Medienspiegel 12. August 2020

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++BERN
«Fast alle Leute sind traurig» – Rendez-vous
In Rückkehrzentren sind nur Menschen untergebracht, welche die Schweiz verlassen müssen. Ihr Asylgesuch wurde abgelehnt. Seit rund vier Wochen sind solche Rückkehrzentren im Kanton Bern in Betrieb. Vom ersten Tag an standen sie in der Kritik. Reportage über die Zustände in einem solchen Zentrum.
https://www.srf.ch/play/radio/rendez-vous/audio/fast-alle-leute-sind-traurig?id=991a7c7a-8123-4c02-baeb-6ffd774293ef



derbund.ch 12.08.2020

Abgewiesene Flüchtlinge: «Putzstreik» und Sabotageakte in Berner Rückkehrzentren

Im Kanton Bern werden neu alle abgewiesenen Flüchtlinge von der Firma ORS betreut. Es gibt Kritik an den Zuständen in den Unterkünften. Wie sieht es dort aus?

Andres Marti

Gegner nennen sie «Zermürbungslager» und «offene Gefängnisse» – die neuen Rückkehrzentren für abgewiesene Asylsuchende sind umstritten. Der zuständige Sicherheitsdirektor Philippe Müller (FDP) sagt zu den Vorwürfen: «Wer rechtskräftig weggewiesen ist und Nothilfe bezieht, muss gewisse Pflichten und Einschränkungen in Kauf nehmen.» Ein «menschenwürdiges Dasein» sei in den Rückkehrzentren aber jederzeit gewährleistet.

Wie ist die Situation wirklich? Der «Bund» hat sich selber ein Bild gemacht.

Kein Zutritt für Medien

Mehrere Anfragen für einen Besuch einer solchen Unterkunft wurden von den Behörden abgelehnt. Laut dem zuständigen Amt für Bevölkerungsdienste (Abev) sollen sich in den neu als Rückkehrzentrum betriebenen Unterkünften zuerst «die betriebsrelevanten Prozesse ungestört einspielen und sich insbesondere auch die Situation vor Ort beruhigen können».

Zudem lege man weiterhin grossen Wert auf die Umsetzung der Corona-Schutzmassnahmen. Auf weitere Anfragen und auf die Zusicherung, die Hygienemassnahmen bei einem Besuch zu beachten, ging das Abev nicht ein.

Vor dem Rückkehrzentrum in Aarwangen trifft der «Bund» den 19-jährigen Bewohner Saeed Farkhondeh zum Interview (lesen Sie an dieser Stelle: «Da rastet halt machmal jemand aus»). Der 19-jährige Iraner lebt seit sieben Jahren in der Schweiz, ist hier zur Schule gegangen und spricht Berndeutsch mit leichtem Akzent.

Seit Jahren wohnt Farkhondeh mit seinen Eltern und zwei Brüdern in der Unterkunft. Ursprünglich diente das Gebäude als Knabenheim. Danach betreute hier die Heilsarmee jahrelang abgewiesene Asylsuchende.

Nach dem Interview führt der junge Mann durch das Zentrum. Am Schalter, an dem sich Besucher anmelden müssen, sitzt niemand. Im Inneren des Zentrums begegnen uns nur wenige Menschen. Eine Maske trägt niemand. Wegen des Coronavirus dürfen die Küchen nur von zwei Personen gleichzeitig benutzt werden.

Toiletten ohne Klobrillen

Von aussen wie von innen macht das Rückkehrzentrum Aarwangen einen heruntergekommenen Eindruck. Vor allem die sanitären Anlagen sehen übel aus. Bei den verschmutzten Toiletten fehlen Klobrillen, die Duschböden sind mit Unrat übersät, die Lavabos verstopft. Eine WC-Anlage steht unter Wasser.

Im Zuge der Asylreform im Kanton Bern stach die Firma ORS bei der Neuvergabe der Betreuungsaufträge für abgewiesene Asylsuchende die Hilfswerke aus. Ihr Angebot war massiv billiger. Im Gegensatz zu Caritas und Heilsarmee sah das Angebot der ORS keinerlei Beschäftigungsmöglichkeiten für die Bewohner vor. Seit die Heilsarmee weg sei, gebe es nicht einmal mehr Internet, sagt Farkhondeh.

Bilder von verschmutzten Toiletten und Duschen gibt es nicht nur in Aarwangen. Auch im Containerdorf in Biel-Bözingen, wo die ORS ebenfalls ein Rückkehrzentrum betreibt, wird offenbar nicht geputzt, wie Bieler Medien berichteten.

Ein Grund ist die Tatsache, dass unter dem neuen Asylregime die Bewohner der Rückkehrzentren nicht mehr für Reinigungsarbeiten entschädigt werden. Früher erhielten sie dafür zwei bis drei Franken pro Stunde. Nun weigern sich viele, gratis zu putzen, weshalb die Rückkehrzentren zusehends vergammeln.

Offenbar werden auch Einrichtungen demoliert. In Aarwangen stellten die Behörden jedenfalls eine «Zunahme an Vandalismus» fest. «Nicht zum ersten Mal wurden WC-Deckel und andere sanitäre Einrichtungen mutwillig zerstört», schreibt das Abev dem «Bund» auf Anfrage. Auch von eingeschlagenen Fensterscheiben und aufgebrochenen Türen ist die Rede.

Doch nicht alles, was defekt ist, wurde mutwillig zerstört. Die ORS habe die Liegenschaft von der ehemaligen Betreiberin in einem «nicht optimalen Zustand» übernommen, schreibt die Medienstelle des Abev in Absprache mit der ORS. «Wo sinnvoll», würden die Mängel «zeitnah» behoben. Betrieb und Infrastruktur der Unterkunft seien aber bis zur Übernahme durch die ORS «nach unserem Kenntnisstand» nie beanstandet worden.

Konflikt um Präsenzpflicht

Derweil kommen die Zentren nicht zur Ruhe. Mit dem Putzstreik protestieren die Bewohner insbesondere gegen die verschärfte Anwesenheitspflicht. Diese wird von der ORS strikt kontrolliert und ist einschneidend: Wer nicht täglich und zu festgelegten Zeiten unterschreibt, wird umgehend von der Nothilfe ausgeschlossen.

Die Präsenzpflicht gilt auch an Wochenenden. Kritiker monieren, es sei gegen die Verfassung, das Recht auf Nothilfe an eine ständige Anwesenheitspflicht zu knüpfen. Wer nicht im Zentrum wohne, sei auch nicht von der Nothilfe abhängig, so das Argument der Regierung.

Nach Protesten wurden Mitte Juli die fixen Zeiten für das Unterschreiben an den Wochenenden um ein paar Stunden nach hinten verschoben. Die Behörden erhofften sich dadurch eine Beruhigung der Situation und «dass umgehend die Reinigungsarbeiten in den Zimmern und in den gemeinschaftlichen Räumen wieder aufgenommen werden», wie es in einem Brief des Abev an die Bewohner heisst.

Ab in die «Rückkehrklasse»

Weiterhin geputzt wird hingegen in den Familientrakten. In Aarwangen schrubbt eine alleinerziehende Mutter aus Äthiopien den Boden einer Küche. Sie habe Angst, dass der Dreck ihren Sohn krank mache, sagt die 35-Jährige, die laut eigenen Angaben seit über zehn Jahren in der Schweiz von der Nothilfe abhängig ist.

Die Frau macht einen verzweifelten Eindruck. Als sie von ihrem siebenjährigen Sohn erzählt, bricht sie in Tränen aus. Er habe Schwierigkeiten beim Lernen und könne immer noch nicht gut Deutsch sprechen. Die vielen verschiedenen Sprachen im Camp machten ihm zu schaffen. Nach Äthiopien könne sie nicht zurück.

Unter den 134 Bewohnerinnen und Bewohnern des Rückkehrzentrums befinden sich 34 Kinder. Sechs von ihnen werden nun seit kurzem innerhalb des Camps in einer speziellen «Rückkehrklasse» unterrichtet. Dies widerspreche dem Volksschulgesetz klar nicht, schreibt das Abev auf Anfrage. Das Gesetz enthält einen speziellen Artikel zu Rückkehrklassen.

800 Franken Busse

Im oberen Stock teilen sich zwei Familien die Dusche und das WC. Es ist eng und schäbig – aber sauber. Eine aus dem Iran geflüchtete Mutter klagt über Schlafprobleme. Sie finde einfach keine Ruhe. Einmal in der Woche gehe sie zum Psychiater, sagt sie.

Vor kurzem geriet ihr Mann in Bern in eine Polizeikontrolle. Auf dem Posten hätten ihn die Polizisten angeschrien und ihm 200 Franken Bargeld abgenommen. Der Strafbefehl lautet auf «Widerhandlung gegen das Ausländer- und Integrationsgesetz durch rechtswidrigen Aufenthalt». Für jeden illegalen Tag soll der 51-Jährige 10 Franken zahlen, insgesamt 720 Franken, hinzu kommt eine «Verbindungsbusse». Wie er die knapp 800 Franken bezahlen soll, weiss hier niemand, denn Erwerbsarbeit ist nicht gestattet.



Das Berner Nothilferegime

Seit dem 1. Juli ist im Kanton Bern die private Firma ORS allein für die Unterbringung der abgewiesenen Asylsuchenden zuständig. Auf Kantonsgebiet betreibt die börsenkotierte Firma aktuell vier Rückkehrzentren, darunter das ehemalige Knabenheim in Aarwangen. Insgesamt leben in Bern rund 700 «Ausreisepflichtige». In Obhut der ORS befinden sich derzeit rund 360. Hauptaufgabe der ORS ist die Ausrichtung der Nothilfe. Diese besteht laut Gesetz aus 8 Franken pro Tag, medizinischer Grundversorgung, Hygieneartikeln, Kleidungsstücken «bei dringendem und nachgewiesenem Bedarf» und der Unterbringung in einer Kollektivunterkunft. Abgewiesene Asylsuchende sollen bewusst nicht integriert werden. Sie dürfen weder arbeiten noch einen Deutschkurs besuchen oder an einem Beschäftigungsprogramm teilnehmen. (ama)
(https://www.derbund.ch/putzstreik-und-sabotageakte-in-berner-rueckkehrzentren-734846814531)



derbund.ch 12.08.2020

Nothilfe im Vergleich: Bern ist streng

Für abgewiesene Asylsuchende sind die Gesetzgebungen je nach Kanton unterschiedlich. In Bern und Zürich sind die Bestimmungen deutlich strikter als in Basel-Stadt.

Sven Niederhäuser

Abgewiesene Asylsuchende haben in der Schweiz ein Recht auf Nothilfe. Dieses wird in den Kantonen jedoch sehr unterschiedlich umgesetzt. Während Bern und Zürich ein harter Umgang mit Nothilfebezügern nachgesagt wird, schlägt der Kanton Basel-Stadt einen anderen Weg ein.

Die Unterkünfte

In Bern und Zürich gibt es je fünf Rückkehrzentren – sie alle werden von der Firma ORS betrieben. In den bernischen Einrichtungen leben momentan 356 abgewiesene Asylsuchende, in Zürich waren es Anfang April 624. Als Unterkünfte gelten in der Regel ehemalige Heime oder Container-Siedlungen. Im zürcherischen Urdorf befindet sich eine Unterkunft in einem unterirdischen Bunker.

Ganz anders in Basel-Stadt. Dort werden die abgewiesenen Asylsuchenden nicht von der Sicherheitsdirektion, sondern von der Sozialhilfe betreut. Momentan beziehen rund 110 Personen Nothilfe. Auf Rückkehrzentren wird gänzlich verzichtet. «Abgewiesene Asylsuchende in Nothilfe werden in Notschlafstellen untergebracht», sagt Renata Gäumann von der kantonalen Koordination Asyl- und Flüchtlingswesen. Laut Gäumann werden «besonders verletzliche Fälle» in den Wohnungen der rund 40 Asyl-Liegenschaften des Kantons einquartiert.

Das Geld

Nothilfebezügern wird in Basel-Stadt deutlich mehr ausbezahlt als in Bern oder Zürich. Am Rhein erhalten abgewiesene Asylsuchende zwölf Franken pro Tag. «Dazu gibt es Kostengutsprachen für die Notschlafstellen», sagt Gäumann. In Zürich müssen die Bezüger mit weniger auskommen. Personen über 18 Jahre erhalten 8.50 Franken. In Bern wird noch weniger Geld locker gemacht: Der Kanton zahlt 8 Franken.

In Zürich besteht die Möglichkeit, sich ein kleines Sackgeld zu verdienen, wenn beispielsweise beim Putzen geholfen wird. Diese gilt aber nur in gewissen Unterkünften, wie das Bündnis «Wo Unrecht zu Recht wird» festgestellt hat. Das Bündnis setzt sich für abgewiesene Asylsuchende ein. Diese Aussicht auf einen Zusatzverdienst fällt im Kanton Bern seit dem 1. Juli weg.

Anwesenheitskontrolle

In allen Kantonen gilt: Wer seine Anwesenheit nicht in regelmässigen Abständen nachweist, verliert das Anrecht auf finanzielle Unterstützung. In Zürich wird die Anwesenheit der abgewiesenen Asylsuchenden am strengsten kontrolliert. Laut «Wo Unrecht zu Recht wird» müssen die Bewohner der meisten Zürcher Rückkehrzentren jeden Tag morgens und abends eine Unterschrift leisten, auch am Wochenende. Wer eine Woche lang nicht unterschreibt, werde vom Zentrum abgemeldet und gelte als untergetaucht.

In Bern müssen die Personen jeden Morgen bestätigen, dass sie anwesend sind. Basel-Stadt kommt den abgewiesenen Asylsuchenden auch hier weitaus mehr entgegen. «Einmal pro Woche müssen Nothilfebeziehende beim Migrations- und Sozialamt vorsprechen», sagt Gäumann.

Beschäftigung

Abgewiesene Asylsuchende haben keinen Anspruch auf Sprachkurse oder sonstige Integrationsmassnahmen. So werden im Kanton Bern lediglich Aufgaben gegeben, die eine minimale Tagesstruktur erzeugen, zum Beispiel das Putzen. Die Sicherheitsdirektion schreibt dazu: «Da die Nothilfebeziehenden einem Arbeitsverbot unterliegen, werden keine gemeinnützigen Beschäftigungsprogramme angeboten.» In Zürich werden die abgewiesenen Asylsuchenden gänzlich sich selber überlassen.

In Basel-Stadt sieht dies anders aus. Abgewiesenen Asylsuchenden, die bereits länger als ein Jahr Nothilfe beziehen, werden Aktivitäten vorgeschlagen. «Sie dürfen sich für eine Teilnahme in einem Beschäftigungsprogramm der Sozialhilfe bewerben», sagt Gäumann. Dort würden sie etwa bei der Instandhaltung von Asylliegenschaften eingesetzt. «Auch gemeinnützige Arbeiten in der Stadtgärtnerei oder in einem Nähatelier für Frauen sind möglich.»

Schulbildung

Laut Gäumann haben Kinder in Rückkehrzentren ein Recht darauf, eine öffentliche Schule zu besuchen. «Der obligatorische Schulbesuch gilt für alle Kinder in der Schweiz, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus.» In fast allen Rückkehrzentren der drei Kantone wird dies befolgt. Nur in Bern gibt es eine Ausnahme. «In Aarwangen erfolgt die Einschulung im Rückkehrzentrum», schreibt die bernische Sicherheitsdirektion. Eine Sonderklausel im bernischen Volksschulgesetz ermöglicht dies.
(https://www.derbund.ch/bern-ist-streng-310774535664)



derbund.ch 12.08.2020

Interview mit Bewohner des Rückkehrzentrums: «Da rastet halt manchmal jemand aus»

Der Iraner Saeed Farkhondeh wohnt seit sieben Jahren mit seiner Familie in der Schweiz. Sein Asylgesuch wurde abgelehnt. Doch ausreisen will er nicht.

Andres Marti

Herr Farkhondeh, weshalb kehren Sie nicht in den Iran zurück?

Wie soll das gehen? Ich bin hier, seit ich 12 bin. Meine Eltern flüchteten aus dem Iran in die Schweiz. Ich habe nicht selber entschieden, hierherzukommen. Aber ich bin hier zur Schule gegangen und habe Deutsch gelernt. Alle meine Freunde wohnen hier. Ich kann nicht einfach in den Iran zurück. Ich kenne dort niemanden.

Sie wohnen mit Ihrer Familie im Rückkehrzentrum Aarwangen. Wie sieht der Alltag aus?

Meine beiden Brüder gehen noch zur Schule. Für mich und meine Eltern gibt es kaum etwas zu tun. Man steht auf, geht unterschreiben und erledigt seine Jöblis. Danach schaut man, wie man mit acht Franken pro Tag überlebt.

Haben Sie Hobbys?

Ich spiele Fussball beim FC Solothurn. Zum Glück werde ich vom Club unterstützt. Das Zugbillett fürs Training könnte ich mir nicht leisten.

Was ist mit Ihren Freunden?

Sie alle wohnen in Langenthal. Es ist schwierig, sie zu treffen. Der Zug kostet 5.60 Franken mit Halbtax. Da bleiben mir an einem Tag 2.40 Franken. Wie soll das gehen?

Übernachten Sie manchmal bei Bekannten ausserhalb des Zentrums?

Ich muss auch an Wochenenden täglich zu einer fixen Zeit unterschreiben. Das ist nicht normal. Kann ich nicht einmal eine Nacht woanders übernachten und meinen Kopf frei machen? Immer nur in diesem Loch zu sein, macht mich fertig. Aber wenn man nicht unterschreibt, wird man rausgeschmissen und erhält gar kein Geld mehr.

Wer nicht im Zentrum übernachtet, ist nicht auf Nothilfe angewiesen, sagt die Regierung.

Mit dem Geld kaufe ich mir Essen und Kleider. Nur weil ich bei Bekannten übernachte, heisst das nicht, dass ich kein Geld mehr brauche. Damit will man zusätzlichen Druck aufsetzen.

Wie ist das Zusammenleben mit den anderen Bewohnern des Zentrums?

Es ist schwierig. Viele Männer sind alleine und haben nichts zu tun. Wenn man mit fremden Leuten das Zimmer teilen muss, gibt es Stress. Du hast dein Bett, und einen Meter nebenan ist ein anderer. Da rastet manchmal jemand aus und macht etwas kaputt oder zückt ein Messer. Es gab auch Schlägereien.

Wie reagieren die Angestellten des Zentrums auf Konflikte?

In der Nacht ist im Zentrum nur eine Person von der ORS da. Was kann die alleine schon machen?

Wie ist das Putzen organisiert?

Früher haben wir etwas Geld dafür bekommen, jetzt nichts mehr. Viele weigern sich deshalb, zu putzen. Auch das führt oft zu Streit. Nervig ist auch, dass die ORS kaputte Sachen wochenlang nicht repariert.

Der Sicherheitsdirektor sagte, die Menschen in den Rückkehrzentren bekämen alles, was sie brauchen: Unterkunft, Kleider, medizinische Versorgung. Was sagen Sie dazu?

Muss ich mich auch noch bedanken, weil ich ein Dach über dem Kopf habe? Haben darauf nicht alle Menschen ein Anrecht? Was die Kleider angeht, so stimmt dies schlicht nicht. Von der ORS hat hier jedenfalls noch nie jemand Kleider erhalten.

Wie ist es um die medizinische Versorgung bestellt?

Wir bekommen nur ganz selten einen Termin beim Arzt. Es gibt zweimal pro Woche eine Sprechstunde. Wer Schmerzen hat, bekommt eine Tablette und muss bis zur nächsten Sprechstunde warten.



Stellungnahme zu den Vorwürfen

Im Rückkehrzentrum Aarwangen bemängeln die Bewohner beispielsweise den Zustand der sanitären Anlagen. Das Amt für Bevölkerungsdienste (Abev) schreibt, einzelne Bewohner weigerten sich, zu Sauberkeit und Ordnung beizutragen, jedoch würden infrastrukturelle Mängel «wo sinnvoll» behoben. Auch Asylsuchende in Bundeszentren müssten laut Gesetz «mitarbeiten und Unterkünfte reinigen», hält das Amt fest. Der Protest richte sich jedoch nicht gegen die ORS als Betreiberin, sondern gegen die geltenden Regeln für abgewiesene Asylsuchende. Das Verhältnis zwischen Bewohnern und Betreuern bezeichnet das Abev als «grundsätzlich gut.» Zur Bekleidung heisst es in der Stellungnahme, diese werde «bei Bedarf individuell» ausgehändigt. Auch die medizinische Versorgung der Bewohner sei «gewährleistet». Verschreibungspflichtige Medikamente dürften nicht abgegeben werden. Das Gesundheitspersonal nehme in den Sprechstunden eine erste Abschätzung vor, so das Abev. Bei Bedarf würden Termine bei Ärzten und in Spitälern vermittelt. (lok)
(https://www.derbund.ch/da-rastet-halt-manchmal-jemand-aus-448437291624)


+++AARGAU
Junger Flüchtling aus Afghanistan beeindruckt mit starkem Willen – nun startet er eine Lehre
Vor fünf Jahren flüchtete er aus Afghanistan. Diesen Montag begann Mojtaba Yadgari in Rekingen mit der Lehre zum Automobil-Assistenten.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/zurzach/junger-fluechtling-aus-afghanistan-beeindruckt-mit-starkem-willen-nun-startet-er-eine-lehre-138729351


+++DEUTSCHLAND
Flüchtlingsprogramme von Berlin und Thüringen: Seehofer sagte im Alleingang Nein zur Flüchtlingsaufnahme
Der Innenminister hat Berlin und Thüringen die Aufnahme zusätzlicher Geflüchteter verboten. Ohne die heikle Frage im Kabinett zu besprechen.
https://www.tagesspiegel.de/politik/fluechtlingsprogramme-von-berlin-und-thueringen-seehofer-sagte-im-alleingang-nein-zur-fluechtlingsaufnahme/26086236.html


+++GROSSBRITANNIEN
Migration über den Ärmelkanal: Notfalls soll die Royal Navy eingreifen
Die britische Politik fährt schweres rhetorisches Geschütz auf, weil gerade mehr Flüchtlinge über den Ärmelkanal kommen. Andere Länder in Europa leisten deutlich mehr.
https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-08/migration-aermelkanal-illegale-einwanderung-grossbritannien-frankreich-einsatz-militaer-fluechtlingspolitik/komplettansicht


+++FREIRÄUME
“Es ist der Traum von kollektiver Verantwortung füreinander”
Im Interview mit Telepolis äußern sich die Bewohner*innen der Liebig34 erstmals ausführlich. Liebig34 gilt als die zur Zeit militanteste linke Gruppe in Deutschland und definiert sich anarcha-queer-feministisch
https://www.heise.de/tp/features/Es-ist-der-Traum-von-kollektiver-Verantwortung-fuereinander-4868571.html


+++GASSE
Banden machen sich in Basel breit: 13 Bettler auf einem Kilometer
Seit Wochen ist Basel voll von osteuropäischen Bettlern – zum Ärger der Bevölkerung. Eine Recherche von 20 Minuten zeigt: Alle hundert Meter wird man in der Basler Innenstadt angebettelt. Bürgerliche fordern nun, dass die Aufhebung des Bettelverbots wieder rückgängig gemacht wird.
https://www.20min.ch/video/13-bettler-auf-einem-kilometer-540433657140


+++DROGENPOLITIK
Ja zu Cannabis-Studien
Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates (SGK-S) befürwortet die Einführung eines Experimentierartikels im Betäubungsmittelgesetz. Wie der Nationalrat gibt sie grünes Licht für befristete Studien über den Konsum von Cannabis zu Genusszwecken. Wenn möglich soll für die Studien biologisch angebauter Hanf aus der Schweiz genutzt werden.
https://www.parlament.ch/press-releases/Pages/mm-sgk-s-2020-08-12.aspx


+++KNAST
Interkantonales Gefängnis wäre nicht wirtschaftlich: St.GallerRegierung verzichtet auf Kooperation mit Glarus
Die Kantone St.Gallen und Glarus haben geprüft, ob sie eine gemeinsame Haftanstalt im Linthgebiet erstellen sollen. Dies als Ersatz für das Gefängnis in Uznach und für das Kantonsgefängnis in Glarus. Nun winkt der Kanton St.Gallen ab – unter anderem aus wirtschaftlichen Gründen. Die St.Galler Regierung will ihre Gefängnisstrategie bis auf Weiteres auf die Standorte Altstätten und St.Gallen fokussieren.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/interkantonales-gefaengnis-waere-nicht-wirtschaftlich-stgaller-regierung-verzichtet-auf-kooperation-mit-glarus-ld.1246153
-> https://www.toponline.ch/news/stgallen/detail/news/stgaller-regierung-will-kein-gemeinsames-gefaengnis-mit-glarus-00139852/


+++BIG BROTHER
Die Pandemie wird zur Gefahr für die persönlichen Daten
Automatisches Fiebermessen oder Kontaktdaten in Restaurants: Die Seuchenbekämpfung lässt uns den Datenschutz vergessen. Gefährlich ist, dass die zunehmende Überwachung ohne grundlegende Debatte geschieht.
https://www.nzz.ch/zuerich/meinung/die-corona-pandemie-laesst-uns-den-datenschutz-vergessen-ld.1570735?mktcid=smch&mktcval=twpost_2020-08-12


+++RECHTSEXTREMISMUS
EDA nimmt Stellung: Honorarkonsul entschuldigt sich für Hitler-Buch
Rolf Gfeller distanziert sich von rechtsextremem Gedankengut. Sein Interesse am Hitler-Buch «Mein Kampf» sei rein historisch.
https://www.bernerzeitung.ch/honorarkonsul-entschuldigt-sich-fuer-hitler-buch-629337086507
-> https://www.20min.ch/story/schweizer-honorarkonsul-entschuldigt-sich-fuer-hitlers-mein-kampf-im-regal-926470493594


Aktion in Winterthur: Polizei stellt Schusswaffen bei mutmasslichen Neo-Nazis sicher
In einer gezielten Aktion hat die Polizei mehrere Schusswaffen bei zwei jungen Männern sichergestellt.
https://www.landbote.ch/polizei-stellt-schusswaffen-bei-mutmasslichen-neo-nazis-sicher-813006715009
-> https://www.20min.ch/story/razzia-bei-zwei-19-jaehrigen-rechtsextremisten-in-winterthur-polizei-stellt-mehrere-schusswaffen-sicher-736444143848
-> https://www.toponline.ch/news/winterthur/detail/news/schusswaffen-bei-hausdurchsuchung-von-zwei-19-jaehrigen-in-winterthur-gefunden-00139848/
-> https://www.zh.ch/de/news-uebersicht/medienmitteilungen/2020/08/2008121m.html
-> https://www.nzz.ch/zuerich/razzia-in-winterthur-die-polizei-stellt-bei-mutmasslichen-rechtsextremen-mehrere-schusswaffen-sicher-ld.1571101
-> https://www.blick.ch/news/schweiz/zuerich/razzia-in-winterthur-polizei-beschlagnahmt-bei-zwei-neonazis-19-schusswaffen-id16039875.html



tagesanzeiger.ch 12.08.2020

Behörden schreiten ein: Neonazis aus Winterthur: Polizei stellt Waffen sicher

Bei zwei Hausdurchsuchungen in Winterthur fand die Polizei am Mittwoch mehrere Schusswaffen. Die Aktion steht im Zusammenhang mit der rechtsextremen Gruppe Eisenjugend.

Kevin Brühlmann

In Videos posieren sie schwer bewaffnet, und in verschlüsselten Chats fantasieren sie davon, die Gesellschaft ins Chaos zu stürzen. Die rechtsextreme Gruppe Eisenjugend aus Winterthur glaubt daran, nach dem Sieg eines «apokalyptischen Rassenkriegs» als weisse Elite zu herrschen.

Nun haben die Behörden offenbar gegen die Organisation durchgegriffen. Am Mittwochnachmittag, 12. August, machten die Zürcher Kantonspolizei und die Winterthurer Stadtpolizei zwei Hausdurchsuchungen in der Stadt Winterthur, wie es in einer Medienmitteilung heisst. Dabei beschlagnahmte die Polizei «mehrere Schusswaffen». Im Fokus waren zwei 19-Jährige, «die im Verdacht stehen, rechtsextremes Gedankengut zu pflegen und zu verbreiten».

Der eine ist mutmasslich jener Mann, der laut Recherchen des «Tages-Anzeigers» hinter der Eisenjugend steckt. Er studiert an der Zürcher Hochschule der Künste und wohnt bei seinen Eltern in Winterthur. War er vor einigen Jahren noch ein magerer Bub, so gleicht er heute einer Kampfmaschine, trainiert bis in die letzte Faser. Eigentlich wollte er Karriere beim Militär machen, als Fallschirmaufklärer. Er flog jedoch durch den Aufnahmekurs.

Ein Jugendfreund erzählt: «Er hat sich wirklich bös diszipliniert aufs Militär vorbereitet. Er hat die Ernährung umgestellt, hat trainiert wie wild und mit Schiessen begonnen. Dass er nicht aufgenommen wurde, hat ihn sicher getroffen.»

Der 19-Jährige bewahrte zahlreiche Waffen zuhause auf. «Er glaubt nicht ans System», erzählt der Jugendfreund weiter. «Alles sei korrupt, sagte er mir, und er wolle parat sein, wenn ‹es› komme. Um sich zu verteidigen. Er zeigte mir seine Waffensammlung. Eine Kalaschnikow, zwei Karabiner, zwei Pistolen. Auch Munition bewahrt er zu Hause auf. Alles legal, mit Waffenschein.»

Vor kurzem muss er zudem eine weitere halbautomatische Waffe gekauft haben, ein Trainingsgewehr vom Typ SIG-522. Das behauptet zumindest jemand mit seinem Pseudonym (das er auf rechtsradikalen Online-Plattformen verwendet) auf einer obskuren Webseite.

Kleine radikale Gruppe

Die Eisenjugend ist klein; sie umfasst vielleicht eine Handvoll junger Männer. Umso radikaler ist ihr Auftritt. Bis ins kleinste Detail gleicht sie der Atomwaffen Division, einer der gefährlichsten Neonazi-Gruppen der Gegenwart. Diese entstand um 2015 in den USA. Laut Medienberichten hat sie seither mindestens fünf Personen getötet.

Auf dem Nachrichtendienst Telegram las jemand von der Eisenjugend einmal vor: «Das ist unser Führer, Adolf Hitler. […] Im Kampf ums Dasein behauptet sich der, der aus irgendwelchen Gründen Lebensuntüchtigere in diesem Kampf ausmerzt.»

Die Kantonspolizei teilt mit, ihre Aktion sei das Resultat von Abklärungen gewesen, die sich über eine längere Zeit erstreckt hätten. Weitere Angaben zu ihrem zeitlichen oder taktischen Vorgehen macht sie nicht.
(https://www.tagesanzeiger.ch/polizei-stellt-waffen-sicher-434468760150)



tagesanzeiger.ch 12.08.2020

Eisenjugend aus Winterthur: Die Behörden schweigen zur schwer bewaffneten Neonazi-Zelle

Die rechtsextreme Gruppe Eisenjugend sehnt sich einen «Rassenkrieg» herbei. Was macht man mit diesen jungen Männern? Die Behörden tun sich schwer.

Kevin Brühlmann

Der Irrsinn scheint nicht zu stoppen. «Steig aus dem System aus», schreibt die Eisenjugend am Samstag, 8. August, auf dem Messenger-Dienst Telegram. «Werde das Gift aus deiner Familie los.»

Die rechtsextreme Gruppe aus Winterthur mag sich etwas unverständlich ausdrücken. In diesem Kontext kann sie jedoch nur eines meinen: Kämpfe weiter. Für Chaos. Für einen «apokalyptischen Rassenkrieg». Um eine Schweiz nur für Weisse zu erschaffen.

Der Telegram-Eintrag wird mit einem Ausschnitt aus einem Artikel des «Tages-Anzeigers» über die Eisenjugend ergänzt. Erschienen ein Tag zuvor.

Recherchen des TA zeigten, dass ein 19-jähriger Winterthurer einer der Köpfe hinter der Organisation ist. Er studiert an der Zürcher Hochschule der Künste, wohnt bei seinen Eltern und ist ein Waffennarr. Mehrere halbautomatische Gewehre lagern bei ihm zu Hause, auch Munition, und er ist in einem Schützenverein aktiv. «Er glaubt nicht ans System», erzählt ein Jugendfreund über ihn. «Alles sei korrupt, sagte er mir, und er wolle parat sein, wenn ‹es› komme. Um sich zu verteidigen.»

Eine Handvoll junger Männer

Bislang ist die Eisenjugend nicht gewalttätig geworden. Die Gruppe ist sehr klein. Sie umfasst vielleicht eine Handvoll junger Männer. Umso radikaler ist ihr Auftritt. In ihrem Telegram-Kanal lesen sie nationalsozialistische Propaganda vor – etwa über den Ausgang des «Rassenkriegs»: «Wir werden gewinnen. Wir werden wie unsere alten Götter des Donners und Blitzes sein.»

Die Eisenjugend ist seit Anfang 2020 aktiv. Sie ist die Schweizer Abteilung einer US-amerikanischen Jugendorganisation und gut mit dieser vernetzt. In Symbolik, Ideologie und Auftritt gleicht die Eisenjugend der Atomwaffen Division, einer der gefährlichsten Neonazi-Gruppen der Gegenwart. Diese stammt aus den USA und hat bisher mindestens fünf Menschen getötet.

Die Kunsthochschule, kurz ZHdK, hat mit einem internen E-Mail reagiert. Die ZHdK, schreibt der Rektor, nehme den Fall sehr ernst. «Wir dulden an unserer Hochschule keinen Rassismus, keinen Antisemitismus oder andere Diskriminierungen. Alle diesbezüglichen Informationen werden sorgfältig geprüft und die entsprechenden Handlungsoptionen geklärt.» Damit seien zum Beispiel «Integrations- und Disziplinarmassnahmen» gemeint.

Mario Fehr: keine Antwort – Nachrichtendienst: keine Auskunft

Bislang ungeklärt ist die Rolle der Behörden. Haben sie die Eisenjugend auf dem Schirm? Für wie gefährlich halten sie die Gruppe? Gibt es Pläne, gegen die jungen Männer vorzugehen, um möglicher Gewalt vorzubeugen? Und wie würden diese Pläne aussehen? Gut zureden? Repression? Aussteigerprogramme?

Bei den Behörden regiert das Schweigen. Der Zürcher Sicherheitsdirektor Mario Fehr, politischer Chef der Kantonspolizei, lässt die Fragen unbeantwortet. Der SP-Politiker reagiert weder auf Anfragen per E-Mail noch per Telefon oder SMS.

In Bern, beim Nachrichtendienst des Bundes, heisst es, man habe Kenntnis von der Organisation. Mehr möchte man nicht dazu sagen. Gemäss inoffiziellen Quellen wurden Personen aus dem Umfeld der Eisenjugend zu einer «Einvernahme als Auskunftsperson» vorgeladen. Um herauszufinden, wie gefährlich die Gruppe ist.

Es scheint dennoch, dass Winterthur selbst gefragt ist, vor allem die städtische Fachstelle für Extremismus und Gewaltprävention. Sie wurde 2016 gegründet – zur Zeit, als die An’Nur-Moschee Schlagzeilen als Rekrutierungszentrum für «Gotteskrieger» des Islamischen Staats machte (Lesen Sie hier unsere Recherchen zum Thema, etwa «Wie sich junge Muslime in Winterthur radikalisierten»).

Urs Allemann ist der Leiter und einzige Mitarbeiter der Fachstelle, mit einem Pensum von 80 Prozent. Er bestätigt, dass er im Fall der Eisenjugend involviert sei. Deshalb könne er sich nur allgemein äussern, nicht konkret über die Gruppe und ihre Mitglieder.

«Die Fachstelle steht allen Personen aus dem Umfeld für Beratungen zur Verfügung», sagt Allemann, «seien dies Familie, Schule oder Arbeitgeber, Vereine et cetera. Wir wissen, dass die Reaktion des direkten Umfeldes sehr oft entscheidend ist für Personen mit extremistischen Haltungen.»

Es gebe kein Patentrezept, um einen Neonazi wieder zurück ins Leben, in die Gesellschaft zu bringen, sagt er weiter. Laut ihm heisst das Zauberwort Perspektiven.

Allemann erklärt: «Ich gehe nach den bisherigen Praxiserfahrungen davon aus, dass der Hass nicht weggebracht werden kann, sondern vielmehr durch günstige Zukunftsperspektiven und mit einem alternativen Lebensumfeld ersetzt werden muss. Was es allerdings immer braucht: eine klare Haltung und Konsequenzen, falls die rote Linie – strafrechtliche Vorkommnisse, Selbst- oder Fremdgefährdung – überschritten wird.»

Er versichert: «Es läuft sehr viel im Hintergrund.»

In der Politik wird die Arbeit der Extremismusfachstelle geschätzt. Aber nicht alle sind beruhigt, wenn sie den Behörden zuhören. Der junge Winterthurer Gemeinderat Roman Hugentobler befürchtet, dass «Polizei und Nachrichtendienst auf dem rechten Auge blind sind». Der AL-Politiker hat deshalb schon Ende Juni einen Vorstoss eingereicht. Ausgehend von den Auftritten der Eisenjugend (und der befreundeten Gruppe Nationalistische Jugend Schweiz) fordert er Informationen von der Stadtregierung: Wie viele rechtsextreme Gruppen gibt es in Winterthur? Was unternimmt man dagegen? Noch steht die Antwort aus.

«Es ist so», sagt Hugentobler, «wenn die Eisenjugend anstatt ‹Rassenkrieg› das Wort ‹Jihad› verwenden würde, gäbe es wohl einen riesigen Aufschrei. Und Hausdurchsuchungen.»

«Diesen Extremismus darf man nicht tolerieren», sagt René Isler – er ist SVP-Kantonsrat aus Winterthur, wo er seit 38 Jahren für die Stadtpolizei arbeitet. Und er ist Vizepräsident der Kommission für Justiz und öffentliche Sicherheit. «Ich werde mich dafür einsetzen, dass wir in der Kommission Fakten bekommen: Was unternehmen die Behörden – speziell die Kantonspolizei? Wurde interveniert? Ich hoffe auf gute Antworten. Gegenüber solchen Gruppen dürfen wir keinen Milimeter nachgeben.»



Extremismus in Winterthur: Keine Zahlen zu Neonazis

Im eben erst erschienen Sicherheitsbericht der Stadt Winterthur fürs Jahr 2019 heisst es unter dem Schlagwort «Gewalttätiger Extremismus»: «Die Anzahl gewalttätiger Rechtsextremer bewegt sich auf tiefem Niveau.» 2019 seien sie in Winterthur kaum in Erscheinung getreten. «Die momentane Situation ist zwar ruhig, dies kann sich jedoch jederzeit ändern.» Es gebe allerdings Anzeichen eines «punktuellen Anstiegs» der rechtsextremen Szene. Zahlen werden keine genannt

Unter demselben Schlagwort ist die Rede von 30 bis 40 «gewaltbereiten Linksextremen» – wobei man hier einen feinen Unterschied macht: «gewaltbereit», nicht gewalttätig. Einzelne seien «sogar international vernetzt». Auch hier sei die Lage ruhig, was sich jedoch schnell ändern könne.

Der längste Abschnitt befasst sich mit dem Thema «religiöser Extremismus», das heisst mit «Jihadreisenden». Allgemein werde Winterthur als Hotspot für religiösen oder politisch motivierten Extremismus bezeichnet. Auch wenn die Berichterstattung über Jihadreisende «nicht mehr für so ein grosses Aufsehen» gesorgt habe. «Das Problem indes bleibt nüchterne Realität: Die Anhängerzahl extremer religiöser Ansichten nimmt tendenziell zu.» (kbr)
(https://www.tagesanzeiger.ch/die-eisenjugend-ist-weiter-aktiv-und-die-behoerden-schweigen-785018945372)


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Reichsbürger auf Corona-Demos: Sie meinen es ernst
Bei den Demos gegen Corona-Maßnahmen ist eine Reichsbürgergruppe aus Süddeutschland besonders aktiv. Sie will weitere Unterstützer ködern.
https://taz.de/Reichsbuerger-auf-Corona-Demos/!5706347/