Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel
+++BASEL
Gewalt im Asylheim, Schwedens Sonderweg, Verkupplungsboom – Rundschau SRF
Ein Asylsuchender rastet aus und greift einen Sicherheitsmann an. Dieser
ruft Verstärkung. Der Migrant wird auf den Boden gedrückt und verletzt
sich. Die «Rundschau» ist Gewaltvorwürfen in einem Asylzentrum
nachgegangen. Ausserdem: Hat es Schweden besser im Griff? Und:
Risikoperson sucht Partnerin.
https://www.srf.ch/play/tv/rundschau/video/gewalt-im-asylheim-schwedens-sonderweg-verkupplungsboom?id=539cd587-8b5e-46b0-bb3f-62f669d4d371
Asylpolitik: Tatort Besinnungsraum
Recherchen zeigen: Im Basler Bundesasylzentrum Bässlergut kommt es immer
wieder zu Gewalt. Die Behörden wiegeln ab. Doch brisanter als die
einzelnen Fälle ist die Systematik.
https://www.woz.ch/2020/asylpolitik/tatort-besinnungsraum
-> https://www.watson.ch/schweiz/basel/495139751-brisante-recherchen-gibt-es-ein-gewalt-problem-im-bundesasylzentrum-baesslergut
-> https://www.bzbasel.ch/basel/protokolle-der-gewalt-aus-dem-baesslergut-recherche-enthuellt-zustaende-in-basler-bundesasylzentrum-137865771
Gewalt-Problem – Prügel-Klima in Basler Asylzentrum
Regelmässig fahren im Heim Bässlergut Polizei und Krankenwagen ein.
Asylbewerber und Sicherheitsleute beschuldigen sich gegenseitig.
https://www.srf.ch/news/schweiz/gewalt-problem-pruegel-klima-in-basler-asylzentrum
+++ZÜRICH
Social Fabric: «Uns braucht es mehr denn je»
Dem Non-Profit-Unternehmen Social Fabric, das Geflüchteten eine
Perspektive im Schweizer Arbeitsmarkt gibt, droht wegen der Corona-Krise
die Schliessung. Doch die Co-Leiterinnen geben sich nicht so leicht
geschlagen.
https://tsri.ch/zh/social-fabric-uns-braucht-es-mehr-denn-je/
+++SCHWEIZ
Sans-papiers und „kleine Selbständige“ in der Schweiz von Armut bedroht
Fast 8% der Bevölkerung lebten in der Schweiz bereits vor der
Coronavirus-Krise in Armut, und mehr als eine Million Menschen hatten
Mühe, über dem Existenzminimum zu bleiben. Die Pandemie bringt viele von
ihnen in Existenznot.
http://www.swissinfo.ch/ger/covid-19-krise_sans-papiers-und–kleine-selbstaendige–in-der-schweiz-von-armut-bedroht/45757678
+++ITALIEN
600’000 Migranten erhalten Papiere: Italiens Pasionaria bestellt die Felder
Teresa Bellanova war als Kind Feldarbeiterin, nun ist sie
Agrarministerin. Dank ihr bekommen «illegale Migranten»
Aufenthaltsbewilligungen – damit die Ernten nicht verfaulen.
https://www.tagesanzeiger.ch/italiens-pasionaria-bestellt-die-felder-443690458532
+++GRIECHENLAND
Nach Einreise aus der Türkei: Zwei Migranten auf Lesbos haben das Coronavirus
Zum ersten Mal ist bei Migranten auf Lesbos das Coronavirus nachgewiesen
worden. Die Infizierten sollen sich allerdings seit ihrer Einreise in
Quarantäne befinden. Einen Zusammenhang mit dem Lager Moria soll es aber
nicht geben.
https://www.spiegel.de/politik/ausland/coronavirus-zwei-migranten-auf-lesbos-positiv-getestet-a-388789cb-c580-47ca-b22a-ccc602a36849
+++GASSE
Die Menschen verschwinden nicht
Auf der Schützenmatte kocht und verteilt der Verein Medina dreimal in
der Woche Abendessen. Die Präsenz auf dem ansonsten verlassenen Platz
ist aktuell wichtiger denn je.
http://www.journal-b.ch/de/082013/politik/3598/Die-Menschen-verschwinden-nicht.htm
—
bernerzeitung.ch 13.05.2020
So startet «Tischlein deck dich» wieder
Sozialhilfeempfänger mit bescheidenem Budget sind auf die Lebensmittel
von «Tischlein deck dich» angewiesen. Endlich können sie diese in
Burgdorf wieder beziehen.
Regina Schneeberger
Bereits eine halbe Stunde bevor die Tür aufgeht, stehen die Leute vor
der Burgdorfer Markthalle Schlange. Ein Bild, wie man es sonst von
Konzerten oder Messen kennt. Doch die Leute hier haben ein viel
grundlegenderes Bedürfnis. Sie warten auf die Abgabe jener Lebensmittel,
die sie sich sonst kaum leisten können. Der gemeinnützige Frauenverein
verteilt heute erstmals wieder Esswaren an Bedürftige. Nach dem Lockdown
hat das «Tischlein deck dich» den Betrieb an diesem Mittwochvormittag
erneut aufgenommen.
Ein Mann, die langen Haare zum Pferdeschwanz gebunden, stellt sich in
die Reihe. Hinter sich zieht er einen Einkaufstrolley her. «Ich bin sehr
froh, dass ich wieder hierhin kommen kann», sagt er. In den vergangenen
Wochen sei es für ihn schwierig gewesen. Der 31-Jährige hat Diabetes,
gehört zur Risikogruppe. Aus dem Haus ging er kaum mehr. «Das ewige in
der Wohnung-Sitzen war schon nervig», sagt er.
Die Einkäufe hat dem Mann ein Kollege vorbeigebracht. Nun traue er sich
langsam wieder raus. Doch nicht nur die Isolation setzte ihm zu, auch
das Geld bereitete ihm Sorgen. Denn die Mittel für Esswaren sind knapp.
300 Franken könne er im Monat ausgeben. «Ich bin ständig am Rechnen.»
Wenn dann ein Angebot wie die Lebensmittelabgabe wegfalle, reisse das
ein Loch ins Budget.
Die Risikogruppe
Der Unterbruch machte auch Margrit Dummermuth zu schaffen. Sie ist beim
gemeinnützigen Frauenverein fürs «Tischlein deck dich» zuständig. «Ich
hatte ein ziemlich schlechtes Gewissen, als wir Mitte März Pause machen
mussten», sagt sie. Aber es habe keine andere Möglichkeit gegeben. Die
anderen Abgabestellen in der Schweiz gaben den Betrieb ebenfalls nach
und nach auf. Der Grund: Viele der freiwilligen Helferinnen und Helfer
sind über 65 Jahre alt, gehören zur Risikogruppe. In Burgdorf sind zwei
Drittel älter als 65. Für sie musste Dummermuth Ersatz finden. Dank
eines Aufrufs von Healthy Emmental habe es dann geklappt. Der Verein hat
zu Beginn der Corona-Krise eine Plattform für Nachbarschaftshilfe
lanciert. «Nun haben wir zum Glück genug jüngere Helfer», sagt
Dummermuth. Acht Leute sind jeweils im Einsatz.
Zudem musste der Frauenverein einen neuen Ort für die Lebensmittelabgabe
finden. Bei der Heilsarmee sei es zu eng gewesen, man hätte die nötigen
Abstände nicht einhalten können. «Die Stadt lässt uns jetzt die
Markthalle bis Anfang Juli kostenlos nutzen», so Dummermuth.
In der Markthalle ist Abstand halten kein Problem. Einer nach dem
anderen kann sich bei der Ausgabe zwei Tüten holen. Eine Kühltasche mit
verderblichen Waren wie Fleisch, Joghurt und Käse. Und eine Papiertasche
mit Teigwaren, Brot, Gemüse, Linsen und vielem mehr. Je nach Anzahl
Familienmitglieder hat es von allem etwas grössere oder kleinere Mengen.
Die Waren konnten Grossverteiler und kleinere Lebensmittelgeschäfte
nicht mehr verkaufen. Es handle sich aber nicht um abgelaufene Produkte,
so Margrit Dummermuth. Menschen mit bescheidenen finanziellen Mitteln
können beim Sozialdienst eine Karte beantragen, die sie bei der
Abgabestelle vorweisen müssen. 85 Personen haben in Burgdorf eine solche
Karte. Vorbeikommen würden jeweils etwa 50 Leute, sagt Margrit
Dummermuth.
Vollbepackt macht sich eine Frau mit violettem Mantel auf den Heimweg.
«Ich bin dem Frauenverein extrem dankbar, dass sie wieder geöffnet
haben», sagt sie. Um Lebensmittel zu kaufen, habe sie nur wenig Mittel,
wie wohl jeder, der hierhin komme, so die 45-Jährige. Und auch etwas
anderes habe ihr gefehlt. «Beim Anstehen schwatzen wir immer.»
Über die Runden gekommen
Eine halbe Stunde später hat es kaum mehr Leute vor der Markthalle.
Gerade noch rechtzeitig kommt eine alleinerziehende Mutter. «Die letzten
Wochen waren eine geballte Ladung», sagt sie. Plötzlich sei sie
Lehrerin ihrer drei Kinder gewesen. «Aber es hatte auch schöne Seiten,
alles war etwas entschleunigt.» Dass sie mehr Geld für Lebensmittel
ausgeben musste, habe sie gespürt. Hin und wieder habe sie das
Überbrückunsangebot der Heilsarmee genutzt. Diese hat vorübergehend
einen Teil der Esswaren verteilt. So sei sie irgendwie über die Runden
gekommen, sagt die 38-Jährige. Einige Ausgaben seien zudem weggefallen.
Etwa die Hallenbadeintritte oder das Ticket fürs Konzert der
Kadettenmusik, in der die Kinder spielen.
Noch stehen bei der Abgabestelle rund fünfzehn Säcke. Das, was übrig
bleibt, geben beispielsweise die Sozialämter ihren Klienten ab, oder es
wird von der Heilsarmee verteilt. «Wegwerfen tun wir natürlich nichts»,
sagt Margrit Dummermuth.
(https://www.bernerzeitung.ch/so-startet-tischlein-deck-dich-wieder-561461770470)
+++FREIRÄUME
tagesanzeiger.ch 13.05.2020
Räumung Juch-Areal: Grüne und SP geben sich gegenseitig die Schuld
Die Linksparteien setzen sich geeint für die Besetzerinnen und Besetzer
des Juch-Areals ein. Nun zeigen E-Mails gegenseitige Kritik und
Schuldzuweisung.
Martin Sturzenegger
Der Zürcher Stadtrat verkündete seinen Entscheid mitten in der
Corona-Krise. Einer Zeit, unwiderruflich verknüpft mit einer deutlichen
Anweisung: «Bleibt zu Hause. Bitte. Alle.»
Für die Besetzerinnen und Besetzer des Juch-Areals sollte Gegenteiliges
gelten: Sie erhielten vom Stadtrat am 20. April eine Frist von vier
Tagen, um ihre Baracken in Zürich-Altstetten zu verlassen.
Unwiderruflich, an alle und ohne Bitte. Das Areal sei vermietet worden.
An wen, wollte die Stadt nicht sagen.
Erst nach lautem Protest räumte sie ein, die Firma HRS Real Estate, die
neben dem Areal das neue ZSC-Stadion baut, brauche mehr Platz. Der
Stadtrat krebste zurück und setzte eine neue Räumungsfrist auf den 22.
Mai. Speziell an dem Fall: Die Zürcher Linksparteien SP, Grüne und AL
traten bis anhin geeint gegen den Räumungsentscheid auf. Eine klare
Positionierung gegen die eigenen Stadträte, in parteiübergreifender
Eintracht.
Fernab der medialen Öffentlichkeit ist der Ton unter den Parteien
weniger harmonisch. So werden gegenseitige Schuldzuweisungen geäussert,
wie E-Mails der Parteipräsidenten Marco Denoth (SP) und Felix Moser
(Grüne) belegen, die dem «Tages-Anzeiger» vorliegen.
Irritation und ein Maulkorb
In einer Mail antwortet Denoth einer Bürgerin, die sich kritisch über
die Räumung äussert: «Die SP kritisiert die Räumung sehr wohl.» Er lobt
die Rolle des SP-Stadtrats Raphael Golta, der die Räumung herausgezögert
habe. Die Änderung der kommenden Räumungsfrist vom 22. Mai liege jedoch
ausserhalb des Einflusses der Partei. Denoth verweist auf die
städtische Liegenschaftsverwaltung, die den Mietvertrag mit der Firma
HRS Real Estate verabschiedet hatte. «Das liegt nicht in unserem
Einflussbereich.»
Das kann als Seitenhieb auf den grünen Finanzvorsteher Daniel Leupi
verstanden werden, dem die Liegenschaftsverwaltung untersteht. Als
solches fasste es auch der Grünen-Präsident Felix Moser auf. Mit den
Aussagen von Denoth konfrontiert, zeigte er sich «irritiert». Dies
entspreche nicht den Tatsachen, wie er sie wahrgenommen habe. «Die
Räumung wurde von Stadtrat Golta angeordnet», schreibt Moser. Er habe
sie dann sehr kurzfristig um einen Monat verschoben, nachdem er von den
Grünen, anderen Parteien und Gruppierungen unter Druck geraten sei.
SP-Präsident Denoth wandte sich derweil an seinen eigenen Stadtrat. Er
schreibt Golta, die Partei habe mehrere kritische Mails zur Räumung
erhalten. Er fragte: «Antwortest du auf solche Mails?» Die Antwort
folgte wenige Minuten später: «Wir beantworten vorderhand die Mails in
Sachen Juch nicht.» Es seien etwas gar viele Mails dazu eingegangen –
«nicht nur freundliche», schreibt Golta. Das Ziel müsse jetzt sein,
nicht noch mehr Öl ins Feuer zu giessen. Was der Stadtrat in seiner
Antwort vergass: Er beliess die Kritikerin im CC seiner Mail.
Der innerlinke Zwist wirft die Frage über die Zuständigkeit des
Räumungsentscheids auf: das Finanzdepartement unter Leupi oder das
Sozialdepartement von Golta? Auf die jeweilige TA-Anfragen antworten die
beiden Departemente einheitlich. Es handle sich um einen Entscheid des
Gesamtstadtrates. Die Federführung für das Dossier Juch-Areal liege beim
Sozialdepartement. Die Verträge zwischen HRS und der Stadt würden
hingegen durch die Liegenschaftsverwaltung abgeschlossen, sprich durch
das Finanzdepartement. Involviert sind also beide Stadträte. Die Frage,
ob sie persönlich der Räumung zugestimmt hätten, lassen Golta wie Leupi
unbeantwortet.
SP-Präsident Marco Denoth ist die Angelegenheit hörbar unangenehm. Er
wertet die geleakten Mails als Versuch Unbekannter, die SP und die
Grünen gegenseitig auszuspielen. Die Linksparteien seien sich einig,
sagt Denoth. «Wir fordern einen Räumungsverzicht des Areals während der
Corona-Zeit.» Die Differenz zum Stadtrat sei in diesem Fall
unbestritten. Doch es handle sich nicht um einen Alleinentscheid Goltas,
sondern des gesamten Stadtrates.
Petition lanciert
Der Grünen-Präsident Moser möchte sich nicht zur Angelegenheit äussern.
Er verweist auf seinen Kollegen Luca Maggi. Auch er wertet die Mails als
Versuch, die Parteien gegenseitig auszuspielen und betont die Einigkeit
der Linksparteien: «Wir wollen diese Räumung nicht.» Die Grünen
forderten im April als erste Partei den Verzicht einer Räumung und mehr
Transparenz. Maggi äussert Kritik an der Kommunikation des Stadtrates:
«Die Öffentlichkeit wurde damals zeitlich zu knapp und mangelhaft über
die Räumung informiert.»
Einzelne Linkspolitiker fordern nun, dass die Stadt gleich ganz von
einer Räumung absieht. Nicht nur während der Corona-Zeit, sondern
längerfristig. Luca Maggi gehört zu den Unterzeichnern einer
entsprechenden Petition. «Das Areal gehört der Stadt, und die Stadt
braucht mehr nichtkommerzielle Freiräume für die Menschen, die darin
leben», sagt Maggi. Die Petition soll dem Stadtrat demnächst überreicht
werden.
Widerspruch als Stärke
Während die Linksparteien ihre Einigkeit bekräftigen, bleibt die
Differenz zu den eigenen Stadträten bestehen. SP-Präsident Denoth
verweist darauf, dass das schweizer Politsystem von
Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Parteien lebe und davon
profitiere. Anders, wie etwa in Deutschland, wo parteiintern eine
genormte Meinung vertreten werden müsse, top-down verordnet: «Der
offene, teils widersprüchliche Diskurs ist Stärke unseres Systems», sagt
Denoth. Im Falle des Juch-Areals könne dies, zugegenbermassen, etwas
ungünstig wahrgenommen werden.
(https://www.tagesanzeiger.ch/raeumung-juch-areal-gruene-und-sp-geben-sich-gegenseitig-die-schuld-985725343409)
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Gemeinderat pocht auf Kundgebungsverzicht
Das vom Bund angeordnete Versammlungsverbot gilt nach wie vor, darunter
fallen auch Kundgebungen. Der Gemeinderat verurteilt die Missachtung der
Vorgaben und fordert, dass auf Kundgebungen verzichtet wird, um
Menschenansammlungen zu verhindern. Die Kantonspolizei Bern hat einen
entsprechenden Auftrag erhalten, Kundgebungen weiterhin im Rahmen der
Verhältnismässigkeit zu verhindern. Zudem findet nach neun Wochen am
kommenden Samstag wieder der Berner Wochenmarkt in angepasster Form
statt. Und auch für Läden und Gastronomiebetriebe wird es der erste
Samstag im Geschäftsbetrieb sein.
https://www.bern.ch/mediencenter/medienmitteilungen/aktuell_ptk/gemeinderat-pocht-auf-kundgebungsverzicht
Nach Kundgebungen in Bern: Gemeinderat beharrt auf absolutem Demo-Verbot
Der Berner Gemeinderat verurteilt ausdrücklich die Missachtung der
Corona-Massnahmen wie an den zwei vergangenen Samstagen in der
Innenstadt.
https://www.bernerzeitung.ch/gemeinderat-beharrt-auf-absolutem-demo-verbot-197278564847
-> https://www.derbund.ch/ticker-corona-kanton-bern-594319178143
-> https://www.telebaern.tv/telebaern-news/trotz-verbot-demo-gegen-corona-massnahmen-geplant-137867297
—
derbund.ch 13.05.2020
Kontroverse um politische Kundgebungen: «Kleinstgruppen mit Plakat müssen möglich sein»
Staatsrechtler und Stadträte aus fast allen Parteien fordern vom Berner
Gemeinderat, dass er zumindest Demonstrationen von Kleinstgruppen
zulässt.
Theepan Ratneswaran, Christoph Aebischer
Kein Spielraum für politische Kundgebungen. Die Stadt setzt um, was der
Bundesrat verlangt. Das wiederholt der Stadtberner Sicherheitsdirektor
Reto Nause (CVP) wie ein Mantra. Doch er gerät damit zusehends unter
Druck. Denn sogar das Bundesamt für Gesundheit zieht die Grenzen weniger
eng: «Denkbar sind alle Formen von politischen Äusserungen, bei denen
es zu keinen Menschenansammlungen kommt», liess das Amt Ende April vor
den traditionellen 1.-Mai-Demonstrationen verlauten.
Jörg Paul Müller, emeritierter Professor für öffentliches Recht und
Rechtsphilosophie an der Universität Bern, macht gegenüber dem «Bund»
klar: «Wenn im öffentlichen Raum Gruppen von fünf Personen toleriert
werden, muss dies auch dann gelten, wenn sie ein politisches Plakat
mitführen.» Mit dem Verweis, man könne ja in sozialen Medien
demonstrieren, sei es nicht getan. Die Regeln müssten für alle gleich
sein.
Gemeinderat soll ran
Nun schaltet sich die Stadtberner SP in den Disput ein: In den letzten
Tagen seien verschiedene Kundgebungen aufgelöst wurden – selbst wenn die
Zahl von fünf Personen unterschritten worden sei, schreibt sie in einem
Brief an den Gemeinderat. Sie verlangt jetzt, «Kleinkundgebungen bis
fünf Personen» müssten «schnellstmöglich» wieder zugelassen werden. Der
auf der Partei-Website aufgeschaltete Brief wurde laut «Berner Zeitung»
am Montag abgesandt.
SP-Co-Präsidentin Edith Siegenthaler erwartet, dass der Gemeinderat
möglichst schon an seiner nächsten Sitzung am Mittwoch – also noch vor
den erneut angekündigten Kundgebungen vom Wochenende – Klarheit schafft.
Nach den allgemeinen Lockerungen vom Montag sei der Moment dazu. Eine
Umfrage unter Stadtberner Politikern zeigt, dass die SP mit ihrer
Forderung nicht allein dasteht. Aus den Reihen des Grünen Bündnisses
(GB), der Jungen Alternative und selbst von der FDP tönt es im Grundsatz
gleich. Für die SVP hingegen haben Demonstrationen auf Strassen «jetzt
nicht oberste Priorität». Thomas Fuchs, Präsident der Stadtberner SVP,
findet es deshalb gut, dass resolut durchgegriffen wird, «nicht wie in
Basel und anderen Städten».
Damit spricht Fuchs einen wunden Punkt an: In den letzten Tagen sei eben
gerade nicht immer gleich hart durchgegriffen worden, entgegnet
Siegenthaler. Während die Polizei die Verschwörungstheoretiker letzten
Samstag lange habe gewähren lassen, seien am 1. Mai sogar einzelne
Personen mit Transparent gestoppt worden. GB-Stadträtin Lea Bill
unterstellt Nause gar: «Nause kommt es wahrscheinlich gelegen, dass er
die nervigen Demos mit dem Argument Corona-Pandemie verbieten darf.»
FDP-Fraktionschef Bernhard Eicher nimmt ihn dagegen in Schutz: Zwar sei
gegen Einzelpersonen mit einer politischen Botschaft nichts einzuwenden,
es sei aber nicht so einfach, eine Grenze zu ziehen. «Aus ein paar
wenigen werden schnell mehr als fünf.»
Genervter Nause
Der Sicherheitsdirektor Reto Nause reagiert zusehends genervt auf das
Thema. Inhaltlich bleibt er auf seiner Linie: Auch kleinere Aktionen von
einzelnen Meinungsführern zögen unweigerlich weitere interessierte
Personen an. Er habe «vollstes Verständnis» für die Forderungen der SP
Stadt Bern oder von Demonstranten. Die Umsetzung der in der Theorie
einfachen Fünf-Personen-Regel sei jedoch bei Kundgebungen nicht einfach
und letztlich unpraktikabel. In der Covid-19-Verordnung des Bundes stehe
explizit ein Kundgebungsverbot, darum würden auch weiterhin keine
Gesuche bewilligt. Momentan gebe es andere Formen des Protests, die
angezeigter wären.
Die Klimaaktivisten wollen am nationalen Klimastreik vom Freitag auf ein
Kräftemessen verzichten und setzen auf Online-Aktionen. Die Kritiker
der Corona-Massnahmen hingegen kündigen eine weitere Demo für den
Samstag an. Da hört selbst Edith Siegenthalers Verständnis auf. Stossend
sei daran, dass sich die Teilnehmenden um Distanz- und Hygieneregeln
foutierten – und weniger ihre Beweggründe. Selbst ein Protest wie jener
von zwei Handvoll Klimaaktivisten während der Sondersession des
Bundesparlaments sei wohl derzeit noch problematisch. Gegen
Kleinstgruppen mit Plakaten wie am 1. Mai spricht für sie hingegen beim
besten Willen nichts.
«Die Versammlungsfreiheit wurde zur Eindämmung des Virus eingeschränkt,
und nicht zur Einschränkung der freien Meinungsäusserung», sagt sie. Mit
Nulltoleranz gehe man bloss das Risiko ein, dass sich
Verschwörungstheoretiker in ihrer Haltung, man müsse sich gegen eine
heraufziehende Diktatur zur Wehr setzen, bestärkt sehen würden. Am 27.
Mai will der Bundesrat seinerseits darüber beraten, ob die geltenden
Beschränkungen für Versammlungen gelockert werden.
(https://www.derbund.ch/kleinstgruppen-mit-plakat-muessen-moeglich-sein-921792607696)
—
Kommentar zum Kundgebungsverbot: Demo-Lockdown muss ein Ende haben
Kundgebungen mögen manchmal lästig sein, aber in einer Demokratie sind sie durchaus «systemrelevant».
https://www.derbund.ch/demo-lockdown-muss-ein-ende-haben-978389412206
—
derbund.ch 13.05.2020
Klimaaktivisten demonstrieren online
Wegen des Versammlungsverbotes soll am Freitag eine Klimademonstration im Netz stattfinden. Aber wer bekommt das überhaupt mit?
Selina Grossrieder
Das Versammlungsverbot nahm den jugendlichen Klimaaktivisten ihr
wichtigstes Instrument aus der Hand: die regelmässige Demonstration, um
die Öffentlichkeit zu sensibilisieren. Am Freitag starten sie nun den
Versuch, den Protest online auszutragen.
Am Bildschirm sitzen wird auch die 17-jährige Berner Gymnasiastin und
Aktivistin Maria Weidtmann. Sie hat am eigenen Leib erfahren, wie im
Zeichen von Corona die politische Manifestation im öffentlichem Raum
leidet. Letzte Woche wollte sie so auf Berns Expogelände gegen das
angekündigte Hilfspaket für Swiss und Edelweiss demonstrieren – mit
mässigem Erfolg. Bereits nach kurzer Zeit wurden sie und rund 20 weitere
Aktivisten von Polizisten weggewiesen.
«Enorm mobilisierbar»
Allerdings hat sie schon rasch nach Ausbruch der Corona-Krise geahnt,
dass die geplante nationale Demo vom 15. Mai nicht auf den Strassen
stattfinden kann. Deshalb hat Maria Weidtmann zusammen mit ihren
Mitstreitern ein Alternativprogramm im Netz aufgezogen und dafür eigens
eine Website erstellt. Ihr Vorhaben ist ambitioniert: ein dreisprachiges
Webradio mit Webinars wird über verschiedene Umweltthemen informieren.
Zusätzlich sollen die Teilnehmer «Challenges» bewältigen und in den
sozialen Medien teilen. Um 11.59 Uhr rufen sie zum Klimaalarm auf und
holen sich damit ein Stück vom öffentlichen Raum zurück. «Fünf vor zwölf
ist längst vorbei», so Weidtmann.
Die Klimageneration schreit also wieder laut – wenn auch nur im Netz.
Hört ihnen dort überhaupt jemand zu? Noch ist für den Berner
Politikberater Mark Balsiger unklar, ob die Aktivistinnen und Aktivisten
mit der geplanten Online-Aktion an ihrem Momentum vom letzten Jahr
anknüpfen könnten. Das Potenzial dafür sei aber da: «Die
Mobilisierungsfähigkeit dieser Generation ist enorm.» Bei ihrer Aktion
könnten die Jugendlichen davon profitieren, dass sie keine
Berührungsängste mit den digitalen Medien hätten. Die Dynamik von
gemeinsamen Versammlungen könne die Demonstration im Netz aber nicht
ersetzen.
Maria Weidtmann selber sagt: «Corona hat uns in unseren Möglichkeiten
stark eingeschränkt.» Zwar ermögliche die digitale Aktion den
Jugendlichen, dass sie sich stärker vernetzen könnten. Aber eben: «Wer
sich nicht in dieser Zielgruppe befindet, kann nur schlecht eingebunden
werden.»
Die technischen und praktischen Einschränkungen sind das eine. Das
andere ist die Stimmungslage: Das Virus hat das Klimaproblem weit in den
Hintergrund gerückt. «Am Freitag wird sich das hoffentlich ändern»,
sagt Maria Weidtmann: «Wir fordern von unseren Politikern eine
langfristige Planung und wollen nicht, dass wir uns von einer Krise in
die nächste stürzen.»
Der Politikberater formuliert es so: Die Schwierigkeit für die
Jugendlichen bestehe darin, abstrakten Umweltthemen auch in Zeiten von
Corona Aufmerksamkeit zu verschaffen. Das sei viel anspruchsvoller als
vorher, sagt Mark Balsiger. «Denn offenbar ist ein verlorener
Arbeitsplatz gefährlicher als ein kollabierendes Klima.»
(https://www.derbund.ch/klimaaktivisten-demonstrieren-online-570443604195)
—
Schweizer Klimajugend demonstriert jetzt vom PC aus
Weil die nationale Klimademo vom 15. Mai nicht auf der Strasse
stattfinden kann, verlegt die Klimajugend den Aktivismus ins Internet.
Gleichzeitig prüft sie rechtliche Schritte gegen die Polizei. Grund sind
Anzeigen gegen Aktivisten.
https://www.20min.ch/story/schweizer-klimajugend-demonstriert-jetzt-vom-pc-aus-427201320547
+++BIG BROTHER
Kommende Woche startet die Testphase für die Contact-Tracing-App des Bundes – was Sie dazu wissen müssen
Um die Ausbreitung des Coronavirus weiter einzudämmen und
Infektionsketten zu durchbrechen und nachzuverfolgen, wird das Bundesamt
für Gesundheit eine App herausgeben. Das Wichtigste im Überblick.
https://www.nzz.ch/technologie/was-sie-zur-contact-tracing-app-wissen-muessen-ld.1555664
Zentral oder dezentral? Europa gespalten bei Contact-Tracing-Apps
Digitale Kontaktverfolgung soll es ermöglichen die Grenzen zwischen den
EU-Staaten zu öffnen, ohne dass die Fallzahlen in die Höhe schnellen.
Doch Frankreich und Polen wollen Daten zentralisiert speichern. Damit
könnte Europa in zwei Lager zerfallen.
https://netzpolitik.org/2020/europa-gespalten-bei-contact-tracing-apps/
+++RECHTSPOPULISMUS
Rechter Umweltschutz: Rassismus, klimafreundlich verpackt
Der Kampf für Klimagerechtigkeit ist auch einer gegen Patriarchat, Rassismus und Nationalismus
https://www.derstandard.at/story/2000117207363/rechter-umweltschutz-rassismus-klimafreundlich-verpackt
Weidels unbekannter Gönner
Ermittlungsbehörden liegen neue Beweise in der AfD-Parteispendenaffäre vor
Ein zurückgezogen lebender Milliardär, ein befreundeter
Pharma-Unternehmer, Parteispender, die sich als Strohleute
herausstellen: Die AfD-Parteispendenaffäre entwickelt sich zu einem
Wirtschaftskrimi.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1136674.afd-parteispendenaffaere-weidels-unbekannter-goenner.html
+++VERSCHWÖRUNGSTHEORIEN
Corona-Pandemie: Wenn die Eltern plötzlich an Verschwörungstheorien glauben
Seit dem Ausbruch des Coronavirus glauben viele Menschen an
Verschwörungserzählungen – auch solche, die bislang nicht dadurch
auffielen. Die Folgen können verheerend sein. Wie können Angehörige den
Betroffenen helfen?
https://netzpolitik.org/2020/wenn-die-eltern-ploetzlich-an-verschwoerungstheorien-glauben-corona-pandemie/
Mahnwachen von Corona-Skeptikern: Montags gegen Bill Gates
In Hamburg beleben Corona-Skeptiker*innen die Montags-Mahnwachen neu.
Dort standen Verschwörungsideologien schon immer hoch im Kurs.
https://taz.de/Mahnwachen-von-Corona-Skeptikern/!5681886/
Antifa-Protest gegen Coronaleugner
Bündnis ruft bundesweit zu dezentralen Aktionen auf
Die Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen gewinnen an Fahrt. Das
antifaschistische Bündnis »Nationalismus ist keine Alternative« hat nun
in einer Erklärung zu dezentralen Aktionen gegen die selbst ernannten
»Hygiene-Demos« aufgerufen.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1136673.hygiene-demos-antifa-protest-gegen-coronaleugner.html
EU-Papier: So profitieren Extremisten von Corona
Die Terrorexperten der EU haben analysiert, wie Extremisten die
Corona-Pandemie für ihre Zwecke missbrauchen. Sie warnen vor
rassistischer Gewalt und neuen Formen des militanten Aktivismus.
https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/eu-corona-terror-101.html
Anti-Lockdown-Proteste: «Sag mal, wie wahrscheinlich ist das?»
Digitalexpertin Katharina Nocun über Verschwörungsmythen in Zeiten von
Corona – und die notwendige Abgrenzung von Protesten gegen Rechts.
https://www.woz.ch/2020/anti-lockdown-proteste/sag-mal-wie-wahrscheinlich-ist-das
Coronavirus: Skeptiker haben online Hochkonjunktur
Die Corona-Pandemie öffnet Tür und Tor für wilde Theorien, Zweifel an den Behörden und berechtigte Fragen. Wir haben Antworten.
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/coronavirus-skeptiker-haben-online-hochkonjunktur-65706407
Nach umstrittenen Aussagen Sido distanziert sich von Verschwörungstheoretikern
In einem Interview spekulierte Rapper Sido kürzlich über
Verschwörungstheorien. Mit einem Statement will er sich nun von Attila
Hildmann und Ken Jebsen distanzieren: „Ich habe damit nichts zu tun.“
https://www.spiegel.de/kultur/musik/sido-distanziert-sich-von-verschwoerungstheoretikern-a-f2daedc3-e8af-47d9-aa02-9e92d263f530?fbclid=IwAR3BxgEsveFrCg7xuPlB2qA8pZh0f3XZ2R39QG0LBfycFZkEkd4p5y1knbA
-> https://hiphop.de/node/339422
-> https://www.welt.de/kultur/article207921395/Sidos-Weltverschwoerung-Xavier-ist-zu-tief-drin.html
Michael Butter: «Verschwörungstheorien machen die Welt erklärbar»
Verschwörungstheorien zum Corona-Virus machen derzeit die Runde. Die
Ungewissheit in dieser Pandemie sei der ideale Nährboden, denn
Verschwörungstheorien machten die Welt erklärbar, sagt Experte Michael
Butter im «Tagesgespräch».
https://www.srf.ch/sendungen/tagesgespraech/michael-butter-verschwoerungstheorien-machen-die-welt-erklaerbar
Hildmann, Naidoo, Sido: Wenn Promis zu Verschwörungstheoretikern werden
Eine Reihe deutscher Persönlichkeiten nutzt die Coronavirus-Pandemie, um sich mit kruden Annahmen hervorzutun
https://www.derstandard.at/story/2000117437774/hildmann-naidoo-sido-wenn-promis-zu-verschwoerungstheoretikern-werden
Die besten Beweise sind keine Beweise
Verschwörungstheorien kopieren das Verhalten von Viren. Sie mutieren
seit Jahrtausenden und sind immun gegen Fakten. Umso wichtiger sind die
Gegenmittel.
https://www.zeit.de/gesellschaft/2020-05/fake-news-verschwoerungstheorien-bill-gates-coronavirus/komplettansicht
Pandemiebekämpfung: Warum ein Beamter in der Corona-Krise den Aufstand wagt
Ein Regierungsrat im Innenministerium hält Corona für einen Fehlalarm
und die Pandemiebekämpfung für fatal. Seine Thesen verschickt er
deutschlandweit. Das hat Folgen.
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-05/corona-pandemie-bekaempfung-massnahmen-innenministerium-verschwoerungstheorien-regierungsrat/komplettansicht
Fler, Sido, Kollegah und Co.: Warum ist Verschwörungsglauben im Rap so verbreitet?
Wenn nicht mit Rap, dann mit der flachen Erde
https://www.bento.de/politik/corona-virus-warum-verschwoerungstheorien-im-deutschrap-so-verbreitet-sind-a-2c06d306-b25b-4523-80c0-983b48c3d941#refsponi
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derbund.ch 13.05.2020
Der richtige Umgang mit Corona-Verschwörungstheoretikern
Was tun, wenn man von Familienangehörigen oder Freunden Videos und Texte
aus fragwürdigen Quellen geschickt bekommt? Eine Anleitung.
Philipp Bovermann
Der Streit begann dort, wo Streits häufig beginnen und wo sich bei
vielen Menschen zurzeit ein grosser Teil des Lebens abspielt: im
Internet. Eine Gruppe junger Erwachsener hält über eine Whatsapp-Gruppe
Kontakt. In normalen Zeiten organisieren sie darin das gemeinsame Leben –
die Nachmittage im Park, die Partynächte, die sozialen Notfalleinsätze,
wenn mal einer Liebeskummer hat. Zurzeit aber geht es um Politik. Um
Impfungen, 5G, was das alles angeblich mit Corona zu tun habe und wie
Bill Gates die Fäden ziehe. Einer der Freunde hat da was geteilt. Man
könnte sagen: Die Gruppe hat sich etwas eingefangen.
Die Gruppe reagiert, als hätte der Freund in eine Ecke ihres digitalen
Wohnzimmers gepinkelt. Der geteilte Artikel stamme aus dem rechten
Spektrum, ob ihm das überhaupt klar sei, wollen die anderen wissen. Der
Angesprochene reagiert pikiert, postet weitere Links mit vermeintlichen
Quellen. Die anderen stellten sich der Diskussion nicht, schimpft er. Er
wünsche sich doch nur, dass sie endlich erwachen. Schliesslich verlässt
er die Gruppe; ein anderer ebenfalls, weil er «den ganzen
Weltverschwörerunfug» nicht mehr hören kann.
Die Geschichte stammt von einer jungen Juristin. Wer sich über die
sozialen Medien umhört, bekommt viele weitere dieser Art erzählt.
Geschichten von Menschen, deren Verwandte plötzlich vermeintlich tiefere
Wahrheiten hinter der aktuellen Krise entdecken. Von ehemaligen
Freundeskreisen, die zu «Corona-Rebellen» werden. Von der ehemaligen
Mitbewohnerin aus London, von der man viele Jahre nichts gehört hat und
die nun über das Netz zum Widerstand aufruft. In der Filterblase sitzen
immer die anderen, während man selbst über den Tellerrand schaut – so
lautet die erste Regel einer Filterblase. Gerade aber scheint die
Filterblase derer, die an Medizin und Wissenschaft glauben, bedenklich
zu schrumpfen.
«Mein Gott, ich dachte, du bist doch ganz vernünftig!»
Über die geistige Gesundheit im Internet und dort zirkulierende
Infektionskrankheiten haben die Ökonomin Katharina Nocun und die
Psychologin Pia Lamberty ein Buch geschrieben, das Ende Mai erscheint:
«Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen». In den
vergangenen Wochen, sagt Nocun hätten viele Menschen die Erfahrung
gemacht, dass man gar nicht unbedingt zuerst in den sozialen Netzwerken
auf wirre Sachen stösst. Häufiger geschehe das über Menschen aus dem
Freundeskreis oder der Familie, «wo man denkt: Mein Gott, ich dachte, du
bist doch ganz vernünftig?»
Sie begründet das zunächst mit einer Änderung des Youtube-Algorithmus.
Die Videoplattform stand jahrelang in der Kritik, eine Schleuder von
Verschwörungstheorien zu sein. Bei Videos mit solchen Inhalten blieben
die Nutzer besonders lang hängen. Die Algorithmen schlussfolgerten, dass
der aus ihrer Sicht optimale, weil besonders treue Nutzer ein Konsument
von Verschwörungstheorien ist. Also sortierten sie entsprechende
Inhalte ganz weit nach oben und schlugen sie besonders häufig vor. Im
vergangenen Jahr ging Youtube endlich auf die Kritik ein und verkündete,
seine Algorithmen zu ändern. Tatsächlich, sagt Nocun, hätten sich
seitdem Verschwörungsideologen heftig über Verluste von Reichweite
beschwert. Ihre Videos sind weniger gut zu finden, werden seltener
vorgeschlagen.
Also suchen sie sich neue Kanäle. Sie setzen stärker auf
Messenger-Gruppen, auf Telegram und Whatsapp. Weil die Kommunikation in
diesen privaten und halb öffentlichen Gruppen von aussen oft nur schwer
einsehbar ist, spricht man auch vom «Dark Social».
Ruhe bewahren, Fragen stellen
Giulia Silberberger, Expertin für Verschwörungstheorien, kalauert am
Telefon über «ihre Pappenheimer», die Ufo-Gläubigen und
Youtube-Zahlenmystiker. 2014 hat Silberberger den «Goldenen Aluhut»
erfunden, einen Award, der jedes Jahr an besonders herzerwärmend wirre
Verschwörungstheorien verliehen wird. Aluhüte stehen allegorisch für
Anhänger von Verschwörungstheorien. Weil Silberberger so viele Mails von
Leuten bekommt, deren Angehörige «erwacht» sind, berät sie mit ihrem
kleinen Team inzwischen auch Betroffene. Gerade hätten sie sehr, sehr
viel zu tun.
Ruhe bewahren. Das sei erstmal das Wichtigste, wenn man bemerke, dass
ein Freund oder Verwandter anfängt zu spinnen. Bei ihr heisst diese
Person stellvertretend «Tante Hilde». Vielleicht sei Tante Hilde ja nur
einem Fake aufgesessen. Von denen gebe es zurzeit besonders viele, weil
«echte Wissenschaft Zeit braucht, um Wissen zu schaffen».
Gerade jetzt hätten die Menschen Sehnsucht nach Erklärungen, deshalb
werde die Lücke von Verschwörungsideologen gefüllt. Sonst stemmen diese
sich gegen einen gesicherten wissenschaftlichen Konsens – den gibt es
zum Coronavirus aber noch immer nicht. So fallen die Radikalzweifler in
der allgemein herrschenden wissenschaftlichen Gemengelage sich ständig
überholender Erkenntnisse weniger auf.
Es helfe daher, sich darauf zu besinnen, dass «Tante Hilde» eigentlich
gern verlässliche Informationen hätte, nur habe sie vielleicht nie
gelernt, Quellen zu checken, sagt Silberberger. «Wahrscheinlich meint es
Tante Hilde nur gut. Sie glaubt wahrscheinlich, ihre Lieben vor den
Verschwörern zu beschützen. Vielleicht ist sie einsam, sucht deshalb
Halt im Glauben an eine höhere Macht, die alles lenkt.» Dort liege
wahrscheinlich das eigentliche Problem. Dort müsse man es lösen.
Auch Katharina Nocun rät dazu, erst einmal einfach zuzuhören. Die
Fragen, die hinter den Verschwörungstheorien stehen, nicht mit eigenen
Antworten, mit Faktenchecks oder Gegentheorien zuschütten – sondern
«Tante Hilde» zu ermutigen, weitere Fragen zu stellen. Zum Beispiel die,
was denn das für mächtige Verschwörer sind, wenn Menschen ihnen so
schnell auf die Schliche kommen können.
(https://www.derbund.ch/der-richtige-umgang-mit-corona-verschwoerungstheoretikern-652679401665)
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tagesanzeiger.ch 13.05.2020
Wer steckt hinter den «Corona-Rebellen»?
Die Demonstranten misstrauen der Regierung und der Presse. Ihre Inspiration holen sie bei «alternativen Medien» im Internet.
Kurt Pelda
«Impfen macht frei?» stand auf dem Karton, den eine Demonstrantin auf
dem Zürcher Sechseläutenplatz in die Kameras hielt. «Arbeit macht frei»
stand auf dem Tor des Konzentrationslagers Auschwitz. Wie das
Transparent verstörte vieles an den Mahnwachen vom vergangenen Samstag
in Zürich, Bern und anderen Schweizer Städten.
Zwar versammelten sich schweizweit nicht annähernd so viele wie bei den
Klimademonstrationen. Aber ihr Auflauf, ihre Menschenketten und die
Umarmungen liessen viele ratlos zurück, die wochenlang daheimgeblieben
waren und sich höchstens in Kleinstgruppen bewegt hatten. Auch
Journalisten der NZZ und der «Republik» zeigten sich auf Twitter
konsterniert über diese wie aus dem Nichts entstandene Bewegung gegen
die Einschränkungen der Freiheitsrechte, eine Folge des bundesrätlichen
Notrechts gegen das Coronavirus.
Pädo-satanischer Kult?
Wirklich erstaunen kann aber eigentlich nur, dass es nach dem
wochenlangen Lockdown überhaupt so lange gedauert hat, bis sich der
Protest auch auf den Strassen und Plätzen zeigt. Denn im Internet, auf
einschlägigen Websites und Kanälen des Messengerdiensts Telegram wird
schon länger Stimmung gemacht, nicht nur gegen die Corona-Massnahmen,
sondern auch allgemein gegen das «System», gegen die «Lügenmedien» und
gegen die «Elite», die dem gemeinen Volk angeblich eine – bisher noch
gar nicht existierende – Anti-Corona-Impfung aufzwingen will.
Die hinter den Demonstrationen stehende Bewegung ist äusserst heterogen
und vereinigt Globalisierungs- und Kapitalismuskritiker mit Impfgegnern
bis hin zu antisemitischen Verschwörungstheoretikern. Viele kommen aus
der esoterisch angehauchten Szene, und die meisten haben kein Vertrauen
in die Medien. Darum boykottieren sie Zeitungen und Fernsehen und
«informieren» sich mithilfe «alternativer Medien», die keinerlei
journalistischen Standards genügen müssen.
Websites und Kanäle, die den «Corona-Rebellen» nahestehen, generieren
seit März massiv mehr Internetverkehr. Das gilt zum Beispiel für Uncut
News, registriert von einem 58-jährigen Videothekar aus Winterthur, der
u. a. harte Horrorfilme vertreibt. Typisch für solche Websites ist, dass
sie sich zwar schweizerisch geben, viel mehr Klicks aber aus dem
deutschsprachigen Ausland kommen. Auch die verbreiteten Inhalte stammen
häufig aus Deutschland oder beschäftigen sich mit deutschen und nicht
mit schweizerischen Themen. Uncut News beruft sich gerne auf den
Propagandafernsehsender Russia Today (RT) und zeigt Sympathien für die
Präsidenten Putin und Trump. Auf Telegram kommt Uncut News auf mehr als
7300 Abonnenten.
Auch Swiss Propaganda Research hat durch die Corona-Krise deutlich mehr
Zulauf. Ihr Propagandamaterial wurde am Samstag auf dem Zürcher
Sechseläutenplatz unter die Leute gebracht. Die Website suggeriert, dass
die Schweizer Medien grösstenteils in ein transatlantisches Netzwerk
eingebunden seien, deshalb proamerikanische Positionen einnähmen und die
Nato unterstützten.
Besonders üble Propaganda verbreitet die Site zum Krieg in Syrien. So
behauptet sie, dass die dortigen Chemiewaffenangriffe inszeniert worden
seien – obwohl UNO-Untersuchungen das Gegenteil beweisen. Auch hier
erkennt man eine Nähe zur Propaganda Russlands. Obwohl sich die Macher
der Seite als Forscher ausgeben, wollen sie anonym bleiben. Der grösste
Teil der Klicks kommt nicht aus der Schweiz, sondern auch hier aus
Deutschland.
Während sich Swiss Propaganda Research um einen seriösen Anstrich
bemüht, wirft die stark verschwörungstheoretische Site Legitim.ch dem
Gesundheitsminister Alain Berset zum Beispiel vor, ein «Corona-Betrüger»
zu sein. Bersets steile Karriere sei ein typisches Merkmal für die
Zugehörigkeit zum pädophil-satanischen Kult der Machtelite. Beweise für
diesen Vorwurf bleibt die Site schuldig.
Attacken von Linksextremen
Als Plattformen für Aufrufe zu den Mahnwachen vom letzten Samstag
dienten unter anderem die «Corona-Rebellen Helvetia» auf Telegram und
Facebook. Der 51-jährige Markus Barguil ist einer der Administratoren
des Telegram-Kanals, wollte aber nicht von dieser Zeitung zitiert
werden. Der Kanal stellt sich selbst als «offizielle Schweizer
Untergruppe aus dem Netzwerk von 60’000 Corona-Rebellen in Europa» dar.
Auf Telegram kämpfte der Schweizer Ableger im Anschluss an die
Demonstrationen mit Angriffen von Trollen, welche die Diskussion in der
Gruppe stören und monopolisieren wollten. Barguil vermutete den
Staatsschutz dahinter, doch gibt es Hinweise, dass die Attacken in
Wirklichkeit aus der linksextremen Szene kamen.
Der Telegram-Kanal hat nach rund drei Wochen mehr als 1800 Mitglieder.
Nicht alle sind aber Anhänger der Corona-Rebellen. Er sei aus Neugierde
dabei, sagt der Klimaaktivist Maurus Pfalzgraf, der bei den Jungen
Grünen in Schaffhausen politisiert. Was man bei den Corona-Rebellen
lesen könne, sei manchmal schon ziemlich besorgniserregend, sagt der
20-Jährige. Er habe Mühe, zu verstehen, wie man auf solche Ideen komme.
Gemeint sind zum Beispiel Verschwörungstheorien, laut denen die
«Corona-Lüge» nur dazu diene, das Volk zu knechten und zu kontrollieren.
Einer der Köpfe an der Demonstration auf dem Sechseläutenplatz war der
Kardiologe Thomas Binder aus Baden AG. Im Gespräch mit dieser Zeitung
behauptete er, dass 5G-Mobilfunkantennen mit der Verbreitung des
Coronavirus – im Übrigen eine einfache Grippe – in Zusammenhang stünden.
Ab in die Gummizelle
An Ostern war Binder von der Sondereinheit Argus der Aargauer
Kantonspolizei in seiner Arztpraxis verhaftet worden. Anschliessend
steckte man ihn in eine Gummizelle der Psychiatrischen Klinik
Königsfelden. Auslöser waren angebliche «Drohungen gegen Angehörige und
Behörden». Binder hatte kurz zuvor auf einem inzwischen gelöschten Blog
davor gewarnt, dass sich unsere Regierungen in der Gewalt von
«Weltputschterroristen» befinden könnten. Er forderte deshalb dazu auf,
dem angeblich vom Putsch bedrohten Bundesrat unter die Arme zu greifen.
Notfalls sollten die Bürger «raus, Waffe laden und helfen».
In Bern lief mit dem Ostschweizer Ignaz Bearth auch mindestens ein
Rechtsradikaler an der Demonstration der Corona-Rebellen mit. Neonazis
wie Tobias Steiger hielten sich dagegen fern. Der Chef der Basler
Sektion der Partei National Orientierter Schweizer teilt zwar viele
Ansichten der Corona-Rebellen, so die Angst vor 5G und Zwangsimpfungen.
Doch für ihn – so geht aus seinen Nachrichten hervor – sind die
Demonstranten vom Samstag zu demokratiefreundlich und zu wenig
antisemitisch.
Das «Impfen macht frei?»-Transparent vom Zürcher Sechseläutenplatz hatte
auch noch eine Rückseite. «Demo-Kratie R. I. P. 1291–2020» stand
darauf. Die Frau, die den Karton in die Kameras hielt, hatte ihn wohl
nicht selber beschrieben. Denn sie fragte ihre Begleiterin: «Was heisst
eigentlich R. I. P.?» Ruhe in Frieden.
(https://www.tagesanzeiger.ch/wer-steckt-hinter-den-corona-rebellen-802443284662)
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„Gates kapert Deutschland“ zerlegt | WALULIS
Bill Gates – der Vater von Karl Klammer. Und Thema eines 30 minütigen
Videos von YouTuber Ken Jebsen bei dem schon der Titel aufschreckt:
‘Gates kapert Deutschland’ Ehrlich gesagt: Wenn das stimmt, dann fände
ich das wirklich nicht geil. Ken hat also meine Aufmerksamkeit. Und
nicht nur meine: Das Video hat inzwischen über drei Millionen Aufrufe.
Ein Video, voll mit Aussagen, die einem wirklich Angst machen. Gerade
jetzt während Corona suchen wir alle nach Antworten. Also: Was ist dran
an dem Video? Wer ist Ken Jebsen? Zeit, das mal genauer zu zerlegen.
https://youtu.be/0EmH7hHaVNQ
+++HISTORY
Geschichte: Hilfe für die stärkste Armee
Eine neue Biografie versucht, den katholisch-autoritären Bundesrat
Philipp Etter als «Hüter der Mitte» darzustellen. So akribisch das
Plädoyer, so offensichtlich sind die Verharmlosungen.
https://www.woz.ch/2020/geschichte/hilfe-fuer-die-staerkste-armee
Wilhelm Reich: So züchtet die Kleinfamilie Rechtsextreme
Warum die ArbeiterInnen nicht zwangsläufig links sind: In seiner
«Massenpsychologie des Faschismus» demonstrierte Wilhelm Reich schon
1933 einen facettenreichen Erklärungsansatz.
https://www.woz.ch/2020/wilhelm-reich/so-zuechtet-die-kleinfamilie-rechtsextreme
+++WORLD OF CORONA
Gesundheit für alle: «Soziale Medizin gibt es nur, wenn man kämpft»
Die Sozialanthropologin Janina Kehr beschäftigt sich mit Ungleichheiten
in der Gesundheitspolitik. Sie erklärt, warum MigrantInnen in der
Coronapandemie besonders exponiert sind – und welche Auswirkungen die
Austeritätspolitik in den einzelnen Ländern hat.
https://www.woz.ch/2020/gesundheit-fuer-alle/soziale-medizin-gibt-es-nur-wenn-man-kaempft