Medienspiegel 21. Oktober 2021

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++ZÜRICH
Opferhilfe: Zürcher Kirchen hoffen auf Bund und Kantone
Asylsuchende haben in der Schweiz keinen Anspruch auf Opferhilfe. Viele Frauen wurden im Ausland aber Opfer von Menschenhandel. Die Zürcher Landeskirchen finanzieren ein Pilotprojekt, das den Betroffenen Unterstützung gewährt und einem grossen Bedürfnis entspricht. Doch nun läuft dieses aus.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/opferhilfe-zuercher-kirchen-hoffen-auf-bund-und-kantone?id=12075891
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/die-ratte-ist-in-zuerich-auf-dem-vormarsch?id=12076047 (ab 04:13)


+++SCHWEIZ
Uno-Flüchtlingshochkommissar Grandi trifft Aussenminister Cassis – Tagesschau
Die Schweiz will vor allem mit finanzieller Unterstützung, nicht mit der Aufnahme zusätzlicher Flüchtlinge aus Afghanistan helfen, die humanitäre Krise im Land zu bewältigen. Dies sagte Aussenminister Cassis bei einem Treffen mit Uno-Flüchtlingshochkommissar Filippo Grandi in Bern.
https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/uno-fluechtlingshochkommissar-grandi-trifft-aussenminister-cassis?urn=urn:srf:video:81cdfc3d-d4be-4bf0-8a6b-c143dd87acbf


+++MITTELMEER
Seeretter mit 400 Menschen an Bord weiter ohne Hafen
Die «Sea-Watch 3» wartet weiterhin auf einen sicheren Hafen. Momentan hat das Rettungsschiff über 410 Menschen an Bord, die in die EU gelangen wollen.
https://www.nau.ch/news/europa/seeretter-mit-400-menschen-an-bord-weiter-ohne-hafen-66027269
-> https://taz.de/Sea-Watch-3-mit-400-Menschen-an-Bord/!5810119/


Seenotrettung: Menschenleben kommen auf dem Meer zuerst
Sizilianische Staatsanwälte beantragen, ein Verfahren gegen Retter schiffbrüchiger Migranten einzustellen. Ihre Argumente könnten die Arbeit aller NGOs im Mittelmeer künftig erleichtern.
https://www.sueddeutsche.de/politik/seenotrettung-italien-mittelmeer-1.5444985


+++EUROPA
Polen: Europarat kritisiert Menschenrechtsverletzungen an EU-Grenzen
Amnesty International wirft polnischen Grenzschützern vor, Migranten gewaltsam nach Belarus zurückgedrängt zu haben. Der Europarat fordert ein Ende illegaler Pushbacks.
https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-10/polen-belarus-grenze-kritik-eu-komission-menschenrechtsorganisationen-pushbacks


+++BELARUS
Frierende Flüchtlinge und ein neues Verbot: Das sind Lukaschenkos brutale Pläne für den nahenden Winter
Der weissrussische Machthaber lässt Migranten verzweifeln und «Telegram» verbieten. Die EU wirkt ratlos.
https://www.luzernerzeitung.ch/international/weissrussland-frierende-fluechtlinge-und-ein-neues-verbot-das-sind-lukaschenkos-brutale-plaene-fuer-den-nahenden-winter-ld.2203944


+++FLUCHT
Afghanistan – Sichere Ausreise von bedrohten Afghan*innen gewährleisten
Viele Afghan*innen sind auf der Flucht. Doch oft lassen sie die Nachbarstaaten nicht einreisen. Auch in Europa und Zentralasien greifen zahlreiche Länder auf rechtswidrige Push-Backs, Inhaftierungen und Abschiebungen zurück.
https://www.amnesty.ch/de/laender/asien-pazifik/afghanistan/dok/2021/sichere-ausreise-von-bedrohten-afghan-innen-gewaehrleisten


+++GASSE
Wie Graz mit den Bettler*innen leben lernte
Wer nach Graz reist, kann die Basler Bettel-Debatte im Zeitraffer erleben. Und lernen, wie eine bürgerlich regierte Stadt mit armutsbetroffenen Roma umgeht, ein Verbot einführte, wieder aufhob – und dank der Initiative eines Einzelnen ihre humanistische Fassung nicht verlor.
https://bajour.ch/a/doHZgGdAEVUl6cmf/wie-graz-die-bettlerinnen-akzeptieren-lernte


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Ni una menos: Aktion in Luzern
Drei Feminizide in einer Woche. 24 Feminizide seit Anfang Jahr. Unsere Antwort: feministischer Widerstand!
https://barrikade.info/article/4809


Mit Feuer gegen Securitas
In Bern brannte in der Nacht auf heute, 21.10 ein Auto von Contrafeu, einer Tochterfirma von Securitas. Solange Securitas durch Kontrolle, Gewalt und Zwang profitert, solange werden sie angegriffen.
https://barrikade.info/article/4811


Umstrittene Veranstaltung: Lukaschenkos Regime bekommt eine Bühne in Bern
Die weissrussische Botschaft lädt am Freitag zu einem Kulturabend. Regimekritiker empfinden das als Verhöhnung der Opfer Lukaschenkos. Sie wollen vor Ort demonstrieren.
https://www.tagesanzeiger.ch/lukaschenkos-regime-bekommt-eine-buehne-in-bern-415401468268



derbund.ch 21.10.2021

Busse für Alt-Stadtrat: Theilers Kampf für das wilde Plakat

Luzius Theiler ist eine Institution in der Berner Politik. Und ein Überzeugungstäter. Am Donnerstag stand er vor Gericht.

Cedric Fröhlich

Luzius Theiler ist erkältet. Auf der letzten Reise hat er sich einen Husten eingefangen. Auf seinen Knien balanciert er farbige Mäppchen. Noch ein Räuspern. Dann beginnt im Saal 217 des Berner Amtshauses die Verhandlung in einer Strafsache, die andere als eine Bagatelle abgetan hätten.

Am 31. Oktober 2020, es war kurz vor den städtischen Wahlen, klebte Theiler auf dem Berner Bahnhofplatz ein Plakat an eine Wand. Eine Streife der Kantonspolizei beobachtete die Szene und händigte Theiler eine Ordnungsbusse über 100 Franken aus, wegen eines Verstosses gegen das städtische Reklamereglement. Dagegen wehrt sich Theiler.

34 Jahre lang sass Theiler im Berner Stadtrat, zuerst für den Landesring der Unabhängigen, später für die Grünen. Hinzu kommen 12 Jahre im Grossen Rat. In all der Zeit war er nie ein Mann der Macht; Theiler war ein Überzeugungstäter an der Grenze zum Zwängerischen. «Beliebtheit war nie dein Ding», sagte die damalige Stadtratspräsidentin Barbara Nyffeler (SP), als sie ihn aus dem Rat verabschiedeten. Da war das als Kompliment gemeint.

Ein langer Kampf

Theilers Prinzipientreue zeigt sich auch daran, dass der Prozess im Saal 217 nur eine weitere Episode einer längeren Geschichte ist. Sie reicht zurück bis ins Jahr 1989. Da wurde er erstmals beim Plakatieren erwischt, das blieb damals folgenlos. 1993 verurteilte man ihn, weil er Plakate an der Rückseite von Verkehrsschildern angebracht hatte. Im Stadtrat machte er mit Vorstössen immer wieder deutlich, für wie zentral er das Plakate-Politikum hält:

«Plakate sind Bestandteil der Meinungs- und Informationsfreiheit, ein Grundrecht!», sagte er im Gespräch vor dem Prozess. «Ein Wahlplakat ist wie Blickkontakt, der sich nicht vermeiden lässt.» Für ihn sind sie deshalb auch ein Gegenentwurf zu den teuren Kampagnen der politischen Schwergewichte im Land.

«Alle plakatieren wild»

Vor Gericht beanstandet Theiler zunächst Formelles: Auf der Bussenverfügung fehlten an einigen Stellen die relevanten Gesetzesbestimmungen. Weiter vertritt er die Meinung, wildes Plakatieren sei in der Stadt Bern gar nicht verboten. Dafür fehle die gesetzliche Grundlage.

Zudem habe es die Stadt versäumt, ausreichend Anschlagstellen aufzustellen, an denen Private kostenlos und bewilligungsfrei Plakate aufhängen könnten. Es habe sich ein Gewohnheitsrecht etabliert. «In all den Jahren habe ich manchen Berner Politiker angetroffen, der zur Geisterstunde sein Gesicht irgendwo hingeklebt hat.» Kulturbetriebe, Parteien, staatlich subventionierte Betriebe – alle würden wild plakatieren.

Theiler schliesst sein Plädoyer mit den Worten: «Es ist wichtig, dass sich die Justiz auch mit den vermeintlich kleinen Dingen befasst.» Gerade bei vermeintlichen Bagatellen etabliere sich andernfalls eine Rechtspraxis, ohne dass sie jemals kontrolliert werde.

Am falschen Ort

Gerichtspräsident Sven Bratschi hört sich das alles an. Dann bestätigt er die Busse gegen den Alt-Stadtrat und auferlegt ihm Verfahrenskosten von 600 Franken.

Die Verfügung enthalte tatsächlich Fehler, aber dieser Mangel sei «heilbar», so Bratschi. Theiler sei daraus kein Rechtsnachteil erwachsen. An der Anwendbarkeit des Reklamereglements auf den Fall besteht laut Bratschi kein Zweifel. Zur Tatsache, dass andere auch wild plakatieren, führt er aus: «Es gibt kein Recht auf Gleichbehandlung im Unrecht.»

Nach rund einer Stunde ist die Verhandlung geschlossen. Bratschi sagt zum Abschied: «Es war eigentlich der falsche Ort, um diese Sache zu verhandeln.» Es tönt nach: Auf eine politische Debatte kann sich das Gericht nicht einlassen.

Ein letztes Räuspern, dann verlässt Luzius Theiler den Saal. Er lässt offen, ob er die Causa ans Obergericht weiterziehen wird. Überraschen würde es nicht.
(https://www.derbund.ch/theilers-kampf-fuer-das-wilde-plakat-795949946763)



Kleinplakate in der Bundesstadt – das gilt

Auf Nachfrage gibt die Stadt bekannt, dass es in Bern rund 100 Standorte für Kleinplakate gebe. Laut Walter Langenegger, dem Leiter des städtischen Informationsdiensts, seien das doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren. «Mittelfristig sollen es noch mehr werden – der Ausbau ist noch nicht abgeschlossen.» Diese Anschlagstellen können kostenlos genutzt werden. Ausserhalb davon ist das Aufhängen von Kleinplakaten hingegen nicht erlaubt.

Gemäss Langenegger mache das Reklamereglement darüber hinaus keine «quantitativen Vorgaben» zu den Anschlagstellen. Es verlange auch nicht, dass an allen Bernmobil-Haltestellen und -Wartehallen Kleinplakatstellen eingerichtet werden müssten. (cef)
(https://www.derbund.ch/theilers-kampf-fuer-das-wilde-plakat-795949946763)


+++KNAST
#BigDreams für Brian: Darf Kunst Partei ergreifen?
Künstlerinnen und Aktivisten geben dem jungen Straftäter Brian eine Stimme. Ziel des Kunstprojektes in fünf Akten: Ein «Fall Carlos» darf sich nicht wiederholen. Das Kunstprojekt überzeugt nicht alle.
https://www.srf.ch/kultur/kunst/fall-carlos-bigdreams-fuer-brian-darf-kunst-partei-ergreifen


+++POLICE BE
derbund.ch 21.10.2021

Wegen Gummischrot im Auge: Corona-Demonstrant will Berner Polizei anzeigen

Iwan Schertenleib wurde bei einer unbewilligten Demo mit Gummischrot am Auge verletzt. Nun will der 51-Jährige die Polizei zur Rechenschaft ziehen. Das dürfte schwierig werden.

Michael Bucher

Iwan Schertenleib steht am oberen Ende der Berner Rathausgasse und blickt Richtung untere Altstadt. «Hier hats mich erwischt», sagt er auf der Höhe der Versa-Bar. Er spielt die Szene nach, geht in eine leicht geduckte Haltung und dreht sich dann plötzlich ab.

Die Szene, die er gestenreich beschreibt, spielte sich vor einem Monat genau hier ab. Hunderte Gegnerinnen und Gegner der Corona-Massnahmen demonstrierten an jenem Donnerstagabend in Bern. Die Kantonspolizei Bern hatte von der Stadt den Auftrag, den unbewilligten Protestumzug zu unterbinden. In der Rathausgasse setzte die Polizei Gummischrot ein – laut eigenen Angaben, um ein Vordringen der Demonstrierenden in die untere Altstadt zu verhindern.

Mehrere Operationen nötig

Ein Gummischrotprojektil traf Iwan Schertenleib dabei am linken Auge. Er befand sich zu diesem Zeitpunkt in den vorderen Reihen der Protestierenden. «Ich bemerkte, wie eine Flüssigkeit an meinem Gesicht herunterlief», erzählt der 51-Jährige aus Neuenegg. «Ich dachte erst, es sei Blut, doch offenbar war es Augenflüssigkeit.» Auf dem lädierten Auge sah er danach praktisch nichts mehr.

Weil er keine starken Schmerzen verspürte, ging er erst am nächsten Morgen zum Arzt. Dieser schickte ihn umgehend ins Inselspital, wo er noch gleichentags operiert wurde. Unter anderem musste die Hornhaut genäht werden. Das steht in den Spitalunterlagen, die er zum Treffen mitgenommen hat. Sicher ist: Um weitere Operationen wird er nicht herumkommen. Als «Matsch» habe der Insel-Arzt sein Auge bezeichnet. «Die Chance, dass ich auf dem linken Auge wieder normal sehen werde, sind laut dem Arzt gering», sagt Schertenleib.

Seit der Operation trägt er eine auffällige Schutzbrille. Das linke Auge, dessen Pupille noch immer knallrot ist, wird von einer schwarzen Klappe geschützt. «Ich sehe nach wie vor nur verschwommen», sagt er. Auch habe er mit regelmässigen Kopfschmerzen zu kämpfen. Von seinem Beruf als Schreiner ist er derzeit krankgeschrieben.

Schertenleib sagt von sich, er sei kein regelmässiger Demoteilnehmer. Viermal sei er bislang auf die Strasse gegangen, zweimal davon in Bern. Als Grund gibt er die Einführung der Zertifikatspflicht an, die er als «eine Frechheit» empfindet. Dass die Polizei mit Gummischrot auf unbewaffnete Personen schiesse, sei «pervers». Von ihm und den anderen sei keinerlei Gewalt ausgegangen, hält er fest. Erst nachdem die Polizei Gummischrot abgefeuert hatte, habe sich die Stimmung aufgeheizt. Infolgedessen flogen auch Gegenstände gegen die Polizisten, wie etwa ein Video eines Reporters zeigt.
-> https://twitter.com/realaydemir/status/1441105081705779201

Beratung eines Staranwalts?

Die Kantonspolizei Bern hat keine Kenntnisse von dem Vorfall, wie deren Medienstelle auf Anfrage mitteilt. Generell hält sie fest, dass mit Gummischrot nicht auf Köpfe gezielt werde. Sie betont, «dass die Teilnehmenden anlässlich besagter unbewilligter Kundgebung, bei der teilweise zu Gewalt aufgerufen worden war, mehrfach mittels Lautsprecherdurchsagen angesprochen wurden». Es sei immerzu darauf hingewiesen worden, dass die Kundgebung nicht toleriert werde und sich die Beteiligten Richtung Bahnhof begeben sollen. Auch der «Mitteleinsatz» sei auf diese Weise angekündigt worden.

Von den Durchsagen der Polizei will Iwan Schertenleib nichts gehört haben. Zu laut sei es wegen der Musik, den Rufen und den Pfiffen gewesen. «Ich habe nicht damit gerechnet, dass die tatsächlich schiessen», sagt Schertenleib.

Den Vorfall will Schertenleib nicht auf sich sitzen lassen. «Ich werde Anzeige gegen die Kantonspolizei Bern einreichen», sagt er entschlossen. Er überlege sich, einen Anwalt beizuziehen. Gut möglich, dass es der bekannte Zürcher Anwalt Valentin Landmann sein wird. Er habe gehört, Landmann würde viele Massnahmegegner beraten und vertreten, so Schertenleib.

Der 71-jährige Staranwalt und SVP-Kantonsrat bestätigt das auf Anfrage. Es gehe jedoch bislang bei niemandem um eine Anzeige gegen einen Polizisten, sondern um Fälle, in denen sich Betroffene, zum Beispiel Wirte, gegen gewisse Massnahmen rechtlich zur Wehr setzen würden. Er vermutet, dass im vorliegenden Fall eine Anzeige wegen Körperverletzung wohl in einem eingestellten Verfahren enden würde – mit der Begründung, dass der Einsatz angeordnet und gerechtfertigt gewesen sei.

Der Verletzte könne jedoch Schadenersatz vom Kanton verlangen. «Wer als nicht aggressiver Zuschauer durch Gummischrot verletzt wird, hat Anspruch darauf», so Landmann. Doch das müsste alles zuvor im Detail geklärt werden.

Anhaltend kontroverse Debatte

Vor einigen Jahren gab es in Bern bereits einen ähnlichen Fall. Ein Teilnehmer am «Tanz dich frei» im Jahr 2013 wurde ebenfalls mit Gummischrot am Auge verletzt und erblindete beinahe. Das Verfahren wegen Körperverletzung wurde jedoch eingestellt, weil nicht eruierbar war, welcher Polizist geschossen hatte. Doch selbst wenn der Schütze identifiziert worden wäre, wäre eine Verurteilung unsicher gewesen, weil die Polizei den Mindestabstand von 20 Metern eingehalten hatte, meinte damals die Staatsanwaltschaft.

Laut Kantonspolizei Bern kam an der Corona-Demo vor vier Wochen ausschliesslich Gummischrot zur Anwendung, nicht aber die neuen und umstrittenen Hartgummigeschosse. Bei diesen sogenannten Safe Impact Rounds handelt es sich um Einzelgeschosse, welche gezielt gegen gewalttätige Angreifer eingesetzt werden sollen – im Gegensatz zum Gummischrot mit seiner breiteren Streuung. Diese knallgelben Patronen erlangten erstmals im Herbst 2018 Bekanntheit, als ein Polizist bei Ausschreitungen vor der Reitschule ein Smiley auf eines der Geschosse gemalt hatte.

Linke Parteien wehrten sich während der Testphase gegen die definitive Beschaffung von Werfern, welche nebst Gummischrot auch Hartgummigeschosse abschiessen können. Doch weder der Regierungsrat noch das Kantonsparlament hatten 2019 Gehör dafür.

Ganz allgemein wird in der Schweiz das Thema Gummischrot immer wieder kontrovers diskutiert. Insbesondere deshalb, weil das Einsatzmittel in den meisten europäischen Ländern verboten ist. In Deutschland sprach sich sogar die Gewerkschaft der Polizei dagegen aus, weil die Verletzungsgefahr für Unbeteiligte zu gross sei.
(https://www.derbund.ch/corona-demonstrant-will-berner-polizei-anzeigen-763386212622)
-> https://www.20min.ch/story/corona-demonstrant-will-die-berner-kantonspolizei-anzeigen-194659642986


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Demo-Ausnahme sorgt für Ärger: Spielt das Burka-Verbot dem Schwarzen Block in die Hände?
Bei der Umsetzung des Burka-Verbots schlägt der Bundesrat Ausnahmen für Demonstrationen vor. Damit trifft er teilweise auf völliges Unverständnis. Die Mitte kündigt bereits Widerstand an.
https://www.blick.ch/politik/demo-ausnahme-sorgt-fuer-aerger-spielt-das-burka-verbot-dem-schwarzen-block-in-die-haende-id16924802.html


Linke Demo wegen Massnahmengegner aus Stadt verbannt
Die Stadt Bern hat für Samstag gleich zwei Demonstrationen bewilligt. Die Massnahmengegner dürfen in die Innenstadt, die SP aber nicht. Das sorgt für Ärger.
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/linke-demo-wegen-massnahmengegner-aus-stadt-verbannt-66027078


++++RASSISMUS
Nach SVP-Vorstoss: Zürcher Stadtrat befindet Rassismus-Bericht für ausgewogen
Der Zürcher Stadtrat befindet den Bericht der Projektgruppe Rassismus für vollständig und ausgewogen. Dies steht in einer Antwort auf einen entsprechenden Vorstoss zweier SVP-Gemeinderäte, die den Stadtrat aufforderten, zu mehreren Vorwürfen Stellung zu nehmen.
https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/zuercher-stadtrat-keine-weiteren-massnahmen-zu-rassismus-bericht-00167649/


+++RECHTSEXTREMISMUS
Antisemitische Äusserungen: Neonazi Tobias Steiger muss 8200 Franken bezahlen
Der ehemalige Sektionschef der Basler Pnos wurde per Strafbefehl wegen Rassendiskriminierung und Beleidigung gegen den rechtsradikalen Polit-Querulanten Eric Weber verurteilt.
https://www.20min.ch/story/neonazi-tobias-steiger-muss-8200-franken-bezahlen-325895574861
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/grosser-rat-gibt-460-millionen-fuer-fernwaermenetz-ausbau-frei?id=12075876 (ab 03:46)


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
derbund.ch 21.10.2021

 Weiterer unbewilligter Protest: Die siebte Demo ist ein Reinfall

Auch diese Woche war eine Kundgebung der Massnahmenkritiker angekündigt. Doch den Donnerstagsdemos geht die Puste aus.

Calum MacKenzie

Die Stadt Bern ist zu vielem bereit, um die Situation rund um die wöchentlichen Corona-Demos zu deeskalieren. Für diesen Samstag wurde eine entsprechende Demo mit Umzug bewilligt – und eine bereits länger geplante linke Kundgebung dabei übergangen. Doch selbst das ist einigen Massnahmenkritikern nicht genug: Auch für diesen Donnerstag riefen sie in ihren Onlineforen zum Protest in der Bundesstadt auf.

Vergangene Woche waren die Demonstrierenden schnell von der Polizei umzingelt worden, die Aktion im Keim erstickt. Um diesem Schicksal diesmal zu entgehen, war eine neue Taktik geplant: eine «Satellitendemo», bei der sich kleine, aber laute Grüppchen in der Innenstadt verteilen würden. Wer ein Zertifikat habe, hiess es auf einem im Netz kursierenden Flyer, solle sich auf dem Bundesplatz ins Publikum für das Lichtspektakel einschleusen.

Verlegen und in Unterzahl

Auf diese grossen Worte folgten allerdings unerhebliche Taten. Die Mehrzahl der vorher ausgemachten Proteststandorte war zur Versammlungszeit einzig von Polizisten bevölkert. Nur am Kornhausplatz und am Bahnhofplatz fanden sich kleine Gruppen ein – jeweils höchstens 20 Personen – und riefen sporadisch und etwas verlegen «liberté» vor sich hin. Unter ihnen waren Gesichter wiederzuerkennen, die jeweils am Kopf der letzten Demos zu sehen gewesen waren.

Zwei dieser Grüppchen machten sich schliesslich auf in Richtung Neuengasse und Bärenplatz. Sie wurden aber wie vor einer Woche sofort von der Polizei umstellt und eingekesselt. Es folgten Kontrollen durch die Einsatzkräfte und Beschimpfungen durch die Menge. Schelte bekamen die Massnahmenkritiker wiederum von einigen Passantinnen und Passanten. Diese konnten sich für einmal über einen vergleichsweise ungestörten Donnerstagabend freuen.
(https://www.derbund.ch/die-siebte-demo-ist-ein-reinfall-393878564040
-> https://www.watson.ch/schweiz/coronavirus/346543877-in-bern-bleibt-es-ruhig-keine-demonstration-der-massnahmengegner
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/corona-demo-in-bern-der-grosse-skeptiker-aufmarsch-bleibt-aus-66027290
->
-> https://www.blick.ch/schweiz/bern/trotz-bewilligung-fuer-samstag-corona-skeptiker-halten-an-berner-donnerstag-demo-fest-id16924949.html
-> https://www.20min.ch/story/polizei-kesselt-demonstranten-ein-diese-genehmigen-sich-einen-drink-227323469390
-> https://twitter.com/querdenkenwatch/status/1451291035821301764
-> https://twitter.com/PoliceBern
-> https://twitter.com/__investigate__
-> https://twitter.com/farbundbeton
-> https://twitter.com/leckerbisse


Uneinigkeit bei Massnahmengegnern: Mass-voll boykottiert Gross-Demo
Die Protestbewegung wird am Samstag der bewilligten Kundgebung in Bern fernbleiben. Sie bezeichnet die Auflagen der Stadt als inakzeptabel.
https://www.derbund.ch/mass-voll-boykottiert-gross-demo-103485531591


Coronavirus: «Radikale Skeptiker wollen gar kein Gespräch»
Seit Wochen finden in Bern immer wieder unbewilligte Demos gegen die Massnahmen zum Coronavirus statt. Die bewilligte Kundgebung am Samstag wird aber gemieden.
https://www.nau.ch/news/schweiz/coronavirus-radikale-skeptiker-wollen-gar-kein-gesprach-66027014



Wer steckt hinter den «Freien Linken Schweiz»?
Am Samstag findet in Bern eine bewilligte Corona-Demo statt. Erstmals als Organisatoren treten die «Freien Linken Schweiz» auf. Doch wer steckt dahinter?
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/wer-steckt-hinter-den-freien-linken-schweiz-66026276


Polizisten-Gruppierung sorgt mit Trychler-Zeremonie für Aufregung
Die massnahmenkritische Gruppierung «Wir für euch», die aus Polizistinnen und Polizisten bestehen soll, hat ein neues Video veröffentlicht. Bei der Polizeigewerkschaft ist man entsetzt.
https://www.20min.ch/story/massnahmenkritische-polizisten-sorgen-mit-trychler-video-fuer-aufregung-481811578861
-> https://www.blick.ch/schweiz/wir-fuer-euch-video-stossend-und-verwerflich-polizisten-und-helvetia-trychler-reichen-sich-in-video-die-haende-id16922861.html
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/angebliche-polizisten-hetzen-im-internet-gegen-corona-regeln?partId=12076293
-> 10vor10: https://www.srf.ch/play/tv/10-vor-10/video/angebliche-polizisten-kritisieren-corona-massnahmen?urn=urn:srf:video:1d23c19a-758c-40e0-b737-11c998b3118a
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/botschaft-von-corona-skeptiker-video-zeigt-handschlag-von-skeptikern-und-angeblichen-polizisten
-> https://www.20min.ch/story/polizisten-treten-gegen-staat-an-das-ist-brandgefaehrlich-801173989593



derbund.ch 21.10.2021

Corona-Skeptiker im Korps: Polizisten, die sich über das Gesetz stellen

Staatsanwälte, Polizisten und angeblich auch Richterinnen machen Stimmung gegen den Rechtsstaat. Kürzlich trafen sie sich am Walensee, um ein martialisches Video zu drehen.

Kevin Brühlmann

Vor kurzem lud eine Vereinigung namens «Wir für euch» ein kurzes Video hoch. Ungefähr 40 Menschen mit hochgezogenen Kapuzen und Fackeln formieren sich am Ufer eines Sees. Leute in Armee- und Polizeiuniform schütteln sich die Hände. Zwei Männer reichen einem Kind die Hand, als müsse es von einer bösartigen Macht beschützt werden. Blaulicht und eine Gruppe von Trychlern begleiten die Zeremonie.

Auf der Webseite von «Wir für euch» ist von Polizisten zu lesen, die dazu aufrufen, Strafanzeige gegen ihre Kolleginnen und Kollegen einzureichen, die Corona-Massnahmen durchsetzen. Und von angeblichen Staatsanwälten, die der Meinung sind, die Justiz sei nicht mehr unabhängig. Alles anonym. Und alles, weil sie nach eineinhalb Jahren Pandemie aus irgendeinem Grund zur Überzeugung gelangt sind – so ein Zitat: «Wenn kein Wunder passiert, nähern wir uns langsam, aber sicher einem kollektiven Notwehr-Zustand an.»

Sie hätten sich verpflichtet, heisst es weiter, «die Grundrechte von allen zu schützen und zu bewahren». Deshalb bekämpfen sie die Corona-Massnahmen.

Gesetzeshüter also, die bestimmte Gesetze nicht hüten wollen. Und Verschwörungsfantasien nachhängen.

«Die vorläufigen Erkenntnisse», heisst es auf der Webseite, «lassen viele Ungereimtheiten, politische und wissenschaftliche Versäumnisse der zuständigen Stellen sowie faktische Unwahrheiten erkennen. Zudem sind – mit bisherigem Stand – diverse Verbindungen zwischen verschiedenen Akteuren in unserem Fokus, die weiterer Abklärungen bedürfen.» Was auch immer sie mit diesen «Verbindungen» meinen, diese Theorie erinnert an diejenige eines «Deep State», der Vorstellung, es gebe eine verborgene Macht im Staat, die unsere Regierung fernsteuert. Und schliesslich wollen sie ihre speziellen Fähigkeiten, die sie in der Polizei erlernt haben, gegen diese «Verbindungen» einsetzen: «‹Wir für euch› wird mit seinen Unter­stützern und auf Basis von klassischer Ermittlungs­tätigkeit alles daran setzen, um die tatsächlichen Geschehnisse zutage zu fördern.»

Was läuft hier eigentlich? Wer steckt dahinter – und vor allem: wie viele?

Diese Fragen können weder das Bundesamt für Polizei, kurz Fedpol, noch mehrere angefragte Kantonspolizeien beantworten. Alle sagen ausserdem, man habe keine Kenntnis von «Wir für euch»-Mitgliedern in ihrem Korps, aber man könne es auch nicht ausschliessen.

Wie das Online-Magazin «Republik» Anfang Oktober enthüllte, sind zwei Zürcher Kantonspolizisten Mitglied von «Wir für euch». Sie wurden mittlerweile freigestellt, weil sie zu Strafanzeigen gegen Kolleginnen und Kollegen aufriefen. «Ein derartiger Aufruf», liess die Kantonspolizei Zürich der «Republik» ausrichten, «verstösst gegen die Werte der Kantons­polizei und das Gelübde, das jede Polizistin und jeder Polizist vor dem Eintritt ins Korps leistet, und kann das Vertrauen der Bevölkerung in die Arbeit und Redlichkeit der Kantons­polizei untergraben.»
-> https://www.republik.ch/2021/10/08/von-polizisten-die-glauben-ueber-dem-gesetz-zu-stehen

Grundsätzlich setzten die Kantonspolizeien die Corona-Schutzmassnahmen durch, sagt Florian Näf vom Fedpol. Bei der Durchsetzung von Massnahmen, die von politischen legitimierten Organisationen erlassen wurden, habe man keinen Ermessensspielraum. «In einer Demokratie und einem Rechtsstaat hat die Polizei ideologieneutral zu sein», sagt Näf. «Dies gilt für jede einzelne Polizistin und jeden einzelnen Polizisten. Weigert er oder sie sich, geltendes Recht umzusetzen, macht er oder sie sich strafbar und hat personalrechtliche Konsequenzen zu erwarten.»

Corona-Skeptiker wird ausfällig

Recherchen ergeben, dass sich die Vereinigung beim Grillplatz Betlis am Walensee zum Videodreh getroffen hat. Er liegt unterhalb der Gemeinde Amden am südlichen Ende des Kantons St. Gallen.

Wird die Polizei diese Vorgänge intern untersuchen, um mögliche Mitglieder bei «Wir für euch» ausfindig zu machen?

«Alles, was wir dazu sagen können», sagt Florian Schneider, Sprecher bei der Kantonspolizei St. Gallen, ist: «Das, was im Video vorkommt, widerspiegelt nicht die Meinung unseres Korps.»

Im Video am Walensee ist eine Stimme mit Ostschweizer Dialekt aus dem Off zu hören («Was in den letzten eineinhalb Jahren passiert ist, ist aus meiner Sicht in vielen Bereichen rechtsstaatlich zumindest fragwürdig und auf jeden Fall unverhältnismässig»). Sie erinnert an Robin Spiris Sound, einen Steuerberater aus Amriswil und Aushängeschild der Anti-Corona-Massnahmen-Bewegung.

Als man ihn anruft und fragt, ob das seine Stimme sei im Video, sagt er, sicher nicht, und was einem eigentlich einfalle, seine Firmennummer zu wählen, er empfehle einen Psychiater. Spiris Tonfall wird schriller und schriller. Kurz bevor man auflegt, stellt er brüllend irgendwelche Zusammenhänge zwischen «ficken» und «Mutter» her.

Wenige Minuten später ruft er nochmals an und sagt überaus freundlich, er brauche die Kontaktdaten, weil er eine Rechnung stellen wolle, «Beratungspauschale».
(https://www.derbund.ch/polizisten-die-sich-ueber-das-gesetz-stellen-302845702304)



bernerzeitung.ch 21.10.2021

Covid-Gesetz mobilisiert: Massnahmenkritiker unter sich

Masken und andere Massnahmen zur Eindämmung des Coronavirus sind ihnen ein Gräuel: In Burgdorf machten rund hundert Leute Stimmung gegen das Covid-Gesetz.

Stephan Künzi

Masken? Die trägt keiner der rund hundert Gäste. Und Kontaktdaten werden ebenfalls keine aufgenommen. Wen wunderts, an diesem Abend geht es just um den Kampf gegen die Einschränkungen, die das Coronavirus eindämmen sollen.

Die massnahmenkritischen Freunde der Verfassung haben in die Markthalle Burgdorf geladen, um gegen das erweiterte Covid-Gesetz Stimmung zu machen. Die Vorlage kommt Ende November an die Urne und schafft die Basis für die umstrittene Zertifikatspflicht, mit der der Zugang zu Restaurants und anderen öffentlichen Innenräumen auf Geimpfte, Genesene und Getestete beschränkt werden kann.

Guido Brunner, der regionale Leiter der Vereinigung und Organisator des Abends, sieht im fehlenden Schutzkonzept kein Problem. «Wir haben uns hier unter dem Artikel 19 versammelt», stellt er gleich zu Beginn fest. Und hat dabei Bundesbestimmungen vor Augen, aus denen er ableitet: Bei einer politischen Kundgebung wie dieser seien spezielle Vorkehrungen nicht Pflicht.

Dass der Kanton dies bei politischen Anlässen anders sieht, kümmert ihn genauso wenig wie die Tatsache, dass die Gemeinden an ihren Versammlungen und Parlamentssitzungen ebenfalls auf Masken und Kontaktdaten bestehen. Er dagegen setze auf die Eigenverantwortung, sagt Brunner, und: Viele der Anwesenden besässen ohnehin ein Attest, das sie von der Maske befreie. «Ein echtes übrigens.»

«Wie eine Hippie-Kommune»

Wie Pilze schiessen bei den Freunden der Verfassung die regionalen Gruppen dem Boden. Nicht weniger als 160 Ableger zählt die mittlerweile 20’000 Mitglieder starke Bewegung zurzeit, wie Guido Brunner hörbar stolz festhält. Besonders dicht gesät sind sie in den Ballungsräumen von Zürich, Luzern und Basel.

Die Fäden laufen in der nationalen Zentrale in Solothurn-West zusammen. Diese befindet sich «in einem Gebäude, das einen an eine verlassene Hippie-Kommune erinnert», schrieb das rechtskonservative Onlineportal Nebelspalter.ch im Juli. Hier, mitten im trostlosen Industriegebiet mit seinen stetig ratternden Zügen, herrsche «emsiges Treiben, überall, immer klingelt irgendwo ein Telefon».

Zu verarbeiten gab es damals die 187’000 Unterschriften, die in nur drei Wochen gegen das erweiterte Covid-Gesetz gesammelt worden waren. «Allein diese Menge zeugt von der Kraft unserer Bewegung», stellt Brunner zufrieden fest. Bereits seien ein paar Leute in Teilzeit angestellt worden, wobei: «Die meisten arbeiten nach wie vor im Ehrenamt.»

Finanziert werden die Aktivitäten aus Mitgliederbeiträgen und Spenden.

Hilfsmittel oder Keil?

In der Markthalle Burgdorf haben zwei Emmentaler Grossräte Platz genommen. Michael Ritter von den Grünliberalen und Michel Seiler, der ehemalige Grüne, der sich heute parteifrei nennt, wollen in zwei Referaten erläutern, wie sie es mit dem erweiterten Covid-Gesetz halten.

Während Ritter argumentiert, das Zertifikat läute den Anfang vom Ende der Pandemie ein und sei deshalb vernünftig, hält Seiler entgegen: Das Zertifikat schliesse Menschen vom öffentlichen Leben aus und treibe «mit dem Vorschlaghammer» einen Keil in die Gesellschaft. Das sei fatal.

Im anschliessenden Talk weibelt Brunner nun mit statistisch untermauerten Behauptungen für seine Sache. Er befragt die zwei Grossräte zur «angeblichen Überbelastung der Intensivstationen», stellt weiter fest, dass die Zertifikatspflicht bei bereits sinkenden Corona-Zahlen eingeführt worden sei. Was die beiden davon hielten? Gezielt streut er auch Misstrauen gegen die Medien, die er als Sprachrohr von staatlicher Propaganda und deshalb als «unsere Gegner» bezeichnet.

Als später das Publikum Fragen stellen darf, wird die Diskussion immer emotionaler, ab und zu gibt es Applaus, einmal geht ein verärgertes Raunen durchs Publikum, gellen sogar Pfiffe. Unvermittelt werden die Massnahmenkritiker auch ihrem Ruf gerecht, Verschwörungstheorien nachzuhängen. Dann wird der Kampf gegen Corona mit all seinen Massnahmen zum Teil eines viel grösseren, jedoch nicht näher umrissenen Plans. Und IT-Milliardär Bill Gates zum Manipulierer, der die ganze Welt mental impft.

Alternativ oder rechts?

Guido Brunner mag es allerdings nicht, in diese Ecke mit all ihren Berührungspunkten zur politischen Rechten gestellt zu werden. Die Massnahmenkritiker verortet er politisch ganz woanders. «Wir gehören eher zur alternativen Szene.»

Für ihn persönlich gilt das im Moment insofern, als er «mit sechs Gespanen» in Burgdorf in einer WG wohnt und sich als 52-Jähriger gerade beruflich neu orientiert. Er habe seinen Job in einer Gemeindeverwaltung wegen der restriktiven Corona-Politik aufgegeben, führt er aus. Zurzeit lebe er vom Ersparten und plane, sich als Berater selbstständig zu machen. Wohl «im gesundheitlichen Bereich, dafür habe ich ein Faible».

Brunner gehört zu den Freunden der Verfassung der ersten Stunde. Mit ihnen kam er im Frühling 2020 an einer Demo gegen die Corona-Massnahmen in Kontakt. Schon tags darauf habe man – «es waren rund 50 Personen mit mindestens einem Vertreter pro Kanton» – sich auf dem Rütli getroffen und «geschworen, dass wir uns das nicht mehr weiter bieten lassen».

Dazu gehört, ohne Maske im öffentlichen Verkehr zu sitzen. Er sei bereits in erster Instanz verurteilt worden, doch in beiden Fällen müsse nun das Obergericht entscheiden, erzählt Brunner. Übrigens verfüge auch er über ein Attest, dieses sei mittlerweile juristisch besser begründet. Offen redet er weiter darüber, dass er nach wie vor regelmässig demonstriert. Die gehässigen bis rechtsextremen Töne, wie sie letzten Samstag auch an der Kundgebung in Rapperswil wieder laut wurden, schrecken ihn nicht ab. Man dürfe niemandem die Meinung verbieten, niemanden isolieren.

«Keine Berührungsängste»

Wie es den beiden Grossräten damit ergeht, sich in einem solchen Umfeld zu zeigen? «Ich habe keine Berührungsängste», erklärt Seiler. Von seiner politischen Arbeit her sei er es gewohnt, mit allen zu reden.

Ritter betont derweil, dass er hier im Rahmen eines Abstimmungskampfes auftrete und dieser zum rechtsstaatlichen System der Schweiz gehöre. Solange der Anlass nicht in die rechtsextreme Ecke abdrifte, sei das Ganze unproblematisch. Man könne für oder gegen das erweiterte Covid-Gesetz argumentieren, «diese Debatte müssen wir zulassen».

In diesem Sinne glaubt er auch nicht, dass ihm der Auftritt politisch schadet. Michel Seiler macht sich ebenfalls keine Gedanken zu seiner politischen Karriere. Nach seinem Austritt aus der Grünen Partei wird er nach den Wahlen vom nächsten Jahr wohl ohnehin aufhören.



Der Politikberater ist nicht erstaunt

«Das schnelle Wachstum überrascht mich nicht.» Mark Balsiger ist Politikberater in Bern – und nicht erstaunt darüber, wie dynamisch sich die Organisationen der Massnahmenkritiker mit zunehmender Dauer der Corona-Krise entwickeln. «Viele Leute sind tief verunsichert, andere verärgert, sie suchen Halt, Gleichgesinnte oder ein Ventil.»

Den Freunden der Verfassung attestiert Balsiger professionelle Strukturen. «Diese Gruppierung arbeitet in allen Sprachregionen und mit Regionalgruppen, und sie verfügt über Charta und Leitbild, was vertrauenserweckend wirkt.» Mit ihrem Zielpublikum im mittleren oder reiferen Alter unterscheide sie sich klar von anderen, insbesondere von der Bewegung Mass-voll, die in erster Linie Junge anspreche. Das Aktionsbündnis Urkantone und die Freiheitstrychler wiederum seien vor allem regional, in der Innerschweiz, aktiv.

Balsiger bezeichnet die Corona-Krise als «Stresstest für die Gesellschaft wie die Demokratie». An die Stelle der alten Konfliktlinien zwischen Stadt und Land oder Kapital und Arbeit trete «eine Art neuer Kulturkampf – hier die Behördentreuen, dort die Kritiker». Dass viele Kritiker abgetaucht sind, sich nur noch unter ihresgleichen austauschen und so radikalisieren, sei «eine grosse Herausforderung für unsere Gesellschaft». Der Austausch werde sich nach der Pandemie zwar «wieder normalisieren und entspannen, aber ob das für alle Leute gilt, ist offen». (skk)
(https://www.bernerzeitung.ch/massnahmenkritiker-unter-sich-535825265785)



Zertifikatspflicht ignoriert: Strafverfahren gegen Betreiber der Walliserkanne eingeleitet
Das Restaurant Walliserkanne in Zermatt weigert sich partout, die Zertifikate ihrer Gäste zu kontrollieren. Nun hat die Staatsanwaltschaft eine Strafuntersuchung gegen die Betreiber eingeleitet.
https://www.20min.ch/story/strafverfahren-gegen-betreiber-der-walliserkanne-eingeleitet-834752772374


Trotz Kriegsrhetorik: Keine Anzeige gegen Schwyzer SVP-Kantonsrat
Der Schwyzer SVP-Kantonsrat David Beeler wird nicht angezeigt. Seine Rede hatte an einer Demonstration der Corona-Massnahmengegner in Rapperswil-Jona SG für Schlagzeilen gesorgt.
https://www.tagblatt.ch/news-service/inland-schweiz/corona-demonstration-trotz-kriegsrhetorik-keine-anzeige-gegen-schwyzer-svp-kantonsrat-ld.2204407
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/auch-obwalden-will-wegen-tiefer-quote-den-impfturbo-zuenden?id=12076266 (ab 06:12)
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/keine-anzeige-nach-rede-von-svp-kantonsrat-in-rapperswil-jona-66027439


So skurril sind die Coronaleugner in der Schweiz
Mit Kuhglocken demonstrieren Kritiker gegen die Coronamaßnahmen.
https://www.vice.com/de/article/g5qxyx/so-skurril-sind-die-coronaleugner-in-der-schweiz


Umstrittener Abwiler Arzt erhebt Beschwerde gegen «Kassensturz»-Sendung – und unterliegt: Jetzt will er vors Bundesgericht
In zwei «Kassensturz»-Sendungen hatten Angehörige von Krebspatienten Vorwürfe gegen den Abtwiler Arzt Manfred Doepp erhoben. Er reichte Beschwerde gegen die Beiträge bei der Unabhängigen Beschwerdestelle für Radio und Fernsehen ein – und wird abgewiesen. Er will «diese Ungerechtigkeit nicht stehen lassen» und zieht den Entscheid weiter.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/entscheid-umstrittener-abwiler-arzt-erhebt-beschwerde-gegen-kassensturz-sendung-und-unterliegt-jetzt-will-er-vors-bundesgericht-ld.2204140


+++HISTORY
Walter Hausers dritter Streich zu Anna Göldi
Zum Prozess gegen Anna Göldi ist schon viel recherchiert worden. Nun hat der Glarner Journalist und Jurist Walter Hauser ein weiteres Buch verfasst. Er stellt den Fall unter anderem in den Kontext eines damaligen Churer Exorzisten. (ab 12:47)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/walter-hausers-dritter-streich-zu-anna-goeldi?id=12076287