Medienspiegel 17. Juni 2020

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++SCHWEIZ
Weltflüchtlingstag 2020: Digitales Lehrmittel «FLUCHT»
Pünktlich zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni geht die erfolgreiche Ausstellung «FLUCHT» online. Das digitale Lehrmittel gibt jungen Menschen die Möglichkeit, die verschiedenen Stationen einer Flucht kennenzulernen und so das komplexe Thema Flucht und Asyl besser zu verstehen. Das Online Tool gibt es auf Deutsch, Französisch, Italienisch und Englisch.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-79473.html


+++GRIECHENLAND
Griechenland kürzt Unterstützung für Asylberechtigte
Wer bereits einen positiven Asylstatus hat, hat in Zukunft kein Recht mehr auf eine kostenlose Unterkunft und 90 Euro im Monat
https://www.derstandard.at/story/2000118121868/griechenland-kuerzt-unterstuetzung-fuer-asylberechtigte?ref=rss


+++MITTELMEER
Online Podium: Sterben auf dem Mittelmeer stoppen!
Wir unterhalten uns mit vier Verterter*innen aus der Politik und der Zivilgesellschaft über die Situation auf den Fluchtrouten, über Handlungsmöglichkeiten und über laufende Initiativen. PODIUMSGÄSTE — Hasan Hawar, hat die Flucht übers Mittelmeer und die Balkanroute selbst erlebt — Mattea Meyer, SP-Nationalrätin Zürich — Till Rummenhohl, ehemaliges Rettungsteammitglied von SOS MEDITERRANEE (https://sosmediterranee.ch/) — Klara, Sprecherin von UNITED against Refugee Deaths (http://unitedagainstrefugeedeaths.eu/) MODERATION Verena Mühlethaler, Citykirche Offener St. Jakob Zürich Das Podium ist Teil der Aktion «Beim Namen nennen 2020» https://www.beimnamennennen.ch
https://youtu.be/WgbJ2Ddc_M4


Sea-Watch rettet rund 100 Geflüchtete im Mittelmeer
Seenotrettungsschiff war nach drei monatiger Corona-Zwangspause erst vor wenigen Tagen wieder ausgelaufen
Nach mehr als drei Monaten Zwangspause hat die »Sea-Watch 3« rund 100 Geflüchtete aus Seenot gerettet, darunter auch zahlreiche Minderjährige. Mehrere der Geretteten hätten an Bord des Rettungsschiffs umgehend medizinische Hilfe erhalten.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1137984.seenotrettung-sea-watch-rettet-rund-gefluechtete-im-mittelmeer.html


Migration: Griechische Küstenwache setzt offenbar Flüchtlinge aus
Medienberichten zufolge werden Menschen hilflos auf aufblasbaren Rettungsinseln im Mittelmeer zurückgelassen. Die Küstenwache bestreitet die Vorwürfe indirekt.
https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-06/migration-mittelmeer-kuestenwache-griechenland-fluechtlinge
-> https://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge-in-der-aegaeis-sie-haben-uns-zurueck-aufs-meer-gezogen-a-e101913d-509f-4c75-8cf5-f04c693b4ef1


+++EUROPA
Europäisches Asylrecht: Ist Moria bald überall?
Geht es nach Horst Seehofer, sollen Hotspots an der Außengrenze zum Kern der neuen EU-Asylpolitik werden. Dabei zeigt sich in Griechenland, wie problematisch das ist.
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-06/europaeisches-asylrecht-horst-seehofer-asylreform-eu-grenzen/komplettansicht


+++LIBYEN
United We Stream & ALEX Berlin präsentieren: EU and Libya Collaboration – Pull Backs by Remote Control
Migration ist kein Verbrechen – und doch werden flüchtende Menschen oft kriminalisiert. Die Moderator*innen Sara Bellezza (borderline-europe) und Matthias Monroy (Editor CILIP) werden zusammen mit den Gäst*innen Sally Hayden (Journalist*in), Yasha Maccanico (Statewatch), Lucia Gennari (Mediterranea Saving Humans), Kiri Santer (Alarm Phone) und Bérénice Gaudin (@Sea-Watch) u.a. über die aktuellen Entwicklungen in den Lagern in Libyen sowie die Verantwortung der europäischen Akteur*innen gesprochen. Mit Blick auf den anhaltenden Bürgerkrieg im Land sowie die unzähligen Berichte über Folter, Vergewaltigung und weitere menschenunwürdige Behandlungen in den Lagern muss es klar sein, dass Libyen nicht als sicheres Aufenthaltsland für geflüchtete Menschen gelten darf.
https://www.facebook.com/ALEX.berlin.de/videos/684355958791585/


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Grüne fordern Abschaffung von Demo-Bewilligungspflicht
Nach Frauenstreik-Eklat: Grüne wollen die Abschaffung der Demo-Bewilligungspflicht. Ein ehemaliger Polizeikommandant begrüsst dagegen Polizei-Körperkameras.
https://telebasel.ch/2020/06/17/gruene-fordern-abschaffung-von-demo-bewilligungspflicht


Abgeführte Basler Nationalrätin Arslan exklusiv: «Plötzlich war der Befehl da, einzuschreiten»
Nationalrätin Sibel Arslan (Grüne Fraktion) spricht über den Polizeieinsatz am Frauenstreik in Basel. Sie war eine der Teilnehmenden, die an der friedlichen Demonstration abgeführt wurden. Während Arslan Unverhältnismässigkeit anprangert, erwidert Polizeikommandant Martin Roth auf ihre Vorwürfe: «Die Polizei hat keine Fehler gemacht.»
https://www.20min.ch/video/ploetzlich-war-der-befehl-da-einzuschreiten-289840668058


Belästigten Polizisten Demo-Teilnehmerinnen sexuell?
Harsche Kritik: Teilnehmerinnen der Frauendemo vom Sonntag werfen der Basler Polizei sexuelle Belästigung und Gewalt vor. Im Talk bezieht Baschi Dürr Stellung.
https://telebasel.ch/2020/06/17/belaestigten-polizisten-demo-teilnehmerinnen-sexuell
-> https://www.20min.ch/story/teilnehmende-der-frauendemo-werfen-der-polizei-sexuelle-belaestigung-vor-821335754038


Baschi Dürr verteidigt Polizeieinsatz bei Frauen-Demo in Basel: «Ich sehe keinen Grund für eine Entschuldigung»
Am Rande der Basler Frauendemo vom Sonntag kam es zu einem Zwischenfall. Auch Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan wurde abgeführt. Basels Sicherheitsdirektor Baschi Dürr verteidigt den Einsatz nun.
https://www.blick.ch/news/politik/baschi-duerr-verteidigt-polizeieinsatz-bei-frauen-demo-in-basel-ich-sehe-keinen-grund-fuer-eine-entschuldigung-id15941711.html


24 Nadelstiche gegen die Lagerverwalterin ORS
Im Bundesasyllager Basel wird von Securitas systematisch Gewalt gegen Bewohner*innen angewendet – die ORS ist mitverantwortlich.
Die jüngsten Berichte über die gezielte und systematische Gewalt von Securitas-Angestellten gegen Bewohner*innen des Bundesasyllagers in Basel haben uns emotional nicht kalt gelassen. Mit ihren Geschichten an die Öffentlichkeit zu gehen ist ein widerständiger Akt. Damit fordern sie uns alle auf, ebenfalls Position zu beziehen.
https://barrikade.info/article/3607


Basel: Zwei auf einen Schlag — Two for One
In der Nacht auf den 16. Juni haben wir ein Auto von Securitrans mit Buttersäure sabotiert.
Immer wieder Demütigungen und Gewalt vonseiten der Securitas gegen Menschen in den Lagern. Kürzlich wurden mehrere solcher Vorfälle im Bundesasyllager Bässlergut in Basel publik. Das ist nichts Neues, keine Überraschung und es sind bestimmt auch keine ‹Einzelfälle›. Die Diskussion um Verhältnismässigkeit oder eben nicht und Asdrücke wie ‹angemessener körperlicher Zwang› tut nichts zur Sache und versucht nur eines zu verbergen: Das Lager ist ein lebensfeindlicher Ort, geprägt von Stress, Abhängigkeit, ewigen Wartereien, Fremdbestimmung, Kontrolle, strikten Regeln, Zwang und Sanktion, in dem es unweigerlich zu Gewalt kommen muss. Genauso wie der Polizeiapparat mit seinem Monopol zur Gewaltanwendung logischerweise zu Brutalität führt. (An dieser Stelle: Fight The Police! und Solidarität mit den Revoltierenden in den USA und auf der ganzen Welt).
Das Problem heisst Autorität. Zerstören wir sie!
https://barrikade.info/article/3609


Gegen Rassismus und für Frauenrechte
Am Samstag fanden in St.Gallen zwei bewilligte Demonstrationen mit Kundgebungen statt. Es wurde gegen Rassismus demonstriert und gleichzeitig fand der Sternmarsch des Frauenstreiks statt.
https://www.st-galler-nachrichten.ch/st-gallen/detail/article/gegen-rassismus-und-fuer-frauenrechte-00185638/


+++REPRESSION DE
G20-Elbchaussee-Prozess jetzt öffentlich: G20-Angeklagter klagt die Justiz an
Kurz vor seinem Abschluss ist der Elbchaussee-Prozess wieder öffentlich. Der Angeklagte Loic S. gibt eine Erklärung ab, die ihn nicht entlastet
https://taz.de/G20-Elbchaussee-Prozess-jetzt-oeffentlich/!5689867/


Neue Maßstäbe
Hamburg: G-20-Verfahren um Ausschreitungen auf der Elbchaussee nähert sich dem Ende. Strafen für bloße Demonstrationsteilnahme drohen
https://www.jungewelt.de/artikel/380435.kriminalisierung-von-protest-neue-ma%C3%9Fst%C3%A4be.html


+++ANTITERRORSTAAT
Umstrittenes Schweizer Antiterrorismus-Gesetz
Trotz Kritik aus der internationalen Gemeinschaft hat sich die Grosse Parlamentskammer am Dienstag darauf geeinigt, das Arsenal an Massnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus zu verstärken. Die Verschärfung beunruhigt einige Strafrechtler. „Anstatt den terroristischen Akt zu bestrafen, läuft es fast auf eine Bestrafung der blossen Absicht heraus“, sagt Kastriot Lubishtani, Doktorand am Zentrum für Strafrecht der Universität Lausanne.
https://www.swissinfo.ch/ger/umstrittenes-schweizer-antiterrorismus-gesetz/45842278
-> 10vor10: https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/10vor10-vom-17-06-2020?id=667504f8-6e7a-4230-a12b-f71833e34bf2
-> https://www.20min.ch/story/wird-das-antiterrorgesetz-nach-uno-tadel-abgeschwaecht-368935005575


+++KNAST
LGBTIQ-Personen im Freiheitsentzug schützen? Nationalrat sag NEIN!
Es ist einleuchtend: Um den LGBTIQ-Personen im Freiheitsentzug ihre Rechte zu garantieren, muss mensch zunächst ihre Situation kennen. Im März 2018 wurde deshalb im Nationalrat von Lisa Mazzone (Grüne) ein entsprechendes Postulat eingereicht – und soeben vom Nationalrat abgelehnt.
https://stinknormal.blog/2020/06/17/lgbtiq-personen-im-freiheitsentzug-schuetzen/
-> https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20183267


Individueller Vollzug als neuen Ansatz
Der neue Direktor der Berner Justizvollzugsanstalt Thorberg, Hans-Rudolf Schwarz, plant in dieser Strafanstalt verschiedene Neuerungen. Hauptstossrichtung ist der Wechsel von einem Massenvollzug zu einem «Justizvollzug nach Mass».
https://www.neo1.ch/news/news/newsansicht/datum/2020/06/16/individueller-vollzug-als-neuen-ansatz.html


+++POLICE BE
derbund.ch 17.06.2020

Diskriminierende Polizeikontrollen: Polizeidirektor Müller sieht keinen Handlungsbedarf

Regierungsrat Philippe Müller widerspricht Forderungen von Aktivisten auf der Strasse und Politikerinnen im Stadtrat: Im Kanton Bern würden dunkelhäutige Menschen nicht ohne Verdacht kontrolliert.

Andres Marti

Letzten Samstag demonstrierten in der Stadt Bern Tausende gegen Rassismus. Der Protest auf der Strasse richtete sich auch gegen diskriminierende Polizeikontrollen, sogenanntes Racial Profiling, bei dem Menschen wegen ihrer Hautfarbe angehalten werden.

«Racial Profiling ist im Kanton Bern eine Realität», sagt der dunkelhäutige Berner Yannis Maviaki, der soeben die Matur abgeschlossen hat. Der 19-Jährige hat selber Personenkontrollen erlebt, bei denen er als Einziger in einer Gruppe von Freunden von der Kantonspolizei herausgepickt und kontrolliert wurde.

Dass solche Anhaltungen nun auch im Berner Stadtrat thematisiert werden, stösst beim kantonalen Polizeidirektor Philippe Müller (FDP) auf wenig Verständnis. Letzte Woche haben dort alle dunkelhäutigen Stadtratsmitglieder Auskunft über die Massnahmen zur Vermeidung von Racial Profiling bei der Kantonspolizei verlangt. Auch die Einführung eines Quittungssytems wird in ihrem Vorstoss zur Sprache gebracht.

Müller sagt dazu gegenüber dem «Bund»: «Mich stört, dass die Situation in den USA nun ausgenutzt wird, um bei uns politische Ziele zu erreichen, die bisher stets chancenlos waren.» Er ist dagegen, dass die Kantonspolizei zusätzliche Pflichten übernehmen muss. «Ein Quittungssystem würde die Polizeiarbeit massiv erschweren, was letztlich den Kriminellen hilft.»

Linke Berner Stadträtinnen und Stadträte fordern schon seit Jahren erfolglos, dass bei sämtlichen Personenkontrollen eine Quittung mit Angaben zur kontrollierten Person und zu Zeit, Ort, Grund und Ergebnis der Kontrolle erstellt und eine Kopie davon den kontrollierten Personen abgegeben wird.

«Es gibt kein Racial Profiling»

Für Müller ist hingegen klar: «Die Kantonspolizei Bern betreibt kein Racial Profiling.» Wenn ein dunkelhäutiger Mann im Perimeter Reitschule kontrolliert werde, dann tue die Polizei das auf einen konkreten Verdacht hin. «Der illegale Drogenhandel dort ist nun mal in der Hand von Farbigen aus Afrika. Als dunkelhäutiger Mann muss man bei der Reitschule deshalb damit rechnen, allenfalls von der Polizei kontrolliert zu werden», so Müller.

«Racial Profiling ist im Kanton Bern sehr wohl ein Problem», entgegnet Giorgio Andreoli, Sozialarbeiter und Leiter der Fachstelle Gemeinsam gegen Gewalt und Rassismus.

Um diskriminierende Personenkontrollen zu vermeiden, hat die Fachstelle 2012 ein Projekt initiiert mit dem Ziel, den Dialog zwischen der dunkelhäutigen Bevölkerung und der Kantonspolizei Bern zu fördern, um Konflikte bei Personenkontrollen zu vermeiden. Mitarbeitende der Fachstelle besuchen zudem die afrikanischen Communities und verteilen dort Flyer, um auf das Problem aufmerksam zu machen. Bei konkreten Beschwerden wird mit der Polizei das Gespräch gesucht.

Kaum Zahlen

Letztes Jahr sind bei der Fachstelle 15 Meldungen zu rassistischem Polizeiverhalten eingegangen. Es ist die einzige Zahl überhaupt, die zu diskriminierenden Kontrollen im Kanton Bern erhältlich ist. Ihre Aussagekraft ist beschränkt: Erstens sind dabei auch Fälle enthalten, die wohl auch auf das Konto der Grenzpolizei oder Bahnpolizei gehen. Zweitens meldet sich nicht jeder, der sich ungerechtfertigt kontrolliert fühlt, bei der Fachstelle.

Laut Andreoli hat es Verbesserungen gegeben: Dass Racial Profiling systematisch, auf Anweisung von oben, angeordnet werde, etwa dass man am Bahnhof zu einer bestimmten Zeit alle dunkelhäutigen Passanten kontrolliere, komme heute in Bern nicht mehr vor. Yannis Maviaki stimmt ihm zu: Das Problem der diskriminierenden Kontrollen sei früher wohl schlimmer gewesen. «Mein Vater war davon noch viel stärker betroffen.»



Racial Profiling nicht im Vertrag

Die Stadt wollte gestern nicht zur Interpellation im Stadtrat Stellung nehmen. Da der Vorstoss gerade erst eingereicht worden sei, könne und wolle man der Antwort des Gemeinderats nicht vorgreifen, heisst es bei der zuständigen Sicherheitsdirektion. Ob der Stadtberner Gemeinderat Einfluss auf die Polizeiarbeit nehmen kann, ist sowieso fraglich: Laut der kantonalen Sicherheitsdirektion regelt der Vertrag mit der Polizei nur, welche Ressourcen die Kantonspolizei Bern für Einsätze auf Stadtgebiet einsetzt und welche Abgeltungen die Stadt ihrerseits für die polizeilichen Dienstleistungen macht. «Es gibt in diesem Ressourcenvertrag keinen Passus zum Thema Racial Profiling», so Lea Zürcher, Sprecherin der Sicherheitsdirektion. (ama)
(https://www.derbund.ch/polizeidirektor-mueller-sieht-keinen-handlungsbedarf-910569685831)



derbund.ch 16.06.2020

Kommentar zum Rassismus-Vorwurf: So leicht darf es sich
die Polizei nicht machen

Kontrolliert die Berner Polizei dunkelhäutige Menschen besonders häufig? Es braucht mehr Transparenz, schreibt «Bund»-Chefredaktor Patrick Feuz.

Patrick Feuz

Die Vorfälle in den USA mit den Zuständen in Bern gleichzusetzen, wäre zynisch. Weder gibt es hier vergleichbare Polizeigewalt, noch profitieren bei uns fehlbare Beamte von weitgehender Immunität. Zu fragen, ob nicht auch im bernischen Polizeikorps rassistische Reflexe spielen, ist trotzdem legitim. Denn auch bei uns wird immer wieder der Vorwurf laut, dass die Polizei dunkelhäutige Menschen besonders häufig kontrolliere. Personenkontrollen allein aufgrund der Hautfarbe sind illegal, weil willkürlich.

Belastbares Zahlenmaterial, wie verbreitet sogenanntes Racial Pro­filing in der Schweiz ist, gibt es nicht. Daraus zu folgern, dass es in Bern nicht vorkommt, wäre blauäugig. Wenn Dunkelhäutige berichten, wie sie an unverdächtigen Orten gestoppt werden, ist das ernst zu nehmen. Jeder, der es schon selber erlebt hat, weiss: Unschuldig angehalten und aufgehalten zu werden, fühlt sich schlecht an. Natürlich gibt es keine Sicherheit, ohne dass mitunter auch die Freiheit unbescholtener Bürger leidet; in einem liberalen Staat muss das aber so selten wie möglich der Fall sein.

Es braucht Zahlen

Geht es um den Umgang der Polizei mit Dunkelhäutigen, wird es politisch rasch hitzig. Viele Kritiker sehen in jeder Kontrolle eines Dunkelhäutigen einen Beleg für Rassismus – und offenbaren so eine irritierende ­Realitätsferne. An einschlägigen Orten werden Dunkelhäutige besonders kontrolliert, weil sie den Drogenhandel dominieren. Die Polizisten machen nur ihren Job.

Umgekehrt wirkt in der Sache auch der Berner FDP-Polizeidirektor ­Philippe Müller unbeweglich. ­Kritikern unterstellt er, bloss die Polizeiarbeit erschweren zu wollen. Dass Polizisten jedem Kontrollierten künftig eine Quittung ausstellen, wie das auch schon gefordert wurde, mag un­praktikabel sein. Aber Müller darf es sich nicht zu leicht machen: Dass die Polizei selber keine Zahlen hat, wie viele Kontrollen an welchem Ort sie bei welchem Verdacht durchführt, oder diese nicht bekannt gibt – das geht eben auch nicht.
(https://www.derbund.ch/so-leicht-darf-es-sich-die-polizei-nicht-machen-601033123626)


+++POLIZEI BL
Wegen Falschgeld angezeigt: Baselbieter Polizeieinsatz gegen Jan (8) wird untersucht
Ein Achtjähriger hat in Diegten BL einen Polizeieinsatz ausgelöst – weil er mit Falschgeld zahlen wollte. Der Vorfall wird nun extern untersucht.
https://www.blick.ch/news/schweiz/basel/wegen-falschgeld-angezeigt-baselbieter-polizeieinsatz-gegen-jan-8-wird-untersucht-id15942870.html
-> https://www.baselland.ch/politik-und-behorden/direktionen/sicherheitsdirektion/medienmitteilungen/untersuchung-zwecks-klarheit-in-der-angelegenheit-maerkli
-> -> https://www.bzbasel.ch/basel/baselbiet/naechste-runde-im-diegter-spielgeld-fall-138195263
-> https://www.bazonline.ch/kathrin-schweizer-laesst-fall-maerkli-untersuchen-751383883258
-> https://telebasel.ch/2020/06/17/regierungsraetin-schweizer-gibt-untersuchung-im-fall-maerkli-in-auftrag
-> http://www.onlinereports.ch/News.117+M592e701803d.0.html


+++POLICE GE
Genf: Vermittlungsstelle gegen rassistische Polizeigewalt – Rendez-vous
In Genf gibt es eine Fachstelle, die bei Beschwerden gegen die Polizei vermittelt. Es war ein einschneidendes Erlebnis, das einen Ex-Polzisten mit rechter Vergangenheit zum Vermittler werden liess. Das Gespräch.
https://www.srf.ch/play/radio/rendez-vous/audio/genf-vermittlungsstelle-gegen-rassistische-polizeigewalt?id=7af949bc-5490-4f31-9222-a1c8396cabba
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/polizeigewalt-in-der-schweiz-die-proteste-sind-ein-warnsignal


+++POLIZEI DE
Widerstand unbekannt
Deutsche Polizeigewalt
Auf deutschen Polizeistationen wurde bis Frühjahr 1945 geprügelt und gefoltert. Über Widerstandsaktionen von Polizeibeamten ist nichts bekannt. Wie deutsche Polizisten heute ticken ist ebenfalls unbekannt. Das wird weder gelehrt noch erforscht.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1137986.widerstand-unbekannt.html


Es hat sich was geändert – aber nicht zum Besseren
Der Rassismus bei der Polizei äußert sich vielfältig – und nicht erst seit gestern
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1137981.rassismus-in-der-polizei-es-hat-sich-was-geaendert-aber-nicht-zum-besseren.html


+++POLIZEI INT
In ganz Europa sterben Menschen durch Polizeigewalt – hier sind ihre Geschichten
Dass People of Color durch Polizistenhand umkommen, ist kein exklusiv US-amerikanisches Problem.
https://www.vice.com/de/article/5dz33z/sieben-beispiele-fuer-polizeigewalt-in-europa-tod-rassismus


+++RASSISMUS
Ein Gespräch mit Rapper Nativ: «Diese Revolution beginnt in unseren Köpfen»
Nativ ist das Gesicht der Schweizer Rapszene. Auch weil er Themen wie Rassismus und Zugehörigkeit längst mit einem positiven Selbstbewusstsein behandelt. Er fordert die Schweiz auf, ihr Selbstbild upzudaten.
https://www.woz.ch/2025/ein-gespraech-mit-rapper-nativ/diese-revolution-beginnt-in-unseren-koepfen


Auf allen Kanälen: Schützen wir die Polizei
Die «Arena» des Schweizer Fernsehens wollte ein Zeichen setzen und über Rassismus debattieren. Sie wurde zur Farce.
https://www.woz.ch/2025/auf-allen-kanaelen/schuetzen-wir-die-polizei


Schweizer Geschichte: Ich sehe was, was du nicht siehst, und es ist weiss
An den Figuren der Hausfrau und des Bergführers beschreibt Patricia Purtschert die Geschichte einer weissen Schweiz – und hilft damit, die aktuellen Debatten um Antirassismus und Feminismus zu verschränken.
https://www.woz.ch/2025/schweizer-geschichte/ich-sehe-was-was-du-nicht-siehst-und-es-ist-weiss


Wegen Rassismus-Debatte: Zunft zum Mohren verhüllt Statue
Am Montag wurde ein umstrittenes Wandbild im Schulhaus Wylergut mit schwarzer Farbe übermalt. Aus Angst vor Vandalen hat die Zunft zum Mohren ihr Skulptur vorsorglich verhängt. Gerechtfertigte Vorsorge oder übertriebene Vorsicht?
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/wegen-rassismus-debatte-zunft-zum-mohren-verhuellt-statue-138196644


Keine Anzeige wegen übermaltem Wandbild im Wylergut
Der Berner Gemeinderat verzichtet auf eine Anzeige, weil er die Kritik am rassistischen Wandbild in der Schule Wylergut nachvollziehen kann.
https://www.bernerzeitung.ch/keine-anzeige-wegen-uebermaltem-wandbild-im-wylergut-371803627661
-> https://www.bern.ch/mediencenter/medienmitteilungen/aktuell_ptk/gemeinderat-begruesst-aktuelle-debatte-um-rassismus


fight white supremacy
Im Schulhaus Wyler steht ein Wandbild mit dem ABC, bestehend aus Bildern von Pflanzen, Tieren und Menschen. Beim Buchstaben N, I und C sind drei Menschen stereotypisiert, rassistisch und fremdbezeichnend dargestellt. Der Gebrauch vom N- und I-Wort ist rassistisch und nicht akzeptabel, weder in einer Bildungseinrichtung noch für die Bezeichnung einer Süssigkeit.
https://barrikade.info/article/3604


Warum die Schweiz nicht über Rassismus diskutieren kann
Es herrscht grosse Verwirrung in der Schweiz. Darüber, wer was sagen und darüber wer was machen darf. Kein Wunder. Wir sind gesellschaftlich relevanten Diskussionen jahrhundertelang aus dem Weg gegangen.
https://www.watson.ch/!294972018


«Rassismus habe ich noch nie erlebt»
Der Präsident der Jungen Berner SVP ist dunkelhäutig und Polizist. Hegt er darum Sympathien für die Schweizer Black Lives Matter Bewegung? Nein – im Gegenteil.
https://www.20min.ch/video/rassismus-habe-ich-noch-nie-erlebt-251241677101


Afroamerikanische Literatur – Der schwarze Blick auf eine weisse Welt
Rassismus in der Literatur – heute und damals: Die Romane von James Baldwin und Regina Porter erzählen eindrücklich davon. Zeit, sie zu entdecken.
https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/wochenende-gesellschaft/afroamerikanische-literatur-der-schwarze-blick-auf-eine-weisse-welt


SRF-Arena stellt schwarze Teilnehmerliste vor
Nach der Kritik an der Teilnehmerliste der letzten Arena hat Moderator Sandro Brotz die Gäste der zweiten Rassismus-Sendung vom kommenden Freitag vorgestellt.
https://www.nau.ch/news/schweiz/srf-arena-stellt-schwarze-teilnehmerliste-vor-65725910


Schwarze boykottieren Roger Köppel: SRF spült Sendung über Rassismus
Roger Köppel wurde zu einer Rassismus-Debatte von Radio SRF eingeladen. Auf ein Gespräch mit dem SVP-Hardliner hatten Angefragte aber offenbar keine Lust.
https://www.nau.ch/politik/international/schwarze-boykottieren-roger-koppel-srf-spult-sendung-uber-rassismus-65725459
-> https://www.nzz.ch/schweiz/fernseh-arena-nimmt-einen-neuen-anlauf-und-will-ueber-rassismus-nur-mit-schwarzen-diskutieren-ld.1561692


+++RECHTSPOPULISMUS
Burka-Verbot: Debatte über Rechtsstaat, Religion und Frauenrechte
Der Nationalrat hat am Mittwochmorgen die Beratung über die Burka-Initiative aufgenommen. Es ist eine Debatte über Rechtsstaat, Religion und Frauenrechte. Für die Initiative treten nur die SVP und ein Teil der Mitte-Fraktion ein.
https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2020/20200617132824768194158159041_bsd114.aspx
-> https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2020/20200617105147714194158159041_bsd062.aspx
-> https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2020/20200617050039225194158159041_bsd021.aspx
-> https://www.blick.ch/news/politik/debatte-zur-burka-initiative-im-ticker-und-das-mitten-in-der-corona-krise-svp-will-verhuellung-verbieten-id15941307.html
-> Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/tagesschau-vom-17-06-2020-hauptausgabe?id=622f4233-1b87-42b6-a487-2b45a3222a30
-> https://www.telezueri.ch/zuerinews/burka-initiative-feministinnen-irritiert-ueber-svp-engagement-fuer-frauenrechte-138196627
-> https://www.tvo-online.ch/aktuell/debatte-um-burka-nationalrat-beschaeftigt-sich-mit-138196401


+++RECHTSEXTREMISMUS
Umstrittener Verein hat Sitz in Rotkreuz –  Uniter: Zuger Regierung sieht keinen Handlungsbedarf
Der Verein Uniter, dem rechtsextreme Tendenzen nachgesagt werden, hat dieses Jahr seinen Hauptsitz in den Kanton Zug verlegt. Die Alternative – die Grünen (ALG) reichte daraufhin eine Interpellation ein. Dem Regierungsrat sind jedoch die Hände gebunden.
https://www.zentralplus.ch/uniter-zuger-regierung-sieht-keinen-handlungsbedarf-1819371/


Deutscher Neonazi steht in Hinwil vor Bezirksgericht
Ein deutscher Neonazi muss sich am Dienstag vor dem Bezirksgericht in Hinwil ZH verantworten. Dies wegen Rassendiskriminierung und einem Waffenlager.
https://www.nau.ch/news/schweiz/deutscher-neonazi-steht-in-hinwil-vor-bezirksgericht-65725789


Terrordrohung im Rap-Lied
Neonazirapper Chris Ares bringt ein neues Album heraus. In seinen Liedern schürt er Angst vor Migranten und verherrlicht rechten Terrorismus.
https://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2020/06/17/terrordrohung-im-rap-lied_29825


+++VERSCHWÖRUNGSTHEORIEN
Bewilligte «Corona-Mahnwache» auf Münsterplatz geplant
Anonyme Organisatoren, die mit dem Namen «Impuls2020» auftreten, laden zu einem Nachmittagsprogramm ein.
https://primenews.ch/news/2020/06/bewilligte-corona-mahnwache-auf-muensterplatz-geplant


Anonymous schlägt zu und stiftet Chaos in Chat-Gruppe von Corona-Verschwörungstheoretikern
Letzte Woche hat das Hacker-Kollektiv Anonymous einen Webserver von Corona-Verschwörungstheoretiker Attila Hildmann gehackt und weitere Aktionen angedeutet. Nun ist es bereits passiert.
https://www.watson.ch/!367691925


Buch „Fake Facts“ – auch zur Coronakrise:  Wenn Verschwörungstheorien extrem gefährlich werden
Katharina Nocun und Pia Lamberty sezieren Verschwörungsdenken: Auch vermeintliche Spinnereien können Einstieg für Radikalisierung sein.
https://www.tagesspiegel.de/kultur/buch-fake-facts-auch-zur-coronakrise-wenn-verschwoerungstheorien-extrem-gefaehrlich-werden/25921432.html


Neue Weltordnung? Streit um Snowboard-Star artet aus: Rapper Knackeboul fordert Sperre für Müller
Nicolas Müller spüre sich schon seit Wochen nicht mehr, schreibt Rapper Knackeboul auf Instagram. Er fordert seine Follower auf, den Snowboarder wegen dessen Verschwörungstheorien zu melden.
https://www.blick.ch/sport/wintersport/snowboard/neue-weltordnung-streit-um-snowboard-star-artet-aus-rapper-knackeboul-fordert-sperre-fuer-mueller-id15941724.html
-> https://www.blick.ch/sport/wintersport/snowboard/sponsoren-kicken-nicolas-mueller-raus-schweizer-snowboard-held-glaubt-an-neue-weltordnung-id15940010.html


Die Seuche, das sind die Anderen:  Autoritäre Corona-Rebellen-Proteste in Rheinland-Pfalz
Was wollen die „Coronarebellen“ eigentlich? Warum demonstrieren sie gegen mangelnde Meinungs- und Versammlungsfreiheit, während sie sie ausüben? Und warum ist das für Menschen attraktiv? Eine Analyse zum autoritären Charakter der Proteste aus Rheinland-Pfalz.
https://www.belltower.news/die-seuche-das-sind-die-anderen-autoritaere-corona-rebellen-proteste-in-rheinland-pfalz-100443/


Zwischen 5G und der Verbreitung des Coronavirus besteht definitiv kein Zusammenhang
In Europa häufen sich Attacken gegen Mobilfunkantennen. Dahinter dürfte auch die These stecken, wonach die Verbreitung von 5G mit Covid-19 zusammenhänge. Die NZZ hat die These kritisch überprüft.
https://www.nzz.ch/technologie/besteht-ein-zusammenhang-zwischen-5g-und-dem-coronavirus-ld.1561372
-> 10vor10: https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/10vor10-vom-17-06-2020?id=667504f8-6e7a-4230-a12b-f71833e34bf2


+++HISTORY
Postkolonialismus: Staatlich verordnete Amnesie
Bis «Black Lives Matter»-AktivistInnen sie herunterrissen: Warum konnte die Statue eines Sklavenhändlers im Hafen Bristol über hundert Jahre lang in Ruhe stehen bleiben?
https://www.woz.ch/2025/postkolonialismus/staatlich-verordnete-amnesie



spiegel.de 17.06.2020

Wie aus Kayvan Soufi-Siavash der Verschwörungsideologe Ken Jebsen wurde

Mit wirren Thesen zur Coronakrise erreicht „KenFM“ Zehntausende Zuschauer im Internet. Der SPIEGEL hat den Werdegang des Machers nachgezeichnet. Auffällig sind seine Verbindungen nach Russland.

Von Maik Baumgärtner, Roman Höfner, Ann-Katrin Müller, Roman Lehberger, Alexandra Rojkov und Sara Wess

Es ist 4.35 Uhr, mitten in der Nacht des 6. November 2011, als der Publizist Henryk Broder im Netz die E-Mail eines gewissen Kayvan Soufi-Siavash veröffentlicht und zwei Ereignisse in Gang setzt. Zum einen sorgt er dafür, dass Soufi-Siavash, damals wie heute besser bekannt als Ken Jebsen, seinen Job als Radiomoderator des öffentlich-rechtlichen Rundfunks rbb verliert. Zum anderen startet er die Internetkarriere von Soufi-Siavash, der fortan gegen die klassischen Medien hetzt und Verschwörungsideologien verbreitet.

Die krude Quintessenz von Soufi-Siavashs Mail, die Broder verbreitete: Dunkle Mächte regierten die Weltgeschicke. Soufi-Siavash faselt ohne Rücksicht auf Grammatik und Zeichensetzung von der CIA, der Nato und über „die grosse sache derer die ganz oben uns alle wie marionetten tanzen lassen“. Die Zeilen waren nicht für Broder bestimmt, sie wurden ihm von einem Hörer des rbb zugespielt. Der Hörer hatte sich über die Beiträge Soufi-Siavash beschwert und prompt eine Antwort des Radiomoderators erhalten: „Sie brauchen mir keine holocaus informatinen zukommen lassen. ich habe mehr als sie. ich weis wer den holocaust als PR erfunden hat.“ Broder veröffentlicht die Mail – und sorgt für einen Skandal im rbb.

Broder, 73, sitzt vor wenigen Wochen vor dem großen Bücherregal in seiner Berliner Wohnung und starrt auf den Laptop. Er hat die alte E-Mail noch einmal herausgesucht. Die Nachricht an den Zuhörer strotze nur so vor antisemitischen Klischees, sagt Broder. Daran ändere auch Soufi-Siavashs öffentliche Verurteilung des Holocausts nichts.

Die Empörung nach Broders Veröffentlichung im November 2011 war groß. Zunächst hielt die Führung des rbb zu Soufi-Siavash. Den Vorwurf des Antisemitismus sah man nach einer Aussprache als unbegründet an. Dann schauten sich die Verantwortlichen im Sender seine Arbeit genauer an. Wie die damalige Programmdirektorin Claudia Nothelle feststellte, entsprachen zahlreiche seiner Beiträge „nicht den journalistischen Standards des rbb“. Der zuständige Programmchef trat zurück. Soufi-Siavash musste das Haus verlassen. Er machte selbstständig weiter.

Zwölf Millionen Videoaufrufe allein im April

Heute ist Soufi-Siavash alias Ken Jebsen einer der erfolgreichsten Verschwörungsideologen Deutschlands. Seine Plattform „KenFM“ bedient verschiedene Formate, es gibt Videos, Podcasts und Texte, eine eigene Website und eine App. Und spätestens seit der Coronakrise erreicht er damit Millionen Menschen. Die Pandemie bescherte seinem YouTube-Kanal einen massiven Zuwachs. Im März dieses Jahres gewann er rund 35.000 neue Abonnenten hinzu, im April waren es 75.000. Im vergangenen Jahr waren es monatlich nur etwa 5000 bis 6000. Mit den neuen Abonnenten steigt auch die Zahl der Videoaufrufe, zwölf Millionen waren es allein im April.

Während der ersten Proteste um die sogenannten Hygiene-Demonstrationen in Berlin waren es KenFM und das Querfront-Magazin „Rubikon“, die beifallheischend berichteten. Die beiden Medien verbindet mehr als das Verbreiten kruder Theorien: Einer der früheren Mitgesellschafter und Gründer von „Rubikon“ ist heute verantwortlich für die technische Betreuung der KenFM-App.

Wie aber war es möglich, dass sich ein populärer Radiomoderator eines öffentlich-rechtlichen Senders zu einem Verschwörungs-YouTuber entwickeln konnte? Am liebsten würde man darüber natürlich mit Soufi-Siavash selbst sprechen. Doch als der SPIEGEL ihm Fragen zu den Informationen stellte, die sich in diesem Text finden, erhielt er keinerlei Antwort.

„Meister der Provokation”

Einer, der Soufi-Siavash schon lange kennt, ist Steffen Höffner (Name geändert). Ende der Achtzigerjahre volontierte er mit Soufi-Siavash beim Reutlinger Radiosender „Neufunkland“. „Ich habe gerne mit ihm gearbeitet. Damals waren wir beide jung und sehr meinungsstark“, sagt der heute 51-Jährige. Soufi-Siavash habe erzählt, er sei Waldorfschüler gewesen. „Das glaube ich ihm auch, er hat immer seinen Namen getanzt. Aber man musste schon aufpassen, was er erzählte. Vieles waren Legenden. Er war damals schon ein Prediger, nur die Themen haben sich gewandelt.“ Höffner überrascht nicht, dass Jebsen heute Verschwörungsideologien propagiert. „Er hatte schon immer einen extremen Geltungsdrang, er ist Narzisst, das ist seine Existenzgrundlage.“ Seine Motivation laut Höffner: im Mittelpunkt stehen und damit Geld verdienen.

Zum Radio sei Soufi-Siavash wegen seiner Leidenschaft zur Musik gegangen, sagt Höffner. Auch damals sei er ein „cleverer Geschäftsmann“ gewesen und habe gesagt „Radio bringt keinen Erfolg, ich mache jetzt Fernsehen.“ Den Namen „Ken Jebsen“ habe sein damaliger Freund während des Volontariats angenommen. „Er hat sich damals überall als Keks vorgestellt, so hat er auch moderiert.” Der Chefredakteur habe dann aber gesagt, dass sich ein Reporter nicht so nennen könne. Das Pseudonym hätten sich Jebsen und Höffner dann gemeinsam ausgedacht: „Der Name Jebsen stammt aus der Familie seiner Mutter, und Ken, weil seine Frisur aussah wie die von Barbie-„Ken.“

Vor 20 Jahren habe er den Kontakt verloren. Die Entwicklung seines früheren Kompagnons überrascht Höffner nicht. „Er war immer schon ein Meister der Provokation, er ist Entertainer, ein verbales Maschinengewehr.“

Auch ein ehemaliger Mitarbeiter von Soufi-Savashs Produktionsfirma „sector B” berichtet dem SPIEGEL, dass Soufi-Siavash nach seinem skandalösen Abgang beim rbb offenbar große Pläne hatte und eine eigene Fernsehsendung produzieren wollte. Er habe ein großes Publikum erreichen wollen, so der Ex-Mitarbeiter – doch der Plan scheiterte.

Stattdessen begann das neue Leben Soufi-Siavashs im Internet. Immer wieder taucht er außerdem seit 2011 als politischer Akteur auf Demonstrationen auf. Zuletzt als Redner gegen die Corona-Beschränkungen, in den Jahren zuvor auf den sogenannten Mahnwachen für den Frieden, die 2014 im Zusammenhang mit der russischen Annexion der ukrainischen Krim stattfanden.

Immer wieder Russland

Russland ist Soufi-Siavash offenkundig wichtig. Als er 2016 nach Moskau reiste, sagte er in einem seiner Videos: „Die Raketen, die aus dem Westen fliegen würden … würden in dieser Stadt aufschlagen und diese Stadt … heißt Moskau.“ Soufi-Siavash behauptete, dass vom US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein aus ein Krieg gegen Russland geführt werden könne.

2017 besuchte eine Gruppe deutscher Politiker und Unternehmer die Krim. Mit dabei: Soufi-Siavash, aus Sicht russischer Staatsmedien ein „unabhängiger Journalist”. Die organisierte Reise sollte den „Mythen“, die angeblich über die Krim verbreitet würden, die „Realität“ entgegensetzen. Die russischen Interessen auf der Krim liegen Soufi-Siavash offenbar am Herzen: Er kündigte damals an, ein Korrespondentenbüro auf der Krim eröffnen zu wollen.

Der Kontakt mit Russland blieb auch nach der Reise eng. Im vergangenen Jahr erhielt Soufi-Siavash besonderen Besuch in seinen Berliner Büroräumen: Alexander Malkewitsch reiste in die deutsche Hauptstadt, um das „beliebteste alternative Medium in Deutschland” aufzusuchen. Malkewitsch ist Kopf der kremlnahen „Stiftung für den Schutz der nationalen Werte“ in Moskau und steht auf der US-Sanktionsliste. In den USA hatte er versucht ein Nachrichtenunternehmen zu gründen, dem direkte Verbindungen zu russischen „Trollfarmen” nachgesagt wurden. Später wurden in Libyen zwei seiner Mitarbeiter festgenommen – wegen mutmaßlicher Wahlbeeinflussung.

Malkewitsch führte ein ausführliches Interview mit Soufi-Siavash. Darin behauptet der YouTuber, man dürfe in Deutschland nicht negativ über die Nato berichten, und Angela Merkel habe einen Rechtsbruch begangen, als sie 2015 beschloss, die deutsche Grenze nicht für Flüchtlinge zu schließen. Malkewitsch witzelte zum Schluss: Werde Soufi-Siavash bei so viel antiamerikanischer Berichterstattung nicht verdächtigt, ein russischer Spion zu sein? Was seine Ideen angehe, sei er das womöglich, erwidert Soufi-Siavash. Geld bekomme er dafür jedoch nicht.

Für das umfangreiche Programm auf seiner Plattform braucht Soufi-Siavash Unterstützung. Das Team von „KenFM“ besteht aus mehreren Mitarbeitern, die für Redaktion, Inhalt, Kamera und Produktion zuständig sind. Die Internetseite listet insgesamt 26 Autorinnen und Autoren auf. Dazu zählt die frühere Münchner Stadträtin Dagmar Henn, die einst dem Bundesvorstand der Deutschen Kommunistischen Partei angehörte. Sie „halte nicht viel von Demokratie”, hat Henn einmal gesagt. Auf „KenFM“ kritisiert sie das Handeln des „merkelschen Propagandaapparats“ – sowohl in der Coronakrise als auch im Umgang mit den Flüchtenden, die 2015 nach Deutschland kamen.

Unbekannte Geldflüsse

Souvi-Siavash finanziert sich über verschiedene Wege. In seiner App findet sich Google-Werbung, eine werbefreie Version gibt es im Abo für 4,99 Euro im Monat. Vor allem sammelt Soufi-Siavash Spenden ein, über ein Konto bei der Bochumer GLS-Bank und die Funding-Plattformen Patreon und Tipeee. Er nimmt gern auch die anonyme digitale Währung Bitcoin an. Zuletzt war die digitale Geldbörse mit Bitcoins im Wert von rund 30.000 Euro gefüllt. Wer die Spender sind, bleibt im Dunkeln.

Eine weitere Einnahmequelle erschloss sich Soufi-Siavash über eine Kooperation mit dem Frankfurter Westend Verlag und dessen Plattform „Buchkomplizen“. Dort erschien bereits 2016 das Buch „Der Fall Ken Jebsen oder Wie Journalismus im Netz seine Unabhängigkeit zurückgewinnen kann”, Autor ist der 9/11-Verschwörungsideologe Mathias Bröckers, der wiederum im Beirat des Querfront-Mediums „Rubikon” sitzt. Vor Kurzem hat der Westend Verlag die Zusammenarbeit mit Soufi-Siavash beendet, „unter anderem aufgrund Ken Jebsens Haltung zu verschiedenen Themen“, wie es auf Anfrage des SPIEGEL heißt.

Gut gegen Böse

Doch wer sind die Menschen, die ihm diese Klickzahlen und Abrufe bescheren? Das Publikum von Soufi-Siavash reicht von Antimilitaristen, Globalisierungskritikern, Verschwörungsideologen, Esoterikern über Anthroposophen bis in die bürgerliche Mitte hinein. Organisierte Rechtsextremisten oder radikale Linke hören und sehen ihn offenbar kaum – es sind die Ungebundenen und Unsicheren, die „KenFM“ mit seinem Programm abholt. Ihr Motto: Wir hier unten gegen die da oben – Gut gegen Böse.

Soufi-Siavash und seine Mitstreiter fischen auch erfolgreich im Gewässer der Gegner des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: „Verfolge Ken seit Jahren! Hab über die kontroversen Mahnwachen meine ganze Familie mit Ken.fm infiziert und sie haben im Gegenzug der Mainstreamkrankheit entsagt”, schreibt ein App-Nutzer in den Bewertungen. Ein anderer: „Medien Revolution auf höchsten Niveau, KenFm ist für mich Das Portal welches mir im Einheitsbrei des zwangsfinanzierten Mainstream in Deutschland Die Alternative bietet welche ich benötige um nicht völlig zu verzweifeln!“

Antisemitische Erzählmuster

Der Skandal, der Soufi-Siavash 2011 seinen rbb-Job gekostet hat, scheint seine Fans nicht zu stören. Im Gegenteil: Antisemitismusvorwürfe begleiten den Verschwörungsideologen durch seine Internetkarriere. Der Soziologe Felix Schilk promoviert an der TU Dresden und befasst sich schon länger mit Antisemitismus – und mit Soufi-Siavash. „Wenn man sich seine Videos und Äußerungen anschaut, dann finden sich darin immer wieder antisemitische Argumentationsmuster“, so Schilk. Die Schablone, mit der er auf die Welt schaue, sei eine antisemitische: „Soufi-Siavash teilt die Welt in Gut und Böse und vertritt die These, dass die Weltgeschichte von bösen Mächten bestimmt wird, die er dann auch personifiziert.“

Auffällig sei, wie geschickt Soufi-Siavash mittlerweile sei, sagt Schilk. Nach seinem rbb-Rauswurf habe er sich häufig zu Israel geäußert, dem Staat immer wieder die Verantwortung an Kriegen gegeben, in einem Video über die angebliche Israel-Lobby in den USA von Zionisten gesprochen, die die Wall Street bestimmen. Das Video habe er nach öffentlichem Druck gelöscht. Und heute? Schilk: „Solche Begriffe verwendet er während der Coronakrise so nicht mehr.“ Er nutze stattdessen die sogenannte Umwegkommunikation, verklausuliere seinen Antisemitismus besser.

Ohne öffentliche Antisemitismus-Skandale kann Soufi-Siavash schließlich mehr Leute erreichen. Und selbst bestimmen, wann und worüber er einen Skandal auslöst.
(https://www.spiegel.de/panorama/leute/verschwoerungstheoretiker-ken-jebsen-ein-verbales-maschinengewehr-a-81948d79-f7b3-428e-9506-04a9bd56cd29)