Medienspiegel 22. Oktober 2021

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++AARGAU
Freiwillige helfen Flüchtlinge bei der Integration: «Ich war auch neugierig», sagt eine Mentorin
Die Regionale Integrationsfachstelle und das Rote Kreuz sind immer wieder auf der Suche nach Mentorinnen und Mentoren, die als Bezugspersonen für geflüchtete Menschen agieren. Zwei Gottis aus der Region erzählen, warum das eine gute Sache ist.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/aarau/aarau-fluechtlinge-koennen-hier-auf-die-hilfe-von-freiwilligen-zaehlen-es-ist-ein-geben-und-ein-nehmen-ld.2204592


+++SCHWEIZ
Bundesverwaltungsgericht ignoriert prekäre Lage für Asylsuchende in Italien
Das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) stützt einen Entscheid des Staatssekretariats für Migration (SEM) zur Abschiebung einer alleinstehenden Mutter mit Kleinkind nach Italien. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) kritisiert dieses neue Referenzurteil. Er widerspricht den Erkenntnissen und Recherchen der SFH, welche die nach wie vor prekären Bedingungen für Asylsuchende und die Mängel im italienischen Unterbringungssystem belegen. Die SFH hält daher an ihrer Empfehlung an die Behörden fest, von Überstellungen nach Italien abzusehen.
https://www.fluechtlingshilfe.ch/medienmitteilungen/bundesverwaltungsgericht-ignoriert-prekaere-lage-fuer-asylsuchende-in-italien


Dublin-Verfahren: Familien dürfen wieder nach Italien überstellt werden
Nachdem Italien das «Salvini-Dekret» rückgängig gemacht hat, darf die Schweiz im Rahmen der Dublin-Bestimmungen wieder Familien mit minderjährigen Kindern nach Italien überstellen. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in einem Referenzurteil entschieden.
https://www.bvger.ch/bvger/de/home/medien/medienmitteilungen-2021/dublinverfahren.html
-> https://www.derbund.ch/rueckweisungen-von-familien-mit-kindern-nach-italien-zulaessig-271985535781


Migrations-Zusammenarbeit im Zentrum eines Arbeitsbesuchs von Bundesrätin Keller-Sutter in Griechenland
Anlässlich eines Arbeitsbesuchs in Griechenland hat Bundesrätin Karin Keller-Sutter am 22. Oktober 2021 Asyl- und Migrationsminister Notis Mitarachi sowie den stellvertretenden Bürgerschutzminister Eleftherios Oikonomou getroffen. In Athen besuchte die Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) zudem eine Unterkunft für unbegleitete minderjährige Mädchen sowie die Einrichtung Mavrovouni auf der griechischen Insel Lesbos.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-85567.html
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/bundesraetin-keller-sutter-auf-der-balkanroute?partId=12076797


+++MITTELMEER
Sea-Watch darf mit geretteten Migranten in Sizilien anlegen
Die «Sea-Watch 3» darf nun im Hafen in Pozzallo anlegen. Auf dem Seenotretter-Schiff sind mehr als 400 Migranten an Bord.
https://www.nau.ch/news/europa/sea-watch-darf-mit-geretteten-migranten-in-sizilien-anlegen-66028165


+++EUROPA
Flüchtende hinter Stacheldraht: Wie die EU den Bau von Lagern unterstützt
Nach dem Brand des Lagers in Moria werden Flüchtende auf den griechischen Inseln in neue Lager gebracht, die Gefängnissen ähneln. Von uns veröffentlichte Dokumente zeigen: Die EU-Grundrechteagentur warnte lange vor den Lagern. Und Deutschland hilft beim Aufbau.
https://fragdenstaat.de/blog/2021/10/22/das-neue-moria/


»Brandgefährlich für die Rechtsstaatlichkeit in Europa«
Griechenland hat die Türkei für Flüchtlinge aus fünf Ländern zum »sicheren Drittstaat« erklärt. Welche Konsequenzen das hat und warum sie gerichtlich dagegen vorgeht, erklärt die griechische Rechtsanwältin Yiota Massouridou von Refugee Support Aegean im Interview mit PRO ASYL.
https://www.proasyl.de/news/brandgefaehrlich-fuer-die-rechtsstaatlichkeit-in-europa/


EU-Gipfel: kein Konsens in der Migrationspolitik
Am EU-Gipfeltreffen in Brüssel haben einige Mitgliedsstaaten einen Grenzzaun zu Belarus gefordert, andere härtere Sanktionen gegen das belarussische Regime von Alexander Lukaschenko. Fruchtbar war die Diskussion nicht. Es muss weiter nach einer gemeinschaftlichen Antwort gesucht werden.
https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/eu-gipfel-kein-konsens-in-der-migrationspolitik?partId=12076800
-> https://www.derstandard.at/story/2000130664086/eu-setzt-bei-migration-auf-drittlaender?ref=rss


+++LIBYEN
Libyscher Hilfsplan für Asylsuchende und Flüchtlinge dringend nötig
UNHCR fordert die libysche Regierung auf, die katastrophale Lage von Asylsuchenden und Flüchtlingen unverzüglich zu verbessern. Die Ankündigung der Wiederaufnahme der humanitären Evakuierungsflüge wird begrüßt.
https://www.unhcr.org/dach/de/70373-libyscher-hilfsplan-fuer-asylsuchende-und-fluechtlinge-dringend-noetig.html


+++FREIRÄUME
Gemeinderat genehmigt zweijährige Leistungsverträge
Der Gemeinderat hat die zweijährigen Leistungsverträge mit dem Verein Jugend- und Kulturzentrum Gaskessel Bern und der Vereinigung Berner Gemeinwesenarbeit (VBG) zuhanden des Stadtrates genehmigt.
https://www.bern.ch/mediencenter/medienmitteilungen/aktuell_ptk/gemeinderat-genehmigt-zweijaehrige-leistungsvertraege


+++DROGENPOLITIK
Legalisierung von Cannabis: Polizei-Verband spricht von Salamitaktik
Die Weichen für die Legalisierung von Cannabis sind gestellt. Weniger erfreut darüber ist die Polizei. Sie bleibt skeptisch gegenüber den Plänen der Politik.
https://www.nau.ch/news/schweiz/legalisierung-von-cannabis-polizei-verband-spricht-von-salamitaktik-66027939


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Internationaler Aufruf: Rund 2000 Klimastreikende versammeln sich auf Bundesplatz
Demonstrierende für einen Klimastreik ziehen durch die Berner Innenstadt. Zum Event vom Freitag wurde international aufgerufen.
https://www.derbund.ch/klimastreik-ueber-500-personen-versammeln-auf-bundesplatz-517935103079
-> https://www.bernerzeitung.ch/klimastreik-ueber-500-personen-versammeln-auf-bundesplatz-517935103079
-> https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/194434/
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/freitag-ist-klimastreik-tag-mehrere-tausend-personen-demonstrieren-auf-dem-berner-bundesplatz
-> https://www.telebaern.tv/telebaern-news/kurzmeldungen-144109138
-> https://www.tele1.ch/nachrichten/klimastreik-unter-anderem-in-bern-144109031
-> https://www.blick.ch/schweiz/fridays-for-future-weltweite-klima-demo-auch-in-der-schweiz-id16928015.html
-> https://twitter.com/__investigate__
-> https://twitter.com/klimastreik
-> https://mailchi.mp/climatestrike/weltweite-proteste-fr-klimagerechtigkeit



derbund.ch 22.10.2021

Klimaaktivistin aus dem Emmental: «Wir diskutieren, ob wir radikalere Aktionen machen wollen»

Vor der Klimademo bedauert Aktivistin Meret Schefer, dass ihre Bewegung im Schatten des Corona-Protests steht. Auch radikalere Massnahmen sind für sie kein Tabu.

Damaris Hohler

Meret Schefer, die Gegner der Corona-Massnahmen nehmen aktuell sehr viel Raum ein. Die Klimastreiks dagegen haben nur noch geringe Resonanz. Wie wollen Sie reagieren?

Die Demonstrationen der Gegner der Corona-Massnahmen werden teilweise mit unseren Klimademonstrationen verwechselt. Das ist extrem problematisch, da unsere Bewegung sehr friedlich und farbig ist. Ich verstehe es, wenn die Leute dadurch etwas demonstrationsmüde werden. Gleichzeitig möchte ich nicht auf unsere Klimastreiks verzichten, weil sie so wichtig sind.

Ärgert es Sie, dass die Pandemie in den Medien so viel Beachtung erhält?

Den Raum, den die Pandemie in den Medien einnimmt, finde ich verrückt. Viele Onlinezeitungen haben beispielsweise eine eigene Corona-Frontseite. Die Klimakrise, die ja schlussendlich die bedeutend grössere Krise ist, war nie so präsent. Das bereitet mir schon Sorgen. Die Pandemie hat zudem gezeigt: Wenn man hier auf die Wissenschaft hören kann, kann man das auch bei der Klimakrise tun. Letztere ist schliesslich schon viel länger und besser erforscht.

Heute Freitag findet auf dem Bundesplatz zum ersten Mal seit längerem eine nationale Klimademo statt. Was wollen Sie damit erreichen?

Wir möchten primär auf die Weltklimakonferenz aufmerksam machen, die Ende Oktober beginnt. Seit der ersten Konferenz im Jahr 1995 ist praktisch nichts passiert, und die Emissionen sind weiter gestiegen. Und wenn etwas festgelegt wird, wie das Pariser Klimaabkommen, fehlt die Verbindlichkeit. Mit der Klimademonstration möchten wir Druck ausüben auf die Verhandlungen. Wir brauchen endlich Taten statt Worte.

Sind Demonstrationen für die Klimabewegung immer noch ein wirkungsvolles Instrument?

Ob Demonstrationen langfristig unser wichtigstes Mittel bleiben, weiss ich nicht. Wir sind jetzt seit drei Jahren am Demonstrieren und es ist noch viel zu wenig passiert – uns bleiben nur noch acht Jahre bis 2030. Wir diskutieren intern gerade intensiv darüber, wie wir weitermachen wollen. Wir stecken in einem Zwiespalt: Wollen wir radikalere Aktionen machen oder stärker mit der breiten Bevölkerung reden? Diese Frage finde ich megaschwierig zu beantworten.

Welche Massnahmen braucht es, damit unser ökologischer Fussabdruck kleiner wird?

Diese ständige Diskussion um den ökologischen Fussabdruck ist problematisch. Das Ganze ist eine Erfindung der Konzernlobby: Es lenkt ab von den Verbrechen der grossen Konzerne und schiebt die Verantwortung hin zu den Individuen. Das finde ich ziemlich gewagt. Wie die Studie «Carbon Majors Report» aus dem Jahr 2017 zeigt, sind 100 grosse Konzerne allein für 71 Prozent der globalen Emissionen verantwortlich. In unserem System ist es zudem für jeden Einzelnen sehr schwierig, mit einem kleinen Fussabdruck zu leben. Wer diesen verkleinern möchte, braucht gewisse Privilegien: Bildung, Zeit, finanzielle Mittel. Die Politik muss deshalb einen Rahmen schaffen, in dem sich alle Individuen ökologisch verhalten können.

Sie sagen, die Konzerne hätten Verbrechen begangen. Wie begründen Sie diesen happigen Vorwurf?

Es ist nicht vermessen, von Verbrechen zu sprechen. Konzerne haben etwa durch Bauprojekte in Gebieten, die der Lebensraum indigener Völker waren, Unrecht begangen. Zudem haben viele Grossunternehmen die Umwelt in anderen Ländern ausgebeutet. Und der Schweizer Finanzplatz investiert in Projekte, die Lebensgrundlagen zerstören

Glauben Sie daran, dass die Politik die Klimakrise in absehbarer Zeit lösen kann?

Es ist realistischer, dass die Politik etwas bewirkt, als dass wir genügend schnell unser System wandeln können. Der neuste IPCC-Bericht zeigt: Netto null bis 2030 ist möglich und notwendig. Es wurde wirklich genug geforscht. Jetzt fehlt nur noch der politische Wille. Die Bevölkerung kann noch so viele Bambuszahnbürsten kaufen und weniger Auto fahren – schlussendlich braucht es politische Massnahmen.

Die Bernerinnen und Berner haben jüngst die Klimaneutralität bis 2050 in der Kantonsverfassung verankert. Ein Grund zur Hoffnung?

Dieses Ziel stimmt mich nicht wahnsinnig hoffnungsvoll. Netto null bis 2050 genügt bei weitem nicht. Zudem ist das nur in der Verfassung verankert, es wurde also noch kein Weg definiert, wie wir dieses Ziel erreichen können. Dazu könnte sich der Berner Regierungsrat an unserem Climate-Action-Plan orientieren.



Aktivistin aus dem Emmental

Die Emmentalerin Meret Schefer war von Anfang an in der Klimabewegung aktiv. «Die Klimakrise bereitet mir schon lange Sorgen. Durch den Klimastreik kann ich aktiv zu einer Veränderung beitragen», begründet sie ihr Engagement. Der Klimastreik habe ihr eine Gelegenheit zum Handeln gegeben.

Die 18-Jährige hat kürzlich das Gymnasium abgeschlossen und ist in ihrem Zwischenjahr hauptsächlich als Aktivistin tätig, teilweise mit einem Arbeitsaufwand von bis zu 60 Prozent. Sie engagiert sich in unterschiedlichen regionalen sowie nationalen Arbeitsgruppen und ist Mitorganisatorin der Klimademonstration, die heute Freitag stattfindet. (dh)
(https://www.derbund.ch/wir-diskutieren-ob-wir-radikalere-aktionen-machen-wollen-350481443615)



Tausende demonstrieren in Basel und der Schweiz für Klimaschutz
Rund eine Woche vor Beginn der Weltklimakonferenz in Glasgow ist die Klimastreikbewegung am Freitag auch in der Schweiz auf die Strasse gegangen.
https://telebasel.ch/2021/10/22/klimastreikbewegung-demonstriert-auf-dem-bundesplatz/?utm_source=lead&utm_medium=carousel&utm_campaign=pos%207&channel=105105


Kleine Anfrage Jemima Fischer (AL): Wie rechtfertigt der Gemeinderat die Partnerschaft von Bern Welcome mit dem Fernweh Festival, wenn dieses einen Kulturabend – veranstaltet von der belarussischen Botschaft und damit direkt vom Lukaschenko-Regime – als Programmteil aufnimmt?
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=7f6df3dc872e406bbfc739bd1e8489bb


LU: Demo gegen Gewalt an Frauen
https://www.tele1.ch/nachrichten/demo-gegen-gewalt-an-frauen-144108983


+++BIG BROTHER
Ex-Datenschutzbeauftragter verteidigt Covid-19-Gesetz
Ein linkes Komitee um Autorin Sybille Berg macht Stimmung gegen das Covid-19-Gesetz. Sie habe sich aber verrannt, sagt der ehemalige Datenschutzbeauftragte.
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/ex-datenschutzbeauftragter-verteidigt-covid-19-gesetz-66028150


+++POLIZEI SG
Wie geht die Kantonspolizei mit Corona-Skeptikern in den eigenen Reihen um? (ab 08:05)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/der-bodensee-im-wandel?id=12076764


+++POLIZEI DE
Studien zu Rassismus bei der Polizei: Wenn Soziologen im Streifenwagen mitfahren
Wie rassistisch ist die Polizei? Dieser Frage gehen mehrere Forschungsteams in Bund und Ländern nach. Zum Teil mit ungewöhnlichen Methoden.
https://www.spiegel.de/panorama/justiz/studien-zu-rassismus-in-der-polizei-wenn-soziologen-im-streifenwagen-mitfahren-a-996b5a35-8eb2-476b-ae90-73afbd583ca7


+++HISTORY
Christenwehr mit übler antisemitischer Propaganda
Als versucht wurde mit Lügen die Wahl von Juden in die Behörden zu verhindern
Vor hundert Jahren machte sich in St.Gallen die «Schweizer Christenwehr, Gruppe St.Gallen» mit diversen antisemitischen Pamphleten bemerkbar. Vor allem versuchte sie, die Wahl von Juden in verschiedene Gremien zu verhindern. Wie die Bürgerwehr, die sich als polizeiliche Hilfstruppe «unter Ablehnung des Klassenkampfes» verstand, verschwand die Organisation schon Mitte der zwanziger Jahre wieder.
https://www.st-galler-nachrichten.ch/st-gallen/detail/article/christenwehr-mit-uebler-antisemitischer-propaganda-00205296/


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Ein Einfallstor für Geheimdienste? Die grössten Mythen um das Covid-Zertifikat
Eine Gruppe von linken, technologie¬kompetenten Kritikerinnen behauptet, mit der Zertifikats¬pflicht werde digitale Massen¬überwachung möglich. Stimmt das?
https://www.republik.ch/2021/10/22/ein-einfallstor-fuer-geheimdienste-die-groessten-mythen-um-das-covid-zertifikat


Das sagen die Befürworter zum Ja-Trend fürs Covid-Zertifikat: «Wir fangen mit der Kampagne erst an»
Es sieht laut Umfragen gut aus für das Covid-Zertifikat und schlecht für dessen Gegner. JSVP-Präsident David Trachsel wirft die Flinte aber noch nicht ins Korn.
https://www.blick.ch/politik/das-sagen-die-befuerworter-zum-ja-trend-fuers-covid-zertifikat-wir-fangen-mit-der-kampagne-erst-an-id16928483.html


Wirbel um «Wir für euch»-Video: Das droht den Skeptiker-Polizisten
Das Video der Gruppe «Wir für euch» sorgt mächtig für Wirbel. Vermeintliche Polizisten stellen sich gegen die geltenden Corona-Massnahmen, Seite an Seite mit Corona-Skeptikern. Damit riskieren die Beamten im schlimmsten Fall ihren Job.
https://www.blick.ch/schweiz/wirbel-um-wir-fuer-euch-video-das-droht-den-skeptiker-polizisten-id16928832.html
-> https://www.20min.ch/story/polizist-aus-wir-fuer-euch-video-droht-disziplinarverfahren-853624503690
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/der-bodensee-im-wandel?id=12076764 (ab 08:05)


Trotz öffentlicher Brandrede an einer massnahmenkritischen Demonstration: Schwyzer SVP-Kantonsrat wird nicht aus der Partei ausgeschlossen. (ab 01:25)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/die-lehren-aus-dem-gotthardbrand-vor-20-jahren?id=12076785


Nachrichtendienst Telegram: Teilchenbeschleuniger des Hasses
Die Streitkultur in den Sozialen Medien ist seit Ausbruch der Pandemie zusätzlich vergiftet. Politiker*innen werden angegriffen, auch der Basler Impfbus wurde bedrängt. Warum kippt die Stimmung manchmal so schnell und welche Rolle spielen dabei digitale Echokammern wie Telegram? Der Versuch einer Einordnung.
https://bajour.ch/a/4zJ0x3uLtCZbE6KY/warum-kritiker-der-corona-massnahmen-telegram-nutzen


Coronavirus: «Freiheitstrychler» unterstützen Demos in Liechtenstein
Auch im Fürstentum Liechtenstein gehen Gegner der Massnahmen gegen das Coronavirus auf die Strasse. Diese werden von den «Freiheitstrychlern» unterstützt.
https://www.nau.ch/news/europa/coronavirus-freiheitstrychler-unterstutzen-demos-in-liechtenstein-66027069


Krankheitsbild „Hass im Netz“ – chronisch oder behandelbar?
Corona und Impfung, Klimapolitik und gesellschaftliche Verantwortung, Migration und Rassismus, Gleichstellung und Mobbing – die Liste lässt sich leicht fortsetzen. Große Themen für einen meinungsvielfältigen Diskurs, tatsächlich aber längst der tägliche Sprengstoff für Gewalt im Netz. Der moralische Kompass wird durch ein zunehmend polarisierendes Magnetfeld gestört. Gesellschaftliche, politische, wirtschaftliche und gesetzliche Initiativen versuchen gegenzusteuern und bezeugen so das Problem.
https://www.youtube.com/watch?v=MXCPDhk-3XY


Josef Ender zum «Covid-19-Gesetz» – 10vor10
Trotz lautstarker Proteste scheint das «Covid-19-Gesetz» zurzeit grossen Rückhalt bei der Stimmbevölkerung zu haben. Was sagen die Gegner dazu? Antworten gibt Josef Ender, Sprecher des Referendumskomitees.
https://www.srf.ch/play/tv/10-vor-10/video/fokus-josef-ender-zum-covid-19-gesetz?urn=urn:srf:video:50ac9d98-3b48-42db-8ac2-2ead3154baa2



tagblatt.ch 22.10.2021

Cyrill Villiger: «Wir sind rund hundert Freiheitstrychler»

Cyrill Villiger aus Lauerz ist ein Freiheitstrychler der ersten Stunde. Er erzählt, wie die Bewegung entstanden ist.

Andreas Seeholzer

Die Bilder von Bundesrat Ueli Mauer in einem Hirthemd der Freiheitstrychler schlugen hohe Wellen. Die Freiheitstrychler gehen aus dem Kanton Schwyz hervor. Exponenten sind Andy Benz aus dem Wäggital und der Lauerzer Cyrill Villiger.

Wie sind Sie zum Trychlen gekommen?

Cyrill Villiger: Die Greifler haben mich immer fasziniert, mit 15 bin ich dem Dorfverein beigetreten. Ich hatte immer schon Freude am Brauchtum.

Wie kamen Sie vom Trychler zum Freiheitstrychler?

Schon zu Beginn von Corona hatte ich viele Fragen und informierte mich. Vor dem zweiten Lockdown bin ich in Zürich zum ersten Mal an eine Kundgebung gegangen. Beim zweiten Mal ging ich mit meinen Kollegen auf den Helvetiaplatz. Es galt Maskenpflicht und ich sah, wie die Polizei eine alte Frau ohne Maske wegtrug. Dass man in der freien Schweiz wegen einer Maske so grob mit Leuten umgeht, hat mich verärgert. Wir haben uns entschieden, bei der nächsten Kundgebung anders aufzutreten. Auf dem Helvetiaplatz lernten wir ein paar Wäggitaler kennen, unter anderen Andy Benz.

Wo war diese nächste Kundgebung?

In Einsiedeln fand die erste Kundgebung im Kanton Schwyz statt. Ich und ein paar Kollegen entschieden uns, mit den Trychlen hinzugehen. Wir waren etwa zwölf Trychler – aber noch nicht die Freiheitstrychler – und hatten teilweise Hirthemden der Vereine an, denen wir angehören. Nach der Kundgebung in Lachen sassen wir zusammen und gründeten eine Chatgruppe, um uns besser zu organisieren. Diese Chatgruppe wurde Freiheitstrychler genannt. Mit dem Chat begannen wir auch, Leute zu rekrutieren.

Es gibt also heute auch Freiheitstrychler, die vorher nicht in einem Greiflerverein Mitglied waren?

Ja, es hat beides.

Wie ging es weiter?

An den Kundgebungen waren wir dann stets präsent. Jene in Altdorf war verboten worden. Wir wollten uns das nicht bieten lassen, entschieden, uns die Versammlungsfreiheit nicht nehmen zu lassen. Ein paar von uns hatten das Hirthemd des jeweiligen Vereines an, was dann dazu führte, dass die Präsidenten der betroffenen Vereine uns baten, nicht mehr die offiziellen Hirthemden der Vereine zu tragen.

Die Vereine sind ja auch nicht politisch.

Ja.

Und dann?

Wir haben dann entschieden, eigene Hirthemden herstellen zu lassen.

Und darauf stand dann: Freiheitstrychler.

Ja.

Die Freiheitstrychler sind also sozusagen im Kanton Schwyz geboren worden?

Ja, das ist so. Schwyz war schon immer eine Hochburg des Brauchtums, wie auch des Widerstandes gegen Anordnungen von Politik und Behörden. Deshalb ist es naheliegend, dass die Freiheitstrychler in Schwyz entstanden sind.

In den Schweizer Medien hiess es, dass euer Webmaster auch Pages für die rechte Szene macht. Stimmt das?

Ein Kollege von Andy Benz macht die Page im Auftrag, ich kann mir aber nicht vorstellen, dass er zur rechtsextremen Szene gehört. Wenn es so wäre, dann weiss ich es nicht. Aber es ist schon so, wir sind Patrioten, wollen zum Beispiel nicht in die EU. Andererseits haben wir auch Ausländer bei uns, einen Albaner zum Beispiel, einen Bolivianer, drei Türken, zwei bis drei Deutsche und eine Italienerin.

Wie geht es mit den Ausländern im Hirthemd?

Sehr gut, ich sagte oft, die sind mehr Eidgenosse als manch anderer, der sich nicht traut, den Hintern zu heben. Für uns ist das Rechts-Links-Denken sowieso überholt – der Mensch zählt.

Wo werden die Hemden hergestellt?

Im Wäggital.

Ihr habt eine Homepage und die Hirthemden als Erkennungsmerkmal. Welche Marketing-Instrumente habt ihr noch?

Den Telegram-Kanal und Whatsapp für die Kommunikation sowie Filme, die von unseren Auftritten gemacht werden.

Ist es ein Verein?

Nein, eine lose Bewegung. Im kleinen Rahmen von zwölf Personen besprechen wir das weitere Vorgehen und tragen die Informationen dann über Whatsapp oder Telegram an die rund hundert Freiheitstrychler weiter.

Bekommt ihr als Freiheitstrychler Spenden?

Ja. Wie gross die Unterstützung aus der Bevölkerung ist, kann man am Spendenbarometer auf unserer Homepage sehen. Wir bekamen in den letzten Monaten nahe an die 50’000 Franken. Den grösseren Teil investieren wir in eigene Trycheln, wir haben auch einen Anhänger gekauft.

Haben die Freiheitstrychler eine Spende von Christoph Blocher erhalten?

Nein, ich weiss nichts davon, aber das wäre schon was, vielleicht kommt das noch. Nein – im Ernst – das Geld reicht, um die Hirthemden bezahlen zu können und dass zwischendurch nach einer Kundgebung ein Bier drinliegt.

Können die Hirthemden bestellt werden?

Nein, die geben wir nur persönlich den Leuten, zu denen wir das Vertrauen haben.

Ueli Maurer, der medienwirksam ein Hirthemd der Freiheitstrychler mit Schwyzer Wappen trug, war dann wohl der mediale Höhepunkt?

Ja, wahrscheinlich schon.

Wie stehen Sie zu Gewalt an Kundgebungen?

Als Trychler sind wir immer friedlich aber selbstbewusst unterwegs, wie sollen wir mit einem bis zu 20 Kilogramm schweren Geläut beladen, Gewalt anwenden? Gewalt, egal in welcher Art und von welcher Seite, hat in einer Demokratie nichts zu suchen.

Missbrauchen die Freiheitstrychler das Brauchtum?

Ich glaube das Trychlen hat eine tiefere Bedeutung als an drei Königen eine Runde zu drehen und dann in die Beiz zu verschwinden. Unseren Vorfahren ist es um mehr gegangen, nämlich die bösen Geister auszutreiben und einander Mut zu machen. Für uns ist ein Ritual, um die bösen Geister der Angst austreiben: Die Angst vor dem Virus, vor Repressalien und davor, die eigene Meinung zu sagen.
(https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/schwyz/interview-cyrill-villiger-wir-sind-rund-hundert-freiheitstrychler-ld.2204329)


+++KNAST
derbund.ch 22.10.2021

Wenn das eigene Kind im Knast ist: Herr K. und sein Sohn Brian

Wie hält man es aus, wenn man der Vater des wohl bekanntesten Gefängnisinsassen der Schweiz ist? Eine Begegnung.

Liliane Minor

Kürzlich hat Herr K. dem Direktor der Zürcher Justizvollzugsanstalt Pöschwies, Andreas Naegeli, einen Brief geschrieben. Handschriftlich, wie er das immer tut. Es ist ein wütender Brief, ein enttäuschter Brief.

«Unser Sohn ist jetzt seit dem 1. März 2016 – also 5½ Jahre – im Gefängnis (wofür eigentlich?). In diesen 5½ Jahren fand kein Schulunterricht statt, keine andere Beschäftigung, kurzum: ES WURDE NIE WAS ZUR RESOZIALISIERUNG UNTERNOMMEN. Dies alles, weil das Amt für Justizvollzug und Wiedereingliederung unseren Sohn als gefährlichen Intensivtäter einstuft. Dies entspricht nicht der Realität.»

Herr K., 74, ein etwas untersetzter Herr mit raspelkurzem weissem Haar und fröhlichem Lachen, ist der Vater des wohl bekanntesten Gefängnisinsassen der Schweiz. Sein Sohn heisst Brian, auch bekannt ist er unter dem Pseudonym Carlos.

Das hier ist die Geschichte von Herrn K., dessen einziges Kind schon im zarten Alter von zehn Jahren ins Gefängnis gesteckt wurde – jemand hatte Brian fälschlich der Brandstiftung beschuldigt. Mit siebzehn wurde Herrn K.s Sohn zum Protagonisten einer beispiellosen medialen und politischen Schlammschlacht. Und noch heute ist Brian für manche ein Monster, das für immer weggesperrt gehört. Rechtskräftig verurteilt wurde er bisher zweimal: für eine Messerstecherei im Teenager-Alter sowie als 21-Jähriger nach einem Faustschlag wegen versuchter schwerer Körperverletzung. Im Moment sitzt er in Sicherheitshaft, weil er auf einen Aufseher im Gefängnis angegriffen haben soll.

Wie geht man mit so etwas um als Vater? Wie hält man das aus, wenn man seinen eigenen Sohn nur durch eine Trennscheibe sehen darf – wenn überhaupt?

Wahrscheinlich gibt es nur zwei Wege. Rückzug. Oder Kampf. Herr K. hat den zweiten Weg gewählt.

Zornig – und zuweilen einfach nur schockiert

Fragt man ihn, was ihn antreibt, dann sagt dieser Mann, für den man das Wort «gmögig» erfinden müsste, wenn es dieses nicht schon gäbe: «Zorn. Zorn über die Ungerechtigkeit, die unser Sohn erleiden muss. Er braucht keine Fesseln und schon gar keine teure Spezialzelle. Er braucht eine korrekte Behandlung.» Kurz erhebt Herr K. seine Stimme, das passiert ihm hin und wieder, wenn er sich über die Justiz aufregt. Dann wird er nachdenklich: «Manchmal bin ich einfach nur schockiert, wenn ich wieder ein Urteil erhalte oder eine Verfügung, in der Tatsachen verdreht oder falsch dargestellt werden.»

Und sowieso: Wer, wenn nicht er, soll sich für Brian einsetzen? «Ich fühle mich verantwortlich», sagt Herr K., «ich bin ja nicht ganz unbeteiligt an der ganzen Geschichte.» Wie meint er das? Na ja, sagt Herr K.: «Ich hätte weniger arbeiten und mich mehr um Brian kümmern sollen, als er klein war.»

Herr K. und seine Frau lernen sich 1990 kennen, sie stammt aus Kamerun. Dort heiratet das Paar 1993. Sie bringt zwei Kinder in die Ehe mit. Zwei Jahre nach der Hochzeit kommt Brian zur Welt. Herr K. geht da schon auf die Fünfzig zu. Anfangs leben die Mutter, das Baby und seine Halbgeschwister im afrikanischen Grossfamilienverband in Paris, der Vater in Zürich, er pendelt zwischen Arbeit und Familie hin und her. Doch zwei Wohnsitze sind kostspielig. 1998, Brian ist drei, zieht die Familie in Zürich zusammen.

Zwischen untragbar und unglaublich brav

Der kleine Brian fällt schon früh auf. Und schon damals wirkt er auf verschiedene Menschen ganz unterschiedlich. Die Lehrerin im ersten Kindergartenjahr kommt mit dem Kind nicht zurecht, das sofort aufbegehrt, wenn es sich ungerecht behandelt fühlt. Auch zwischen Brian und seinen Gspäändli klappt es nicht. Brian werde ausgegrenzt, sagen seine Eltern. Brian schlage seine Gspäändli, sagt die Kindergärtnerin.

Es kommt, wie es kommen muss. Gespräche. Abklärungen. Tests. Die ganze Maschinerie, die eine Schule halt so zur Verfügung hat. Mal gilt Brian als hochbegabt, darf in eine spezielle Förderung, dann wieder als Ritalin-Kandidat, der nicht tragbar ist.

Eine alte Bekannte der Familie, deren Haus Herr K. umgebaut hat und die sich selbst im Umfeld der Justiz bewegt, erlebt Brian völlig anders: «Manchmal nahm der Vater den Buben an Sitzungen mit. Dann sass der Kleine ruhig irgendwo, spielte oder zeichnete. Nie hat er gequengelt oder geklönt. Er war unglaublich brav», erzählt sie.

Was sie erstaunt: wie selbstständig Brian ist und wie viel ihm sein Vater zutraut. Mit fünf fährt der Junge schon allein ein paar Stationen Bus. «Brian konnte das wirklich», sagt die Bekannte. «Aber ich frage mich trotzdem, wie das für ihn war. Die Grenze zwischen ‹dem Kind etwas zutrauen› und ‹ihm etwas zumuten› ist schmal.»

Die Eltern kämpfen derweil ihren eigenen Kampf. Die Mutter, französischsprachig, wird hier nie wirklich heimisch. Sie versteht oft nicht, was die Behörden wollen. Wenn Brian wieder einmal fremdplatziert wird, zieht sie sich in ihre Grossfamilie nach Paris zurück. Immer wieder muss sich Herr K., preisgekrönter Architekt mit eigenem Atelier und Angestellten, allein mit Brian und seiner Schwester arrangieren.

Herr K. und seine Frau sind sich in der Erziehung oft uneinig. Brian selbst sagt es so: «Wenn Mami Nein sagte, ging ich zu Papi, und umgekehrt.» Er schmunzelt durch die dicke Trennscheibe im Pöschwies-Besucherraum, schüttelt den Kopf, wenn er davon erzählt. «Gut war das wohl nicht für mich. Aber beide haben mir viel Liebe gegeben.»

Die Welten der Eltern sind völlig unterschiedlich

Wen auch immer diese Zeitung befragt hat: Alle Gesprächspartner schildern den Vater als sehr verständnisvoll. «Aber vielleicht hatte er einen etwas zu lockeren Zugang zur Erziehung», sagt die Bekannte. «Er ist eben ein ungebundener und unkonventioneller Geist, sehr freiheitsliebend.» Anders die Mutter, die ihre Kinder so erziehen möchte, wie das in Kamerun üblich ist. Und das ist streng. «Sehr streng», sagt Brian. Afrikanische Mütter überhäufen ihre Kinder mit Liebe, aber wenn sie nicht spuren, kann es auch mal Ohrfeigen geben. Das Einzige, was in dieser Erziehung nicht geht, ist genau das, was hierzulande oft praktiziert wird: Kinder einfach mal machen lassen.

«Die zwei Welten von Mutter und Vater waren sehr unterschiedlich», sagt der ehemalige Jugendanwalt Hansueli Gürber. So etwas sei für Eltern und Kinder immer eine grosse Herausforderung. Und Brian hätte eine klare Linie gebraucht.

Bald diskutieren die Behörden, ob sie Eltern und Kind trennen sollen. Immer wieder landet Brian in Institutionen und Pflegefamilien. Das kann in Familien, in denen die Kinder Gewalt, Vernachlässigung und Drogen ausgesetzt sind, durchaus helfen. Dann kann eine Trennung die Ruhe ins System bringen, die es braucht, um wieder zueinanderzufinden.

Time-outs, Pflegefamilien, Heimplatzierungen, Gefängnis

Doch im Fall von Brian beissen die Behörden auf Granit. Die Eltern mögen noch so streiten, gegen aussen verteidigen sie ihr Kind. «Mein Vater hat manchmal einen falschen Stolz», erzählt Brian. «Er will immer alles selbst regeln und keine Hilfe annehmen.» Herr K. findet bis heute: «Ich hätte viel weniger auf all die Leute hören sollen, die zu wissen glaubten, was das Beste für uns ist. Aber was wusste ich damals von Erziehung?»

Brian seinerseits leidet an Heimweh und wehrt sich immer wieder gegen die Fremdplatzierungen. Einmal demoliert er in einem Heim ein Zimmer, um seine Rückkehr nach Hause zu erzwingen. Doch die Behörden lassen nicht locker. Und so ist Brians Geschichte eine Geschichte von ungezählten Time-outs, Heimplatzierungen, Pflegefamilien, Klinikeinweisungen, Gefängnisaufenthalten. Mit fünfzehn hat der Junge unzählige Ab- und Unterbrücke in der Schulbildung hinter sich, er erreicht gerade mal das schulische Niveau eines Zweitklässlers. «Die Behörden haben ihm das Recht auf Ausbildung verwehrt», sagt sein Vater.

Es gibt aber auch Lichtblicke. Institutionen, wo sich der Junge wohlfühlt. Und doch klappt es längerfristig nirgends. Oft ist der Auslöser eine Kleinigkeit. Etwa ein Küchenchef, der dem Halbwüchsigen abends nichts mehr zu essen geben will.

«Sehen Sie, mit Brian wussten selbst Sozialpädagogen nicht mehr weiter», sagt Hansueli Gürber auf die Frage, was die Eltern in diesen jungen Jahren besser hätten machen sollen. «Es ist müssig, zu diskutieren, wie die Geschichte in einer anderen Familie ausgegangen wäre.» Vor allem Herr K. habe sich sehr bemüht. «Klar hatten wir harte Diskussionen, aber er hat Brian im Rahmen seiner Möglichkeiten immer unterstützt. Ich konnte mit ihm immer gut zusammenarbeiten.»

Gürber ist es, der dann doch noch den Rank findet, jedenfalls für den Moment: Er zieht im Sommer 2012 ein spezielles 24-Stunden-Betreuungssystem für den sechzehnjährigen Teenager auf. Brian wohnt mit einer Sozialpädagogin zusammen, erhält Einzelunterricht. Und er darf boxen, denn das ist sein Traumberuf, an dem er bis heute festhält: Profiboxer. «Es wäre gut gekommen», sagt Herr K. Zum ersten Mal seit langem hat er wieder Hoffnung.

Wer, wenn nicht seine Familie, soll noch zu ihm halten?

Dann kommt der 25. August 2013. Es ist ein Sonntag, im Schweizer Fernsehen wird «Der Jugendanwalt» ausgestrahlt. Es sollte eine Sendung über Hansueli Gürber sein. Eine Passage darin dreht sich um Brian. Um das Sondersetting, das rund 30’000 Franken pro Monat kostet. Was folgt, ist der perfekte Shitstorm. «Sozial-Wahn!» titelt der «Blick» tags darauf. Und während Gürbers Vorgesetzte auf Tauchstation gehen und dem Jugendanwalt einen Maulkorb verpassen, schwant Herrn K. Böses. «Mir wurde schnell klar: Da muss ich etwas tun.» Seine Freunde warnen ihn: «Lass die Finger davon!» Herr K. schüttelt den Kopf: «Das konnte ich nicht.»

Er kann es bis heute nicht. Obwohl Brian längst volljährig ist. «Manchmal glaubt mein Vater, ich sei noch ein Kind», sagt sein Sohn und lächelt. «Aber das ist schon okay. In einer Familie muss man füreinander kämpfen.»

Herr K. sagt: «Wer, wenn nicht seine Familie, wenn nicht ich, soll noch zu ihm halten?»

Was er und seine Frau seit jenem 25. August vor acht Jahren erlebt haben, sei «der Horror», sagt Herr K. Sie werden belästigt, auch nachts, bedroht und angepöbelt. Und da ist immer wieder dieser unterschwellige Vorwurf: Wenn ein Kind so herauskommt, dann müssen die Eltern schuld sein. Die Justiz leistet sich derweil gravierende Fehlleistungen. Auf Druck der Öffentlichkeit beendet die Jugendanwaltschaft das Sondersetting und lässt Brian verhaften. Zu Unrecht, wie das Bundesgericht urteilen wird.

Im Jahr 2015 wird Brian erneut zu Unrecht in Haft genommen.

Dann, im März 2016, verpasst er einem Kontrahenten nach einem Streit einen heftigen Kinnhaken. Seither sitzt er hinter Gittern. Im Gefängnis Pfäffikon kommt es zu Misshandlungen durch die Aufseher, die Brian unter anderem auf dem Boden schlafen lassen. Brian seinerseits reagiert mit Gewaltausbrüchen, Pöbeleien, Beschimpfungen.

In der Pöschwies geht er so heftig auf Mitarbeiter los, dass deswegen ein weiteres Strafverfahren läuft: Im Juni hat das Zürcher Obergericht den jungen Mann zu 6 Jahren und 4 Monaten Gefängnis verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Verteidigung und Staatsanwalt haben es ans Bundesgericht weitergezogen. Die Verteidigung bestreitet die Vorwürfe, der Staatsanwalt verlangt Brians Verwahrung.

Herr K. kniet sich in Akten, versucht zu verstehen

Für Herrn K. gibt es nur einen Weg, mit der ganzen Situation fertig zu werden. Seine Frau schwankt zwischen Verzweiflung, Resignation und Rückzug. Er aber kniet sich in Akten. Versucht zu verstehen, was Richterinnen und Richter in Urteile schreiben, worauf sie sich stützen. Fragt den Anwälten Löcher in den Bauch. Und versucht immer wieder, seiner Frau zu erklären, wie das Schweizer System funktioniert.

«Man darf sich nicht von unverständlichen Fachausdrücken unterkriegen lassen», sagt er. «Ich habe mir in all den Jahren ziemlich viel Wissen erarbeitet, das ist wichtig. Das würde ich jedem raten, der einen Angehörigen im Gefängnis hat. Nie aufhören zu fragen.» In seinem Architekturatelier stapeln sich neben Projektskizzen Schachteln mit Schriftstücken zu seinem Sohn. «Ich sollte die alle mal ordnen», seufzt er, «aber es kommt immer wieder Neues dazu.»

Und Herr K. schreibt Briefe wie jenen, den er dem Pöschwies-Direktor schickte. Er schreibt der Justizdirektorin Jacqueline Fehr. Er schreibt dem Amt für Justizvollzug und Wiedereingliederung. Er schreibt den Journalistinnen und Journalisten, die sich mit dem Fall befassen. Versucht immer wieder, das Bild zu korrigieren, das all diese Leute von seinem Sohn zeichnen. «Falsche Darstellung kann man doch nicht stehen lassen», findet er.

Dabei überschiesst er mitunter. Etwa wenn er argumentiert, Brian wehre sich doch nur, mehr nicht. Schuld seien seine Aufseher, die ihn provozierten, falsch beschuldigten und denen er total ausgeliefert sei. Schuld sei auch eine Justiz, die nur noch ideologisch argumentiere. Sieht er seinen Sohn nicht viel zu positiv? Herr K. wirft seine Hände in die Luft: «Er ist positiv! Sonst hielte er die Einzelhaft doch gar nicht aus.»

Dass der Kanton 1,8 Millionen Franken in eine Sonderzelle für Brian investiert, ärgert den Vater. Da spricht auch der Architekt aus ihm, wenn er sagt, das Problem mit dem Hofgang hätte sich baulich für einen Bruchteil der Kosten lösen lassen: «Das übrige Geld hätte man in die Resozialisierung stecken können.»

Die Fronten sind verhärtet

In der Justizdirektion macht sich Herr K. mit seinem Einsatz keine Freunde. Offiziell mag sich niemand äussern, aber den leisen Vorwurf, Herr K. würde seinen Sohn besser zur Kooperation bewegen, als ihn in seinem Widerstand zu unterstützen, diesen Vorwurf bekommt man öfter zu hören. Dass die Fronten derart verhärtet seien, das liege auch an Herrn K.

Im Gespräch relativiert eine Person aus der Justiz, die mit dem Fall zu tun hat und die sich deshalb nicht öffentlich äussern darf, diese Vorwürfe allerdings. Sie seien eher an die Anwälte als an Herrn K. zu richten: «Es ist klar, dass der Vater in echter Sorge um Brian ist und dass wir von ihm nicht erwarten können, dass er kühlen Kopf bewahrt.» Immerhin interessiere sich Herr K. für seinen Sohn: «Es gibt genügend Gefangene, um die sich keiner mehr kümmert. Und das ist definitiv problematischer.»

Sowieso täusche das Bild, das Herr K. gegen aussen abgebe, sagt Thomas Häusermann, Brians amtlicher Verteidiger. Natürlich sehe Herr K. als betroffener Vater die Dinge aus seiner subjektiven Sicht, und ja, als Anwalt müsse man ihn manchmal bremsen. Aber trotzdem arbeite man gut zusammen: «Herr K. ist offen für Fakten und objektive Einschätzungen. Und seinem Sohn gegenüber ist er deutlich kritischer, als er sich gegen aussen gibt. Mit Brian redet er Klartext.»

Auch Hansueli Gürber sagt, man tue Herrn K. unrecht, wenn man ihm vorwerfe, er unterstütze Brians Renitenz: «Das kann ich überhaupt nicht bestätigen. Im Gegenteil, es ist eine grosse Stärke, dass Herr K. nach wie vor hinter seinem Sohn steht.» Und Herrn K.s Bekannte findet es mehr als nachvollziehbar, dass er nach allem, was passiert sei, das Vertrauen in den Rechtsstaat verloren habe: «Sein Sohn wurde schon ganz jung diffamiert und später mehrfach nachweislich zu Unrecht inhaftiert. Das muss man sich mal vorstellen. Dass er sich da nicht zum verlängerten Arm des Justizvollzugs machen lassen will, ist logisch.»

Die Hoffnung hat er noch nicht verloren

Wobei: Ganz hat Herr K. das Vertrauen noch nicht verloren. Hilflosigkeit? Nein, die kenne er nicht: «Ich glaube noch immer, dass die Gerechtigkeit gewinnt.» Das und Gespräche mit seiner Frau, mit der Familie und Freunden helfen Herrn K. Und Menschen, die ihm sagen: «Brian ist nicht so.» Kleine Erfolge stimmen ihn zuversichtlich. Etwa, dass die Justiz nun gegen die Aufseher ermittelt, die Brian unnötig hart angefasst haben sollen. Inzwischen befassen sich neben Häusermann drei weitere Anwälte mit dem Fall, zudem die Folterkommission, die UNO. Für Herrn K. ist das, ganz nebenbei bemerkt, ein beträchtliches finanzielles Risiko, das er nur dank der Unterstützung von Verwandten und Freunden tragen kann.

Stand heute kommt Brian in rund drei Jahren frei. Was wird dann? «Ich hoffe, er kommt früher frei und geht dann ins Ausland, vielleicht nach Kamerun, zur Familie meiner Frau», sagt Herr K. «Irgendwohin, wo ihn niemand kennt.» Brian selbst sagt, er würde am liebsten eine Villa kaufen, in der seine ganze Familie wohnen könnte. «Mein Vater», sagt er, «muss sich nicht schlecht fühlen.»

Auf den Brief, den er Pöschwies-Direktor Andreas Naegeli geschrieben hat, hat Herr K. übrigens nie eine Antwort bekommen. Auch nicht auf seine Bitte, man möge Brian doch an seinem Geburtstag erlauben, seine 93-jährige Grossmutter zu umarmen. Ein Besuch ohne Trennscheibe, nur ein einziges Mal. Überrascht hat das Herrn K. nicht. Sein Brief endet mit: «Ich kenne Ihre Auffassung. Sie brauchen mir nicht zu schreiben.»



Die wichtigsten Daten im Leben des Brian K.

27. August 2013. Unter dem Titel «Sozial-Wahn!» schreibt der Blick erstmals über einen jugendlichen Straftäter mit dem Pseudonym Carlos. Das Boulevardblatt skandalisiert damit einen zwei Tage vorher ausgestrahlten Dok-Film des Schweizer Fernsehens, der zeigt, wie Jugendanwalt Hansueli Gürber einen 17-Jährigen behandelt, den vorher keine Institution bändigen konnte. Der Jugendliche, der eigentlich Brian heisst, wohnt mit einer Sozialarbeiterin zusammen, hat einen Privatlehrer und besucht Thaibox-Kurse.

30. August 2013. Die Behörden knicken nach einem Sturm der Entrüstung ein. Brian wird von einem achtköpfigen Einsatzkommando auf offener Strasse verhaftet, seine Sonderbehandlung ist damit abrupt zu Ende. Die Behörden teilen mit, Brian sei zu seiner eigenen Sicherheit ins Gefängnis gebracht worden.

20. Februar 2014. Das Bundesgericht beurteilt die Verhaftung – anders als vor ihm die Zürcher Instanzen – als unrechtmässig und kritisiert den Kanton ungewohnt harsch. Die Justizdirektion, der damals Martin Graf (Grüne) vorsteht, sieht sich gezwungen, eine neue Einzelbehandlung auf die Beine zu stellen.

19. Juni 2014. Das neue Sonderprogramm wird bereits wieder beendet. Brian sei austherapiert, teilen die Behörden mit.

28. August 2015. Brian muss sich vor Gericht verantworten, weil er einen Kontrahenten mit einem Messer bedroht haben soll. Das Verfahren endet mit einem Freispruch: Bilder einer Überwachungskamera zeigen, dass es kein Messer gab. Die Behörden müssen Brian für sechs Monate Untersuchungshaft entschädigen.

6. März 2017. Brian steht erneut vor Gericht. Dieses Mal wird er zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt, weil er einem anderen einen heftigen Kinnhaken verpasste. Sein Verteidiger erhebt in der Verhandlung schwere Vorwürfe: Brian sei im Gefängnis Pfäffikon unmenschlich behandelt worden, habe unter anderem tagelang auf dem Boden schlafen müssen.

3. Juli 2017. Justizdirektorin Jacqueline Fehr (SP) räumt Fehler im Umgang mit Brian ein. Der zuständige Gefängnisleiter sei mit dem äusserst renitenten Gefangenen überfordert gewesen: «Wir haben es hier mit einer neuen Dimension der Gewalt zu tun.»

6. November 2019. Weil er im Juni 2017 Aufseher angegriffen haben soll, verurteilt das Bezirksgericht Dielsdorf Brian zu 4 Jahren und 9 Monaten Gefängnis. Die Strafe wird zugunsten einer stationären Therapie aufgehoben.

26. August 2020. Drei Psychiater müssen sich vor Bezirksgericht Zürich verantworten, weil sie den damals 15-jährigen Brian nach einem Suizidversuch in der Psychiatrischen Uniklinik zwei Wochen rund um die Uhr ans Bett fesseln liessen und mit einem Medikamentencocktail ruhigstellten. Das Gericht spricht die Psychiater frei.

25. März 2021. Das Bezirksgericht Zürich kommt zum Schluss, das Gefängnis Pfäffikon habe Brians Menschenwürde verletzt. Bei einem schwierigen Gefangenen greife die Fürsorgepflicht des Staates «umso mehr».

16. Juni 2021. Das Obergericht korrigiert das Urteil des Bezirksgerichts vom 6. November 2019. Es erhöht die Strafe auf 6 Jahre und 4 Monate, verzichtet aber auf eine stationäre Therapie. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Verteidigung und Staatsanwalt haben es ans Bundesgericht weitergezogen. Brian sitzt derzeit in Sicherheitshaft, einen Antrag auf Haftentlassung hat das Gericht abgelehnt.

28. November 2021. Die drei Psychiater, die Brian ans Bett fesselten, müssen sich vor Obergericht verantworten. Brians Anwalt hat den Freispruch nicht akzeptiert. (leu)
(https://www.derbund.ch/herr-k-und-sein-sohn-brian-243556085083)