Medienspiegel 12. Juni 2021

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+++BERN
derbund.ch 12.06.2021

Berner Rückkehrzentren: «Diese Camps machen krank»

Simone Marti hat abgewiesene Asylsuchende in Rückkehrzentren interviewt. Die Sozialanthropologin kritisiert das Nothilferegime scharf.

Andres Marti

Rechtskräftig abgewiesene Asylsuchende werden im Kanton Bern in sogenannten Rückkehrzentren
platziert. Sie müssen die Schweiz verlassen, dürfen nicht arbeiten und erhalten nur noch 8 Franken Nothilfe am Tag. Die Sozialanthropologin Simone Marti hat für ihre Doktorarbeit dieses Nothilferegime untersucht, mit Behörden gesprochen und in den Zentren Feldforschung betrieben.

Frau Marti, was machen die Leute dort den ganzen Tag? Arbeiten dürfen sie ja nicht.

Sie versuchen, sich selber eine Struktur zu geben, treiben Sport, gehen spazieren, vernetzen sich untereinander. Manche wehren sich mit politischen Mitteln. Aber das ist schwierig. Die Zeit vergeht sehr langsam. Manchmal habe ich bei meinen Besuchen auf die Uhr geschaut und gedacht, oha, erst 11 Uhr, was mache ich bloss die nächsten fünf Stunden? Manche der Interviewten reagierten auf ihre Situation mit Humor als Strategie. Andere versuchten sich von allem abzugrenzen. Das Nichtstun in den Camps macht die Menschen früher oder später krank.

Wie ist das Zusammenleben in den Zentren?

Es gibt eine Hausordnung mit klaren Regeln, die befolgt werden müssen, meist eine Auflistung von Punkten, was man alles nicht machen darf. Ich habe die Asylcamps als «totale Institutionen» untersucht. Der Soziologe Erving Goffman hat diese Theorie aufgestellt. Die «Insassen» sollen dort ihr Leben so wenig selbst gestalten können wie möglich. Es gibt kaum Privatsphäre. Zum Beispiel hat es eine Küche mit ein paar Herdplatten, die sich dann 30 unterschiedlichste Menschen teilen müssen. Es gibt einen ständigen Druck, miteinander auszukommen, und dies unter dem Kontrollblick des Personals.

Warum bleiben so viele Abgewiesene in dem strengen Nothilferegime der Rückkehrzentren? Warum kehren sie nicht in ihr Herkunftsland zurück?

Ich habe während meiner Forschung genau zwei abgewiesene Asylsuchende getroffen, die freiwillig zurückgekehrt sind. Die Leute machen andere Abwägungen. Viele sind empört darüber, dass sie nicht als Flüchtlinge anerkannt werden. Sie sagen, das kann doch nicht sein. Ich bin ja nicht ohne Grund geflüchtet. Für Menschen, die schon fünf oder zehn Jahre hier sind, ist die Rückkehr erst recht keine Option mehr. Die Deportationen in viele Länder sind auch oft nicht zumutbar. In Äthiopien etwa herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände.

Warum gibt es überhaupt solche Zentren?

Es sind Orte innerstaatlicher Grenzziehung. Mit den Camps und ihrer Präsenzpflicht werden bestimmte Gruppen aus unserer Gesellschaft ausgeschlossen. Der rassifizierte Ausschluss ist ziemlich effizient. Der Kontakt nach aussen ist schwierig. Die Lager stehen oft auch räumlich am Rande der Gesellschaft, und wer sie verlässt, riskiert Busse oder Gefängnis.

Wie hat sich das System der Nothilfe entwickelt?

Angefangen hat es mit dem Sozialhilfeausschluss in den 2000er-Jahren. Nicht anerkannte Geflüchtete sollten den Ausschluss aus der Sozialhilfe spüren und bekamen nur noch Nothilfe. Das Ziel ist, dass die Leute das Land verlassen. Dazu hat man verschiedene Modelle ausprobiert. Im Kanton Bern gab es etwa den Bunker auf dem Jaunpass. Es gab auch die Idee, die Camps am Tag abzuschliessen und nur in der Nacht zu öffnen. Manche Behörden hätten die Geflüchteten mit einem Negativentscheid am liebsten ganz eingeschlossen. Aber es gab auch immer wieder Widerstand aus der Zivilgesellschaft. Dass etwa im Kanton Bern unter bestimmten Umständen auch die private Unterbringung möglich ist, ist das Resultat solcher Widerstände.

Insgesamt ist das Nothilferegime demokratisch aber breit abgestützt. Die Mehrheit der Bevölkerung heisst den strengen Umgang mit abgewiesenen Asylsuchenden gut.

Ich bin mir da nicht so sicher. So fordern etwa viele Städte die Aufnahme von Geflüchteten aus Griechenland. Das zeigt doch, dass viele mit der jetzigen Asylpolitik nicht einverstanden sind. Ich bezweifle, dass es die Bevölkerung gut findet, wenn etwa Kinder in solchen Zentren leben müssen.

Dass die Kinder in den Zentren leben müssen, haben ihre Eltern so entschieden, so der zuständige Sicherheitsdirektor Philippe Müller (FDP) im «Bund»-Interview.

Das Leben in Abschiebecamps als Option darzustellen, ist eine Farce, da es die einzige Option ist, um ein Leben in Sicherheit zu haben. Was sich aus der Reaktion von Herrn Müller vor allem lesen lässt, ist, dass er die Personen in den Rückkehrzentren und ihre Äusserungen nicht ernst nimmt.

Soll also kein Unterschied gemacht werden zwischen abgewiesenen Asylsuchenden und anerkannten Flüchtlingen?

Die aktuelle europäische Asylpolitik hat zunehmend nicht mehr den Schutz der Flüchtenden vor Augen, sondern vor allem die Zementierung der Grenzen. Innerhalb einer postkolonialen Weltordnung dient diese Unterscheidung denjenigen, die ohnehin schon profitieren von den globalen Ausbeutungsverhältnissen.

Sie weichen aus. Sollen etwa auch Geflüchtete aus Nordafrika – zu 95 Prozent Männer – eine Aufenthaltsbewilligung erhalten?

Dass diese Frage überhaupt so gestellt werden kann, zeugt von strukturellem Rassismus. Dabei wird übersehen, wie Nordafrika durch Europa kolonisiert wurde und noch immer instrumentalisiert wird. Viele Flüchtende erleben in Libyen massive Gewalt, überqueren das Mittelmeer oder sterben dabei. Und Europa schaut zu. Es geht nicht um Bewilligungen oder nicht, sondern um Leben oder Tod.

Sie haben für Ihre Forschung auch Mitarbeitende der Asylbehörden interviewt. Wie ticken sie?

Viele sehen sich in Verteidigung des Rechtsstaates und der Glaubwürdigkeit des Asylsystems. Sie sagen: Wir wollen nur das Beste für die Menschen, und das Beste für diese Menschen ist es, wenn sie gehen. Eine Beamtin fragte mich einmal: «Also die Leute, die ich immer stärker abwerte, denen ich Leistungen verwehre, wächst da der Anreiz zu gehen, oder wächst da der Anreiz, einfach apathisch zu bleiben?» Man dürfe die Leute nicht komplett krank oder apathisch machen, sonst liessen sie sich nicht zur Ausreise motivieren. Das nenne ich eine strategische Zermürbungstaktik.



Aktive Asyl-Forscherin

Die Sozialanthropologin Simone Marti hat für ihre Doktorarbeit an der Universität Bern die Nothilfe im schweizerischen Asylsystem untersucht. Privat engagiert sie sich im Kollektiv «Migrant Solidarity Network» für abgewiesene Asylsuchende.
(https://www.derbund.ch/diese-camps-machen-krank-659483804115)


+++GRIECHENLAND
Griechenland: „Pushback“ von Migranten?
Innerhalb nur eines Jahres hat die neue griechische Regierung denZustrom von Migranten drastisch reduziert. Menschenrechtler werfen ihr vor, sie habe dabei gegen das Asylrecht verstoßen mit sogenannten « Pushbacks », systematischen illegalen Zurückweisungen von potenziellen Asylbewerbern durch die griechische Küstenwache in türkische Gewässer, seit letztem Jahr.
https://www.arte.tv/de/videos/102791-000-A/griechenland-pushback-von-migranten/


+++FREIRÄUME
derbund.ch 12.06.2021

Reportage aus der Hausbesetzer-Szene: Auf Besuch im besetzten Bern

Wie tickt die Szene, die Bern auf Trab hält, weil sie Häuser in Beschlag nimmt? Ein Rundgang.

Maurin Baumann

Vor knapp zwei Wochen war es wieder so weit: Polizeidrohnen fliegen über dem Haus, mehrere Dutzend Beamte stehen bereit, sogar Boote sind im Einsatz. Doch das Spektakel bleibt aus. Die Besetzerinnen und Besetzer des Hauses an der Wasserwerkgasse in der Berner Matte verlassen es nach Aufforderung – nur wenige Stunden nachdem sie es besetzt hatten.

Die einen enervieren sich über das Missachten des Eigentumsrechts, die anderen sehen in besetzten Häusern spannende Orte mit kreativem Potenzial. Zeit also, sich ein Bild von der Szene zu machen. Wer gehört dazu? Was treibt sie an, ein Leben in einem ständigen Provisorium zu führen?

Die Suche nach einem guten Leben

Landorfstrasse 51a in Köniz. Hier hat das Kollektiv Susuwatari Anfang Jahr ein Haus besetzt. Von aussen zeugt wenig von den aktivistischen Bewohnerinnen und Bewohnern: Das Haus versprüht einen fast bürgerlichen Charme. Drinnen hingegen erinnern selbst verlegte Böden und versprayte Wände an die unkonventionelle Bewohnerschaft.

«Die Mietpreise in Bern sind zu hoch», sagt Marco in seinem temporären Zuhause. Wie alle anderen besuchten Besetzerinnen und Besetzer möchte er seinen echten Namen nicht in der Zeitung lesen. Wenn es dann gleichzeitig leere Häuser gebe, sei für ihn eine Besetzung sehr naheliegend. Die Parole «Leerstand ist kein Zustand» bringe es auf den Punkt. Besetzungen seien ein politisches Mittel, um auf solche Missstände aufmerksam zu machen, ergänzt Lara. Die 25-jährige Sozialarbeiterin ist ebenfalls Teil des Kollektivs.

«Die Mietpreise in Bern sind zu hoch», sagt Marco in seinem temporären Zuhause. Wie alle anderen besuchten Besetzerinnen und Besetzer möchte er seinen echten Namen nicht in der Zeitung lesen. Wenn es dann gleichzeitig leere Häuser gebe, sei für ihn eine Besetzung sehr naheliegend. Die Parole «Leerstand ist kein Zustand» bringe es auf den Punkt. Besetzungen seien ein politisches Mittel, um auf solche Missstände aufmerksam zu machen, ergänzt Lara. Die 25-jährige Sozialarbeiterin ist ebenfalls Teil des Kollektivs.

Allerdings, in den Gesprächen mit den verschiedenen Besetzenden wird auch klar, dass nur eine Minderheit keine andere Möglichkeit hätte. Viele haben das Gymnasium absolviert, studieren oder verfügen über eine abgeschlossene Berufsausbildung. Oft sind sie wohlbehütet in Mittelstandsfamilien aufgewachsen und erfahren von ihren Eltern Unterstützung. Bei ihnen ist das Besetzen eher ein Wollen als ein Müssen.

Ist es also schlicht eine bequeme Möglichkeit, nach dem Wegzug aus dem Elternhaus gratis an einem Ort zu landen, der im Freundeskreis gerade als cool gilt? Sie winken ab. «Ich arbeite 100 Prozent und verdiene dabei nur 700 Franken», sagt etwa Ben, der eine Wohnung in der Lorraine besetzt hat. Viele sagen auch, dass sie mehr Zeit haben, sich «sozial und politisch zu engagieren», wenn sie für die Miete weniger Geld verdienen müssen.

Selbstverständlich geht es vor allem auch um das Zusammensein. So bieten die Häuser Platz für gemeinsame Abenteuer, wie sie andere beispielsweise in der Pfadi erleben. Alle Kollektive organisieren sich in Haussitzungen. Entscheide werden «basisdemokratisch» gefällt – man handelt gemeinsam Lösungen aus und stellt etwas auf die Beine. «Man kann sich das schon familiär vorstellen», sagt Lara. Ihr sei es wichtig, ihre Ideale in den Alltag einzubinden und zu versuchen, «Utopien zu leben».

Illegale Visionen

Utopien und hehre Ideale prägen das Selbstverständnis dieser Szene. Dafür stellen einige auch ihren eigenen Vorteil hintan. Ein Kollektiv hat etwa von einer Stiftung ein Haus langfristig zugesprochen bekommen. Einzige Bedingung: Sie müssen es selber renovieren.

Das hat die Gruppe auch getan. Allerdings haben sie sich nach erfolgreicher Renovation dafür entschieden, das Haus Sans-Papiers zur Verfügung zu stellen. Die «kleine Oase» sei so zu «einem Ruhepol für Menschen in Ausnahmesituationen» geworden, erzählt Jonas, der auch bei der Besetzung an der Wasserwerkgasse beteiligt war. «Wir sind noch jung und haben die privilegierte Situation, überhaupt neue Orte erschliessen zu können, in denen andere Regeln gelten», sagt er. Er selber wohnt derzeit mit fünf Freunden in einer befristeten 4-Zimmer-Wohnung.

Es sind solche Geschichten, mit denen sich die Hausbesetzerszene die Herzen vieler Bernerinnen und Berner aus einem tendenziell progressiven, weltläufigen Milieu erobert. Diese Leute drücken ein Auge zu, dass Hausbesetzungen eigentlich illegal sind – und für Hauseigentümer aufreibend sein können. «Es kann nicht sein, dass man zuerst besetzt und dann erst eine Zwischennutzung aushandelt», sagt Adrian Haas, Präsident des Hauseigentümerverbands Bern und Umgebung. Man könne ja nicht einfach diejenigen privilegieren, die am lautesten schreien.

Zahlenmässig sind Hausbesetzungen laut Haas jedoch ein «Randphänomen». Es handle sich hierbei lediglich um Einzelfälle. Beim Hauseigentümerverband habe man selten mit Besetzungen zu tun.

Steine fliegen selten

Richtig unangenehm für alle Beteiligten wird es, wenn ein besetztes Haus nicht freiwillig verlassen wird und die Polizei das Gebäude räumen muss. Vor allem, wenn dabei gewalttätiger Widerstand geleistet wird. So geschehen 2017 an der Berner Effingerstrasse, als sich Besetzende über mehrere Stunden einer Räumung widersetzten. Dabei flogen diverse Gegenstände und Feuerwerk in Richtung der Einsatzkräfte. Zwei Polizisten und ein Feuerwehrmann leiden noch heute unter Tinnitus, wie sie im laufenden Prozess gegen die «Effy»-Besetzenden geltend machen.

Dieser heftige Angriff scheint aber die Ausnahme zu sein. Der Polizei bereiten Besetzungen normalerweise wenig Kopfzerbrechen. Die Kantonspolizei Bern führe keine Statistiken zur Zahl von getätigten Hausräumungen, sagt Mediensprecherin Ramona Mock auf Anfrage. Die Erfahrung zeige jedoch, dass in der Mehrheit der Fälle eine anderweitige Lösung zustande komme.

Was heisst überhaupt Gewalt?

Obwohl sich also die meisten Besetzenden friedlich verhalten, äussern sie Verständnis für die militante Verteidigung von besetzten Häusern. Oder die Gewalt gegen die Polizei wird zumindest relativiert. «Wenn man über die Gewalt der Besetzenden sprechen will, muss man auch über die Gewalt eines Werbeplakats oder eines Smartphones sprechen», sagt etwa Jonas. Und Marco sagt, dass die Gentrifizierung genauso eine Form von Gewalt sei.

Mit dieser Meinung stehen sie nicht allein da. Nicht selten wird schliesslich nicht mehr über die Räumung per se gesprochen, sondern über «strukturelle Gewalt» diskutiert. Auch scheint sich in der Szene die Meinung durchgesetzt zu haben, dass die «Effy»-Leute stellvertretend für alle Besetzenden «Widerstand geleistet» hätten. Und dass sie damit die Dringlichkeit ihrer aller Anliegen verdeutlicht hätten.

Höflich, zuvorkommend und beliebt bei Behörden

Diese radikale Rhetorik steht häufig im Kontrast zum auffällig guten Benehmen. Sitzt man etwa im besetzten Haus an der Weissensteinstrasse 4, das seit Anfang Jahr vom Kollektiv Tripity besetzt wird, so ist hier ein vergleichbares Szenario schwer vorstellbar. Die Besetzerinnen und Besetzer üben sich in gewaltfreier Sprache. Sie lassen sich ausreden und entschuldigen sich, wenn dies nicht klappt. Immer wieder setzen sich weitere Personen dazu, die sich einbringen oder einfach zuhören. Die Frage, ob sie sich bei einer allfälligen Räumung militant wehren würden, wirkt fast etwas fehl am Platz – und wird verneint. Doch auch das Tripity-Kollektiv solidarisiert sich auf seinen Social-Media-Kanälen mit den «Effy-Besetzenden».

Dabei hat sich das Tripity-Kollektiv zum Liebling der Behörden gemausert. Dank einer offenherzigen und zugänglichen Art haben sie sich in ihrem Kampf um einen Zwischennutzungsvertrag nicht nur die Unterstützung des stadtnahen Trägervereins für die offene Jugendarbeit gesichert. Sogar der Gemeinderat liess sich zu einer öffentlichen Unterstützungsbekundung hinreissen. Ob ein Vertrag zustande kommt, ist aber noch offen. Künftig vermittelt dabei auch die Stadt Bern.

Die Stadtregierung möchte keine Leerstände

Ohnehin zeigt man im rot-grünen Gemeinderat Verständnis für die Anliegen der Besetzerinnen und Besetzer. Im Gespräch sagt SP-Gemeinderat Michael Aebersold aber auch, dass der Handlungsspielraum der Stadt bei privaten Liegenschaften begrenzt sei. Einzig Überzeugungs- und Vermittlungsarbeit könne die Stadt leisten. Aebersold möchte zwar, dass eine Räumung die letzte Möglichkeit darstellt, aber die Stadtregierung habe gegenüber der Kantonspolizei kein Weisungsrecht.

Gleichwohl, auch der Gemeinderat zieht legale Zwischennutzungen illegalen Besetzungen natürlich vor. Aebersold verweist auf die «Koordinationsstelle Zwischennutzung», welche die Stadt geschaffen hat, um Leerstände zu verhindern. «Wir sind überzeugt, dass Zwischennutzungen eine Win-win-Situation sind», sagt Aebersold.

Während die Stadt die Zwischennutzungsstelle als Entgegenkommen auf die Forderungen der Besetzerinnen und Besetzer vermarktet, geniesst die Stelle bei diesen einen ausgesprochen schlechten Ruf. Die ausgeschriebenen Zwischennutzungen seien zu teuer, sagt Lara vom Susuwatari-Kollektiv. «Da wurde einfach ein neuer Markt geschaffen, um Geld zu machen.» Sie erhofft sich denn auch mehr Erfolg von Hausbesetzungen als von einem legalen Vorgehen: «Bei einer Anfrage ist man immer am kürzeren Hebel.»

Wenn die Tagesschule zum Zuhause wird

Dass beide Herangehensweisen erfolgreich sein können, zeigt sich in der Lorraine. Hier wird eine ehemalige Tagesschule derzeit von drei Parteien geteilt. Währenddem zwei davon für eine Zwischennutzung angefragt haben, wurde die unterste Wohnung besetzt. Differenzen gab es deswegen jedoch keine. Auch hier werden mittlerweile gemeinsame Haussitzungen abgehalten.

So unterschiedlich wie sie in das Haus gekommen sind, sind denn zumindest Nora, die legal angefragt hat, und die beiden Besetzer Paul und Ben doch nicht. Sie alle sind hier in der Lorraine aufgewachsen, erzählen sie in ihrem Garten. Paul und Ben hätten als Kinder sogar just diese Tagesschule besucht, die sie nun bewohnen.

Die Lorraine habe sich gewandelt und sei teurer geworden, sagt Nora, die mit über dreissig die Älteste in der Runde ist. «Und ich habe mich nicht dieser Entwicklung entsprechend verändert.» Rein finanziell gesehen könne sie im Quartier, in dem sie aufgewachsen ist, in einer anderen Form gar nicht mehr wohnen.

Im aktuellen Haus kann sie diese Lebensform wohl noch bis Ende Jahr verfolgen. Denn so lange läuft der Vertrag. Dann geht das Abenteuer von neuem los. Für Nora. Für eine neue Eigentümerschaft. Vielleicht für die Stadt. Aber hoffentlich nicht für die Polizei.
(https://www.derbund.ch/auf-besuch-im-besetzten-bern-306526210643)


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Zoom: Sie wollen alles
Mali Lazell und Julia Haenni porträtierten am 14. Juni 2019 Frauen, die auf die Strasse gingen, und fragten: Was wollt ihr? Entstanden ist ein starkes Buch mit poetischen Zeilen und entschlossenen Statements.
https://www.derbund.ch/sie-wollen-alles-423209002644



tagesanzeiger.ch 12.06.2021

Radikales Zürcher Frauenkollektiv: Im violetten Block der Feministinnen

Mit dem Schlachtruf «Ni Una Menos!» erheben Frauen ihre Stimme. Es geht ums Menschenrecht, nicht ermordet zu werden.

Kevin Brühlmann

    «Si tocan a una, respondemos todas» – Greifen sie eine von uns an, schlagen wir alle zurück.
    unbekannte Autorin

    «Quisiera tener cosas dulces que escribir, pero tengo que decidir y me decido por la rabia … En pie de lucha porque vivas nos queremos» – Ich wünschte, ich hätte süsse Dinge zu schreiben, aber ich muss mich entscheiden, und ich entscheide mich für die Wut … Wir sind in Aufruhr, weil wir sie lebend wollen.
    Rapperin Rebeca Lane im Lied «Ni Una Menos»

Als Şevin siebzehn war und sie eines Nachts durch Zürich lief, tauchte ein Mann hinter ihr aus der Dunkelheit auf und fasste ihr an den Hintern. Dann spürte sie seine Hände plötzlich überall auf ihrem Körper. Sie drehte sich um und sah einen jungen Typen, wohl Anfang 20, klein gewachsen. Sie stiess ihn weg und schrie wie am Spiess, fluchte, schrie weiter, so schrill und laut, dass sie ihre eigene Stimme nicht mehr erkannte. Der Mann holte ein Messer hervor. Şevin sah, wie es auf ihren Bauch zuschoss, es kam ihr vor, als bewege es sich in Zeitlupe, und sie wehrte den Stich mit ihrem linken Arm ab. Der Stich war heftig, doch sie spürte nichts. Sie schubste den Mann weg, schlug wie wild auf ihn ein, er taumelte, dann rannte sie los.

In wenigen Minuten war sie zu Hause, und als ihr Stiefvater die Wohnungstür öffnete, wurde sie von einem brutalen Schmerz überwältigt, der aus ihrem Arm strahlte, Schmerz und Blut überall, und sie fiel ihrem Stiefvater in die Arme, beinahe ohnmächtig. Er brachte sie ins Spital, wo sie über drei Stunden lang operiert wurde. Danach, es war mittlerweile bereits hell geworden, suchte Şevin den nächsten Polizeiposten auf, um Anzeige zu erstatten. Sie wurde zu einem Korporal in ein Zimmer geführt.

«Was ist passiert? Wann? Welche Kleidung trugen Sie?», fragte er. «Was machten Sie überhaupt um diese Uhrzeit draussen? Standen Sie unter Alkoholeinfluss?»

«Ich weiss, wie der Täter aussieht», sagte Şevin, nachdem sie alles erklärt hatte. «Ich will, dass ein Phantombild von ihm gezeichnet wird.»

Das bringe nichts, erwiderte der Polizist, statistisch gesehen werde man den Täter eh nicht finden. Dann schickte er Şevin nach Hause. Es war das Letzte, was sie von der Polizei hörte.

Ni Una Menos und die Sprengung des Alltags

25 Jahre später, April 2021. Şevin, eine drahtige Frau mit dunklen Augen, sitzt in einem Park in Zürich und erzählt von dieser Attacke. Sie rollt den linken Ärmel ihres Pullovers hoch und zeigt eine zentimeterlange Narbe auf der Innenseite ihres Ellbogens. Wenn es kalt wird, spürt sie dort noch immer ein unangenehmes Ziehen.

Als Neunjährige begann Şevin mit Hapkido, einer koreanischen Kampfkunst, und als sie vor einigen Jahren gefragt wurde, ob sie anderen Frauen nicht beibringen könnte, sich zu wehren, beschloss sie, Selbstverteidigungskurse anzubieten. Daneben arbeitet sie als Tanz- und Bewegungslehrerin im Frauenhaus in Zürich.

Neben Şevin sitzt Deniz, ihr Gottikind. Deniz ist achtzehn, hat ein warmes Lachen und dunkle Haare. Sie besucht ein Gymnasium in Zürich. Ihr Whatsapp-Profilbild zeigt einen fröhlichen Che Guevara.

Junge Frauen joggen durch den Park, und ein älterer Mann versucht, sein Hündchen einzuholen. Deniz und Şevin stecken sich eine Zigarette an und erzählen von Nachbarinnen, die von ihren Ehemännern zusammengeschlagen werden, von Kindern, die Angst haben, nach der Schule nach Hause zu gehen, weil sie von ihren Vätern Prügel erwarten, sie erzählen von Polizisten, die untätig blieben, und von ihrer Wut und dem Verlangen, etwas dagegen zu tun.

In den Wochen nach dem landesweiten Frauenstreik von 2019, an dem über eine halbe Million Frauen teilgenommen hatten, wurde das Kollektiv Ni Una Menos gegründet – «Nicht eine weniger». Jedes Mal, wenn in der Schweiz eine Frau von ihrem Partner, Ex-Partner, Bruder oder Sohn umgebracht wird – aus falschem Ehrgefühl, aus Eifersucht, was im Durchschnitt alle zwei Wochen vorkommt und Femizid genannt wird –, nach jedem dieser Morde treffen sich die Frauen auf dem Helvetiaplatz in Zürich. Sie haben ihn in «Ni Una Menos»-Platz umgetauft.

Sie nehmen ihre Wut und ihre Trauer mit auf diesen Platz, den sie sich angeeignet haben, so, wie eine Frau oft zum Besitz eines Mannes erklärt wird.

Şevin sagt: «Wir wollen uns auch gegen Medienberichte mit den Titeln ‹Liebesdrama› oder ‹Beziehungsdrama› wehren, in denen Gewalt enorm verharmlost wird. Mit der Botschaft, die Frau sei sogar noch mitschuldig an ihrer Ermordung. Das ist zum Kotzen.»

Sie und Deniz mögen die Medien nicht besonders. Die Medien würden «Hand in Hand mit den Bullen» arbeiten, sagen sie, und «die Bullen» mögen sie noch weniger als die Medien. Dennoch waren sie bereit, uns zu treffen, unter der Bedingung, dass keine Fotos von ihnen gemacht und ihre Nachnamen nicht genannt werden.

«Die Gewaltspirale in der Schweiz dreht schnell, aber nur wenige wissen darüber Bescheid», sagt Şevin. «Es darf nicht sein, dass Frauen selber für ihre Sicherheit verantwortlich sein müssen, dass sie Pfefferspray mit sich herumtragen, Selbstverteidigung erlernen und sich überlegen müssen, ob sie abends allein nach Hause laufen sollen.»

Deniz nickt und sagt: «Viele Männer sind voll davon überzeugt, dass es Frauen gut gehe, dass sie genügend Rechte haben, und was wollen die überhaupt noch mit ihrem Scheissfeminismus. Die Sache ist die: Männer haben einfach nicht Angst um ihr Leben, wie das Frauen täglich haben müssen.»

«Jede zweite Woche gibt es einen Femizid in der Schweiz», sagt Şevin. «Jede Woche kommt eine Frau nach einer Attacke nur knapp mit ihrem Leben davon. Pro Tag kommt es zu zwei Vergewaltigungen. Und von häuslicher Gewalt, von Prügel, Drohungen oder versuchter Vergewaltigung reden wir hier noch nicht einmal.» Şevin nennt alle Zahlen aus dem Kopf, und sie stimmen alle – nachzulesen in der polizeilichen Kriminalstatistik 2020. Damals gab es in der Schweiz 20’000 registrierte Fälle von häuslicher Gewalt. Drei Viertel der Täter waren Männer. In Zürich rückt die Polizei durchschnittlich achtzehnmal pro Tag wegen «familiärer Streitereien oder häuslicher Gewalt» aus.

Deniz zündet sich noch eine Zigarette an und erzählt, dass sie schon mehrmals um ihr Leben gerannt sei, weil sie von einem Mann verfolgt worden sei, als sie abends nach Hause lief. «Jeder einzelnen Frau ging es schon mal so», sagt Deniz. «Jeder einzelnen. Fragen Sie Ihre Kolleginnen.»

Şevin fügt hinzu: «Wir wollen diesen Alltag sprengen.»

Dann verabschieden sie sich. Sie müssen zu einer Sitzung des Kollektivs. Es geht um die Frage: «Was tun wir mit den Bullen, die uns die Party versauen, bei der dieser Alltag gesprengt werden soll?»

Aus Argentinien kommt der Ruf: Wir dulden keinen weiteren Frauenmord

Die Bewegung Ni Una Menos stammt aus Argentinien. Alle 30 Stunden stirbt dort eine Frau wegen häuslicher oder sexueller Gewalt. In 70 Prozent der Fälle ist der Mörder der Lebenspartner, der Ex oder ein enger Verwandter. 2015 gingen Hunderttausende Frauen deswegen auf die Strasse. Aus diesem Aufschrei entsprang eine Bewegung, die ganz Lateinamerika erfasste.

Mittlerweile gilt Femizid als eigener Straftatbestand in Argentinien. Ni Una Menos wollte das auch für die Schweiz. Der Bundesrat war dagegen. Er schrieb: «Das Strafgesetzbuch ist grundsätzlich geschlechtsneutral ausgestaltet.»

Ni Una Menos ist nicht #MeToo. Es sind nicht vor allem Schauspielerinnen, Journalistinnen und Akademikerinnen, die sich wehren, sondern auch Verkäuferinnen, Versicherungsangestellte und Schülerinnen. In Zürich zählen sich ungefähr 20 Frauen zum Kern des Kollektivs. Viele hat der Frauenstreik 2019 aufgeweckt, manche bewegen sich schon lange in der linksautonomen Szene. Die jüngste ist 18, die älteste 70 Jahre alt.

Das Schweigen haben sie abgelegt, nun suchen sie die Konfrontation, einen gewaltlosen Clash mit der Gesellschaft, in der Männer Frauen umbringen, und mit der Polizei, die in ihren Augen bloss Komplizin dieses Patriarchenclubs namens Gesellschaft ist.

Es geht ihnen nicht nur um Gleichberechtigung. Sondern um das Menschenrecht, nicht ermordet zu werden.

Die Galerie des Horrors und das Einschreiten der Polizei

An einem Donnerstagabend Mitte März versammeln sich ungefähr 25 Frauen von Ni Una Menos auf dem Platz in Zürich, den sie sich angeeignet haben. In der vergangenen Woche wurden gleich zwei Frauen umgebracht, eine 44-Jährige in Schafisheim, Aargau, und eine 77-Jährige in Aeugst am Albis, Zürich. Tatort: eigene Wohnung. Mutmassliche Täter: die Ehemänner.

Die Frauen, die alle Schutzmasken tragen, teilen sich in kleine Gruppen auf und zünden Kerzen an, als Gedenkprotest für die ermordeten Frauen. Einige Meter entfernt stehen vier, fünf weitere Frauen. Sie schreien und weinen, dass der ganze Platz gefriert, sie halten Plakate in die Höhe, auf die sie schmerzverzerrte Gesichter von Frauen gemalt haben; eine Galerie des Horrors.

Ein paar Kastenwagen der Polizei fahren herbei. Ungefähr fünfzehn Polizisten steigen aus. An ihren Hüften schaukeln ihre Dienstpistolen. Sie wollen den Gedenkprotest auflösen, weil sie ihn als unbewilligte politische Demonstration bewerten und weil er gegen die Covid-Verordnung verstosse, die zu diesem Zeitpunkt Veranstaltungen mit höchstens 15 Personen erlaubt.

Die Polizei kontrolliert Ausweise und spricht Wegweisungen aus. Eine Frau wird in Handschellen gelegt und in ein Auto geladen, und die restlichen Frauen knurren unfreundliche Komplimente in Richtung der Polizei.

Sie sind der Meinung, dass das Demoverbot nicht rechtens sei, und später werden sie dagegen Klage einreichen und ein Gericht wird ihnen zustimmen: Das Verbot verstösst gegen die Meinungs- und Versammlungsfreiheit.

Aber jetzt, im März, geht die Polizei rigoros gegen das Kollektiv vor. Später wird uns Şevin drei Zettel zeigen, Verzeigungen, weil sie gegen das Demoverbot verstossen habe.

Überhaupt hat die Polizei ein Auge auf die neue Generation von Feministinnen geworfen. «Wir stellen fest, dass in der letzten Zeit eine Gruppierung im Zusammenhang mit feministischen Themen sehr aktiv ist», sagt Judith Hödl, die Sprecherin der Stadtpolizei Zürich. Sie verweist auf eine rudimentäre Statistik. Seit Anfang 2016 registrierte die Stadtpolizei 20 Vorfälle, bei denen Frauen Gewalt und Drohung gegen Beamte bei Demonstrationen vorgeworfen wurde. 18 dieser 20 Fälle ereigneten sich nach dem Frauenstreik von 2019.

Das Gewaltpotenzial des Kollektivs Ni Una Menos schätzt die Stadtpolizei als «gering» ein. Trotzdem, sagt Judith Hödl, sei es bei Personenkontrollen «verschiedentlich zu Solidarisierungsaktionen» gekommen, «welche in tätlichen Angriffen gegen Polizisten gipfelten».

Tätliche Angriffe, was heisst das?, fragen wir. «Der Polizist muss dabei nicht zwingend verletzt werden», präzisiert Hödl. «Die Verletzung des Polizisten wird aber zumindest in Kauf genommen.»

Als der Kastenwagen mit der Frau in Handschellen wegfährt, schreien und weinen die Frauen, die die Plakate mit den schrecklichen Gesichtern hochhalten, noch einige Minuten lang in die Nacht hinaus. Dann gehen auch sie nach Hause.

Besuch bei Polizist Raimann und Kriminologin Ott

Die Wut, die Trauer. – Sie lassen den Platz anders zurück, als man ihn vorgefunden hat; es sind nicht mehr dieselben öden Steinplatten, über die man jahrelang achtlos hinweglief, nun wird der Kopf schwer beim Gehen.

Gut hundert Meter die Strasse hinunter befindet sich das Büro von Marcel Raimann, Feldweibel mit besonderen Aufgaben bei der Kantonspolizei Zürich, Co-Leiter der Fachstelle für häusliche Gewalt, ein zurückhaltender, nachdenklicher Mann.

Wir setzen uns eines Morgens in einen grossen Sitzungsraum und fragen ihn: Was unternehmen die Behörden gegen die nicht enden wollende Gewalt gegen Frauen?

1996, als Şevin überfallen wurde, besuchte Raimann noch die Polizeischule. Später arbeitete er auf dem Polizeiposten in Horgen. Es kam oft vor, dass ein Mann seine Frau zu Hause in der Wohnung bedrohte, beschimpfte oder verprügelte; irgendjemand alarmierte die Polizei, und Raimann zog sich seine Jacke über und rückte aus.

«Wir versuchten, die Lage zu beruhigen», erzählt Raimann. «Das ging aber oft nicht. Dann war es meistens so, dass es die Opfer waren, die weggingen, um der Gewalt zu entkommen. Die Frauen mussten mit ihren Kindern eine neue Bleibe suchen, während der Patriarch vor Ort blieb.» Raimann schweigt eine Weile. «Heute ist das umgekehrt.»

Er nimmt einen Schluck aus einem Wasserglas und erklärt: «Die Polizei muss Beweise sammeln, den Sachverhalt ganz genau erheben und gleichzeitig auch dem Opfer gut zuhören. Das ist die Krux. Generell ist es schwierig, einen Zugang zu Opfern zu finden, weil sie oft traumatisiert sind.»

Wir erzählen Marcel Raimann von Ni Una Menos, von Şevin und Deniz, die nicht daran glauben, dass die Polizei Frauen, die zu Hause oder in einem Park attackiert werden, ernst nimmt. Könnte es damit zusammenhängen, dass die Polizei grösstenteils eine Institution von Männern ist, die sich der alltäglichen Übergriffe gegen Frauen – Belästigung, Gewalt, Drohung – gar nicht bewusst sind?

Raimann überlegt. In den vergangenen 25 Jahren, sagt er schliesslich, habe es einen Wandel innerhalb der Polizei gegeben, und fast das ganze Gespräch über, eineinhalb Stunden lang, berichtet der Polizist von all den Veränderungen und Neuerungen, die in seiner Dienstzeit eingeführt wurden, alle mit demselben Ziel: Gewalt gegen Frauen zu verhindern.

Seit Jahren werden Fachstellen wie diejenige Raimanns ausgebaut, der Zürcher Regierungsrat erklärte die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen zu einem Schwerpunkt, es gibt mehr Geld für Frauenhäuser, mehr Beratungsstellen für Opfer und Täter, und vor allem: das Gewaltschutzgesetz, das 2007 eingeführt worden ist. Es ermöglicht den Behörden, Täter für einige Zeit aus der Wohnung zu weisen, mit einem Kontaktverbot zu belegen oder, in schweren Fällen, festzunehmen.

Raimann schaut auf die andere Seite des Tischs, wo eine Frau Platz genommen hat: Rahel Ott, eine Kriminologin, die ihre Gedanken in kurze, fettfreie Sätze überträgt. Seit 2016 arbeitet sie bei der Kantonspolizei, wo sie sich hauptsächlich mit häuslicher Gewalt befasst.

Ott hat einen Laptop vor sich, und darin die Ergebnisse einer Studie, die sie vor einigen Jahren durchführte. Um herauszufinden, wie gut das Gewaltschutzgesetz funktioniert, befragte sie mehrere Hundert Frauen, die von ihren Partnern geschlagen und bedroht wurden.

Ott liest vor: «82 Prozent der befragten Opfer zeigten sich eher bis sehr zufrieden in Bezug auf den Umgang der Polizei mit dem Vorfall.»

Leider, sagt Ott und blickt auf, führe häusliche Gewalt nicht immer zu Verurteilungen. Auch das konnte sie in der Studie belegen. Sie liest wieder vor: «Knapp 65 Prozent der Strafuntersuchungen endeten ohne Schuldspruch. Der Täter kam also schadlos davon.»

Zwei von drei Strafverfahren eingestellt. Das ist ja wahnsinnig, sagen wir. Verstehen Sie, warum manche der Polizei nicht vertrauen?

Rahel Ott nickt. Man müsse aber auch sehen: Eine Strafuntersuchung sei nicht immer dazu geeignet, ein Problem nachhaltig zu lösen. Tatpersonen müsste man in Lernprogramme schicken, wo sie an sich arbeiten, ein Mittel, das heute vermehrt zum Einsatz komme. «Die Hälfte aller Fälle wurde auf Initiative des Opfers eingestellt», sagt sie. Aus ihrer Studie geht zudem heraus, dass sich die Opfer oft von ihrem Umfeld unter Druck gesetzt fühlten, die Anzeige zurückzuziehen oder keine Aussage zu machen.

Wir fragen sie: Welche Frauen leiden besonders unter Gewalt?

«Armut ist ein Risikofaktor», sagt Ott. «Wenn man in beengten Wohnverhältnissen lebt oder kein soziales Sicherheitsnetz hat.»

«Es gibt keine Altersgruppe oder gesellschaftliche Schicht, die nicht darunter leidet», sagt Raimann. «Von Akademikerinnen bis Randständigen gibt es überall Opfer.»

Ott fährt fort: «Ein grosser Risikofaktor ist aber, wenn jemand in einer Umgebung aufwächst, wo ein patriarchales Denken vorherrscht, also wenn einem von klein auf beigebracht wird, dass der Mann schauen muss, dass zu Hause Ordnung herrscht, und dass sich die Frau unterzuordnen hat. Aber wie Herr Raimann sagte: Betroffen sind alle.»

Als wir uns verabschieden, sagt Rahel Ott: «Wenn man Zürich mit anderen Kantonen oder Ländern vergleicht, können wir froh sein, dass wir so weit sind. Aber klar, das reicht noch nicht.»

Noch ein Frauenmord, und Deniz sagt: «Die Bullen sind nicht da, um dich zu beschützen.»

Einige Wochen nach dem Gespräch im Park sitzen Şevin und Deniz an der Limmat in Zürich und trinken ein Bier. Junge Leute führen ihren Kreativgeist spazieren und beäugen andere junge Leute, denen die notwendige Finesse fehlt. Es ist früher Abend, und Şevin und Deniz wirken müde. In Peseaux, Neuchâtel, wurde eben eine 34-Jährige von ihrem Ehemann erstochen. Es ist der dreizehnte Femizid in der sechzehnten Woche dieses Jahres.

Deniz’ Eltern sind aus der Türkei in die Schweiz eingewandert. Hier arbeitete ihre Mutter in einem Frauenhaus, weshalb Deniz seit ihrer Kindheit mitbekam, wie Gewalt an Frauen aussieht. Auch Şevins Eltern stammen aus der Türkei. Als sie acht war, kamen sie als politische Flüchtlinge in die Schweiz. «Meine Mutter erlebte häusliche Gewalt», sagt Şevin. «Wir mussten in ein Frauenhaus flüchten.» Ihre Gesichtszüge verhärten sich. «War eine schlimme Zeit. Will nicht mehr darüber reden.»

Deniz und Şevin rauchen eine Zigarette und kommen auf die Aussage der Polizei zu sprechen, dass es bei Demonstrationen ihres Kollektivs schon zu tätlichen Angriffen gegen Beamte gekommen sei. «Meinen die das ernst?», fragt Şevin. «Wir verabscheuen Gewalt. Wir wollen, dass es endlich aufhört.»

Deniz schnaubt verächtlich, und ihre Müdigkeit ist weg. «Die Bullen um Hilfe zu bitten, bringt dir nichts. Sie sind nicht da, um dich zu beschützen. Du musst dich selber beschützen.»

Die beiden hoffen auf einen gesellschaftlichen Wandel, auf neue Rollenbilder, mehr Mädchen- und Frauenhäuser, auf Gewaltprävention an den Schulen – nur so lasse sich die Gewalt gegen Frauen bekämpfen.

«Männer», sagt Deniz langsam, und ihre Stimme klingt milde. «Zu Hause bei den Eltern bekamen sie es nicht anders mit, und dann werden Frauen auch noch als konsumierbares Sexobjekt dargestellt, im TV, in der Werbung und was weiss ich wo, schon klar, hat jemand ein bestimmtes Frauenbild.»

«Und der Staatsapparat profitiert, die Wirtschaft profitiert», sagt Şevin. «Durch unbezahlte Hausarbeit, durch Ausbeutung im Job.»

Deniz fährt fort: «Ich wünsche mir einfach, dass sich Männer die Geschichten der Frauen anhören. Das würde sie und uns alle weiterbringen. Sie könnten bessere Papis und bessere Partner werden, und ihre Söhne wären irgendwann auch bessere Väter.»

Dann muss Deniz zur nächsten Sitzung. Später am Abend versammeln sich ungefähr hundert Frauen vor der Polizeiwache Urania in Zürich. Sie stellen sich wie eine Kompanie auf, in Reih und Glied, stampfen auf den Boden, strecken ihren Arm aus, den Zeigefinger nach vorne gerichtet, und rufen mit roboterhafter Stimme: «Der Vergewaltiger bist du!»

Wir wissen nicht so recht: Zeigen sie auf die Polizeiwache? Oder auf uns, auf die Gesellschaft als Ganzes?
(https://www.tagesanzeiger.ch/im-violetten-block-der-feministinnen-874422070413)


+++ANTITERRORSTAAT
Vor Schweizer Volksabstimmung – Staatsrechtlerin: Antiterrorgesetz würde Polizei unkontrollierte Macht einräumen
Staatsrechtlerin Sanija Ameti kritisiert das geplante Schweizer Antiterrorgesetz: Vor allem sei die Terrorismusdefinition zu lasch und die polizeiliche Machtkonzentration nicht beschränkt, sagte sie im Dlf. So könne die Polizei Maßnahmen anordnen und ausführen.
https://www.deutschlandfunk.de/vor-schweizer-volksabstimmung-staatsrechtlerin.795.de.html?dram:article_id=498689


Schweizer Anti-Terrorgesetz: Sonderbeauftragter warnt vor “Furcht und Schrecken”
Sonntag stimmt das Schweizer Volk über ein hochumstrittenes Anti-Terrorgesetz ab. Der UN-Sonderberichterstatter für Folter warnt vor möglichen Folgen.
https://www.heise.de/news/Schweizer-Anti-Terrorgesetz-Sonderbeauftragter-warnt-vor-Furcht-und-Schrecken-6069483.html?seite=all


+++POLICE BE
derbund.ch 12.06.2021

Das Knie auf dem Hals: Verstörende Aktion der Berner Polizei

Die Polizei will in Bern einen jungen Mann kontrollieren – am Schluss stösst sie ihn verletzt in einen Kastenwagen.

Dölf Barben, Naomi Jones

Der reinste Zufall. Wir sind zehn Journalistinnen und Journalisten von «Bund» und «Berner Zeitung» und ein Fotograf, die sich am Freitagmorgen kurz vor sieben Uhr auf der hinteren Seite der Heiliggeistkirche in Bern treffen. Plötzlich spielen sich wenige Meter vor uns verstörende Szenen ab.

Wir sehen, wie die Polizei einen dunkelhäutigen jungen Mann verhaftet. Am Ende wird er wie ein Kartoffelsack in ein Fahrzeug geworfen. Wir hören, wie sein Kopf auf dem Kabinenboden aufschlägt.

Wir finden übereinstimmend, dass diese Verhaftung teilweise brutal abgelaufen ist. Wir bitten die Polizei um eine Erklärung und einen Fachmann um eine Einschätzung.

Was wir gesehen haben: Der Mann ist auf dem Weg zum Bahnhof. Es scheint ihm nicht gut zu gehen. Ein Polizist und eine Polizistin gehen zu ihm und bringen ihn zu ihrem Fahrzeug. Als der Mann nicht freiwillig einsteigen will, kommt es zum Gerangel. Der Polizist greift in die kurzen Haare des Mannes, zieht seinen Kopf nach hinten und versucht, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Dann rammt er dem Mann das Knie in den Bauch.

Bald ist der Mann niedergerungen. Die Polizistin drückt Beine und Füsse des Mannes zu Boden. Wir sehen, wie der Polizist sein rechtes Knie auf den Hals des Mannes legt.

Allmählich lässt der Widerstand nach. Ab und zu klopft der Mann mit der freien Hand auf den Asphalt. Bald treffen weitere Polizisten ein. Der Mann wird aufgestellt. Doch es scheint, als würde er zusammenbrechen, wenn er nicht gestützt würde. Über einem Auge klafft eine blutende Wunde.

Schliesslich bugsiert ein Polizist den verletzten Mann in den Kastenwagen. Es ist eine Mischung aus Stossen, Werfen und Fallenlassen. Der Mann schlägt mit dem Kopf auf und bleibt reglos liegen.

Was sagt die Kantonspolizei?

Wir fragen die Kantonspolizei, wie sie diesen Einsatz rechtfertige. Sie schreibt, der Mann sei kontrolliert worden, weil er geschwankt habe und beinahe in eine Stange gelaufen sei. Da er von sich aus Drogen erwähnt, keine Papiere bei sich getragen und nur Italienisch gesprochen habe, «wurde entschieden, die weiteren Abklärungen, insbesondere auch zur Identität des Mannes, auf einer Polizeiwache zu tätigen».

Und weiter: «Aus Sicherheitsgründen beabsichtigte die Patrouille, dem Mann Handfesseln für den Transport im Patrouillenfahrzeug anzulegen. Nach anfänglicher Kooperation versperrte der Mann beim Anlegen der Handfesseln die Arme. Zu diesem Zeitpunkt trug er die Handfesseln an einem Handgelenk. Die Polizisten versuchten ihn in der Folge zu beruhigen, was nicht gelang.»

Die Polizeisprecherin schiebt eine Erklärung ein: «Für alle Beteiligten kann es gefährlich werden, wenn jemand mit einer offenen Handschelle am Handgelenk anfängt herumzufuchteln. Daher entschied die Patrouille, den Mann aus Sicherheitsgründen unter Kontrolle zu bringen und zu Boden zu führen.»

Dabei habe einer der Polizisten sich an der Hand verletzt, «was ein Festhalten mit dieser Hand verunmöglichte und es zusätzlich erschwerte, den sich nun körperlich und mit Klemmen zur Wehr setzenden Mann zu arretieren».

Und das Knie auf dem Hals? Die Sprecherin schreibt: «Die von Ihnen beschriebene Fixierung mit dem Knie ist nicht auf dem Hals, sondern im Bereich der Schultern und/oder des Kopfes vorgesehen. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass das Knie bei aktiver Gegenwehr verrutscht.»

Das widerspricht dem, was wir gesehen haben: Das Knie des Polizisten befand sich klar auf dem Hals des Mannes – und nicht nur während einiger weniger Sekunden.

Zur von uns festgestellten Härte des Vorgehens heisst es in der Stellungnahme: «Wir können verstehen, dass die Anhaltung Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen nach wie vor beschäftigt. Muss eine Person, die sich wehrt oder widersetzt, mit Körperkraft überwältigt werden, sehen die dafür geeigneten Techniken immer hart aus oder können gar brutal wirken.»

Wir haben nicht gesehen, dass der Mann gegen die Polizisten tätlich geworden wäre, bevor er zu Boden gerungen wurde. Nach dem heftigen Tritt begann er sich zu wehren.

Was sagen die Fachleute?

Wir fragen Markus Mohler, einen Experten für Polizeirecht. Er sagt: «Auf dem Hals knien geht gar nicht.» Das sei gefährlich, weil dadurch die Blutzufuhr zum Kopf unterbrochen werden könne. Aus seiner Sicht sei in diesem Fall die Taktik der Fixierung falsch gewählt worden. Es gebe polizeiliche Festhaltegriffe, die so schmerzhaft seien, dass sie sehr fein dosiert werden könnten. Und zwar an den Beinen oder mit dem Knie auf dem Schulterblatt.

Im Archiv finden wir etwas, was Ulrich Zollinger, der emeritierte Berner Rechtsmediziner, im Zusammenhang mit dem Afroamerikaner George Floyd gesagt hatte. (Lesen Sie hier den ganzen Artikel.) Floyd war durch Polizeigewalt gestorben; sein Tod löste die «Black Lives Matter»-Bewegung aus: Vor allem die Bauchlage sei gefährlich, hielt Zollinger fest. In dieser Lage drohe bald der Erstickungstod, weil erregte Personen rasch in Atemnot geraten könnten.

Was sagt das Gesetz?

Polizisten müssen diejenige Massnahme anwenden, die den Betroffenen «voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt». So stehts im kantonalen Polizeigesetz. Und weiter: «Eine Massnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der in einem erkennbaren Missverhältnis zum angestrebten Erfolg steht.» Sie muss verhältnismässig sein.
(https://www.derbund.ch/verstoerende-aktion-der-berner-polizei-239413046379)



Anhaltung Bahnhof Bern
Eine vielfach beobachtete Anhaltung eines Mannes von Freitagmorgen, 11. Juni 2021, am Bahnhof Bern durch die Kantonspolizei Bern wurde heute in einem Zeitungbericht thematisiert. Auch die Kantonspolizei Bern erhielt dabei die Möglichkeit, Stellung zu nehmen. Da die Aussagen im Bericht teilweise verkürzt übernommen wurden und es zu mehreren Rückfragen kam, haben wir uns entschieden, die Medienantwort an dieser Stelle vollständig wiederzugeben.
https://www.police.be.ch/de/start/themen/news/medienmitteilungen.html?newsID=77d36a7d-01de-41e0-9bd1-aef6ff68dc7d



bernerzeitung.ch 12.06.2021

Mit Knie auf Hals gedrückt: Kontroverse um Polizeiaktion in Bern

Journalistinnen und Journalisten von «Bund» und «Berner Zeitung» wurden beim Berner Bahnhof zufällig Zeugen einer Festnahme, bei der ein Polizist einem Mann das Knie auf den Hals drückte.

Als sich zehn Journalistinnen und Journalisten und ein Fotograf von «Bund» und «Berner Zeitung» am Freitagmorgen kurz vor 7 Uhr zu einer Flyer-Verteilaktion beim Berner Bahnhof trafen, wurden sie Zeugen einer verstörenden Polizeiaktion.

Gemäss eines «Bund»-Berichts wollte die Kantonspolizei Bern auf der hinteren Seite der Heiliggeistkirche einen jungen, dunkelhäutigen Mann verhaften. Als dieser jedoch nicht freiwillig ins Polizeifahrzeug einsteigen wollte, kam es zum Gerangel. Daraufhin habe der Polizist den Kopf des Mannes nach hinten gezogen, versucht, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen und ihm schliesslich das Knie in den Bauch gerammt.

Als der Mann dann am Boden lag, drückte eine Polizistin Beine und Füsse des Mannes zu Boden, während der Polizist sein rechtes Knie auf den Hals des Mannes legte.

Als der Mann anschliessend aufgestellt wurde, schien es, als würde er zusammenbrechen, heisst es im «Bund». Über einem Auge habe eine blutende Wunde geklafft. Als ein Polizist den Mann schliesslich in den Kastenwagen stiess, schlug dieser gemäss «Bund» mit dem Kopf auf dem Boden auf und blieb regungslos liegen.

Polizei: «Techniken können immer brutal wirken»

Die Kantonspolizei beschreibt den Vorfall in einer Stellungnahme am Samstag wie folgt: Der Mann sei einer Polizeipatrouille aufgefallen, weil er schwankend beinahe in eine Stange gelaufen sei. Ausserdem habe er Schürfungen und blutende Verletzungen an den Armen und Händen aufgewiesen.

Ein Polizist und eine Polizistin hätten daraufhin eine Personenkontrolle durchführen wollen, der Mann habe allerdings keinen Ausweis auf sich gehabt. Bei der Kontrolle sei der Mann von sich aus auf Drogen zu sprechen gekommen, tatsächlich habe man bei ihm ein Säcklein mit Rückständen von weissem Pulver gefunden.

Aufgrund seines Zustandes und weil die Kommunikation mit dem Mann – er habe nur Italienisch gesprochen – schwierig gewesen sei, habe man sich entschieden, ihn für weitere Abklärungen auf eine Polizeiwache zu bringen.

Aus Sicherheitsgründen hätten die Polizistinnen und Polizisten entschieden, dem Mann für den Transport Handfesseln anzulegen. Nach anfänglicher Kooperation habe der Mann dann die Arme versperrt. «Für alle Beteiligten kann es gefährlich werden, wenn jemand mit einer offenen Handschelle am Handgelenk anfängt, herumzufuchteln», heisst es in der Stellungnahme.

Darum habe man entschieden, «den Mann aus Sicherheitsgründen unter Kontrolle zu bringen und zu Boden zu führen.» Dabei habe sich ein Polizist an der Hand verletzt, weshalb er den Mann mit der verletzten Hand nicht mehr festhalten konnte.
Weil die Handfessel nur am einen Handgelenk befestigt werden konnte, führten eine Polizistin und ein Polizist den Mann zu Boden.

Die umstrittene Festhaltetechnik, mit der das Knie des Polizisten auf den Hals des Festgehaltenen gedrückt wird, erinnert an den tragischen Tod des Afroamerikaners George Floyd, der vor einem Jahr eine internationale Protestwelle gegen Polizeigewalt und gegen sogenanntes «Racial Profiling» ausgelöst hatte.

Dazu schreibt die Kantonspolizei Bern, die Fixierung sei nicht auf dem Hals, sondern im Bereich der Schultern und/oder des Kopfes vorgesehen. «Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass das Knie bei aktiver Gegenwehr verrutscht.» Die «Bund»-Journalistinnen und Journalisten widersprechen dieser Darstellung: «Das Knie des Polizisten befand sich klar auf dem Hals des Mannes – und nicht nur während einiger weniger Sekunden», schreiben sie.

Auffällig ist eine weitere Diskrepanz zwischen der Darstellung der Polizei und jener der Journalistinnen und Journalisten vom «Bund». Die Polizei schreibt nämlich: «Muss eine Person, die sich wehrt oder widersetzt, mit Körperkraft überwältigt werden, sehen die dafür geeigneten Techniken immer hart aus oder können gar brutal wirken.» Die «Bund»-Journalistinnen und -Journalisten schreiben jedoch, sie hätten keine Tätlichkeiten vonseiten des Verhafteten gegen die Polizisten beobachtet, bevor dieser zu Boden gerungen wurde. Erst nach dem heftigen Tritt habe er sich zu wehren begonnen.

Die Polizei gesteht allerdings ein: «Das Einsteigen ins Patrouillenfahrzeug verlief nicht wie geplant, da der Mann zu Fall kam und durch Einsatzkräfte nicht rechtzeitig aufgefangen werden konnte.» Auf der Polizeiwache habe sich herausgestellt, dass der Mann sich illegal in der Schweiz aufhalte. Er wurde nun in medizinische Obhut übergeben. Der verletzte Polizist habe ebenfalls ärztliche Behandlung benötigt und werde mehrere Wochen ausfallen.

«Erschütterndes, ja, skandalöses Vorgehen»

Auf Twitter äussern sich Politikerinnen und Politiker sowie Journalistinnen und Journalisten empört, aber wenig erstaunt über den Vorfall. Mohamed Abdirahim, Stadtrat für die Juso und selbst Person of Color schreibt: «Polizeigewalt und Racial Profiling haben System.» Abdirahim fordert, dass der Ressourcenvertrag mit der Kantonspolizei beendet wird: «Es braucht jetzt eine Stadtpolizei, damit solche Fälle unabhängig untersucht werden können.»

Dasselbe verlangt GFL-Stadtrat Manuel C. Widmer: «Vielleicht sollte die Stadt Bern mal über einen Ressourcenvertrag mit einem anderen Korps verhandeln. Oder zurück zur Stadtpolizei.»

Wie Abdirahim macht auch das Megafon, die Zeitung der Berner Reitschule, auf Twitter darauf aufmerksam, dass es sich bei der beobachteten Kontrolle wohl kaum um einen Einzelfall handle: «Polizeigewalt ist überall – und deshalb ist es wichtig, dass alle hinschauen», schreiben die Journalistinnen und Journalisten.

Jorgo Ananiadis, Präsident der Piratenpartei und deren Vertreter im Grossen Gemeinderat Ostermundigen, kritisiert die Reaktion der Kantonspolizei. Ihre Stellungnahme sei eine «verstörende Verharmlosung», schreibt Ananiadis.

Dennis Bühler, Bundeshausredaktor beim Online-Magazin Republik, bezeichnet das Vorgehen der Polizei als «erschütternd, ja skandalös» und fordert Antworten von Berns Sicherheitsdirektor Reto Nause.

Nause jedoch wollte sich am Samstagabend auf Anfrage dieser Zeitung nicht zum Vorfall äussern.

akn/chh
(https://www.bernerzeitung.ch/kontroverse-um-polizeiaktion-in-bern-781136473188)
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/berner-polizei-schockiert-mit-brutaler-verhaftung-65945438


+++HASS
#dreckshure
Die Doku zeigt anhand zahlreicher Beispiele von Hasskommentaren das ganze Ausmaß des Frauenhasses und geschlechtsspezifischer Gewalt, die im Internet mehr oder weniger ungestraft ausgeübt wird. Doch warum fällt die Unterdrückung von Minderheiten im Internet auf fruchtbaren Boden? Und wer sind die Profiteure?
https://www.arte.tv/de/videos/098404-000-A/dreckshure/


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Rund 400 Teilnehmer – Luzern: Tätliche Auseinandersetzungen bei Corona-Demo – zwei Personen festgenommen
Mehrere hundert Massnahmenkritiker haben sich am Samstag zu einer Kundgebung in Luzern getroffen. Ihr unbewilligter Marsch führte sie auf einer mehr als einstündigen Route durch verschiedene Stadtteile. Die Polizei war mit einem Grossaufgebot vor Ort. An der Bahnhofstrasse kam es zu einer kleinen Auseinandersetzung.
https://www.zentralplus.ch/luzern-corona-demonstranten-durchbrechen-polizeisperre-2111039/
-> https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/luzern/stadt-luzern-zwei-festnahmen-und-zahlreiche-wortgefechte-die-beiden-demonstrationen-in-luzern-riefen-massnahmengegner-und-linke-auf-den-plan-ld.2149514
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/hunderte-skeptiker-marschieren-in-luzern-auf-65943421
-> https://www.blick.ch/schweiz/zentralschweiz/angriff-auf-einsatzkraefte-festnahmen-und-mehrere-anzeigen-nach-corona-demo-in-luzern-id16595208.html
-> https://www.tele1.ch/nachrichten/demo-vs-gegendemo-wegen-corona-massnahmen-142410958
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/nach-dem-samstagseinkauf-spontan-noch-zur-corona-impfung?id=12002798
-> https://twitter.com/__investigate__
-> https://twitter.com/CovidiotenCH
-> https://twitter.com/daflinkpanter
-> https://newsletter.lu.ch/inxmail/html_mail.jsp?id=0&email=newsletter.lu.ch&mailref=000gtxi000eyq000000000000cmnylqm


+++HISTORY
Italien streitet über Partisanenlied – Bella, ciao!
Die Linke will «Bella ciao» zur offiziellen Hymne der Befreiung von Faschisten und deutschen Besatzern erheben. Die Rechte schäumt. Vom Mythos der Weltballade für Aufständische und Bewegte.
https://www.tagesanzeiger.ch/bella-ciao-690125119597