben, überhaupt eine Chance auf ein Asylgesuch in Österreich zu haben. Die Schweiz ihrerseits hat jahrelang an Abschiebungen nach Afghanistan festgehalten, obwohl dieses Land für Rückkehrer*innen nie sicher war und keinerlei Perspektiven bot. Welchem Menschen ist es da zu verdenken, sich dort niederlassen zu wollen, wo er*sie wenigstens ein kleines bisschen Sicherheit vermutet?
Stattdessen werden wieder einmal die sogenannten „Schlepperbanden“ in den Blick genommen. Der St. Galler Sicherheitsdirektor Fredy Fässler erdreistete sich im Regionaljournal Ostschweiz auf SRF zur Aussage, die meisten jungen Afghan*innen überquerten die Grenze frisch geduscht und mit einigen Euros in der Tasche. Dies deute auf die Tätigkeit von Schlepperbanden hin.* Befinden sich in den Augen Fässlers also nur nicht-geduschte und völlig mittellose Migrant*innen in einer Notlage? Justizministerin Karin Keller-Sutter kritisierte ihrerseits in der NZZ unlängst die Migration von einem Dublin-Staat in einen anderen. «Wenn man auswählen kann, in welchem europäischen Land man als Flüchtling leben will, ist das der Anfang vom Ende des Dublin-Systems.» Damit bringt KKS auf den Punkt, was das Dublin-System von Beginn an beabsichtigte: Dass die Länder an der Schengen-Aussengrenze sich doch bitte alleine um die Migrant*innen kümmern sollen und die reichen Länder im Zentrum Europas zu keiner Aufnahme verpflichtet werden. Und als kleiner Hinweis für KKS: Das Dublin-System hat noch nie zum Wohle der Migrant*innen funktioniert. Wir fordern die Bewegungsfreiheit für alle Menschen und darum auch die Abschaffung des Dublin-Systems.
Doch es gibt auch wenige positive Aspekte zu erwähnen. So weist Fässler explizit darauf hin, dass die illegale Einreise allein kein Grund sei, die Menschen zu inhaftieren, um ein Untertauchen zu verhindern. So logisch dieser Fakt klingt, Normalzustand ist er in der europäischen Migrationspolitik schon lange nicht mehr. Und auch eine Unterbringung in unterirdischen Bunkern als Erstaufnahmezentren wird mit Verweis auf die Corona-Pandemie ausgeschlossen. Auch wenn dies eine Selbstverständlichkeit sein sollte, ist das Aussprechen solcher Fakten wichtig, um unmenschlichen und rassistischen Forderungen von SVP-Vertreter*innen und anderen rechts-nationalistischen Politiker*innen den Wind aus den Segeln zu nehmen.
*Dass sich Menschen an der Notlage von Migrant*innen bereichern und diese durch riskante Transporte heimtückisch in ihrer Gesundheit und ihrem Leben gefährden, ist ein real existierendes Problem. Doch es ist nicht der Grund für Migration und die Bekämpfung von kriminellen Schleppertätigkeiten bringt keine Fluchtursachen zum Verschwinden. Anstatt sichere Fluchtwege und Rechtssicherheit für Asylsuchende zu schaffen, benutzt die Politik Schlepper*innen als Ausrede, um von ihrem eigenen Versagen abzulenken.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/auch-die-fasnacht-2022-steht-unter-einem-schlechten-stern?id=12087650
https://www.watson.ch/schweiz/international/181399427-minderjaehrige-afghanische-migranten-stellen-hier-kaum-asylantraege
https://antira.org/2021/11/12/medienspiegel-11-november-2021/#more-9132
Köpfe der Woche
Gattiker und Jenisch: Uni Freiburg verleiht zwei Rassisten den Ehrendoktortitel
Gleich zwei Mal ehrt die Universität Freiburg Männer, die in ausgeprägter Weise den Rassismus stützen, verstärken und von ihm profitieren. Weder Mario Gattiker, der abtretende Chef des Staatssekretariat für Migration (SEM), noch Jan Jenisch, der Chef des Schweizer multinationalen Zementherstellers LafargeHolcim haben einen Doktortitel verdient, im Gegenteil.
Mario Gattiker wird als „Experte des Migrations- und Asylrechts“ geehrt. Er überzeuge die Rechtswissenschaftliche Fakultät, die ihn vorschlägt, durch die „Kombination von grosser Gestaltungskraft, vertiefter Expertise, Loyalität und einem ausgeprägten Sensorium für die grosse Bedeutung des demokratischen Rechtsstaats.“ Dabei wurde seit 2012 unter seiner Leitung pausenlos Unannehmbares vorangetrieben: (1) Statt das Asylrecht zu stärken, hat er dazu beigetragen, es auszuhölen. (2) Statt ankommende Menschen willkommen zu heissen und ihnen dezentrale Wohnmöglichkeiten und eine Perspektive anzubieten, hat er dazu beigetragen, ein entrechtendes Lagerregime zu errichten und verschiedenste Formen der Freiheitsberaubung gegen Menschen im Asylverfahren eingeführt. (3) Statt nach neuen Formen des Bleiberechts für Nicht-Europäer*innen zu suchen, hat er neue Ausschaffungsdeals abgeschlossen. (4) Statt die Beteiligung der Schweiz an der Abschottung der Festung Europa abzubauen, verteidigt er bis heute Schengen und Dublin. (5) Statt Menschen aus Afghanistan, Syrien, Eritrea, Äthiopien oder aus Moria, Bosnien, Belarus unkompliziert aufzunehmen, verteidigt er die „Das Boot ist voll“-Ideologie der Schweiz und missachtet die Forderungen der Migrationsbewegung in der Schweiz.
Angesichts dieser offenkundigen Entrechtungen im Asyl- und Migrationsregime muss wohl Jura studiert werden, um nachzuvollziehen, warum die Beschreibung der Freiburger Rechtsfakultät auf Gattiker zutrifft: „Die Achtung der rechtlichen Vorgaben im Allgemeinen und der Grund- und Menschenrechte der betroffenen Personen im Besonderen war und ist ihm jeweils ein besonderes Anliegen, dies ungeachtet aller Schwierigkeiten.“
Wer Mario Gattiker persönlich die Meinung sagen will, kann dies an der Uni Freiburg tun. Dort hält der geehrte Mann am 30.11.2021 um 17:15 Uhr an der Miséricorde im Saal MIS 10 01.13 einen Vortrag: „Schengen/Dublin: Bedeutung der europäischen Zusammenarbeit im Bereich Migration aus schweizerischer Perspektive“.
Mit Jan Jenisch erhält eine zweite rassismusbehaftete Person einen Ehrendoktortitel: „Schweizer Wirtschaftsgeschichte geschrieben hat er mit seinem (erfolgreichen) Widerstand gegen den Verkauf der Aktionärsanteile einer grossen Schweizer Firma an einen französischen Konzern,“ schreibt die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät. Nur wer nationalistisch denkt, kann es abfeiern, dass LafargeHolcim weiterhin den Sitz in der Schweiz behält und so tun, als gehöre die Firma der Schweiz. Ob Aktienanteile nun in Frankreich oder in der Schweiz besessen werden, sie bleiben ungerechtfertigterweise privat statt kollektiv. Zynischerweise stellt die Fakultät Jenisch als grün dar. Dabei stammt das Geld der Zementfirma historisch aus dem Aspest-Business, das für Mensch und Umwelt insbesondere im Globalen Süden extrem schädliche Folgen hat(te). Trotzdem schlussfolgert die Fakultät: „Da die Zementindustrie energieintensiv und ein grosser Verursacher von CO2-Emissionen ist, seien Nachhaltigkeitsbemühungen in dieser Branche besonders wichtig und effektiv.“ Eine beschönigende und fragwürdigende Einschätzung. Immer wieder kommt es zu Fällen, wo LafargeHolcim gegen Richtwerte verstösst. So führte die Verletzung der ohnehin wenig strengen Emissionsnormen in Ewekoro (Nigeria) zur Schliessung einer der Hochöfen. In Montcada in Spanien wurde dem Zementwerk vom Obersten Gerichtshof in Katalonien kürzlich die Genehmigung zur Abfallverbrennung in unmittelbarer Nähe des Wohngebiets entzogen. Ein ähnlicher Fall befindet sich in Ravena Coeymans im Staat New York, wo im Zementwerk von LafargeHolcim neben einer Schule Altreifen zur Ofenbefeuerung verbrannt werden sollen – was zu Protesten und zur Gründung der «Clean Air Coalition» zum Schutz der Schulkinder geführt hat. Ausserdem ist zu bezweifeln, dass mit der gegenwärtigen Lohnstruktur von LafargeHolcim tatsächlich ein Anreiz besteht, das Wohlergehen von Mensch und Umwelt zu fördern. Gemäss einer kürzlich publizierten Studie zur Entlohnung in der Ölbranche schaffen lukrative Basisgehälter und Aktienoptionen eher einen Ansporn, sich dem Klimaschutz zu widersetzen. Die Parallelen zur Zementindustrie sind evident. Für CEO Jan Jenisch hängen Basislohn und Bonus von 4,6 Mio. CHF direkt mit der Stagnation oder sogar der Erhöhung des (absoluten) CO2-Fussabdrucks zusammen. Hingegen entfällt nur ein Drittel des langfristigen Anreizes auf Nachhaltigkeitskriterien. Das fördert über den hohen Aktienanteil der Entlohnung eher Aktienrückkäufe als Investitionen zur Reduktion des ökologischen Fussabdrucks des Unternehmens.
https://events.unifr.ch/dies/de/news/news/26186
https://multiwatch.ch/lafargeholcim-lukrative-gehaelter-fuer-missachtung-von-klimaschutz/
Was nun?
No Frontex! Aufruf an alle interessierten Migrant*innen
Das Migrant Solidarity Network leistet Widerstand gegen die europäische Grenzpolizei Frontex und sammelt Unterschriften für ein Referendum gegen Frontex. Wir leiten ihren Aufruf an Migrant*innen gerne weiter.
„Wenn wir 50’000 Unterschriften von Stimmberechtigten sammeln, gibt es in der Schweiz eine Abstimmung über diese Frage: Soll die Frontex von der Schweiz jedes Jahr 61 Millionen Franken für Grenzgewalt, Überwachung und Abschiebungen bekommen? Ja oder Nein?
Wegen dem Referendum hat das Migrant Solidarity Network im Moment viel Aufmerksamkeit. Medien wollen mit Migrant*innen über Frontex oder Grenzgewalt, Überwachung, Ausschaffungen sprechen. Journalist*innen stellen oft solche Fragen: Warum seid ihr gegen die Frontex? Was waren negative Erfahrungen mit Frontex? Habt ihr Beispiele oder sogar Beweise, die zeigen, dass die Frontex Gewalt gegen Migrant*innen anwendet oder illegale Sachen macht? Was wollt ihr der Politik in der Schweiz oder Europa sagen?
Hast du oder hat deine Gruppe Antworten auf die Fragen oder Kritik an Frontex, Grenzgewalt, Überwachtung, Abschiebungen? Melde dich gerne bei uns! Wir haben eine Website frontex-referendum.ch, Facebook, Twitter, Instagram und Kontakte zu Journalist*innen.
Wir wollen unbedingt die Stimmen der Migration und ihre Kritik an Frontex hörbar und spürbar machen! Zusammen können wir die Situation verbessern und Diskriminierungen bekämpfen.“
https://migrant-solidarity-network.ch/2021/11/09/no-frontex-aufruf-an-alle-interessierten-migrantinnen/
Free the #Samos2
In Griechenland werden zwei Menschen, die das Land auf der Flucht aus Afghanistan erreichten, kriminalisiert. Die Anklage gegen sie muss umgehend fallen gelassen werden.
Im November 2020 kenterte ein Boot mit Menschen auf der Flucht auf der Überfahrt von der Türkei nach Griechenland kurz vor der Insel Samos. Von den 24 Menschen an Bord überlebten 23 trotz unterlassener Hilfeleistung der griechischen Küstenwache. Ein 6-jähriger Junge, der sich mit seiner Familie auf dem Boot befand, ertrank. Der Vater des Jungen, N., wird, direkt nachdem er selbst gerade einen Schiffbruch überlebt und seinen Sohn verloren hat, verhaftet und wegen „Gefährdung des Kindeswohls“ angeklagt.
Ein anderer Überlebender, der 23-jährige Hasan, wird ebenfalls verhaftet, weil er angab, das Boot für einen Teil der Strecke gesteuert zu haben. Mit dem Vorwurf des „Menschenschmuggels“ drohen ihm eine lebenslange Haftstrafe für den Tod einer Person plus weitere 10 Jahre Haft für jede transportierte Person, also insgesamt 230 Jahre plus lebenslang.
Zahlreiche solidarische Gruppen machen nun auf den Fall aufmerksam. Es ist eine Webseite mit Informationen entstanden und eine Petition am Laufen, die bereits hunderte Menschen unterstützen. Zudem steht umfangreiches Kampagnenmaterial zur Unterstützung zur Verfügung. Helfen wir mit, es zu verbreiten.
Denn: Der Schiffbruch vom 7. November 2020 und der Tod von N.s Sohn waren weder die Schuld von N. und Hasan, noch war es eine unglückliche Tragödie. Sie sind das unmittelbare Ergebnis der zunehmenden Abschottungspolitik der EU, die den Menschen keine andere Wahl lässt, als ihr Leben und das ihrer Familien auf immer lebensgefährlicheren Reisen zu riskieren. N. und Hasan werden zum Sündenbock gemacht, um von der Verantwortung der EU für diese Todesfälle abzulenken und die Schuld auf diejenigen zu schieben, die bereits am meisten leiden.
Free the Samos Two: Alle Anklagen gegen N. und Hasan müssen fallengelassen werden. Das Reiseverbot für N. muss aufgehoben werden, damit er zu seiner Schwester nach Österreich reisen und dort etwas Trost finden kann. Wir fordern Freiheit für alle, die ungeachtet der Tatsache, dass es keine Alternative gibt, die Europäische Union zu erreichen, wegen des Steuern eines Bootes inhaftiert sind. Wir fordern ein Ende der Kriminalisierung von Migration und der Inhaftierung von Schutzsuchenden.

Bosnien: Crowdfunding für das FrachCollective
Das FrachCollective unterstützt seit Dezember 2020 Menschen auf der Flucht in Bihac, Bosnien. Diese Arbeit braucht Geld für Lebensmittel, Koch-Utensilien, Holz, Sim-Karten und vieles mehr. Wer das Geld hat, kann es ja teilen und sich am Crowdfunding beteiligen.

Das frachcollective ist ein selbstorganisiertes, basis-demokratisches und politisch arbeitendes Kollektiv in Bihać, Bosnien Herzegowina, einer Stadt nahe der kroatischen EU-Aussengrenze, die sich zum Flaschenhals für flüchtende Menschen auf der Balkanroute entwickelt hat. Die flüchtenden Menschen leben in zusammengefallenen Gebäuden oder einfachen Zelten. Immer wieder werden solche Strukturen von der Polizei abgebrannt, geräumt und die Menschen in das abgelegene Lipa Camp gebracht, welches fernab von der Bevölkerung einen schlechten Ausgangspunkt für den Grenzübertritt bietet.
Die Arbeit des Kollektivs besteht aus Kontakt mit den POM (people on the move = Menschen auf dem Weg), verpacken von Lebensmitteln und Kleidung, sowie verteilen dieser lebensnotwendigen Dinge. Das Kollektiv stellt einen essenziellen Teil der humanitären Hilfe dar, die von öffentlichen Institutionen oft nur fahrlässig dargeboten wird, wodurch fast allen die Aussicht auf ein lebenswertes Leben verwehrt bleibt.
https://wemakeit.com/projects/frachcollective
https://frachcollective.noblogs.org/
Wo gabs Widerstand?
Zug: Soliaktion gegen Solway
In Solidarität mit den Protesten in Guatemala besuchten Aktivist*innen den Hauptsitz von Solway. Sie haben Poster und Banner aufgehängt, eine Rede abgespielt und Flyer verteilt. Damit solidarisieren sie sich mit dem Protest in El Estor. Seit dem 4. Oktober blockieren Einwohner*innen in El Estor in Guatemala die Zufahrtsstrasse zu einer Nickelmine. Die Mine führt zu grosser Umweltverschmutzung in der Region sowie zu Landraub und Zwangsräumungen der dort lebenden Menschen. Betrieben wird die Mine von der Firma CGN (Compañia Guatemalteca de Niquel de Izabal), einer Tochterfirma von Solway Investment mit Sitz in Zug.

Laut einem Entscheid des Verfassungsgerichts in Guatemala im Jahr 2019 müsste Solway Investment für den weiteren Betrieb der Mine eine Volksbefragung durchführen und dadurch auch die Stimmen der lokalen Bevölkerung anhören. Da dies bis heute nicht geschehen ist, gibt es momentan grossen Widerstand gegen die Nickelmine, welche der dort lebenden indigenen Bevölkerung ihr Land und ihre Lebensgrundlage wegnimmt. Der Protest wird seit einigen Wochen enorm stark kriminalisiert und bekämpft. Das Protestcamp wurde von Polizeieinheiten gewaltvoll geräumt, es gab viele Verletzte. Seit letzter Woche gilt für den betroffenen Landkreis der Ausnahmezustand. Das bedeutet Ausgangssperre von 18.00 bis sechs Uhr morgens sowie ein weitestgehendes Verbot von Demonstrationen und Versammlungen. Zudem darf die Polizei Festnahmen und Hausdurchsuchungen ohne richterliche Anordnung durchführen. Auch die Armee war unter anderem mit zwei Militärhubschraubern und Schnellbooten im Einsatz. Momentan patroullieren etwa 500 Soldat*innen und 350 Polizist*innen auf den Strassen der mehrheitlich von indigenen Maya bewohnten Stadt El Estor.
https://barrikade.info/article/4835
Kein Vergessen dem Tod von Rita O.
Vor mehr als 2 Jahren wurde Rita O. in einer Geflüchtetenunterkunft in Deutschland ermordet. Bis heute ohne Aufklärung und ohne Konsequenzen. Women in Exile & Friends, der Flüchtlingsrat Brandenburg und die Opferperspektive lassen den Behörden ein Verschleppen der Aufklärung nicht durchgehen.

Mit einer Pressemitteilung wenden sich die Organisationen erneut an die Öffentlichkeit: «Der Skandal um den bis heute nicht aufgeklärten Tod von Rita O. in der Sammelunterkunft für Geflüchtete in Hohenleipisch steht symptomatisch für die unzureichende Umsetzung der Istanbul-Konvention in Bezug auf geflüchtete Frauen und Mädchen in Brandenburg. Bis heute ist das Verfahren nicht abgeschlossen, geschweige denn wurde Anklage erhoben. Es entsteht der Eindruck, dass die Ermittlungsbehörden kein Interesse an der Verfolgung der Tötung von Rita O. haben und dass eine Anklageerhebung staatlicherseits verschleppt wird, in der Hoffnung, der Skandal um ihre Tötung und die katastrophalen Ermittlungsarbeiten würde in Vergessenheit geraten.
Die Unterbringung in Hohenleipisch, wie auch in anderen Gemeinschaftsunterkünften und Erstaufnahmeeinrichtungen, ist für Frauen und Mädchen nicht sicher. Rita O.s Fall zeigt, was schlimmstenfalls passieren kann, wenn Frauen, die mitteilen in Gefahr zu sein, nicht geglaubt wird, Gewaltschutzkonzepte nicht wirken und geflüchtete Frauen gegen ihren Willen in Sammelunterkünften leben müssen.
Rita O., die 32-jährige Mutter zweier Kinder verschwand Ende April 2019 aus ihrem Zimmer in der isoliert im Wald gelegenen Unterkunft in Hohenleipisch, Landkreis Elbe-Elster. Zuvor hatten sich Rita O. und andere Frauen aus der Gemeinschaftsunterkunft sich mehrfach über einen Mann beschwert, vor dem sie Angst hatten. Auf ihre Besorgnisse war nicht eingegangen worden. Es gibt eine Reihe von Anhaltspunkten dafür, dass Rita O. Opfer eines Verbrechens durch diesen Mann, der eine Beziehung mit ihr führen wollte, geworden ist. Unter anderem berichtete ihr Sohn sehr zeitnah, dass dieser Mann seine Mutter niedergeschlagen und dann mitgenommen habe. Trotz dieser Anhaltspunkte setzte die herbeigerufene Polizei nicht alle Hebel in Bewegung, um Rita zu suchen und ggf. zu retten, sondern behauptete, z.T. mit deutlich sexistischen und rassistischen Untertönen, dass es eher wahrscheinlich sei, dass sich die junge Frau abgesetzt hätte, um woanders ein neues Leben zu führen. Nicht einmal der Umstand, dass sie ihre beiden kleinen Kinder allein gelassen hatte, obwohl sie von allen als stets fürsorglich beschrieben wurde, veranlasste Polizei bzw. Staatsanwaltschaft, die Ermittlungen zu intensivieren. Erst nach massivem zivilgesellschaftlichem Druck wurde viele Wochen nach Ritas Verschwinden der Wald um das Heim durchsucht und in 300 Metern Entfernung zur Sammelunterkunft die sterblichen Überreste von Rita O. gefunden. Wichtige Spuren und Beweise waren zu diesem Zeitpunkt nicht mehr vorhanden. Dennoch besteht nach Aussage der Anwältinnen der Familie von Rita O. ein hinreichender Tatverdacht gegen den Mann, von dem sich Rita O. bedroht fühlte.»
Die Organisationen fordern weiterhin die Aufklärung der Umstände, die zu Rita O.s Tod ermöglichten. Das Versagen der Strafverfolgungsbehörden bei dessen Aufklärung muss juristisch und politisch untersucht und aufgearbeitet werden. Geflüchtete Frauen und Mädchen sollen in Wohnungen statt in Sammelunterkünften untergebracht werden. Solange dies nicht ermöglicht wird, braucht es wirksame und regelmässig überprüfte Gewaltschutzkonzepte und eine konsequente Umsetzung der Istanbul-Konvention in allen Bereichen.
https://www.opferperspektive.de/aktuelles/ritas-tod-aufklaeren
https://www.youtube.com/watch?v=tdZV-o8kdJY
Frankreich: Hungerstreik gegen das Grenzregime
In Calais traten drei Aktivist*innen am 11. Oktober in einen Hungerstreik gegen das rassistische Grenzregime. Während die beiden jüngeren Aktivist*innen den Hungerstreik fortsetzen, beendete der 72-jährige Jesuit Philippe Demeestère am 4. November seinen Hungerstreik. „Für mich war dieser Hungerstreik ein Mittel, um die Unbeweglichkeit aufzurütteln, um den höllischen Mechanismus zu stoppen, der Migrant*innen in Calais einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung aussetzt“, schreibt er in einer Stellungnahme.
https://linktr.ee/faimauxfrontieres
https://www.voxpublic.org/Kit-de-mobilisation-citoyenne-soutien-aux-grevistes-de-la-faim-de-Calais.html?lang=fr
https://www.voxpublic.org/Communique-de-Philippe-Demeestere-a-Calais.html?lang=fr
Lesens -/Hörens -/Sehenswert
https://verfassungsblog.de/os2-war/
Die europäische feministische Petition fordert eine konsequente Anerkennung der besonderen Asylgründe für Frauen, Mädchen und LGBTIQA+ Personen.
https://beobachtungsstelle.ch/news/feminist-asylum-petition-lanciert/