Medienspiegel 7. Januar 2021

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++ZÜRICH
Nach Intervention der SVP: Polizei darf Zürcher City-Card nicht anerkennen
Die Stadt Zürich will einen Ausweis für Sans-Papiers einführen. Auf Intervention der SVP bekräftigt der Regierungsrat, dass die Polizei diesen nicht als offizielles Dokument akzeptieren darf.
https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/nach-intervention-der-svp-polizei-darf-zuercher-city-card-nicht-anerkennen-140405258
-> https://www.tagesanzeiger.ch/polizei-wird-zuercher-city-card-nicht-anerkennen-681983063301
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/polizei-wird-zuercher-city-card-nicht-anerkennen-00148535/
-> https://www.zsz.ch/polizei-darf-city-card-nicht-anerkennen-475077077165
-> https://www.landbote.ch/polizei-darf-city-card-nicht-anerkennen-475077077165



nzz.ch 07.01.2021

Die links-grüne Stadt Zürich will eine Identitätskarte für Sans-Papiers einführen – die Zürcher Kantonsregierung hält nichts von der Idee

Der Zürcher Stadtrat will Papierlose mit der «Züri City Card» besser vor Ausbeutung schützen. Der SP-Sicherheitsdirektor Mario Fehr sieht das Projekt aus rechtsstaatlichen Gründen kritisch – und auch eine allgemeine Regularisierung lehnt er ab.

Linda Koponen

Im Kanton Zürich leben schätzungsweise 13 600 bis 24 900 Papierlose – Menschen, die nicht hier sein dürften, weil sie keine Aufenthaltsbewilligung haben. Wie viele es tatsächlich sind, lässt sich schwer sagen, weil sich die Sans-Papiers unter dem Radar der Behörden bewegen. Sie arbeiten illegal in Privathaushalten, in Coiffeursalons oder in Reinigungsfirmen, oft unterbezahlt und unter prekären Bedingungen.

Um ihre Lebenssituation zu verbessern, hat der Zürcher Stadtrat im Herbst eine alte Idee aus der Schublade geholt: Die «Züri City Card». Den neuen Ausweis sollen auch Zürcherinnen und Zürcher beantragen können, die sich illegal im Land aufhalten. Mit der städtischen Identitätskarte will die Stadt den Aufenthalt von Sans-Papiers zwar nicht legalisieren, aber doch erleichtern. Sie sollen dem Zugriff der Behörden möglichst entzogen und so vor einer drohenden Abschiebung bewahrt werden.

Nicht mehr als ein Bibliotheksausweis

Ob die «Züri City Card» die Erwartungen zu erfüllen vermag, ist fraglich – das räumt auch der Stadtrat selber ein. Zwar könnten Sans-Papiers mit dem Ausweis ihre Identität und den Wohnsitz in gewissen Situationen nachweisen. Zürich ist jedoch an das eidgenössische Ausländer- und Migrationsrecht gebunden.

Der SP-Regierungsrat Mario Fehr, dessen Direktion für Ausländerfragen zuständig ist, hält nichts von der Idee der links-grünen Stadtregierung. Dies geht aus der Antwort des Regierungsrates auf eine Interpellation aus dem kantonalen Parlament hervor.

Der Bund sei für die Regelung der Arten von anerkannten Ausweispapieren zuständig. Eine City Card sei somit kein amtliches Ausweisdokument und dürfe auch nicht dazu führen, dass die Regelungen über die Zulassung von Ausländerinnen und Ausländern ausser Kraft gesetzt würden. «Die städtische Identitätskarte kann den Aufenthalt von illegal anwesenden Personen nicht legalisieren, auch nicht teilweise.»

Die Karte könne demnach nur dort eingesetzt werden, wo es nicht notwendig sei, den Aufenthaltsstatus einer Person zu kennen – also etwa in Museen, Bibliotheken oder in der Gesundheitsversorgung. Sobald eine ausländerrechtliche Kontrolle nötig sei oder die Polizei einen Verdacht auf rechtswidrigen Aufenthalt habe, genüge die City Card nicht. In diesen Fällen würden sich die Beamten der Begünstigung strafbar machen, wenn sie die Stadt-ID als Ausweis akzeptierten.

Keine allgemeine Regularisierung

Nicht nur für die Sans-Papiers ist der illegale Aufenthaltsstatus problematisch. Auch für den Staat entsteht ein Nachteil, weil die Personen keine Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen.

In einem Postulat wollte eine grüne Kantonsrätin vom Regierungsrat wissen, ob gut integrierte Sans-Papiers nach dem Genfer Modell «Opération Papyrus» auch im Kanton Zürich regularisiert werden könnten. Die Stadt hat zusammen mit dem Staatssekretariat für Migration Arbeitskräften, die seit vielen Jahren illegal im Kanton leben, die Aufenthaltsbewilligung erteilt.

Eine allgemeine Regularisierung lehnt der Zürcher Regierungsrat im Einklang mit dem Bundesrat ab. Dieser hatte in einer Antwort auf ein Postulat aus dem Nationalrat im Dezember festgehalten, dass eine kollektive Amnestie die Problematik des rechtswidrigen Aufenthalts nicht langfristig lösen könne.

Stattdessen hält die Landesregierung am bisherigen Grundsatz einer Einzelfallprüfung in Härtefällen fest. Auch der Zürcher Regierungsrat schreibt, dass das kantonale Migrationsamt individuelle Härtefallgesuche bereits heute gestützt auf die bundesrechtlichen Voraussetzungen prüfe. Im Kanton Zürich gebe es geschätzt 2000 bis 3700 Sans-Papiers, die seit mindestens zehn Jahren hier lebten und somit die zeitlichen Voraussetzungen für ein solches Gesuch erfüllten. Damit ein Härtefall gegeben sei, müsse die Person gut integriert und die Rückkehr ins Herkunftsland unzumutbar sein. Zudem sei die Identität offenzulegen.

Seit Frühling 2017 hat der Kanton Zürich aus eigener Initiative alle Dossiers von abgewiesenen Asylsuchenden geprüft und 113 Personen als Härtefälle anerkannt. Bei Sans-Papiers, die den Behörden nicht bekannt seien, sei man jedoch darauf angewiesen, dass sie von sich aus Gesuche stellten. Aus Angst, abgelehnt und anschliessend abgeschoben zu werden, tun das viele nicht.
(https://www.nzz.ch/zuerich/zuerich-regierungsrat-gegen-identitaetskarte-fuer-sans-papiers-ld.1595281)


+++SCHWEIZ
Keine Angst vor Konsequenzen – Rund um Bundesasylzentren nimmt die Kriminalität zu
Abgewiesene Asylbewerber, die nicht ausgeschafft werden können, sorgen rund um die Bundesasylzentren für Ärger.
https://www.srf.ch/news/schweiz/keine-angst-vor-konsequenzen-rund-um-bundesasylzentren-nimmt-die-kriminalitaet-zu
-> Längerer Bericht: https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/rund-um-bundesasylzentren-nimmt-die-kriminalitaet-zu?id=11910176


«Vor allem Nordafrikaner»: Lysser Gemeindepräsident für Internierung krimineller Asylsuchender
Laut dem Lysser Gemeindepräsidenten Andreas Hegg (FDP) hat die Kriminalität rund um das Bundesasylzentrum Kappelen-Lyss in letzter Zeit stark zugenommen.
https://www.bernerzeitung.ch/lysser-gemeindepraesident-fuer-internierung-krimineller-asylsuchender-675440467870


+++DEUTSCHLAND
Aus guten Gründen: Immer wieder stoppen Gerichte Abschiebungen nach Afghanistan
Trotz Pandemie und Lockdown-Beginn startete am 16. Dezember der erste Sammelabschiebungsflug nach Kabul seit März 2020. Kurz vor Abflug stoppten Gerichte in Baden-Württemberg in zwei Fällen die Abschiebung. Doch nur wenige Betroffene haben das Glück, dank Unterstützer*innen und Rechtsbeistand einen Stopp der Abschiebung erwirken zu können.
https://www.proasyl.de/news/aus-guten-gruenden-immer-wieder-stoppen-gerichte-abschiebungen-nach-afghanistan/


+++FRANKREICH
Wegen drohender Abschiebung: Bäcker tritt für Azubi in Hungerstreik
»Ich werde nicht aufhören, bis ich etwas erreicht habe«, sagte Stéphane Ravacley, der im ostfranzösischen Besançon eine Bäckerei betreibt
Ein französischer Bäcker ist wegen der geplanten Abschiebung seines Auszubildenden in den Hungerstreit getreten. »Ich werde nicht aufhören, bis ich etwas erreicht habe«, sagte Stéphane Ravacley, der im ostfranzösischen Besançon eine Bäckerei betreibt.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1146692.frankreich-wegen-drohender-abschiebung-baecker-tritt-fuer-azubi-in-hungerstreik.html


+++GRIECHENLAND
2020 deutlich weniger Migranten auf Ägäis-Inseln
Die Ägäis-Inseln zählen im 2020 deutlich weniger Migranten. Der Rückgang hängt auch mit dem beschleunigten Asylverfahren der griechischen Regierung zusammen.
https://www.nau.ch/news/europa/2020-deutlich-weniger-migranten-auf-agais-inseln-65848075


+++FREIRÄUME
Appell an die Stadt Luzern «Familie Eichwäldli»: Jetzt schaltet sich die IG Industriestrasse ein
Per Ende Januar ist in der alten Soldatenstube beim Luzerner Eichwäldli Schluss. Das will die Stadt so. Jetzt meldet sich aber die IG Industriestrasse und appelliert an den Stadtrat, die immer wertvoller werdenden Freiräume zu schützen – so auch das Eichwäldli.
https://www.zentralplus.ch/familie-eichwaeldli-jetzt-schaltet-sich-die-ig-industriestrasse-ein-1979151/


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
bielertagblatt.ch 07.01.2021

Was hinter den feministischen Parolenan Bieler Hauswänden steckt

Im Herbst 2019 ist in Frankreich die Bewegung Les  Colleuses entstanden. Feministinnen begannen, Parolen gegen Gewalt an  Frauen an Wände zu kleben. Auch in Biel ist eine Gruppe aktiv.

Maeva Pleines/pl

Im November 2019 hat eine neue feministische Bewegung Biel erreicht.  Von Beginn an hatten Emilie* und ihre Mitstreiterinnen die Aktionen der  französischen «Colleuses» auf Instagram verfolgt. Ab September 2019  tauchten in den Strassen von Paris eindringliche Botschaften gegen die  Ermordung von Frauen auf. Die Kampagne verbreitete sich wie ein  Lauffeuer in der ganzen französischen Hauptstadt. «Wir haben  beschlossen, auch in Biel zu handeln, denn das Problem ist überall»,  sagt Emilie. Der Protest begann am 25. November 2019, dem  Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen: «Wir sind spät in der Nacht  mit Herzklopfen auf die Strasse gegangen, um unsere feministischen  Losungen auf die Mauern zu kleben.»

Solidarität mit streikenden Polinnen

Zu Anfang bestand die Gruppe aus einem Dutzend Frauen aller  Altersgruppen und mit ganz unterschiedlichem Hintergrund. Sie  kommunizierten untereinander über Whatsapp. Aber bald verzichteten die  Aktivistinnen auf dieses Netzwerk, wie Emilie sagt: «Heute sind wir  nicht mehr als Kollektiv organisiert. Dennoch planen wir spontane  Aktionen gemeinsam.» Der Vorteil ist aus ihrer Sicht, dass sich Menschen  spontan anschliessen können, wenn ihnen ein Anliegen wichtig ist. Auf  diese Weise stehe die Bewegung einer breiten Bevölkerung offen.

Die junge Frau erwähnt die ersten Parolen, die Frauenmorde  anprangerten. «Papa hat Mama getötet» war eine davon. Die Bielerinnen  reagieren auch regelmässig auf aktuelle Ereignisse: So haben sie vor  Kurzem Frauen in Polen unterstützt, die für das Recht auf Abtreibung  streikten. Das Themenspektrum der Aktivistinnen ist breit, sie  beschränken sich nicht auf das Problem der Gewalt gegen Frauen. Die  Bielerin nennt als Beispiel eine Aktion gegen den Black Friday. Aus  ihrer Sicht hängen alle Formen von Unterdrückung und Ausbeutung der  Natur, mit denen sie sich beschäftigt, letztlich zusammen. Die  Aktivistinnen verfassen ihre Botschaften in einer Sprache, die alle mit  einschliessen soll, namentlich auch Transmenschen oder Personen, die  sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen.

Plakate bleiben länger sichtbar

Warum nutzt die Frauengruppe nicht einfach die Sozialen Medien, um  ihre Forderungen bekannt zu machen? Warum engagieren sich die Mitglieder  nicht in der Politik? Emilie sagt dazu, das eine sei nicht ohne das  andere möglich. Alle Plakatiererinnen seien politisch aktiv, sei es beim  Frauenstreik oder in der Klimadebatte. Die Plakatierungsaktionen hätten  aber eine eigene Qualität, so Emilie: «Die Botschaften bleiben länger  sichtbar als eine flüchtige Demonstration.» Dies, obwohl die Plakate von  der Stadtverwaltung rasch entfernt werden.

Im Lockdown stiegen sie aufs Internet um

Die junge Frau hat die Klebebotschaften auf dem Instagram-Konto  «collages_feministes_bielbienne» verewigt. Hier findet sich auch eine  virtuelle Plakataktion auf den Wänden des Kongresshauses: «Die Idee  dafür ist während des Lockdowns im Frühling entstanden, als wir nicht  draussen aktiv sein konnten.» Mittlerweile tauchen auf Emilies  Instagram-Konto Slogans von ihr unbekannten Feministinnen auf: «Das  zeigt uns, dass die Bewegung weitere Kreise zieht», sagt die Bielerin.  Heute gibt es in allen grösseren Westschweizer Städten solche Gruppen,  beispielsweise in Genf, Lausanne und Freiburg. Was die Aktivistinnen  tun, ist nicht erlaubt. Wildes Plakatieren kann mit einer Busse bestraft  werden. Emilie und ihre Mitstreiterinnen wurden bis jetzt allerdings  nicht belangt. In einigen Fällen wurde Material beschlagnahmt. Aber in  flagranti sei niemand erwischt worden, sagt sie. Entsprechend gab es  auch keine Verfahren. Emilie räumt ein, dass solche Aktionen mit Stress  verbunden sind. Dennoch sagt sie deutlich: «Wir hören erst dann mit dem  Plakatieren auf, wenn Frauenmorde, Vergewaltigungen und sexuelle  Belästigung Vergangenheit sind.»

*Name geändert
(https://www.bielertagblatt.ch/nachrichten/biel/was-hinter-den-feministischen-parolen-bieler-hauswaenden-steckt)


+++REPRESSION DE
Verfolgung der kurdischen Bewegung
»Eine individuelle Straftat wird ihm nicht zur Last gelegt«
Koblenz: Prozess gegen angeblichen PKK-Aktivisten, der bereits viele Jahre in Haft saß. Ein Gespräch mit Monika Morres
https://www.jungewelt.de/artikel/393915.verfolgung-der-kurdischen-bewegung-eine-individuelle-straftat-wird-ihm-nicht-zur-last-gelegt.html


+++ANTITERRORSTAAT
«Gibt es etwas Schlimmeres als die Abschaffung der Unschuldsvermutung?»
Es wurde bereits totgeschrieben, doch im letzten Moment scheint das Referendum gegen die neuen «Antiterrorgesetze» zustande zu kommen. Ein Treffen mit der 27-jährigen Juristin Sanija Ameti, die den Widerstand gegen das Gesetz anführt.
https://www.republik.ch/2021/01/07/mit-diesem-gesetz-weiss-man-nicht-mehr-wann-der-staat-eingreifen-kann-und-wann-nicht


+++POLIZEI CH
Wäre das Bundeshaus sicher? So reagiert die Bundespolizei auf den Sturm des US-Capitols
Es waren Szenen, wie es sie in den USA seit dem Bürgerkrieg nicht mehr gegeben hatte: Trump-Anhänger stürmten das Capitol, in dem der US-Kongress tagte. Auch die Bundespolizei und die Verantwortlichen im Bundeshaus beobachten die Ereignisse für ihre Bedrohungsanalyse genau.
https://www.20min.ch/story/so-reagiert-die-bundespolizei-auf-den-sturm-des-us-capitols-298119574041
-> https://www.watson.ch/international/schweiz/273816316-fedpol-reagiert-sturm-auf-us-kapitol-fliesst-in-analyse-ein
-> https://www.blick.ch/politik/fedpol-reagiert-auf-die-ereignisse-in-den-usa-wie-sicher-ist-das-bundeshaus-id16281232.html



derbund.ch 07.01.2021

Nach dem Sturm aufs CapitolWer schützt das Bundeshaus?

Seit dem mörderischen Attentat auf das Zuger Parlament 2001 wurde auch der Schutz des Bundeshauses massiv verstärkt. Trotzdem kommt es manchmal zu Problemen.

Jael Amina Kaufmann

Direkt am Parlamentsgebäude vorbeizugehen oder auf der Bundeshausterrasse eine Pause einzulegen – das ist in der Schweiz eine Selbstverständlichkeit. Ausländische Gäste staunen jeweils, wie nahe sie dem Parlamentsgebäude kommen können, ohne einer Abschrankung zu begegnen.

Die Nachricht von Trump-Anhängern, die am Mittwoch das Capitol in Washington stürmten und sich im Parlamentsgebäude Kämpfe mit den Sicherheitskräften lieferten, wirft nun aber die Frage auf: Wie sicher ist das Bundeshaus in Bern, und wer ist für den Schutz der Parlamentsmitglieder zuständig?

Kanton muss Platz schützen

Die Sicherheit im Gebäude werde von der Bundespolizei gewährleistet, sagt Karin Burkhalter, Informationschefin der Parlamentsdienste. Da das Terrain vor dem Bundeshaus der Stadt gehört, liege der Schutz des Bundesplatzes demgegenüber in der Verantwortung der Kantonspolizei.

Als komplex beschreibt daher auch Cathy Maret, Mediensprecherin der Bundespolizei, die Zuständigkeiten rund um die Sicherheit des Bundeshauses. Die Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Stellen sei aber sehr eng und funktioniere daher gut: «Je nach Bedrohungslage werden die geltenden Massnahmen zwischen den einzelnen Stellen koordiniert und auf die vorgesehenen Ereignisse angepasst.»

Poller gegen Terrorattacken

In brenzligen Situationen etwa kommt vor dem Bundeshaus ein Zaun zum Einsatz, welcher in den Boden eingelassen werden kann. Laut Isabelle Wüthrich, Mediensprecherin der Berner Kantonspolizei, wurde dieser «gestützt auf die Erkenntnisse der gewalttätigen Ausschreitungen anlässlich einer Kundgebung im Oktober 1996 in Zusammenarbeit mit dem Bund und der Stadt realisiert».

Seit vergangenem Herbst entdecken aufmerksame Personen zudem eine weitere Sicherheitsvorkehrung: Weisse Poller beim Nordeingang des Gebäudes bieten Schutz vor möglichen Anschlägen mit Fahrzeugen. Bei der Gestaltung wurde dabei speziell auf das Aussehen des denkmalgeschützten Bundeshauses Rücksicht genommen. Statt der üblichen Metallpoller bestehen die Pfosten aus Tessiner Granit und verfügen über einen Kern aus Spezialstahl.

Aufrüstung nach Anschlag in Zug

Aber nicht nur die Schutzvorkehrungen vor dem Bundeshaus haben sich verändert. Auch im Inneren des Parlamentsgebäudes hat sich einiges getan in den letzten zwanzig Jahren. Der Grund, weshalb die Gebäudesicherheit 2001 «gründlich überprüft» wurde, war laut Infochefin Karin Burkhalter der Anschlag in Zug. Unbehelligt gelang es dem Attentäter damals, sich Zugang zum Zuger Parlamentsgebäude zu verschaffen. 14 Personen kamen bei diesem Anschlag ums Leben.

Daraufhin wurden laut Burkhalter die Kontrollmassnahmen am Haupteingang des Bundeshauses «deutlich verschärft». Alle Besucherinnen und Besucher werden seither mittels Metalldetektor und Gepäckröntgenanlage kontrolliert. Seit 2003 würden die Gäste zudem durch Drehtüren geschleust werden, «die sie nur einzeln betreten können». Und erst vor einem Jahr sei der Eingangsbereich für die Besuchenden neu gestaltet worden, «um die Sicherheit weiter zu verbessern», so Burkhalter.

Pannen passieren trotzdem

Die Bemühungen im Inneren des Bundeshaus verdeutlichen: Das Parlamentsgebäude soll auch in Zukunft offen sein für Besuche. Die Debatten im Ständerat oder im Nationalrat können normalerweise direkt in den beiden Ratssälen mitverfolgt werden – momentan aber nicht. Denn aufgrund der Corona-bedingten Zutrittsbeschränkungen sind keine Gäste im Parlamentsgebäude zugelassen. Es werde ausschliesslich der Parlamentsbetrieb sichergestellt, sagt Burkhalter.

Dass das Schutzkonzept im Bundeshaus aber nicht immer funktioniert, beweisen zwei Vorfälle aus dem Herbst 2019. Einem verurteilten Terrorunterstützer gelang es damals, unter falschem Namen als angeblicher Journalist an einer Veranstaltung der SP teilzunehmen. Und nur eine Woche später schmuggelte ein Klimaaktivist während der Debatte ein riesiges Transparent auf die Tribüne des Nationalrats.

Aus Sicherheitsgründen könnten die Parlamentsdienste keine Angaben dazu machen, welche Veränderungen seit den zwei Vorfällen bei den Eingangskontrollen vorgenommen wurden, sagt Burkhalter. Die Verbesserung der getroffenen Massnahmen sei aber ein fortlaufender Prozess, wobei die Vorkehrungen stets an die jeweiligen Umstände angepasst würden.
(https://www.derbund.ch/wer-schuetzt-das-schweizer-parlament-729076134854)


+++POLIZEI DE
Todestag von Oury Jalloh: Sie weigerten sich, zu schweigen
Vor 16 Jahren starb Oury Jalloh in Polizeigewahrsam. Damals sah es so aus, als würde die Sache rasch vergessen. Das Gegenteil geschah.
https://taz.de/Todestag-von-Oury-Jalloh/!5738264/
-> https://www.jungewelt.de/artikel/393847.gedenken-an-oury-jalloh.html
-> https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr5/wdr5-tiefenblick/oury-jalloh/index.html
-> https://tacker.fr/node/8405
-> https://www.neues-deutschland.de/artikel/1146662.oury-jalloh-aufklaerung-weiter-blockiert.html
-> https://www.neues-deutschland.de/artikel/1146698.oury-jalloh-gedenken-an-oury-jalloh-in-zwoelf-staedten.html
-> https://www.jungewelt.de/artikel/393888.fall-oury-jalloh-in-der-zelle-verbrannt.html


Verbrannt in einer Dessauer Polizeizelle:  Warum sich Oury Jalloh nicht selbst angezündet haben kann
Vor 16 Jahren starb Oury Jalloh. Nichts spricht dafür, dass die offizielle Version seines Todes stimmt. Über einen nicht endenden Skandal.
https://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/verbrannt-in-einer-dessauer-polizeizelle-warum-sich-oury-jalloh-nicht-selbst-angezuendet-haben-kann/26774236.html


+++RASSISMUS
bernerzeitung.ch 07.01.2021

Plötzlich hört man ihr zu: Wie «Black Lives Matter» das Leben einer Bielerin verändert hat

Früher  fanden die anderen das Thema mühsam, jetzt hören sie Myriam Diarra  plötzlich zu: «Black Lives Matter» schlägt Wellen bis nach Biel.

Marina Bolzli

Draussen fallen dicke Schneeflocken  vom Himmel, die Menschen ziehen die Mantelkragen hoch. Der Bus hält  direkt vor der Haustür von Myriam Diarra im Zentrum von Biel. Sie kommt  den Besuchern durch den dunklen Gang entgegen. Die 44-Jährige freut sich  über das Interesse der Zeitung, sie ist immer noch ein bisschen  erstaunt darüber, dass ihr Thema, das Thema, das sie seit langem  beschäftigt, nun plötzlich weite Kreise zieht. Dass niemand mehr  abwiegelt, «ach, Myriam, du bist härzig, Idioten gibt es immer, nimm es  nicht persönlich». Spätestens seit diesem Sommer ist die  Rassismusdiskussion voll in der Schweiz angekommen.

Es  gab grosse Demonstrationen, in Biel, Bern, Zürich. Überall skandierten  die Leute: «Black Lives Matter». Kurz zuvor, am 25. Mai, war George  Floyd bei seiner Festnahme in den USA von Polizisten getötet worden. Er  wurde zu Boden gedrückt und kriegte dabei keine Luft mehr.

Es  war nicht der erste gewaltsame Tod eines Schwarzen durch einen  Polizisten in den USA, aber die Demonstrationen, die darauf folgten und  bis nach Europa schwappten, waren grösser.

Schreien, um gehört zu werden

Myriam Diarra, Bielerin mit einer Schweizer Mutter und einem malischen Vater, nahm an den Demonstrationen teil. «Ich hätte nie gedacht, dass ich mal an einen Ort gehen und gegen Rassismus schreien würde. Sonst habe ich immer geschrien, um mich selber zu verteidigen», sagt sie nun, ein halbes Jahr später, im Wohnzimmer ihrer gemütlichen Altbauwohnung.

Hier  wohnt die Bewegungstherapeutin gemeinsam mit ihrem Partner und den  beiden Kindern. Es ist ihr Zuhause. «Ich könnte mir nie vorstellen, aus  Biel wegzuziehen», sagt sie, «hier habe ich meine Leute, hier fühle ich  mich wohl.»

Myriam  Diarra wurde schon in dieser Stadt geboren, als eines der ersten Kinder  aus einer sogenannten Mischehe. Sie fiel auf, sie war exotisch, und es  kam nicht selten vor, dass jemand die Hand ausstreckte, um ihre Haare zu  spüren. Die Haare, die bübisch kurz geschnitten waren, weil es in den  1980er-Jahren in Biel noch gar keine Coiffeure gab, die wussten, wie mit  einem Afro umzugehen war.

In  der Schule gehörte sie nirgends so recht dazu, es gab die Schweizer und  die Ausländer. Sie sah aus wie eine Ausländerin, war aber Schweizerin.  «Für meine Identität war das schwierig.» Sie lernte, sich mit ihren  Fäusten zu behaupten.

Ihre  Kinder müssen das nicht mehr, sie sind heller als sie. Heute bekommt  Myriam Diarra manchmal in guter Absicht zu hören: «Sie haben genau die  richtige Hautfarbe.»

Biel  hat den Ruf, eine multikulturelle Stadt zu sein. Und doch gibt es auch  in der zweisprachigen Stadt Rassismus. Um dem entgegenzuwirken, hat  Myriam Diarra zusammen mit Fork Burke und Franziska Schutzbach ein Buch  herausgegeben. «I Will Be Different Every Time» porträtiert schwarze  Frauen in Biel, zeigt ihre Vielfalt und räumt auf mit dem Klischee, dass  alle Schwarzen gleich seien.

Die  drei Frauen haben lange am Buch gearbeitet. Es ist ein glücklicher  Zufall, dass es fast zeitgleich mit dem Aufflammen der «Black Lives  Matter»-Bewegung erschien.

«Ich  könnte mir vorstellen, dass die Leute durch diese Corona-Zeit  empfänglicher für das Thema waren», sagt Myriam Diarra. Und trotzdem  kann sie sich nicht so recht freuen. «Eigentlich sollte so etwas ja gar  nicht nötig sein, die Demos nicht und unser Buch nicht, eigentlich  sollten diese Dinge selbstverständlich sein.»

Und trotzdem merkt sie auch in der weltoffenen Stadt Biel, dass es nicht so ist. «Ich höre immer wieder die Frage, woher ich komme. Das Problem ist nicht die Frage an sich, sondern das System, das  dahintersteckt: Ich sehe anders aus, also kann ich nicht von hier  sein.» Myriam Diarra ist mittlerweile dazu übergegangen, die Gegenfrage  zu stellen, was die andere Person jeweils in Erklärungsnotstand bringe.  «Sie meinen, sie haben das Recht, mich das zu fragen, finden es aber  komisch, wenn ich ihnen dieselbe Frage stelle.»

Als Kind wollte sie weiss sein

Als  Kind wünschte sich Myriam Diarra blonde glatte Haare und blaue Augen.  «Ich habe mich mit Seife gerubbelt, mit Badeschaum bedeckt, ich wollte  einfach weiss sein. Das muss meiner Mutter das Herz gebrochen haben.»  Als später die Hip-Hop-Kultur aufkam, konnte sich Myriam Diarra endlich  mit etwas identifizieren, das sie cool fand. Sie wurde DJ, konnte sich  über die Musik ihrer schwarzen Identität annähern.

Einen weiteren Schritt machte sie in diesem Jahr. «Ich habe seit ein paar Monaten weniger das Gefühl, dass ich alles besser machen muss als Leute mit weisser Hautfarbe», sagt sie. «Aber ja, dazu musste ich 44 Jahre alt werden.» Ihr ganzes Leben lang habe sie gedacht, dass man von den Schwarzen mehr  erwarte. Dass sie wegen ihrer Hautfarbe netter sein sollte, dankbarer.  «Ich habe mich auch oft gerechtfertigt.» Die Bewegung um «Black Lives  Matter» habe ihr die Kraft gegeben, weniger streng zu sich selber zu  sein.

Für die Zukunft wünscht sie sich vor allem eins: Ruhe. «Es gibt überall alles: faule Schwarze, faule Weisse, Frauen, die Karriere machen, Frauen, die Kinder wollen. Man sollte die Leute mehr in Ruhe lassen auf dem Weg, den sie wählen.»

Und  sie plädiert dafür, dass Rassismus und Sexismus Teil des Lehrplans sein  sollten. «Das würde das Leben von vielen Menschen vereinfachen.»

Und  trotzdem ist Myriam Diarra zuversichtlich. Neulich sei ihr Sohn zu ihr  gekommen: «Mama, ich möchte schwarz sein», habe er ihr gesagt. Diarra  freute sich darüber. «Wenn Kinder weiss sein wollen, leiden sie unter  ihrer Hautfarbe, wenn sie schwarz sein wollen, finden sie es einfach  schön.»

Fork  Burke, Myriam Diarra, Franziska Schutzbach: «I Will Be Different Every  Time. Schwarze Frauen in Biel», Verlag Die Brotsuppe, Biel.
(https://www.bernerzeitung.ch/heute-greift-ihr-niemand-mehr-ungefragt-ins-haar-528233934273)


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
«Ich bin keine Corona-Skeptikerin»
Ein überparteiliches Bündnis hat zu einer Corona-Kundgebung in Schwyz gerufen. Eingeladen wurde unteranderem auch die Winterthurer die SVP-Gemeinderätin Maria Wegelin.
https://www.toponline.ch/news/winterthur/detail/news/ich-bin-keine-corona-skeptikerin-00148572/



Wieso demonstrieren Skeptiker trotz der scharfen Coronaregeln am Samstag in Schwyz, Altdorf, Stans und Sarnen?
Politische Kundgebungen sind trotz Versammlungsverbots legal. Doch sind sie nötig? Die Organisatoren der Coronademo vom Samstag nehmen Stellung.
https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/uri/nachgefragt-wieso-demonstrieren-skeptiker-trotz-der-scharfen-coronaregeln-ld.2083333




derbund.ch 07.01.2021

Keine Maskenpflicht für Redner in Schwyz

Redner und Rednerinnen an einer Kundgebung gegen die Corona-Politik der Behörden vom Samstag in Schwyz müssen keine Maske tragen. Das Verwaltungsgericht Schwyz hat eine Beschwerde des Aktionsbündnis Urkantone gegen die entsprechende Vorgabe der Schwyzer Polizeibehörden gutgeheissen.

Das Urteil schreibe lediglich einen Abstand der Redner zu den Teilnehmenden von drei Metern vor, teilte das Aktionsbündnis am Donnerstag mit. Es wertet den Entscheid als «kleinen Sieg des Rechtsstaates und der Demokratie über die Corona-Willkür», wie es in der Mitteilung heisst.

Eine Maskentragpflicht für Redner schränke die freie Rede und Ausdrucksmöglichkeit wesentlich ein. Es sei deshalb unverständlich, dass die Schwyzer Polizeibehörden auf einer solchen Einschränkung der Meinungsfreiheit und des Versammlungsrechts beharrt hätten.

Die Polizei muss nun die entsprechende Passage in der Verfügung streichen, wie aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts hervorgeht. Das Aktionsbündnis will am Samstag namentlich in Schwyz eine «Kundgebung für eine vernünftige Coronapolitik» durchführen. Es rechnet mit mehreren hundert Teilnehmenden.
(https://www.derbund.ch/polizei-loest-party-im-kanton-schwyz-auf-lebenserwartung-im-maerz-gesunken-465326495905)



luzernerzeitung.ch 07.01.2021

Umstrittener Luzerner Arzt wirbt auf seiner Website für Coronaskeptiker-Demo

Im Zuge einer Meldung über eine angeblich tödliche Corona-Impfung rückte ein Arzt aus Ebikon ins Zentrum. Dieser kritisiert weiter die Schutzmassnahmen scharf. Bei der Luzerner Ärztegesellschaft sieht man`s entspannt.

Sandra Monika Ziegler

 Die Meldung sorgte über die Feiertage kurzzeitig für internationale Schlagzeilen: Ein 91-jähriger Mann aus dem Kanton Luzern sei kurz nach der Corona-Impfung gestorben. Inzwischen ist klar, dass der Tod nicht im Zusammenhang mit der Impfung stand. Gemäss der «Sonntags-Zeitung» gab der Arzt des Verstorbenen die Details zum Fall an das coronakritische Portal Zeitpunkt weiter, welches als Erstes über den vermeintlichen Impftoten berichtete.

Kritik an Masken und Social Distancing

Der Arzt aus Ebikon hatte bereits im Frühling in mehreren offenen Briefen an den Bund die Schutzmassnahmen wie Social Distancing und Maskenpflicht hart kritisiert. Zudem trat er im Sommer an einer Demo in Zürich auf. Das Alters- und Pflegeheim Höchweid in Ebikon, in dem der verstorbene 91-Jährige wohnte, hat inzwischen die Zusammenarbeit mit dem Arzt beendet.

Bei der Ärztegesellschaft des Kantons Luzern sieht man die kritische Haltung des Ebikoner Arztes hingegen pragmatisch: Die diversen Meinungen unter den Medizinern seien ein Spiegel der Meinungen der Gesellschaft, heisst es auf Anfrage. Bei der Luzerner Ärztegesellschaft ist der Ebikoner Arzt übrigens nicht nur Mitglied, sondern hat auch eine offizielle Funktion als Präsident einer Kommission, welche die Ausbildung der medizinischen Praxisassistentinnen überwacht. Dieses Mandat werde er weiterhin ausüben, wie die Ärztegesellschaft betont. Er bleibt somit Ansprechpartner des Schweizer Ärzteverbands (FMH) für Fragen zur Aus- und Weiterbildung rund um die Medizinischen Praxisassistentinnen und -assistenten in Luzern.

Kanton hat den Fall «überprüft»

Ungemach drohen könnte dem Ebikoner Arzt, der seine Praxis als «Oase der Menschlichkeit und des gesunden Menschenverstands» anpreist, hingegen vom Kanton. Gemäss der «Sonntags-Zeitung» hat das kantonale Gesundheitsdepartement bereits im September ein Aufsichtsverfahren gegen den Arzt eingeleitet. Wie es um dieses steht, darüber gibt der Kanton zurzeit keine Auskunft. David Dürr, Leiter der Dienststelle Gesundheit und Sport (Dige), sagt: «Die Dienststelle als zuständige Aufsichtsbehörde äussert sich nicht zu laufenden oder erledigten Verfahren.»

Doch wie kommt es überhaupt zu solch einem Verfahren? Die Dienststelle werde aufgrund eigener Wahrnehmungen oder aufgrund von Hinweisen aus den Medien, von Patienten oder aus der Bevölkerung aktiv. «Im konkreten Fall haben Überprüfungen stattgefunden und werden weitere stattfinden», sagt Dürr. Die Nichteinhaltung von Coronaschutzmassnahmen könne als Verletzung von Berufspflichten disziplinarisch mit einer Busse bis 20’000 Franken geahndet werden, sagt Dürr. Solche Massnahmen seien schon ausgesprochen worden. Zahlen dazu werden aber nicht publiziert.

Der Ebikoner Arzt wirbt derweil auf seiner Website für eine am Samstag in Schwyz angesagte Demo. Ob er selber daran teilnehmen wird, ist unklar, da die Anfragen unserer Zeitung bisher unbeantwortet blieben. Auf der Website seiner Praxis steht dafür mit grossen Lettern: «Unsere Praxis ist geöffnet. Glauben Sie nicht alles, was in den Mainstream-Medien steht.»

Einen Auftritt an der Demo in Schwyz angekündigt hat indessen ein anderer Arzt aus dem Kanton Uri. Über diesen geplanten Auftritt hat sich der Luzerner Unternehmensjurist Loris Fabrizio Mainardi bei der Urner Gesundheitsdirektion beschwert. Die Urner Behörden bestätigten, dass bei öffentlichen Auftritten von Arztpersonen eine gewisse Zurückhaltung angebracht sei – man werde den Fall beobachten. Mainardi kritisiert auch den Ebikoner Arzt für die Publikation des Demoflyers:

    «Das gehört nicht auf eine Homepage eines Arztes, er überschreitet damit klar eine Grenze.»



Coronaleugner verteilen Flugblätter – Gemeinde schaltet Polizei ein
In Benzenschwil wurden Flugblätter verteilt, die eine geplante Infoveranstaltung in Sins zum Thema Corona-Impfung bewerben. Die Spur führt zu Theres Schöni und ihrem Ehemann. Die Gemeinde Sins hat vorsichtshalber die Polizei informiert.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/coronaleugner-verteilen-flugblaetter-gemeinde-schaltet-polizei-ein-140407331



Was dir Impfgegner über diese scheinbar “verschwindenden” Nadeln verschweigen
Verschwörungsideolog:innen, Impfgegner:innen und andere “Querdenker:innen” teilen häufiger Videos und Bilder, die angeblich zeigen sollen, dass die Impfung von Politiker:innen und Klinikangestellten lediglich gefälscht wurden, jene also nicht wirklich geimpft wurden. Diese Behauptungen entsprechen aber nicht der Wahrheit und wieder ein Teil ihrer Lügenmasche. Unter anderem zeigen sie Videos von angeblich “verschwindenen” Nadeln. Wir zeigen euch, was die Betrüger:innen euch verschweigen.
https://www.volksverpetzer.de/corona-faktencheck/nadeln-verschwinden-impfung/


QAnon-Wikinger und rechter Mob: Diese Trump-Anhänger haben das Capitol gestürmt
Unter den Eindringlingen waren viele Anhänger rechtsextremer Gruppen. Trotzdem wird versucht, die gewaltsame Aktion linken Aktivisten anzuhängen.
https://www.derbund.ch/diese-leute-haben-das-capitol-gestuermt-389309822573
-> https://www.derstandard.at/story/2000122976859/trump-supporter-versuchen-antifa-fuer-kapitolsturm-verantwortlich-zu-machen?ref=rss


Empörung auf Twitter: FDP-Politiker vergleicht Sturm aufs Capitol mit Bundesplatz-Besetzung
Der Sturm aufs Capitol erinnert FDP-Nationalrat an den illegalen Klimastreik auf dem Bundesplatz. Jetzt wird ihm vorgeworfen, Extremismus zu verharmlosen.
https://www.20min.ch/story/fdp-politiker-vergleicht-sturm-aufs-capitol-mit-bundesplatz-besetzung-885974509134
-> https://www.blick.ch/politik/nationalrat-vergleicht-trump-mob-mit-klimajugend-fdp-wasserfallen-erntet-shitstorm-id16280667.html


Sturm aufs Capitol: Sogar anderen Rechtsextremen sind die Antifa-false-flag-Fakes peinlich
https://www.volksverpetzer.de/analyse/capitol-antifa-false-flag/


Angriff auf das Kapitol: Sie hatten es angekündigt
Der Sturm auf das US-Kapitol kam nicht überraschend. Die Trump-Anhänger stachelten sich über Wochen in einschlägigen Onlinecommunitys auf. Wieso nahm sie niemand ernst?
https://www.zeit.de/digital/internet/2021-01/angriff-kapitol-washington-demokratie-rechtsextremismus/komplettansicht
-> https://netzpolitik.org/2021/stuermung-des-us-kapitols-internet-hetze-mit-konsequenzen/
-> https://www.neues-deutschland.de/artikel/1146715.sturm-auf-das-kapitol-seid-da-es-wird-wild.html



bernerzeitung.ch 07.01.2021

«Gehe ich halt ins Gefängnis»: Wirtin sieht Illegalität als letzte Chance

In  Telegram-Gruppen wird dazu aufgerufen, die Corona-Massnahmen zu  brechen. Nun rüsten sich tatsächlich Beizer für die Wiedereröffnung.  Eine von ihnen ist Daniela Liebi.

Benjamin Lauener

Wenn  sie nicht verzweifelt wäre, würde sie sich zurückhalten. Doch Daniela  Liebi weiss keinen anderen Ausweg mehr. Sie ist Gastgeberin im  Landgasthof Rothorn in Schwanden und arbeitet im Moment auf Hochtouren  daran, ihr Restaurant wiederzueröffnen – trotz Beizen-Lockdown von  höchster Stelle. Um das Coronavirus unter Kontrolle zu bekommen, müssen  die Restaurants voraussichtlich noch bis Ende Februar geschlossen  bleiben.

Bis  fünf Jahre Gefängnis drohen der Beizerin im Extremfall. Doch Liebi  beteuert, keine andere Wahl zu haben: «Wir müssen aufmachen, wir haben  einfach kein Geld mehr.» Und die Bestrafung? «Dann gehe ich halt ins  Gefängnis. Ich habe innert eines Jahres 300’000 Franken verloren, eine  Busse spielt da auch keine Rolle mehr.»

Angeblich 38 Branchen

Und Liebi ist nicht allein: In mehreren Gruppen auf der Social-Media-Plattform Telegram organisieren auch andere Gewerbler unter dem Slogan «Wir machen auf» in verschiedenen Ländern den Widerstand. Die Schweizer Ausgabe hat Stand Donnerstagnachmittag knapp 6000  Teilnehmer. Gemäss den Zahlen, die von den Organisatoren auf der  zugehörigen Website veröffentlicht wurden, wollen im Kanton Bern  ungefähr 20 Betriebe wieder aufmachen.

Wie  viele davon öffnungswillige Restaurants sind, lässt sich nicht sagen.  Schweizweit sind auf der Website rund 38 Branchen aufgeführt, darunter  Fitnessstudios, Coiffeursalons oder Lebensberatungen. Doch die Zahlen  sind mit einiger Vorsicht zu geniessen. So konnte sich jeder  Internetnutzer in einem Fragebogen als Geschäft eintragen.

Kanton: «Widerstand aus Wirtschaft ist neu»

Der  allgemeine Wiedereröffnungstermin ist am Montag, dem 11. Januar. Für  Daniela Liebi vom Rothorn kommt der aber wahrscheinlich zu früh. Sie  plant derzeit, erst in der darauf folgenden Woche aufzumachen. Im Moment  ist sie daran, genug Belegschaft für den Betrieb zu finden. Was für sie  ganz klar ist: Auch bei einer illegalen Wiedereröffnung würden die  Schutzkonzepte im Rothorn eingehalten. «Ich will mich ja auch selbst  schützen.» Auf Unterstützung von Gastro Suisse können Liebi und ihre  Mitstreiter aber nicht zählen. «Solche Aktionen befürworten wir nicht»,  heisst es vonseiten des Gastronomieverbands. Es sei klar, dass man sich  an die von Bund und Kantonen verordneten Massnahmen halte.

Der  Kanton Bern hat wenig überraschend ebenfalls keine Freude an der  Bürgerinitiative. Gundekar Giebel, Sprecher der Gesundheits-, Sozial-  und Integrationsdirektion, spricht von einer Aktion, mit der niemandem  gedient sei. Natürlich habe man Verständnis für die Betroffenen, «aber  es gelten die Verordnungen, die nun von der Polizei durchgesetzt werden  müssen.» Die Behörden würden das Notwendige unternehmen. Und es wird  nicht die erste Intervention sein: «Es gab im vergangenen Jahr immer  wieder Widerstand, aber dass er aus der Wirtschaft kommt, ist neu», so  Giebel.

Too big to fail?

Daniela  Liebi ist derweil überzeugt, dass die Gastrobranche als Ganze «too big  to fail» sei. Dieser Begriff wurde hinzulande vor allem 2008 geprägt,  als die Schweiz die taumelnde Grossbank UBS mit Staatsgeldern vor dem  Konkurs bewahrte. Bei der Gastronomie müsse jetzt das Gleiche passieren,  so Liebi. Zu viele Existenzen hingen an den Restaurants, als dass man  sie einfach sterben lassen könne.

Die  bisherigen Unterstützungsmassnahmen würden noch viel zu wenig greifen,  um ein Berufsverbot zu rechtfertigen. Erst am Montag stellte der Kanton  Bern jenen Gastrobetrieben Unterstützung in Aussicht, die mindestens 40  Prozent ihres Umsatzes verloren haben. Liebi: «Wenn ein Restaurant im  letzten Jahr 40 Prozent weniger Umsatz gemacht hat, gibt es dieses heute  schon gar nicht mehr.»

Gewerbeverband «nicht erstaunt»

Während  also einige Beizen wieder aufmachen wollen, bereitet der Bund bereits  eine Verschärfung der Massnahmen vor. Entschieden wird am Mittwoch.

Anders  als Gastro Suisse zeigt der Gewerbeverband durchaus Verständnis für die  Begehren der Initianten. In den anderen Branchen geht es darum,  entweder auch wieder ganz zu öffnen oder zumindest auf die regulären  Öffnungszeiten zurückzukommen. Hans-Ulrich Bigler, Präsident des  Gewerbeverbands: «Die Aktion erstaunt mich nicht. Es gibt keinen  Nachweis dafür, dass das Coronavirus in den Läden vermehrt übertragen  wird.»

Das Fitnesscenter, das nie schloss

Seinen  Betrieb gar nie geschlossen hat Jürg Schneeberger. Er betreibt als  Therapeut ein Fitnesscenter in Langnau. «Wir hatten in Absprache mit dem  Kanton und dem BAG stets geöffnet.» Dafür hat Schneeberger zusammen mit  Therapeuten und Ärzten ein Konzept für Therapie-Trainings  ausgearbeitet.

Im  Moment wird das Fitnesscenter von Privatpersonen betrieben, die mit bis  zu zehn Leuten darin trainieren können; also rechtlich gesehen einen  Privatanlass durchführen. «Finanziell rentiert das zwar nicht», so  Schneeberger, «aber immerhin können die Leute so noch etwas für ihre  Therapie und Gesundheit tun.»

Wie  bis anhin könne es aber nicht weitergehen, zu viele Unternehmen würden  unter den Schliessungen leiden. Deswegen spricht sich Schneeberger für  Wiedereröffnungen mit Schutzkonzept aus. Ob die gesamte Bewegung ihre  Ziele erreichen wird, da ist er kritisch. «Die nächste Woche dürfte für  «Wir machen auf» entscheidend sein: Wenn es einen Boom gibt und viele  Leute mitmachen, dann geht es immer weiter, das ist überall so.»
(https://www.bernerzeitung.ch/oberlaender-wirtin-sieht-illegalitaet-als-letzte-chance-916389275829)



tagesanzeiger.ch 07.01.2021

Interview zu Verschwörungstheorien: Attacken auf Impfzentren? «Darauf sollten wir uns vorbereiten»

Forscherin  Katharina Nocun erklärt, wie Fake Facts und Mythen die Bekämpfung der  Pandemie untergraben – und die Demokratie. Und warum Männer anfälliger  darauf sind als Frauen.

Alexandra Kedves

5G, Corona-Lüge, Klima-Lüge, Wahlbetrug in den USA: Was war für Sie 2020 der schlimmste Verschwörungsmythos?

Da  bin ich vorsichtig: Manches, was von aussen absolut lachhaft und  harmlos wirkt, kann in Familien schreckliches Leid verursachen. Gerade  im Gesundheitsbereich. Menschen können an behandelbaren Krankheiten  sterben, wenn sie wegen ihres Glaubens an eine grosse  Wissenschaftsverschwörung nicht zum Arzt gehen. Und wie will man in den  kommenden Monaten eine Herdenimmunität aufbauen, wenn, im  Worst-Case-Szenario, die Skepsis in der Bevölkerung aufgrund von Mythen  zum Thema Impfungen zunimmt?

Sind Befürchtungen übertrieben, dass nun Impfzentren und Impfstoffhersteller attackiert werden?

Leider  nein. Ich hielte es für vernünftig, dass sich die Sicherheitsbehörden  auf solche Szenarien vorbereiten. Wir beobachten etwa in verschiedenen  Telegram-Gruppen eine Radikalisierung. Einige rufen zu Gewalt auf –  gegen Virologen, aber auch gegen Politikerinnen und Journalisten. Gewalt  aus dem Verschwörungsmilieu ist ein reales Risiko. In der  rechtsextremen Szene wirken Verschwörungsnarrative als  Radikalisierungsbeschleuniger: Fast alle Attentäter der letzten Jahre  haben an irgendeine Form von Verschwörungserzählung geglaubt. Solche  Geschichten handeln oft von einem vermeintlichen grossen Unrecht, das es  aufzuhalten gilt; und Gewalt wird als Notwehr verklärt.

Hat der Hang zum Verschwörungsglauben 2020 zugenommen?

Das  Phänomen gab es schon immer, zurzeit ist es einfach sehr sichtbar, auch  aufgrund der Demonstrationen, wo sehr unterschiedliche Gruppen  zusammenkommen, die jetzt durch gemeinsame Feindbilder geeint sind. Rund  ein Drittel der deutschen Bevölkerung war schon vor Corona offen für  einen Verschwörungsglauben. Das ist nichts, was nur «den anderen»  passiert, politisch Andersdenkenden oder Ungebildeten. Sondern wir alle  tragen die Veranlagung dazu in uns; je nach Situation ist jeder bis zu  einem gewissen Grad anfällig, solche Erklärungsmuster attraktiv zu  finden. Verschwörungserzählungen erfüllen oft auch psychologische  Bedürfnisse.

Die  eigene Neigung zur Verschwörungsmentalität kann man mithilfe des  Selbsttests in Ihrem Buch abklopfen. Welche Bedürfnisse bedienen  Verschwörungserzählungen denn?

Niemand  will einen Kontrollverlust erleiden, sich ausgeliefert oder  orientierungslos fühlen. Lieber gehört man zum Kreis der Wissenden, die  den vermeintlichen Plan kennen, der alles steuern soll. Laut Studien  sind Männer etwas anfälliger für Verschwörungsglauben als Frauen. Vor  allem bei Ereignissen, die eine ganze Nation oder – wie jetzt – die  ganze Welt erschüttern, wirken solche Narrative besonders anziehend auf  einige Menschen. Auch persönliche Krisen können empfänglich dafür  machen.

Wie rutscht man da hinein?

Oft  steigen Leute mit einzelnen Erzählungen ein, die weniger radikal  wirken. Gerade in einem Umfeld aus Gleichgesinnten können sie sich dann  schleichend weiter radikalisieren. Sie entwickeln zunehmend ein  geschlossenes Weltbild und wittern im schlimmsten Fall am Ende überall  die grosse Verschwörung. Das geht nicht selten auch mit massiven Ängsten  einher.

Sassen auch Sie schon falschen Erklärungen auf oder fanden diese anfangs attraktiv?

Spekulieren  tun wir alle. Ein wichtiger Unterschied zwischen Spekulation und  Verschwörungsglaube ist, ob es sich um ein geschlossenes Weltbild  handelt. Der landläufige Begriff «Verschwörungstheorie» suggeriert  Stringenz und wissenschaftliche Überprüfbarkeit – die diese Erzählungen  aber oft gerade vermissen lassen. Im Extremfall wird jeder Gegenbeweis  zum Beweis einer angeblichen Verschwörung verdreht. Es geht nicht mehr  um den Austausch von Argumenten oder um Belege, sondern wird zur  Glaubensfrage. Verschwörungserzählungen operieren zudem meist mit stark  überzeichneten Feindbildern.

Ein  Problem ist, dass das Establishment in Politik und Wirtschaft  tatsächlich immer wieder versucht hat, missliebige Wahrheiten unter den  Teppich zu kehren.

Natürlich  gab es in der Geschichte immer wieder auch wahre Verschwörungen, etwa  illegale Kartellabsprachen oder Korruptionsskandale in der Politik.  Diese Feststellung lässt aber nicht den Umkehrschluss zu, dass jegliche  behauptete Verschwörung auch wirklich wahr sein muss. Am Ende geht es  immer um die Frage: Gibt es Belege?

Was  kann man tun, wenn Menschen im eigenen Umfeld sich nicht für die Belege  interessieren und zunehmend an Verschwörungserzählungen glauben?

Sektenberatungsstellen  und Experten für den Ausstieg aus der rechtsextremen Szene betonen  immer wieder: Wichtig ist, möglichst frühzeitig zu reagieren. Wenn  jemand bereits so weit radikalisiert ist, dass er glaubt, jeder  öffentliche Faktencheck und jede wissenschaftliche Studie sei Teil einer  Verschwörung, kann man nur noch schwer durchdringen. Die Letzten, die  in so einer Situation überhaupt noch auf den Menschen einwirken können,  sind oft Freunde und Verwandte.

Und was, wenn man im Gespräch gegen eine Wand läuft?

Das  höre ich oft. Man denkt dann schnell, man sei gescheitert. Tatsächlich  sind solche Erfahrungen aber total normal. Ein umfassender  Verschwörungsglaube ist ja meist nicht über Nacht gereift; oft  radikalisieren sich Menschen über Monate oder gar Jahre. Zu hoffen, man  könne in einem zweistündigen Gespräch das Ruder herumreissen, ist naiv.  Man muss sich darauf einstellen, dass das sehr lange dauern kann.

Wie kann so ein Weg aussehen?

Glaubt  jemand noch nicht an eine umfassende Verschwörung, die alles  durchzieht, können Faktenchecks noch viel bringen. Bei Debatten sollte  man stets sachlich bleiben, den anderen niemals niedermachen. Bitte auch  nicht mit 100 Fakten auf einmal auftrumpfen! Sonst fühlt sich der  andere schnell überfordert und macht die Schotten dicht. Besser ist:  sich für jedes Gespräch ein oder zwei Argumente vornehmen. Und statt  einzelne Behauptungen anzugreifen, lieber die Grundannahmen des  Weltbildes infrage stellen: «Wenn du von ‹den Medien› sprichst, wen  meinst du da eigentlich? Die linke Genossenschaftszeitung, das  Lokalblatt, den konservativen Medienkonzern?» Es geht darum  klarzumachen: Die Welt ist nicht schwarzweiss. Es gibt nicht nur «die  Guten» und «die Verschwörer». So kann man allmählich Löcher ins  geschlossene Weltbild schlagen.

Funktioniert das?

Wird  durch solche Gespräche deutlich, dass die Welt oft eher grau oder bunt  ist als schwarzweiss, kann das langfristig helfen. Und auch die  emotionale Ebene sollte nicht vergessen werden.

Die emotionale Ebene?

Manchmal  sind private Probleme der Auslöser dafür, dass jemand Halt in solchen  Geschichten sucht. Zugespitzt formuliert: Wenn einer Reichsbürger ist  und glaubt, in zwei Wochen ist Bürgerkrieg, muss auch der Kredit nicht  mehr abbezahlt werden. Viele Aussteiger, gerade aus sektenartigen  Verschwörungsmilieus, unterstreichen, wie dankbar sie sind, dass Freunde  und Verwandte sie nicht aufgaben: dass sie dadurch eine Art  «Rettungsleine nach draussen» hatten. So ein Kontakt kann manchmal der  letzte Strohhalm sein. Gerade, wenn Menschen sich nach und nach immer  mehr abkapseln.

Weshalb den Leuten nicht ihre Klima- oder Covid-Lüge lassen, wenn es sie tröstet?

Tut  man solche Narrative als harmlose Spinnerei ab, übersieht man, wie  gefährlich sie für den Verschwörungsgläubigen selbst und andere werden  können. Wer glaubt, Corona existiere nicht, schützt weder sich noch  andere. Und wenn Menschen dann medizinischen Rat bei Wunderheilern  suchen, kann das tödlich enden. Bei rassistischen und antisemitischen  Inhalten sollte man klar die Rote Karte zeigen: Solche Geschichten  schüren Hass gegen Gruppen und Menschen. Das kann ganz üble Folgen  haben.

Laut  einer renommierten Studie neigen 21 Prozent der deutschen Bevölkerung  «ganz deutlich zu rechtspopulistischen Einstellungen» – obwohl sie sich  teils gar nicht so einschätzen. Manche stilisieren sich in ihrer  Corona-Leugnung auch als Helden des Volkes.

Wenn  sich Maskengegner, wie geschehen, mit der Widerstandskämpferin Sophie  Scholl vergleichen, muss man widersprechen: Das verharmlost den  NS-Terror. Bei Rassismus, Antisemitismus und Gewaltaufrufen gilt: sofort  eine rote Linie ziehen! Selbst wenn es dann ungemütlich wird im  Familienchat. Schweigen wird leicht als Zustimmung oder zumindest  Akzeptanz gewertet.

Was hat Verschwörungsglaube mit sogenannter Alternativmedizin zu tun?

Esoterische  Glaubensbilder werden häufig zu einer Art Einstiegsdroge. Ich rede hier  von Methoden wie Handauflegen, also von Produkten und Therapieansätzen,  die nicht evidenzbasiert sind. Das ist ein Millionenmarkt; und zum  Businessmodell einiger Anbieter gehört eben auch das Verbreiten von  Verschwörungsmythen über die Medizin. Man behauptet, eine verborgene  Wahrheit zu kennen, die unterdrückt werde. So soll erklärt werden, wieso  esoterische Verfahren an wissenschaftlichen Wirksamkeitsprüfungen  scheitern. Es gab schon immer Überschneidungen zwischen Teilen des  Esoterikmilieus und der rechtsextremen Szene.

Hier gibt es seit langem Verschränkungen?

Eine  echte Abgrenzung nach rechts fand an vielen Stellen nicht statt. Mich  wundert daher nicht, dass bei Corona-Demos gleichzeitig Leute vom  rechten Rand und Esoterikanhänger mitlaufen.

Facebook, Twitter und Youtube gehen inzwischen schärfer gegen medizinische Falschinformationen und Volksverhetzung vor.

Im  Rahmen der Meinungsfreiheit darf man natürlich auch eine Menge Unsinn  behaupten. Das gehört dazu. Wenn aber Menschen konkret bedroht werden  oder Volksverhetzung betrieben wird, finde ich eine Sperrung auf den  digitalen Plattformen nachvollziehbar.

Nützt sie?

Verschwörungsideologen  flüchten zwar oft auf andere Plattformen, wenn sie gesperrt werden – im  deutschsprachigen Raum meist zu Telegram. Aber ihre Reichweite ist  dadurch dennoch enorm eingeschränkt. Deplatforming tut den Akteuren  schon sehr weh, denn auf den Ausweichplattformen erreichen sie noch  nicht überzeugte User nicht mehr so leicht. In den letzten Jahren wurden  einige bekannte Rechtsextremisten von grossen Plattformen verbannt. Im  Fall von QAnon wurde allerdings erst sehr spät reagiert. Zugehörige  Accounts konnten über Jahre unbehelligt wachsen und haben auch konkrete  Aufrufe zu Gewalt verbreitet. Trotz Deplatforming-Ankündigungen grosser  Plattformen ist QAnon in den USA weiterhin sehr präsent.

Fürchten Sie bei Sperrungen nicht um die Meinungsfreiheit?

Wir  müssen über die angemessenen Kriterien für Sperrung diskutieren und  auch beachten, was eine nicht durchdachte Regulierung in anderen Ländern  bedeuten würde. Aber beleidigende und gewaltverherrlichende Inhalte  beschneiden eben auch die Freiheit derer, die dadurch in Gefahr gebracht  oder eingeschüchtert werden. Zudem sind Volksverhetzung, Verleumdung  und Aufrufe zur Gewalt auch in der Offline-Welt strafbar.

Sie als Netzaktivistin sind für mehr Kontrolle und Regulierung?

Wie  gesagt: Man darf ja einen ganzen Haufen Quatsch erzählen. Das müssen  wir als Gesellschaft aushalten, wenn es nicht gegen Recht verstösst. Und  in Belarus oder vielen arabischen Ländern ist Telegram wichtig für die  Vernetzung von Aktivisten und von demokratischer Opposition. Ich halte  auch nichts von Debatten über die Aufweichung von Verschlüsselung. Die  meiste Hetze im Verschwörungsmilieu findet ohnehin auf offen  zugänglichen Kanälen statt. Was wir wirklich brauchen, ist eine  gesellschaftliche Reflexion über Empfehlungsalgorithmen und über die  Digitalisierung an sich.

Was heisst das?

Wir  sollten fragen: Wer macht die Regeln? Und welche Nebenwirkungen haben  Unternehmensentscheidungen? Es geht aber nicht nur um Regulierung,  sondern auch um Zivilcourage. Hetze muss man entgegentreten, am  Familientisch wie im Netz. Jeder Nutzer kann zu Gewalt anstachelnde  Videos bei den sozialen Netzwerken melden. Etwa, wenn Privatadressen von  Menschen gepostet werden mit dem Aufruf, ihnen etwas anzutun: Das nennt  sich Doxxing und ist in der rechtsextremen Szene verbreitet. So eine  Meldung ist eine Sache von einer Minute. Und tun es viele, greift es  auch.

Welche Gefahr lauert in den Empfehlungsalgorithmen, die uns beispielsweise auf Youtube ein Video nach dem anderen vorschlagen?

Der  Mensch tickt so, dass er länger dranbleibt, wenn etwa Videoempfehlungen  immer ein wenig extremer und aufregender sind. Bei Clips vom Waldlauf  bis zum Ultramarathon ist das unproblematisch, bei politischen Themen  kann so ein Prinzip aber heftige Folgen haben. Gerade bei  werbefinanzierten Plattformen wird eine Architektur, die darauf aus ist,  uns möglichst lange vor dem Bildschirm zu halten, schnell zum Problem.  Und wer sagt denn, dass die Maximierung des Unternehmensprofits das  bestmögliche Prinzip ist, nach dem eine Plattform optimiert werden  sollte?

Wie lautet Ihr Rat?

Wenn  man nicht ausschliessen kann, dass Kanäle von Rechtsextremisten und  Verschwörungsideologen durch solche Strukturen massiv befeuert werden,  sollte man überlegen, ob die toxischen Wirkungen des  Vorschlagsalgorithmus nicht zu ernst sind – und ihn abschaffen.

Haben Sie selbst schon Gewalt erlebt?

Sowohl  meine Mitautorin Pia Lamberty wie ich selbst sind aus dem QAnon- und  Reichsbürger-Umfeld massiv bedroht worden. Ich erhalte seit vier Jahren  Morddrohungen aus dem rechtsextremen Umfeld. Auch  Vergewaltigungsandrohungen sind bei Frauen, die sich mit dem Thema  befassen, nicht ungewöhnlich. So bitter es klingt: Ich habe mich daran  gewöhnt.

Haben Sie Angst beim Einkaufen?

Nein,  da vertraue ich auf die Zivilcourage meiner Mitmenschen. Angst habe ich  aber davor, dass Wissenschaftlerinnen oder Journalisten sich  einschüchtern lassen und sich ihrerseits aus Angst vor Drohungen aus  diesem Milieu nicht mehr öffentlich äussern. Gerade inmitten einer  Pandemie, wo wir dringend wissenschaftliche Einordnung brauchen, um gute  Entscheidungen treffen zu können, wäre das brandgefährlich. Wir müssen  dieses Phänomen ernst nehmen. Denn der Druck ist immens, das  Gewaltpotenzial real.

Katharina  Nocun, Pia Lamberty: Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser  Denken bestimmen. Quadriga, Köln 2020. 350 S., ca. 33 Fr.



Sie schlägt Löcher in geschlossene Weltbilder

Bei den öffentlichen Veranstaltungen zu Katharina Nocuns neuem Buch «Fake  Facts» schaute sicherheitshalber die Polizei vorbei. Oft  wurde die 1986 in Polen geborene, in Deutschland aufgewachsene, für ihr  zivilgesellschaftliches Engagement geehrte Aktivistin  und Autorin schon mit dem Tod bedroht; ihre Adresse ist geheim.  Katharina Nocun studierte Politik- und Wirtschaftswissenschaften, war  2013 zeitweilig die  politische Geschäftsführerin der Piratenpartei Deutschland und ist als  Bürgerrechtlerin, Bloggerin Kattascha und Publizistin aktiv. Sie erzwang  zum Beispiel ein neues Bundesdatenschutzgesetz. (ked)



Die grosse Corona-Verschwörung

Das  Coronavirus ist wahlweise eine chinesische Geheimwaffe, ein  stinknormales Grippevirus oder aber: Es gibt es gar nicht. Also sind  Test und Impfung dazu bloss eine Geldmaschine der Pharmaindustrie. Und  eigentlich geht es bei dieser Pandemiegeschichte sowieso nur um die  Kontrolle der Massen durch die Eliten.
Solche  und ähnliche Verschwörungserzählungen sind 2020 im Alltag angekommen  und nehmen dort erstaunlich viel Raum ein: auf den Plätzen unserer  Städte, wo manche demonstrieren, als hinge ihr Überleben davon ab; auf  den Plattformen unserer Medien (der sozialen und der anderen). Durch die  vielen Multiplikationsmöglichkeiten und die manipulativ bespielte  Erregungsdynamik im Netz entwickelten solche Irrsinnskonstruktionen, die  man in alten Zeiten «Verschwörungstheorie» nannte, einen immensen  Schub. In den USA gefährden sie mittlerweile nicht nur, wie bei uns, die  Gesundheit der Bürger, sondern das gesamte demokratische System. Kein  Wunder, dass ihre Genese, Bewirtschaftung und Überwindung eine Vielzahl  an Forscherinnen und Forschern beschäftigt. (ked)



Mein Corona-Jahr: «Wir können das mit der Solidarität»

Auf was freuen Sie sich, wenn die Pandemie vorbei ist?

Ich  freue mich vor allem darauf, nicht mehr jeden Tag in der Zeitung zu  lesen, wie viele Menschen gestorben sind, deren Tod vermeidbar gewesen  wäre. Mich ärgert es, wenn Leute sagen: «Die meisten waren doch alt und  hatten Vorerkrankungen.» Ich finde es menschenverachtend, so über  Menschen zu sprechen, die noch viele gute Jahre vor sich gehabt hätten.

Was haben Sie im vergangenen Jahr besonders genossen?

Es  fällt schwer, irgendetwas wirklich aus ganzem Herzen zu geniessen, wenn  man nicht ausblenden kann, wie viele Menschen jeden Tag am Virus  sterben. Ich weiss ehrlich gesagt gar nicht mehr, wie es sich anfühlt  ohne diese Last. Was zumindest etwas half, den Kopf klar zu kriegen,  waren die vielen Spaziergänge in der Natur. Was ich definitiv nicht  vergessen werde: Oft muss man gar nicht weit fahren, um einen Ort zu  finden, an dem man zur Ruhe kommen kann.

Was haben Sie 2020 über sich gelernt?

Viele  Filme über Katastrophen zeichnen Gesellschaften, in denen sich jeder  selbst am nächsten ist. Von dieser Ellbogenmentalität habe ich  insbesondere in den ersten Monaten nichts gespürt. Im Gegenteil: In  meinem Viertel etwa hängten Jugendliche Zettel an Türen mit dem Angebot,  für ältere Menschen einkaufen zu gehen. Ich habe gelernt, dass wir das  mit der Solidarität durchaus hinbekommen können – wenn wir nur wollen.
(https://www.tagesanzeiger.ch/attacken-auf-impfzentren-darauf-sollten-wir-uns-vorbereiten-160595793669)


+++SCHWEIZ 2
Kasachstan-Affäre: Der berühmteste Kasache der Schweiz erhält Asyl
Wiktor Chrapunow geriet ins Visier von FDP-Nationalrätin Christa Markwalder und von Ex-Botschafter Thomas Borer. Jetzt, nach jahrelangem Verfahren, wird der Ex-Politiker aus Kasachstan als politischer Flüchtling anerkannt.
https://www.derbund.ch/der-beruehmteste-kasache-der-schweiz-erhaelt-asyl-543937433377
-> Rendez-vous: https://www.srf.ch/play/radio/rendez-vous/audio/kasachstan-affaere-schweiz-gewaehrt-ex-politiker-chrapunow-asyl?id=886c8554-d0d2-4610-bcd1-1f66d6b0e955
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/oligarch-und-oppositioneller-kasachstan-affaere-schweiz-gewaehrt-ex-politiker-chrapunow-asyl
-> https://www.watson.ch/schweiz/justiz/754705989-wiktor-chrapunow-und-seine-ex-frau-erhalten-in-der-schweiz-asyl
-> https://www.luzernerzeitung.ch/news-service/inland-schweiz/kasachstan-affaere-prominenter-kasachischer-regimekritiker-erhaelt-asyl-in-schweiz-ld.2083323
-> Medienmitteilung Bundesverwaltungsgericht: https://www.bvger.ch/bvger/de/home/medien/medienmitteilungen-2021/asylfurprominentespaarauskasachstan.html



nzz.ch 07.01.2021

Kasachstan-Affäre: Das Oligarchenpaar Chrapunow erhält in der Schweiz politisches Asyl

Nach zwei ablehnenden Entscheiden gewährt die Schweiz Viktor und Leila Chrapunow doch noch Asyl. Dem schillernden Ehepaar drohe in seiner Heimat ein unfaires Strafverfahren, argumentieren die Richter.

Kathrin Alder

Er gehört seit Jahren zu den meistgesuchten Männern Kasachstans. Nichts haben die kasachischen Behörden unversucht gelassen, um dem Oligarchen und Regime-Kritiker Viktor Chrapunow, der sich seit 2007 in der Schweiz aufhält, den Prozess zu machen. Sie versuchten es erst über den offiziellen Weg, doch sowohl sämtliche Rechtshilfeersuchen als auch das Auslieferungsgesuch lehnten die eidgenössischen Behörden ab.

Also griff Kasachstan zu anderen Methoden. Der zentralasiatische Staat startete eine heftige Medien- und Lobbyingkampagne und versuchte, über Bundespolitiker Druck auf die Schweizer Justizbehörden zu machen. Die Aktion wurde 2015 durch Recherchen dieser Zeitung aufgedeckt und ging als «Kasachstan-Affäre» in die Schweizer Politgeschichte ein.

Doch das kasachische Regime konnte auch noch unzimperlicher sein: Es führte Cyberangriffe auf die heute geschiedenen Eheleute aus und setzte gar eigene Agenten auf die beiden an. Im Oktober 2018 verurteilte Kasachstan Viktor und Leila Chrapunow in Abwesenheit zu 17 bzw. 14 Jahren Gefängnis und beschlagnahmte ihre Vermögenswerte in Kasachstan.

Politische Flüchtlinge

Nun erhalten die Chrapunows Asyl in der Schweiz. Dies geht aus einem am Donnerstag publizierten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hervor. Die beiden hatten schon zweimal – 2011 und 2013 – Asylgesuche gestellt, die aber abgelehnt wurden. Die beiden erfüllten den gesetzlichen Flüchtlingsbegriff nicht, hielten die Behörden damals fest. Den zweiten Entscheid des Staatssekretariats für Migration (SEM) zog das kasachische Paar weiter an das Bundesverwaltungsgericht, das den beiden nun recht gibt. Anwaltlich vertreten wurden sie dabei vom Genfer FDP-Nationalrat Christian Lüscher.

Über der Asylthematik schwebte auch die Frage: Sind Viktor und Leila Chrapunow politisch Verfolgte und Oppositionelle, die sich gegen das Regime rund um den ehemaligen kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew aufgelehnt haben? (Chrapunow kritisierte Nasarbajew mehrfach explizit und schrieb das Buch «Nasarbajew – unser Freund, der Diktator»). Oder sind sie Kriminelle, die sich unrechtmässig bereichert haben?

Das Bundesverwaltungsgericht entschied sich für Ersteres – auch wenn es festhielt, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Ehepaar Chrapunow von Korruption in der Heimat Kasachstan profitiert habe.

Die Chrapunows standen einst in der Gunst von Nasarbajew. Viktor Chrapunow war zwei Jahre lang Energieminister von Kasachstan, danach Bürgermeister der Stadt Almaty. Schliesslich überwarf er sich mit dem Regime und floh 2007 mit seiner Frau nach Genf. Diese Flucht ins Ausland und die nachfolgende «oppositionelle Tätigkeit» wertet das Bundesverwaltungsgericht als einen Akt der Illoyalität gegenüber dem ehemaligen Präsidenten Nasarbajew, der sie teuer zu stehen kommen könnte. Nasarbajew sei zwar 2019 von seinem Amt zurückgetreten, übe aber nach wie vor grossen Einfluss auf das Justizsystem des Landes aus. Würden die Chrapunows in ihre Heimat zurückkehren, riskierten sie, einem unfairen Justizverfahren ausgesetzt zu werden, argumentierten die Richterinnen und Richter in St. Gallen. Das Risiko eines politischen Verfahrens sei durchaus asylrelevant, die Chrapunows erfüllten damit den in Artikel 3 des Asylgesetzes verankerten Flüchtlingsbegriff.

Schwere Vorwürfe aus Kasachstan

Kasachstan wiederum wirft Chrapunow und seiner Ex-Frau vor, hohe Millionenbeträge unterschlagen zu haben. Auch in der Schweiz wurde gegen die beiden ermittelt, hauptsächlich wegen Geldwäscherei. Doch wie der «Tages-Anzeiger» berichtete, stellte die Genfer Staatsanwaltschaft das Verfahren im November 2019 nach sieben Jahren Ermittlungen ergebnislos ein. Aus der Einstellungsverfügung ergingen Details zu den konkreten Vorwürfen Kasachstans. Das Land lastete den Chrapunows unrechtmässige Immobiliengeschäfte an. Viktor Chrapunow habe als Bürgermeister von Almaty seiner Ehefrau Leila städtische Grundstücke zu tiefen Summen verkauft, die sie anschliessend zu einem vielfach höheren Preis weiterverkauft habe. So sei das Ehepaar zu Dutzenden von Millionen Franken gekommen, die es später in die Schweiz geschafft und hier gewaschen habe.

Doch für die Genfer Staatsanwaltschaft war zum einen nicht erwiesen, dass es die kriminellen Vortaten in Kasachstan überhaupt gegeben hat, weshalb auch der Tatbestand der Geldwäscherei nicht erfüllt war. Zum anderen kam sie zum Schluss, dass ein Teil der beanstandeten Immobiliengeschäfte bereits verjährt war. Die Schweiz war allerdings nicht das einzige Land, das die Chrapunows ins Visier nahm. Weltweit, insbesondere in den USA und in England, wurden zahlreiche Verfahren auf Rückzahlung von unterschlagenen Geldern eröffnet. Dem Sohn des Ehepaars, der bereits 1998 in die Schweiz gekommen war und die Tochter eines notorischen Nasarbajew-Gegners geheiratet hatte, verweigerte das Bundesverwaltungsgericht im August 2020 die Einbürgerung – mit der Begründung, eine Einbürgerung könne nicht erteilt werden, wenn in der Schweiz oder im Ausland Rechtsverfahren gegen die gesuchstellende Person hängig seien.

Der nun ergangene Asylentscheid des Bundesverwaltungsgerichts ist rechtskräftig. Er kann nicht an das Bundesgericht weitergezogen werden.

Urteile D-7682/2016 und D-7685/2016 vom 29. 12. 20 des Bundesverwaltungsgerichts.
(https://www.nzz.ch/schweiz/kasachisches-ex-ehepaar-chrapunow-erhaelt-in-der-schweiz-asyl-ld.1595230)