Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel
+++APPENZELL AUSSERRHODEN
Ein sicherer Turm in den Wirren der Flucht
Wenn Appenzell Ausserrhoden vom Bund unbegleitete minderjährige
Asylsuchende zugewiesen werden, richten diese sich erst einmal bei
Annette Wirth und Silvio Staub häuslich ein. Im Türmlihaus in Trogen
bereiten sie den Jugendlichen ein Stück des Wegs in eine friedlichere
Normalität.
https://www.saiten.ch/ein-sicherer-turm-in-den-wirren-der-flucht/
+++BASEL
Lieber Sans-Papiers als Nothilfe: so geht es den abgewiesenen Asylsuchenden in den beiden Basel
Mehr als zwei Drittel der abgewiesenen Asylsuchenden in Basel und mehr
als die Hälfte in Baselland leben lieber als Sans-Papiers von
Schwarzarbeit oder reisen in ein anderes Land aus, als Nothilfe zu
beziehen.
https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/lieber-sans-papiers-als-nothilfe-so-geht-es-den-abgewiesenen-asylsuchenden-in-den-beiden-basel-139836841
+++ZÜRICH
Zürcher Sicherheitsdirektion entlastet: Strafanzeige gegen Mario Fehr bleibt folgenlos
Im Frühling warfen Juristen mehreren Personen aus der
Sicherheitsdirektion vor, Vorgaben des BAG im Asylbereich nicht
eingehalten zu haben. Anderer Meinung ist die Staatsanwaltschaft.
https://www.tagesanzeiger.ch/strafanzeige-gegen-mario-fehr-bleibt-folgenlos-877157267834
-> https://al-zh.ch/artikel/news/strafanzeige-gegen-mario-fehr-geschaeftsleitung-des-kantonsrates-verhindert-vertiefte-abklaerung/
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/uni-zuerich-viele-studentinnen-wenig-professorinnen?id=11873727
-> https://www.zsz.ch/staatsanwaltschaft-entlastet-regierungsrat-mario-fehr-448642533508
-> https://www.landbote.ch/staatsanwaltschaft-entlastet-regierungsrat-mario-fehr-448642533508
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/strafanzeige-gegen-mario-fehr-bleibt-ohne-folgen-00144832/
—
nzz.ch 11.11.2020
Strafanzeige gegen Zürcher Regierungsrat Mario Fehr bleibt ohne Folgen
Der Sicherheitsdirektor Mario Fehr und fünf weitere Personen aus dem
Asylwesen sollen gemäss einer Strafanzeige in Notunterkünften zu wenig
für den Corona-Schutz unternommen haben. Die Staatsanwaltschaft sieht
dies anders.
Alois Feusi
Es sind happige Vorwürfe, die in der Strafanzeige des Verbands
«Demokratische Juristinnen und Juristen der Schweiz», des Vereins
«Solidarité sans frontières» und einer Gruppe von Bewohnern von
Notunterkünften vom 26. Mai bei der Zürcher Oberstaatsanwaltschaft
aufgelistet sind. Der Sicherheitsdirektor Mario Fehr (sp.), die Chefin
des kantonalen Sozialamts Andrea Lübberstedt, die Asylkoordinatorin
Esther Pfulg sowie der CEO und zwei Mitglieder der Geschäftsleitung von
ORS, der Betreiberin von fünf Rückkehrzentren, sollen in den kantonalen
Notunterkünften zu wenig für den Schutz der abgewiesenen Asylbewerber
vor Corona unternommen haben.
Gemäss der 70-seitigen Strafanzeige sollen sich die sechs Beschuldigten
nicht an die Vorgaben des Bundesamts für Gesundheit (BAG) gehalten
haben. Damit hätten sie gegen Artikel 127 des Strafgesetzbuchs
verstossen. Dieser sieht vor, dass, «wer einen Hilflosen, der unter
seiner Obhut steht oder für den er zu sorgen hat, einer Gefahr für das
Leben oder einer schweren unmittelbaren Gefahr für die Gesundheit
aussetzt oder in einer solchen Gefahr im Stiche lässt», mit bis zu fünf
Jahren Freiheitsstrafe oder einer Geldstrafe belegt werden kann.
«Missbrauch des Strafrechts»
In einer Medienmitteilung vom 27. Mai sprach der Sicherheitsdirektor
Fehr von einem «Missbrauch des Strafrechts für politische Zwecke» und
bezeichnete die Vorwürfe als haltlos. Sie dienten lediglich dazu, eine
politische Auseinandersetzung zu führen. Der Schutz der Gesundheit aller
Personen im Asylbereich habe für den Kanton Zürich hohe Priorität. «Das
galt und gilt auch während der Corona-Pandemie. Der Kanton hat für die
gesamte Asyl-Infrastruktur rechtzeitig Vorsorgemassnahmen getroffen.»
An einer Pressekonferenz am 11. Juni bezeichnete Fehr dann eine Reihe
von Medienberichten, in denen seit Beginn der Corona-Krise wiederholt
auf missliche Umstände in den Rückkehrzentren hingewiesen worden war,
als «Fake-News». Die Behörden hätten rechtzeitig Schutzmassnahmen gegen
die Ausbreitung von Covid-19 eingeleitet und sogar eine Corona-Klinik
eigens für Asylbewerber eingerichtet. Er lasse sich durch die
Strafanzeige nicht einschüchtern und werde die bisherige Asylpolitik
unverändert fortsetzen. Diese sei nicht besonders streng, sondern
vielmehr rechtsstaatlich. Wer nicht bleiben könne, müsse eben gehen.
Regierung stellt sich hinter Fehr
Den Vorwurf, dass die Berichte aus den Asylzentren «Fake-News» seien,
wollten die Asylorganisationen nicht hinnehmen. Sie drohten mit
aufsichtsrechtlichen Beschwerden, falls Fehr solche «tatsachenwidrigen
Behauptungen» künftig nicht unterlasse. Die Gesamtregierung stellte sich
allerdings hinter den Sicherheitsdirektor; dieser trat bei der
betreffenden Beratung in den Ausstand. Mario Fehr habe mit seinen
politischen Beurteilungen weder gegen das Recht verstossen noch
öffentliche Interessen missachtet, befand die Regierung. Es gebe keinen
Grund, ihn mit einer aufsichtsrechtlichen Massnahme zu bestrafen.
Auch die Staatsanwaltschaft II für besondere Untersuchungen sieht keinen
Anlass für eine Bestrafung des Sicherheitsdirektors und seiner
Mitbeschuldigten. In ihrer «Überweisung einer Anzeige gegen
Magistratspersonen» vom 28. September, die der Redaktion vorliegt, hält
sie fest, dass die Problematik um die Pandemie seit dem Auftreten des
Coronavirus Ende Februar «ein fliessender dynamischer Prozess war und
nach wie vor ist». Die Verantwortlichen der Sicherheitsdirektion und der
Firma ORS hätten die diesbezüglichen Schutzmassnahmen während des
inkriminierten Zeitraums stetig umgesetzt und angepasst.
Die Staatsanwaltschaft fasst zusammen, dass es keine Hinweise gebe,
wonach «die Verantwortlichen der Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich
– zumindest eventualvorsätzlich – die Bewohner der Rückkehrzentren in
Gefahr gebracht und an Körper und Gesundheit geschädigt haben, indem sie
BAG-Schutzmassnahmen nicht umgesetzt haben». Das Dokument ging via
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich an die Geschäftsleitung des
Kantonsrats. Diese hat beschlossen, dass auf die Klage nicht einzutreten
sei.
(https://www.nzz.ch/zuerich/zu-wenig-corona-schutz-strafanzeige-gegen-mario-fehr-ohne-folgen-ld.1586334)
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Zürcher Stadtrat: Ja zur Züri City Card!
Nach zweijähriger Beratung zur Züri City Card hat der Stadtrat
entschieden, die Lebensbedingungen von Sans-Papiers mit einem
städtischen Ausweis zu verbessern. Die Züri City Card kommt!
https://www.zuericitycard.ch/stadtrat
-> Medienmitteilung Stadt Zürich: https://www.stadt-zuerich.ch/prd/de/index/ueber_das_departement/medien/medienmitteilungen/2020/november/201111a.html
-> https://www.nau.ch/ort/zurich/schritte-zur-verbesserung-der-lebenssituation-von-sans-papiers-65818445
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/zuercher-stadtrat-will-zueri-city-card-einfuehren-00144835/
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/stadtzuercher-sans-papiers-erhalten-einen-ausweis?id=11874099
-> https://www.20min.ch/video/stadt-fuehrt-zueri-city-card-fuer-ueber-10000-sans-papiers-ein-442217871539
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tagesanzeiger.ch 11.11.2020
Stadt führt Züri City Card ein: Der Ausweis für über 10’000 Sans-Papiers kommt
Zürich will ein Dokument schaffen, das die Identität aller
Einwohnerinnen und Einwohner bestätigt. Die wichtigsten Antworten zur
Züri City Card.
Liliane Minor
Sie sind mitten unter uns und doch versteckt: Sans-Papiers, Menschen
ohne gültige Aufenthaltsrechte. Viele leben seit Jahren, teilweise unter
prekären Bedingungen, hier. Von vielen öffentlichen Leistungen sind sie
ausgeschlossen – obwohl sie ein Anrecht darauf hätten. In der Stadt
Zürich soll ihr Leben in Zukunft wenigstens ein bisschen leichter
werden. Das zumindest ist das Ziel eines Pakets von Massnahmen, das der
Stadtrat heute Mittwoch vorgestellt hat.
Sichtbarster Teil dieses Pakets ist die sogenannte City Card, ein
amtlicher Ausweis, der Identität und Wohnsitz aller Einwohnerinnen und
Einwohner bestätigt, also auch von Sans-Papiers. Zürich will als erste
Stadt in der Schweiz einen solchen Ausweis einführen. Wir beantworten
die wichtigsten Fragen rund um die City Card.
Warum will der Stadtrat eine City Card einführen?
Der Stadtrat erfüllt damit einen Auftrag, den ihm der Gemeinderat vor
zwei Jahren erteilt hat. Ursprünglich hatte die Regierung die Idee
abgelehnt; sie begründete das vor allem damit, die Karte könne die
Erwartung nicht erfüllen, Sans-Papiers besser vor polizeilichen
Kontrollen oder gar einer Ausweisung zu schützen.
Inzwischen steht der Stadtrat aber hinter dem Projekt. Die Karte habe
Potenzial, schreibt er. «Bei genügend weiter Verbreitung kann sie die
Stadtgesellschaft, die Solidarität und das Zusammenleben stärken und der
ganzen Bevölkerung noch bessere Möglichkeiten bieten, um sich am
sozialen, kulturellen und politischen Leben in Zürich zu beteiligen.»
Die Karte könne das Leben von Sans-Papiers, aber auch aller anderen
Zürcherinnen und Zürcher vereinfachen. Zürich wolle sich so als
weltoffene, solidarische Stadt zeigen.
Was kann die City Card, und wer soll sie bekommen?
Alle Einwohnerinnen und Einwohner Zürichs sollen eine City Card
beantragen können, egal ob sie legal oder versteckt hier leben. Die
Karte ist ein amtliches Dokument, das die Identität und die Wohnadresse
des Inhabers bestätigt. Sie wäre damit zum Beispiel überall dort
nützlich, wo Stadtzürcherinnen und Stadtzürcher vergünstigt Eintritt
bekommen. Aber sie soll auch als Ausweis reichen, um Dienstleistungen in
Anspruch zu nehmen wie die Verbilligung von Krankenkassenprämien
(darauf haben auch Sans-Papiers ein Anrecht).
Dem Stadtrat schwebt aber noch mehr vor. So soll die Karte digital
nutzbar sein. Denkbar wäre etwa, Abonnemente für kulturelle Angebote
darauf zu laden. Die Karte soll in sämtlichen städtischen Angeboten und
Dienstleistungen nutzbar sein. Ziel ist es aber auch, dass Private sie
akzeptieren.
Bevor sie den Sans-Papiers offensteht, will die Stadt die Karte in der
Gesamtbevölkerung möglichst weit verbreiten. So soll verhindert werden,
dass die Karte unbeabsichtigt zum «Sans-Papiers-Ausweis» wird und damit
den Betroffenen das Leben erschwert statt erleichtert.
Der Stadtrat warnt gleichzeitig: «Der direkte Nutzen wird beschränkt
sein.» Leistungen und Angebote, für die ein geregelter Aufenthalt
Voraussetzung ist, bleiben den Sans-Papiers verwehrt. Dazu gehören zum
Beispiel die Eheschliessung, eine legale Arbeit oder auch der Bezug von
Sozialleistungen.
Ist die City Card so etwas wie eine Aufenthaltsbewilligung?
Nein, das ist sie nicht. Sans-Papiers, die eine City Card beantragen,
bleiben faktisch illegale Aufenthalter. Daran kann auch die Stadt nichts
ändern. Der Stadtrat fordert aber seit langem, dass Bund und Kanton
zumindest den langjährigen Aufenthaltern eine Bewilligung erteilen. Die
heutige Härtefallregelung reicht nach Ansicht der Stadt nicht aus, denn
Betroffene müssen unter anderem belegen können, dass sie arbeitstätig
waren. Doch ohne Arbeitsvertrag ist das schwierig.
Wer sind die Sans-Papiers überhaupt, und wie viele leben in Zürich?
Als Sans-Papiers bezeichnet man Menschen, die ohne legales
Aufenthaltsrecht in der Schweiz leben. Da sie in der Regel auch nirgends
amtlich registriert werden, kann ihre Zahl nur geschätzt werden. Eine
Studie des Kantons geht davon aus, dass zwischen 13’500 und 19’000
Sans-Papiers im ganzen Kanton leben; geschätzte 10’000 davon wohnen in
der Stadt Zürich. Viele sind seit Jahren in der Schweiz. Sie lassen sich
in drei Gruppen unterteilen.
Die wohl bekannteste, zahlenmässig aber kleinste Gruppe stellen die
abgewiesenen Asylsuchenden. Sie kommen meist aus afrikanischen Ländern
und sind eher jung. Etwa 600 sind amtlich bekannt, weil sie Nothilfe
beziehen. Dazu kommen weitere etwa 1100 bis 2200 Abgewiesene, die sich
anders über Wasser halten.
Ähnlich gross oder etwas grösser ist die Gruppe von Personen, die ihre
Aufenthaltsbewilligung verloren haben. Sie kommen gemäss der Studie vor
allem aus Südosteuropa, der Türkei und Asien. Manche sind weggewiesen
worden, weil sie mit dem Gesetz in Konflikt kamen oder Sozialhilfe
bezogen, andere haben wegen einer Scheidung ihr Aufenthaltsrecht
verloren. Ihre Zahl wird auf 1100 bis 3300 geschätzt.
Mit 11’500 bis 19’500 Personen die grösste Gruppe bilden die primären
Sans-Papiers, die nie eine Aufenthaltsbewilligung hatten, aber auch nie
um Asyl ersuchten, weil sie aus sicheren Staaten stammen. Etwa die
Hälfte der Betroffenen sind Frauen aus Lateinamerika, die vor allem in
privaten Haushalten arbeiten. Hinzu kommen Männer aus europäischen
Nicht-EU/EFTA-Staaten, die unter anderem auf dem Bau, im Reinigungswesen
und in der Transportbranche tätig sind.
Wie leben diese Menschen?
Die meisten Sans-Papiers leben möglichst unauffällig, wie der Stadtrat
in einem Bericht schreibt. Aus Angst, aufzufliegen, meiden sie unnötige
Kontakte. Mangels Bewilligung arbeiten die Betroffenen in der Regel ohne
Vertrag und ohne soziale Absicherung. Viele Dienstleistungen bleiben
ihnen verwehrt, weil sie sich nicht ausweisen können: So können sie zum
Beispiel kein Bankkonto eröffnen, keine Versicherung abschliessen,
keinen Fahrausweis beantragen, keine eingeschriebenen Briefe abholen,
nicht einmal eine eigene Wohnung mieten.
Geregelt ist hingegen der Schulbesuch: Auch Kinder von illegal
anwesenden Eltern sind schulpflichtig, die Schulen sollen die
Betroffenen explizit nicht bei den Behörden melden. So will man
vermeiden, dass die Kinder unter dem ungeregelten Status ihrer Eltern
leiden müssen. Nach der obligatorischen Schule bleibt den Jugendlichen
aber eine weitere Ausbildung, etwa eine Berufslehre, verwehrt.
Sind Sans-Papiers nicht einfach Kriminelle?
Kaum. Zwar sind illegal Anwesende in der Kriminalstatistik zumindest bei
gewissen Delikten, etwa bei Vermögensdelikten und im
Betäubungsmittelhandel, überproportional vertreten. Das sagt aber wenig
über die Sans-Papiers als gesamte Gruppe aus. Sieht man einmal vom
illegalen Aufenthalt ab, der ja auch eine Straftat ist, achten die
meisten Betroffenen im Gegenteil peinlich genau darauf, möglichst nicht
aufzufallen und zum Beispiel keine Bussen zu riskieren.
Sans-Papiers haben im Gegenteil ein hohes Risiko, selbst Opfer zu
werden. Wie der Stadtrat schreibt, sind Missbrauch und Ausbeutung «nicht
selten», und es komme «regelmässig zur Verletzung der Würde und
Integrität». Wehren können sich die Betroffenen kaum: «Sie können weder
als Opfer noch als Zeuge einer Straftat eine Anzeige machen, ohne dass
sie ein hohes Risiko eingehen, selbst angezeigt, verhaftet und des
Landes verwiesen zu werden.»
Eine ganz andere Frage ist, inwieweit die Karte den Sans-Papiers bei den
von ihnen gefürchteten Polizeikontrollen eine Hilfe ist. Ein
Rechtsgutachten, das die Stadt in Auftrag gegeben hat, kommt zum
Schluss, die Karte reiche als Beleg für die Identität eines
Kontrollierten. Aber der Stadtrat schreibt auch: «Sie verhindert nicht,
dass bei Polizeikontrollen je nach Sachlage der Aufenthaltsstatus
abgeklärt werden muss.»
Ab wann wird die Karte erhältlich sein, und was kostet sie?
Die Stadt ist mit ihrer Planung erst am Anfang. Bis die Karte eingeführt
werden kann, dürften vier bis fünf Jahre vergehen. Denn es gilt
zahlreiche Fragen zu klären, angefangen von den Kosten über die
Funktionen bis zur Frage, wie die Identität der Sans-Papiers überprüft
werden kann. Zuerst aber muss der Gemeinderat einen Kredit von 3,2
Millionen Franken für die Planungsarbeiten sprechen.
Welche weiteren Massnahmen plant der Stadtrat?
Insgesamt, so schreibt der Stadtrat, hätten die Sans-Papiers trotz allem
schon heute einen recht guten Zugang zu städtischen Leistungen.
Handlungsbedarf sieht er aber im Gesundheitswesen. Viele Betroffene sind
nicht versichert, und vor allem sind Spitäler und die auf Sans-Papiers
spezialisierte Arztpraxis Meditrina finanziell nicht ausreichend
abgesichert. Die Stadt will hier mit einer Leistungsvereinbarung
nachbessern. Das soll rund 1,5 Millionen Franken pro Jahr kosten;
vorerst ist eine dreijährige Pilotphase geplant.
Aus Sicht des Stadtrats «zentrale Verbesserungen» liegen hingegen in der
Kompetenz von Bund und Kanton, wie es im Bericht heisst. Der Stadtrat
fordert, «dass langjährige Sans-Papiers unter transparenten Bedingungen
regularisiert und in den geregelten Arbeitsmarkt integriert werden und
dass sie ihre zentralen Grund- und Menschenrechte ungefährdet wahrnehmen
können».
(https://www.tagesanzeiger.ch/der-ausweis-fuer-ueber-10000-sans-papiers-kommt-244969317984)
—
nzz.ch 11.11.2020
Lucia Rodriguez lebt seit sieben Jahren illegal in Zürich. Mit der «Züri
City Card» will ihr die Stadt nun das Leben erleichtern. Doch kann die
ID die Situation der Sans-Papiers wirklich verbessern?
Die links-grüne Stadtregierung will eine städtische Identitätskarte
einführen, um Papierlose besser vor Ausbeutung zu schützen. Kritiker
sprechen von nutzloser und ideologischer Symbolpolitik.
Linda Koponen
Als Lucia Rodriguez* Costa Rica verlässt, ist sie voller Hoffnungen. Sie
träumt von einer besseren Zukunft für ihre damals 12-jährige Tochter
und vom grossen Geld, mit dem sie ihre Familie im Herkunftsland
unterstützen will.
Mit einem Touristenvisum steigt Rodriguez in der Schweiz aus dem
Flugzeug. Eine in Zürich wohnhafte deutsch-amerikanische Familie wirbt
sie als Haushälterin an. Sie treffen laut Rodriguez eine Abmachung: Nach
drei Monaten soll sie einen Arbeitsvertrag und eine
Aufenthaltsbewilligung erhalten. Sie kümmert sich an sechs Tagen pro
Woche um die Kinder und den Haushalt und bekommt im Gegenzug Kost, Logis
und monatlich 1000 Franken – für mittelamerikanische Verhältnisse ein
fürstlicher Lohn. In den ersten drei Monaten schickt sie 2500 Franken in
ihre Heimat. Der Plan scheint aufzugehen.
Sieben Jahre später sitzt die mittlerweile 39-Jährige im Wohnzimmer von
Salvatore Di Concilio und lässt ihre Geschichte Revue passieren. Di
Concilio ist ein ehemaliger Stadtzürcher SP-Gemeinderat und Mitgründer
der Zürcher Sans-Papiers-Anlaufstelle (Spaz). Es ist ein kühler
Novemberabend, das Coronavirus hält die Welt weiterhin in Atem, und der
Zürcher Stadtrat diskutiert einmal mehr über die Einführung einer «Züri
City Card» – einer Art Stadt-ID, die auch jene Zürcherinnen und Zürcher
beantragen können, die sich illegal im Land aufhalten.
Menschen wie Lucia Rodriguez. Sie ist eine von geschätzt 10 000
Sans-Papiers, die ohne Aufenthaltsbewilligung in der Stadt Zürich leben –
wie viele es tatsächlich sind, lässt sich schwer sagen, weil sich die
Personen unter dem Radar der Behörden bewegen. Viele von ihnen stammen
aus Drittstaaten und halten sich mit Aushilfsjobs über Wasser. Für sie
bleibt die Arbeitsmarktzulassung in der Schweiz ein beinahe
aussichtsloser Traum, denn bei Drittstaatenangehörigen ist diese
hochqualifizierten Führungskräften und Spezialisten vorbehalten.
Nachdem das Touristenvisum von Rodriguez abgelaufen war, setzten ihre
Arbeitgeber sie auf die Strasse – aus Angst, wegen der illegal
Beschäftigten in Schwierigkeiten zu geraten. Seither gleicht ihr Leben
in Zürich einem Spiessrutenlauf.
Eine Schutzmaske verdeckt ihre Gesichtszüge, doch der Blick verrät die
Resignation. «In Costa Rica denken sie, ich sei reich», sagt sie in
gebrochenem Deutsch. «Seit der Pandemie weiss ich nicht einmal, wie ich
mein Zimmer und das Essen bezahlen soll.» Einer ihrer letzten
Arbeitgeber schulde ihr 300 Franken. Um die Forderung geltend zu machen,
fehlt ihr die rechtliche Handhabe. Anspruch auf Arbeitslosengeld oder
Sozialhilfe hat sie nicht. Die Familie in der Heimat wartet derweil auf
das Geld aus der Schweiz.
Rodriguez sagt, die «Züri City Card» gebe ihr neue Hoffnung auf ein
sichereres Leben. Doch kann eine städtische Identitätskarte Sans-Papiers
vor Ausbeutung und Missbrauch schützen? Und welchen Nutzen bringt sie
der Stadt und ihren Steuerzahlern?
Kosten in Millionenhöhe
Am Mittwoch treten die Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch (sp.), der
Sozialvorsteher Raphael Golta (sp.) und der Gesundheitsvorsteher Andreas
Hauri (glp.) im Stadthaus vor die Medien, um über die «weiteren
Schritte zur Verbesserung der Lebenssituation der Sans-Papiers» zu
informieren. Nach einem zweiten Gutachten – das erste vor zwei Jahren
war ernüchternd ausgefallen – will die links-grüne Regierung die «Züri
City Card» nun doch einführen. Aus rechtlicher Sicht spreche nichts
dagegen.
Bea Schwager, Präsidentin des Vereins Züri City Card, freut sich über
den Entscheid: «Die aktuelle Pandemie zeigt einmal mehr, wie prekär
viele Sans-Papiers leben. Die Einführung der ‹Züri City Card› ist für
Sans-Papiers ein grosser Schritt hin zu einem würdevolleren Leben.»
Kann die Karte die hohen Erwartungen erfüllen? Im Positionspapier des
Stadtrates steht, dass der direkte Nutzen für die Sans-Papiers
beschränkt bleibt. Damit könnten die Papierlosen ihre Identität und den
Wohnsitz zwar auch gegenüber den Behörden nachweisen. Am illegalen
Aufenthaltsstatus kann jedoch auch eine städtische Identitätskarte
nichts ändern.
Anders als etwa New York, das sich als «Sanctuary City» versteht und
seinen Mitarbeitern untersagt, die nationalen Immigrationsbehörden bei
deren Aufgaben zu unterstützen, ist Zürich an das übergeordnete
eidgenössische Ausländer- und Migrationsrecht gebunden. Konkret bedeutet
das, dass etwa Polizisten je nach Sachlage weiterhin den
Aufenthaltsstatus einer Person abklären müssten, auch wenn sich diese
mit der städtischen ID ausweisen würde.
Auch der Zugang zu Recht und Justiz, also etwa die Möglichkeit, als
Opfer eine Anzeige zu erstatten, bleibt für Sans-Papiers nur theoretisch
offen, da sie mit dem Risiko einer Wegweisung verbunden ist. Auch
heiraten, eine Wohnung mieten oder der Bezug von Sozialhilfe wären für
die Papierlosen mit der «Züri City Card» nicht gestattet.
In der Pflicht sieht der Stadtrat denn auch den Bund und den Kanton.
Langjährige Sans-Papiers müssten unter transparenten Bedingungen
regularisiert und in den geregelten Arbeitsmarkt integriert werden,
damit sie ihre zentralen Grund- und Menschenrechte ungefährdet
wahrnehmen könnten, heisst es in der Medienmitteilung.
Bereits heute pflegt die Stadt in vielen Bereichen eine informelle
Zusammenarbeit mit der Sans-Papiers-Anlaufstelle und unterstützt die
Papierlosen indirekt. So haben Sans-Papiers Zugang zu subventionierten
Krippen- oder Hortplätzen, zu Verbilligungen der Krankenkassenprämien
oder zu Pflegeplätzen sowie einer stationären Behandlung im Stadtspital.
Seit der Corona-Krise finanziert die Stadt Zürich der Spaz befristet
eine Teilzeitstelle, um der grossen Nachfrage nach Beratungen besser
gerecht zu werden.
Im kommenden Jahr will die Stadt die vom Schweizerischen Roten Kreuz
betriebene Arztpraxis Meditrina zudem über eine Leistungsvereinbarung
finanzieren und das Stadtspital Waid und Triemli offiziell zum
Behandlungsspital für Sans-Papiers mit Lebensmittelpunkt in der Stadt
Zürich erklären. Für die Finanzierung der medizinischen Behandlungen
soll wie bisher eine Krankenversicherung abgeschlossen werden. Wenn dies
nicht möglich ist, werden die Kosten von der Stadt Zürich übernommen.
Die Massnahmen würden in einer dreijährigen Pilotphase getestet und
kosteten rund 4,5 Millionen Franken, heisst es in der Medienmitteilung
vom Mittwoch.
Trotz den Vorbehalten will der Stadtrat auch an der «Züri City Card»
festhalten. Für die «umfangreichen organisatorischen, technischen und
rechtlichen Vorbereitungen» beantragt er dem Gemeinderat einen
Rahmenkredit von 3,2 Millionen Franken. Die tatsächlichen Kosten bei
einer Einführung dürften weitaus höher liegen. Im Positionspapier des
Stadtrates heisst es, nach der Einführung sei mit «erheblichen
wiederkehrenden Personal- und Sachkosten» zu rechnen sowie mit «Ausgaben
für die direkten und indirekten finanziellen Vergünstigungen, die die
Nutzung der Karte für die Bevölkerung attraktiv machen sollen». Denn:
Nur wenn die Karte auch von Zürcherinnen und Zürchern mit einem legalen
Aufenthaltsstatus genutzt wird, kann sie auch den Sans-Papiers dienen.
«Ideologische Symbolpolitik»?
Der Stadtzürcher FDP-Gemeinderat und Rechtsanwalt Andreas Egli hatte die
«Züri City Card» bereits im ersten Anlauf kritisiert. Dass die
Stadtregierung die alte Idee nun erneut beleben will, bezeichnet er als
«ideologische Symbolpolitik» und «Etikettenschwindel». Die Gemeinden
könnten keine eigenen Ausländergesetze erlassen. Das gelte für die Stadt
Zürich genauso wie etwa für Oberwil-Lieli, das für seine
ausländerkritische Haltung bekannt ist. Die städtische ID erteile kein
Recht auf Verbleib und ändere somit nichts an der Situation der
Papierlosen.
«Statt künstliche Dokumente zu verteilen, muss man den Zustrom illegaler
Einreisender effektiv unterbinden», ist Egli überzeugt. Ansetzen würde
er bei Arbeitgebern, die von den Schwarzarbeitern profitierten, aber
auch bei all jenen, die Sans-Papiers unterstützten, also zum Beispiel
ein Zimmer an Papierlose vermieteten. «Sie gehören hart bestraft, nur so
kann der Immigrationsindustrie ein Riegel geschoben werden.» Egli sagt
aber auch: «Sans-Papiers sind in Zürich eine Realität, und wir müssen
uns ernsthaft die Frage stellen, wie wir das Problem lösen wollen. Eine
Amnestie zur Legalisierung der bestehenden Situation ist zu prüfen, wenn
gleichzeitig die Massnahmen verschärft werden.»
Genf hat dies bereits im weiteren Sinn gemacht. Im Rahmen der «Opération
Papyrus» hat die Stadt zusammen mit dem Staatssekretariat für Migration
Arbeitskräften, die keine gültigen Aufenthaltspapiere besitzen, aber
gut integriert sind und seit vielen Jahren im Kanton leben, die
Aufenthaltsbewilligung erteilt. Im letzten Jahr hat der Kanton 951
Härtefallgesuche von Sans-Papiers und drei von Personen aus dem
Asylbereich gutgeheissen. Das seien zu viele, sagt Egli. «Während der
Corona-Krise standen auch in Genf trotz der Aktion Papyrus erneut
Tausende Sans-Papiers für kostenloses Essen an. Allein das zeigt, dass
die Aktion gescheitert ist.»
Zum Vergleich: 2019 erteilte der Kanton Zürich drei
Härtefallbewilligungen an Sans-Papiers und 27 an Personen aus dem
Asylbereich. Die tiefe Zahl hängt auch damit zusammen, dass sich viele
Papierlose aus Angst vor der Abschiebung nicht bei den Behörden melden –
auch wenn sie gute Chancen auf einen legalen Status hätten.
Der Traum von Europa
Eine von ihnen ist Maria Hernández*. Sie sitzt neben Lucia Rodriguez im
Wohnzimmer von Salvatore Di Concilio und antwortet mit leiser Stimme in
gebrochenem Deutsch. Seit 13 Jahren lebe sie ohne Aufenthaltsbewilligung
in der Schweiz, habe seit 10 Jahren denselben Arbeitgeber. Ein
Härtefallgesuch kommt für sie dennoch nicht infrage. «Ich kann nicht
riskieren, dass sie uns abschieben.»
Als Hernández ihre Heimat und ihre Familie verlassen hatte, war das
jüngste ihrer drei Kinder erst sechs Monate alt. Sie hat es seither
nicht mehr gesehen. Kurz nach ihrer Ankunft in der Schweiz kam ihre
mittlerweile 12-jährige Tochter im Stadtspital Triemli auf die Welt.
«Sie fühlt sich als Schweizerin und weiss bis heute nicht, dass sie
illegal hier ist.» Zu gross sei die Gefahr, dass sie die Information an
Freunde weitergebe. Doch je älter sie werde, desto mehr Fragen stelle
sie. Und bis zum Ende der obligatorischen Schulzeit sind es nur noch
vier Jahre. Wie es dann weitergehen soll, weiss Hernández nicht.
Öffentliche Schulen müssen alle Kinder unabhängig vom Aufenthaltsstatus
unterrichten. Eine Lehrstelle zu finden, dürfte allerdings kaum möglich
sein.
Trotz den widrigen Lebensumständen wollen weder Lucia Rodriguez noch
Maria Hernández die Schweiz verlassen. Ob sie kein schlechtes Gewissen
hätten, sich ohne Recht im Land aufzuhalten? «Klar habe ich das», sagt
Hernández. Zurück in die alte Heimat zu gehen, sei für die beiden Frauen
dennoch keine Option. Rodriguez sagt: «Die Leute in meiner Heimat
träumen von Europa. Ich habe es geschafft.»
* Name geändert.
(https://www.nzz.ch/zuerich/zuerich-stadtrat-fuehrt-zueri-city-card-fuer-sans-papiers-ein-ld.1586321)
+++SCHWEIZ
Medienmitteilung AUSSENPOLITISCHE KOMMISSION
„Sie hat der Petition 18.2020 «Grundrechte der Tibeterinnen und Tibeter
schützen, auch in der Schweiz» mit 12 zu 12 Stimmen und Stichentscheid
der Kommissionspräsidentin Folge gegeben und dabei zwei Postulate
(20.4333 und 20.4334) verabschiedet.“
(https://www.parlament.ch/press-releases/Pages/mm-apk-n-2020-11-11.aspx)
-> Postulat Bericht über die Situation der Tibeterinnen und Tibeter in der Schweiz: https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20204333
-> Postulat Bericht über die Umsetzung des bilateralen Menschenrechtsdialog Schweiz-China: https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20204334
+++GRIECHENLAND
Feuer in Asylregistrierungslager auf Samos: Brandstiftung vermutet
Laut dem Bürgermeister von Vathy sind Gasflaschen in mehreren
Containerwohnungen explodiert. Die Regierung solle die Migranten aufs
Festland bringen
https://www.derstandard.at/story/2000121614646/feuer-im-asyl-registrierlager-von-samos-brandstiftung-wird-vermutet?ref=rss
-> https://www.spiegel.de/politik/ausland/samos-erneuter-grossbrand-im-fluechtlingscamp-a-09a9d21f-01a5-4358-b5ce-2000e057f4a1
-> https://www.neues-deutschland.de/artikel/1144278.migrationspolitik-brand-in-griechischem-fluechtlingslager-auf-insel-samos.html
+++MITTELMEER
Mindestens fünf Tote bei Bootsunglück im Mittelmeer
Ein Schlauchboot mit rund 100 Menschen war gekippt. Das Rettungsschiff
„Open Arms“ versucht zu bergen, die Zahl der Opfer könnte noch steigen
https://www.derstandard.at/story/2000121632527/mindestens-fuenf-tote-bei-bootsunglueck-im-mittelmeer?ref=rss
+++EUROPA
Pushback-Vorwürfe: EU-Kommission stellt Frontex-Chef Leggeri ein Ultimatum
Frontex ist nach SPIEGEL-Recherchen in illegale Pushbacks von
Flüchtlingen involviert. Nun hat die EU-Kommission den Chef der
Grenzschutzagentur in einer Dringlichkeitssitzung befragt.
https://www.spiegel.de/politik/ausland/pushback-vorwuerfe-eu-kommission-stellt-frontex-chef-fabrice-leggeri-ultimatum-a-6218b87d-21ec-4788-b73a-2ac07a0257e9?sara_ecid=soci_upd_KsBF0AFjflf0DZCxpPYDCQgO1dEMph
+++GASSE
Genf will Obdachlose in Hotelzimmern unterbringen
Im Hotel statt auf der Strasse: Der Kanton Genf will seinen Obdachlosen
über die Wintermonate helfen. Dafür will er 1,4 Millionen Franken
aufwenden.
https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/genf-will-obdachlose-in-hotelzimmern-unterbringen-139833746
La brigade de solidarité populaire genevoise se réactive
Face au nouveau semi-confinement en vigueur à Genève, la Brigade de
Solidarité Populaire “Yvan Leyvraz” se réactive et organise à nouveau
des récoltes pour les personnes précaires.
https://renverse.co/infos-locales/article/la-brigade-de-solidarite-populaire-genevoise-se-reactive-2816
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Basler Strafgericht: In dubio pro Gummischrot
Ein Teilnehmer der Nazifrei-Demo wird vom Strafgericht zu insgesamt
18’000 Franken bedingter Geldstrafe verurteilt. Die Staatsanwaltschaft
hatte viel mehr gefordert und argumentierte unter anderem mit
«Krawalltourismus».
https://bajour.ch/a/p5FTCP4cIPKvnEyD/in-dubio-pro-gummischrot
1312 Eclepens
Soweit ist es. Die Schweiz hat ihre erste ZAD – Zone à défendre (Zone zu
verteidigen). Einen Bericht und Übersetzung für Barrikade.info
https://barrikade.info/article/4000
+++REPRESSION DE
Razzia in Freiburg war rechtswidrig
Drei Jahren nach dem Verbot von Indymedia erhält das Autonome Zentrum alle beschlagnahmten Gegenstände zurück
Das Autonome Zentrum KTS in Freiburg ist kein »Vereinsheim« von
Indymedia. Das stellte jetzt der baden-württembergische
Verwaltungsgerichtshof (VGH) fest. Die Durchsuchung im August 2017 im
Zusammenhang mit dem Verbot der Internetplattform Indymedia Linksunten
war deshalb rechtswidrig, urteilte der Erste Senat des Gerichts am 12.
Oktober. Die Entscheidung (VGH 1 S 2679/19), die dieser Tage bekannt
wurde, ist unanfechtbar.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1144295.autonome-zentrum-kts-razzia-in-freiburg-war-rechtswidrig.html
-> Communiqué KTS Freiburg: https://www.kts-freiburg.org/?article3014
Linksextremismus in Deutschland: Lina E. kommandierte Überfälle auf Rechte
Auf Geheiss des deutschen Bundesanwalts wurde in Leipzig eine 25-jährige
Studentin verhaftet, die brutale Angriffe auf Rechtsextremisten
anführte. Ihr Fall steht für eine neue, gefährliche Tendenz.
https://www.derbund.ch/lina-e-kommandierte-ueberfaelle-auf-rechte-571080622636
Extremismus in Deutschland
Gefahr von rechts und links
Die Dokumentation spiegelt aus aktuellem Blickwinkel die Geschichte des
Extremismus von rechts und links seit 1945 – mit Rückblick auf
Traditionen bis in die Weimarer Republik.
https://www.zdf.de/dokumentation/dokumentation-sonstige/extremismus-in-deutschland-gefahr-von-rechts-und-links-102.html
Parkbank-Prozess: Rachejustiz gegen Anarchist:innen
Was ist die Verabredung zu einem Verbrechen, die auf einer Bank
getroffen wird, gegen die Verabredung zu einem Verbrechen, die in einer
Bank getroffen wird?! Diese leichte Abwandlung eines bekannten Zitats
lässt sich als Kommentar zu dem Urteil lesen, das die Große Strafkammer
15 des Hamburger Landgerichts am 5. November im so genannten
Parkbank-Prozess verhängte. Wie zu erwarten war, verknackte die Kammer
die „Drei von der Parkbank“ zu Haftstrafen – natürlich ohne Bewährung,
denn es handelte sich bei den Angeklagten ja um „böse Linke“. Also gab
es mal eben 22, 20 und 19 Monate Haft für die beiden Genossen und die
Genossin und zwar im Grunde genommen für nichts.
https://lowerclassmag.com/2020/11/11/parkbank-prozess-rachejustiz-gegen-anarchistinnen/
+++REPRESSION FR
Neue Angriffe auf die Pressefreiheit
In Frankreich wollen regierungsnahe Abgeordnete mit einem Gesetz Journalisten der Willkür aussetzen
Paris unterstützt einen Vorstoß zur Schaffung eines neuen
Straftatbestands, der die Pressefreiheit in Gefahr bringt. Linke und
Menschenrechtler protestieren.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1144298.frankreich-neue-angriffe-auf-die-pressefreiheit.html
+++REPRESSION IT
»Menschen, die aufbegehren, werden kriminalisiert«
Italien: Linke Aktivistin kämpft vor Gericht um Beendigung ihrer »Sonderüberwachung«. Ein Gespräch mit Maria Edgarda Marcucci
https://www.jungewelt.de/artikel/390317.italien-menschen-die-aufbegehren-werden-kriminalisiert.html
+++ANTITERRORSTAAT
Terrorismusbekämfung in der Schweiz: Oberster Polizeikommandant bemängelt Datenaustausch der Kantone
Der Präsident der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten ortet
Verbesserungsbedarf bei den inländischen Informatiksystemen. Einen
Anschlag wie in Wien hält er in der Schweiz für durchaus möglich.
https://www.derbund.ch/oberster-polizeikommandant-bemaengelt-datenaustausch-der-kantone-223119133407
-> Interview: https://www.bzbasel.ch/basel/baselbiet/ein-baselbieter-an-der-schweizer-polizeispitze-mark-burkhard-ueber-terror-corona-und-polizeigewalt-139820230
+++KNAST
Insasse der Strafanstalt Saxerriet wirft Wärter neben Alkohol- auch
Drogenschmuggel vor – Direktor wehrt sich: «Die Anschuldigungen sind
völlig haltlos»
Ein als Aufseher und Koch angestellter Wärter der Strafanstalt Saxerriet
soll während mehrerer Monate Alkohol für Insassen geschmuggelt haben.
Auch illegale Rauschmittel und Mobiltelefone soll er angeblich an den
Mann gebracht haben. Der Gefängnisdirektor Martin Vinzens dementiert die
Vorfälle.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/insasse-der-strafanstalt-saxerriet-wirft-waerter-neben-alkohol-auch-drogenschmuggel-vor-direktor-wehrt-sich-die-anschuldigungen-sind-voellig-haltlos-ld.1278061
+++BIG BROTHER
EU-Angriff auf Verschlüsselung sorgt für heftige Kritik
Sicherheitsbehörden wollen mit Hintertüren Whatsapp, Signal und andere Messenger überwachen
https://www.derstandard.at/story/2000121615132/eu-angriff-auf-verschluesselung-sorgt-fuer-heftige-kritik?ref=rss
-> https://www.jungewelt.de/artikel/390306.%C3%BCberwachung-eu-im-kryptokrieg.html
+++POLIZEI CH
Ein Baselbieter an der Schweizer Polizeispitze: Mark Burkhard über Terror, Corona und Polizeigewalt
Mark Burkhard ist der neue Präsident der Kantonalen Polizeikommandanten.
Der Anschlag von Wien beschäftigt auch ihn – persönlich und beruflich.
Ausserdem spricht er im Interview über Einsätze in der Pandemie und
Themen wie Polizeigewalt.
https://www.bzbasel.ch/basel/baselbiet/ein-baselbieter-an-der-schweizer-polizeispitze-mark-burkhard-ueber-terror-corona-und-polizeigewalt-139820230
+++POLIZEI DE
Racial Profiling: Polizei darf nicht mehr ohne Verdacht kontrollieren
Ein Mann aus Togo hat dagegen geklagt, dass er immer wieder auf St.
Pauli von der Polizei kontrolliert wird. Das Hamburger
Verwaltungsgericht gab ihm Recht.
https://www.zeit.de/hamburg/2020-11/racial-profiling-prozess-polizei-klage-schwarzer-hamburg
Studie zu Opfern mutmaßlicher Polizeigewalt: Der unerkannte Rassismus
Wie groß ist das Rassismusproblem bei der Polizei? Eine Studie geht
dieser Frage nach, die Forscher warnen: Beamte verhielten sich oft nicht
absichtlich falsch – sie wüssten es schlicht nicht besser.
https://www.spiegel.de/panorama/justiz/studie-zu-polizeigewalt-polizei-erkennt-eigenen-rassismus-oft-nicht-forscher-warnen-a-8d7a05fc-d1f5-4a2a-a21c-14740011ed73
-> https://www.jungewelt.de/artikel/390295.rassismus-r%C3%BCck-lieber-gleich-die-drogen-raus.html
-> https://www.neues-deutschland.de/artikel/1144308.studie-zu-polizeigewalt-hautfarbe-entscheidend.html
-> https://www.dpolg.de/aktuelles/news/angebliche-studie-zu-rassismus-bei-der-polizei-ist-stimmungsmache/
-> https://www.nw.de/nachrichten/nachrichten/22897223_Studie-liefert-Hinweise-auf-rassistische-Polizisten.html
-> https://www.tagesspiegel.de/politik/diskriminierung-durch-die-deutschen-polizei-nicht-weisse-werden-doppelt-so-haeufig-kontrolliert-wie-weisse/26612150.html
-> https://taz.de/Studie-zu-Rassismus-in-der-Polizei/!5723836/
Bayern stattet Polizei mit Elektroschockern aus – Grüne warnen
Auf den Pilotversuch folgt der reguläre Einsatz: Rund 30 Einheiten der
bayerischen Polizei werden ab Anfang 2021 mit
Distanz-Elektroimpulsgeräten ausgestattet. Die Grünen-Fraktion sieht das
skeptisch: „Der Taser ist keine harmlose Waffe.“
https://www.br.de/nachrichten/bayern/bayern-stattet-polizei-mit-elektroschockern-aus-gruene-warnen,SG1qiLn
+++HOMO-/TRANS-HASS
LGBT* in Ungarn: Orbán plant Verfassungsänderung, um Rechte von Homosexuellen und Transgender zu beschneiden
Ungarns rechtskonservativer Ministerpräsident will den
gesellschaftlichen Ausschluss von LGBT* nun auch in der Verfassung
verankern. Das Vorhaben dürfte den Konflikt mit der EU verschärfen.
https://www.spiegel.de/politik/ausland/ungarn-viktor-orban-plant-trans-und-homosexuellenfeindliche-verfassungsaenderung-a-b6ff084a-31d4-4832-89ff-2ca08f301db0
LGBT-Rechte: Ungarische Regierung plant queerfeindliche Verfassungsänderung
Das Geschlecht soll in Ungarn künftig bei der Geburt definiert werden.
In der Verfassung soll es heißen, dass „die Mutter eine Frau ist und der
Vater ein Mann“.
https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-11/lgbt-rechte-ungarn-verfassungsaenderung-homosexualitaet-trans-feindlich-regierung
+++RASSISMUS
antira-Wochenschau: Weisser Mann* gewählt, Kriegsprofiteur*innen angegriffen, antimuslimischer Rassismus geschürt
https://antira.org/2020/11/11/weisser-mann-gewaehlt-kriegsprofiteurinnen-angegriffen-antimuslimischer-rassismus-geschuert/
+++RECHTSEXTREMISMUS
Aktivisten enttarnen neues Fake-News-Netzwerk von Steve Bannon
Ein weiteres Mal wurde der ehemalige Trump-Berater beim Verbreiten von Falschinformationen auf Facebook erwischt
https://www.derstandard.at/story/2000121615020/aktivisten-enttarnen-neues-fakenews-netzwerk-von-steve-bannon?ref=rss
Ecofascisme : la rhétorique du virus
L’histoire de l’écofascisme est assez obscure, mais son origine remonte
au mouvement eugéniste, qui lui préexiste et se mêle à une sorte
d’affreux déguisement écologiste visant à justifier ses éléments
meurtriers. Les écofascistes sont plus ou moins les personnes que Murray
Bookchin décrit comme « de soi-disant écologistes profonds qui pensent
que les peuples du Tiers Monde peuvent bien mourir de faim et que les
immigrants Natifs-Américains en provenance d’Amérique latine peuvent
bien être refoulés par la police aux frontières américaines, à moins
qu’ils ne portent le fardeau de « nos » ressources écologiques. » Malgré
de grands efforts pour maquiller le mouvement, souvent par des appels
vibrants au caractère sacré de la nature, à la beauté du monde naturel
et à la hideur de la pollution industrielle, les racines de ce mouvement
restent indéniables ; l’écofascisme est par essence l’idée que le Monde
est malade, et que la maladie est l’humanité. C’est pourquoi
l’écofascisme proclame que nous devons faire notre possible pour
éliminer autant de gens que possible – ou au moins accepter leur mort –
afin que le Monde « guérisse ».
https://renverse.co/analyses/article/ecofascisme-la-rhetorique-du-virus-2813
Un nouveau groupe de hooligans néo-nazis en Valais
Un nouveau groupe de hooligans néo-nazis a vu le jour ces derniers mois en Valais, « Radical Sion » ou « Swastiklan ».
https://renverse.co/infos-locales/article/un-nouveau-groupe-de-hooligans-neo-nazis-en-valais-2815
Gefährlich: Neonazis in der Kampfsportszene
Sie nennen sich „Baltik Korps“ – Kampfsportler aus Mecklenburg-Vorpommern. Doch dahinter verbergen sich Neonazis.
https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/panorama3/Gefaehrlich-Neonazis-in-der-Kampfsportszene,panoramadrei3668.html
Incels: Toxische Männlichkeit als Internetkult
Sie sind jung, wütend und verbreiten frauenverachtende Hetze im Netz:
sogenannte Incels, unfreiwillig zölibatäre Männer. Autorin Veronika
Kracher hat ein Buch über diese globale Online-Community geschrieben und
berichtet im Dlf von dem, was man tun müsse, damit junge Männer nicht
zu Incels würden.
https://www.deutschlandfunk.de/incels-toxische-maennlichkeit-als-internetkult.807.de.html?dram:article_id=487229
+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Pressefreiheit bei der „Querdenken“-Demo: Bedroht, bespuckt und angegriffen
Am vergangenen Samstag in Leipzig ging es gewalttätig zu – vor allem
Journalist:innen waren betroffen. Wir lassen einige zu Wort kommen.
https://taz.de/Pressefreiheit-bei-der-Querdenken-Demo/!5723803/
Angriffe auf Journalisten: Die Eskalation der Gewalt
Reporterinnen und Reporter hatten es am Wochenende schwer in Leipzig.
Den einen stellten sich schwierige Fragen: Was bewegt 45.000 Menschen,
mitten im Pandemie-Lockdown in die Messestadt zu fahren? Wieso
demonstrieren Hippie-Familien zehn Meter neben dem NPD-Mann Udo Voigt?
Wie berichtet man über eine Bewegung, die sich von Hooligans den Weg
frei prügeln lässt – und größtenteils friedlich hinterher trottet?
https://uebermedien.de/54781/die-eskalation-der-gewalt/
-> https://www.zeit.de/2020/47/leipzig-demonstration-querdenken-corona-leugner-polizei/komplettansicht
-> https://www.sportschau.de/fussball/querdenken-hooligans-100.html
-> https://www.tagesspiegel.de/politik/nach-eskaliertem-corona-protest-berliner-verfassungsrechtler-fordert-obergrenze-fuer-demos/26611070.html
MASKENVERWEIGERUNG:
-> https://www.telezueri.ch/zuerinews/masken-kontroverse-an-zuercher-schule-jetzt-spricht-die-praesidentin-139836961
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/wenn-lehrer-die-maske-verweigern-sind-das-einzelfaelle?id=11873712
-> https://www.derstandard.at/story/2000121624792/sorge-wegen-maskenverweigerern-an-schulen?ref=rss
-> https://www.republik.ch/2020/11/10/besser-sterben
Jenseits vom Jammerossi
Der Soziologe Alexander Leistner erklärt, warum »Querdenken« das Erbe von 1989 für sich in Beschlag nehmen will
Die große Gefahr von Querdenken ist, dass sich dort ein neues politisch
rechtes Milieu bildet, so der Soziologe Alexander Leistner.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1144309.querdenken-jenseits-vom-jammerossi.html
+++HISTORY
Die mysteriöse Schwester¬firma
Die Crypto AG war nicht allein im Dienst ausländischer Mächte. Erstmals
lässt sich belegen, dass die CIA mithilfe der Firma Infoguard auch
Schweizer Unternehmen abgehört hat.
https://www.republik.ch/2020/11/11/die-mysterioese-schwesterfirma
Kommentar: Crypto-Leaks: PUK!
Nach der Untersuchung der parlamentarischen Geschäftsprüfungsdelegation
bleiben viele Fragen offen – es braucht eine lückenlose Aufarbeitung.
https://www.woz.ch/2046/kommentar/crypto-leaks-puk
#Afrika
Sklaverei und Kolonialismus erhalten derzeit eine nie gekannte
Aufmerksamkeit in der deutschsprachigen Öffentlichkeit. Afrika rückt
dabei in seiner historischen Dimension, aber nicht in seiner Vielfalt in
den Blick. Aber was ist „Afrika“ überhaupt, wenn nicht ein durch und
durch koloniales Konzept?
https://geschichtedergegenwart.ch/afrika/
—
derbund.ch 11.11.2020
Berns «Revolutionäre Jugend» gibt auf: Linksgruppierung stolpert über Machoverhalten
Die Revolutionäre Jugendgruppe Bern hat sich aufgelöst. Aktivistinnen werfen ihr Sexismus und Übergriffe vor.
Dario Greco
Bern ist um eine politische Gruppierung ärmer: Anfang diese Woche gab
die Revolutionäre Jugendgruppe Bern (RJG) ihre Auflösung bekannt. Bei
der RJG handelte es sich um einen kaum greifbaren Verbund einiger
junger Personen aus der linksextremen Szene. Die Gruppe sorgte in den
letzten Jahren mehrfach für Aufsehen, etwa als Organisatorin von
Anti-WEF-Demonstrationen und antifaschistischen Abendspaziergängen,
zudem war sie an den «Tanz dich frei»-Umzügen beteiligt.
2017 hatte die RJG gar international für Schlagzeilen gesorgt, als sie
an einer friedlichen Demonstration für «Freiheit und Menschenrechte» in
der Türkei gegen den türkischen Machthaber Erdogan in Aktion trat. «Kill
Erdogan – with his own weapons» stand auf einem Transparent. Die Aktion
hatte mehrere Strafverfahren zur Folge – es ermittelte sowohl die
Schweizer Justiz als auch jene der Türkei –, und der RJG war der Zorn
der Demo-Organisatorin SP sicher.
Interne Querelen führten zum Aus
Die Gründung der Revolutionären Jugendgruppe Bern geht auf das Jahr
2007 zurück. Eines der RJG-Kernthemen war der Antikapitalismus, im
Verlauf der Jahre seien «weit mehr als Hundert Menschen» Mitglied der
Gruppe gewesen, schreibt sie auf ihrer Website. Nun also ist sie
Geschichte. Dem Entscheid vorausgegangen waren offenbar interne
Auseinandersetzungen und Machtkämpfe. Die Auflösung gefordert hatte eine
Gruppe von Frauen, Lesben, inter-, nonbinären- und Transpersonen. Die
Gruppe prangert in ihrer Stellungnahme auf der Internetplattform
Barrikade.info den in der RJG vorherrschenden «strukturellen Sexismus»
an sowie «übergriffiges Verhalten» und «den Unwillen für feministische
Bildung». Weiter schreibt die Gruppe, dass im Umfeld der RJG «mehrere
Fälle von sexualisierter Gewalt» passiert seien. Eine Person, die im
Frühjahr zur RJG gestossen sei, habe sich als Täter herausgestellt, sei
intern allerdings gedeckt worden.
Daraus zog die RJG, die am Mittwoch für eine Stellungnahme nicht
erreichbar war, offenbar die Konsequenzen und löste sich auf. «Wir sind
all die Jahre massiv gescheitert, eine Basis für feministische Politik
zu schaffen», bilanziert die RJG.
Einfluss war klein
Auf die gesamte Szene betrachtet habe das Aus der RJG keinen Einfluss,
sagt Samuel Althof von der Fachstelle Extremismus- und Gewaltprävention
(Fexx). «Die linksextreme Szene in Bern wird dadurch nicht kleiner. Die
Leute werden sich einfach auf andere Gruppen verteilen.» Die Auflösung
der RJG zeige höchstens die internen Probleme, die es in solchen
Gruppierungen geben könne. «Weitere Auswirkungen hat das nicht. Mir ist
keine Spaltung der nationalen Szene bekannt», so Althof.
Einer, der sich der Gruppe immer wieder gegenüber sah, ist der
Stadtberner Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP). «Die Behörden stuften
die RJG als gewaltextremistisch ein», sagt er. «Die Erfahrungen, die wir
mit ihr machten, waren meist negativ.» Was deren Auflösung für Bern
bedeute, könne er noch nicht beurteilen. «Wir werden weiter beobachten,
wie sich die Situation entwickelt.»
(https://www.derbund.ch/linksgruppierung-stolpert-ueber-machoverhalten-140507764926)
—
bernerzeitung.ch 11.11.2020
Sexismus unter Linksautonomen: Die Revolutionäre Jugendgruppe löst sich auf
Junge Aktivistinnen prangerten jüngst lautstark den Sexismus innerhalb
der linksautonomen Szene an. Nun kommt es in der betroffenen Gruppe
zum Bruch.
Michael Bucher
Die revolutionäre Linke in Bern wird gerade gehörig durchgeschüttelt.
Die tonangebende Revolutionäre Jugendgruppe Bern (RJG), die laut
eigenen Angaben seit 2007 besteht, hat sich aufgelöst. Dies teilt die
Gruppe auf ihrer Website mit. Die Gruppe ist bekannt für ihren teils
militanten Kampf gegen Kapitalismus, Unterdrückung und staatliche
Repression. Für Teile der Gruppe hat Berns Sicherheitsdirektor Reto
Nause (CVP) eigens die Bezeichnung «gewaltextremistische Linke»
kreiert.
Auch das Engagement für Gleichstellung und feministische Anliegen zählt
zum Repertoire der RJG, in der laut eigenen Angaben in all den Jahren
insgesamt über 100 Personen vertreten waren. Doch offenbar ist man
innerhalb der Gruppe weit entfernt vom propagierten Ideal. Bereits im
Sommer prangerte eine Frauengruppe in einer Wutschrift den
strukturellen Sexismus innerhalb der linksautonomen Szene an.
Sexuelle Übergriffe
Weil danach keine Besserung eingetreten war, drohten die jungen Frauen
mit dem Austritt und verlangten die Auflösung der RJG. Dieser Forderung
kam die Gruppe nun nach. «Wir sind all die Jahre massiv gescheitert,
eine Basis für feministische Politik zu schaffen», schreibt die RJG
selbstkritisch auf ihrer Website. Sexistische Verhaltensmuster seien
intern kaum reflektiert worden.
Offenbar kam es im Umfeld der Gruppe gar zu sexuellen Übergriffen
gegenüber Frauen. Einer der Täter habe es geschafft, dies zu
verheimlichen – «mit klarer Mithilfe einzelner männlicher
Gruppenmitglieder», heisst es im Schreiben. Dies und die mangelhafte
Bereitschaft der Männer, die strukturellen Probleme aufzuarbeiten, «hat
uns aufgezeigt, dass wir einen harten Bruch vollziehen müssen», hält die
RJG fest.
Vorwurf der Heuchelei
Die RJG-Frauen haben auf der Website der Gruppe zusätzlich eine eigene
Stellungnahme hochgeladen. Darin beklagen sie, dass sie abhängig von
Auftreten und Tonfall bei ihren männlichen Kollegen als «angenehme»
oder «mühsame» Feministinnen gegolten hätten. Weiter werfen die jungen
Frauen ihren Kollegen Heuchelei vor. So habe man zwar die feministische
Revolution im kurdischen Rojava gefeiert, für die feministischen
Forderungen in den eigenen Reihen jedoch habe das Gehör gefehlt.
Auch die Auseinandersetzung mit Sexismus im eigenen Umfeld sei von den
Männern nicht als «cool» und «revolutionär» angesehen worden, weil es ja
nicht «richtige Politik» sei, werfen die jungen Frauen ein. Ihr
ernüchtertes Fazit: «Feminismus wird in der Theorie zwar gutgeheissen,
jedoch nur, solange der Kampf weit weg von den eigenen Dunstkreisen
bleibt.»
Die RJG hinterlässt ein Vakuum in der linksautonomen Szene, das jedoch
bald wieder geschlossen werden dürfte. «Der Kampf geht weiter», schreibt
die Vereinigung am Schluss des Beitrags, «aber ohne die Revolutionäre
Jugendgruppe.»
(https://www.bernerzeitung.ch/die-revolutionaere-jugendgruppe-loest-sich-auf-834934984061)
—
-> Statement der FLINT Personen zur Auflösung der RJG: https://barrikade.info/article/3991
-> Statement der RJG Bern zur Auflösung der Gruppe: https://barrikade.info/article/3993
+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN 2
derbund.ch 11.11.2020
Beleidigung, Bedrohung, Volksverhetzung: «Der Hildmann schmeisst einen doch mit Beweisen zu»
Der ehemalige Grünen-Politiker Volker Beck ist Ziel öffentlicher
Morddrohungen des Verschwörungsideologen Attila Hildmann. Gegen den
Fleischlos-Koch gibt es Dutzende Anzeigen. Doch die Staatsanwaltschaft
macht fast nichts. Warum nicht?
Ulrike Nimz und Ronen Steinke
Volker Beck sitzt in der Bibliothek des Bundestags, im kreisrunden
Lesesaal. Durch die Fensterfront schaut er auf die Spree. Er sitzt dort
zwischen dicken Gesetzbüchern, manche mit altdeutscher Aufschrift,
«Bonner Kommentar zum Grundgesetz», «Handbuch Staatsrecht». Vor drei
Jahren ist Beck, Grünen-Politiker und kein Jurist, unfreiwillig aus dem
Bundestag ausgeschieden, seine Partei hat ihn nicht mehr aufgestellt.
Aber er kommt noch immer hierher, um Strafanzeigen zu formulieren. Er
wird bis 22 Uhr hier sitzen.
Volker Beck bekommt gerade so viele Morddrohungen, so viele
Beleidigungen über Facebook oder Twitter, er kommt da kaum noch mit. Er
klappt seinen Laptop auf. Eine Frau, die ihren vollen Namen nennt,
schreibt ihm. «Pfui Teufel, in die Hölle sollen sie fahren, für den
Dreck, der aus ihnen rauskommt.» Und: «Ganz ehrlich für Leute wie sie
wäre die Einführung der Todesstrafe wieder angebracht.»
Ein Mann, der sich hinter einem Pseudonym versteckt, schreibt: Nicht
die Corona-Demos solle man bei Verstössen gegen Hygiene-Auflagen
auflösen, so wie es Volker Beck gefordert hat. Sondern Männer wie Beck
solle man auflösen, «in Salzsäure». Zuvor aber solle man «dem Volker
den Schwanz absäbeln mit der Heckenschere».
Die folgenreichsten Beleidigungen aber kommen von Attila Hildmann,
Vegankoch und Verschwörungsideologe. Seit Monaten hält er eine Art
wütende Ansprache an das Volk über den Messengerdienst Telegram, hat
einen ganzen Schwarm von Hetzern um sich versammelt, aktuell mehr als
113’000 Follower. «Für Beck würde ich als zukünftiger Reichskanzler
wieder die Todesstrafe durch Eier-Treten auf öffentlichem Platz
einführen», postet Hildmann am 12. Juli. Sofort greifen Dutzende das
auf, versuchen, ihn in ihren Gewaltfantasien noch zu übertreffen. Die
«Eier» von Volker Beck gehörten «zerquetscht» schreibt ein anonymer
Nutzer in einer E-Mail direkt an Beck, «Nicht durch Zertreten (viel zu
schmerzarm) sondern mit der Hydraulikpresse»
.
Beck schreibt Anzeige um Anzeige
Volker Beck hat inzwischen Übung darin, das alles an die
Staatsanwaltschaft zu schicken, er sucht, auch wenn das gar nicht nötig
wäre, fleissig die passenden Paragrafen des Strafgesetzbuchs heraus,
Volksverhetzung, Beleidigung, öffentliche Aufforderung zu Straftaten.
Aber die zuständige Staatsanwaltschaft im brandenburgischen Cottbus, in
der Nähe von Attila Hildmanns Wohnort, hat sich noch in keinem
einzigen Fall für eine Anklage entschieden. «Ich erfahre nichts, ich
bekomme auch keine Akteneinsicht – aus ermittlungstechnischen Gründen»,
sagt Beck, rückt seine Brille zurecht und lacht. Er wirkt nicht wie
jemand, der sich niederdrücken liesse. «Aber ich merke schon, wenn man
mal in ‹Enterprise‘-Bildern denkt, dass dieses Schild um das
Raumschiff manchmal löchrig wird.»
Als Attila Hildmann Ende Oktober am Brandenburger Tor auf eine
Getränkekiste steigt, vermeldet das Robert-Koch-Institut 11’176
Corona-Neuinfektionen an einem Tag. In Jogginghose und Kapuzenpullover
spricht Hildmann von einem «beispiellosen Krieg gegen das deutsche
Volk», von einer «korrupten Politmafia», von «satanischen Spielereien».
Videos von diesem Tag sind noch immer abrufbar. Er braucht nur wenige
Sätze, um vom Tierschutz zu Menschenversuchen zu gelangen, denn nichts
anderes sei doch der geplante «genverändernde Impfstoff». Jens Spahn
ist für Hildmann nicht der deutsche Gesundheitsminister, sondern
«Bankkaufmann, Rotarier-Freimaurer, Jesuit, Bilderberger und
Pharmalobbyist». Alles auf einmal.
Mit jeder Schmähung wird Attila Hildmann lauter, er pendelt auf seinem
Behelfspodest wie ein Boxer, dem das Adrenalin nicht aus dem Körper
weichen will. «Ihr seid alle Helden», ruft er in den Halbkreis, der
sich um ihn gebildet hat. Menschen mit Stirnbändern und Schiebermützen,
die jubeln und klatschen, als hätte soeben der Papst persönlich seinen
Segen erteilt. «Die Pandemie», schliesst Hildmann seine Rede, «ist
dann vorbei, wenn 83 Millionen Deutsche für ihre Freiheit aufstehen.»
Er macht noch schnell ein Selfie mit einem Fan, betet ein bisschen mit
geschlossenen Augen. Dann singen sie alle gemeinsam die Nationalhymne.
Warum dauert das so lange, was gibt es zu ermitteln?
Man muss sich gar nicht ans Brandenburger Tor zwischen
Maskenverweigerer stellen, um zu dokumentieren, was Attila Hildmann
hasst und gegen wen er hetzt. Man kann es bequem von der Couch aus tun.
Jedes Wort wird live gestreamt aus unzähligen Perspektiven. Anders als
eine Mund-Nase-Bedeckung gehören Handy und Stativ zur Grundausstattung
der selbsternannten «Corona-Rebellen». Sie filmen und feiern Attila
Hildmann, 39 Jahre alt, wie einen Popstar.
Was also soll das bedeuten, wenn die Staatsanwaltschaft aus
«ermittlungstechnischen Gründen» schweigt? Was kann so schwierig sein,
was gibt es da zu ermitteln, dass es so lange dauern könnte? Müssen die
Ermittler erst Fingerabdrücke pudern? Müssen sie Schmauchspuren
sichern?
Attila Hildmann versteckt sich ja nicht. Er sagt die Dinge öffentlich.
Man braucht nur ein paar Minuten durch Telegram zu scrollen, durch den
Strom von bunten, schrillen Fotocollagen, Kotze-Emojis und Parolen, um
auf Aussagen zu stossen, die die Grenzen des Erlaubten zumindest
austesten. In den vergangenen Wochen hat Hildmann über
Gedankenkontrolle mittels Fernsehgeräten geschrieben. Er hat Angela
Merkel eine «Oberhexe» genannt, die «eiskalt eine kommunistische
Militärdiktatur inklusive Völkermord an 50 Mio. Deutschen» vorbereite.
Aus einer Debatte über Grenzschliessungen und die mögliche Isolierung
von Quarantäne-Verweigerern folgerte er, dass bald ganz Deutschland ein
KZ sei.
Er hetzt oft im Konjunktiv, sagt zum Beispiel: «Wenn ich Reichskanzler
wäre.» Oder er stellt nur Fragen, besonders bei antisemitischen
Aussagen: «Gibt es eine jüdische Weltverschwörung?» Er lässt seine
Follower abstimmen und stellt ihnen exakt zwei Antworten zur Auswahl:
«Ja» oder «Nein, das ist ungenau! Es ist vor allem eine zionistische
Weltverschwörung.»
Volker Beck sagt: Es mag ja sein, dass Attila Hildmann haarscharf an
der Grenze der Legalität formuliert. Dass er genau weiss, wie weit die
Meinungsfreiheit reicht. Attila Hildmann beschimpft Juden selten
direkt. Stattdessen schreibt er: «Einfach immer Weltbänker sagen, dann
gibt’s auch keine Anzeige wegen Volksverhetzung HA HA HAAAAAA.»
Für Volker Beck macht das keinen Unterschied. «Wenn jemand
augenzwinkernd zu seinen Anhängern sagt: Ich meine eigentlich
ihr-wisst-schon-was, hähä, aber ich hülle mich hier in unverfängliche
Worte, um den Strafverfolgern ein Schnippchen zu schlagen – dann frage
ich mich doch: Wie sehr sollte sich der deutsche Staat doof stellen?
Wie sehr soll man sich verspotten lassen? Natürlich darf man nicht am
rechtsstaatlichen Prinzip herumsäbeln», sagt Beck, verschanzt zwischen
all den Gesetzbüchern. «Aber man muss sich den Kontext ansehen.»
Hildmann ventiliert im Netz ein Best-of bestehender Narrative aus der
Verschwörungs- und Reichsbürgerszene, er verquickt sie mit homophoben
oder frauenfeindlichen Klischees und Angriffen gegen politische Gegner.
Seine Telegram-Präsenz ist ein Perpetuum paranoia, ein Strom aus
Abwertung, Angstlust und Gutscheinen für Bio-Matcha im Viererpack. Und
Hildmann ist Captain Capslock, der seine Anhänger mit Grossbuchstaben
durch eine feindliche Welt navigiert.
Hildmann tanzte bei «Let’s dance» und sass bei Maischberger auf dem Sofa
Attila Klaus Peter Hildmann hat sich entwickelt, radikalisiert. Er hat
erfolglos Physik studiert und erfolgreich vegane Kochbücher
geschrieben. In seinem Werk «Vegan for youth» von 2013 empfiehlt er
unter anderem: «Nutze das Netz gezielt … Du findest unzählige
interessante Blogs, Vlogs, Gruppen und Foren. Es ist cool, Teil einer
aktiven Bewegung zu sein, den Teamgeist mitzuerleben und dich mit
anderen über Einkaufs-, Rezept- und Sporttipps auszutauschen.»
Bevor er sich in Verschwörungsideologien eingrub wie in
Schützengräben, absolvierte er zahlreiche TV-Auftritte. Er tanzte bei
«Let’s dance» und sass bei Sandra Maischberger auf dem Sofa. Attila
Hildmann war eine Medienfigur, und er ist es auch jetzt noch, da er
über die «Lügenpresse» schimpft. Der Spiegel spazierte mit ihm durch
den Wandlitzer Wald in Brandenburg, wo Hildmann wohnt. Sat 1 suchte ihn
in seinem veganen Imbiss auf, wo er vor laufender Kamera
unwidersprochen behaupten konnte, dass die oft gefalteten Hände der
Bundeskanzlerin – im Volksmund «Merkelraute» – ein Geheimzeichen der
Illuminaten sei.
Natürlich ist das alles auch grosses Spektakel. Etliche verfolgen
Hildmanns Ausraster nur, weil sie Klicks bringen, um den Wahnsinn zu
recyceln, oft in ironischer Überlegenheitspose, weil die eigene Blase
vermeintlich immun ist gegen Verschwörungsideologien.
«Lustig ist das für mich alles nicht», schreibt Volker Beck in einer
Anzeige an die Cottbuser Staatsanwaltschaft. «Es gibt zahlreiche
Personen, die eine Vernichtung meines Lebens und meiner körperlichen
Unversehrtheit befürworten, planen und dazu auffordern.» Meist gelingt
es ihm, sachlich zu formulieren, als sei er sein eigener Anwalt.
Als junger Mann hat Volker Beck, der sich seit den Achtzigerjahren für
die Rechte von Schwulen einsetzt, mal den Satz geschrieben, die
«globale Kriminalisierung» der Pädosexualität sei falsch. Heute bereut
er das und betont, er sei schon früh zum «Gegner der Pädos» geworden.
Aber so ist der Grüne heute ein besonders gutes Hassobjekt für Attila
Hildmanns Umfeld. Das Thema Kindesmissbrauch spielt eine grosse Rolle
bei QAnon, dieser bizarren Verschwörungserzählung, wonach die Schönen
und Reichen Kinder foltern würden, um deren Blut oder ein
Stoffwechselprodukt namens Adrenochrom zu trinken. «Da passe ich aus
Sicht von Atilla Hildmann halt rein.»
Beck will nicht ausschliessen, dass sich Hildmanns Anhänger durch das
Gerede von verbrecherischen Eliten und einem drohenden Bürgerkrieg zu
realer Gewalt legitimiert sehen. Erst neulich haben Unbekannte
Brandsätze auf ein Gebäude des Robert-Koch-Instituts geschleudert. Den
Chef des Instituts hatte Hildmann bei Telegram einen «Hauptverbrecher
in der BRD» genannt.
Und dann ist in Berlin-Mitte ein Sprengsatz explodiert, ganz in der
Nähe der Charité. Es gab eine Stichflamme, die Polizei fand ein
Bekennerschreiben am Tatort, einen A4-Zettel, der auf dem Gehweg lag.
Man fordere die sofortige Einstellung aller Corona-Beschränkungen, den
Rücktritt der Bundesregierung und, so wörtlich, «eine
Live-Pressekonferenz, ausgestrahlt durch alle TV-Sender und Neuwahlen».
Sonst würden weitere Aktionen folgen. Lesen Sie dazu: Mit
Molotow-Cocktails gegen die Pandemie-Politik.
Staunen über die langsamen Kollegen in Cottbus
Warum gleich schweigt die Staatsanwaltschaft?
E-Mails der Süddeutschen Zeitung, sowohl an den Pressesprecher als auch
an den Leiter der Staatsanwaltschaft Cottbus, bleiben wochenlang
unbeantwortet. Niemand geht ans Telefon. «Corona», sagt die Frau in der
Vermittlung. Und als man irgendwann doch den Sprecher in der Leitung
hat, Oberstaatsanwalt Detlef Hommes, bittet er noch mal um einen
Rückruf eine Stunde später.
Erst müsse man wasserdicht nachweisen, dass diese Telegram-Nachrichten
überhaupt von Attila Hildmann stammten, sagt er dann. Das sei ganz
wichtig, und das dauere eine Weile. «Es kann ja auch sein, dass ein
Beschuldigter behauptet: Mein Account ist gehackt worden und irgendein
böser Dritter mit Maske auf dem Kopf hat das in meinen Account
reingeschrieben.»
Hat Attila Hildmann so etwas je behauptet? Hildmann, der sich für seine Hetzparolen in aller Öffentlichkeit feiern lässt?
«Das kann ich Ihnen nicht sagen.»
Kann man aus der Dauer, die diese juristische Bewertung der
Staatsanwaltschaft schon in Anspruch nimmt, den Schluss ziehen, dass
Attila Hildmann seine Worte recht geschickt wählt? Bewegt er sich genau
an der Grenze des legal Sagbaren?
«Das will ich so nicht sagen.»
Man versucht es ja zu verstehen: Sicher möchte die Cottbuser
Staatsanwaltschaft vermeiden, dass sie Attila Hildmann anklagt, ihm vor
Gericht eine grosse Bühne baut – und er dann mit wehenden Fahnen einen
Freispruch feiert.
«Was wir möchten oder nicht möchten, das ist nicht die Frage», sagt
Oberstaatsanwalt Hommes. Sondern es gehe allein um die schwierige
Prognose, wie wohl das Gericht diese Äusserungen bewerten würde. Was er
nicht sagt: Solche Prozesse wegen Beleidigung oder Volksverhetzung
gibt es bislang sehr, sehr selten. Es ist unbekanntes Terrain. Auch
weil die Justiz die Delikte in der Online-Welt in den vergangenen
Jahren nicht sehr ernst genommen hat, die Staatsanwaltschaften haben
kaum mal etwas vor Gericht gebracht.
So zieht es sich hin bei der Zentralstelle für Internetkriminalität in
der Staatsanwaltschaft Cottbus, einer Einheit aus sechs
Staatsanwälten. Etwa 30 Vorwürfe gegen Hildmann prüfen sie derzeit,
darunter Beleidigung, Bedrohung und Volksverhetzung. Akteneinsicht
könne man aber beim besten Willen nicht geben, sagt Oberstaatsanwalt
Hommes, die Akten seien «derzeit ausser Haus». Die für Hildmann
zuständige Staatsanwältin sei gerade auch nicht da, jedenfalls «nicht
greifbar». Erst in zwei Wochen wieder.
Auch in Leipzig: Hildmann wieder vorn dabei
Und dann? Ach, dies und jenes sei noch zu tun, sagt der
Oberstaatsanwalt. Und beiläufig: «Man wird dann auch irgendwann den
Beschuldigten zu hören haben.» Das heisst: mit Attila Hildmann selbst
sprechen. Auch das hat noch keiner der Juristen getan. Staatsanwälte in
anderen Bundesländern staunen über den Langmut der Kollegen. «Der
Hildmann schmeisst einen doch mit Beweisen zu», heisst es.
Als am Wochenende in Leipzig Zehntausende Kritiker der
Corona-Massnahmen an der Seite von rechtsextremen Hooligans
demonstrieren, als sie die Absperrungen der Polizei durchbrechen,
entgegen den Auflagen einen Marsch um den Innenstadtring erzwingen,
Journalisten angreifen und Beamte mit Pyrotechnik beschiessen, ist
Attila Hildmann wieder ganz vorn mit dabei. Vor dem Hauptbahnhof badet
er in der Menge, neben ihm schwenkt jemand ein Deutschlandfähnchen, ein
anderer ein Bild des SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach in
Sträflingskleidung. Auch davon gibt es ein Video.
Anders als in Berlin steigt Attila Hildmann in Leipzig nicht selbst auf
die Bühne. Auf die «Querdenker», die diese Demo angemeldet haben, ist
er inzwischen nicht mehr gut zu sprechen, die sind ihm zu lasch, zu
viel «Wanderzirkus», zu wenig Widerstand. Stattdessen ergreift er nach
Sonnenuntergang selbst das Wort, der Scheinwerfer einer Fernsehkamera
strahlt in sein Gesicht.
Merkel, «diese Hochverräterin», ruft Hildmann, unter der geöffneten
Bomberjacke blitzt eine Halskette mit Kruzifix. Die Kanzlerin mache
Politik «nach dem Kalergi-Plan». Gemeint ist ein Verschwörungsmythos,
wonach der österreichische EU-Vordenker Richard Graf Coudenhove-Kalergi
einst geplant hätte, «die Völker in Europa zu vermischen», wie
Hildmann sagt, und alle nationalen Identitäten zu zerstören, um den
Kontinent dann von Juden regieren zu lassen. Die Menge klatscht, setzt
zum Sprechchor an. «Wir – sind – der Sou-ve-rän! Wir – sind – der
Sou-ve-rän!»
Attila Hildmann faltet die Hände, neigt andächtig den Kopf. Am Tags
danach meldet das Robert-Koch-Institut 16’017 Corona-Neuinfektionen in
Deutschland.
(https://www.derbund.ch/der-hildmann-schmeisst-einen-doch-mit-beweisen-zu-453125060832)