Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel
+++ST. GALLEN
Flüchtlinge sollen während ihrer Lehre von Mentoren begleitet werden: Geflüchtete bei Berufslehre unterstützen
Das Betreuungsangebot für Flüchtlinge des Friedegg-Treff Vereins Gossau
wird erweitert. Geflüchtete-Lernende sollen während ihrer Berufslehre
von einer Mentorin oder einem Mentor begleitet werden. Es werden
Personen gesucht, welche sich entsprechend engagieren möchten.
https://www.st-galler-nachrichten.ch/gossau/detail/article/gefluechtete-bei-berufslehre-unterstuetzen-00188887/
+++SCHWEIZ
Dossierübergabe an Parlamentarier*innen
Heute startet die Session des Schweizer Parlaments. Wir haben unsere
Forderungen ins Parlament getragen und haben deshalb ein Dossier mit
Informationen und Forderungen zusammengestellt. Dieses haben
Aktivist*innen der Gruppen „Stop Isolation“ (Bern), Nothilfe ohne Zwang“
(Zürich), „Drei Rosen gegen Grenzen“ (Basel), „Poya solidaire“
(Freiburg) und Personen verschiedener weiteren Asyllager in der Schweiz
an Parlamentarier*innen übergeben.
https://migrant-solidarity-network.ch/2020/09/07/dossieruebergabe-an-parlamentarierinnen/
-> Video1: https://www.facebook.com/negasi.sereke.9/videos/756189148507382/
-> Video2: https://www.facebook.com/negasi.sereke.9/videos/756196695173294/
„Volunteer“: Schweizer Film zeigt Flüchtlings-Krise Griechenlands
Die neue Schweizer Filmproduktion „Volunteer“ hat am Wochenende in Thun
Premiere gefeiert. Der Film erzählt von Helfern, welche freiwillig in
Griechenland arbeiten, um Flüchtlinge retten zu können. Einer der
Protagonisten ist der Berner Michael Räber – er setzt sich schon seit
Jahren für Flüchtlinge ein und hat eine Hilfsorganisation gegründet.
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/volunteer-schweizer-film-zeigt-fluechtlings-krise-griechenlands-139059269
+++MITTELMEER
Menschenrechtswidrige und illegale Praktiken im Mittelmeer
Die Behörden Maltas setzen das Leben geflüchteter Menschen im Mittelmeer
systematisch aufs Spiel. Neue Amnesty-Recherchen zeigen, wie die
Behörden auch zu illegalen Mittel greifen, um Schutzsuchende auf See
nach Libyen zurückzuweisen, wo ihnen schwere Menschenrechtsverletzungen
drohen.
https://www.amnesty.ch/de/laender/europa-zentralasien/malta/dok/2020/bericht-menschenrechtswidrige-und-illegale-praktiken-im-mittelmeer
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Klimastreik: So lernen die Aktivisten Gesetze zu brechen
Mehr ziviler Ungehorsam für mehr Gehör. Das hat sich der Klimastreik auf
die Fahne geschrieben. Dafür bietet die Bewegung sogenannte
Aktionstrainings an.
https://www.nau.ch/news/schweiz/klimastreik-so-lernen-die-aktivisten-gesetze-zu-brechen-65773656
+++MENSCHENRECHTE
China, die Uiguren und die Schweiz – Rendez-vous
Menschenrechtsorganisationen und Exil-Uiguren berichten seit langem von
sytematischer Unterdrückung der Uiguren in der Region Xinjiang. Die
Schweiz pflegt enge wirtschaftliche Beziehungen zu China. Nun fordern
verschiedene Organisationen, die Schweiz solle sich nicht zur Komplizin
von Menschenrechtsverletzungen machen. Sie verlangen Neuverhandlungen
zum Freihandelsabkommen.
https://www.srf.ch/play/radio/rendez-vous/audio/china-die-uiguren-und-die-schweiz?id=ebb95901-2063-45d2-b211-528b398ae4a6
+++RASSISMUS
antira-Wochenschau: «White Supremacy»-Kolumne im Tagesanzeiger, «White
saviorism»-Theater in Chur, „White silence“-Gewalt in Grenzregionen
https://antira.org/2020/09/07/white-supremacy-kolumne-im-tagesanzeiger-white-saviorism-theater-in-chur-white-silence-gewalt-in-grenzregionen/
+++RECHTSPOPULISMUS
Extrem unbrauchbar. Über Gleichsetzungen von links und rechts
Rechtspopulistische Strömungen finden auf ihrem Feldzug gegen die
Demokratie ein mächtiges begriffliches Mittel vor: die
Extremismustheorie. Gewonnen aus einer spezifischen Lesart
totalitarismuskritischer Arbeiten, etwa von Hannah Arendt, hat sich im
Sprechen über die Gesellschaft ein Hufeisenmodell durchgesetzt: Eine
Mitte der Gesellschaft werde von ihren Rändern bedroht. Islamismus,
Rechtsextremismus und Linksextremismus arbeiten daran, die Demokratie zu
zerstören. Doch besonders die Gleichsetzung von Rechtsextremismus und
Linksextremismus führt oft dazu, ersteres auf Kosten von letzterem zu
verharmlosen. Zudem ist die Konstruktion einer gesellschaftlichen Mitte
selbst problematisch. Was gehört zu dieser Mitte, was nicht? Gerade die
aktuellen Erscheinungsformen rechter Ideologien zielen darauf ab, gerade
noch anschlussfähig zum gesellschaftlichen Diskurs zu bleiben und ihn
durch kalkulierte Grenzverletzungen nach rechts zu verschieben – mit
einigem Erfolg, Stichworte: »Flüchtlingswelle«, »Genderismus« oder
»political correctness«. Doch wenn selbst der positive Bezug auf das
Grundgesetz teilweise als linksradikal diskutiert wird, desavouiert sich
dieses Hufeisenmodell endgültig.
https://verbrecherverlag.de/book.php?action=detail&id=1008
+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Am Anlass im Zürcher Grossmünster: Daniel Koch von Corona-Leugnern angepöbelt
Am Montagabend war Daniel Koch im Grossmünster in Zürich zu einem
Gespräch zu Besuch. Dabei wurde er von Corona-Verschwörungstheoretikern
in Bedrängnis gebracht.
https://www.blick.ch/news/schweiz/zuerich/am-anlass-im-zuercher-grossmuenster-daniel-koch-von-corona-leugnern-angepoebelt-id16081850.html
-> https://www.20min.ch/story/corona-leugner-poebeln-daniel-koch-bei-veranstaltung-an-684075979904
Corona Rebellen Initiative fordert Totalrevision des Staates
Nach dem Referendum gegen SwissCovid gibt es eine neue Corona Rebellen
Initiative. Sie will den Schweizer Staat von Grund auf neu aufbauen.
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/corona-rebellen-initiative-fordert-totalrevision-des-staates-65776400
-> https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/keine-steuern-aber-ein-grundeinkommen-die-corona-rebellen-lancieren-eine-radikale-initiative-139047188
-> https://www.blick.ch/politik/versuchen-viruskrise-fuer-komplettumbau-der-schweiz-zu-nutzen-corona-rebellen-lancieren-eine-radikale-volksinitiative-id16080309.html
-> https://www.luzernerzeitung.ch/schweiz/keine-steuern-aber-ein-grundeinkommen-die-corona-rebellen-lancieren-eine-radikale-initiative-ld.1254406
-> https://www.luzernerzeitung.ch/schweiz/wir-muessen-grundsatzdiskussionen-neu-fuehren-cedric-wermuth-zur-radikalen-initiative-der-corona-rebellen-ld.1254664
-> https://www.luzernerzeitung.ch/meinung/die-covid-gegner-ernst-nehmen-ld.1254449
So läuft das Buch-Geschäft mit Corona-Skeptikern
Bei vielen Bestseller-Listen erscheinen Bücher von Corona-Leugnern in
den Top-Rängen. Buch-Shops begründen ihre Auslage der Bücher mit der
Meinungsfreiheit.
https://www.nau.ch/news/wirtschaft/so-lauft-das-buch-geschaft-mit-corona-skeptikern-65776370
Corona-Relativierer duelliert sich
mit Epidemiologen
Allgemeinmediziner Christian Zürcher sagt, die Schweiz habe in der Corona-Krise den Bezug zur Realität verloren.
Im Streitgespräch traf er auf den Epidemiologieprofessor Marcel Tanner.
https://www.20min.ch/story/corona-relativierer-duelliert-sich-mit-epidemiologen-206113920188
—
derbund.ch 07.09.2020
Selbstdemontage eines Clowns: Marco Rima eskaliert bei Schawinski
In der Corona-Krise übt sich der Komiker als Verschwörungstheoretiker. Nun war der 59-Jährige in Roger Schawinskis Radiosendung.
Andreas Tobler
«Marco, jetzt wirds extrem!» – die Eskalation bei Roger Schawinski war
zu erwarten. Denn Marco Rima geht es nicht gut: Er hadert – und kämpft.
Seit er «gemerkt» hat, dass der Bundesrat in der Corona-Krise «keinen
Plan» habe. Dafür würde die Regierung «massiv in unsere Selbstbestimmung
und Eigenverantwortung» eingreifen, wie Rima meinte. Deshalb habe er
nachts, als er mal wieder nicht schlafen konnte, auf Facebook zwei
Videos hochgeladen, in denen er seine Ansichten zur Corona-Krise
darlegte. Die Videos wurden tausendfach geteilt und über eine Million
Mal angeschaut. Deshalb war Rima nun in Schawinskis Talksendung
«Doppelpunkt» auf Radio 1 eingeladen.
Was an diesem Sonntagmorgen in einer Radiostunde geschah, lässt sich nur
schwer zusammenfassen. Denn Rimas Ausführungen sperren sich konsequent
jeglicher Logik. So etwa, als er meinte, die meisten Leute seien in der
Corona-Pandemie «gut unterwegs», sterben würden nur die wenigsten. Für
ihn aber ginge es in einer Demokratie «um die Mehrheit». Die könne man
doch nicht einsperren. Und als Schauspieler könne er es zudem nicht
gutheissen, «dass man alles unter einer Maske verstecke», da Bauchgefühl
und gesunder Menschenverstand «plus Mimik» ganz wichtig für die
Einschätzung des Gesundheitsrisikos seien. Eine Maske dagegen
impliziere, «dass wir alle krank sind».
Müssen ja eh alle sterben
Schawinski, Autor eines Buches über Verschwörungstheorien, war darum
bemüht, Rima in die rechte Ecke zu stellen – und ihn zu
psychologisieren: Der Komiker sei doch nur sauer, weil er wegen Corona
nicht auftreten könne. Und weil er seine Tour mit dem Titel «No
Problem?!» verschieben musste, für die der 59-jährige Komiker bereits
10’000 Tickets vorverkauft hatte. Nein, meinte Rima: Er sei trotz
Absagen finanziell auf der «guten, glücklichen Seite», weil seine Frau
und Managerin gut gewirtschaftet habe. Und er sei kein Esoteriker, kein
Impfgegner oder«Baumumarmer».
Aber als einstiger Lehrer werde er zeitlebens Pädagoge sein, meinte
Rima, und als solcher höre er in die Leute hinein: Er wolle mutige
Menschen «ins Leben rauslassen», «Türen aufstossen». Deshalb sei es ja
auch so fies, wenn man Tausende Menschen kritisiere, die – wie in Berlin
– nun «für ihr Gefühl» auf die Strasse gingen, da würde er nun wirklich
sauer: «Das sind gute Menschen, das sind tolle Menschen,
verantwortungsvolle Menschen.» Und wenn sie Fragen stellen, würde dies
deutlich machen, dass sie «hochintelligent» sind, «das spreche ich mir
auch zu».
Über Corona-Schutzmassnahmen würde Marco Rima mit sich diskutieren
lassen, wenn die Menschheit am Aussterben wäre. Aber das sei nicht der
Fall. Und irgendwann müssten wir ja alle eh sterben. Deshalb würden in
Corona-Zeiten die «Verhältnismässigkeiten» nicht stimmen. Insgesamt sei
das Leben ja ganz einfach, zumindest für Marco Rima: «Ich brauche keine
Normen und Gesetze.» Aber ganz viel Bauchgefühl, Eigenverantwortung –
und Vertrauen in sein Immunsystem; er habe ja auch ein Gefühl, wann er –
der mal Krebs hatte – mal wieder eine Computertomografie machen müsse.
Eine jährliche Kontrolle zwecks Krebsprophylaxe sei nicht nötig. Sein
Immunsystem würde sein «Verhalten» ändern, wenn Gefahr droht. Aber all
das müsse «eigenverantwortlich» geschehen, wie Rima auf dem Höhepunkt
seiner einstündigen Selbstdemontage meinte, mit der er sich endgültig
zum traurigen Corona-Clown der Verschwörungsmystiker machte (mehr zum
Umgang mit Verschwörungstheoretikern finden Sie hier: https://www.derbund.ch/der-richtige-umgang-mit-corona-verschwoerungstheoretikern-652679401665).
«Geht’s noch?» – Die brisantesten Aussagen von Marco Rima in der Talkshow von Roger Schawinski.
Audio: Radio1
https://unityvideo.appuser.ch/video/uv429606h.mp4
–
Hören Sie hier die ganze Sendung mit Marco Rima und Roger Schawinski: https://www.radio1.ch/data/podcastdownload?file=http://www.radio1.ch/userdata/podcasts/doppelpunkt/live/radio1-doppelpunkt-20200906-1159.mp3
(https://www.derbund.ch/marco-rima-eskaliert-bei-schawinski-833007997135)
—
Marco Rima: «Natürlich würde ich an eine Corona-Demonstration»
Der Komiker Marco Rima sorgt mit seinen Aussagen zur Corona-Politik für
viel Wirbel. Im Interview steht er dem Talkmaster Roger Schawinski Rede
und Antwort.
https://www.nau.ch/people/aus-der-schweiz/marco-rima-naturlich-wurde-ich-an-eine-corona-demonstration-65776374
Die Corona-Leugner und die Demokratie
Kaum ein Land navigiert bisher so gut und großzügig durch die
Corona-Krise wie Deutschland. Woher also kommt das Misstrauen gegen die
Politik, „die Eliten“ und die Wut, die sich vor dem Berliner Reichstag
entlud? Und wie damit umgehen?
https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/ttt/corona-leugner-demokratie-100.html
„Hier sind einige Falschspieler unterwegs“ Offener Streit im Lager der Corona-Querdenker
Persönliche Feindschaften und Differenzen über die Nähe zu
Rechtsextremen setzen „Querdenken“ intern zu. Auch Initiator Michael
Ballweg gerät in die Kritik.
https://www.tagesspiegel.de/berlin/hier-sind-einige-falschspieler-unterwegs-offener-streit-im-lager-der-corona-querdenker/26163774.html
Corona-Proteste: Georg Restle interviewt Michael Ballweg von Querdenken – MONITOR
Bei den Corona-Demos in Berlin waren viele rechtsextreme Teilnehmer und
Organisationen dabei. Die Initiative „Querdenken 711“ distanzierte sich
halbherzig. In Reden wurde immer wieder rechtsextremes Gedankengut
bedient und es gibt Kontakte zu Rechtsextremen. MONITOR-Chef Georg
Restle interviewt dazu bei „studioM“ den „Querdenken“-Initiator Michael
Ballweg. Mit dabei auch die Rechtsextremismus-Expertin Judith Rahner.
Das Interview wurde am 03. September 2020 geführt.
https://youtu.be/687urCFozqg
6.35
—
tagesanzeiger.ch 07.09.2020
«Corona Fehlalarm?» im Faktencheck: Stimmen die Behauptungen im Corona-Bestseller?
Seit Wochen steht das Buch «Corona Fehlalarm?» des deutschen Ehepaars
Sucharit Bhakdi und Karina Reiss ganz oben auf den Verkaufslisten. Wir
überprüfen es auf seinen Wahrheitsgehalt.
Alexandra Bröhm, Felix Straumann
In der Schweiz und in Deutschland steht das Buch «Corona Fehlalarm?» von
Sucharit Bhakdi und Karina Reiss seit Wochen auf Platz eins der
Bestsellerlisten. Bhakdi ist emeritierter Professor für Mikrobiologie an
der Universität Mainz, seine Frau Karina Reiss Professorin für
Biochemie an der Universität Kiel. Bhakdi veröffentlichte schon im März
mehrere Youtube-Videos, in denen er die Massnahmen zur
Pandemie-Bekämpfung in Deutschland kritisierte. Wenige Wochen später gab
er Ken Jebsen, der auf seiner Website verschiedene
Verschwörungstheorien unter anderem zu Covid-19 propagiert, ein viel
beachtetes Interview (lesen Sie mehr über die Köpfe hinter den
Corona-Protesten).
«Corona Fehlalarm?» ist in polemischem, anklagendem Grundton verfasst,
in 10 Kapiteln enervieren sich Bhakdi/Reiss über die weltweiten
Versuche, die Pandemie in Schach zu halten. Dabei zitiert das
Autorenpaar nur einzelne Studien, die grösstenteils aus den
Anfangszeiten der Pandemie stammen. Wichtige wissenschaftliche Arbeiten
zu den gleichen Themen bleiben unerwähnt. Die Universität Kiel hat sich
inzwischen mit einem offiziellen Statement von dem Buch distanziert:
«Das Buch enthält tendenziöse Aussagen, die die wissenschaftliche
Sorgfalt medizinischer Forschung in Deutschland und international
infrage stellen», heisst es in der Stellungnahme der medizinischen
Fakultät. Wir überprüfen einige Hauptaussagen des Buches auf ihren
Wahrheitsgehalt.
1 Das Virus ist nicht besonders gefährlich und mit der Grippe zu vergleichen
Bei dieser Frage beziehen sich die Autoren vor allem auf eine Studie,
die vor fast sechs Monaten erschienen ist und nur Fälle bis zum 2. März
erfasst, als die Pandemie in Europa erst so richtig begann. Sie
kritisieren die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die von einer viel zu
hohen Sterblichkeit ausgehe. Doch auch hier stammt der zitierte Bericht
aus den ersten Märztagen, als man noch wenig wusste. In den letzten
sechs Monaten sind unzählige neue Erkenntnisse dazugekommen. Sie werden
nicht erwähnt.
Zur Gefährlichkeit des Virus weiss man heute schon einiges mehr.
«Unabhängig voneinander und mit unterschiedlichen Methoden bekommen wir
aus immer mehr Regionen Studien, die ganz klar zeigen, dass Covid-19
eine viel ernstere Krankheit ist als die saisonale Grippe», sagt
Epidemiologe Andrew Azman, der an der Universität Genf und der
John-Hopkins-Universität in den USA forscht. Azman war an der Studie
beteiligt, die im April aufzeigte, wie viele Menschen in Genf bereits
Antikörper gegen das Virus hatten. Die meisten Forscher gehen im Moment
von einer Infektionssterblichkeit – also nicht nur bestätigte Fälle,
sondern die Dunkelziffer mit eingerechnet – von 0,5 bis 1,0 Prozent aus.
Bei den jährlichen Grippeepidemien liegt dieser Wert durchschnittlich
bei 0,1 Prozent. An der Grippe erkranken jährlich 5 bis 20 Prozent der
Bevölkerung, bei Covid-19 kann dieser Wert ohne Gegenmassnahmen bei 50
bis 60 Prozent liegen, wie beispielsweise in Bergamo, wodurch auch mehr
Menschen insgesamt sterben.
Dass immer wieder Vermutungen aufkommen, Covid-19 sei nicht besonders
gefährlich, hat auch mit der grossen Bandbreite der Symptome zu tun. Bei
der Grippe erkranken die meisten Menschen in ähnlichem Masse, bei
Covid-19 nicht. Für das Gesundheitssystem ist Covid-19 zudem
belastender, weil die schwer Erkrankten – auch im Gegensatz zur Grippe –
Wochen, manchmal Monate auf der Intensivstation verbringen müssen. Und
obwohl das Alter ein wichtiger Risikofaktor für einen schweren Verlauf
ist, waren es beispielsweise am Universitätsspital Zürich vor allem die
55- bis 70-Jährigen, die mit Covid-19 auf der Intensivstation lagen. Und
schliesslich ist immer noch ungeklärt, wie häufig bei Sars-CoV-2
schwere Langzeitfolgen auch nach milden Verläufen sind.
-FALSCH-
2 Die meisten sterben nicht an Covid-19, sondern mit dem Virus
«Fahre ich zum Test ins Krankenhaus und verunglücke später tödlich beim
Autounfall, gerade als mein positives Testresultat vorliegt – bin ich
ein Corona-Toter», schreiben Bhakdi und Reiss. Tatsächlich ist es nicht
immer einfach zu unterscheiden, ob das Coronavirus bei Verstorbenen die
Todesursache war. Doch mit ihrem Beispiel liegt das deutsche Autorenpaar
ziemlich daneben. Um in die Covid-19-Statistik zu kommen, muss ein
Bezug zur Sars-CoV-2-Infektion beziehungsweise entsprechende klinische
Symptome vorliegen.
Um ihre These zu stützen, zitieren Bhakdi und Reiss gerne auch mal
verkürzt oder gar falsch. Etwa aus einem Artikel im «The Telegraph» vom
März, wonach 88 Prozent der italienischen Corona-Toten nicht ursächlich
an den Coronaviren gestorben seien. Die Zahl entspricht jedoch dem
Anteil der Opfer mit Vorerkrankung. In der aktuelleren
wissenschaftlichen Literatur, zum Beispiel in einer Übersichtsarbeit vom
Juli im Fachblatt «Jama», ist die Rede von 60 bis 90 Prozent der
Covid-Toten im Spital mit Vorerkrankung. Doch mit Diabetes,
Bluthochdruck, Übergewicht und anderen Covid-19-Risikofaktoren lässt
sich gut und lange leben. Umgekehrt sind beispielsweise schwere
Krebserkrankungen, die gerade bei den über 80-Jährigen rund ein Drittel
der Todesfälle ausmachen, bei Covid-19-Opfern als Vorerkrankung
untervertreten (6 bis 8 Prozent).
Auch ein hohes Alter bedeutet nicht, dass die Covid-19-Patienten sowieso
gestorben wären: Wer heute beispielsweise 84 Jahre alt ist, hat in der
Schweiz eine durchschnittliche Lebenserwartung von rund sieben Jahren.
-FALSCH-
3 Masken bringen nichts und sind sinnlos
«Wie dumm kann man eigentlich sein – möchte man fragen», heisst es im
Buch, gefolgt von einer Liste mit Falschbehauptungen: Es gebe keinen
wissenschaftlichen Beleg dafür, dass symptomfreie Menschen ohne Husten
und Fieber die Erkrankung verbreiteten; einfache Masken würden Viren
nicht zurückhalten, und sie würden bekanntermassen auch nicht vor
Ansteckung schützen.
Auch hier: Vieles ist nicht eindeutig bewiesen, der Nutzen von Masken
für Träger und Gegenüber mag bei Sars-CoV-2 im Alltag tiefer sein als
geglaubt, vielleicht aber auch höher. Das räumt übrigens auch die viel
zitierte Metaanalyse im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation ein.
Dennoch rechtfertigen die derzeit vorhandenen Daten den Einsatz von
Masken.
Unbestritten ist, dass symptomfreie Menschen ansteckend sind,
insbesondere kurz bevor die Erkrankung ausbricht. Inwieweit nach
Abklingen der Symptome oder bei Asymptomatischen eine Ansteckung möglich
ist, wurde noch nicht restlos geklärt. Die Indizien sind jedoch
deutlich genug, um das Risiko ernst zu nehmen.
Und natürlich können Masken Viren zurückhalten, auch einfache
chirurgische Masken und selbst aus Textil, je nach Material und
Verarbeitung. All das lässt sich unter Laborbedingungen gut zeigen
(lesen Sie, welche Masken schützen und wie man sie richtig trägt).
-FALSCH-
4 Der Lockdown war überflüssig
Nicht nur der Lockdown sei überflüssig gewesen, schreiben die Autoren,
sogar das Absagen von Grossveranstaltungen habe «nichts gebracht». In
der Schweiz sind sich die Experten jedoch einig, dass der Lockdown
hierzulande Tausende Todesfälle verhindert hat. Auffällig sind in diesem
Zusammenhang auch die Todesstatistiken aus Schweden, wo es keinen
Lockdown gab. Allerdings hatte auch Schweden gewisse Massnahmen in
Kraft. Trotzdem starben in den ersten sechs Monaten dieses Jahres in
Schweden so viele Menschen wie seit 150 Jahren nicht mehr. Es ist die
Ironie dieser Pandemie, dass sich manche Menschen gegen die Massnahmen
wehren, gerade weil sie gewirkt haben und einen Zusammenbruch des
Gesundheitssystems verhindert haben.
-FALSCH-
5 Der Schaden einer Corona-Impfung wäre grösser als jeder denkbare Nutzen
Immerhin, Bhakdi und Reiss sind keine Impfgegner. «Wir halten fest: Es
gibt sehr viele Impfungen, die sinnvoll sind», schreiben sie. Eine
allfällige, noch nicht existierende Impfung gegen Sars-CoV-2 will ihnen
dennoch nicht in den Kram passen. Bei den Gründen können sie sich
allerdings nicht so recht entscheiden. Zum einen bemängeln sie das hohe
Tempo bei der Entwicklung und Zulassung von Impfstoffen, was tatsächlich
beträchtliche Risiken birgt und von vielen kritisiert wird. Bei den
anderen Kritikpunkten argumentieren sie mit vermeintlichen Fakten, die
aber alles andere als geklärt sind. Zum Beispiel, dass viele durch eine
Kreuzreaktivität mit saisonalen Coronaviren bereits geschützt seien.
Darüber rätseln seriöse Wissenschaftler allerdings bis heute. Auch
behaupten Bhadki und Reiss fälschlicherweise, dass Impfstoffe die
zelluläre Immunantwort grundsätzlich nicht verstärken könnten. Erste
Versuche mit verschiedenen Covid-19-Impfstoffkandidaten haben das längst
widerlegt.
-GRÖSSTENTEILS FALSCH-
–
Die Autoren
Karina Reiss ist Professorin für Biochemie an der Universität Kiel.
Sucharit Bhakdi ist emeritierter Professor für Mikrobiologie an der Universität Mainz.
(https://www.tagesanzeiger.ch/stimmen-die-behauptungen-im-corona-bestseller-495447178511)
+++HISTORY
Klaus Theweleit: Auf den Spuren der Konquistadoren
Mit „Warum Cortés wirklich siegte“ will der Freiburger Autor das Unheil
der Kolonialgeschichte erläutern – das Unternehmen gelingt nur zum Teil
https://www.derstandard.at/story/2000119818044/klaus-theweleit-auf-den-spuren-der-konquistadoren?ref=rss
+++SEXWORK
bernerzeitung.ch 07.09.2020
Bordellschliessungen in Bern: Sexarbeiterinnen müssen um ihren Platz kämpfen
Obwohl jahrelang toleriert, müssen in Bern immer mehr Bordelle in
Wohnquartieren schliessen. Trotz kulanter Praxis der Behörden stellt
sich die Frage: Wo soll Prostitution ihren Platz haben?
Michael Bucher
Mit der Prostitution ist es so eine Sache. Verboten ist sie nicht,
trotzdem tut sich die Gesellschaft schwer damit, dem «Horizontalgewerbe»
den nötigen Platz zu gewähren. Nicht selten müssen
Bordellbetreiberinnen und -betreiber einen juristischen Spiessrutenlauf
in Kauf nehmen. In der Stadt Bern ist das Problem besonders akut, wie
gleich mehrere aktuelle Fälle zeigen. «In weiten Gebieten der Stadt Bern
fehlt es an Standorten, an denen Prostitutionsgewerbe bewilligt werden
kann.» Zu diesem Schluss kommt die Bau- und Verkehrsdirektion des
Kantons Bern (BVD) in einem kürzlichen Entscheid. Darin beendet sie
vorläufig ein rechtliches Hickhack um einen Bordellbetrieb im Berner
Galgenfeld.
Bereits 10 Bordelle geschlossen
Insbesondere in Wohnzonen geht es dem Sexgewerbe zunehmend an den
Kragen. Von 39 Bordellen oder erotischen Massagesalons in Stadtberner
Wohnquartieren mussten in den letzten Jahren zehn ihren Betrieb
einstellen, wie das städtische Polizeiinspektorat auf Anfrage mitteilt.
Weitere werden folgen. Der Grund ist einerseits die Rechtsprechung des
Bundesgerichts. Dieses hat in mehreren Urteilen festgehalten, dass
erotische Dienstleistungen in reinen Wohnzonen wegen «ideeller
Immissionen» nichts verloren hätten. Letztmals taten die Richter in
Lausanne dies 2012, als es um das Bordell am Lagerweg in der Lorraine
ging. Dieses musste daraufhin schliessen.
Ein weiterer Grund ist das neue Prostitutionsgesetz, das im Kanton Bern
seit 2013 in Kraft ist. Seither müssen alle Rotlichtunternehmer beim
Regierungsstatthalter eine Bewilligung für ihren Betrieb einholen und
diese alle fünf Jahre erneuern. Diese neue Bewilligungspflicht hatte
dazu geführt, dass plötzlich etliche Etablissements auf dem Radar der
Behörden auftauchten, von denen sie zuvor nichts wussten. Kein Wunder:
Die meisten Angebote sind diskret gehalten und befinden sich in
Wohnungen, bei denen von aussen praktisch nichts auf erotische
Dienstleistungen hindeutet. Nicht selten wissen auch die Nachbarn nichts
davon.
Weil sich die zuständigen Behörden an die Rechtsprechung des höchsten
Gerichts im Land halten müssen, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als
in solchen Fällen die Schliessung zu verfügen. Diese können auch mal vor
Gericht enden, wie ein aktueller Fall aus dem Mattenhofquartier zeigt.
Eine Frau führt dort in einem Wohnhaus seit 2010 einen
Prostitutionsbetrieb. Drei Jahre später – nach dem Inkrafttreten des
neuen Prostitutionsgesetzes – erhielt sie für ihren Betrieb eine
befristete Bewilligung. Dies jedoch mit der Auflage, für die Umnutzung
der ehemaligen Praxisräume nachträglich ein Baugesuch einzureichen.
Darauf verzichtete die Frau jedoch vorerst. Sie wolle sich stattdessen
nach neuen Räumlichkeiten umschauen. Weil sie nicht fündig wurde,
reichte sie 2018 doch noch ein Baugesuch inklusive Ausnahmegesuch für
die zonenwidrige Nutzung ein. Dieses lehnte letztes Jahr erst der
Regierungsstatthalter ab und später auch die kantonale Bau- und
Verkehrsdirektion. Die Frau zog den Entscheid bis vors bernische
Verwaltungsgericht. Sie führe den Betrieb seit neun Jahren, ohne dass
sich jemand daran gestört hätte. Ihr Lebensunterhalt hänge davon ab,
argumentierte sie.
Doch das Verwaltungsgericht gibt den beiden Vorinstanzen recht, wie das
Urteil vom letzten Monat zeigt. Die Frau muss ihren Betrieb schliessen.
Die Wiederherstellungsfrist beträgt zwei Jahre. Die angeordnete
Schliessung sei für die Bordellbetreiberin zumutbar, «so kann sie ihren
Prostitutionsbetrieb doch an einem zonenkonformen Standort
weiterführen», finden die Richter. Doch genau das bestreiten
Sexarbeiterinnen regelmässig. 140 Immobilienverwaltungen habe sie
angeschrieben, überall sei sie abgeblitzt, wird die Bordellbetreiberin
aus dem Mattenhofquartier in dem Gerichtsurteil zitiert. Ein Bordell als
Mieterschaft wolle offenbar niemand.
Behörden zeigen sich kulant
Diese Problematik kennen auch die Behörden. Die Verbannung der Sexarbeit
aus Wohnquartieren ist für sie deshalb wahrlich keine einfache Aufgabe,
sie kommt einem Eiertanz gleich. In Bern fahren die lokalen Behörden
und der Regierungsstatthalter deshalb einen pragmatischen Kurs. «Würden
wir das Gesetz eins zu eins umsetzen, so würden wir der ursprünglichen
Absicht nicht gerecht werden», sagt Alexander Ott, Co-Leiter des
städtischen Polizeiinspektorats. Denn das Prostitutionsgesetz solle in
erster Linie den Schutz der Sexarbeiterinnen verbessern.
Taucht also ein Bordell auf dem Radar der Behörden auf, wird der Betrieb
nicht einfach geschlossen und die dort anschaffenden Frauen auf die
Strasse gestellt. «Mit dem Prostitutionsgesetz gewährte man bewusst
lange Fristen», sagt Ott. Fünf Jahre betragen diese in der Regel. Doch
diese Fristen laufen nun nach und nach aus, was zu immer mehr
Schliessungen führt.
Stadt soll Alternativen bieten
Von einem «Riesenproblem» spricht Christa Ammann. Sie ist Leiterin von
Xenia, der Fachstelle für Sexarbeit im Kanton Bern. «Viele Sexarbeitende
verlieren durch die Schliessungen ihren Arbeitsplatz. Um ihre Existenz
trotzdem zu sichern, müssen sie schlechtere Bedingungen akzeptieren»,
sagt die Berner Grossrätin (Alternative Linke). Bei der Fachstelle
rechnet man damit, dass so 50 Prozent der Arbeitsplätze verschwinden.
Ammann sieht die Stadt in der Pflicht, Ausnahmeregelungen für
zonenfremde Nutzungen zu prüfen oder alternative Standorte anzubieten.
Letzteres ist der Stadt zumindest beim Bordell an der Sandrainstrasse 16
gelungen. Seit Jahren bieten dort Prostituierte ihre Dienste an. Im
März dieses Jahres teilte die Stadt mit, dass sie das Haus gekauft habe
und die Wohnungen sanieren will. Wegen der Zonenwidrigkeit muss das
Bordell nun bis Ende November dichtmachen. Zumindest für jene
Sexarbeiterinnen, die dort wohnten, hat die Stadt eine Anschlusslösung
gefunden, wie Immobilien Stadt Bern mitteilt.
Wirrwarr im Galgenfeld
Auch wenn Bordelle nicht in einer Wohnzone liegen, kann es zu
langwierigen Verfahren kommen, wie zwei aktuelle Beispiele aus Bern
zeigen. Der eine Fall betrifft das Galgenfeldquartier am östlichen
Stadtrand. Dabei handelt es sich um ein Industrie- und Gewerbeareal. Am
Galgenfeldweg 7 lockt seit Jahren ein Rotlichtbetrieb Freier an. Gegen
das nachträglich eingereichte Baugesuch wehrten sich letztes Jahr
mehrere Anwohner mittels Einsprachen. Sie befürchteten mehr Autoverkehr
und Lärm. Auch verwiesen sie auf die fehlende Zonenkonformität.
Dies stimmt tatsächlich. Industrie- und Gewerbezonen sind nur für
«Produktions-, Reparatur- und Lagernutzungen» bestimmt, heisst es in der
Bauordnung der Stadt Bern. Weiter heisst es: «Ladengeschäfte,
Gaststätten und Freizeiteinrichtungen, die den örtlichen Bedürfnissen
dienen, sind gestattet.» Ein Bordell fällt offenbar nicht in diese
Kategorie. Deshalb braucht es eine Ausnahmebewilligung. Diese erteilte
erst der Regierungsstatthalter und vor zwei Monaten nun auch die
kantonale Bau- und Verkehrsdirektion. Diese wies in ihrem Entscheid
darauf hin, dass im Übrigen auch die 1950 gebauten Wohnhäuser der
Einsprecher nicht zonenkonform seien. Wer in einem Gewerbequartier
wohnt, geniesst also nicht jenen Schutz vor störenden Emissionen wie
Leute, welche in einer Wohnzone leben.
Hickhack in der Aarbergergasse
Einen langen Atem brauchte auch der Betreiber eines Bordells in der
Aarbergergasse. Vor zwei Jahren wollte dieser einen Salon für
Thaimassagen oberhalb der heutigen Heiwäg-Bar in einen
Prostitutionsbetrieb umnutzen. Dagegen gingen über 100 Einsprachen ein.
Im März 2019 wies Regierungsstatthalter Christoph Lerch die Einsprachen
als unbegründet ab. Allerdings wurde die Bewilligung an Auflagen
geknüpft. So wurden die Öffnungszeiten beschränkt. Zudem muss
gewährleistet sein, dass die Fenster geschlossen und die Vorhänge
gezogen sind.
Die Pensionskasse SBB, der eine Liegenschaft in unmittelbarer Nähe des
Bordells gehört, zog ihre Einsprache trotz der Auflagen weiter. Das
kantonale Rechtsamt gab infolgedessen bei der Fachstelle Lärmakustik der
Kantonspolizei eine Prüfung in Auftrag. Dass es in einer belebten
Partymeile aufwendige Prüfungsberichte braucht für diskret gehaltene
Liebesdienste in Wohnungen, erscheint ziemlich fragwürdig. Zumal zum
«betrieblichen Lärm», der vom Bordell ausgehen könnte, folgenden
Erkenntnis entstammt: «Die menschlichen Lautäusserungen während der
Ausführungen der Liebesdienste sind als nicht mehr als geringfügig
störend einzustufen, sofern während der Leistungserbringung die Fenster
des jeweiligen Zimmers geschlossen gehalten werden.»
Nur Hintergrundmusik erlaubt
Die Bau- und Verkehrsdirektion des Kantons Bern (BVD) wies Ende letzten
Jahres die Beschwerde der PK SBB wie die Vorinstanz ebenfalls ab. Sie
unterliess es jedoch nicht, noch zwei weitere Auflagen einzubauen. So
darf in den Liebeszimmern nur Hintergrundmusik laufen. Zudem dürfen sich
Freier nach dem Liebesdienst nicht im Freien aufhalten – dies
wohlbemerkt am Ausgeh-Hotspot der Stadt.
Obwohl in unmittelbarer Umgebung der Partymeile bereits zwei Bordelle
existieren, machte die PK SBB ausserdem fehlende Zonenkonformität
geltend. Dem widerspricht die BVD in ihrem Entscheid. In einem
Geschäfts- und Dienstleistungszentrum wie der Aarbergergasse sei ein
Prostitutionsbetrieb erlaubt. Das sieht auch die Stadt so. Laut ihr ist
Prostitution am unproblematischsten in Dienstleistungszonen. Weil aber
auch dort zwischen 50 und 100 Prozent für Wohnfläche genutzt werden
könnten, bestehe ebenfalls ein Konfliktpotenzial mit Anwohnern, hält die
BVD fest.
Rückzug in Privatwohnung
Bordellschliessungen, drohende juristische Verfahren, fehlende
Räumlichkeiten: Dies hat vor allem eines zur Folge: Sexarbeiterinnen
ziehen sich für ihre Dienste vermehrt in ihre Privatwohnung zurück. Der
Vorteil dabei: Sie brauchen als Einzelperson keine Bewilligung, um
anzuschaffen. Der Nachteil: Sie entziehen sich der Kontrolle durch die
Behörden komplett. Auch für die Fachstelle Xenia werden die Frauen so
schwieriger erreichbar. «Ihr Schutz verschlechtert sich so», sagt
Xenia-Leiterin Christa Ammann.
Dass Sexarbeiterinnen zum Anschaffen also wieder dort landen, wo man sie
eigentlich nicht mehr haben will, entbehrt nicht einer gewissen Ironie.
(https://www.bernerzeitung.ch/sexarbeiterinnen-muessen-um-ihren-platz-kaempfen-361501610485)