«White Supremacy»-Kolumne im Tagesanzeiger, «White saviorism»-Theater in Chur, „White silence“-Gewalt in Grenzregionen

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5. Todestag von Alan Kurdi – seine Tante nimmt an der Mahnwache in Berlin teil

antira-Wochenschau: Weisse Polizist*innen töten Deon Kay in Washington und Dijon Kizzee in Los Angeles (aber nicht Jacob Blake) | Nach einem Corona-Fall im Camp Moria: Schutz gilt in erster Linie nicht-geflüchteten Menschen | Mittelmeer: Vier Menschen sterben bei Schiffsexplosion, drei Menschen springen nach einem Monat Standoff von Bord der Etienne | „Es wird eng“, denn „Zu viel ist zuviel“ – Nationalistische Kampfansagen der SVP und der AUNS | Neues juristisches Gutachten im Fall Oury Jalloh | Warnschüsse gegen protestierende Migrant*innen in Bosnien | Warnschüsse gegen protestierende Migrant*innen in Bosnien | Michael Marti: «White Supremacy» im Tagesanzeiger | Kapitulation der rechtsextremen Gruppierung „Kalvin Patriote“ in Genf | Das Rosengarten-Memorial zum Gedenken an George Floyd hat finanzielle Konsequenzen | Die Auffühung des Stücks «Benefiz – rette sich wer kann» in Chur verhindern | Geflüchtete Aktivist*innen übergeben Infodossier und Forderungskatalog an Parlamentarier*innen | Never Forget Alan Kurdi

Podcast: https://www.megahex.fm/archive/antira-wochenschau-07-09-2020

Was ist neu?

Weisse Polizist*innen töten Deon Kay in Washington und Dijon Kizzee in Los Angeles (aber nicht Jacob Blake) 
Letzte Woche ist uns in der Berichterstattung über die Schüsse auf Jacob Blake in Kenosha, Wisconsin, ein Fehler unterlaufen: Wir hatten geschrieben, er sei ermordet worden. Er hat jedoch die Schüsse überlebt und liegt schwer verletzt im Krankenhaus. Zurzeit ist er von der Hüfte abwärts gelähmt und es ist nicht klar, ob er je wieder laufen wird können. Im Rahmen der damit verbundenen Proteste gegen Polizeigewalt in Kenosha erschoss der weisse, 17-jährige Kyle Rittenhouse zwei Menschen mit einem Sturmgewehr und verletzte eine weitere Person. Er habe „seine Stadt schützen“ wollen und wurde daraufhin prompt von Trump und dem republikanischen TV-Sender FOX News in Schutz genommen. Aufnahmen zeigen, wie der bewaffnete Rittenhouse unbehelligt an mehreren Polizist*innen vorbeirennt. Dies steht in starkem Kontrast zum Umgang der Polizei mit Blake, auf den sieben Schüsse abgefeuert wurden.
Auch die Fälle rassistischer Polizeigewalt mit Todesfolge reissen nicht ab: Der 18-jährige Schwarze Deon Kay wurde in Washington von weissen Polizeibeamt*innen erschossen, der 29-jährige Schwarze Dijon Kizzee in Los Angeles von zwanzig (!) Schüssen getötet. Des weiteren wurde Videomaterial von der Verhaftung und Ermordung des Schwarzen Daniel Prude in Rochester, New York, im März diesen Jahres veröffentlicht, nachdem es Monate gedauert hatte, bis die Aufnahmen der Body Cams für die Familie zugänglich gemacht worden waren. Daniel Prude war in besagter Nacht im Verlauf einer psychischen Krise nackt auf die Strasse gelaufen und sein Bruder Joe Prude hatte daraufhin den Notfall gerufen. Die Beamt*innen wurden also um Hilfe gebeten und ermordeten ihn stattdessen: Sie nahmen ihn fest, knieten sich auf ihn, zogen ihm eine Spuckhaube über den Kopf und drückten seinen Kopf zu Boden. Die Todesursache lautet auf Ersticken. Joe Prude sagte, sein Bruder sei nackt und wehrlos gewesen: „Wie viele weitere Brüder müssen sterben, bis die Gesellschaft versteht, dass das aufhören muss?“
https://www.spiegel.de/panorama/new-york-festgenommener-schwarzer-erstickt-nach-polizeieinsatz-mit-spuckhaube-a-924cfcf9-90b1-425c-8291-974ce4da6233
https://www.tagesschau.de/ausland/usa-polizei-rochester-101.html
https://www.watson.ch/!858771427
https://www.watson.ch/international/usa/236500047-kenosha-republikaner-verteidigen-mutmasslichen-todesschuetzen

Nach einem Corona-Fall im Camp Moria: Schutz gilt in erster Linie nicht-geflüchteten Menschen
Auf der griechischen Insel Lesbos im Camp für Geflüchtete Moria ist der erste «offizielle» Corona-Fall registriert worden. Der Umgang der Behörden damit zeigt ihre Gleichgültigkeit oder eher Abschätzigkeit gegenüber den geflüchteten Menschen im Camp. Statt die Bewohnenden tatsächlich zu schützen und das Camp endlich zu evakuieren, werden Massnahmen getroffen, die lediglich darauf abzielen, eine Verbreitung des Virus auf dem Rest der Insel zu verhindern. Die Behörden verlängern nun die seit Beginn der Corona-Pandemie anhaltende Quarantäne um weitere 14 Tage. Das heisst, die Menschen im Camp dürfen dieses nicht verlassen, es sei denn, sie müssen zu einem Ärzt*innentermin oder Essen einkaufen. Zudem dürfen pro Stunde lediglich 150 Menschen das Camp verlassen – eine unglaublich niedrige Zahl bei insgesamt ca. 15’000 Menschen im Camp. Und selbst wenn eine Person das Camp aus einem der zwei genannten Gründe verlassen darf, muss diese innerhalb eines von der Polizei kontrollierten Umkreises bleiben. Massnahmen, welche eine Verbreitung des Virus innerhalb des Camps verhindern sollen, werden keine getroffen.

Geflüchtete werden durch diese Massnahmen in Moria als besondere Gefahr im Zuge der Verbreitung des Virus dargestellt, während auf der anderen Seite überhaupt keine Massnahmen zum Schutz von deren Gesundheit getroffen wird. Diese Praxis gibt es nicht nur in Moria, sie kann momenten auch auf Lampedusa beobachtet warden. Unter anderem aufgrund von rechten Protesten in Rom und auf der Insel selbst, soll das Camp auf Lampedusa geräumt werden und sämtliche Menschen für zwei Wochen auf sogenannte Quarantäne-Schiffe vor Italiens Küste verfrachtet werden. Auch diese Massnahme gilt offensichtlich nicht der Gesundheit der geflüchteten Menschen, sondern soll lediglich verhindern, dass nicht-geflüchtete Bewohner*innen auf Lampedusa angesteckt werden. Lokale Politiker*innen stellen sodann in ihren Aussagen die geflüchteten Menschen als besondere Gefahr dar, wenn sie die Massnahmen beispielsweise damit rechtfertigen, dass positiv getestete Migrant*innen aus den Camps fliehen und somit die Bewohner*innen der Insel gefährden könnten. Solche Aussagen liefern Zündstoff für noch mehr rassistische Hetze gegenüber (geflüchteten) Migrant*innen. Der Mailänder Virologe Massimo Galli bezeichnete die Anschaffung von Quarantäneschiffen als grossen Fehler, da Fälle wie der des Kreuzfahrtschiffes „Diamond Princess“ klar zeigen, dass es die Verbreitung des Virus begünstigt, die Menschen an Bord zu behalten. „Diese Entscheidung hat auf dem Kreuzfahrtschiff „Diamond Princess“ mehr als 700 Infizierte verursacht“, erinnert Massimo Galli. Auch dies bestätigt die Annahme, dass das eigentliche Ziel der Massnahme ist, Migrant*innen möglichst vom Festland fernzuhalten, um dem Druck rechter Parteien nachzugeben, die versuchen, die Angst von Menschen anzuheizen und den Virus mit Migrant*innen in Verbindung zu bringen.

https://scd.infomigrants.net/media/resize/my_image_big/174396d3e9fefa4189455d721c294c50df3fa605.jpeg
Bewohner*Innen Lampedusa’s protestieren gegen neue Ankünfte von Geflüchteten auf der Insel

https://www.infomigrants.net/en/post/27000/greece-first-covid-19-case-at-moria-migrant-camp
https://www.facebook.com/sk.aldeen.3/posts/1789743257850829
https://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=2750340708623866&id=100009438927228
https://www.infomigrants.net/en/post/27021/33-migrants-test-positive-for-coronavirus-at-sardinian-center
https://www.borderline-europe.de/sites/default/files/projekte_files/ITALIEN_Streiflicht%20Juli-August_finale.pdf
https://www.derstandard.at/story/2000119761514/migrantenhotspot-auf-lampedusa-wird-geraeumt?ref=rss

https://www.infomigrants.net/en/post/26992/lampedusa-strike-over-migrant-arrivals-postponed-conte-to-meet-mayor
Bild1:
https://www.facebook.com/sk.aldeen.3/posts/1789743257850829
Bild2: https://www.infomigrants.net/en/post/26992/lampedusa-strike-over-migrant-arrivals-postponed-conte-to-meet-mayor

Mittelmeer: Vier Menschen sterben bei Schiffsexplosion, drei Menschen springen nach einem Monat Standoff von Bord der Etienne
Durch einen Motorbrand und einer darauf folgenden Explosion kamen am Sonntag vier Menschen vor der Küste Kalabriens ums Leben. Das Boot mit geflüchteten Menschen wurde zu dieser Zeit von der italienischen Küstenwache abgeschleppt. Zwei Menschen werden vermisst, es gab zudem mehrere Verletzte. Zahlreiche weitere Seenotfälle ereigneten sich. Insbesondere die Rettungen durch die zivile und gewerbliche Flotte erhielten öffentliche Aufmerksamkeit. Die spanische Seenotrettungsorganisation SMH  hat 29 Menschen von einem Boot nahe der andalusischen Küste geholt und das Handelsschiff ASSO29 hat 18 Menschen von einem sinkenden Boot geholt. Die Überlebenden melden drei Personen als vermisst, die höchstwahrscheinlich nicht überlebt haben. Die Sea-Watch 4 erhielt einen sicheren Hafen in Palermo, wo sie 353 Menschen an ein Quarantäneschiff übergab. Das Handelsschiff Etienne wartet hingegen noch immer auf eine Zusage von Malta, um die 27 Menschen, die sich seit dem 04. August an Bord befinden, an Land bringen zu dürfen: „Es ist zutiefst beunruhigend, dass die Behörden keine Lösung für die 27 Menschen gefunden haben, unter ihnen eine schwangere Frau – die auf ausdrücklichen Wunsch Maltas aus Seenot geholt wurden und seit einem Monat unter inakzeptablen Lebensbedingungen an Deck des unter dänischer Flagge fahrenden Schiffes Maersk Etienne festgehalten werden – die ihre Notlage ignorieren und die ewiglichen Verpflichtungen guter Seemannschaft untergraben“, heisst es seitens der Reederei. Wie belastend diese Situation für die Menschen an Bord ist, äusserte sich in den Ankündigungen einiger Menschen, sich über Bord zu stürzen. Am Sonntagmorgen ist die Situation an Bord eskaliert. Drei Menschen sprangen über Bord. Sie konnten von der Crew gerettet und entsprechend der vorhandenen Möglichkeiten versorgt werden. Aktuelle Schätzungen der IOM gehen davon aus, dass seit Jahresbeginn mindestens 300 Menschen die Flucht über das Mittelmeer nicht überlebt haben. In den letzten Jahren  wurden mehr als 20.000 nicht-weisse Menschenleben für die europäische Abschottung in Kauf genommen.
https://www.infomigrants.net/en/post/26949/at-least-four-migrants-die-as-boat-catches-fire-off-italyhttps://www.sn.at/politik/weltpolitik/tote-bei-explosion-auf-fluechtlingsboot-vor-kalabrien-92151820https://www.infomigrants.net/en/post/26988/italy-gives-sea-watch-4-permission-to-bring-353-rescued-migrants-to-sicilyhttps://www.migazin.de/2020/09/03/353-gerettete-koennen-von-bord-der-sea-watch-4/https://www.infomigrants.net/en/post/26924/migrants-stranded-at-sea-for-more-than-3-weeks
https://twitter.com/MaerskTankers/status/1302555042390704132?fbclid=IwAR2ECy9l4t3MXgn7ZGMHTmPRzKuME0BtZq1WAefeAKxegv1KXW2VuVYBqqs

Was ist aufgefallen?

Es wird eng“, denn „Zu viel ist zuviel“ – Nationalistische Kampfansagen der SVP und der AUNS
Auf dem Plakat, mit dem die SVP für die Annahme ihrer Begrenzungsinitiative wirbt, ist ein riesiger (europäischer) Hintern abgebildet, der eine kleine Schweiz platt macht. „Zuviel ist zuviel“ sollen logisch-denkende Nationalist*innen schlussfolgern und endlich aufrichtig zur Schweiz stehen. Ähnlich ist der Aussagewunsch der AUNS – der Aktion für eine unabhängige Schweiz: „Es wird eng!“ Auf ihrem Plakat sind zahlreiche amorph farblos dargestellte Europäer*innen zu sehen, die zwei farbig dargestellte – Herr und Frau Schweizer*in – den Platz strittig machen. Die beiden Plakate schaffen einen eindeutigen Unterschied zwischen Menschen, die Teil des nationalen Kollektivs seien und deren Schicksal schützenswert sei und jenen, die diesem nationalen Kollektiv „fremd“ sind und es bedrohen.
Eine ähnliche Symbolsprache setzt die SVP auch in einem Video ein, das sie für die Kampagne hat produzieren lassen. Ein junges Mädchen lobt im ersten Teil die ursprüngliche Schönheit der Natur und der Landschaften in der Schweiz. Sie naturalisiert auch einen scheinbaren Freiheitssinn der Schweizer*innen, schwärmt für kulturelle Errungenschaften, die frühere Generationen erkämpft hätten.
Für die SVP und die AUNS ist die Schweiz so etwas wie ein Kult, ein Fetisch. In ihrer ursprünglichen Form sei die Schweiz heilig oder rein. Wer Teil dieser kollektiven Identität ist, dürfe sich deshalb dankbar, auserwählt und Anderen sogar überlegen fühlen. Diese Fetischisierung der nationalen Identität lebt aber immer auch davon, dass sie die Nation als ständig bedroht begreift. Zum einen von den ‚Fremden‘ und zum anderen von Veränderung. Genau diese Bedrohungen prägen den zweiten Teil des SVP-Videos, in dem die Idylle der ursprünglichen Schweiz bedroht wird: Menschen von Aussen würden den Schweizer*innen die Arbeitsplätze wegschnappen, die Strassen verstopfen und die „eigenen“ Räume unsicher, eng und fremd machen. Veränderungen der „ursprünglichen Schweiz“ werden gleichgesetzt mit Identitätsverlust und alles, was als fremd identifiziert wird, muss abgewertet werden. Das Video endet wohl nicht zufällig mit einem kämpferischen Appell: „Ist es nicht langsam zu viel? Warum machen wir unsere Heimat kaputt? Jetzt ist der Moment um Stopp zu sagen. Ihr habt die Verantwortung für unsere Schweiz“.
Den gleichen Appell können wohl auch den meisten Betrachtenden der Plakate verstehen. Nationalist*innen sollen endlich die Kampfansage der „Fremden“ von Aussen begreifen und die Verteidigung der eigenen kollektiven Identität als ethische, existentielle und politische Aufgabe annehmen. Alle Menschen hätten den Auftrag, für den eigenen Raum zu kämpfen und sich den eigenen Platz in der „natürlichen“ Ordnung der Dinge zu erhalten oder wiederzuerlangen. Alle hätten die Aufgabe, die eigene kollektive Identität zu bewahren, ohne sich von „Fremden“ von Aussen unterjochen zu lassen.
Nächste Woche wollen wir analysieren, was die Gegner*innen der Initiative der nationalistischen Logik entgegensetzen.
https://www.svp.ch

https://auns.ch

https://www.cepag.be/sites/default/files/publications/08-05_-_nl_-_lextreme_droite.pdf

Neues juristisches Gutachten im Fall Oury Jalloh
Im Fall des ungeklärten Todes von Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle im Januar 2005 wurde ein weiteres juristisches Gutachten veröffentlicht. Dieses wurde in Auftrag gegeben, nachdem Sachsens Regierungskoalition aus CDU, SPD und Grünen einen öffentlich tagenden Untersuchungsausschuss abgelehnt hatte. Der weisse ehemalige Grünen-Abgeordnete Montag und der weisse ehemalige Generalstaatsanwalt Münchens Nötzel, hatten sich acht Monate mit dem Fall beschäftigt und legten einen 303 Seiten langen Bericht vor. Darin nehmen sie Bezug auf viele Rechtswidrigkeiten, die die weissen Polizeibeamt*innen im Zusammenhang mit Jallohs Inhaftierung begangen haben. Der Frage nach seinem Tod gehen sie jedoch nicht weiter nach. Für Jallohs Festnahme habe es keinen ersichtlichen Grund gegeben. Angebliche Probleme bei seiner Identitätsfeststellung erscheinen unglaubwürdig. Sog. ‚Zwangsmassnahmen’ gegen Jalloh, sowie die Blutabnahme seien Rechtsverstösse gewesen. Seine Inhaftierung geschah ohne richterlichen Beschluss. Seine Fixierung an der Pritsche verstiess gegen Grundrechte und er hätte zumindest permanent beobachtet werden müssen. Somit war so ziemlich jede Handlung vom Aufeinandertreffen Jallohs mit den Polizeibeamt*innen bis hin zu seinem Tod fehlerhaft und rechtswidrig. Für die Aufnahme eines weiteren Ermittlungsverfahrens sehen Montag und Nötzel jedoch keinen Grund. Nur ein Geständnis oder eine Zeug*innenaussage könnten jetzt noch weiter führen. Hinweise auf fingierte Beweismittel, Brandgutachten, die die These einer Selbstanzündung widerlegen, ein Gutachten, das mehrere Knochenbrüche Jallohs belegt und eingestellte Ermittlungsverfahren, die verdächtig erscheinen: sie reichen für die Gutachter nicht aus. Vielmehr stellen sie dem Bericht folgende Worte voran: „Er war kein besonders gesetzestreuer Mensch und hatte bereits mehrfach gegen Strafgesetze verstossen. Er konsumierte und handelte mit illegalen Drogen und war bereits mehrfach im polizeilichen Gewahrsam und in Untersuchungshaft eingesessen. Immer wieder, auch an seinem Todestag, war Ouri Jallow erheblich alkoholisiert.“ Was einer Verteidigung der Polizeibeamt*innen gleichkommt und die Frage aufwirft: wie unabhängig, unvoreingenommen und sich ihrer Vorurteile bewusst können Montag und Nötzel sein, wenn sie diese Sätze als Vorbemerkung für eine Untersuchung über den Tod eines Menschen in Polizeigewahrsam benutzen?
https://taz.de/Aufarbeitung-des-Falls-Oury-Jalloh/!5710603/
https://www.deutschlandfunk.de/tod-in-der-zelle-warum-der-fall-oury-jalloh-weiter.2897.de.html?dram:article_id=483204

Kopf der Woche Michael Marti

Kommentar – <strong>Maskenpflicht? </strong><strong>Wir schizophrenen  Schweizer</strong> | Tages-Anzeiger
«White Supremacy» im Tagesanzeiger

Der Chefredaktor vom Tages-Anzeiger Michael Marti schreibt einen Kommentar zum rassistischen Wandbild in der Schule Wylergut in Bern. Ein Mindestmass an Antira-Bildung wäre einem Chefredaktor zuzutrauen.
Marti ereifert sich in seinem Kommentar darüber, dass die drei rassistischen Darstellungen im ABC des Wandbildes mit schwarzer Farbe übermalt worden seien und selbst die rot-grüne Stadtregierung in Bern die «Wut» verstehe und diesen «Kunstfrevel» zulasse anstatt Anzeige gegen die unbekannten Täter*innen zu erheben. Er schreibt: «Bern zeigt der Schweiz derzeit in plastischer Weise, auf welche Irrwege ein Kreuzzug gegen vermeintlich rassistische Kunst führen kann. Der Stadtregierung und einer Entourage aus Rassismusexpertinnen, Kolonialismusforschern, Migrationspädagoginnen ist es gelungen, einen halben Quadratmeter Kunst am Bau – der in der Wahl seiner Sujets unbestritten nicht mehr in die Zeit passt, aber seit 1949 keinen nachgewiesenen Schaden angerichtet hat – als eine für die Bevölkerung akut gefährliche, hochtoxische rassistische Altlast zu dämonisieren.» Zusammengefasst erklärt der Chefredaktor damit: Das Kunstwerk sei nur vermeintlich rassistisch, es habe keinen nachgewiesenen Schaden angerichtet und es gelte, statt das Wandbild zu kritisieren, doch besser die Freveltat zu bestrafen. So viel weisse Überlegenheit in einem einzigen Zitat (der Kommentar bietet noch weitere Highlights in diese Richtung) ist fast nicht zu übertreffen: Erstens bestreitet Marti den Rassismus des Wandbildes. Zweitens konstatiert er als weisser Mann, dass niemand zu Schaden gekommen sei. Damit spricht er a) allgemein für andere Menschen, b) für alle, die direkt betroffen sind und c) aus einer Position als gehe ihn Rassismus nichts an. Drittens verlegt er die Debatte um das rassistische Wandbild nun auf die Bestrafung von Aktivist*innen, die sich gegen Rassismus einsetzen. Alle drei Handlungen von Marti sind klassisch in Verteidigung von rassistischen Vorgängen in dieser Welt. Marti, deshalb dauert die Bekämpfung des Rassismus so lange. Das Pünktchen auf dem i ist dann noch sein Vorschlag, man solle sich doch wichtigeren Rassismen zuwenden, «wie Polizeikontrollen, dem Rassismus in Stadtbehörden oder in den Medien.» Genau! An die Arbeit! ​​​​​​​
https://www.tagesanzeiger.ch/das-n-wort-an-der-wand-154998665073

Bild: https://images.app.goo.gl/dZJeGRS8bVpqVvvaA


Was war eher gut?

Kapitulation der rechtsextremen Gruppierung „Kalvin Patriote“ in Genf
Am 26. August hat die genfer identitäre Gruppierung „Kalvin Patriote“ auf Facebook ihre Selbstauflösung bekannt gegeben. Laut ihrem Communiqué interessieren sich die rechtsextremen Aktivist*innen nicht mehr für den „Krieg der Knöpfe“ (Anspielung auf einen französischen Film von 1962) gegen die „antifaschistischen Bürgersöhnchen“. In ihrem kurzen Communiqué erwähnen die Autor*innen auch die „immer gewichtigere Repression“, die zu „gerichtlichen Problemen“ geführt hat.
Die Antifaschistische Aktion Genf erklärt in einem Communiqué, dass die „Faschist*innen den Konsequenzen ihrer Provokationen und dem antifaschistischen Druck“ nicht die Stirn bieten konnten. Die Auflösung der Gruppierung soll als Sieg der gesamten antifaschistischen Bewegung in Genf erkannt werden. Dass Genf für faschistische Organisationen keinen fruchtbaren Boden bietet, zeigt sich an den sieben neofaschistischen Gruppierungen, die während der letzten 15 Jahre vergeblich versucht haben, sich in der Stadt zu etablieren.
Der antifaschistische Kampf in der Schweiz muss aber fortwähren: in der walliser Kleinstadt Aigle sind die Neonazis von „Résistance Hélvétique“ aktiv und organiseren in ihrem Lokal regelmässig Veranstaltungen. In Basel gehen die Prozesse gegen die Antifaschist*innen der PNOS-Gegendemo vom November 2018 weiter.
https://renverse.co/infos-locales/article/kalvingrad-patriote-capitule-2743

https://www.20min.ch/fr/story/les-identitaires-du-bout-du-lac-optent-pour-la-dissolution-745208382483

Was nun?
Das Rosengarten-Memorial zum Gedenken an George Floyd hat finanzielle Konsequenzen
Im Nachgang des Rosengarten-Memorials wurde die Person, die als Ansprechperson für die Polizei bestimmt wurde, mit einer Geldstrafe von CHF 750.- sowie einer Busse von 250.- und Gebühren von 500.- belegt. Da die Geldstrafe bedingt ausgesprochen wurde, belaufen sich die Kosten total auf 750.- (Busse und Gebühren). Uns ist es ein Anliegen, dass wir nun gemeinsam dafür Verantwortung übernehmen.
Wir rufen alle Menschen, die sich gegen Rassismus einsetzen möchten dazu auf, sich finanziell zu beteiligen. Insbesondere möchten wir weisse Menschen dazu auffordern, sich solidarisch zu zeigen.
Wichtig: Sollte mehr als die benötigte Summe gespendet werden, wird die Summe für Projekt der Allianz gegen Racial Profiling im Kampf gegen strukturellen Rassismus eingesetzt. Wir werden darüber transparent informieren.
https://wemakeit.com/projects/rosengarten-memorial-busse

Die Auffühung des Stücks «Benefiz – rette sich wer kann» in Chur verhindern
Das Stück «Benefiz – rette sich wer kann» möchte White Saviorism* kritisieren und verhandeln, reproduziert und verfestigt jedoch rassistische Stereotypen. In Basel wurde die Aufführung verhindert. In Chur ist dies jedoch nicht gelungen und es stehen ab 8. September zehn Aufführungen in der Klibühni an. Eine Gruppe hat einen Musterbrief für Beschwerden verfasst, welcher an die «Klibühni» (kontakt@klibuehni.ch) geschickt werden kann:
„In Basel artikulierten Schwarze Menschen und PoC* klar den Wunsch, dass das Satirestück «Benefiz – rette sich wer kann» nicht aufgeführt werden soll. Es reproduziert koloniale und rassistische Stereotypen. Das Eventlokal Klara in Basel hat reagiert und die Aufführung kurzerhand abgesagt. Das Stück nun in Chur auf der Klibühni trotzdem aufzuführen, ist ignorant und respektlos. Es darf nicht sein, dass weisse Menschen durch nicht Hinhören (white silence*), nicht Handeln und Schweigen einmal mehr auf ihren Privilegien sitzen bleiben und somit unglaublich viel Gewalt an BIPoC* ausüben.
Ein Satirestück von ausschliesslich weissen Menschen produziert und aufgeführt, in dem Kolonialrassismus und white saviorism auf ironische Art und Weise verhandelt wird, ist niemals das passende Format für eine kritische und konstruktive Auseinandersetzung. Der Inhalt des Stückes kann für Menschen mit Rassismuserfahrung verletzend und retraumatisierend sein, auch wenn das Stück «ironisch» und «sarkastisch» sein sollte. Wir fordern, dass dem Wunsch von BIPoC Folge geleistet und das Stück nicht aufgeführt wird.“
https://www.20min.ch/story/entwicklungshilfe-satire-provoziert-shitstorm-195707229095

Wo gabs Widerstand?

Geflüchtete Aktivist*innen übergeben Infodossier und Forderungskatalog an Parlamentarier*innen

https://migrant-solidarity-network.ch/wp-content/uploads/2020/09/heute-1-1024x768.jpeg

„Heute startet die Session des Schweizer Parlaments. Wir haben unsere Forderungen ins Parlament getragen und haben deshalb ein Dossier mit Informationen und Forderungen zusammengestellt. Dieses haben Aktivist*innen der Gruppen „Stop Isolation“ (Bern), Nothilfe ohne Zwang“ (Zürich), „Drei Rosen gegen Grenzen“ (Basel), „Poya solidaire“ (Freiburg) und Personen verschiedener weiteren Asyllager in der Schweiz an Parlamentarier*innen übergeben.“ Dossier: http://migrant-solidarity-network.ch/wp-content/uploads/2020/09/Dossier_schweizer_Asylsystem_online_db_num_com.pdf
https://migrant-solidarity-network.ch/2020/09/07/dossieruebergabe-an-parlamentarierinnen/
Bild: https://migrant-solidarity-network.ch/wp-content/uploads/2020/09/heute-1-1024×768.jpeg

Never Forget Alan Kurdi

Am 2. September 2020 jährte sich der Todestag von Alan Kurdi zum fünften Mal. Das Bild des ertrunkenen Jungen mit seiner blauen Hose und dem roten T-Shirt ging um die Welt. Die Seenotrettungsorganisation Sea-Eye benannte ihr Rettungsschiff nach dem Jungen. Alans Vater, Abdulla Kurdi, der beide Söhne und seine Frau verlor, sagte: “let these be the last to die, and let their death not be in vain.“ („Diese sollen die Letzten sein, die sterben, und ihr Tod soll nicht umsonst gewesen sein.“).
Fünf Jahre später sterben noch immer Menschen an den europäischen Grenzen. „Wir sagten ’nie wieder‘, und schaut, wo wir jetzt stehen.“ In mehreren deutschen Städten erinnerten Menschen am 02. September an den Tod der Familie Kurdi, der stellvertretend für so viele Todesfälle auf dem Mittelmeer steht. Rund 200 paar Schuhe und ein Schlauchboot standen beispielsweise auf dem Washingtonplatz in Berlin als Mahnmal für hunderte Menschen, die jährlich auf dem Mittelmeer ertrinken oder vermisst werden.
https://www.facebook.com/AegeanBoatReport/posts/911209759402129https://www.berlin.de/aktuelles/berlin/6281393-958092-tante-von-verstorbenem-fluechtlingsjunge.html?fbclid=IwAR14bY7GKpmIDFJAgshzl2ssILnaTxcGRdD6GtfYSSHGMtBGutAviZ7jIaM
https://sea-eye.org/ghalib-kurdi-ist-unser-neues-rettungsschiff/
Bild: https://www.berlin.de/aktuelles/berlin/6281393-958092-tante-von-verstorbenem-fluechtlingsjunge.html?fbclid=IwAR14bY7GKpmIDFJAgshzl2ssILnaTxcGRdD6GtfYSSHGMtBGutAviZ7jIaM

Warnschüsse gegen protestierende Migrant*innen in Bosnien
Im Asylcamp Lipa in der bosnischen Krajina protestierten rund tausend (geflüchtete) Migrant*innen. Sie wehren sich dadurch gegen die Schläge der Polizei. Die Mitarbeitenden der IOM, die nebst diesem alle sieben offiziellen Camps in Bosnien betreibt, zogen sich sofort zurück und liessen die bosnische Polizei mit ihren Methoden für Ruhe und Ordnung sorgen. Als Steine gegen die Polizei flogen, gab diese Warnschüsse in die Luft ab.
Nebst der Polizeigewalt prägt auch Corona den Alltag der Migrant*innen in Bosnien. Laut NoNameKitchen werden immer mehr Personen wegen neuer Corona-Massnahmen von den Camps ausgeschlossen. Auch Pushbacks von Kroatien nach Bosnien werden einfacher und das Einsperren von Menschen kann ohne grossen Aufwand als Quarantäne durchgehen.
https://www.facebook.com/NoNameKitchenBelgrade/posts/1063562207375396
https://www.infomigrants.net/en/post/26919/migrant-situation-volatile-in-bosnia-border-town

Was steht an?
Sende deinen Veranstaltungshinweis an antira@immerda.ch.

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

Selber schuld, wer bei «Onkel Dolf» an Adolf Hitler denkt
Ist die SVP rassistisch? Ach was! Eine kleine Übersicht über all die bedauerlichen «Missverständnisse» oder «Einzelfälle» der letzten Jahre.
https://www.republik.ch/2020/09/03/selber-schuld-wer-bei-onkel-dolf-an-adolf-hitler-denkt?fbclid=IwAR0yD1Q68O4V2dFTo3baoTewxIN5YuefovZwFi9KsRkYTxnFovI5javHFYY

Fünf Jahre Balkanroute, fünf Jahre Ankommen
Im Herbst 2015 machten sich über eine Million Menschen auf nach Europa. Über die Balkanroute flohen sie vor Krieg und Perspektivenlosigkeit. Sie hofften, Schutz zu finden, vielleicht sogar eine neue Heimat. Was ist aus den Menschen geworden? Wie haben sie die Gesellschaft in Deutschland verändert?
https://www.srf.ch/sendungen/kontext/fuenf-jahre-balkanroute-fuenf-jahre-ankommen

Six pivotal moments of the 2015 ‚migrant crisis‘
A tragic shipwreck in the Mediterranean, a lifeless boy on a beach, the fickleness of politicians, borders opening and shutting — these are some of the enduring images of the summer and fall 2015 in Europe in the context of migration. We look at six pivotal moments that have defined the so-called migrant crisis and have been engraved in our collective memory.
https://www.infomigrants.net/en/post/26973/six-pivotal-moments-of-the-2015-migrant-crisis

Raus aus der Hölle
Geflüchtete berichten von Camps in Libyen
Die Flüchtlingsroute über das Mittelmeer ist zum Massengrab geworden. Flüchtlinge, die nach Europa wollen, nehmen bei der Überfahrt tödliche Gefahren in Kauf. „SOS MEDITERRANEE“ und „Médecins Sans Frontières“ haben die „Ocean Viking“ gechartert.
https://www.zdf.de/politik/auslandsjournal/fluechtlinge-in-camps-in-libyen-vor-ueberfahrt-ueber-das-mittelmeer-100.html
https://www.srf.ch/sendungen/kontext/fuenf-jahre-balkanroute-fuenf-jahre-ankommen

Rassismus und Rechtsextremismus
Rassismus nur als Problem am rechten Rand zu verstehen, verkennt den Kern des Problems. Denn Rassismus ist ein weitverzweigtes gesellschaftliches Phänomen. Was wir als Gegenmittel wirklich brauchen, sind neue Formen der Teilhabe, meint Robin Celikates.
https://www.deutschlandfunkkultur.de/rassismus-und-rechtsextremismus-neue-formen-der.2162.de.html?dram%3Aarticle_id=483576&fbclid=IwAR2ECy9l4t3MXgn7ZGMHTmPRzKuME0BtZq1WAefeAKxegv1KXW2VuVYBqqs

Erklärfilm zum Ende des NSU-Prozesses
Der „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) ermordete zwischen 2000 und 2007 in Deutschland 10 Menschen, 9 davon aus rassistischen Motiven. Er verübte mindestens drei Sprengstoffanschläge. Die Opfer des NSU und ihre Angehörigen waren jahrelang rassistischen Anschuldigungen und Verdächtigungen ausgesetzt.
https://www.youtube.com/watch?v=NVn68zzzaTM&fbclid=IwAR2ECy9l4t3MXgn7ZGMHTmPRzKuME0BtZq1WAefeAKxegv1KXW2VuVYBqqs

Rassismus und Rechtsextremismus
Rassismus nur als Problem am rechten Rand zu verstehen, verkennt den Kern des Problems. Denn Rassismus ist ein weitverzweigtes gesellschaftliches Phänomen. Was wir als Gegenmittel wirklich brauchen, sind neue Formen der Teilhabe, meint Robin Celikates.
https://www.deutschlandfunkkultur.de/rassismus-und-rechtsextremismus-neue-formen-der.2162.de.html?dram%3Aarticle_id=483576&fbclid=IwAR2ECy9l4t3MXgn7ZGMHTmPRzKuME0BtZq1WAefeAKxegv1KXW2VuVYBqqs

Das Problem mit „Critical Whiteness“
Der Begriff Critical Whiteness entstammt der akademischen Industrie. Er kommt aus der Sparte eines universitären Feldes, das in den USA Ethnic Studies und in Europa oftmals Postcolonial Studies heißt. Warum gerade Critical Whiteness im deutschsprachigen Raum zum heißen Scheinanglizismus avancierte, während dieser Titel unter US-Aktivist_innen relativ unbekannt ist, kann ich nicht sagen. Bemerkenswert ist, dass dieser akademische Begriff der erste war, der nach Deutschland gelangte, um die Kritik des Weißseins zu fassen – und nicht Bezeichnungen, die in der antirassistischen Praxis der USA üblicher sind (wie etwa white privilege, white supremacy oder accountability) und die zugleich die Rolle von Weißen in antirassistischen Kämpfen beschreiben.
http://www.migrazine.at/artikel/das-problem-mit-critical-whiteness