Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel
+++BERN
«Als wäre ich in zwei Monaten tot»: Iranerin (22) soll trotz Todesdrohungen ausgeschafft werden
Die 22-jährige Arezu Eljasi und ihre Familie sind 2015 aus dem Iran in
die Schweiz geflohen. Nun sollen sie abgeschoben werden. Die kurdische
Aktivistin rechnet mit dem Schlimmsten.
https://www.20min.ch/story/iranerin-22-droht-trotz-todesdrohungen-die-ausschaffung-396962928639
-> Petition gegen Ausschaffung: https://act.campax.org/petitions/aus-schaffung-von-arezu-eljasi
Kündigung für 26 Personen: SAH Bern beendet Flüchtlingsprogramm
Das Schweizerische Arbeiterhilfswerk (SAH) Bern beendet sein Programm
für den Berufseinstieg von Flüchtlingen im Kanton Bern auf Ende Jahr.
https://www.bernerzeitung.ch/sah-bern-beendet-fluechtlingsprogramm-401825877915
+++SCHWEIZ
Rechtswidrige Ausschaffungshaft – RaBe-Info 16.06.2020
Ein brisantes Gerichtsurteil, frappante Unterschiede im Bezug auf Transparenz und übergrosse „Rüebli“ in den Supermärkten.
https://rabe.ch/2020/06/16/rechtswidrige-ausschaffungshaft/
Nationalrat fordert gerechtere Verteilung von Flüchtlingen
Der Bundesrat soll für eine gerechtere Verteilung von Flüchtlingen und
Migranten in Europa sorgen und sich für eine Verbesserung der Lage der
auf griechischen Inseln festsitzenden Menschen einsetzen. Auf EU-Ebene
soll er sich für eine Reform des Dublin-Abkommens stark machen.
https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2020/20200616125724371194158159041_bsd125.aspx
+++BALKANROUTE
Flüchtlinge in Bosnien: Vergessen auf der Balkanroute
Im bosnischen Bihac hausen Flüchtlinge im Wald – die Lager in der Region
sind voll. Corona ist nicht ihr größtes Problem: Sie kommen nicht
weiter und berichten von Misshandlungen durch die Polizei.
https://www.tagesschau.de/ausland/fluechtlinge-bihac-103.html
+++MITTELMEER
spiegel.de 16.06.2020
Augenzeugen und Videos belasten Küstenwache
Griechenland setzt offenbar Flüchtlinge auf dem Meer aus
Gemeinsame Recherchen von SPIEGEL, Report Mainz und Lighthouse Reports
zeigen: Die griechische Küstenwache greift Bootsflüchtlinge auf, setzt
sie auf Rettungsinseln, schleppt sie Richtung Türkei und überlässt sie
ihrem Schicksal. Was wissen deutsche Einsatzkräfte davon?
Von Giorgos Christides und Steffen Lüdke
Es sind nur noch wenige Kilometer bis Europa, so erinnert sich Amjad
Naim, als die Männer mit den Masken kommen. Am Morgen des 13. Mai sitzt
der Palästinenser auf einem Schlauchboot, in der Türkei hatte er den
Schlepper für die Überfahrt bezahlt. Naim kann die griechische Küste
schon sehen, jede Sekunde kommt sie ein Stück näher.
Mit Naim drängen sich mindestens 26 Flüchtlinge auf dem Boot. Die Insel
Samos haben sie fast erreicht. Naim, so erinnert er sich, hört einen
Helikopter. Dann bricht die Hölle über die Flüchtlinge herein, in den
nächsten Stunden werden die Menschen an Bord um ihr Leben bangen.
Die Männer mit den Masken hätten sich in einem großen Boot genähert,
sagt Naim. Er erinnert sich an die griechische Flagge und mehrere
Beiboote. Dann hätten die Maskierten angegriffen.
Die Männer hätten ins Wasser geschossen, mit einem Haken auf das Boot
eingeschlagen, den Motor zerstört und so das Boot gestoppt. Dann
schließlich hätten sie die Flüchtlinge an Bord genommen. Naim habe
geweint, so sagt er, und sein Handy in der Unterhose versteckt.
Es gibt Videos, die belegen, dass Naim wirklich auf dem Weg nach Samos
war. Die Bilder zeigen einen jungen Mann mit kurzgeschorenen Haaren und
glatt rasierten Wangen. Der Motor des kleinen Schlauchbootes dröhnt,
Naim lächelt in die Kamera. Ursprünglich kommt er aus dem
palästinensischen Gazastreifen. Dort hat er Jura studiert und
geheiratet, seine Frau wartet in den Niederlanden auf ihn. Naim wirft
einen Luftkuss in die Kamera.
Die nächsten Bilder, die es von Naim gibt, sind verwackelte Aufnahmen.
Naim filmt 55 Sekunden lang, sie sind die Dokumentation eines
Verbrechens. Die Bilder zeigen ihn und die anderen Flüchtlinge auf zwei
aufblasbaren Rettungsinseln. Die griechische Küstenwache hat die
Flüchtlinge ausgesetzt. Die quadratische Plattform wirkt wie ein
wackeliges Floß aus Gummi.
Ein griechisches Küstenwachenschiff, Typ Panther, 18 Meter lang, zieht
die Rettungsinseln Richtung Türkei. Ein weiteres Schiff begleitet die
Aktion. In Naims Rettungsinsel dringt Wasser ein.
Dann, so zeigt es das Video, löst die griechische Küstenwache das Tau.
Sie setzt die Flüchtlinge aus. Mitten auf dem Meer, in einer
manövrierunfähigen Rettungsinsel.
Naims Schicksal könnte theoretisch ein Einzelfall sein. Es wäre möglich,
dass griechische Küstenwächter die Nerven verloren haben oder dass er
an eine besonders brutale Crew geraten ist. Aber so ist es nicht. Naim
ist offenbar ein Opfer von vielen. Die Taktik hat System. Der SPIEGEL
hat in einer gemeinsamen Recherche mit den Teams von Lighthouse Reports
und Report Mainz Dutzende Videos forensisch analysiert, sie mit Geodaten
abgeglichen und dazu mit zahlreichen Augenzeugen gesprochen.
Das Material zeigt ohne Zweifel: In der östlichen Ägäis werden europäische Werte dem Grenzschutz geopfert.
Maskierte Männer, höchstwahrscheinlich griechische Grenzer, greifen dort
immer wieder Flüchtlingsboote an. In einem Fall vom 4. Juni lässt sich
das Schlauchboot der Maskierten zweifellos einem griechischem
Patrouillenboot zuordnen. Es gehört zum griechischen Küstenwachenschiff
ΛΣ-080.
Anschließend setzen offenbar griechische Küstenwächter die Geflüchteten
oft auf aufblasbare Rettungsinseln, schleppen sie Richtung Türkei und
überlassen sie ihrem Schicksal. Meist werden sie erst viele Stunden
später von der türkischen Küstenwache an Land gebracht.
Das Vorgehen der Griechen stellt eine Zäsur dar. Seit Langem ist
bekannt, dass die griechische Küstenwache Rettungen verzögert und
aggressive Manöver fährt. Nun aber riskiert sie offen das Leben von
Flüchtlingen. Sie benutzt Rettungsequipment, um Menschen in Gefahr zu
bringen.
Bilder von Migranten auf orangenen Rettungsinseln tauchen seit Wochen
auf Facebook und Instagram auf. NGO’s wie Aegean Boat Report, Josoor und
Alarm Phone sprechen mit den Flüchtlingen und berichten von ihren
Erfahrungen. Aktivisten haben seit Ende März zahlreiche Fälle
dokumentiert. Auch die türkische Küstenwache veröffentlicht Bilder von
den orangenen Plattformen. Doch Naims Video zeigt nun zweifelsfrei, wie
die griechische Küstenwache die Rettungsinseln Richtung Türkei zieht und
die Flüchtlinge auf dem Meer aussetzt.
Diese sogenannten Pushbacks verstoßen gegen Völkerrecht und die
EU-Grundrechtecharta. Schutzsuchende haben das Recht auf ein
individuelles Asylverfahren. Staaten dürfen sie nicht gegen ihren Willen
an einen Ort zurückbringen, an dem ihre Sicherheit nicht garantiert
ist.
Itamar Mann, Jurist an der Universität Haifa und Mitglied des „Global
Legal Action Network“, hält die Pushbacks auch strafrechtlich für
relevant. Rechtlich seien die Aktionen eine Art Folter, Flüchtlinge
würden unmenschlich behandelt und erniedrigt.
Die griechische Küstenwache bestreitet die Vorwürfe auf Anfrage. Die
Beamten würden keine Masken tragen. Man halte sich stets an geltendes
Recht. Die Verzögerungen bei den Rettungen würde die türkische
Küstenwache verursachen, sie begleite Flüchtlingsboote nur noch Richtung
Griechenland. Die griechischen Beamten würden die Flüchtlingsboote
lediglich orten und so schnell wie möglich die türkische Küstenwache
informieren.
Beim Vorfall vom 13. Mai habe man mit der türkischen Küstenwache
kooperiert. Auf das Video, das den Pushback zeigt, geht die griechische
Küstenwache in der Stellungnahme nicht ein.
Die Flüchtlinge werden zum Spielball
Premierminister Kyriakos Mitsotakis ist seit Juli 2019 im Amt. Seitdem
hat er viel dafür getan, dass weniger Flüchtlinge ins Land kommen.
Mitsotakis hatte das Recht auf Asyl zeitweise ausgesetzt. Er hat
Einspruchsfristen im Asylverfahren verkürzt. Unter Mitsotakis haben
Grenzer offenbar am Evros mit scharfer Munition geschossen und wohl
mindestens einen Migranten getötet. Seine Regierung überlegt,
Flüchtlingsboote mit Seebarrieren aufzuhalten.
Nun spricht sie beschwichtigend von „aktiver Überwachung“. Tatsächlich
setzt die griechische Küstenwache Flüchtlinge auf dem Meer aus.
Die neue Brutalität hat einen Grund: Seit Ende Februar halten türkische
Grenzer Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa nicht mehr auf. Präsident
Recep Tayyip Erdogan ließ Flüchtlinge gezielt an die griechische
Landgrenze fahren. Dort wurden sie von griechischen Grenzern
zurückgestoßen. Erdogan will die Europäische Union mit seiner Politik
unter Druck setzen. Brüssel und Ankara verhandeln derzeit über einen
neuen Flüchtlingsdeal.
In der Ägäis wiederholt sich nun das zynische Spiel. Türkische und
griechische Grenzer drängen Flüchtlingsboote in die Hoheitsgewässer des
jeweils anderen Landes; die Flüchtlinge werden zum Spielball in einem
Kräftemessen. Wer die Ägäis unter diesen Bedingungen überqueren will,
braucht Glück.
Als er am Morgen des 4. Juni auf einem Boot zwischen Lesbos und der
türkischen Küste treibt, hat Omar, ein junger Mann aus Afghanistan, die
Hoffnung auf dieses Glück fast schon aufgegeben. Omar heißt in
Wirklichkeit anders, mit ihm sind 31 Männer, Frauen und Kinder an Bord.
Türkische und griechische Boote drängen die Flüchtlinge immer wieder ab.
Auf einem Video ist wieder das Schlauchboot zu sehen, das zweifellos
der griechischen Küstenwache zugeordnet werden kann. Maskierte Männer,
sagt Omar, hätten ihren Motor ins Wasser gestoßen. Zwei Flüchtlinge
hängen deshalb am Heck des Schlauchbootes und strampeln, sie versuchen,
das Boot auf europäischen Boden zu bringen. Die Szene ist in einem Video
zu sehen.
Omar ist verzweifelt. Er macht noch ein letztes Video, postet es in
einer Flüchtlingsgruppe auf Facebook. Gute sechs Minuten spricht er in
die Kamera. „Bitte helft uns“, fleht er, „wir haben ein Recht zu leben.“
Vielleicht ist es dieses Video, das Omar das Leben gerettet hat.
Aktivisten teilen es auf Facebook. Wenig später erzählt ein türkischer
Verbindungsoffizier auf dem Einsatzgruppenversorger „Berlin“ deutschen
Soldaten von dem Seenotfall. Das Schiff liegt vor Lesbos, als Teil eines
Nato-Einsatzes. Mit einem Beiboot schleppen die Deutschen die
Flüchtlinge an Land.
Es habe Gefahr für Leib und Leben der Schiffbrüchigen bestanden, heißt
es später in einer Pressemitteilung der Bundeswehr. Deswegen habe der
Kommandant eingegriffen. Ein kleines, manövrierunfähiges Boot, mitten
auf dem Meer, das müsste den Soldaten zumindest merkwürdig vorkommen.
Von einem Angriff auf das Flüchtlingsboot ist in der Meldung nicht die
Rede.
Auch deutsche Beamte werden in das Chaos hineingezogen
Die Episode zeigt, wie tief auch deutsche Beamte in das Chaos in der
Ägäis hineingezogen werden. Sie wirft die Frage auf, ob auch sie von den
Angriffen und den Rettungsinseln wissen, ob auch Deutsche die Pushbacks
tolerieren oder sich womöglich gar daran beteiligen.
Knapp 600 europäische Grenzer helfen den Griechen bei der Überwachung
der Ägäis. Sie sind Teil der Frontex-Operation „Poseidon”. Und die
verläuft nicht immer konfliktfrei. Jüngst weigerte sich eine dänische
Frontex-Crew, einen illegalen Pushback durchzuführen.
Hinter verschlossenen Türen hat Frontex womöglich bereits zugegeben,
dass sie von der brutalen Taktik mit den Rettungsinseln weiß.
Frontex-Chef Fabrice Leggeri habe die Vorfälle bei einem Treffen mit ihm
bestätigt, sagt der SPD-Europaabgeordnete Dietmar Köster. Er sei sich
ganz sicher. Das sei ein Missverständnis, teilt Frontex hingegen mit.
Die Zentrale hätten keine Berichte über Pushbacks erreicht.
Luise Amtsberg, Sprecherin für Flüchtlingspolitik der Grünen, mag das
nicht glauben. Das Seegebiet um Samos sei sehr übersichtlich, sagt sie
Report Mainz und dem SPIEGEL. „Die Pushbacks können nicht komplett ohne
das Wissen der anderen Einsatzkräfte passieren.“
Es gibt in der Tat Hinweise darauf, dass auch deutsche Beamte von den
Pushbacks wissen könnten. Im Hafen von Samos liegt die „Uckermark“, ein
Schiff der deutschen Küstenwache. Am 13. Mai, als Amjad Naims Boot auf
Samos zuhält, entdecken die Deutschen ein Flüchtlingsboot auf ihrem
Radar. Das teilt die Bundespolizei auf Anfrage mit.
Aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich um Naims Boot. Nach allem,
was man weiß, hat an diesem Tag kein anderes Flüchtlingsboot Samos
angesteuert. Auch die griechische Küstenwache bestätigt, dass ein Schiff
und ein Helikopter der Deutschen an diesem Tag ein Boot gesichtet
hätten. Es habe sich zu diesem Zeitpunkt in türkischen Gewässern
befunden.
Über Funk alarmieren die Bundespolizisten die griechische Küstenwache.
Die habe den Einsatz vor Ort übernommen, heißt es in einem schriftlichen
Statement. An weiteren Maßnahmen seien deutsche Einsatzkräfte „nicht
beteiligt” gewesen. Von der Aktion mit den Rettungsinseln wisse man
nichts.
Warum an diesem Tag keine Flüchtlinge auf Samos ankamen, was mit den
gesichteten Flüchtlingen passiert sein soll, dazu sagt die griechische
Küstenwache nichts. Offenbar interessiert sie sich auch nicht dafür.
Selbst wenn die Frontex-Grenzer sich nicht aktiv an den Operationen
beteiligten, seien sie mitverantwortlich, sagt der Jurist Itamar Mann.
Frontex müsse eine rote Linie ziehen, sich zur Not auch aus dem Einsatz
zurückziehen.
Nachdem die Deutschen ihn offenbar gesichtet und die Griechen ihn
ausgesetzt haben, treibt Amjad Naim am 13. Mai stundenlang auf dem Meer.
Der Himmel ist fast wolkenfrei an diesem Tag, die Sonne brennt aufs
Wasser herab, so ist es auf den Videos zu sehen. Die Flüchtlinge haben
kein Essen und kein Wasser.
Die Rettungsinsel habe schnell begonnen, sich zu drehen, sagt Naim.
Einigen sei übel geworden, manche seien in Ohnmacht gefallen. Türkische
und griechische Schiffe hätten sie ignoriert. „Es war schrecklich“, sagt
Naim.
Erst Stunden später kommt die türkische Küstenwache und sammelt die
Flüchtlinge ein. Männer in weißen Schutzanzügen helfen den Flüchtlingen
von der Rettungsinsel, messen ihre Temperatur. Mehr als zwei Wochen lang
muss Naim in Quarantäne bleiben, in einem Lager voller Dreck und
Mücken, wie er sagt.
Inzwischen darf er sich frei in der Türkei bewegen, gefangen fühlt sich
Naim trotzdem. Er sagt: „Ich kann nicht vor und nicht zurück.“
(https://www.spiegel.de/politik/ausland/griechenland-setzt-offenbar-fluechtlinge-auf-dem-meer-aus-a-14b5cf26-df90-4838-83c0-f5a2d6bdd7b9)
–
Ausgesetzt in der Ägäis: Die griechische Küstenwache zieht Flüchtlinge
auf Rettungsinseln Richtung Türkei (Video via Aegean Boat Report)
https://cdnstatic.secure.spiegel.de/SP/2020/26/OPQWeKYm-32438806.mp4
-> https://www.tagesschau.de/investigativ/report-mainz/griechenland-kuestenwache-fluechtlinge-101.html
-> https://www.swr.de/report/brutales-vorgehen-gegen-fluechtlinge-wie-die-griechische-kuestenwache-menschen-in-seenot-bringt/-/id=233454/did=25275232/nid=233454/642jqs/index.html
-> https://apps.derstandard.at/privacywall/story/2000118120581/griechenland-setzt-offenbar-fluechtlinge-im-mittelmeer-aus?ref=rss
+++EUROPA
Illegalisierung der Opfer und Schüsse auf Helfer
Ausgeklügeltes System der EU hält Flüchtlinge von Europa fern. Seehofer
will es unter deutscher Ratspräsidentschaft »weiterentwickeln«
Die Bedingungen für Flüchtlinge haben sich zusehends verschlechtert –
nicht nur wegen Corona in den Einrichtungen. Die größere Abschreckung
organisiert die EU längst ohne Hilfe des Virus.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1137945.fluechtlingspolitik-illegalisierung-der-opfer-und-schuesse-auf-helfer.html
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
FDP und SVP kritisieren illegale Demonstrationen zu Corona-Zeiten
Die Wirtschaft und Kundgebungen würden zurzeit klar ungleich behandelt:
Die SVP fordert daher ein Ende aller Massnahmen bis Freitag, die FDP
kündigt eine Interpellation in beiden Räten an.
https://www.tagesanzeiger.ch/fdp-und-svp-kritisieren-illegale-demonstrationen-zu-corona-zeiten-651700726155
-> https://www.nzz.ch/schweiz/nach-den-grossen-demos-waechst-der-druck-auf-den-bundesrat-die-corona-regeln-schneller-zu-lockern-ld.1561511
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/play/radio/echo-der-zeit/audio/covid-verordnung-buergerliche-kritisieren-ungleichbehandlung?id=8f2509fe-ee74-4a09-bb0e-0671f27137fb
-> Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/tagesschau-vom-16-06-2020-hauptausgabe?id=53c2d8dd-f5e4-40e8-b1bc-7b95783874ec
-> https://www.tele1.ch/sendungen/1/Nachrichten#544994_4
-> 10vor10: https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/10vor10-vom-16-06-2020?id=fdbc3ea7-1f8f-4b3e-90d0-7931d1387da1
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/kritik-an-ungleichbehandlung-das-ist-anarchie-und-intolerabel
Coronaregeln an Kundgebungen – «Maskenpflicht statt einfach alle gewähren zu lassen»
Der KKJPD-Präsident will die maximale Teilnehmerzahl an Demonstrationen aufheben. Und fordert dafür eine Maskenpflicht.
https://www.srf.ch/news/schweiz/coronaregeln-an-kundgebungen-maskenpflicht-statt-einfach-alle-gewaehren-zu-lassen
-> https://www.watson.ch/schweiz/coronavirus/441939758-coronavirus-fallt-die-300er-versammlungs-grenze
-> https://www.luzernerzeitung.ch/schweiz/nach-antirassismus-demos-oberster-polizeidirektor-will-die-300er-grenze-bei-kundgebungen-aufheben-ld.1229333
Zürcher Regierungsrat Mario Fehr findet Gross-Demos unzulässig
Die Kritik an illegalen Demonstrationen zu Corona-Zeiten wächst. Der
SP-Regierungsrat Mario Fehr kritisiert die Versammlungen scharf – und
fordert Einheit.
https://www.nau.ch/politik/regional/zurcher-regierungsrat-mario-fehr-findet-gross-demos-unzulassig-65725223
Die Kritik an illegalen Demonstrationen zu Corona-Zeiten wächst
Trotz Corona-Pandemie kommt es immer wieder zu grossen Demonstrationen.
Das sorgt bei vielen politischen Akteuren wegen der Corona-Krise für
Unverständnis.
https://www.nau.ch/news/schweiz/die-kritik-an-illegalen-demonstrationen-zu-corona-zeiten-wachst-65725068
Der Unmut steigt, Parteien machen Druck: Corona-Regeln sollen sofort fallen
Die Corona-Regeln werden immer weniger eingehalten. Das zeigte sich bei
verschiedenen Demonstrationen am Wochenende. Der Unmut steigt. Und damit
auch der Druck auf den Bundesrat, rasch weitere Lockerungen zu
beschliessen. Die SVP will Einschränkungen sofort aufheben.
https://www.blick.ch/news/politik/der-unmut-steigt-parteien-machen-druck-corona-regeln-sollen-bald-fallen-id15939595.html
Deutliche Kritik am harten Polizeieinsatz zum Frauenstreik – Verhältnismässigkeit in Frage gestellt
Linke Politikerinnen werfen der Polizei Machtdemonstration und Unterdrückung vor.
https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/deutliche-kritik-am-harten-polizeieinsatz-zum-frauenstreik-verhaeltnismaessigkeit-in-frage-gestellt-138175597
Frauenstreik: Teilnehmende werfen Polizei sexuelle Belästigung vor
Es sind heftige Vorwürfe: Am Frauenstreik sollen Polizisten die Teilnehmenden sexuell belästigt, beleidigt und gedemütigt haben.
https://telebasel.ch/2020/06/16/frauenstreik-teilnehmende-werfen-polizei-sexuelle-belaestigung-vor
Grossrätin: «Die Polizisten waren respektlos zu uns»
Die Frauendemo am Sonntag endete handgreiflich. Basler Polizisten
führten eine Nationalrätin ab, die vermitteln wollte. Die Sache wird ein
Nachspiel haben.
https://telebasel.ch/2020/06/16/grossraetin-die-polizisten-waren-respektlos-zu-uns
Medienmitteilung zur Auflösung der unbewilligten Frauen*demo auf der Johanniterbrücke
Für die Grünen, das junge grüne bündnis, BastA!, die Juso, die
Demokratischen Jurist*innen Basel (DJS Basel) und Vertreter*innen der SP
ist klar: Das Vorgehen der Kantonspolizei bei der Auflösung der
unbewilligten Demonstration auf der Johanniterbrücke ist aufs Schärfste
zu verurteilen.
https://bs.juso.ch/category/medienmitteilungen/?fbclid=IwAR0MGRH-WAx4iJnQlCOfWm0JYvsqZicHmqVPNrWKannSt2webHAw453XqmQ
Exklusiv: Sibel Arslan spricht über Polizei-Abführung
Beim Frauenstreik in Basel führen Polizisten Sibel Arslan ab. Nun
äussert sich die grüne Nationalrätin erstmals zum Skandal. Sie spricht
von einem «Übergriff».
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/exklusiv-grunen-arslan-spricht-uber-polizei-abfuhrung-65725022
Fürchtet die Luzerner Polizei: Rassismusvorwürfe? Polizeisprecher: «Ein
Auflösen der Demonstration wäre unverhältnismässig gewesen»
Ein Zuger Polizeioffizier befürchtet, dass die
Black-Lives-Matter-Bewegung Polizeiarbeit erschwert. Die Luzerner
Polizei schätzt die Situation anders ein.
https://www.zentralplus.ch/polizeisprecher-ein-aufloesen-der-demonstration-waere-unverhaeltnismaessig-gewesen-1819579/
Demonstrant: Darum hab ich Zürcher Polizisten beschützt
Bei der Anti-Rassismus-Demo in Zürich wurden am Samstag Polizisten
angegriffen. Demonstranten stellten sich dabei vor die Beamten. Einer
redet jetzt bei Nau.ch.
https://www.nau.ch/news/schweiz/demonstrant-darum-hab-ich-zurcher-polizisten-beschutzt-65724885
St.Galler Polizeidirektor wehrt sich gegen Vorwürfe
In einem Zeitungs-Interview hat sich der St.Galler Polizeidirektor Fredy
Fässler erfreut gezeigt, dass Menschen wieder auf die Strasse gehen
können, um zu demonstrieren. Dafür hagelte es Kritik seitens der
St.Galler SVP. Nun meldet sich Fässler erneut zu Wort und wehrt sich
gegen die Vorwürfe.
https://www.toponline.ch/news/stgallen/detail/news/stgaller-polizeidirektor-wehrt-sich-gegen-vorwuerfe-00136337/
-> https://www.dieostschweiz.ch/artikel/fredy-faessler-erklaert-sich-dYv78wb
-> https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/das-tut-mir-leid-der-stgaller-sicherheitsdirektor-fredy-faessler-reagiert-auf-massive-kritik-an-seinen-aussagen-zu-demonstrationen-ld.1229466
+++KNAST
Justizvollzug: Neuerungen in der JVA Thorberg und im Amt für Justizvollzug
In den ersten Monaten als Thorberg-Direktor hat Hans-Rudolf Schwarz die
Neuausrichtung der Justizvollzugsanstalt erarbeitet. Hauptstossrichtung
ist ein «Justizvollzug nach Mass», der noch gezielter auf die
individuellen Ressourcen der Eingewiesenen fokussiert. Auf Kurs ist auch
die organisatorische Weiterentwicklung des Amtes für Justizvollzug, das
die Arbeiten trotz der Corona-Krise weiter vorantreiben konnte.
https://www.be.ch/portal/de/index/mediencenter/medienmitteilungen.meldungNeu.mm.html/portal/de/meldungen/mm/2020/06/20200615_1508_neuerungen_in_derjvathorbergundimamtfuerjustizvollzug
-> https://www.srf.ch/news/regional/bern-freiburg-wallis/berner-justizvollzug-neue-strukturen-sollen-ruhe-auf-den-thorberg-bringen
-> https://www.derbund.ch/justizvollzug-nach-mass-auf-dem-thorberg-915910535125
-> https://www.bernerzeitung.ch/neuer-thorberg-direktor-will-justizvollzug-nach-mass-397027594220
-> https://www.bielertagblatt.ch/nachrichten/kanton-bern/neuerungen-der-jva-thorberg-und-im-amt-fuer-justizvollzug
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/neuer-direktor-modernisiert-strafvollzug-auf-dem-thorberg-65725307
-> Schweiz Aktuell: https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/schweiz-aktuell-vom-16-06-2020-1900?id=eae52447-eb69-4384-b15d-4b0e22dd953b
-> Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/tagesschau-vom-16-06-2020-hauptausgabe?id=53c2d8dd-f5e4-40e8-b1bc-7b95783874ec
-> https://www.telebaern.tv/telebaern-news/-justizvollzug-nach-mass-strafanstalt-thorberg-mit-neuem-konzept-138186877
—
bernerzeitung.ch 16.06.2020
Pläne des neuen Direktors: So soll auf dem Thorberg Ruhe einkehren
In den letzten Jahren herrschte in der Justizvollzugsanstalt in
Krauchthal Unruhe. Jetzt kommt eine weitere Reorganisation – unter
anderen Vorzeichen.
Marius Aschwanden
Für einmal vertraten sich im vergitterten Spazierhof des Thorbergs am
Dienstagmorgen keine Häftlinge die Füsse, sondern hohe Gäste aus Bern.
Der kantonale Sicherheitsdirektor Philippe Müller (FDP) bemühte sich mit
seiner Entourage hinauf auf die Felsnase in Krauchthal, wo jenes
Gefängnis steht, das dem Regierungsrat in den letzten Jahren wohl am
meisten Sorgen bereitet hat.
Als Müller (FDP) seinen Posten als Sicherheitsdirektor 2018 übernommen
hat, rumorte es auf dem Thorberg seit Jahren. Anstaltsdirektor Thomas
Egger hatte eine interne Reorganisation durchgesetzt, die das Verhältnis
zwischen ihm und seinen Angestellten stark belastete. Letztere gaben
ihrem Chef in einer Umfrage in diversen Bereichen denn auch
unterirdische Noten.
Thomas Freytag, der Leiter des zuständigen Amts für Justizvollzug (AJV),
trat zudem Mitte 2018 zurück. Ein paar Monate später förderte eine
Sonderprüfung der Finanzkontrolle gravierende Mängel zutage. So wurden
etwa die Aufsicht und die Führung des AJV im Zusammenhang mit dem
Thorberg als «ungenügend» bezeichnet.
Müller zögerte nicht lange. Kurzerhand organisierte er das AJV unter der
neuen Leiterin Romilda Stämpfli neu und ersetzte Thorberg-Direktor
Egger mit Hans-Rudolf Schwarz, der zuvor die Justizvollzugsanstalt
Witzwil geleitet hatte. Am Dienstag nun trat der Sicherheitsdirektor
unter den Gittern des Spazierhofs vor die Medien und erklärte, wie das
Gefängnis in Krauchthal definitiv in ruhigere Zeiten geführt werden
soll.
Folgende vier Baustellen müssen angegangen werden.
1 Vom «Massenvollzug» zum «Vollzug nach Mass»
Auf dem Thorberg sitzen teilweise Männer, die schwerste Verbrechen
begangen haben. Mord, Raub, Vergewaltigung. Entsprechend muss davon
ausgegangen werden, dass bei manchen der 180 Insassen Flucht- und
Rückfallgefahr besteht. Deshalb stand die Gewährleistung der Sicherheit
in der Vergangenheit an erster Stelle.
Das werde auch in Zukunft so sein. Doch in einem modernen Strafvollzug
müsse ebenfalls in die Gefangenen investiert werden, sagte Philippe
Müller. «Werden sie nach der Entlassung erfolgreich resozialisiert, ist
das auch sicherer für die Gesellschaft.» Quasi eine Art «Return on
investment», wie der Sicherheitsdirektor sagte.
Von diesem Ansatz, der eigentlich seit Jahren im Strafgesetzbuch
verankert ist, ist auch der neue Thorberg-Direktor Hans-Rudolf Schwarz
überzeugt. Nachdem er sein Amt Anfang Jahr angetreten hat, nahm er eine
eingehende Analyse der Situation vor und kam bereits im Februar zum
Schluss: Es muss klarer werden, wofür die Anstalt überhaupt steht. Am
Dienstag wurde Schwarz konkreter. Der Thorberg soll weg vom
«Massenvollzug» hin zum «Vollzug nach Mass». Denn schon nur rein
räumlich gesehen seien der Anstalt auf der Felsnase enge Grenzen
gesetzt.
Um dieses Konzept umzusetzen, wird eine Eintrittsabteilung geschaffen,
wo in den ersten ein bis zwei Wochen Stärken und Defizite des
Eingewiesenen abgeklärt würden. «So lernen wir die Gefangenen innert
kürzester Zeit kennen», sagte Schwarz. Auf dieser Basis würden dann
individuelle Ziele festgelegt. Betreut werden die Insassen dann neu
durch vier interdisziplinäre Teams bestehend aus Betreuungspersonen,
Arbeitsmeister, Psychologen und Sozialarbeitern.
Wie viele Ressourcen für einen Gefangenen aufgewendet werden, hängt dann
auch von dessen Bereitschaft mitzumachen ab. «Es wird nicht mehr jeder
gleich viel Aufmerksamkeit bekommen», so Schwarz. Schliesslich seien die
finanziellen Ressourcen im Strafvollzug knapp. Die Neuausrichtung führe
höchstens minim zu weniger Plätzen und sei nicht teurer als der
bisherige Massenvollzug.
2 Einbezug des Personals
Direktor Schwarz musste es an der Medienkonferenz selber sagen: «Wenn
die Angestellten ein Wort nicht mehr hören können, dann ist es
‹Reorganisation›.» Und doch steht ihnen nun erneut eine solche bevor.
«Ich spreche lieber von einer Neuausrichtung», präzisierte Schwarz. Aber
ja, es werde Veränderungen für die Mitarbeiter geben. So müsse nun etwa
abgeklärt werden, wer in der künftigen Organisation wohin passe und wo
es Weiterbildungen brauche.
Trotzdem ist er guter Dinge. Denn schon heute könne er sagen, dass der
Graben zwischen der Geschäftsleitung und den Mitarbeitenden, der sich in
den letzten Jahren aufgetan hat, bereits wieder zugeschüttet worden
sei. So hat Schwarz einerseits die Geschäftsleitung vergrössert,
andererseits Gespräche mit allen 128 Mitarbeitern geführt. Dabei seien
zwei Dinge herausgekommen, die sich das Personal wünsche: «Klarheit beim
Auftrag und eine neue Identität.» Beides soll die Neuausrichtung mit
sich bringen. Zudem sei für die Mitarbeiter zentral, dass es sich dabei
nicht um eine Sparübung handle. «Ich kann alle Leute behalten und die
Schlüsselpositionen sogar noch verstärken», sagt Schwarz.
Bereits ruhiger geworden ist es laut dem Direktor auch im
Sicherheitsdienst, bei dem die Probleme in der Vergangenheit besonders
gross waren. Dieser sei reorganisiert und professionalisiert worden.
Zudem wird er künftig direkt Schwarz unterstellt sein. Das sei aber kein
Misstrauensvotum, im Gegenteil. «Wir haben aktuell acht Insassen, die
den Thorberg nie mehr verlassen werden. Die damit verbundene
Verantwortung für den Sicherheitsdienst will ich mitragen», sagt er.
Dass auf dem Thorberg ein guter Weg eingeschlagen wurde, glaubt auch
Daniel Wyrsch, Geschäftsleiter des bernischen Staatspersonalverbands. Er
hielt in der Vergangenheit mit Kritik an der Gefängnisführung nicht
zurück. Heute sagt Wyrsch: «Es läuft tatsächlich besser.» Er befürwortet
insbesondere den partnerschaftlichen Ansatz von Schwarz. «Die
Mitarbeiter werden miteinbezogen. Klar ist aber, dass die Veränderungen
auch manchen Angst bereiten», so Wyrsch. Dem müsse man Rechnung tragen.
3 Reorganisation des zuständigen Amts
Als Romilda Stämpfli Anfang des letzten Jahres die Leitung des Amts für
Justizvollzug übernahm, stand dieses vor einem Reformprozess. In
Anbetracht der Vorwürfe, welche die Finanzkontrolle an die Adresse des
vorangehenden Amtschefs geäussert hatte, wollte Regierungsrat Müller
vorwärtsmachen. Er verkleinerte die Geschäftsleitung und verordnete eine
Vereinheitlichung von Prozessen beim Personal, bei den Finanzen und der
Informatik.
Diese Arbeiten voranzutreiben, ist Stämpflis Aufgabe. Als nächster
Schritt ist geplant, im Rahmen einer Pilotphase die bisher in der
Justizvollzugsanstalt Thorberg geführten Bereiche Finanzen und
Personaladministration in die Zentrale des Amts zu integrieren. «So kann
sich der Direktor auf die Kernaufgaben vor Ort fokussieren, und wir
können die Effizienz steigern», sagt Stämpfli. Wenn sich das Modell
bewährt, soll es auf die anderen Anstalten ausgedehnt werden.
Philippe Müller zeigte sich am Dienstagmorgen überzeugt, dass auch das
AJV auf dem richtigen Weg ist. «Vor zwei Jahren war die Situation sehr
schwierig. Dank den damaligen Entscheiden konnten wir aber eine gute
Entwicklung anstossen.»
4 Unsichere Zukunft des Gefängnisses
Während mit der Neuausrichtung klar ist, wie es in den nächsten Jahren
mit dem Thorberg weitergeht, bleibt die längerfristige Zukunft nach wie
vor offen. Als Sicherheitsdirektor Philippe Müller 2019 im Rahmen einer
Gesamtstrategie bekannt gab, wie er den Justizvollzug im Kanton erneuern
will, sagte er auch, dass eine Schliessung des Thorbergs eine Option
sei. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Es dauert allerdings noch
lange, bis ein Entscheid gefällt wird. Laut Müller ist ein solcher
nicht vor 2032 zu erwarten.
Dannzumal sollte das geplante neue Gefängnis mit 250 Plätzen im Seeland
oder im Berner Jura gebaut sein. Dieses ist allerdings kein Ersatz für
jenes in Krauchthal. Trotzdem haben diese neue Justizvollzugsanstalt
sowie die weitere Bedarfsplanung des Strafvollzugskonkordats der
Nordwest- und Innerschweiz, zu dem Bern gehört, einen Einfluss auf die
Zukunft des Thorbergs. «Es sind verschiedenste Szenarien denkbar, die
sich erst in den nächsten Jahren konkretisieren werden», so Müller.
Mit dieser Unsicherheit müssen die Angestellten umgehen können. Laut
Direktor Schwarz ist das aber nichts Neues. Denn bereits 1914 sei im
Grossen Rat über eine Schliessung des Thorbergs diskutiert worden.
Damals habe man sogar bereits begonnen, die Anstalt nach Witzwil zu
verlegen. Erst 1938 sei dieses Projekt gestoppt worden. «Jetzt ist diese
Diskussion wieder angelaufen. Doch damit können wir leben», ist Schwarz
überzeugt.
(https://www.bernerzeitung.ch/so-soll-auf-dem-thorberg-ruhe-einkehren-703351952088)
+++ANTITERRORSTAAT
Heftige DiskussionNationalrat heisst neue Terrorismus-Strafnorm gut
Die Terrorismus-Gesetzgebung stiess im Nationalrat auf Kritik. Die
Grünen und die SP warnten vor Rechtsunsicherheit und einer Gefahr für
die Grundrechte.
https://www.derbund.ch/linke-sieht-in-neuer-terror-strafnorm-gefahr-fuer-den-rechtsstaat-338259661896
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/verschaerfte-strafnormen-laengere-haft-bei-beteiligung-an-terroristischen-organisationen
Linke sieht in neuer Terror-Strafnorm Gefahr für den Rechtsstaat
Die neue Terrorismus-Gesetzgebung stösst im Nationalrat auf heftige
Kritik. Die Linke warnt vor Rechtsunsicherheit und einer Gefahr für die
Grundrechte.
https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2020/20200616103958346194158159041_bsd073.aspx
-> https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2020/20200616101522870194158159041_bsd068.aspx
-> https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2020/20200616083952276194158159041_bsd036.aspx
+++BIG BROTHER
Kritik an Bewegungsdaten-Speicherung: Norwegen stoppt Corona-App
Nach Kritik von Amnesty International löscht Norwegen die Daten seiner
Corona-App. Die NGO hatte „gravierende“ Menschenrechtsverstöße
angemahnt.
https://taz.de/Kritik-an-Bewegungsdaten-Speicherung/!5692966/
Amnesty findet gravierende Verstösse bei Anwendungen in Nahost, Nordafrika und Europa
Experten von Amnesty International haben Tracing-Apps in elf Ländern im
Nahen Osten, in Nordafrika und Europa analysiert. Das Ergebnis: Einige
Apps führen zu gravierenden Verstössen gegen Menschenrechte. Die
invasivsten Apps sind in Bahrain, Kuwait und Norwegen zu finden.
https://www.amnesty.ch/de/themen/coronavirus/dok/2020/corona-tracing-apps-amnesty-findet-gravierende-verstoesse-bei-anwendungen-in-nahost-nordafrika-und-europa
-> https://netzpolitik.org/2020/grosse-missstaende-bei-internationalen-corona-tracing-apps/
-> https://www.derstandard.at/story/2000118109158/amnesty-warnt-vor-corona-apps-in-bahrain-kuwait-und-norwegen?ref=rss
Proteste gegen Polizeigewalt: Polizeibehörden in den USA können mit Gesichtserkennung Protestierende identifizieren
Viele US-Städte setzen eine Überwachungstechnologie der Canon-Tochter
BriefCam ein. Diese kann einzelne Personen anhand ihres Gesichtes
erkennen und verfolgen – auch in der Masse einer Demonstrationen.
https://netzpolitik.org/2020/briefcam-dutzende-staedte-in-den-usa-haben-gesichtserkennung-fuer-demonstrationen/
+++POLIZEI CH
DER HÖCHSTE POLIZIST STEFAN BLÄTTLER WEIST RASSISMUSVORWÜRFE ZURÜCK: «BEI DUNKLER HAUTFARBE SIND WIR EHER ZURÜCKHALTEND»
Während den Anti-Rassismus-Demonstrationen vom Wochenende geriet auch
die Polizei in die Kritik. Jetzt erklärt der oberste Polizist der
Schweiz das Vorgehen.
https://www.blick.ch/news/politik/der-hoechste-polizist-stefan-blaettler-weist-rassismusvorwuerfe-zurueck-bei-dunkler-hautfarbe-sind-wir-eher-zurueckhaltend-id15939234.html
Umstrittene Festnahme-Methode – Darum wird der Würgegriff in der Schweiz nicht angewendet
In Minneapolis führte Polizeigewalt zum Tod von Georg Floyd. Hierzulande sind solche Festnahme-Methoden verpönt.
https://www.srf.ch/news/schweiz/umstrittene-festnahme-methode-darum-wird-der-wuergegriff-in-der-schweiz-nicht-angewendet
+++POLICE FR
Polizeigewalt: Leere Worte des französischen Innenministers
Auch in Frankreich werden die Strafverfolgungsbehörden in Frage gestellt. Innenminister Castaner reagiert mit leeren Worten.
https://www.infosperber.ch/Artikel/Sexismus/Polizeigewalt-Leere-Worte-des-franzosischen-Innenministers
+++RASSISMUS
Vererbter Wahn
Im 19. Jahrhundert entstand ein »wissenschaftlich« begründeter
Rassismus, mit dem Sklaverei und Kolonialismus legitimiert werden
sollten. Er reichte bis weit ins 20. Jahrhundert hinein
https://www.jungewelt.de/artikel/380404.rassismus-vererbter-wahn.html
SRF sagt Diskussion ab, weil niemand mit SVP-Köppel reden will
SVP-Köppel wurde zu einer Rassismus-Diskussion beim Radio SRF
eingeladen. Nun findet die Sendung nicht wie geplant statt. Es fanden
sich keine passenden Diskussionspartner.
https://www.20min.ch/story/srf-sagt-diskussion-ab-weil-niemand-mit-svp-koeppel-reden-will-516850770548
-> https://www.blick.ch/news/politik/srf-blaest-sendung-wieder-ab-niemand-wollte-mit-svp-koeppel-ueber-rassismus-diskutieren-id15941031.html
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Aktivisten bedanken sich bei Berner Wandbild-Übermalern
In der Primarschule Wylergut in Bern hat eine Gruppe Unbekannter ein
altes Wandalphabet übermalt. Sie fordern damit die Entfernung des
Werkes. Organisatoren der «Black Lives Matter»-Demo bedanken sich für
die Tat.
https://www.20min.ch/story/unbekannte-uebermalen-rassistisches-wandbild-976175537710
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derbund.ch 16..06.2020 (Abendversion)
«Rassistisches Wandbild»Stadt prüft Anzeige wegen anonymer Attacke
Das übermalte Wandbild in einem Berner Schulhaus ist nicht das einzige
Objekt, das wegen Rassismus in der Kritik steht. Im Sommer zeigt die
Stadt eine Sammlung.
Carole Güggi, Christian Zellweger
In Virginia wurde eine Statue von Christoph Kolumbus zerstört, in
Bristol ein Denkmal im Hafen versenkt, in London eins verhüllt – nun
erreichen die Vandalen auch Bern: Im Schulhaus Wylergut wurden Bilder
von einer Gruppe Unbekannter teilweise übermalt.
Schulleiter Jürg Lädrach sagt zu diesem Vorfall: «Dem Anliegen,
Rassismus zu bekämpfen, schaden solche Aktionen.» In der Schule seien
die Malereien immer ein Thema gewesen, mit dem sich die Lehrerinnen und
Lehrer mit der Schülerschaft auseinandergesetzt hätten.
Er hat die Attacke der Stadt gemeldet. Das weitere Vorgehen, konkret, ob
Strafanzeige eingereicht wird, klärt diese nun ab. Zuerst würden die
zuständigen Stellen den Sachverhalt untersuchen, schreibt die Stadt auf
Anfrage. Zur Frage, ob die Bilder restauriert werden, hält sie fest:
«Zum jetzigen Zeitpunkt sind eine Prüfung des Zustands und falls nötig
Sicherungsarbeiten vorgesehen, aber keine Restaurierung.» Schulleiter
Lädrach jedenfalls hält fest: «Das ist sehr hartnäckige Farbe, die nicht
so leicht weggeht.»
Abc ist «erhaltenswert»
Die drei mit schwarzer Farbe übermalten Bilder sind Teil eines
Wandalphabets. Beim Buchstaben C ist ein Knabe mit gelblicher Haut zu
sehen – ein Chinese. Beim I ein Mann mit Federschmuck – ein Indianer.
Und ein dunkelhäutiger Bub mit krausem Haar, dicken Lippen und
Silberschmuck illustriert den Buchstaben N.
Hier seien «drei Menschen stereotypisiert und rassistisch dargestellt», heisst es im Bekennerschreiben, das dem «Bund» vorliegt.
Das Abc ist als «erhaltenswert» eingestuft. Das heisst, die äussere
Erscheinung soll erhalten bleiben. Das Bild der Künstler Eugen Jordi und
Emil Zbinden stammt aus dem Jahr 1949 und hat bereits in der
Vergangenheit für Diskussionen gesorgt. Nicht zuletzt nach einem
«Bund»-Artikel vom März 2019 wurde die Debatte neu aufgerollt. Doch eine
Lösung zu finden, war bisher schwierig. Mal versuchte es die Schule mit
einer Überdeckung. Ein Nashorn klebte neu beim Buchstaben N – löste
sich jedoch immer wieder ab.
In der Schule deplatziert
Letzten Herbst schrieb die Stadt einen Wettbewerb aus. Sie suchte
Vorschläge für ein künstlerisches Projekt, das die Abbildungen «kritisch
und zeitgemäss einordnet».
25 Teams reichten ihre Vorschläge ein, wie die Stadt auf Anfrage
bestätigt. Die Mehrheit der Projekte sah vor, das Wandbild zu erhalten,
jedoch einzubetten. Bis auf den Vorschlag von Ausstellungsmacherin Vera
Ryser. Für sie ist klar: «Das Wandbild ist höchst rassistisch und
innerhalb einer Schule völlig deplatziert», so Ryser. Deshalb schlug sie
vor, das Wandbild gänzlich zu entfernen und dem Bernischen Historischen
Museum zu schenken. Die Schenkung ginge mit dem Auftrag einher, eine
kritische Aufarbeitung der Berner Kolonialgeschichte zu initiieren. Das
Wandbild wäre somit eines von vielen Objekten in dieser Ausstellung.
Eigentlich hätte die Jury im März entscheiden wollen, welches Projekt
umgesetzt wird. Durch das Coronavirus musste dies aber verschoben
werden. Aktuell suche die Stadt nach einem neuen Termin, voraussichtlich
im Herbst, heisst es auf Anfrage.
Weitere Objekte im Fokus
Neben den Wandbildern in der Wylergut-Schule stehen auch andere
Denkmäler und Namen in Bern in der Kritik. Zum Beispiel die Colonial-Bar
am Kornhausplatz. Nach einem Instagram-Post wurde der Schriftzug
entfernt. Auch immer wieder Teil der öffentlichen Debatte: die Zunft zum
Mohren in der Altstadt.
Auch über die Stadtgrenzen hinaus gibt es immer wieder Diskussionen zu
potenziell problematischen Darstellungen im öffentlichen Raum. Die
Proteste im Zusammenhang mit der «Black Lives Matter»-Bewegung geben den
Debatten Aufwind. So fordert eine Onlinepetition die Entfernung der
Statue von David de Pury in Neuenburg. Der Schweizer Unternehmer
verdiente im 18. Jahrhundert mit dem Diamantenhandel in Brasilien ein
Vermögen. Zudem fordern Aktivisten die Umbenennung des Agassizhorn,
eines Gipfels in den Berner Alpen. Der Gletscherforscher Louis Agassiz
veröffentlichte im 19. Jahrhundert aus heutiger Sicht problematische
Rassentheorien.
Inventar für «Rassistisches»
Die Stadt Bern jedenfalls versucht, sich mit ihrer kolonialen
Vergangenheit auseinanderzusetzen. Die Stiftung Cooperaxion hat dazu im
Auftrag der Stadt ein Inventar erstellt, das sämtliche rassistischen
Darstellungen im öffentlichen Raum sammelt. Seit 2017 arbeitet Präsident
Karl Rechsteiner mit seinem Team daran, diesen Sommer wird es für die
Öffentlichkeit zugänglich. «Solche Auseinandersetzungen tun weh, sind
aber notwendig», so Rechsteiner.
(https://www.derbund.ch/anonyme-attacke-gegen-rassistisches-wandbild-131385711629)
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derbund.ch 16.06.2020 (Morgen-Version)
Anonyme Attacke gegen «rassistisches Wandbild»
Unbekannte haben Darstellungen im Berner Wylergut-Schulhaus mit
schwarzer Farbe überdeckt. Das umstrittene Wandalphabet beschäftigt die
Stadtverwaltung bereits seit letztem Jahr.
Christian Zellweger
Eine Gruppe Unbekannter hat das Wandalphabet im Wylergut-Schulhaus
teilweise übermalt. Dies geht aus einem anonymen Schreiben an den «Bund»
vom Montagabend hervor. Mit schwarzer Farbe überdeckt sind die
Buchstaben N, I und C, wie Fotos zeigen. Hier seien «drei Menschen
stereotypisiert, rassistisch und fremdbezeichnend dargestellt», wie es
im «Bekennerschreiben» heisst. Eine «Bund»-Reporterin vor Ort bestätigt
den Sachverhalt.
Das Bild der Künstler Eugen Jordi und Emil Zbinden von 1949 hat bereits
in der Vergangenheit für Diskussionen gesorgt. Beim Buchstaben C ist ein
Knabe mit gelblicher Haut zu sehen – ein Chinese. Beim I ein Mann mit
Federschmuck – ein Indianer. Und ein dunkelhäutiger Bub mit krausem
Haar, dicken Lippen und Silberschmuck illustriert den Buchstaben N.
Nach einem «Bund»-Artikel vom März 2019 über die Darstellungen hatte die
Stadt einen Wettbewerb ausgeschrieben. Sie suchte Vorschläge für eine
künstlerische Arbeit, «die das rassistisch geprägte Werk kritisch und
zeitgemäss einordnet». Derzeit stehen mehrere Ansätze zur Diskussion:
Ein Teil der eingegangenen Beiträge will offenbar die umstrittene
Darstellung entfernen, ein anderer Ansatz plädiert dafür, das Werk in
einem Museum zu kontextualisieren.
Das Sgraffito der in ihrer Zeit sozial engagierten Künstler Eugen Jordi
und Emil Zbinden überzeuge mit hoher künstlerischer Qualität, hiess es
damals von der Stadt. Als Teil der originalen Ausstattung des
Schulhauses sei es «denkmalpflegerisch integral als erhaltenswert
eingestuft».
Der Lehrerschaft des Wylergut-Schulhauses hingegen war das Wandbild
offenbar schon länger nicht ganz geheuer. Man habe versucht, den
Buchstaben N mit einem Bild eines Nashorns zu überkleben, sagte der
Schulleiter 2019 dem «Bund», die Überdeckung habe sich aber jeweils
wieder gelöst. Man arbeite an einem Wandbehang, welcher die
problematische Darstellung verhüllen soll.
Trotzdem waren die Bilder weiterhin zu sehen – nun wurden mit der
Übermalung also Tatsachen geschaffen. Die Aussagen der Stadt seien
«heuchlerisch», der Wettbewerb eine «Scheinauseinandersetzung»,
schreiben die Aktivisten und Aktivistinnen. Historische Relikte und
Denkmalschutz würden mehr gewichtet als institutionelle und alltägliche
Rassismen.
«Warum ist das Werk von zwei weissen Künstlern wichtiger als die
unzähligen Stimmen von BIPoC (Black, Indigenous and People of Color),
die das Werk kritisieren und ansehen müssen?», so die Gruppe im E-Mail.
(https://www.derbund.ch/anonyme-attacke-gegen-rassistisches-wandbild-131385711629)
-> https://www.bernerzeitung.ch/unbekannte-uebermalen-rassistisches-wandbild-978227477208
-> https://www.20min.ch/story/unbekannte-uebermalen-rassistisches-wandbild-976175537710
-> https://www.telebaern.tv/telebaern-news/-schulhaus-wylergut-rassistisches-wandbild-ueberschmiert-138186678
—
derbund.ch 16.06.2020 (Artikel von 2019)
Wandbild im Wylergut-Schulhaus: «Dahinter steckt eine koloniale Logik»
Darstellungen wie das übermalte Wandbild im Wylergut-Schulhaus würden
Kindern das «Exotische» als etwas Unterentwickeltes vermitteln, sagt
Rassismus-Forscher Rohit Jain.
Simon Gsteiger
Hinweis: Dieses Gespräch wurde 2019 geführt. Aus aktuellem Anlass veröffentlichen wir es an dieser Stelle erneut.
Rohit Jain, das Bildalphabet im Wylergut-Schulhaus zeigt Natur und farbige Menschen. Wo liegt das Problem?
Dahinter steckt eine koloniale Logik: Neben Tierdarstellungen stehen
Vertreter bestimmter «Rassen». Sie werden damit dem Animalischen
zugeordnet. Im Blick des imperialen, «weissen» Europas stellten sie
«primitive Rassen» dar. Dieses Weltbild haben in der Schweiz Millionen
von Menschen an Völkerschauen verinnerlicht, und es lebt weiter.
Besonders problematisch ist der Bildungskontext.
Wie meinen Sie das?
Nehmen wir die Beispiele von Pippi in der Südsee oder Globi in Afrika:
Kinder nehmen anhand solcher Geschichten auch Stereotypen auf. Sie
lernen den Süden oder das Exotische als etwas Unterentwickeltes kennen.
Dabei könnte Pippi statt nach Taka-Tuka-Land für ihre Abenteuer doch
auch auf den Mond reisen. Wie fühlen sich diese Bilder für nicht weisse
Kinder an, die in der Schweiz zu Hause sind?
Das Alphabet stammt aber aus einer anderen Zeit.
Der Kontext ist wichtig. Aber Geschichte wird in der Gegenwart gemacht.
Die Berufung auf Tradition oder Geschichte ist oft eine Ausflucht, um
sich unbequemen Fragen nicht stellen zu müssen. Sie kann zum Machterhalt
der privilegierten Mehrheit missbraucht werden. Viele Leute haben
Angst, durch die Auseinandersetzung ihre Privilegien zu verlieren. Als
Sozialanthropologe sehe ich Tradition und Geschichtsschreibung als
kulturelle Medien, durch die sich Gemeinschaften mit Veränderungen
auseinandersetzen.
Und diese Auseinandersetzung findet nicht statt?
Das Problem ist, dass die Diskussionen oft nur entlang von Einzelfällen
geführt werden. Dabei geht die übergeordnete Debatte völlig vergessen:
Wie lösen wir das strukturelle Problem, das den Rassismus begünstigt?
Wie sollte man mit rassistischen Darstellungen umgehen?
Es gibt kein Patentrezept. Manchmal reicht ein Hinweis auf einem Schild,
in anderen Fällen muss man problematische Symbole einfach versorgen.
Oft gibt es künstlerische Varianten, ein Objekt, einen Begriff oder eine
Geschichte neu zu interpretieren. Sind Kinder involviert, bietet es
sich an, solche Themen in den Lehrplan aufzunehmen.
Sie sind selber schweizerisch-indischer Secondo. Ist Ihre Hautfarbe ein Thema?
Ich werde oft darauf angesprochen, auch von Kindern. Auf dem Skilift
meinte ein Kind erschrocken, ob ich aus Afrika sei. Meine Tochter wurde
in der Schule kürzlich eine N* genannt. Aber Kinder können nichts dafür,
sie sind der Spiegel der Gesellschaft.
–
Rohit Jain, geb. 1978, ist assoziierter Forscher am Institut für
Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft der Universität
Zürich und arbeitet zur politischen Ästhetik transnationaler
Öffentlichkeiten. Weitere Forschungsschwerpunkte sind Rassismus und
Humor im Kontext von Anti-Political Correctness sowie postkoloniale
Amnesie in Europa.
(https://www.derbund.ch/dahinter-steckt-eine-koloniale-logik-796425499215)
—
Öffentliche Stellungnahme zum aktuellen Geschehen: Für alle Menschen, die hier leben und die noch kommen werden
Seit George Floyd durch rassistische Polizeigewalt in den USA ums Leben
gebracht wurde, ist die Solidarität mit der Black Lives Matter-Bewegung
auch in der Schweiz deutlich spürbar, in öffentlichen Debatten, auf der
Strasse und persönlichen Gesprächen. Das Institut Neue Schweiz (INES)
solidarisiert sich mit diesen Protesten und dem Kampf gegen einen
spezifischen anti-Schwarzen Rassismus.
https://www.institutneueschweiz.ch/De/Blog/245/ffentliche_Stellungnahme_zum_aktuellen_Geschehen_Fr_alle_Menschen_die_hier_leben_und_die_noch_kommen_werden
St. Galler Bar sorgt mit Negroni–Mohrenkopf-Aktion für rote Köpfe
Die Vertigo Bar bietet einen Negroni-Cocktail zusammen mit einem
Dubler-Mohrenkopf an. Aktivisten sind empört, der Wirt wehrt sich gegen
Rassismus-Vorwürfe.
https://www.nau.ch/news/schweiz/st-galler-bar-sorgt-mit-negroni-mohrenkopf-aktion-fur-rote-kopfe-65724984
Fahrende eröffnen neue Rassismus-Debatte: «Wir sollten Zigeunerschnitzel aus dem Wortschatz verbannen»
«Mohrenköpfe» sind nicht die einzigen Kalorienbomben, deren Name
veraltet ist. Auch «Zigeunerschnitzel» sollen aus den Kühlregalen und
Menüs verschwinden.
https://www.blick.ch/news/schweiz/fahrende-eroeffnen-neue-rassismus-debatte-wir-sollten-zigeunerschnitzel-aus-dem-wortschatz-verbannen-id15939169.html
Antira Wochenschau 15.06.20
Statuen weg, Seenotrettungsschiffe blockiert, #BlackLivesMatter
https://soundcloud.com/user-928399366/antira-wochenschau-150620
+++RECHTSTERRORISMUS
Fabian Virchow über Rechtsterrorismus
Kulturzeit-Gespräch mit dem Rechtsextremismus-Forscher Fabian Virchow über die Geschichte des Rechtsterrorismus in Deutschland.
https://www.3sat.de/kultur/kulturzeit/gespraech-mit-fabian-virchow-100.html
+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Der Troll im Weißen Haus? Zwischen Verschwörung und Autoritarismus
Ein Talk über die gesellschaftlichen Auswirkungen von Corona mit Anne
Helm und Sascha Lobo „Hygiene-Demos“, Verschwörungsmythen und das
Erstarken eines Autoritarismus sind nur einige Symptome, die die
Corona-Krise vor allem seit den Ausgangsbeschränkungen mit sich bringt.
Das persönliche Verhalten, aber auch vor allem das Social
Media-Verhalten vieler Menschen hat sich in den vergangenen Monaten
verändert. Als Social Meltdown beschreibt der Blogger und Journalist
Sascha Lobo dieses Symptom: Prominente schwadronieren in antisemitischer
Couleur davon, dass das Virus von einer geheimen Elite erfunden wurde,
um Menschen zwangsimpfen zu können und gefügig zu machen. Extrem rechte
Ideologien mit verschwörungsideologischem Anstrich haben einen Aufwind
erfahren und das nicht nur in Deutschland.
https://youtu.be/w8ima_hT14c
5G verbreitet Virus, Pfeffer als Heilmittel: Vor diesen Corona-Falschmeldungen warnt das BAG
Rund um das Coronavirus gibt es allerlei Falschmeldungen und
Verschwörungstheorien. Der Bund sagt diesen nun den Kampf an. Etwa dem
Glauben, dass Pfeffer und Knoblauch oder ein heisses Bad vor der
Krankheit schützen.
https://www.blick.ch/news/politik/5g-verbreitet-virus-pfeffer-als-heilmittel-vor-diesen-corona-falschmeldungen-warnt-das-bag-id15939970.html
Podcast zu QAnon: Hält die Weltelite Kinder gefangen?
Ein Internetuser namens Q behauptet, dass die US-Regierung Kinder gefangen hält, um ein Jugendserum herzustellen.
https://kurier.at/fakebusters/podcast-zu-qanon-haelt-die-weltelite-kinder-gefangen/400941767?utm_medium=Social&utm_source=Twitter#Echobox=1592303669
+++HISTORY
Cryptoleaks Warum bleibt der Zugang zum entscheidenden Dokument verwehrt?
Trotz Corona: In der Crypto-Affäre wird weiter untersucht. Das
entscheidende Dokument kann die Öffentlichkeit aber weiterhin nicht
einsehen.
https://www.zentralplus.ch/warum-bleibt-der-zugang-zum-entscheidenden-dokument-verwehrt-1815769/
—
derbund.ch 16.06.2020
Warum Schweizer Statuen vom Sockel müssen
Um Denkmäler, die auf die Kolonialzeit zurückgehen, wird derzeit
weltweit gestritten. Debatten gibts auch in Zürich und in Baselland, vor
allem aber in Neuenburg, der einstigen Hauptstadt der Schweizer
Sklaverei-Geschäfte.
Yann Cherix
Es war alles bereit für die Schönheitskur. Das Gerüst montiert, die
Seife parat. Doch dann wurde die alljährliche Putzete der wichtigsten
Statue von Neuenburg am letzten Donnerstag plötzlich abgeblasen. Eine
Politur von David de Pury wäre in diesen Tagen wohl dann doch zu viel
gewesen; zu viel der Symbolik, gerade in diesen erregten Zeiten.
Denn um den Sohn der Stadt, der im 18. Jahrhundert auszog, um in
Lissabon unendlich reich zu werden, und umgerechnet 600 Millionen
Franken seinem Neuenburg vermachte, wird gerade heftig gestritten. Nicht
zum ersten Mal werden dem Bienfaiteur, dem Wohltäter, dreckige
Geschäfte nachgesagt.
De Pury sei einer gewesen, der aus dem Leid von Sklaven riesige Profite
geschlagen habe, behauptet eine Gruppe von jungen Stadtbewohnern.
Collectif pour la Mémoire nennen sie sich. Als politisch unabhängig
bezeichnen sie sich, ohne hierarchische Struktur. Mattia Ida spricht für
die Gruppe: «Die Figur de Pury steht für die weisse Herrschaft, für die
rassistische Vergangenheit der Schweiz», sagt er. Zusammen mit seinen
Mitstreitern hat Ida eine Onlinepetition gestartet. Die Aktion zur
Entfernung der Statue hat bereits über 2200 Unterstützer gefunden. «Das
ging viral, ein Erfolg, der zeigt, dass wir nicht mehr einfach Zuschauer
bleiben wollen.»
Auch die neutrale Schweiz, in der offiziellen Geschichtsschreibung ein
Land ohne Kolonien, ist nun plötzlich Teil einer weltweiten Debatte.
Seit dem Tod des Afroamerikaners George Floyd wird in vielen Ländern
Rassismus angeprangert, täglich kraftvoller. Unter die Rufe gegen
Polizeigewalt und alltägliche Ausgrenzung mischen sich nun Forderungen
zu einer selbstkritischeren Auseinandersetzung mit der Geschichte der
Sklaverei.
Bilder des Sturzes der Colston-Statue ins Hafenbecken von Bristol (GB)
gingen um die Welt, am Samstag geschah in New Orleans (USA) Ähnliches.
Auch in Belgien, in Frankreich und in Neuseeland wird um Statuen und
Monumente gerungen, manchmal konstruktiv, manchmal destruktiv. Und
überall wird gefordert: Fort mit diesen Profiteuren des Sklavenhandels!
Huldigung für einen Kinderhändler
Der Imperativ der Strasse ist in Städten wie Bristol oder New Orleans,
beide eng mit der Geschichte der Sklaverei verstrickt, besonders laut.
Aber er ertönt auch in der Schweiz. Nicht nur in Neuenburg, sondern auch
in Rünenberg bei Sissach BL. Denn dort haben die Juso Baselland mit
einer Guerilla-Aktion letzte Woche auf das Denkmal von Johann August
Sutter aufmerksam gemacht. Sie hat es mit einem Tuch verhüllt.
Der Findling erinnert an einen Abenteurer mit Heimatort Rünenberg, an
einen, der später in Kalifornien zu Vermögen kam, die Kolonie
Neu-Helvetien aufbaute und als Gründervater von Sacramento gilt. Nur:
General Sutter, wie er sich selbst nannte, baute seinen Wohlstand nach
etlichen Konkursen auf einer zweifelhaften Geschäftsidee auf. Laut der
Schweizer Historikerin Rachel Huber spezialisierte sich Sutter auf den
Handel mit Kindersklaven von amerikanischen Ureinwohnern.
«So ein rassistischer Mensch verdient keine Ehrung», sagt Anna Holm. Die
Präsidentin der Baselbieter Juso hat die frühmorgendliche Verhüllung
des Sutter-Steins aufgegleist. Anmalen oder gar beschädigen wollten sie
das Denkmal aber nicht. «Es hätte der Diskussion eine falsche Richtung
gegeben.» Holm will vielmehr die «schockierend schlechte
Erinnerungskultur in Baselland» verändern, will, dass der
selbstgefällige Umgang mit strukturellem Rassismus ein Ende findet. «Wir
brauchen darum ein Mahnmal, kein Denkmal.»
Die örtlichen Behörden ignorierten die Aktion bisher. Der
Gemeindepräsident sprach in Bezug auf Sutter von einem guten Mann.
Stellung nehmen wollten sie auf Anfrage nicht. Auf der Website von
Baselland Tourismus ist der Eintrag zum selbst ernannten Schweizer
General revidiert worden. Ein erster Schritt, sagt Anna Holm dazu,
weitere müssten aber folgen – vor allem politische.
Im gegenwärtigen Klima stehen derzeit aber radikale Forderungen im
Vordergrund: Die Gesellschaft soll sich ändern. Sofort. Darum muss der
Sutter-Stein weg. Auch das Escher-Monument beim Zürcher Hauptbahnhof.
Die De-Pury-Statue in Neuenburg sowieso. Die Geschichte dieser Männer
müsse neu erzählt werden. In Sacramento sind sie bereits daran. Am
Montag wurde die Sutter-Statue abgebaut. Ohne Vorankündigung.
«Es braucht immer Kontext»
Bouda Etemad weiss, wie man Vergangenheit erzählt. Der iranischstämmige
Genfer ist emeritierter Professor für Geschichte und vor allem: Mitautor
des Standardwerks «Schwarze Geschäfte», das die Beteiligung von
Schweizern an Sklaverei und Sklavenhandel im 18. und 19. Jahrhundert
untersucht. Dass die Debatte die Schweiz erreicht hat, überrascht ihn
nicht. Auch wenn die offizielle Schweiz nie in den Sklavenhandel
involviert gewesen sei, habe es doch einige Schweizer Institutionen und
Personen gegeben, die von diesem Geschäft profitiert hätten. «Und David
de Pury aus Neuenburg gehörte definitiv dazu. Aber war er darum ein
Sklavenhalter?»
Als Historiker müsse er diese Frage mit einem klaren Nein beantworten,
sagt Etemad. Weder habe er ein Sklavenschiff besessen noch Plantagen in
Übersee. Der strenge Protestant sei ein Grosskapitalist gewesen, der in
alle möglichen Geschäftsfelder seiner Zeit investiert habe – und dazu
gehörten eben auch Geschäfte, die auf Sklaverei beruhten. «Aus der
damaligen Perspektive war das nicht nur legal, sondern moralisch auch
nicht besonders verwerflich.»
Der Historiker will damit nicht werten, nur einordnen. Denn Bouda Etemad
ist Historiker. Das bedeutet, dass sich der 71-Jährige keine moralisch
geprägte Sicht auf die Vergangenheit aneignen will. «Es braucht immer
Kontext. Darum fände ich eine Entfernung einer De-Pury-Statue nicht
angemessen.» Einen Diskurs, der Licht auf eine dunkle Zeit wirft,
begrüsst er aber sehr. «Doch alles andere ist nur Meinung und nicht
wissenschaftlich.»
Mattia Ida, der junge Aktivist, will de Purys Taten nicht relativieren.
Sie seien moralisch verwerflich gewesen, sagt er. Und ja, der
Neuenburger sei als Teilhaber einer Gesellschaft, die mit Sklaven
handelte, durchaus direkt beteiligt gewesen. Dennoch. Auch der Mann aus
der Gegenwart will die Geschichte der Stadt nicht löschen.
Denn Neuenburg ist mit der Geschichte der Sklaverei verbandelt wie keine
andere Schweizer Stadt. Neben den de Purys gibt es noch weitere
Neuenburger Patrizierfamilien, die in dieser Epoche mit globalem Handel
reich geworden sind. Das prächtige Anwesen du Peyrou mitten im Zentrum,
heute ein Edelrestaurant, zeugt davon; auch die Bibliothek, die
Universität, das Spital, zahlreiche Herrenhäuser in der Altstadt.
Neuenburg müsse mit diesem Erbe leben, sagt der Aktivist. Und davon
erzählen. «Wir wollen, dass das offengelegt wird und ein Diskurs auf
nationaler Ebene angeregt wird.» Ein Nachfahre der Familie hat sich
mittlerweile dazu geäussert. Nicolas de Pury, Vertreter der Grünen im
Neuenburger Generalrat, unterstützt laut der Lokalzeitung «Arcinfo» eine
historische Forschung – «um den Dingen auf den Grund zu gehen».
Noch läuft die Onlinepetition. Das Ziel von 3000 Unterschriften wird
erreicht werden. Das Collectif will damit ins Stadthaus und ihre
Forderung deponieren. Dort signalisiert Stadtpräsident Thomas
Facchinetti Gesprächsbereitschaft, lässt aber auch verlauten: Der
politische Weg müsse beschritten werden.
Demokratie braucht Zeit. Geschichte sowieso.
–
Der Mohr im Wappen sorgt für Ärger
Er war Christ, Asket und Einsiedler, manchmal wird er auch der erste
Mönch genannt: der heilige Antonius, der bis heute in zahlreichen
Darstellungen geehrt wird, so auch auf dem Wappen der Gemeinde
Möriken-Wildegg im Kanton Aargau, 4500 Einwohner, Ausländeranteil 22
Prozent. Doch das gibt nun zu reden.
Möriken-Wildegg gehört zu der Handvoll Schweizer Gemeinden, deren Wappen
ein sogenannter Mohr ziert. Der Begriff ist dieser Tage wieder in den
Fokus des Interesses geraten. Vergangene Woche entschied die Migros, die
Dubler-Mohrenköpfe aus dem Sortiment zu nehmen, weil der Begriff Mohr
ein Zeichen von strukturellem Rassismus sei.
Die Ausläufer der Erregungswelle haben auch Möriken erreicht. «In den
letzten Tagen habe ich deshalb wieder anonyme Mails gekriegt, in denen
es heisst, unser Wappen sei furchtbar rassistisch», erzählt der Möriker
Gemeinde-Ammann Hans-Jürg Reinhart in seinem kleinen Büro des
Gemeindehauses. Reinhart lässt sich aber nicht aus der Ruhe bringen.
Immer mal wieder geben im Zuge der Diskussion um strukturellen Rassismus
die Mohren zu reden, die auf den Wappen verschiedener Schweizer
Gemeinden zu finden sind. Meistens handelt es sich um die Darstellung
von Heiligen, Königen oder Kirchenvätern, die man damit ehren wollte.
Doch da diese Darstellungen stilisiert sind und die Merkmale
afrikanischer Menschen entsprechend wiedergeben, gelten sie heute als
rassistisch. «So stellte man sich damals halt einen Nubier vor», sagt
Reinhart. «Aber unsere 700 Jahre alte Geschichte hat nichts mit
Kolonialismus oder Sklavenhandel zu tun, auch der Ursprung unseres
Wappens nicht.»
Er habe Mühe mit dieser Diskussion, sagt Reinhart, das Land habe
schliesslich ganz andere Probleme. Im Dorf sei das Wappen auch noch nie
Thema gewesen. Die Einzigen, die sich dafür interessierten, seien
jeweils Journalisten. Oder anonyme Mailschreiber. Er sei zuversichtlich,
dass das Wappen auch noch weitere 700 Jahre Bestand haben werde.
Michèle Binswanger
(https://www.derbund.ch/warum-schweizer-statuen-vom-sockel-muessen-338340021664)
—
derbund.ch 16.06.2020
Der Streit um die Denkmäler: «Es ist eine Art Bildersturm»
Der Berner Historiker André Holenstein will Statuen umstrittener
Personen nicht entfernen. Nur so könne der Stein des Anstosses auch
Denkanstoss sein.
Simon Wälti
Statuen und Denkmäler auf der ganzen Welt werden verschmiert oder gestürzt. Ein Ausdruck des Zeitgeistes?
Es ist erstaunlich, wie schnell sich das Phänomen, ausgelöst durch
polizeiliche Übergriffe und den Tod von George Floyd in den USA, über
die sozialen Medien verbreitet und globalisiert hat. Es entsteht ein
Bedürfnis zur schnellen Tat, zu Aktionismus und Aktivismus. Man geht
nicht mehr den Weg über die Institutionen. Denkmäler, die über
Jahrzehnte hinweg weitgehend unbeachtet geblieben sind, erhalten eine
unglaubliche Aufmerksamkeit und werden zur Zielscheibe. Sie werden
gewissermassen hingerichtet. Es ist eine Art Bildersturm wie zur Zeit
der Reformation.
Besteht die Gefahr, dass das Nachdenken zu kurz kommt?
Zorn, Wut und Verärgerung sind so gross, dass man zur Tat schreitet. Ich
frage mich aber, wie stark man sich mit dem historischen Hintergrund
auseinandergesetzt hat. Ich würde mir etwas mehr Distanz und analytische
Reflexion wünschen, etwa darüber, warum jemand auf einen Sockel
gestellt wurde. Nehmen wir das Beispiel von David de Pury in Neuenburg:
Mit dem Denkmal wurde er nicht für seine Beteiligung im Sklavenhandel
geehrt, sondern weil er sein Vermögen der Stadt spendete, die es dann
für soziale und kulturelle Zwecke verwendete.
Aber das Geld dafür stammte nicht zuletzt aus dem Sklavenhandel.
Das soll man keinesfalls ausblenden und auch zum Thema machen. Doch die
Wirklichkeit im 18. Jahrhundert war komplex. Viele, auch weniger
vermögende, Leute in der Schweiz legten ihr Geld in Fonds und
Aktiengesellschaften an, ohne genau zu wissen, wo sie investierten. Im
Nachhinein ist es recht einfach zu urteilen.
Nehmen wir das Beispiel des belgischen Königs Leopold II. Seinem Regime
im Kongo fielen ungezählte Einheimische zum Opfer. Müssen solche Statuen
nicht weg?
Ich würde auch hier dafür plädieren, solche Denkmäler nicht einfach zu
entfernen, sondern sie zu kommentieren und kontextualisieren. Wenn man
sie aus dem öffentlichen Raum entfernt, sind sie zwar nicht mehr Stein
des Anstosses, aber auch nicht mehr Denkanstoss. Eine Tilgung und
Verbannung aus dem öffentlichen Gedächtnis – eine Art «Damnatio
memoriae» wie bei den Römern – ist nicht hilfreich.
Beim Zusammenbruch von tyrannischen Regimes fallen aber auch die Denkmäler.
Denkmal ist nicht gleich Denkmal. Es gibt solche, die noch eine so
starke Ausstrahlung und Symbolkraft besitzen, dass sie zerstört werden.
Bei Diktatoren wie Stalin, Hitler, Saddam oder Mao ist der Denkmalsturz
auch Ausdruck der Befreiung und Erlösung. Die Angst fällt weg. Ich
bezweifle aber, dass wir derzeit in solchen Verhältnissen leben.
Wie müsste man also differenzieren?
Durch die unglaublich rasche Verbreitung von Wut und Empörung können die
Relationen verloren gehen. Natürlich gibt es auch Rassismus in der
Schweiz, doch das Phänomen hat in den USA eine andere Bedeutung und
Schwere. Die systematische Schlechterstellung hat in der Schweiz nicht
das gleiche Ausmass. Die Schweiz war auch keine
Sklavenhaltergesellschaft. Das sollten wir nicht aus den Augen
verlieren.
Auch in der Schweiz und in Bern gibt es Forderungen, Denkmäler zu entfernen sowie Strassen und Plätze umzubenennen.
Ich kann nachempfinden, dass das Bedürfnis da ist. Im Endeffekt müsste
man dann aber eine permanente Diskussion darüber führen, welche Namen
noch politisch korrekt sind. Als Historiker untersuche ich die
Archäologie der Phänomene. Darum ist es wichtig, wenn die Entwicklung in
den Schichten abgelesen werden kann. Wird alles entfernt und gesäubert,
ist dies nicht mehr möglich.
Sie haben gesagt, es finde eine Art Bildersturm statt. Gilt das auch
bezogen auf den religiösen Eifer, der im 16. Jahrhundert erkennbar war?
Ich sehe viele Parallelen. Heilige wurden heruntergeholt, verbrannt oder
ertränkt oder – in Bern – zur Auffüllung der Münsterplattform
verwendet. Die Heiligenverehrung wurde zum Götzendienst. Man beobachtet
das in Zeiten, in denen ein Umschlag stattfindet. Eine neue Wahrheit
bricht sich Bahn und diskreditiert eine alte Wahrheit, an deren Macht
man nicht mehr glaubt. Die Zerstörung demonstriert die Ohnmacht der
alten Symbole.
In Bern wurde kürzlich die Bar Colonial umbenannt. Die Migros hat den Mohrenkopf aus dem Sortiment genommen.
Ein bisschen mehr Gelassenheit täte not. Gesinnung und Einstellung
sollten nicht nur an solchen Äusserlichkeiten festgemacht werden. Das
Kaufen oder Essen eines Mohrenkopfes ist an sich noch kein rassistischer
Akt.
Umgekehrt: Wenn sich Menschen dadurch verletzt fühlen, so ist eine Umbenennung keine grosse Sache.
Es ist kein grosser Verlust, sicher. Ich würde aber nicht jeder Person,
die das Wort noch verwendet, rassistisches Gedankengut unterschieben.
Solche Symbolpolitik führt möglicherweise weg von den effektiven
Problemen der Gesellschaft und ihren tieferen Ursachen.
Lösen die Demonstrationen und die Attacken auf Denkmäler nicht auch notwendige Diskussionen aus?
Ich kann es nur begrüssen, dass man sich mit der eigenen Geschichte
befasst. Es ist ein legitimer Protest, ausgelöst durch Übergriffe und
Polizeigewalt in den USA; auch wenn es mich erstaunt, mit welcher
Vehemenz es jetzt die Denkmäler trifft.
Warum?
Wir leben in einer Zeit, die weit entfernt ist von der «denkmalwütigen»
Periode Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, als die Denkmäler
wie Pilze aus dem Boden schossen. Heute werden Jubiläen anders gefeiert,
etwa mit Festspielen oder Publikationen – aber man käme nicht mehr auf
die Idee, ein Wilhelm-Tell-Denkmal zu errichten. Darum glaube ich eher
nicht, dass wir über Sinn und Unsinn von Denkmälern eine lang anhaltende
Diskussion führen werden.
Führt die Debatte nicht trotzdem zu einem Nachdenken in der Bevölkerung?
Ich denke schon. Und das wäre auch ein erwünschter Effekt, dass man sich
die Frage stellt, wie das Land zu dem Land wurde, das es heute ist. Das
ist gut für das historische Bewusstsein. Es gibt Aspekte, die bisher in
der Schule nicht sehr stark vermittelt wurden oder die im öffentlichen
Diskurs keine grosse Rolle gespielt haben. Wie kam es etwa dazu, dass
die Fabrikation von Schokolade und Textilien in der Schweiz so wichtig
wurde? Die Schweiz hat trotz ihrer Binnenlage extrem stark vom
kolonialen Handel profitiert und viel aus der globalen Verflechtung
gemacht.
–
André Holenstein, Jahrgang 1959, ist Professor für ältere Schweizer
Geschichte und vergleichende Regionalgeschichte an der Universität Bern.
Der Historiker ist Spezialist für Gesellschaftsgeschichte der frühen
Neuzeit. Zu seinen Publikationen zählen «Mitten in Europa» (2015) sowie
das mit Patrick Kury und Kristina Schulz verfasste Buch «Schweizer
Migrationsgeschichte» (2018, zweite Auflage 2020).
(https://www.derbund.ch/es-ist-eine-art-bildersturm-120176247039)