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+++SCHWEIZ
Sonntagszeitung 13.06.2021
Vorwürfe am Bundesverwaltungsgericht: Dem «härtesten Richter» droht Amtsenthebung
Ein SVP-Richter soll bei Asylverfahren vorschriftswidrig Einfluss genommen haben. Die Geschäftsprüfungskommission des Parlaments untersucht den Fall.
Mischa Aebi, Denis von Burg
Am Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen fliegen die Fetzen. Eine Abteilungspräsidentin des Gerichts wirft einem Kollegen, dem SVP-Richter David Wenger, schwere Amtspflichtverletzung vor. Er soll vorschriftswidrig eine ihm in einem Asylverfahren zugeteilte Richterin durch eine ihm politisch näher stehende Richterin ausgewechselt haben. Der bereits abgefasste Beitrag der ersten Richterin zum Urteil wurde nicht berücksichtigt. Dem SVP-Richter wird nun politisch motivierte Einflussnahme vorgeworfen. Wenger gilt seit 2016 als «härtester Asylrichter der Schweiz».
Die Leitung des Bundesverwaltungsgerichts hat die Anschuldigungen bezüglich des Richtertauschs ans Bundesgericht in Lausanne weitergeleitet, weil dort die Oberaufsicht über die Richter angesiedelt ist. Dort hielt man die Vorwürfe für begründet und so gravierend, dass man den Fall für eine Voruntersuchung im Hinblick auf ein Amtsenthebungsverfahren an die zuständige Kommission des Bundesparlaments schickte. Max Imfeld, Anwalt des angeschuldigten SVP-Richters, bestätigt das. Der Fall liegt nun bei der Geschäftsprüfungskommission des Bundes. Eine Amtsenthebung eines Richters wäre demokratiepolitisch höchst heikel. Auf Bundesebene hat es das noch nie gegeben. Die Amtsenthebung müsste durch die Bundesversammlung erfolgen.
SVP-Richter bestreitet politische Einflussnahme
Wengers Anwalt bestreitet allerdings, dass sein Klient im umstrittenen Asylverfahren eine andere Richterin einsetzen liess. Der Fall hat sich laut ihm folgendermassen abgespielt: Aufgrund eines Irrtums sei bei der Wiederaufnahme eines Asylverfahrens statt der gemäss Reglement zuständigen Zweitrichterin eine neue Zweitrichterin zugeteilt worden. «Als mein Klient das bemerkte, hat er veranlasst, dass das Dossier wieder an die zuständige Richterin des ersten Durchgangs geschickt wird. Damit hat er in keiner Weise die Amtspflicht verletzt, sondern den rechtmässigen Zustand wiederhergestellt», sagt sein Anwalt.
Zudem dreht der SVP-Richter den Spiess um. In einem Brief zum laufenden Verfahren erhebt sein Anwalt schwere Vorwürfe an das Bundesverwaltungsgericht. Sein Klient sei von drei Abteilungspräsidentinnen am Bundesverwaltungsgericht jahrelang bespitzelt und überwacht worden. Über ihn sei eine umfangreiche Fiche angelegt worden. Er habe die Herausgabe erwirkt. Die Fiche umfasse fast 100 Dokumente und sei rund 500 Seiten stark. Es habe «eine regelrechte Intrige gegeben, offenbar mit dem Ziel, einen unbequemen Richter loszuwerden».
Man habe «gezielt einen selbstständig denkenden und deshalb unbequemen Richter ins Visier genommen», schreibt Anwalt Imfeld. Und man habe gesammelt, beobachtet, gewartet und gehofft, dass sein Klient «einen Fehler macht, um ihn dann mittels dieses Fehlers buchstäblich abschiessen zu können». Das sei unerhört. «Und es ist eine besonders perfide, weil versteckte Art des Mobbings», sagt Imfeld.
Dabei bezieht sich der Anwalt auf den Bericht des Bundesverwaltungsgerichts über die gegen Richter Wenger gerichteten Vorwürfe. Neben politischer Einflussnahme werden dort auch eine Reihe angeblicher arbeitsrechtlicher Verfehlungen aufgelistet. Gemäss Anwalt wird dem Richter mangelhafte Ausbildung und Führung seiner Gerichtsschreiber, mangelnde eigene Weiterbildung, fehlende Information der Präsidentin bei Abwesenheit, ungerechtfertigte Kritik an Abteilungs- und Gerichtsleitung, fehlende Partizipation an der Diskussion von Best-Practice-Prozessen sowie die Kandidatur für das Thurgauer Kantonsparlament trotz 100%-Arbeitspensum vorgehalten.
Der angeschuldigte Richter ist ein Held in der SVP
Richter Wenger steht als Asylhardliner in seiner Partei hoch im Kurs. Der «Tages-Anzeiger»hat ihn 2016 als «härtesten Richter am Bundesverwaltungsgericht» bezeichnet. Die Zeitung berief sich auf eine statistische Auswertung, die zeigte, dass kein anderer Richter so viele Asylgesuche abschmetterte.
Nun will die SVP den Streitfall am Bundesverwaltungsgericht zu einem nationalen Politikum machen. Am kommenden Mittwoch stehen im Parlament Richterwahlen an. Unter den Kandidierenden befindet sich auch die amtierende Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts, Marianne Ryter. Sie kandidiert als Richterin für das Bundesgericht. Noch vor wenigen Wochen rühmten selbst SVP-Politiker Ryter als wählbare Kandidatin. Jetzt verlangt die SVP die Verschiebung der Wahl, bis die «Fichenaffäre» am Bundesverwaltungsgericht und die Rolle von Präsidentin Ryter aufgeklärt sei.
(https://www.derbund.ch/dem-haertesten-richter-droht-amtsenthebung-346045148333)
+++DÄNEMARK
Dänemarks rechte Migrationspolitik: Härte statt Hygge
Dänemark verschärft den Druck in der Migrationspolitik. Die Betroffenen leben in Angst, doch in der Bevölkerung gibt es Zustimmung. Eindrücke aus einer Gesellschaft, die sich längst an Härte gewöhnt hat.
https://www.spiegel.de/ausland/fluechtlinge-aus-syrien-in-daenemark-haerte-statt-hygge-a-633f9231-a838-42f1-aa61-00202b9e4bf5
+++GRIECHENLAND
Brand im griechischen Lager Moria: Lange Haft für vier Geflüchtete
Ein Gericht verurteilt vier Männer wegen Brandstiftung im Flüchtlingslager Moria. Im Schnellverfahren und aufgrund einer einzigen Zeugenaussage.
https://taz.de/Brand-im-griechischen-Lager-Moria/!5774758/
+++MITTELMEER
Papst nennt Mittelmeer «grössten Friedhof Europas»
Papst Franziskus hat am Sonntag auf dem Petersplatz zu Gläubigen gesprochen. Dabei bezeichnete er das Mittelmeer als den «grössten Friedhof Europas».
https://www.nau.ch/news/europa/papst-nennt-mittelmeer-grossten-friedhof-europas-65946034
+++GASSE
Entscheid zu Notzimmer Stadt Zug
https://www.tele1.ch/nachrichten/entscheid-zu-notzimmer-stadt-zug-142426335
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Linke mit Spontandemo in Bern nach Anti-Terrorgesetz-Ja
Die Schweiz nimmt heute Sonntag an der Urne das Anti-Terror-Gesetz an. Gegner versammelten sich am Abend in Bern zu einer spontanen Demonstration.
https://www.nau.ch/news/schweiz/linke-mit-spontandemo-in-bern-nach-anti-terrorgesetz-ja-65946077
-> https://www.bernerzeitung.ch/100-personen-protestieren-in-bern-gegen-abstimmungsergebnis-301996275768
-> https://twitter.com/__investigate__
-> https://twitter.com/edi_schwarz
-> https://twitter.com/berngegenrechts/status/1404153952023810050
Farbe gegen patriarchale Gewalt
Gestern Nacht wurden in Winterthur in verschiedenen Quartieren 14 Brunnen rot eingefärbt! Für jeden begangenen Femizid dieses Jahr einen Brunnen.
NI UNA MENOS!
https://barrikade.info/article/4565
+++ANTITERRORSTAAT
Schweiz – Eidg. Abstimmung zum PMT: Polizei erhält Freipass zur Verfolgung von Personen ohne Anklage oder Gerichtsverfahren
Das «Ja» der Schweizer Stimmbevölkerung zum Polizeimassnahmen-Gesetz (PMT), welches der Bundespolizei fedpol weitreichende Mittel im Kampf gegen sogenannte «terroristische Gefährder» gibt, kommentiert Patrick Walder, Kampagnenleiter von Amnesty International Schweiz, wie folgt:
https://www.amnesty.ch/de/laender/europa-zentralasien/schweiz/polizeigesetz/dok/2021/ja-zum-pmt-gibt-polizei-freipass-zur-verfolgung-von-personen-ohne-anklage
Anti-Terror-Gesetz: Grüne verlangen eine präzisere Definition für Gefährder
Links wie Mitte wie Bürgerliche waren sich im Abstimmungskampf einig, dass nur echte Gefährderinnen und Gefährder vom neuen Gesetz betroffen sein sollen. Das will die Grünen-Fraktion nun genau so ins Gesetz schreiben.
https://www.derbund.ch/gruene-verlangen-eine-praezisere-definition-fuer-gefaehrder-181931412470
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/play/radio/echo-der-zeit/audio/anti-terror-gesetz-schaerfere-massnahmen?id=9dea7c5e-1c68-4d27-b171-ab59be78b65d
-> https://www.aargauerzeitung.ch/news-service/inland-schweiz/terrorismus-befuerworter-atmen-auf-gegner-bedauern-gefaehrlichen-bruch-mit-dem-rechtsstaat-ld.2149729
Reaktionen auf das Nein – Gegner wollen notfalls bis nach Strassburg
Linke und NGOs künden an, dass sie die Anwendung des Terrorismus-Gesetzes genau beobachten. Bürgerliche beschwichtigen.
https://www.srf.ch/news/abstimmungen-13-juni-2021/terrorismus-gesetz/reaktionen-auf-das-nein-gegner-wollen-notfalls-bis-nach-strassburg
Der Albtraum wird Realität
Die Aufholjagd hat nicht gereicht: Die Schweiz beschliesst die härteste Terrordefinition Europas. Um die rechtsstaatliche Abwärtsspirale zu stoppen, braucht es ein grundlegendes Umdenken.
https://www.woz.ch/-b9da
+++POLICE BE
Scharfe Kritik an Berner Polizei: «Brutale Verhaftung» erinnert an Fall von George Floyd
Am Freitag beobachten mehrere Journalisten eine Verhaftung eines dunkelhäutigen Mannes am Bahnhof Bern. Weil er Gegenwehr geleistet hat, drücken zwei Polizisten den Mann zu Boden. Die verstörenden Bilder erinnern an den tragischen Fall des US-Amerikaners George Floyd, welcher bei einer Verhaftung starb und so die «Black Lives Matter»-Proteste auslöste.
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/scharfe-kritik-an-berner-polizei-brutale-verhaftung-erinnert-an-fall-von-george-floyd-142425953
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derbund.ch 13.06.2021
Knie auf dem Hals: Wird Gewalt bei Festnahme untersucht?
Am Freitagmorgen beobachtete eine Gruppe Berner Journalisten eine verstörende Festnahme. Nun fordern verschiedene Stimmen eine Untersuchung.
Naomi Jones
Die vom «Bund» beobachtete Festnahme eines mutmasslich nordafrikanischen Mannes am Freitagmorgen gibt viel zu reden: Als zwei Polizisten den Mann in Handschellen zur Kontrolle auf die Polizeiwache fahren wollen, leistet er passiven Widerstand. Ohne dass er erkennbar tätlich geworden wäre, führen sie ihn in einem brutal anmutenden Gerangel zu Boden und fixieren ihn dort in umstrittener Weise.
Zahlreiche Onlinekommentare und Politiker fordern nun, dass der Fall aufgearbeitet werde. Der grüne Grossrat Hasim Sancar aus Bern bereitet eine Interpellation vor, in der er einen Bogen zum Tod des Kurden Cemal G. aufgrund eines Polizeieinsatzes 2001 in Bern schlägt. Der Kurde erlitt dabei eine Hirnschädigung, an der er kurz darauf starb.
Polizei publiziert Stellungnahme
Am Samstagnachmittag publizierte die Polizei ihre Stellungnahme, die sie dem «Bund» am Freitagnachmittag als Antwort auf dessen Fragen geschickt hatte, auf ihrer Website. Sie begründete dies damit, dass ihre Stellungnahme im Bericht «teilweise verkürzt» wiedergegeben worden sei, zudem sei es deswegen zu «mehreren Rückfragen» gekommen. Offenbar hat der Vorfall auch polizeiintern Beachtung gefunden.
Mann nun im Regionalgefängnis
Wird die Institution mit dem Gewaltmonopol den Fall extern untersuchen lassen? Am Sonntag lässt die Polizeisprecherin Isabelle Wüthrich dies noch offen. Sie könne zu dieser Frage erst am Montag informieren. Damit schliesst sie eine interne oder externe Untersuchung des Falles zumindest nicht aus. Sie schreibt sogar: «Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass wir Rückmeldungen stets ernst nehmen und solche Einsätze auch angeschaut werden.»
Mehrere Personen sorgten sich zudem um das Befinden des Mannes. Die Polizeisprecherin teilte mit, dass er aufgrund fremdenpolizeilicher Massnahmen ins Regionalgefängnis überführt worden sei. Am Freitag hatte sie mitgeteilt, dass er sich illegal in der Schweiz aufhalte. Nach den polizeilichen Abklärungen auf der Wache sei der Mann zudem «in medizinische Obhut» übergeben worden.
(https://www.derbund.ch/wird-gewalt-bei-festnahme-untersucht-725205126844)
+++POLIZEI DE
Verfahren gegen Polizisten eingestellt: Szenetypische Hautfarbe?
Der Hamburger Altenpfleger John H. wurde 2020 von Polizisten überfallen, die ihn für einen Dealer hielten. Nun gehen sie straffrei aus.
https://taz.de/Verfahren-gegen-Polizisten-eingestellt/!5774807/
+++RECHTSEXTREMISMUS
Geheimdienst rechnet mit Zunahme rechter Gewalt: Schweizer Neonazis formieren sich
Eine neue Generation von militanten Rechtsextremen drängt an die Oberfläche. Der Schweizer Nachrichtendienst ist besorgt – und warnt in einem Bericht vor einer Zunahme der Gewalttaten.
https://www.blick.ch/schweiz/geheimdienst-rechnet-mit-zunahme-rechter-gewalt-schweizer-neonazis-formieren-sich-id16595731.html
„Der aus #Freital stammende Deutsche Neonazi Jarno Ebert war gestern in Luzern an der Corona Demo unterwegs. (rechts im Bild) Er war Mitglied der mittlerweile verbotenen Rockervereinigung #GremiumMC“, deren T-Shirt er immer noch stolz trägt.
2005 war Ebert mutmasslich an einem Angriff auf eine Unterkunft für Migrant*innen in Freital beteiligt, bei welchem mehrere Menschen verletzt wurden 2009 sass er für kurze Zeit im Gefängnis, davor war er Besitzer des #Outrage Tattoostudios in Dresden.
Ebert arbeitet im Living Color Tattoostudio an der Pilatusstrasse 53 in Luzern, wo er unter anderem solche Motive tattowiert“
(https://twitter.com/antifa_bern/status/1404044881975185409)
+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Schwurbel-Demo Zug:
-> https://www.zentralplus.ch/widerstand-gegen-covid-19-gesetz-aufgeben-ist-voellig-ausgeschlossen-2111849/
-> https://www.zentralplus.ch/corona-demo-in-zug-polizei-warnt-vor-verkehrsbehinderungen-2111615/
-> https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/zug/massnahmengegner-corona-demo-in-zug-laeuft-polizei-ist-vor-ort-ld.2150487
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/coronavirus-skeptiker-treffen-sich-zu-demonstration-in-zug-65943422
-> https://www.blick.ch/schweiz/zentralschweiz/polizist-attackiert-corona-demonstrant-36-in-zug-verhaftet-id16597500.html
-> https://www.tele1.ch/nachrichten/entscheid-zu-covid19-gesetz-142426075
-> https://twitter.com/CovidiotenCH
-> https://twitter.com/__investigate__
-> https://twitter.com/leckerbisse
-> https://twitter.com/Blocher_Perlen
-> https://www.zg.ch/behoerden/sicherheitsdirektion/zuger-polizei/medienmitteilungen/111-zug-kundgebung-verlief-friedlich
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NZZ am Sonntag 13.06.2021
Senioren in der Verschwörungsfalle
Grosseltern, die sich radikalisieren: Fachstellen beobachten ein neues Phänomen.
Mirko Plüss
Eine Frau sucht Rat: Die Ansichten ihrer pensionierten Mutter werden immer extremer. Zuerst las die alte Frau im Internet, dass Corona nur eine Erfindung sei, und brachte diese Überzeugung in Gesprächen mit der Tochter immer wieder zum Ausdruck. Nun erzählt sie unentwegt von einem Telegram-Chat und will, dass auch die Tochter Mitglied wird. Dort heisst es, den Menschen werde während der Impfung ein Chip eingepflanzt. Geimpfte Personen würden zudem Nanopartikel ausschütten, die in die Mitmenschen eindringen und deren DNA verändern.
Infosekta, eine Zürcher Fachstelle für Sektenfragen, registriert seit einem halben Jahr vermehrt solche besorgten Anfragen erwachsener Kinder, von denen ein pensionierter Elternteil in den Verschwörungsglauben abgerutscht ist.
Die Psychologin Susanne Schaaf, welche die Fachstelle für Sektenfragen Infosekta seit 1991 mitaufgebaut hat und heute als Geschäftsführerin leitet, sagt: «Das ist ein neues Phänomen. Seniorinnen und Senioren spielten bei uns im Zusammenhang mit Verschwörungsglauben bisher keine grosse Rolle.» Nun seien in wenigen Monaten über ein Dutzend Fälle dazugekommen, die dem beschriebenen anonymen Beispiel stets ähnelten.
Familien zerbrechen
Schaaf glaubt an eine ungleich grössere Dunkelziffer: «An uns wenden sich Angehörige erst dann, wenn der Verschwörungsglaube des Familienmitglieds schon extrem ausgeprägt ist. Die Senioren vertun sich stundenlang im Internet und werden von ihren Angehörigen als regelrecht ‹besessen› und ‹wahnhaft› beschrieben.» Äussere sich die Familie kritisch zu den wirren Theorien, zögen sich die Betroffenen zurück.
«Daran zerbrechen auch Familien. Oft kommt es vor, dass die Pensionierten irgendwann nur noch mit einem ihrer Kinder reden oder mit gar keinem mehr», sagt Schaaf. Auslöser für den vermehrten Verschwörungsglauben unter den über 65-Jährigen sei ganz klar Corona. Doch auch andere Themen aus der Verschwörerszene würden nun übernommen, wie die Verschleppung von Kindern durch eine pädophile Elite oder die Vergiftung durch Chemtrails.
Der Sektenexperte Georg Otto Schmid macht ähnliche Beobachtungen, wie er auf Anfrage sagt. Die Tendenz zu Verschwörungstheorien sei unter anderem bei Pensionierten besonders hoch. Das widerspiegle sich derzeit deutlich bei der Beratungsarbeit von Schmids Evangelischer Informationsstelle relinfo.ch: «Im vergangenen Jahr zählten wir 406 Anfragen zu Verschwörungstheorien, wovon rund 100 Senioren betroffen haben.»
Laurent Luks, Leiter der Fachstelle Radikalisierung & Gewaltprävention der Stadt Bern, sagt: «Wir können die gemachten Beobachtungen aus unserer Arbeit bestätigen.» Während die Radikalisierung im islamistischen Spektrum und beim Rechtsextremismus vor allem ein Jugendphänomen sei, beobachte man beim Abrutschen in den Corona- und Impf-Verschwörungsglauben eine Tendenz hin zu älteren und alten Personen.
«Uns erreichen Anfragen besorgter erwachsener Kinder, weil sich ein pensionierter Elternteil stundenlang auf einschlägigen Telegram-Chats tummelt.» Luks sagt, das Phänomen sei «in dieser Intensität» relativ neu und Präventionsansätze noch Mangelware. «Über 65-Jährige teilen ja keinen gemeinsamen Sozialraum wie eine Schule oder einen Arbeitsort, die Sensibilisierung findet deshalb zum jetzigen Zeitpunkt nur im Kontakt mit einzelnen Betroffenen statt.»
Wirre Theorien
Seniorinnen und Senioren, die sich quasi im Netz radikalisieren, mögen ein neues Phänomen sein, jedoch eines mit Ansage. Peter Burri Follath, Digital-Experte bei Pro Senectute Schweiz, weist darauf hin, dass sich der digitale Graben altersmässig weit nach hinten verschoben habe, er liege heute bei 80 Jahren. «Das heisst, heute ist die überwiegende Mehrheit der unter 80-Jährigen regelmässig im Internet unterwegs», sagt Burri Follath.
Die Studie «Digitale Senioren 2020» von Pro Senectute konnte letztes Jahr aufzeigen, dass sich 74 Prozent der über 65-Jährigen online bewegen. Der Anteil der «Online-Senioren», die grösstenteils auch Tablets und Smartphones nutzen, hat sich seit 2010 fast verdoppelt. Die sogenannten Jungsenioren können laut der Studie im Umgang mit digitalen Medien sogar mit der jüngeren Bevölkerung mithalten. Genutzt würden längst nicht mehr nur E-Mail-Programme und Fahrpläne, sondern auch Whatsapp oder andere populäre Anwendungen.
Laut Peter Burri Follath nutzen Seniorinnen und Senioren das Internet vorwiegend für die Beschaffung von Informationen. Das führe zu grösseren Risiken: «Die digitalen Senioren sind noch anfälliger als andere Altersgruppen, auf Falschinformationen oder wirre Theorien hereinzufallen.» Sie seien im Umgang mit der Informationsbeschaffung im Netz und in den sozialen Netzwerken unerfahrener und daher auch unbedarfter. Was die Sensibilisierung gegen Gefahren im Netz betreffe, bestehe grosser Aufholbedarf.
Wer diesen leisten soll, ist unklar. Susanne Schaaf von der Fachstelle Infosekta sammelt unterdessen Geld, um in der Stadt Zürich eine Online-Selbsthilfegruppe für die Angehörigen von Verschwörungsgläubigen aufzubauen. In den Gesprächen soll unter anderem das geeignete Vorgehen besprochen werden, sagt Schaaf. «Gerade für die älteren Menschen ist es sehr schwer zu akzeptieren, dass sie Fehlinformationen aufgesessen sind und dass die ‹Freunde› im Netz keine wirklichen Freunde sind.»
(https://nzzas.nzz.ch/schweiz/corona-verschwoerungsglauben-grosseltern-die-sich-radikalisieren-ld.1630133)
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Hacktivismus Anonymous hackt Ken-Jebsen-Website
Anonymous hat Ken Jebsen ins Visier genommen: Der ehemalige Journalist gilt als Schlüsselfigur der »Querdenker«-Szene. Jetzt wollen Hacker die Namen seiner Spender erbeutet haben.
https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/anonymous-erbeutet-namen-von-ken-jebsen-unterstuetzern-a-5cb85ce7-eb14-4b0d-b9fd-522aa7a5b85a
Sechsteiliger Podcast zu Ken Jebsen: Der Weg zum Verschwörer
„Cui Bono: WTF happened to Ken Jebsen?“ behandelt nicht nur die Figur Jebsen, sondern auch Desinformation im digitalen Zeitalter allgemein.
https://taz.de/Sechsteiliger-Podcast-zu-Ken-Jebsen/!5774785/
Food-Truck auf dem Neumarkt: Geistheiler-Verein verteilt Gratisessen
Der Verein Oronos möchte hungernden Winterthurern helfen. Dahinter steht ein deutscher Esoterikunternehmer, der Botschaften des Erzengels Michael übermittelt.
https://www.landbote.ch/geistheiler-verein-verteilt-gratisessen-443944132340
+++HISTORY
Migration und Emanzipation – Wie Migrantinnen die Schweizer Frauenrechte vorantrieben
Die Schweiz ist seit Ende des 19. Jahrhunderts ein Einwanderungsland. Migrantinnen haben hier eine bedeutende gesellschaftliche und politische Rolle gespielt – und zur Emanzipation der Schweizerinnen beigetragen, sagt die Historikerin und Migrationsforscherin Francesca Falk.
https://www.srf.ch/kultur/migration-und-emanzipation-wie-migrantinnen-die-schweizer-frauenrechte-vorantrieben
Unsere Toten zählen nicht. Deutschlands koloniales Erbe
Die deutsche Bundesregierung hat mit der namibischen Regierung eine Vereinbarung getroffen, mit der der koloniale Völkermord anerkannt und eine finanzielle Unterstützung – in Höhe der bisherigen Entwicklungshilfe – geleistet wird. Findet tatsächlich eine Aufarbeitung des kolonialen Erbes statt?
https://geschichtedergegenwart.ch/unsere-toten-zaehlen-nicht-deutschlands-koloniales-erbe/
Rassismus und Kolonialismus: Wie Portugal seine Vergangenheit aufarbeiten will
Portugal tut sich schwer mit der Aufarbeitung seiner Kolonialgeschichte und mit dem Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung. Die afrikanischstämmige Bevölkerung fordert aber mehr Rechte ein. Nun hat die Regierung einen Plan vorgelegt.
https://www.deutschlandfunk.de/rassismus-und-kolonialismus-wie-portugal-seine.724.de.html?dram:article_id=498456