Medienspiegel 20. Juni 2021

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++BASEL
Gewalt im Bundesasylzentrum – «Mir wurde der Kiefer drei Mal gebrochen»
«Sie haben mich zu dritt an den Boden geworfen und sind auf mein Gesicht getreten»: Ein Betroffener erzählt von der Gewalt im Basler Bundesasylzentrum.
https://telebasel.ch/2021/06/20/unbewilligter-demonstrationszug-von-polizei-gestoppt/?channel=105100


+++SCHWEIZ
Wiederaufnahme Ausschaffungen nach Afghanistan sorgt für Kritik – Tagesschau
Die Schweiz nimmt die Ausschaffungen von abgewiesenen Asylsuchenden nach Afghanistan wieder auf. Menschenrechtsorganisationen üben scharfe Kritik. Denn Afghanistan gilt als eines der gefährlichsten Länder der Welt.
https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/wiederaufnahme-ausschaffungen-nach-afghanistan-sorgt-fuer-kritik?urn=urn:srf:video:f66ebedf-cf1f-4457-89f8-d1cb4262265f


SEM bestätigt – Schweiz schafft Asylsuchende wieder nach Afghanistan aus
Wegen Corona waren Rückführungen von abgewiesenen Asylsuchenden ausgesetzt worden. Nun werden sie wieder aufgenommen.
https://www.srf.ch/news/schweiz/sem-bestaetigt-schweiz-schafft-asylsuchende-wieder-nach-afghanistan-aus



NZZ am Sonntag 20.06.2021

Er kann nicht arbeiten. Er kann nicht in der Schweiz bleiben. Er kann nicht ausreisen

Über das Leben des Tibeters Tingle, der seit neun Jahren im Schweizer Niemandsland lebt. Und leidet.

Lukas Häuptli

Da würde Tingle heuen. Gras schneiden, heuen, Heu einfahren. An den steilen Hängen zwischen Stans und Stanserhorn, da, wo das Grün der Wiesen nach und nach ins Grau der Berge übergeht. Da also würde er heuen und auf dem Hof die Ziegen melken und den Stall ausmisten.

Denn Tingle wäre Tonis Angestellter, angestellt zu einem Lohn, der gut zum Leben reichen würde. Odermatt Toni, Bergbauer auf Meierskählen, hoch über dem Nidwaldner Hauptort Stans. 120 Ziegen leben da. Mehr Idylle geht nicht. Mehr harte Arbeit auch nicht.

Wäre, würde, könnte. Es ist der Konjunktiv von Tingles Hoffnung. Im Indikativ der Wirklichkeit arbeitet er nicht auf Meierskählen. Obwohl er das möchte, obwohl Toni das möchte. «Man merkt, dass Tingle ein gutes Gefühl für Tiere hat», sagt Odermatt und erzählt, wie er, der Bergbauer, ständig nach tüchtigen Arbeitern Ausschau halten müsse. «In der Landwirtschaft herrscht massiver Personalmangel.»

Aus diesem Grund hat er ans Nidwaldner Migrationsamt und dessen Chefin, Mitte-Regierungsrätin Karin Kayser-Frutschi, geschrieben: «Tingle ist sehr tüchtig. Deshalb möchte ich Sie bitten, ihm möglichst bald die Bewilligung auszustellen, damit er hierbleiben und arbeiten kann».

Geht nicht, kann nicht, wird nicht. Asylgesetz, Artikel 14. Ausländer- und Integrationsgesetz, Artikel 30. Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit, Artikel 31. «Der Kanton Nidwalden ist nicht bereit, dem Gesuchsteller eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen», hat das Migrationsamt Ende Mai in einer «formlosen Abweisung» von Tingles Härtefallgesuch geschrieben. Ein Dokument, das dieser eingereicht habe, sei «nicht echt bzw. manipuliert», hiess es in der Begründung.

In den Papieren der Migrationsbehörden von Bund und Kantonen wird Tingle als «chinesischer Staatsangehöriger» geführt, in Tat und Wahrheit und im Herzen aber ist er Tibeter. In seiner Heimat verfolgte ihn die Polizei, weil er Bilder vom Dalai Lama verteilt hatte; drei Wochen sass er im Gefängnis.

2012 flüchtete er mit der Hilfe eines Schleppers und stellte in der Schweiz ein Asylgesuch. 2014 wurde dieses ein erstes Mal abgelehnt, 2017 ein zweites Mal. Das hiess: Eigentlich müsste er die Schweiz verlassen. Eigentlich.

Zimmer im Untergrund

Seither wohnt Tingle in einem Zimmer im Untergeschoss, einem Zimmer für abgewiesene Asylsuchende in einer Unterkunft am Rand von Stans. Morgens um 8 Uhr muss er dieses «angemessen gereinigt» verlassen, zurückkehren darf er um 22  Uhr, pro Tag erhält er acht Franken Nothilfe. Arbeit ist ihm, wie allen abgewiesenen Asylsuchenden in der Schweiz, untersagt.

Tingle ist, wenn er seine Geschichte erzählt, um Fassung bemüht. Der 40-Jährige (dessen Frau und dessen Sohn noch immer in Tibet leben) redet ruhig, wägt Wort um Wort ab, korrigiert, wenn eines ihm nicht ganz korrekt erscheint. Er ist höflich, mag nichts Böses über die Behörden sagen, nein, das nicht.

Lieber erzählt er, wie er sich in der Schweiz in all den Jahren eingelebt hat. Wie er Deutsch lernte. Wie er im FC Fussball spielte. Wie er an den Stanser Musiktagen als Freiwilliger half. Und natürlich, wie gern er, der in Tibet Viehbauer war, auf Odermatts Bergbauernhof arbeiten würde. Dann leuchten seine Augen kurz.

Sonst aber liegt auf seinem Gesicht ein Schimmer stiller Trauer. Seit Wochen kämpft er, von jahrelanger Hoffnungslosigkeit angefressen, mit physischen und psychischen Problemen.

In Stans weiss Tingle häufig nicht, wo er seine Tage verbringen soll, vor allem dann nicht, wenn sie regnerisch und kalt sind. Dann marschiert er die Viertelstunde vom Zimmer für abgewiesene Asylsuchende ins Einkaufszentrum draussen an der Autobahneinfahrt Stans Nord.

«Länderpark» heisst dieses: Migros, Denner, Mobilezone. Esprit, Marco Polo, H&M. 53 Geschäfte für ein «unvergessliches Shoppingerlebnis», wie es in der Werbung heisst. Mitten in den Läden, auf einem der Bänke in der Mall und von den Securitas-Mitarbeitern mehr übersehen als geduldet, schlägt er dann die langen Tage tot.

Nach Nepal oder Indien?

Tingles Fall ist ein Beispiel dafür, wie unsinnig Schweizer Migrationspolitik sein kann. Wie unsinnig und fern der humanitären Tradition des Landes. Dazu muss man wissen: Tingle, abgewiesener Asylsuchender mit rechtskräftiger Wegweisungsverfügung, kann die Schweiz nicht verlassen – selbst wenn er es wollte. Auf eine Abschiebung nach China verzichtet der Bund wegen der dortigen Menschenrechtsverletzungen von sich aus.

Und eine Überführung aus der Schweiz nach Nepal oder Indien, wo grosse tibetische Diasporas leben, scheitert daran, dass die beiden Staaten für eine Übernahme fast nie Hand bieten. Deshalb geht es mehreren Hundert anderen abgewiesenen tibetischen Asylsuchenden in der Schweiz gleich wie Tingle – auch wenn nicht alle seit neun Jahren hier leben. Bis jetzt konnte ein einziger Tibeter nach Indien und eine einzige Tibeterin nach Nepal abgeschoben werden, wie ein Sprecher des Staatssekretariats für Migration sagt.

Wäre, würde, könnte. Noch hofft Tingle, dass der Konjunktiv zum Indikativ wird. Dass sein Härtefallgesuch, das nicht rechtskräftig entschieden ist, doch noch gutgeheissen wird. Er sieht vor allem einen Grund dafür: Zum persönlichen Dokument, welches das Nidwaldner Migrationsamt Ende Mai «nicht echt bzw. manipuliert» einstufte, hatte das Bundesverwaltungsgericht aufgrund eines forensischen Gutachtens 2015 geschrieben: «Es konnten keine objektiven Fälschungsmerkmale festgestellt werden.»

Deshalb hofft Tingle weiter. Hofft, dass er irgendwann auf Meierkählen heuen, die Ziegen melken und den Stall ausmisten kann. Kann, nicht könnte.



Die Politik kommt in Bewegung

In der Schweiz beziehen zurzeit rund 6000 Personen Nothilfe. Etwa die Hälfte von ihnen machen das seit mehr als einem Jahr. Die meisten sind Asylsuchende, die nicht aus der Schweiz ausgeschafft werden wollen. Oder nicht ausgeschafft werden können. Zur letzten Gruppe gehören vor allem Tibeter und Tibeterinnen.

Aus diesem Grund fordern linke Kreise seit Jahren eine Regularisierung der Betroffenen. Jetzt unterstützen aber auch mehr und mehr Vertreter der politischen Mitte und Rechte die Forderung. So ist eine Motion von EVP-Nationalrätin Marianne Streiff-Feller mit dieser Stossrichtung auch von Mitte-Präsident Gerhard Pfister, von FDP-Nationalrat Kurt Fluri sowie von weiteren bürgerlichen Parlamentsmitgliedern unterzeichnet worden.

Und im Kanton Luzern fordert gar SVP-Kantonsrat Räto Camenisch den Regierungsrat mit einem Postulat dazu auf, eine Regularisierung von sogenannten Sans-Papiers zu prüfen.
(https://nzzas.nzz.ch/schweiz/sans-papier-wenn-ein-auslaender-nichts-darf-ld.1631349)


+++GRIECHENLAND
Für Athen ist die Türkei ein sicheres Land für Flüchtlinge
Griechenland hat kürzlich die Türkei zum sicheren Drittstaat für Asylwerber erklärt. Migrationsminister Notis Mitarakis erhöht damit den Druck auf die EU
https://www.derstandard.at/story/2000127538739/fuer-athen-ist-die-tuerkei-ein-sicheres-land-fuer-fluechtlinge



NZZ am Sonntag 20.06.2021

Griechenland setzt Schallkanonen gegen Flüchtlinge ein

Ein Land schottet sich ab: Athen will mit Flüchtlingen nichts mehr zu tun haben und macht wie andere in der EU auf eigene Faust Asylpolitik.

Adelheid Wölfl, Sarajewo

Man bekommt eine Hand hindurch, aber nicht mehr. Eng stehen die Pfeiler, fast fünf Meter sind sie hoch. Man kennt solche Stahlmauern von der Grenze zwischen Mexiko und den USA, doch nun werden sie auch an der Grenze zwischen der EU und der Türkei errichtet.

27 Kilometer lang ist die neue Befestigung am griechischen Grenzfluss Evros, einem grünen Gewässer, in das die rasenden Mänaden der Mythologie zufolge den Kopf des Orpheus geworfen haben sollen.

Der neue eiserne Vorhang ist nicht die einzige Abschreckung, die Griechenland gegen die Migranten in Stellung bringt. Ein Grenzzaun weiter im Norden am Evros, der schon 2010 zu Beginn der Flüchtlingskrise gebaut worden war, ist nun verstärkt worden. Drohnen setzt die Grenzpolizei ein und neuerdings auch Schallkanonen.

Sie senden Schallwellen aus, schmerzhaft laut wie der Lärm eines Jet-Triebwerks, und lassen Menschen das Gleichgewicht verlieren. Die EU-Kommission, welche die Hightech-Aufrüstung an der griechischen Grenze finanziert, gab sich besorgt und erinnerte an das Recht auf Würde, das auch Asylbewerber besässen.

Aber die Griechen haben einen Schlussstrich gezogen. Ziemlich unbemerkt hat das Land, das sich immer durch Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft auszeichnete – oft auch in Erinnerung an eigene Familiengeschichten der Vertreibung aus Kleinasien –, eine Wende vollzogen. Die Erfahrung im Februar 2020 mag den Ausschlag gegeben haben. Der türkische Staatschef hatte damals Tausende Migranten zur griechischen Grenze am Evros losgeschickt.

Plötzlich nicht mehr zuständig

Auf einen weiteren solchermassen orchestrierten Ansturm ist die Regierung des konservativen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis vorbereitet. Und sie will noch einen Schritt weiter gehen. Asylanträge in Griechenland zu stellen, soll unzulässig werden. Erst dieser Tage beschloss die Regierung in Athen, die Türkei zum sicheren Drittstaat für alle Bürger aus Syrien, Somalia, Bangladesh, Afghanistan und Pakistan zu erklären.

Aus diesen Ländern kommt der ganz überwiegende Teil der Migranten. Griechenland habe eine Jokerkarte auf den Tisch gelegt, so sagt es die in Athen lebende deutsche Migrationsexpertin Jutta Lauth Bacas. Der griechische Staat habe sich nun für nicht zuständig erklärt. Mit Asylbewerbern will Griechenland nichts mehr zu tun haben.

Ob das so einfach geht? Das grosse Kartenspiel um das Asyl läuft in Brüssel. Schon beim EU-Gipfel nächste Woche wird das Thema auf Wunsch Italiens wieder einmal auf der Agenda stehen. Die Grenzländer im Süden der EU drängen auf eine faire Verteilung der Flüchtlinge, vor allem die Osteuropäer sperren sich gegen Quoten.

Weil sich die Seiten seit Jahren nicht bewegen und die Gegensätze unüberbrückbar bleiben, ziehen einige EU-Staaten nun radikale Konsequenzen. Sie schotten sich ab. Griechenland oder auch Dänemark sind dafür ein Beispiel geworden.

Für seinen harten Kurs gegen Migranten hat Regierungschef Mitsotakis sicherlich eine Mehrheit der Bevölkerung hinter sich. Die Zeit der Pandemie nutzte der Staat, um Tausende Asylanträge abzuarbeiten, vielen auch Schutz zu gewähren und die Zahl der Lagerinsassen auf den Ägäisinseln zu verringern.

Aber vor allem auf den Inseln wollen die Griechen einfach keine Flüchtlinge mehr aufnehmen. Sie meinen schon lange, die Türkei, die viel Geld von der EU dafür erhält, solle sich um die Flüchtlinge kümmern. Die Geduld ist zu Ende.

Jetzt, da die griechische Regierung die Türkei zum sicheren Drittstaat für Flüchtlinge erklärt hat, können die Behörden Asylanträge rasch ablehnen. Selbst in dem Fall, dass sich die Türkei weigert – was wahrscheinlich ist –, die Flüchtlinge zurückzunehmen, würde ihre Nicht-Anerkennung in Griechenland trotzdem auch in Afghanistan die Runde machen. Athen geht es um das Signal: Probiert es gar nicht, ihr bekommt ohnehin kein Asyl!

Innenpolitisch komme das in Griechenland gut an, und auch aussenpolitisch sei es ein gutes Mittel, um in den Verhandlungen mit der EU die eigene Position zu stärken, glaubt die Migrationsexpertin Lauth Bacas. Und Verhandlungsgeschick wird gebraucht. Denn Griechenland wird zurzeit besonders von Deutschland kritisiert, weil Tausende anerkannte Flüchtlinge das Land mit Charterflügen verlassen.

Die Flüchtlinge, die sich legal 90 Tage in einem anderen EU-Land bewegen dürfen, beantragen in Deutschland wieder Asyl. «Sekundärmigration» heisst dies im Jargon der Behörden. Doch viele anerkannte Asylbewerber finden in Griechenland einfach keinen Job und haben weder eine Wohnung noch Geld.

Revanche an Deutschland

Die Vorwürfe aus Deutschland lässt die Regierung in Athen an sich abprallen. «Wir haben damit nichts zu tun», sagt Migrationsminister Notis Mitarakis. Süffisant erinnert der Minister daran, dass Griechenland vor einigen Jahren von Staaten wie Deutschland dazu aufgefordert worden war, die Sozialausgaben zu kürzen. Genau deshalb gebe es keine kostenlosen Sozialwohnungen, weder für obdachlose Griechen noch für Flüchtlinge.

«Wenn wir viele Millionen und Milliarden mehr hätten, könnten wir ein neues System schaffen. Aber angesichts unserer Finanzen verteilen wir eben das, was wir haben», erklärt er im Gespräch mit der «NZZ am Sonntag». Ginge es nach Mitarakis, sollten alle Flüchtlinge, die in einem EU-Staat anerkannt wurden, sowieso auch in der gesamten EU anerkannt werden. Schliesslich könne man nicht alle Lasten allein tragen, moniert man in Athen.

Und so geht es wie bei dem Kinderspiel mit der heissen Kartoffel, die von einem zum Nächsten geworfen wird. Nur Griechenland sei für die Asylbewerber und die anerkannten Flüchtlinge verantwortlich, weil es ja das Erstaufnahmeland sei, sagen die anderen EU-Staaten. In Griechenland verweist man auf die Türkei: Diese sei eigentlich zuständig für die Migranten. Die Türkei wiederum verlangt mehr Geld von der EU, wenn bei ihr an die Türe geklopft wird.

Ob die Türkei tatsächlich ein sicheres Drittland für Asylsuchende ist, hat der Europäische Gerichtshof in Luxemburg noch nicht geklärt. «Darüber kann man streiten. Das Oberste Verwaltungsgericht in Griechenland kam in einem Urteil vor ungefähr zwei Jahren zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen erfüllt sind», sagt Daniel Thym, der an der Universität Konstanz am dortigen Forschungszentrum für Ausländer- und Asylrecht lehrt. Und für die anderen Vorwürfe, die Griechenland gemacht werden, die illegalen, gewaltsamen Zurückweisungen von Flüchtlingen, ist die Debatte um den sicheren Drittstaat ohnehin unerheblich.

Athen hat die mittlerweile zahlreichen Belege für die «Pushbacks» von Bootsmigranten stets zurückgewiesen. Was die griechischen Sicherheitskräfte wirklich auf dem Meer tun, will man aber nicht verraten. «Wir sprechen nicht öffentlich über die Einsatzpläne», so Mitarakis. Denn Schlepper könnten diese Informationen nützen. «Es gibt Dinge, die erlaubt sind und auch getan werden sollten. Europa hat eben Grenzen», sagt der Minister. Und diese schottet Griechenland nun ab.



Zurückschicken statt integrieren

Von Niels Anner, Kopenhagen

Die Idee einer Einwanderungspolitik mit immer neuen Verschärfungen hatte die dänische Regierungschefin Mette Frederiksen nicht selbst. Die harte Linie war seit der Jahrtausendwende von der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei geprägt worden: Sie hat den Bürgerlichen Mehrheiten garantiert und dafür ihre Politik durchgesetzt.

Doch seit 2019 regiert die Sozialdemokratin Frederiksen – mit einer strikteren Einwanderungspolitik denn je und so erfolgreich wie die Genossen sonst nirgends in Europa. Ihre Partei hat die Rechtspopulisten kopiert und in die Bedeutungslosigkeit gedrängt.

Die 42-jährige Regierungschefin hat die Asyl- und Ausländerpolitik fundamental nach rechts verschoben. Frederiksen sagt: Um den Wohlfahrtsstaat und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu erhalten, «müssen wir aufpassen, dass nicht zu viele in unser Land kommen». Der Fokus der Ausländerpolitik Dänemarks – ein Land mit einem Ausländeranteil von unter 10 Prozent – soll nicht auf Integration liegen, sondern auf provisorischem Aufenthalt und baldigem Zurückschicken.

Anfang Jahr postulierte Frederiksen, es sollten gar keine Asylbewerber mehr ins Land kommen. Garantieren könne sie ihr Ziel von «null Asylbewerbern» zwar nicht, aber sie verfolge die Vision, dass es nur noch wenige von der Uno vermittelte Quotenflüchtlinge sowie verstärkte Entwicklungshilfe gebe.

Als erstes EU-Land beschloss Dänemark Anfang Mai, Asylverfahren in Drittländer auszulagern. Sprich: Flüchtlinge sollen an der dänischen Grenze abgefangen und nach Afrika geflogen werden. Dort sollen sie in Lagern leben, bis Dänemark über ihr Asyl entschieden hat. Hinweise der EU-Kommission und der Uno, dies würde geltendes Recht verletzen, wischt die Regierung beiseite – und an Proteste von Menschenrechtsorganisationen hat sie sich gewöhnt.

Allerdings ist das Vorhaben noch nicht über erste Gespräche mit Rwanda, Tunesien und Ägypten hinaus gediehen. Dagegen hat Dänemark als erstes Land bereits begonnen, Syrer zurückzuschicken. Dies mit der von Experten heftig kritisierten Begründung, das Gebiet um Damaskus sei sicher. Damit werden Hunderte Flüchtlinge, die generell aufgrund des Bürgerkriegs Asyl erhalten hatten, ausgewiesen.

Da Dänemark aber keine diplomatischen Beziehungen mit dem Regime von Bashar al-Asad hat, ist nur eine freiwillige Ausreise möglich. Lehnen dies die Syrer ab, müssen sie in ein «Ausreisezentrum» umziehen, wo sie nicht arbeiten oder sich ausbilden können. Viele der Betroffenen sind allerdings junge, gut integrierte Personen.
(https://nzzas.nzz.ch/international/asylpolitik-griechenland-schottet-sich-ab-ld.1631353)


+++GASSE
Vom Topverdiener zum Randständigen: Warum dieser Zürcher mit wenig Geld zufriedener ist
Hans Peter Meier arbeitete ununterbrochen und verdiente gutes Geld. Dann wurde er obdachlos. Heute lebt der Zürcher nicht mehr auf der Strasse, aber noch immer in Armut. Wie er dorthin geriet und warum ihn dieses Leben glücklicher macht.
https://www.watson.ch/schweiz/gesellschaft%20&%20politik/474199005-vom-topverdiener-zum-randstaendigen-die-geschichte-von-hans-peter-meier


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Basel: Unbewilligter Demonstrationszug nach Protest auf Claramatte
Bei einer bewilligten Standdemonstration gegen Ausschaffungsgefängnisse hat sich ein unbewilligter Zug gebildet. Die Polizei hat die Betroffenen abgemahnt.
https://telebasel.ch/2021/06/20/unbewilligter-demonstrationszug-nach-protest-auf-claramatte
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/anklage-gegen-grossrat-eric-weber?id=12006602 (ab 02:30)
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/polizei-stoppt-unbewilligten-demonstrationszug-in-basel-65950473
-> https://www.swissinfo.ch/ger/polizei-stoppt-unbewilligten-demonstrationszug-in-basel/46720232
-> https://www.blick.ch/schweiz/basel/gegen-gewalt-im-asylzentrum-polizei-stoppt-unbewilligten-demonstrationszug-in-basel-id16615202.html
-> https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/basel-zwoelf-personen-nach-unbewilligter-demonstration-kontrolliert-ld.2153587
-> https://www.onlinereports.ch/News.117+M5b0cd1da7fa.0.html
-> Demo-Ticker: https://twitter.com/3rosen
-> Demoaufruf: https://barrikade.info/article/4531
-> Update Demoaufruf: https://barrikade.info/article/4577


Zensur besetzt und geräumt – Besetzung in Winterthur
Wir haben heute am 18.6.2021 um 4:30 Uhr die Liegenschaft an der Klosterstrasse 14 in Winterthur besetzt, um diese vor dem Leerstand zu bewahren und um ein soziales und kulturelles Zentrum aufzubauen.
https://barrikade.info/article/4578


+++FRAUEN/QUEER
Leiterin Frauenarchiv: «Ich schreibe an der Geschichte mit»
Silvia Bühler verwaltet die Geschichte der Frauen in der Schweiz. Sie hat kurz vor dem Tod der Frauenrechtlerin Marthe Gosteli die Leitung des Archivs der Gosteli-Stiftung in Worblaufen (BE) übernommen. Sie spricht über den Frauenstreik, über Geschichtsschreibung – und ihre Angst um das Archiv. (ab 03:07)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/leiterin-frauenarchiv-ich-schreibe-an-der-geschichte-mit?id=12006617


+++RECHTSPOPULISMUS
Sonntagszeitung 20.06.2021

Nulltoleranz mit Hasspredigern: SVP fordert ein Schweizer Islamgesetz

Kein ausländisches Geld für Moscheen, radikale Imame ausweisen und das Kopftuchverbot ausweiten: Die grösste Partei verschärft ihren Kampf gegen den politischen Islam.

Adrian Schmid

Fremde Richter, schwarze Schafe: Die SVP wehrt sich gegen alles, was die Sicherheit und Freiheit in der Schweiz bedrohen könnte. Dazu zählen aus Sicht der wählerstärksten Partei auch Jihadisten und Hassprediger. Jetzt verschärft die SVP in einem neuen Positionspapier die Rhetorik gegenüber dem politischen Islam.

«Der radikale Islam ist eine religiös-politische Ideologie mit totalitären Zügen und grosser Sprengkraft – nicht nur in der islamischen Welt», heisst es im Papier. Durch die Migration würden die damit verbundenen Probleme auch in die Schweiz exportiert. Dem müsse Einhalt geboten werden.

Walter Wobmann ist zurück

Diese Haltung ist nicht neu. Doch die SVP ist im Aufwind und will deshalb weiter Druck machen. Vor einer Woche haben die Stimmberechtigten dem neuen Terrorismus-Gesetz zugestimmt, im März dem Burkaverbot. Dort war das Egerkinger Komitee um SVP-Nationalrat Walter Wobmann federführend. Er hat jetzt auch das Islampapier mitgeprägt.

Von Islamophobie will Wobmann nichts wissen. «Wir wollen nicht eine Religion verbieten», sagt er. Es gehe einzig darum, «die extremen Auswüchse des Islam zu bekämpfen und unser freiheitliches, demokratisches System zu schützen».

Wobmann bereitet die Entwicklung in Europa Sorgen. Er will in der Schweiz keine Zustände wie etwa in Grossbritannien, wo es bereits Scharia-Gerichte gibt. «Jetzt können wir noch reagieren.» Passiere aber nichts, werde selbst in der Schweiz in 30 bis 40 Jahren islamisches Recht über dem des Landes stehen.

Österreich als Vorbild

Kernelement des SVP-Papiers ist ein Schweizer Islamgesetz nach österreichischem Vorbild. Im Nachbarland existiert seit über 100 Jahren ein solches Gesetz, 2015 wurde es angepasst, und jetzt will es die Regierung von Sebastian Kurz weiter verschärfen.

An möglichen Elementen, welche die SVP in ein Islamgesetz packen möchte, mangelt es nicht. Sie will den Grundsatz festschreiben, dass Schweizer Recht Vorrang gegenüber muslimischen Regeln hat. Zudem verlangt die Partei strengere Regeln für die religiöse Betreuung. So dürfe es keine ausländischen Imame und Seelsorger geben, und die Finanzierung aus dem Ausland müsse gestoppt werden. Moscheen und andere islamische Einrichtungen sollen daher verpflichtet werden, ihre Bücher offenzulegen.

Selbst der Ständerat sieht hier Handlungsbedarf. Er hat diese Woche beim Bundesrat einen Bericht bestellt. Darin soll die Regierung aufzeigen, in welchen Bereichen reagiert werden muss. Explizit soll geklärt werden, ob ein Verbot der Auslandsfinanzierung von Moscheen und ein Bewilligungsverfahren für Imame nötig sind.

Keller-Messahli erachtet Islamgesetz als wichtig

Die SVP geht in ihrem Papier noch weiter: Sie will Jihad-Rückkehrer in Sicherheitshaft setzen und das Kopftuchverbot ausweiten. Dieses soll auch für Minderjährige gelten sowie für Angestellte der Bundesverwaltung, die im Austausch mit der Öffentlichkeit stehen. Zudem ist die Partei gegen eine Sonderbehandlung von muslimischen Mädchen im Schulsport und Schwimmunterricht.

«Im islamischen Recht wird die Frau dem Mann untergeordnet», sagt SVP-Nationalrätin Monika Rüegger. Das sei nicht zu tolerieren, in einem Land wie der Schweiz, in dem Mann und Frau gleichgestellt seien. Rüegger betont, dass die meisten Muslime sehr gut integriert und willkommen seien. Es gebe jedoch eine Minderheit, die sich radikalisiere. «Diese Leute haben in unserem Land nichts zu suchen und gehören ausgeschafft.»

SVP schliesst Initiative nicht aus

Sukkurs erhält die SVP von der Islamismus-Expertin Saïda Keller-Messahli. Das Papier sei insgesamt ausgewogen, vorausgesetzt, man lese es «ohne ideologische Scheuklappen», sagt sie. Ein Islamgesetz wäre aus ihrer Sicht «ein wichtiges Instrument für die Schweiz», selbst ohne Anerkennung von islamischen Organisationen. Mit einem Gesetz würde nämlich all das geregelt, was Konfliktstoff beinhalten könnte – etwa die Finanzierung aus dem Ausland, radikale Prediger oder muslimische Seelsorger in Strafanstalten, Spitälern und Armee.

Die SVP wird in einem ersten Schritt versuchen, ihre Ziele mit Vorstössen im Parlament zu erreichen. «Wenn wir damit nicht zum Erfolg kommen, werden wir eine Volksinitiative lancieren», sagt Wobmann. Die Gegner dürften gewarnt sein. Schliesslich hat Wobmann beim Volk nicht nur die Burka-Initiative durchgebracht, sondern auch das Minarettverbot.
(https://www.tagesanzeiger.ch/svp-fordert-ein-schweizer-islamgesetz-185904773195)
-> https://www.blick.ch/politik/gegen-hassprediger-und-jihadisten-svp-nimmt-erneut-radikalen-islam-ins-visier-id16614704.html


+++RECHTSEXTREMISMUS
Anklage gegen Grossrat Eric Weber
Die Staatsanwaltschaft ermittle gegen den rechtextremen Grossrat wegen mehrfacher Rassendiskriminierung, Drohung und Beschimpfung, wie der Sonntagsblick berichtet.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/anklage-gegen-grossrat-eric-weber?id=12006602
-> https://www.blick.ch/schweiz/nach-attacke-gegen-nationalraetin-sibel-arslan-anklage-gegen-basler-grossrat-eric-weber-id16613598.html
-> https://www.20min.ch/story/basler-staatsanwaltschaft-klagt-eric-weber-an-510091394701
-> https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/wegen-diskriminierung-basler-grossrat-eric-weber-angeklagt-65950146
-> https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/staatsanwaltschaft-nach-attacke-auf-nationalraetin-anklage-gegen-basler-grossrat-eric-weber-ld.2153391


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Keiner war da: Traktoren-Corona-Demo in Luzern ist missglückt
Massnahmen-Kritiker haben für Sonntag eine Traktoren-Korso durch die Stadt Luzern angekündigt. Gekommen ist keiner, wie die Luzerner Polizei bestätigt.
https://www.zentralplus.ch/traktoren-corona-demo-in-luzern-ist-missglueckt-2118209/