Medienspiegel 13. Mai 2020

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++BASEL
Gewalt im Asylheim, Schwedens Sonderweg, Verkupplungsboom – Rundschau SRF
Ein Asylsuchender rastet aus und greift einen Sicherheitsmann an. Dieser ruft Verstärkung. Der Migrant wird auf den Boden gedrückt und verletzt sich. Die «Rundschau» ist Gewaltvorwürfen in einem Asylzentrum nachgegangen. Ausserdem: Hat es Schweden besser im Griff? Und: Risikoperson sucht Partnerin.
https://www.srf.ch/play/tv/rundschau/video/gewalt-im-asylheim-schwedens-sonderweg-verkupplungsboom?id=539cd587-8b5e-46b0-bb3f-62f669d4d371


Asylpolitik: Tatort Besinnungsraum
Recherchen zeigen: Im Basler Bundesasylzentrum Bässlergut kommt es immer wieder zu Gewalt. Die Behörden wiegeln ab. Doch brisanter als die einzelnen Fälle ist die Systematik.
https://www.woz.ch/2020/asylpolitik/tatort-besinnungsraum
-> https://www.watson.ch/schweiz/basel/495139751-brisante-recherchen-gibt-es-ein-gewalt-problem-im-bundesasylzentrum-baesslergut
-> https://www.bzbasel.ch/basel/protokolle-der-gewalt-aus-dem-baesslergut-recherche-enthuellt-zustaende-in-basler-bundesasylzentrum-137865771


Gewalt-Problem – Prügel-Klima in Basler Asylzentrum
Regelmässig fahren im Heim Bässlergut Polizei und Krankenwagen ein. Asylbewerber und Sicherheitsleute beschuldigen sich gegenseitig.
https://www.srf.ch/news/schweiz/gewalt-problem-pruegel-klima-in-basler-asylzentrum


+++ZÜRICH
Social Fabric: «Uns braucht es mehr denn je»
Dem Non-Profit-Unternehmen Social Fabric, das Geflüchteten eine Perspektive im Schweizer Arbeitsmarkt gibt, droht wegen der Corona-Krise die Schliessung. Doch die Co-Leiterinnen geben sich nicht so leicht geschlagen.
https://tsri.ch/zh/social-fabric-uns-braucht-es-mehr-denn-je/


+++SCHWEIZ
Sans-papiers und “kleine Selbständige” in der Schweiz von Armut bedroht
Fast 8% der Bevölkerung lebten in der Schweiz bereits vor der Coronavirus-Krise in Armut, und mehr als eine Million Menschen hatten Mühe, über dem Existenzminimum zu bleiben. Die Pandemie bringt viele von ihnen in Existenznot.
http://www.swissinfo.ch/ger/covid-19-krise_sans-papiers-und–kleine-selbstaendige–in-der-schweiz-von-armut-bedroht/45757678


+++ITALIEN
600’000 Migranten erhalten Papiere: Italiens Pasionaria bestellt die Felder
Teresa Bellanova war als Kind Feldarbeiterin, nun ist sie Agrarministerin. Dank ihr bekommen «illegale Migranten» Aufenthaltsbewilligungen – damit die Ernten nicht verfaulen.
https://www.tagesanzeiger.ch/italiens-pasionaria-bestellt-die-felder-443690458532


+++GRIECHENLAND
Nach Einreise aus der Türkei: Zwei Migranten auf Lesbos haben das Coronavirus
Zum ersten Mal ist bei Migranten auf Lesbos das Coronavirus nachgewiesen worden. Die Infizierten sollen sich allerdings seit ihrer Einreise in Quarantäne befinden. Einen Zusammenhang mit dem Lager Moria soll es aber nicht geben.
https://www.spiegel.de/politik/ausland/coronavirus-zwei-migranten-auf-lesbos-positiv-getestet-a-388789cb-c580-47ca-b22a-ccc602a36849


+++GASSE
Die Menschen verschwinden nicht
Auf der Schützenmatte kocht und verteilt der Verein Medina dreimal in der Woche Abendessen. Die Präsenz auf dem ansonsten verlassenen Platz ist aktuell wichtiger denn je.
http://www.journal-b.ch/de/082013/politik/3598/Die-Menschen-verschwinden-nicht.htm



bernerzeitung.ch 13.05.2020

So startet «Tischlein deck dich» wieder

Sozialhilfeempfänger mit bescheidenem Budget sind auf die Lebensmittel von «Tischlein deck dich» angewiesen. Endlich können sie diese in Burgdorf wieder beziehen.

Regina Schneeberger

Bereits eine halbe Stunde bevor die Tür aufgeht, stehen die Leute vor der Burgdorfer Markthalle Schlange. Ein Bild, wie man es sonst von Konzerten oder Messen kennt. Doch die Leute hier haben ein viel grundlegenderes Bedürfnis. Sie warten auf die Abgabe jener Lebensmittel, die sie sich sonst kaum leisten können. Der gemeinnützige Frauenverein verteilt heute erstmals wieder Esswaren an Bedürftige. Nach dem Lockdown hat das «Tischlein deck dich» den Betrieb an diesem Mittwochvormittag erneut aufgenommen.

Ein Mann, die langen Haare zum Pferdeschwanz gebunden, stellt sich in die Reihe. Hinter sich zieht er einen Einkaufstrolley her. «Ich bin sehr froh, dass ich wieder hierhin kommen kann», sagt er. In den vergangenen Wochen sei es für ihn schwierig gewesen. Der 31-Jährige hat Diabetes, gehört zur Risikogruppe. Aus dem Haus ging er kaum mehr. «Das ewige in der Wohnung-Sitzen war schon nervig», sagt er.

Die Einkäufe hat dem Mann ein Kollege vorbeigebracht. Nun traue er sich langsam wieder raus. Doch nicht nur die Isolation setzte ihm zu, auch das Geld bereitete ihm Sorgen. Denn die Mittel für Esswaren sind knapp. 300 Franken könne er im Monat ausgeben. «Ich bin ständig am Rechnen.» Wenn dann ein Angebot wie die Lebensmittelabgabe wegfalle, reisse das ein Loch ins Budget.

Die Risikogruppe

Der Unterbruch machte auch Margrit Dummermuth zu schaffen. Sie ist beim gemeinnützigen Frauenverein fürs «Tischlein deck dich» zuständig. «Ich hatte ein ziemlich schlechtes Gewissen, als wir Mitte März Pause machen mussten», sagt sie. Aber es habe keine andere Möglichkeit gegeben. Die anderen Abgabestellen in der Schweiz gaben den Betrieb ebenfalls nach und nach auf. Der Grund: Viele der freiwilligen Helferinnen und Helfer sind über 65 Jahre alt, gehören zur Risikogruppe. In Burgdorf sind zwei Drittel älter als 65. Für sie musste Dummermuth Ersatz finden. Dank eines Aufrufs von Healthy Emmental habe es dann geklappt. Der Verein hat zu Beginn der Corona-Krise eine Plattform für Nachbarschaftshilfe lanciert. «Nun haben wir zum Glück genug jüngere Helfer», sagt Dummermuth. Acht Leute sind jeweils im Einsatz.

Zudem musste der Frauenverein einen neuen Ort für die Lebensmittelabgabe finden. Bei der Heilsarmee sei es zu eng gewesen, man hätte die nötigen Abstände nicht einhalten können. «Die Stadt lässt uns jetzt die Markthalle bis Anfang Juli kostenlos nutzen», so Dummermuth.

In der Markthalle ist Abstand halten kein Problem. Einer nach dem anderen kann sich bei der Ausgabe zwei Tüten holen. Eine Kühltasche mit verderblichen Waren wie Fleisch, Joghurt und Käse. Und eine Papiertasche mit Teigwaren, Brot, Gemüse, Linsen und vielem mehr. Je nach Anzahl Familienmitglieder hat es von allem etwas grössere oder kleinere Mengen. Die Waren konnten Grossverteiler und kleinere Lebensmittelgeschäfte nicht mehr verkaufen. Es handle sich aber nicht um abgelaufene Produkte, so Margrit Dummermuth. Menschen mit bescheidenen finanziellen Mitteln können beim Sozialdienst eine Karte beantragen, die sie bei der Abgabestelle vorweisen müssen. 85 Personen haben in Burgdorf eine solche Karte. Vorbeikommen würden jeweils etwa 50 Leute, sagt Margrit Dummermuth.

Vollbepackt macht sich eine Frau mit violettem Mantel auf den Heimweg. «Ich bin dem Frauenverein extrem dankbar, dass sie wieder geöffnet haben», sagt sie. Um Lebensmittel zu kaufen, habe sie nur wenig Mittel, wie wohl jeder, der hierhin komme, so die 45-Jährige. Und auch etwas anderes habe ihr gefehlt. «Beim Anstehen schwatzen wir immer.»

Über die Runden gekommen

Eine halbe Stunde später hat es kaum mehr Leute vor der Markthalle. Gerade noch rechtzeitig kommt eine alleinerziehende Mutter. «Die letzten Wochen waren eine geballte Ladung», sagt sie. Plötzlich sei sie Lehrerin ihrer drei Kinder gewesen. «Aber es hatte auch schöne Seiten, alles war etwas entschleunigt.» Dass sie mehr Geld für Lebensmittel ausgeben musste, habe sie gespürt. Hin und wieder habe sie das Überbrückunsangebot der Heilsarmee genutzt. Diese hat vorübergehend einen Teil der Esswaren verteilt. So sei sie irgendwie über die Runden gekommen, sagt die 38-Jährige. Einige Ausgaben seien zudem weggefallen. Etwa die Hallenbadeintritte oder das Ticket fürs Konzert der Kadettenmusik, in der die Kinder spielen.

Noch stehen bei der Abgabestelle rund fünfzehn Säcke. Das, was übrig bleibt, geben beispielsweise die Sozialämter ihren Klienten ab, oder es wird von der Heilsarmee verteilt. «Wegwerfen tun wir natürlich nichts», sagt Margrit Dummermuth.
(https://www.bernerzeitung.ch/so-startet-tischlein-deck-dich-wieder-561461770470)


+++FREIRÄUME
tagesanzeiger.ch 13.05.2020

Räumung Juch-Areal: Grüne und SP geben sich gegenseitig die Schuld

Die Linksparteien setzen sich geeint für die Besetzerinnen und Besetzer des Juch-Areals ein. Nun zeigen E-Mails gegenseitige Kritik und Schuldzuweisung.

Martin Sturzenegger

Der Zürcher Stadtrat verkündete seinen Entscheid mitten in der Corona-Krise. Einer Zeit, unwiderruflich verknüpft mit einer deutlichen Anweisung: «Bleibt zu Hause. Bitte. Alle.»

Für die Besetzerinnen und Besetzer des Juch-Areals sollte Gegenteiliges gelten: Sie erhielten vom Stadtrat am 20. April eine Frist von vier Tagen, um ihre Baracken in Zürich-Altstetten zu verlassen. Unwiderruflich, an alle und ohne Bitte. Das Areal sei vermietet worden. An wen, wollte die Stadt nicht sagen.

Erst nach lautem Protest räumte sie ein, die Firma HRS Real Estate, die neben dem Areal das neue ZSC-Stadion baut, brauche mehr Platz. Der Stadtrat krebste zurück und setzte eine neue Räumungsfrist auf den 22. Mai. Speziell an dem Fall: Die Zürcher Linksparteien SP, Grüne und AL traten bis anhin geeint gegen den Räumungsentscheid auf. Eine klare Positionierung gegen die eigenen Stadträte, in parteiübergreifender Eintracht.

Fernab der medialen Öffentlichkeit ist der Ton unter den Parteien weniger harmonisch. So werden gegenseitige Schuldzuweisungen geäussert, wie E-Mails der Parteipräsidenten Marco Denoth (SP) und Felix Moser (Grüne) belegen, die dem «Tages-Anzeiger» vorliegen.

Irritation und ein Maulkorb

In einer Mail antwortet Denoth einer Bürgerin, die sich kritisch über die Räumung äussert: «Die SP kritisiert die Räumung sehr wohl.» Er lobt die Rolle des SP-Stadtrats Raphael Golta, der die Räumung herausgezögert habe. Die Änderung der kommenden Räumungsfrist vom 22. Mai liege jedoch ausserhalb des Einflusses der Partei. Denoth verweist auf die städtische Liegenschaftsverwaltung, die den Mietvertrag mit der Firma HRS Real Estate verabschiedet hatte. «Das liegt nicht in unserem Einflussbereich.»

Das kann als Seitenhieb auf den grünen Finanzvorsteher Daniel Leupi verstanden werden, dem die Liegenschaftsverwaltung untersteht. Als solches fasste es auch der Grünen-Präsident Felix Moser auf. Mit den Aussagen von Denoth konfrontiert, zeigte er sich «irritiert». Dies entspreche nicht den Tatsachen, wie er sie wahrgenommen habe. «Die Räumung wurde von Stadtrat Golta angeordnet», schreibt Moser. Er habe sie dann sehr kurzfristig um einen Monat verschoben, nachdem er von den Grünen, anderen Parteien und Gruppierungen unter Druck geraten sei.

SP-Präsident Denoth wandte sich derweil an seinen eigenen Stadtrat. Er schreibt Golta, die Partei habe mehrere kritische Mails zur Räumung erhalten. Er fragte: «Antwortest du auf solche Mails?» Die Antwort folgte wenige Minuten später: «Wir beantworten vorderhand die Mails in Sachen Juch nicht.» Es seien etwas gar viele Mails dazu eingegangen – «nicht nur freundliche», schreibt Golta. Das Ziel müsse jetzt sein, nicht noch mehr Öl ins Feuer zu giessen. Was der Stadtrat in seiner Antwort vergass: Er beliess die Kritikerin im CC seiner Mail.

Der innerlinke Zwist wirft die Frage über die Zuständigkeit des Räumungsentscheids auf: das Finanzdepartement unter Leupi oder das Sozialdepartement von Golta? Auf die jeweilige TA-Anfragen antworten die beiden Departemente einheitlich. Es handle sich um einen Entscheid des Gesamtstadtrates. Die Federführung für das Dossier Juch-Areal liege beim Sozialdepartement. Die Verträge zwischen HRS und der Stadt würden hingegen durch die Liegenschaftsverwaltung abgeschlossen, sprich durch das Finanzdepartement. Involviert sind also beide Stadträte. Die Frage, ob sie persönlich der Räumung zugestimmt hätten, lassen Golta wie Leupi unbeantwortet.

SP-Präsident Marco Denoth ist die Angelegenheit hörbar unangenehm. Er wertet die geleakten Mails als Versuch Unbekannter, die SP und die Grünen gegenseitig auszuspielen. Die Linksparteien seien sich einig, sagt Denoth. «Wir fordern einen Räumungsverzicht des Areals während der Corona-Zeit.» Die Differenz zum Stadtrat sei in diesem Fall unbestritten. Doch es handle sich nicht um einen Alleinentscheid Goltas, sondern des gesamten Stadtrates.
Petition lanciert

Der Grünen-Präsident Moser möchte sich nicht zur Angelegenheit äussern. Er verweist auf seinen Kollegen Luca Maggi. Auch er wertet die Mails als Versuch, die Parteien gegenseitig auszuspielen und betont die Einigkeit der Linksparteien: «Wir wollen diese Räumung nicht.» Die Grünen forderten im April als erste Partei den Verzicht einer Räumung und mehr Transparenz. Maggi äussert Kritik an der Kommunikation des Stadtrates: «Die Öffentlichkeit wurde damals zeitlich zu knapp und mangelhaft über die Räumung informiert.»

Einzelne Linkspolitiker fordern nun, dass die Stadt gleich ganz von einer Räumung absieht. Nicht nur während der Corona-Zeit, sondern längerfristig. Luca Maggi gehört zu den Unterzeichnern einer entsprechenden Petition. «Das Areal gehört der Stadt, und die Stadt braucht mehr nichtkommerzielle Freiräume für die Menschen, die darin leben», sagt Maggi. Die Petition soll dem Stadtrat demnächst überreicht werden.

Widerspruch als Stärke

Während die Linksparteien ihre Einigkeit bekräftigen, bleibt die Differenz zu den eigenen Stadträten bestehen. SP-Präsident Denoth verweist darauf, dass das schweizer Politsystem von Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Parteien lebe und davon profitiere. Anders, wie etwa in Deutschland, wo parteiintern eine genormte Meinung vertreten werden müsse, top-down verordnet: «Der offene, teils widersprüchliche Diskurs ist Stärke unseres Systems», sagt Denoth. Im Falle des Juch-Areals könne dies, zugegenbermassen, etwas ungünstig wahrgenommen werden.
(https://www.tagesanzeiger.ch/raeumung-juch-areal-gruene-und-sp-geben-sich-gegenseitig-die-schuld-985725343409)


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Gemeinderat pocht auf Kundgebungsverzicht
Das vom Bund angeordnete Versammlungsverbot gilt nach wie vor, darunter fallen auch Kundgebungen. Der Gemeinderat verurteilt die Missachtung der Vorgaben und fordert, dass auf Kundgebungen verzichtet wird, um Menschenansammlungen zu verhindern. Die Kantonspolizei Bern hat einen entsprechenden Auftrag erhalten, Kundgebungen weiterhin im Rahmen der Verhältnismässigkeit zu verhindern. Zudem findet nach neun Wochen am kommenden Samstag wieder der Berner Wochenmarkt in angepasster Form statt. Und auch für Läden und Gastronomiebetriebe wird es der erste Samstag im Geschäftsbetrieb sein.
https://www.bern.ch/mediencenter/medienmitteilungen/aktuell_ptk/gemeinderat-pocht-auf-kundgebungsverzicht


Nach Kundgebungen in Bern: Gemeinderat beharrt auf absolutem Demo-Verbot
Der Berner Gemeinderat verurteilt ausdrücklich die Missachtung der Corona-Massnahmen wie an den zwei vergangenen Samstagen in der Innenstadt.
https://www.bernerzeitung.ch/gemeinderat-beharrt-auf-absolutem-demo-verbot-197278564847
-> https://www.derbund.ch/ticker-corona-kanton-bern-594319178143
-> https://www.telebaern.tv/telebaern-news/trotz-verbot-demo-gegen-corona-massnahmen-geplant-137867297



derbund.ch 13.05.2020

Kontroverse um politische Kundgebungen: «Kleinstgruppen mit Plakat müssen möglich sein»

Staatsrechtler und Stadträte aus fast allen Parteien fordern vom Berner Gemeinderat, dass er zumindest Demonstrationen von Kleinstgruppen zulässt.

Theepan Ratneswaran, Christoph Aebischer

Kein Spielraum für politische Kundgebungen. Die Stadt setzt um, was der Bundesrat verlangt. Das wiederholt der Stadtberner Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) wie ein Mantra. Doch er gerät damit zusehends unter Druck. Denn sogar das Bundesamt für Gesundheit zieht die Grenzen weniger eng: «Denkbar sind alle Formen von politischen Äusserungen, bei denen es zu keinen Menschenansammlungen kommt», liess das Amt Ende April vor den traditionellen 1.-Mai-Demonstrationen verlauten.

Jörg Paul Müller, emeritierter Professor für öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Universität Bern, macht gegenüber dem «Bund» klar: «Wenn im öffentlichen Raum Gruppen von fünf Personen toleriert werden, muss dies auch dann gelten, wenn sie ein politisches Plakat mitführen.» Mit dem Verweis, man könne ja in sozialen Medien demonstrieren, sei es nicht getan. Die Regeln müssten für alle gleich sein.

Gemeinderat soll ran

Nun schaltet sich die Stadtberner SP in den Disput ein: In den letzten Tagen seien verschiedene Kundgebungen aufgelöst wurden – selbst wenn die Zahl von fünf Personen unterschritten worden sei, schreibt sie in einem Brief an den Gemeinderat. Sie verlangt jetzt, «Kleinkundgebungen bis fünf Personen» müssten «schnellstmöglich» wieder zugelassen werden. Der auf der Partei-Website aufgeschaltete Brief wurde laut «Berner Zeitung» am Montag abgesandt.

SP-Co-Präsidentin Edith Siegenthaler erwartet, dass der Gemeinderat möglichst schon an seiner nächsten Sitzung am Mittwoch – also noch vor den erneut angekündigten Kundgebungen vom Wochenende – Klarheit schafft. Nach den allgemeinen Lockerungen vom Montag sei der Moment dazu. Eine Umfrage unter Stadtberner Politikern zeigt, dass die SP mit ihrer Forderung nicht allein dasteht. Aus den Reihen des Grünen Bündnisses (GB), der Jungen Alternative und selbst von der FDP tönt es im Grundsatz gleich. Für die SVP hingegen haben Demonstrationen auf Strassen «jetzt nicht oberste Priorität». Thomas Fuchs, Präsident der Stadtberner SVP, findet es deshalb gut, dass resolut durchgegriffen wird, «nicht wie in Basel und anderen Städten».

Damit spricht Fuchs einen wunden Punkt an: In den letzten Tagen sei eben gerade nicht immer gleich hart durchgegriffen worden, entgegnet Siegenthaler. Während die Polizei die Verschwörungstheoretiker letzten Samstag lange habe gewähren lassen, seien am 1. Mai sogar einzelne Personen mit Transparent gestoppt worden. GB-Stadträtin Lea Bill unterstellt Nause gar: «Nause kommt es wahrscheinlich gelegen, dass er die nervigen Demos mit dem Argument Corona-Pandemie verbieten darf.» FDP-Fraktionschef Bernhard Eicher nimmt ihn dagegen in Schutz: Zwar sei gegen Einzelpersonen mit einer politischen Botschaft nichts einzuwenden, es sei aber nicht so einfach, eine Grenze zu ziehen. «Aus ein paar wenigen werden schnell mehr als fünf.»

Genervter Nause

Der Sicherheitsdirektor Reto Nause reagiert zusehends genervt auf das Thema. Inhaltlich bleibt er auf seiner Linie: Auch kleinere Aktionen von einzelnen Meinungsführern zögen unweigerlich weitere interessierte Personen an. Er habe «vollstes Verständnis» für die Forderungen der SP Stadt Bern oder von Demonstranten. Die Umsetzung der in der Theorie einfachen Fünf-Personen-Regel sei jedoch bei Kundgebungen nicht einfach und letztlich unpraktikabel. In der Covid-19-Verordnung des Bundes stehe explizit ein Kundgebungsverbot, darum würden auch weiterhin keine Gesuche bewilligt. Momentan gebe es andere Formen des Protests, die angezeigter wären.

Die Klimaaktivisten wollen am nationalen Klimastreik vom Freitag auf ein Kräftemessen verzichten und setzen auf Online-Aktionen. Die Kritiker der Corona-Massnahmen hingegen kündigen eine weitere Demo für den Samstag an. Da hört selbst Edith Siegenthalers Verständnis auf. Stossend sei daran, dass sich die Teilnehmenden um Distanz- und Hygieneregeln foutierten – und weniger ihre Beweggründe. Selbst ein Protest wie jener von zwei Handvoll Klimaaktivisten während der Sondersession des Bundesparlaments sei wohl derzeit noch problematisch. Gegen Kleinstgruppen mit Plakaten wie am 1. Mai spricht für sie hingegen beim besten Willen nichts.

«Die Versammlungsfreiheit wurde zur Eindämmung des Virus eingeschränkt, und nicht zur Einschränkung der freien Meinungsäusserung», sagt sie. Mit Nulltoleranz gehe man bloss das Risiko ein, dass sich Verschwörungstheoretiker in ihrer Haltung, man müsse sich gegen eine heraufziehende Diktatur zur Wehr setzen, bestärkt sehen würden. Am 27. Mai will der Bundesrat seinerseits darüber beraten, ob die geltenden Beschränkungen für Versammlungen gelockert werden.
(https://www.derbund.ch/kleinstgruppen-mit-plakat-muessen-moeglich-sein-921792607696)



Kommentar zum Kundgebungsverbot: Demo-Lockdown muss ein Ende haben
Kundgebungen mögen manchmal lästig sein, aber in einer Demokratie sind sie durchaus «systemrelevant».
https://www.derbund.ch/demo-lockdown-muss-ein-ende-haben-978389412206



derbund.ch 13.05.2020

Klimaaktivisten demonstrieren online

Wegen des Versammlungsverbotes soll am Freitag eine Klimademonstration im Netz stattfinden. Aber wer bekommt das überhaupt mit?

Selina Grossrieder

Das Versammlungsverbot nahm den jugendlichen Klimaaktivisten ihr wichtigstes Instrument aus der Hand: die regelmässige Demonstration, um die Öffentlichkeit zu sensibilisieren. Am Freitag starten sie nun den Versuch, den Protest online auszutragen.

Am Bildschirm sitzen wird auch die 17-jährige Berner Gymnasiastin und Aktivistin Maria Weidtmann. Sie hat am eigenen Leib erfahren, wie im Zeichen von Corona die politische Manifestation im öffentlichem Raum leidet. Letzte Woche wollte sie so auf Berns Expogelände gegen das angekündigte Hilfspaket für Swiss und Edelweiss demonstrieren – mit mässigem Erfolg. Bereits nach kurzer Zeit wurden sie und rund 20 weitere Aktivisten von Polizisten weggewiesen.

«Enorm mobilisierbar»

Allerdings hat sie schon rasch nach Ausbruch der Corona-Krise geahnt, dass die geplante nationale Demo vom 15. Mai nicht auf den Strassen stattfinden kann. Deshalb hat Maria Weidtmann zusammen mit ihren Mitstreitern ein Alternativprogramm im Netz aufgezogen und dafür eigens eine Website erstellt. Ihr Vorhaben ist ambitioniert: ein dreisprachiges Webradio mit Webinars wird über verschiedene Umweltthemen informieren. Zusätzlich sollen die Teilnehmer «Challenges» bewältigen und in den sozialen Medien teilen. Um 11.59 Uhr rufen sie zum Klimaalarm auf und holen sich damit ein Stück vom öffentlichen Raum zurück. «Fünf vor zwölf ist längst vorbei», so Weidtmann.

Die Klimageneration schreit also wieder laut – wenn auch nur im Netz. Hört ihnen dort überhaupt jemand zu? Noch ist für den Berner Politikberater Mark Balsiger unklar, ob die Aktivistinnen und Aktivisten mit der geplanten Online-Aktion an ihrem Momentum vom letzten Jahr anknüpfen könnten. Das Potenzial dafür sei aber da: «Die Mobilisierungsfähigkeit dieser Generation ist enorm.» Bei ihrer Aktion könnten die Jugendlichen davon profitieren, dass sie keine Berührungsängste mit den digitalen Medien hätten. Die Dynamik von gemeinsamen Versammlungen könne die Demonstration im Netz aber nicht ersetzen.

Maria Weidtmann selber sagt: «Corona hat uns in unseren Möglichkeiten stark eingeschränkt.» Zwar ermögliche die digitale Aktion den Jugendlichen, dass sie sich stärker vernetzen könnten. Aber eben: «Wer sich nicht in dieser Zielgruppe befindet, kann nur schlecht eingebunden werden.»

Die technischen und praktischen Einschränkungen sind das eine. Das andere ist die Stimmungslage: Das Virus hat das Klimaproblem weit in den Hintergrund gerückt. «Am Freitag wird sich das hoffentlich ändern», sagt Maria Weidtmann: «Wir fordern von unseren Politikern eine langfristige Planung und wollen nicht, dass wir uns von einer Krise in die nächste stürzen.»

Der Politikberater formuliert es so: Die Schwierigkeit für die Jugendlichen bestehe darin, abstrakten Umweltthemen auch in Zeiten von Corona Aufmerksamkeit zu verschaffen. Das sei viel anspruchsvoller als vorher, sagt Mark Balsiger. «Denn offenbar ist ein verlorener Arbeitsplatz gefährlicher als ein kollabierendes Klima.»
(https://www.derbund.ch/klimaaktivisten-demonstrieren-online-570443604195)



Schweizer Klimajugend demonstriert jetzt vom PC aus
Weil die nationale Klimademo vom 15. Mai nicht auf der Strasse stattfinden kann, verlegt die Klimajugend den Aktivismus ins Internet. Gleichzeitig prüft sie rechtliche Schritte gegen die Polizei. Grund sind Anzeigen gegen Aktivisten.
https://www.20min.ch/story/schweizer-klimajugend-demonstriert-jetzt-vom-pc-aus-427201320547


+++BIG BROTHER
Kommende Woche startet die Testphase für die Contact-Tracing-App des Bundes – was Sie dazu wissen müssen
Um die Ausbreitung des Coronavirus weiter einzudämmen und Infektionsketten zu durchbrechen und nachzuverfolgen, wird das Bundesamt für Gesundheit eine App herausgeben. Das Wichtigste im Überblick.
https://www.nzz.ch/technologie/was-sie-zur-contact-tracing-app-wissen-muessen-ld.1555664


Zentral oder dezentral? Europa gespalten bei Contact-Tracing-Apps
Digitale Kontaktverfolgung soll es ermöglichen die Grenzen zwischen den EU-Staaten zu öffnen, ohne dass die Fallzahlen in die Höhe schnellen. Doch Frankreich und Polen wollen Daten zentralisiert speichern. Damit könnte Europa in zwei Lager zerfallen.
https://netzpolitik.org/2020/europa-gespalten-bei-contact-tracing-apps/


+++RECHTSPOPULISMUS
Rechter Umweltschutz: Rassismus, klimafreundlich verpackt
Der Kampf für Klimagerechtigkeit ist auch einer gegen Patriarchat, Rassismus und Nationalismus
https://www.derstandard.at/story/2000117207363/rechter-umweltschutz-rassismus-klimafreundlich-verpackt


Weidels unbekannter Gönner
Ermittlungsbehörden liegen neue Beweise in der AfD-Parteispendenaffäre vor
Ein zurückgezogen lebender Milliardär, ein befreundeter Pharma-Unternehmer, Parteispender, die sich als Strohleute herausstellen: Die AfD-Parteispendenaffäre entwickelt sich zu einem Wirtschaftskrimi.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1136674.afd-parteispendenaffaere-weidels-unbekannter-goenner.html


+++VERSCHWÖRUNGSTHEORIEN
Corona-Pandemie: Wenn die Eltern plötzlich an Verschwörungstheorien glauben
Seit dem Ausbruch des Coronavirus glauben viele Menschen an Verschwörungserzählungen – auch solche, die bislang nicht dadurch auffielen. Die Folgen können verheerend sein. Wie können Angehörige den Betroffenen helfen?
https://netzpolitik.org/2020/wenn-die-eltern-ploetzlich-an-verschwoerungstheorien-glauben-corona-pandemie/


Mahnwachen von Corona-Skeptikern: Montags gegen Bill Gates
In Hamburg beleben Corona-Skeptiker*innen die Montags-Mahnwachen neu. Dort standen Verschwörungsideologien schon immer hoch im Kurs.
https://taz.de/Mahnwachen-von-Corona-Skeptikern/!5681886/


Antifa-Protest gegen Coronaleugner
Bündnis ruft bundesweit zu dezentralen Aktionen auf
Die Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen gewinnen an Fahrt. Das antifaschistische Bündnis »Nationalismus ist keine Alternative« hat nun in einer Erklärung zu dezentralen Aktionen gegen die selbst ernannten »Hygiene-Demos« aufgerufen.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1136673.hygiene-demos-antifa-protest-gegen-coronaleugner.html


EU-Papier: So profitieren Extremisten von Corona
Die Terrorexperten der EU haben analysiert, wie Extremisten die Corona-Pandemie für ihre Zwecke missbrauchen. Sie warnen vor rassistischer Gewalt und neuen Formen des militanten Aktivismus.
https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/eu-corona-terror-101.html


Anti-Lockdown-Proteste: «Sag mal, wie wahrscheinlich ist das?»
Digitalexpertin Katharina Nocun über Verschwörungsmythen in Zeiten von Corona – und die notwendige Abgrenzung von Protesten gegen Rechts.
https://www.woz.ch/2020/anti-lockdown-proteste/sag-mal-wie-wahrscheinlich-ist-das


Coronavirus: Skeptiker haben online Hochkonjunktur
Die Corona-Pandemie öffnet Tür und Tor für wilde Theorien, Zweifel an den Behörden und berechtigte Fragen. Wir haben Antworten.
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/coronavirus-skeptiker-haben-online-hochkonjunktur-65706407


Nach umstrittenen Aussagen Sido distanziert sich von Verschwörungstheoretikern
In einem Interview spekulierte Rapper Sido kürzlich über Verschwörungstheorien. Mit einem Statement will er sich nun von Attila Hildmann und Ken Jebsen distanzieren: “Ich habe damit nichts zu tun.”
https://www.spiegel.de/kultur/musik/sido-distanziert-sich-von-verschwoerungstheoretikern-a-f2daedc3-e8af-47d9-aa02-9e92d263f530?fbclid=IwAR3BxgEsveFrCg7xuPlB2qA8pZh0f3XZ2R39QG0LBfycFZkEkd4p5y1knbA
-> https://hiphop.de/node/339422
-> https://www.welt.de/kultur/article207921395/Sidos-Weltverschwoerung-Xavier-ist-zu-tief-drin.html


Michael Butter: «Verschwörungstheorien machen die Welt erklärbar»
Verschwörungstheorien zum Corona-Virus machen derzeit die Runde. Die Ungewissheit in dieser Pandemie sei der ideale Nährboden, denn Verschwörungstheorien machten die Welt erklärbar, sagt Experte Michael Butter im «Tagesgespräch».
https://www.srf.ch/sendungen/tagesgespraech/michael-butter-verschwoerungstheorien-machen-die-welt-erklaerbar


Hildmann, Naidoo, Sido: Wenn Promis zu Verschwörungstheoretikern werden
Eine Reihe deutscher Persönlichkeiten nutzt die Coronavirus-Pandemie, um sich mit kruden Annahmen hervorzutun
https://www.derstandard.at/story/2000117437774/hildmann-naidoo-sido-wenn-promis-zu-verschwoerungstheoretikern-werden


Die besten Beweise sind keine Beweise
Verschwörungstheorien kopieren das Verhalten von Viren. Sie mutieren seit Jahrtausenden und sind immun gegen Fakten. Umso wichtiger sind die Gegenmittel.
https://www.zeit.de/gesellschaft/2020-05/fake-news-verschwoerungstheorien-bill-gates-coronavirus/komplettansicht


Pandemiebekämpfung: Warum ein Beamter in der Corona-Krise den Aufstand wagt
Ein Regierungsrat im Innenministerium hält Corona für einen Fehlalarm und die Pandemiebekämpfung für fatal. Seine Thesen verschickt er deutschlandweit. Das hat Folgen.
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-05/corona-pandemie-bekaempfung-massnahmen-innenministerium-verschwoerungstheorien-regierungsrat/komplettansicht


Fler, Sido, Kollegah und Co.: Warum ist Verschwörungsglauben im Rap so verbreitet?
Wenn nicht mit Rap, dann mit der flachen Erde
https://www.bento.de/politik/corona-virus-warum-verschwoerungstheorien-im-deutschrap-so-verbreitet-sind-a-2c06d306-b25b-4523-80c0-983b48c3d941#refsponi



derbund.ch 13.05.2020

Der richtige Umgang mit Corona-Verschwörungstheoretikern

Was tun, wenn man von Familienangehörigen oder Freunden Videos und Texte aus fragwürdigen Quellen geschickt bekommt? Eine Anleitung.

Philipp Bovermann

Der Streit begann dort, wo Streits häufig beginnen und wo sich bei vielen Menschen zurzeit ein grosser Teil des Lebens abspielt: im Internet. Eine Gruppe junger Erwachsener hält über eine Whatsapp-Gruppe Kontakt. In normalen Zeiten organisieren sie darin das gemeinsame Leben – die Nachmittage im Park, die Partynächte, die sozialen Notfalleinsätze, wenn mal einer Liebeskummer hat. Zurzeit aber geht es um Politik. Um Impfungen, 5G, was das alles angeblich mit Corona zu tun habe und wie Bill Gates die Fäden ziehe. Einer der Freunde hat da was geteilt. Man könnte sagen: Die Gruppe hat sich etwas eingefangen.

Die Gruppe reagiert, als hätte der Freund in eine Ecke ihres digitalen Wohnzimmers gepinkelt. Der geteilte Artikel stamme aus dem rechten Spektrum, ob ihm das überhaupt klar sei, wollen die anderen wissen. Der Angesprochene reagiert pikiert, postet weitere Links mit vermeintlichen Quellen. Die anderen stellten sich der Diskussion nicht, schimpft er. Er wünsche sich doch nur, dass sie endlich erwachen. Schliesslich verlässt er die Gruppe; ein anderer ebenfalls, weil er «den ganzen Weltverschwörerunfug» nicht mehr hören kann.

Die Geschichte stammt von einer jungen Juristin. Wer sich über die sozialen Medien umhört, bekommt viele weitere dieser Art erzählt. Geschichten von Menschen, deren Verwandte plötzlich vermeintlich tiefere Wahrheiten hinter der aktuellen Krise entdecken. Von ehemaligen Freundeskreisen, die zu «Corona-Rebellen» werden. Von der ehemaligen Mitbewohnerin aus London, von der man viele Jahre nichts gehört hat und die nun über das Netz zum Widerstand aufruft. In der Filterblase sitzen immer die anderen, während man selbst über den Tellerrand schaut – so lautet die erste Regel einer Filterblase. Gerade aber scheint die Filterblase derer, die an Medizin und Wissenschaft glauben, bedenklich zu schrumpfen.

«Mein Gott, ich dachte, du bist doch ganz vernünftig!»

Über die geistige Gesundheit im Internet und dort zirkulierende Infektionskrankheiten haben die Ökonomin Katharina Nocun und die Psychologin Pia Lamberty ein Buch geschrieben, das Ende Mai erscheint: «Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen». In den vergangenen Wochen, sagt Nocun hätten viele Menschen die Erfahrung gemacht, dass man gar nicht unbedingt zuerst in den sozialen Netzwerken auf wirre Sachen stösst. Häufiger geschehe das über Menschen aus dem Freundeskreis oder der Familie, «wo man denkt: Mein Gott, ich dachte, du bist doch ganz vernünftig?»

Sie begründet das zunächst mit einer Änderung des Youtube-Algorithmus. Die Videoplattform stand jahrelang in der Kritik, eine Schleuder von Verschwörungstheorien zu sein. Bei Videos mit solchen Inhalten blieben die Nutzer besonders lang hängen. Die Algorithmen schlussfolgerten, dass der aus ihrer Sicht optimale, weil besonders treue Nutzer ein Konsument von Verschwörungstheorien ist. Also sortierten sie entsprechende Inhalte ganz weit nach oben und schlugen sie besonders häufig vor. Im vergangenen Jahr ging Youtube endlich auf die Kritik ein und verkündete, seine Algorithmen zu ändern. Tatsächlich, sagt Nocun, hätten sich seitdem Verschwörungsideologen heftig über Verluste von Reichweite beschwert. Ihre Videos sind weniger gut zu finden, werden seltener vorgeschlagen.

Also suchen sie sich neue Kanäle. Sie setzen stärker auf Messenger-Gruppen, auf Telegram und Whatsapp. Weil die Kommunikation in diesen privaten und halb öffentlichen Gruppen von aussen oft nur schwer einsehbar ist, spricht man auch vom «Dark Social».

Ruhe bewahren, Fragen stellen

Giulia Silberberger, Expertin für Verschwörungstheorien, kalauert am Telefon über «ihre Pappenheimer», die Ufo-Gläubigen und Youtube-Zahlenmystiker. 2014 hat Silberberger den «Goldenen Aluhut» erfunden, einen Award, der jedes Jahr an besonders herzerwärmend wirre Verschwörungstheorien verliehen wird. Aluhüte stehen allegorisch für Anhänger von Verschwörungstheorien. Weil Silberberger so viele Mails von Leuten bekommt, deren Angehörige «erwacht» sind, berät sie mit ihrem kleinen Team inzwischen auch Betroffene. Gerade hätten sie sehr, sehr viel zu tun.

Ruhe bewahren. Das sei erstmal das Wichtigste, wenn man bemerke, dass ein Freund oder Verwandter anfängt zu spinnen. Bei ihr heisst diese Person stellvertretend «Tante Hilde». Vielleicht sei Tante Hilde ja nur einem Fake aufgesessen. Von denen gebe es zurzeit besonders viele, weil «echte Wissenschaft Zeit braucht, um Wissen zu schaffen».

Gerade jetzt hätten die Menschen Sehnsucht nach Erklärungen, deshalb werde die Lücke von Verschwörungsideologen gefüllt. Sonst stemmen diese sich gegen einen gesicherten wissenschaftlichen Konsens – den gibt es zum Coronavirus aber noch immer nicht. So fallen die Radikalzweifler in der allgemein herrschenden wissenschaftlichen Gemengelage sich ständig überholender Erkenntnisse weniger auf.

Es helfe daher, sich darauf zu besinnen, dass «Tante Hilde» eigentlich gern verlässliche Informationen hätte, nur habe sie vielleicht nie gelernt, Quellen zu checken, sagt Silberberger. «Wahrscheinlich meint es Tante Hilde nur gut. Sie glaubt wahrscheinlich, ihre Lieben vor den Verschwörern zu beschützen. Vielleicht ist sie einsam, sucht deshalb Halt im Glauben an eine höhere Macht, die alles lenkt.» Dort liege wahrscheinlich das eigentliche Problem. Dort müsse man es lösen.

Auch Katharina Nocun rät dazu, erst einmal einfach zuzuhören. Die Fragen, die hinter den Verschwörungstheorien stehen, nicht mit eigenen Antworten, mit Faktenchecks oder Gegentheorien zuschütten – sondern «Tante Hilde» zu ermutigen, weitere Fragen zu stellen. Zum Beispiel die, was denn das für mächtige Verschwörer sind, wenn Menschen ihnen so schnell auf die Schliche kommen können.
(https://www.derbund.ch/der-richtige-umgang-mit-corona-verschwoerungstheoretikern-652679401665)



tagesanzeiger.ch 13.05.2020

Wer steckt hinter den «Corona-Rebellen»?

Die Demonstranten misstrauen der Regierung und der Presse. Ihre Inspiration holen sie bei «alternativen Medien» im Internet.

Kurt Pelda

«Impfen macht frei?» stand auf dem Karton, den eine Demonstrantin auf dem Zürcher Sechseläutenplatz in die Kameras hielt. «Arbeit macht frei» stand auf dem Tor des Konzentrationslagers Auschwitz. Wie das Transparent verstörte vieles an den Mahnwachen vom vergangenen Samstag in Zürich, Bern und anderen Schweizer Städten.

Zwar versammelten sich schweizweit nicht annähernd so viele wie bei den Klimademonstrationen. Aber ihr Auflauf, ihre Menschenketten und die Umarmungen liessen viele ratlos zurück, die wochenlang daheimgeblieben waren und sich höchstens in Kleinstgruppen bewegt hatten. Auch Journalisten der NZZ und der «Republik» zeigten sich auf Twitter konsterniert über diese wie aus dem Nichts entstandene Bewegung gegen die Einschränkungen der Freiheitsrechte, eine Folge des bundesrätlichen Notrechts gegen das Coronavirus.

Pädo-satanischer Kult?

Wirklich erstaunen kann aber eigentlich nur, dass es nach dem wochenlangen Lockdown überhaupt so lange gedauert hat, bis sich der Protest auch auf den Strassen und Plätzen zeigt. Denn im Internet, auf einschlägigen Websites und Kanälen des Messengerdiensts Telegram wird schon länger Stimmung gemacht, nicht nur gegen die Corona-Massnahmen, sondern auch allgemein gegen das «System», gegen die «Lügenmedien» und gegen die «Elite», die dem gemeinen Volk angeblich eine – bisher noch gar nicht existierende – Anti-Corona-Impfung aufzwingen will.

Die hinter den Demonstrationen stehende Bewegung ist äusserst heterogen und vereinigt Globalisierungs- und Kapitalismuskritiker mit Impfgegnern bis hin zu antisemitischen Verschwörungstheoretikern. Viele kommen aus der esoterisch angehauchten Szene, und die meisten haben kein Vertrauen in die Medien. Darum boykottieren sie Zeitungen und Fernsehen und «informieren» sich mithilfe «alternativer Medien», die keinerlei journalistischen Standards genügen müssen.

Websites und Kanäle, die den «Corona-Rebellen» nahestehen, generieren seit März massiv mehr Internetverkehr. Das gilt zum Beispiel für Uncut News, registriert von einem 58-jährigen Videothekar aus Winterthur, der u. a. harte Horrorfilme vertreibt. Typisch für solche Websites ist, dass sie sich zwar schweizerisch geben, viel mehr Klicks aber aus dem deutschsprachigen Ausland kommen. Auch die verbreiteten Inhalte stammen häufig aus Deutschland oder beschäftigen sich mit deutschen und nicht mit schweizerischen Themen. Uncut News beruft sich gerne auf den Propagandafernsehsender Russia Today (RT) und zeigt Sympathien für die Präsidenten Putin und Trump. Auf Telegram kommt Uncut News auf mehr als 7300 Abonnenten.

Auch Swiss Propaganda Research hat durch die Corona-Krise deutlich mehr Zulauf. Ihr Propagandamaterial wurde am Samstag auf dem Zürcher Sechseläutenplatz unter die Leute gebracht. Die Website suggeriert, dass die Schweizer Medien grösstenteils in ein transatlantisches Netzwerk eingebunden seien, deshalb proamerikanische Positionen einnähmen und die Nato unterstützten.

Besonders üble Propaganda verbreitet die Site zum Krieg in Syrien. So behauptet sie, dass die dortigen Chemiewaffenangriffe inszeniert worden seien – obwohl UNO-Untersuchungen das Gegenteil beweisen. Auch hier erkennt man eine Nähe zur Propaganda Russlands. Obwohl sich die Macher der Seite als Forscher ausgeben, wollen sie anonym bleiben. Der grösste Teil der Klicks kommt nicht aus der Schweiz, sondern auch hier aus Deutschland.

Während sich Swiss Propaganda Research um einen seriösen Anstrich bemüht, wirft die stark verschwörungstheoretische Site Legitim.ch dem Gesundheitsminister Alain Berset zum Beispiel vor, ein «Corona-Betrüger» zu sein. Bersets steile Karriere sei ein typisches Merkmal für die Zugehörigkeit zum pädophil-satanischen Kult der Machtelite. Beweise für diesen Vorwurf bleibt die Site schuldig.

Attacken von Linksextremen

Als Plattformen für Aufrufe zu den Mahnwachen vom letzten Samstag dienten unter anderem die «Corona-Rebellen Helvetia» auf Telegram und Facebook. Der 51-jährige Markus Barguil ist einer der Administratoren des Telegram-Kanals, wollte aber nicht von dieser Zeitung zitiert werden. Der Kanal stellt sich selbst als «offizielle Schweizer Untergruppe aus dem Netzwerk von 60’000 Corona-Rebellen in Europa» dar. Auf Telegram kämpfte der Schweizer Ableger im Anschluss an die Demonstrationen mit Angriffen von Trollen, welche die Diskussion in der Gruppe stören und monopolisieren wollten. Barguil vermutete den Staatsschutz dahinter, doch gibt es Hinweise, dass die Attacken in Wirklichkeit aus der linksextremen Szene kamen.

Der Telegram-Kanal hat nach rund drei Wochen mehr als 1800 Mitglieder. Nicht alle sind aber Anhänger der Corona-Rebellen. Er sei aus Neugierde dabei, sagt der Klimaaktivist Maurus Pfalzgraf, der bei den Jungen Grünen in Schaffhausen politisiert. Was man bei den Corona-Rebellen lesen könne, sei manchmal schon ziemlich besorgniserregend, sagt der 20-Jährige. Er habe Mühe, zu verstehen, wie man auf solche Ideen komme. Gemeint sind zum Beispiel Verschwörungstheorien, laut denen die «Corona-Lüge» nur dazu diene, das Volk zu knechten und zu kontrollieren.

Einer der Köpfe an der Demonstration auf dem Sechseläutenplatz war der Kardiologe Thomas Binder aus Baden AG. Im Gespräch mit dieser Zeitung behauptete er, dass 5G-Mobilfunkantennen mit der Verbreitung des Coronavirus – im Übrigen eine einfache Grippe – in Zusammenhang stünden.

Ab in die Gummizelle

An Ostern war Binder von der Sondereinheit Argus der Aargauer Kantonspolizei in seiner Arztpraxis verhaftet worden. Anschliessend steckte man ihn in eine Gummizelle der Psychiatrischen Klinik Königsfelden. Auslöser waren angebliche «Drohungen gegen Angehörige und Behörden». Binder hatte kurz zuvor auf einem inzwischen gelöschten Blog davor gewarnt, dass sich unsere Regierungen in der Gewalt von «Weltputschterroristen» befinden könnten. Er forderte deshalb dazu auf, dem angeblich vom Putsch bedrohten Bundesrat unter die Arme zu greifen. Notfalls sollten die Bürger «raus, Waffe laden und helfen».

In Bern lief mit dem Ostschweizer Ignaz Bearth auch mindestens ein Rechtsradikaler an der Demonstration der Corona-Rebellen mit. Neonazis wie Tobias Steiger hielten sich dagegen fern. Der Chef der Basler Sektion der Partei National Orientierter Schweizer teilt zwar viele Ansichten der Corona-Rebellen, so die Angst vor 5G und Zwangsimpfungen. Doch für ihn – so geht aus seinen Nachrichten hervor – sind die Demonstranten vom Samstag zu demokratiefreundlich und zu wenig antisemitisch.

Das «Impfen macht frei?»-Transparent vom Zürcher Sechseläutenplatz hatte auch noch eine Rückseite. «Demo-Kratie R. I. P. 1291–2020» stand darauf. Die Frau, die den Karton in die Kameras hielt, hatte ihn wohl nicht selber beschrieben. Denn sie fragte ihre Begleiterin: «Was heisst eigentlich R. I. P.?» Ruhe in Frieden.
(https://www.tagesanzeiger.ch/wer-steckt-hinter-den-corona-rebellen-802443284662)



“Gates kapert Deutschland” zerlegt | WALULIS
Bill Gates – der Vater von Karl Klammer. Und Thema eines 30 minütigen Videos von YouTuber Ken Jebsen bei dem schon der Titel aufschreckt: ‘Gates kapert Deutschland’ Ehrlich gesagt: Wenn das stimmt, dann fände ich das wirklich nicht geil. Ken hat also meine Aufmerksamkeit. Und nicht nur meine: Das Video hat inzwischen über drei Millionen Aufrufe. Ein Video, voll mit Aussagen, die einem wirklich Angst machen. Gerade jetzt während Corona suchen wir alle nach Antworten. Also: Was ist dran an dem Video? Wer ist Ken Jebsen? Zeit, das mal genauer zu zerlegen.
https://youtu.be/0EmH7hHaVNQ


+++HISTORY
Geschichte: Hilfe für die stärkste Armee
Eine neue Biografie versucht, den katholisch-autoritären Bundesrat Philipp Etter als «Hüter der Mitte» darzustellen. So akribisch das Plädoyer, so offensichtlich sind die Verharmlosungen.
https://www.woz.ch/2020/geschichte/hilfe-fuer-die-staerkste-armee


Wilhelm Reich: So züchtet die Kleinfamilie Rechtsextreme
Warum die ArbeiterInnen nicht zwangsläufig links sind: In seiner «Massenpsychologie des Faschismus» demonstrierte Wilhelm Reich schon 1933 einen facettenreichen Erklärungsansatz.
https://www.woz.ch/2020/wilhelm-reich/so-zuechtet-die-kleinfamilie-rechtsextreme


+++WORLD OF CORONA
Gesundheit für alle: «Soziale Medizin gibt es nur, wenn man kämpft»
Die Sozialanthropologin Janina Kehr beschäftigt sich mit Ungleichheiten in der Gesundheitspolitik. Sie erklärt, warum MigrantInnen in der Coronapandemie besonders exponiert sind – und welche Auswirkungen die Austeritätspolitik in den einzelnen Ländern hat.
https://www.woz.ch/2020/gesundheit-fuer-alle/soziale-medizin-gibt-es-nur-wenn-man-kaempft