Medienspiegel 16. Februar 2020

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+++BERN
derbund.ch 16.02.2020

Hilfswerk kritisiert den Kanton

Caritas nennt die Mandatsvergabe des Kantons Bern «fragwürdig» und hat eine Beschwerde eingereicht. Zum Verhängnis wurde dem Hilfswerk wohl auch das Tempo der Asylreform.

Andres Marti

Bei der Caritas Bern fühlt man sich unfair behandelt. Grund ist die Reorganisation des bernischen Asylwesens. Bei der Neuvergabe der Betreuungsmandate ging das katholische Hilfswerk leer aus, über hundert Angestellte verlieren ihren Job.

Caritas-Bern-Direktorin Dalia Schipper äussert sich nun erstmals im «Bund» zum Verfahren. Aus Sicht von Schipper ist die Vergabe «fragwürdig» verlaufen. Die Caritas hat eine Beschwerde eingereicht. Diese wurde allerdings bereits abgewiesen. Statt der Caritas wird nun ab dem 1. Juli das Stadtberner Kompetenzzentrum Integration für die Flüchtlingsbetreuung in der Stadt Bern und Umgebung verantwortlich sein. So hat es die zuständige kantonale Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion (GSI) beschlossen.

Was die Caritas-Direktorin nun aber besonders nervt: Während die Stadt ihre Defizitgarantie fast ein Jahr nach der Vergabe vom Stadtparlament absegnen lässt, musste Caritas ihre Defizitgarantie bereits mit ihrem Angebot einreichen. Schipper: «Um überhaupt an der Ausschreibung teilnehmen zu können, mussten wir dem Kanton eine Defizitgarantie vorlegen.»

Die Millionenbeträge konnte das Hilfswerk nicht alleine stemmen und gründete deshalb extra eine Stiftung. Schipper spricht von einer «Feuerwehrübung» unter enormem Zeitdruck. Am Ende hat es nichts gebracht.

Ungleiche Massstäbe?

Was die GSI von der Stadt verlangt habe, wisse man zwar nicht, so Schipper. Was man aber wisse, sei, dass der Stadtrat erst letzten Donnerstag die entsprechende Defizitgarantie im Umfang von knapp 3,4 Millionen Franken abgesegnet habe. «Hier kommt der Verdacht auf, dass bei der GSI für die staatlichen Organisationen andere Massstäbe gelten.»

Schipper verweist dabei auch auf die Mandatsvergabe für die Flüchtlingsbetreuung im Berner Oberland. Dort hat ebenfalls eine öffentlich-rechtliche Organisation den Zuschlag erhalten: Der Verein Asyl Berner Oberland (ABO) wurde von 13 regionalen und kommunalen Sozialdiensten des Berner Oberlands gegründet. Laut einem internen Dokument hat sich die GSI schon letzten Februar für ABO entschieden. Auch hier ging Caritas leer aus. Einen Monat später segnete dann das Thuner Stadtparlament die Defizitgarantie von 1,7 Millionen Franken ab.

Kantone im Zugzwang

ABO-Geschäftsführer Christian Rohr äussert auf Anfrage Verständnis, dass dieses Vorgehen bei der Caritas für Unmut sorgt. Den Kanton treffe dabei aber keine Schuld. Rohr verweist stattdessen auf das Tempo der Asylreform. Der Bund setzte die beschleunigten Verfahren bereits im März 2019 um. Die Kantone stünden nun unter Zeitdruck bei der Umsetzung. Dass man dabei die öffentlich-rechtlichen mitberücksichtigt habe, wird von Rohr begrüsst. «Hätten die öffentlich-rechtlichen Organisationen ihre Defizitgarantie schon vorher einreichen müssen, hätte der Kanton sie vom Wettbewerb ausgeschlossen», sagt Rohr.

Müssen Entscheide demokratisch gefällt werden, dauert das seine Zeit. In Bern hat der Gemeinderat die Defizitgarantie im Oktober 2019 zuhanden des Stadtrats verabschiedet. «Eine noch schnellere Antragstellung an den Stadtrat war kaum möglich», heisst es bei der zuständigen Sozialdirektion. Am liebsten wäre der Stadt gewesen, wenn gar kein Wettbewerb stattgefunden hätte. Wie der «Bund» publik machte, versuchte die zuständige Gemeinderätin Franziska Teuscher (GB), den Auftrag von der GSI per Direktvergabe zu erhalten.

Beim Kanton reagiert man mit einem kurzen schriftlichen Statement auf die Vorwürfe der Caritas: «Die GSI weist die Vorwürfe von Caritas als unzutreffend zurück», schreibt Pressesprecher Gundekar Giebel per Mail. Das Amt für Integration und Soziales, das den Beschaffungsprozess durchführte, habe im Vergabeverfahren grossen Wert auf Transparenz und Gleichbehandlung aller Anbieter gelegt. «Der Nachweis der genügenden wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit» sei aufgrund eines von den Anbietern auszuarbeitenden Finanzierungskonzepts erfolgt. «Die Überprüfung der Erfüllung dieses Kriteriums erfolgte in allen Losen nach einheitlichen Massstäben.»
(https://www.derbund.ch/bern/hilfswerk-kritisiert-den-kanton/story/14035398)



Kirchliche Kontaktstelle hilft Flüchtlingen auf dem Arbeitsmarkt
Die Kirchliche Kontaktstelle für Flüchtlingsfragen hat „Jobs4Refugees.ch“ ins Leben gerufen. Dahinter steckt ein Infoportal für Arbeitgeber rund um die Erwerbstätigkeit von Flüchtlingen. Verschiedene Unternehmen in ganz Bern nutzen die Plattform bereits.
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/kirchliche-kontaktstelle-hilft-fluechtlingen-auf-dem-arbeitsmarkt-136379007
-> https://jobs4refugees.ch/


+++ST. GALLEN
St.Galler Regierung will Flüchtlingsrechte nicht einschränken und lehnt Standesbegehren ab
Flüchtlinge können ihren Wohnort im Kanton wählen. Ein Standesbegehren, das an der Februarsession des Kantonsrats behandelt wird, will das ändern. Die Regierung hält es für völkerrechtswidrig.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/stgaller-regierung-will-fluechtlingsrechte-nicht-einschraenken-und-lehnt-standesbegehren-ab-ld.1195424


+++LIBYEN
Prekäre Sicherheitslage für Flüchtlinge – Tausende in Internierungslagern
Folter, Menschenhandel und Krankheiten in Internierungslagern – seit Beginn der Tripolis-Offensive des Generals Haftar im April 2019 hat sich die Sicherheitslage für Flüchtlinge in Libyen noch verschlechtert. Laut UNHCR werden mehr als 3000 Menschen in solchen Haftzentren willkürlich gefangen gehalten.
https://www.deutschlandfunk.de/libyen-prekaere-sicherheitslage-fuer-fluechtlinge-tausende.1939.de.html?drn:news_id=1101708


+++GASSE
Zürcher Drogenpolitik – «Der Staat soll alle Drogen regulieren»
Vor 25 Jahren verschwand die offene Drogenszene aus Zürich. Suchtexperte Thilo Beck will die Drogenpolitik weiterdenken.
https://www.srf.ch/news/regional/zuerich-schaffhausen/zuercher-drogenpolitik-der-staat-soll-alle-drogen-regulieren


Zum Coiffeur gehen? «Praktisch unmöglich»: Erster Einsatz der «Barber Angels» im Kanton Solothurn
Rund 50 Menschen am Rande der Armut erhielten am Sonntag einen gratis Haarschnitt.
https://www.solothurnerzeitung.ch/solothurn/kanton-solothurn/zum-coiffeur-gehen-praktisch-unmoeglich-erster-einsatz-der-barber-angels-im-kanton-solothurn-136378301


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Auto wird am Valentinstag rot versprayt
In der Nacht auf Samstag wurde im Berner Lorraine-Quartier ein Auto komplett mit roter Farbe versprayt. Das Motiv der Täter ist unklar. Auf Facebook spekuliert man über ein Liebes-Drama.
https://www.20min.ch/schweiz/bern/story/Wer-versprayt-in-Bern-Autos–26817309


Basler Klimastreik – Klimajugend verlangt mehr als den Klimanotstand
Am Samstagnachmittag demonstrierten mehrere Hundert jungen Menschen. Die Politik solle endlich handeln.
https://www.srf.ch/news/regional/basel-baselland/basler-klimastreik-klimajugend-verlangt-mehr-als-den-klimanotstand
.-> https://telebasel.ch/2020/02/16/sonntaegliche-klimademo-in-basel-mit-rund-600-teilnehmenden/?utm_source=lead&utm_medium=carousel&utm_campaign=pos+2&channel=105100
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/sonntagliche-klimademonstration-in-basel-mit-rund-600-teilnehmenden-65663417


+++ARMEE GEGEN INNEN
Schutzmassnahme gegen Coronavirus: Krach um Armeeeinsatz am Flughafen
Geht es nach dem Bundesamt für Gesundheit, sollen Einreisende an Schweizer Flughäfen von Soldaten kontrolliert werden. Doch das Departement Berset zieht nun die Reissleine.
https://www.blick.ch/news/politik/schutzmassnahme-gegen-coronavirus-krach-um-armeeeinsatz-am-flughafen-id15750937.html


+++GRENZWACHTKORPS
NZZ am Sonntag 16.02.2020

Grenzwache muss lange ohne Drohnen auskommen

Die neuen Armeedrohnen sind frühestens Ende Jahr einsatzbereit. Wegen der weiteren Verspätung muss der Zoll den Grenzschutz mit Helikoptern gewährleisten.

Andreas Schmid

Für die Überwachung der Landesgrenze stellt die Luftwaffe der Grenzwache die Drohnen der Armee zur Verfügung. Doch seit Ende November und bis auf weiteres sind keine unbemannten Fluggeräte einsatzbereit: Die alten des Typs Ranger wurden Ende November nach 20 Jahren ausgemustert, die neuen des israelischen Herstellers Elbit vom Typ Hermes 900 sind von der zuständigen zivilen Behörde in Israel noch nicht zugelassen worden. Der Prozess im Herstellerland verzögerte sich wiederholt, so dass die militärischen Instanzen hier mit der Systemabnahme zuwarten müssen.

Ursprünglich war die Inbetriebnahme der Drohnen für Ende 2019 vorgesehen. Das Bundesamt für Rüstung (Armasuisse) musste jedoch bereits im vergangenen September gegenüber den Tamedia-Zeitungen eine erste mehrmonatige Verspätung einräumen. Zwischen Juli und September 2020 werde die Grenzwache die Hermes-Drohne einsetzen können, prognostizierte Armasuisse damals.

Daraus wird aber nichts. Bisher haben noch keine Flüge mit der Drohne in der Schweiz durchgeführt werden können. Für den fliegerischen Teil der Ausbildung reisen die Piloten laut Armasuisse-Sprecherin Jacqueline Stampfli am 23. Februar nach Israel. Im zweiten Halbjahr sollen erste Testflüge in der Schweiz stattfinden. Nachdem die militärischen Behörden das System zertifiziert haben, übergeben sie die Fluggeräte dann der Luftwaffe.

Andere Mittel für Grenzschutz

Die Grenzwache muss also noch länger warten, bis ihr wieder Drohnen zur Verfügung stehen: «Frühestens Ende Jahr» werde es so weit sein, sagt Stampfli nun. Armasuisse strebe eine schrittweise Zulassung an, um die Folgen der verzögerten Zulassung durch die israelische Luftfahrtbehörde zu minimieren.

Die Eidgenössische Zollverwaltung muss sich derweil für den Grenzschutz anderer Mittel behelfen. «In dieser Zeit verwendet die Grenzwache vermehrt Helikopter der Luftwaffe, um die Lücke zu schliessen», sagt Sprecher Matthias Simmen. Allerdings könnten Helikopter Drohnen nur teilweise ersetzen. Beide Systeme verfügten zwar über eine Wärmebildkamera. «Doch Drohnen haben den Vorteil, dass sie grössere Geländeabschnitte über einen längeren Zeitraum überwachen können.»

Mehrkosten entstehen durch die zusätzlichen Helikopterflüge laut Simmen aber nicht. Die Zollverwaltung habe eine Leistungsvereinbarung mit der Luftwaffe abgeschlossen, die keine zusätzliche finanzielle Belastung entstehen lasse.

Die Armee bestellte die modernen Drohnen bereits vor über vier Jahren beim Hersteller. Sechs Geräte für 250 Millionen Franken kauft die Schweiz. Die neuen Drohnen haben einen Dieselmotor, können 24 Stunden in der Luft bleiben und eine Geschwindigkeit von 260 Kilometern pro Stunde erreichen. Sie weisen eine Flügelspannweite von 17 Metern auf. Vom Militärflugplatz in Emmen im Kanton Luzern können sie an jeden Ort in der Schweiz gesteuert werden.

Drohnen zur «Gefahrenabwehr»

Am häufigsten sind Drohneneinsätze für die «Gefahrenabwehr an der Grenze». Mit den Aufklärungsflügen sollen Kriminaltouristen, Schlepper und Schmuggler aufgespürt werden.

Ein verlängerter Einsatz der alten Drohnen zur Überbrückung war für die Armee keine Option. Weil die Zulassung für einige Teile ablief, hätten sie ersetzt werden müssen. Dies hätte unverhältnismässig hohe Kosten verursacht, so die Begründung für die endgültige Ausmusterung der letzten von anfänglich 28 Ranger-Drohnen.

Die Zulassung der neuen Hermes-Fluggeräte beanspruche auch deshalb so viel Zeit, weil die Drohnen stark umgebaut würden, behaupten Kritiker. Der Dieselmotor sei viel schwerer als die im hergebrachten System benutzten Antriebe, die mit Flugbenzin funktionieren. Dieses Zusatzgewicht erfordere eine Anpassung von Tragflächen und Spannweiten. Die Finanzkontrolle widersprach in einem Prüfbericht von 2017 den Vorbehalten: Es könne keine Rede von einer unnötigen Swissness sein.
(https://nzzas.nzz.ch/schweiz/grenzwache-muss-lange-ohne-drohnen-auskommen-ld.1540784)


+++RECHTSPOPULISMUS
Die Vereinnahmung des Silone-Zitats zum Faschismus durch die Neue Rechte
Silones Warnung
Wie der linke Intellektuelle Ignazio Silone zum Kronzeugen der Anti-Antifa gemacht wurde.
https://jungle.world/artikel/2020/05/silones-warnung


Das Leidmedium
Meinungsdiktat, Genderhype – «Greta!» Die einst so nüchterne «Neue Zürcher Zeitung» treibt unterdessen ihrem Publikum konstant den Puls hoch. Und macht die Aufregung zu Geld – vor allem in Deutschland.
https://www.republik.ch/2020/02/11/das-leidmedium


+++FUNDIS
USA: Die geheime religiöse Gemeinschaft
Eine geheime Gruppe christlicher Fundamentalisten, die sich “die Gemeinschaft” nennt, beeinflusst die amerikanische Politik. Davon ist der investigative Journalist Jeff Sharlet überzeugt. | mehr
https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/weltspiegel/sendung/usa-religioese-gemeinschaft-100.html


+++HOMOHASS
tagesanzeiger.ch 16.02.2020

Angriffe auf Schwule: Jetzt wollen Clubs ein Zeichen setzen

Unterstützung an der Urne, Hass auf der Strasse: Homosexuelle fühlen sich in Zürich verunsichert. Die Partyszene reagiert.

David Sarasin

Samstagabend, kurz nach 23 Uhr. Vor dem Club Hive ist die Schlange eine Viertelstunde nach Türöffnung schon mehr als 50 Meter lang. Die Stimmung pendelt irgendwo zwischen ungeduldig und vorfreudig. Boyahkasha heisst die Partyreihe, für die sich diese Nachtschwärmer in die Reihe stellen. Sie gehört seit vielen Jahren zum Fixpunkt des schwulen Zürcher Nachtlebens und lockt jeweils Hunderte an.

Doch etwas ist anders an diesem Wochenende. Man konnte es tagsüber schon an den grossen Lettern am Club Hive erkennen, die von den ein- und ausfahrenden Zügen aus zu lesen sind: «Stop Homophobia». Die Stimmung in der schwul-lesbischen Szene schwankt zwischen den Extremen.

Denn da war nicht nur das für die LGBTQI-Gemeinde wichtige, überraschend deutliche Abstimmungsergebnis zugunsten der Ausweitung der Anti-Rassismus-Strafnorm von Anfang Februar. Wenige Stunden vor Bekanntgabe des Ergebnisses am Abstimmungssonntag wurden beim Zürcher Club Heaven drei Menschen durch eine Messerattacke verletzt. Der Vorfall reihte sich ein in eine Anhäufung von Hate Crimes im vergangenen Jahr in der Stadt Zürich wie auch in der Schweiz oder im nahen Ausland.

«Ich nehme in meinem Umfeld derzeit eine Verunsicherung war», sagt Marco Uhlig. Er ist Organisator der Boyahkasha-Partyreihe und Besitzer des Zürcher Clubs Heaven. Auf der anderen Seite sehe er auch einen erstarkten Zusammenhalt in der Community. Die fast hundert Meter lange Schlange, die sich nach Mitternacht vor dem Hive bildete, deutet er als Ausdruck davon. Ebenso die positiven Reaktionen, die er auf Social Media erfahre. «Diese Woche war eine Achterbahnfahrt», sagt Uhlig.

Für ihn hiess das auch: viel Arbeit. Mit einigen in der Szene aktiven Leuten hielt er Sitzungen ab. Dabei definierte das Gremium, wie es auf die aktuellsten Gewaltvorfälle auf Zürichs Strassen reagieren könnte.

Als Sofortmassnahme hat er an diesem Wochenende in der Strasse vor dem Heaven zum ersten Mal Leute aus seinem neu geschaffenen Awareness-Team eingesetzt. Ein Mitarbeiter patrouillierte in der Freitagnacht vom Eingang des Clubs an der Spitalgasse zum Hirschen- und wieder hoch zum Zähringerplatz. Sein Job: aggressiv auftretende Männer per Funk dem Sicherheitspersonal melden. Eine ähnliche Art von Selbstorganisation prüfen derzeit auch Clubs in Berlin, wo die Zahl der Hate Crimes im letzten Jahr ebenfalls in die Höhe geschnellt ist. Uhlig steht mit ihnen in Kontakt.

Uhlig ist zufrieden mit dem ersten Einsatz seines Awareness-Verantwortlichen. «Die Freitagnacht verlief ohne weitere Zwischenfälle», sagt er. Die Gäste seien zahlreich aufgekreuzt und hätten sich sicher gefühlt. Das sei auch der Präsenz der Stadtpolizei zu verdanken, die nach den Attacken vom letzten Wochenende angekündigt hatte, ein Augenmerk auf die Szenerie im Niederdorf zu richten.

Grobe Attacken häufen sich

Im Hive ist die Party gegen Mitternacht in vollem Gange. Die Gäste wippen zu den House-Beats, die aus den Boxen dringen. Unter den Tanzenden ist auch Bastian Baumann. Der Mittdreissiger ist Journalist beim queeren Magazin «Mannschaft» und ehemaliger Geschäftsleiter von Pink Cross, der grössten, privat organisierten Schweizer Bürgerrechts- und Selbsthilfeorganisation für die Schweizer LGBTQI-Gemeinschaft.

Auch für ihn sei die Woche aussergewöhnlich gewesen, sagt er. Der aktuellen Diskussion rund um das Thema gewinnt er etwas Positives ab. «Die ansonsten sehr diverse Gemeinschaft wächst zusammen und kriegt Aufmerksamkeit», sagt er. Viele aus der Community fühlten sich zudem ermutigt, negative Erlebnisse, die sie aufgrund ihrer sexuellen Orientierung erlebten, bei der Hotline von Pink Cross zu melden.

Roman Heggli, Geschäftsleiter von Pink Cross, bestätigt, dass sich die Anzahl Meldungen seit der Messerattacke in Zürich in der Silvesternacht, bei der eine Person schwer verletzt wurde, deutlich erhöht habe. Doch habe das nicht nur mit der gesunkenen Hemmschwelle für die Betroffenen zu tun. Heggli beobachtet auch eine Häufung von «groben Angriffen» in jüngster Zeit. Zehn Meldungen zu schwerwiegenden Vorfällen seien alleine im Januar bei Pink Cross eingegangen. Um kurzfristige Massnahmen gegen eine in der Szene auftretende Verunsicherung zu definieren, hat Pink Cross auf Ende Februar eine Tagung einberufen.

Vor dem Club Heaven ist in der Nacht auf Sonntag nichts von besagter Verunsicherung zu spüren. Die Schlange reicht nachts um halb eins weit auf die Spitalgasse hinaus. Die Gäste lachen und plaudern. Nur manchmal rauscht ein «Pssst» durch die Gasse. Es kommt von Ramon Herzog, der seinen ersten Abend im Awareness-Team des Heaven bestreitet. Mit oranger Leuchtweste über der Jacke und Funkgerät im Ohr patrouilliert er durch die Strassen – und sorgt sich dabei auch um die Nachtruhe.

Der 22-jährige Herzog arbeitet seit vielen Jahren im Heaven. «Ich kenne viele Leute und sehe, ob jemand zur Community gehört oder nicht», sagt er. Bisher sei der Abend ruhig verlaufen. Auf dem Hirschenplatz habe er vor einer Stunde zwar eine Gruppe junger Männer beobachtet, die ausfällig geworden sei. «Verbale Attacken aber kommen jedes Wochenende vor. Ich muss einschätzen, wie gefährlich das ist.»

Vorsichtig nach Angriffen

Nach 2 Uhr ist die Strasse vor dem Heaven wie leer gefegt. Der Club dagegen ist voll. Die Luft vibriert, an die 200 Gäste sind gekommen. Es riecht nach Redbull und Schweiss, die Gäste tanzen zu den Pophits, die aus den Lautsprechern schallen. «Im Club fühlen sich die Leute sicher», sagt der Besitzer Uhlig.

Dass das nicht für die ganze Stadt gelte, sei seinen Gästen bewusst. Gegenden wie jene rund ums Lochergut, wo sich vergangenen Sommer ein Angriff auf Aktivisten ereignete, oder am HB liessen viele Schwule vorsichtig werden. Sie schauten auch in dieser Samstagnacht auf dem Nachhauseweg zweimal hin, wenn ihnen auf der Strasse jemand entgegenkam.



Hate Crimes sollen in der Stadt Zürich erfasst werden

In Zürich sollen LGBTQI-feindliche Aggressionen künftig von der Polizei erfasst werden. Ein entsprechendes dringliches Postulat überwies der Gemeinderat Anfang Januar dem Stadtrat. Patrick Hadi Huber und Simone Brander (beide SP) formulierten in dem Schreiben, dass die Polizei, die bei einem Verbrechen ohnehin das Motiv erfasst, vermerken soll, ob ein Angriff aus Hass gegenüber LGBTQI-Menschen verübt wurde. Eine entsprechende Motion wurde vergangene Woche auch im Nationalrat eingereicht. Der Präsident der kantonalen Polizeikommandanten lehnte eine solche Regelung ab. Die Polizei könne Tatmotive wie Rassismus, Sexismus oder Homophobie kaum verlässlich erfassen. Auch der Zürcher Regierungsrat zeigte sich bislang nicht bereit, solche Hassverbrechen statistisch zu erfassen. Ende August 2019 begründete er dies in einer Antwort auf einen Vorstoss im Kantonsrat damit, dass es sich bei der sexuellen Orientierung um besonders schützenswerte Personendaten handle. (dsa)
(https://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/stadt/zwischen-mut-und-angst/story/16202849)


+++CRYPTO-LEAKS
Bundesämter sollen disziplinierter archivieren
Im Bundesarchiv sind Untersuchungsakten der Bundespolizei zum Fall Crypto AG unauffindbar. Das machte die «Rundschau» publik. Es ist nicht das erste Mal, dass in der Schweiz staatspolitisch heikle Akten verschwinden.
https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/bundesaemter-sollen-disziplinierter-archivieren?id=aae683ff-dc5c-48bc-a575-1a6fe5629ac1
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/geheimdienstaffaere-cryptoleaks-wenn-dokumente-nicht-auffindbar-sind-ist-etwas-schief-gelaufen


Nach Versäumnissen des Bundes: Parlamentarier wollen Nachrichtendienst besser überwachen
Nationalräte mehrerer Parteien verlangen zusätzliche Ressourcen für die Aufsicht über den NDB. Die heutigen Mittel seien ungenügend.
https://www.blick.ch/news/politik/nach-versaeumnissen-des-bundes-parlamentarier-wollen-nachrichtendienst-besser-ueberwachen-id15751048.html



Weitere Alt-Bundesräte aufgetaucht
Crypto-Affäre: Eine neue Spur führt zu weiteren Bundesräten. Dokumente aus dem Justizdepartement deuten auf ein Mitwissen von Arnold Koller hin.
https://www.bernerzeitung.ch/schweiz/standard/in-der-cryptoaffaere-tauchen-weitere-altbundesraete-auf/story/10908363



Sonntagszeitung 16.02.2020

Cryptoleaks: Alt-Bundesrat Koller gerät in den Fokus

Zweimal war der ehemalige ­Justizminister Thema im Bundesrat. Die problematischen Ermittlungen geschahen in seinem Departement.

Denis von Burg, Kurt Pelda

Neue Informationen aus dem Bundesrat werfen Fragen auf, ob auch Alt-Bundesrat Arnold Koller schon in den 90er-Jahren Bescheid wusste über die Verstrickung der Zuger Crypto AG in ein gross angelegte US-amerikanisches Abhörprogramm.

Viola Amherd, Vorsteherin des Verteidigungsdepartements VBS, berichtete am 17. Dezember dem Bundesrat, in ihrem Departement seien Dokumente aufgetaucht. Diese «weisen darauf hin, dass der ehemalige EMD-Vorsteher K. Villiger informiert war». So zitiert der «Tages-Anzeiger» gestern Amherds Papier. Kaspar Villiger dementiert das. Zum damaligen Justizminister Arnold Koller, CVP, gebe es hingegen keine Hinweise.

Das allerdings, so zeigen jetzt weitere Recherchen, wollte das Justizdepartement unter der aktuellen FDP-Vorsteherin Karin Keller-Sutter so nicht stehen lassen. Sie verlangte gemäss mehreren Quellen eine Korrektur und hielt dabei fest: Der Hinweis, Arnold Koller sei nicht erwähnt, gelte nur für die VBS-Quellen. Seither fragt man sich im Bundeshaus, ob diese Präzisierung gemacht wurde, weil Akten aus anderen Departementen mit dem Namen Kollers aufgetaucht sind. Amherd jedenfalls schrieb gemäss Insidern in ihr eigenes Analysepapier die Bemerkung, dass nicht nur Villiger, sondern auch Koller in der Öffentlichkeit unter Druck geraten könnte.

Fakt ist: Koller spielte bei den Ereignissen eine zentrale Rolle. Im Zentrum der politischen Kontroverse steht eine Ermittlung der Bundespolizei aus dem Jahr 1994. Damals bereits trat der ehemalige Crypto-AG-Mitarbeiter Hans Bühler vor die Presse und verkündete, dass die Geräte der Firma manipuliert und für die CIA abhörbar seien. Der Vorwurf wog schwer. Die Bundespolizei startete eine Untersuchung und befragte eine ganze Reihe von Mitarbeitern der Crypto AG. Ausserdem liess sie die Chiffriergeräte der Firma prüfen.

Kollers Ermittlungen waren mangelhaft

Diese Ermittlungen der Bundespolizei wurden damals im Justizdepartement von Koller geführt. Und sein Abschlussbericht ist aus heutiger Sicht in zweifacher Hinsicht problematisch. Erstens haben die Ermittler keine Manipulationen an den Geräten feststellen können. Die Bundespolizei hatte den Einfluss der CIA entweder tatsächlich nicht entdeckt, oder die Ermittlungen wurden beeinflusst, wie die CIA im Cryptoleaks-Bericht schreibt. Jedenfalls hat die Bundespolizei ihre Arbeit nicht gründlich gemacht. Die CIA-Operation konnte ungestört weitergehen.

Zweitens war 1994 schon klar, dass die Crypto AG von einer Gesellschaft in Liechtenstein kontrolliert wurde. Und in den Medien hiess es, hinter dieser Gesellschaft stünden ausländische Geheimdienste wie die CIA oder der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND). Sie würden die Firma auf diese Weise insgeheim steuern.

Doch Kollers Bundespolizei ist dem Vorwurf nur halbherzig nachgegangen und hat sich mit der Feststellung begnügt, dass die Crypto AG einer liechtensteinischen Gesellschaft gehört.

Dabei wäre es möglich gewesen, die wahren Besitzverhältnisse auszuleuchten. «Die Schweiz hätte beispielsweise ein Strafverfahren eröffnen können wegen eines gewöhnlichen Delikts wie Betrug», sagt David Zollinger, Anwalt und Experte für internationale Rechtshilfe. Das hätte man gut legitimieren können, da der Vorwurf im Raum stand, dass die Geräte manipuliert waren. «Danach hätte man ein reguläres Rechtshilfeersuchen an Liechtenstein senden können, um die Hintergründe der Gesellschaft zu erfahren», sagt Zollinger. Solche Ersuchen habe man damals regelmässig mit Liechtenstein ausgetauscht. «Solange es nicht um politische Delikte geht, hatte man gute Chancen, eine Antwort zu erhalten.»

Das alles hat man im Departement Koller verpasst. Und am Ende hat sogar der Gesamtbundesrat die Untersuchung durchgewinkt. «Der Bericht wurde dem Bundesrat vorgelegt», bestätigt Alt-Bundesrat Villiger jetzt. Am Schluss hat also die gesamte Landesregierung der Crypto AG einen Persilschein ausgestellt. Diesen Beschluss hat die Firma noch jahrelang dafür verwendet, um alle Zweifel an ihren Chiffriergeräten aus der Welt zu schaffen.

Weder VBS noch EJPD wollten die Angelegenheit kommentieren. Arnold Koller sagt, er könne aus gesundheitlichen Gründen derzeit keine Fragen beantworten. Den Behörden werde er aber «jede gewünschte Auskunft erteilen».
(https://www.derbund.ch/sonntagszeitung/cryptoleaks-altbundesrat-koller-geraet-in-den-fokus/story/28638058)



Alt Bundesrat Villiger wehrt sich gegen Vorwurf der Mitwisserschaft
Alt FDP-Bundesrat Kaspar Villiger bestreitet weiterhin vehement, von der Spionageaffäre rund um die Zuger Crypto AG gewusst zu haben. «Ich bekräftige, dass ich in diese nachrichtendienstliche Operation in keiner wie auch immer gearteten Form eingeweiht war.»
https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/alt-bundesrat-villiger-wehrt-sich-gegen-vorwurf-der-mitwisserschaft-136374667



NZZ am Sonntag 16.02.2020

Crypto-Affäre: Brisanter Aktenfund im Bunker

Krisensitzungen, überraschende Aktenfunde, Politgezänk und Erinnerungslücken: Wie die Affäre um die Crypto AG den Bundesrat aufgeschreckt hat. Eine Rekonstruktion.

Stefan Bühler, Daniel Friedli und Andreas Schmid

Je heikler das Papier, desto besser das Versteck. Vielleicht ist Viola Amherd ja dies durch den Kopf gegangen, als am 16. Dezember der Chef des Nachrichtendienstes Kontakt mir ihr aufnahm. Jean-Philippe Gaudin hatte einen solchen heiklen Fund gemacht. Nicht im Bundesarchiv, auch nicht im Bundeshaus, nein, in einem alten Bunker hatten seine Spione mehrere Dokumente zum Fall der Crypto AG gefunden, der seit dieser Woche das ganze Land beschäftigt. Und diese Dokumente «weisen daraufhin, dass der ehemalige EMD-Vorsteher K. Villiger informiert war». Dieser brisante Satz steht in einem Aussprachepapier, das Amherd tags darauf an die Bundesräte verteilen liess und das der «NZZ am Sonntag» vorliegt.

Wieso diese Papiere in einer alten Kommandoanlage auftauchten, das liess Amherd offen. Klar ist aber, dass der Fall mit Gaudins Information noch zusätzliche Brisanz bekam, wie der «Tages-Anzeiger» schon am Samstag berichtete. Denn nun war klar, dass nicht nur die CIA alt Bundesrat Kaspar Villiger (fdp.) als Mitwisser nennt – auch Schweizer Dokumente deuten darauf hin.

Amherd tritt auf die Bremse

Amherds Aussprachepapier und weitere bundesrätliche Papiere lassen eine exakte Rekonstruktion zu, die zeigt, welch grosse Bedeutung der Bundesrat der Affäre beimisst.

Erstmals befasst sich die Landesregierung am 5. November mit dem Fall, nachdem Gaudin Verteidigungsministerin Amherd zuvor über die Recherchen der «Rundschau» und anderer Medien zu einer der grössten Geheimdienstoperationen der Geschichte informiert hat.

Rasch stellt die Regierung eine hochrangige Arbeitsgruppe zusammen, mit Generalsekretären von vier Departementen, hohen Beamten der Bundeskanzlei, dem Nachrichtendienst und der Bundesanwaltschaft. Eine Woche später wird die Geheimdienstaufsicht des Parlaments informiert.

Die Brisanz des Falles ist den Involvierten rasch klar. In drei Sitzungen versuchen sie zunächst, selber Informationen über den Fall und eine mögliche Beteiligung der offiziellen Schweiz an den Aktivitäten der Crypto AG zu erlangen. Doch das erweist sich als schwierig. Damalige Akteure aus Politik und Verwaltung werden angefragt, können sich aber kaum an die Ereignisse erinnern. Dennoch warnt Amherd bereits im Dezember: «Es ist wahrscheinlich, dass die Enthüllungen der Medien die Rolle der damaligen politischen Behörden bis auf Stufe Bundesrat scharf kritisieren und sogar dem Ansehen der neutralen Schweiz schaden», schreibt sie im Aussprachepapier.

Trotzdem tritt die Verteidigungsministerin zunächst auf die Bremse. Die Arbeitsgruppe hat ihr drei Optionen für das weitere Vorgehen vorgeschlagen: selber recherchieren, das Dossier der Aufsicht über den Nachrichtendienst übertragen oder einen Historiker beziehungsweise eine Forscherkommission einsetzen. Amherd entscheidet sich für Variante 3.

Doch damit dringt sie nicht durch. Denn im Bundesrat kommt man in der Folge zum Schluss, die Sache sei politisch zu delikat, um sie einfach Historikern zu überlassen. Diese Wendung hat auch damit zu tun, dass in den zwei Tagen vor der Bundesratssitzung weitere Dokumente zutage gefördert worden sind. In ihrem Aussprachepapier vom 17. Dezember schreibt Amherd noch, es gebe keinen Hinweis auf ein Mitwissen des ehemaligen Justizministers Arnold Koller.

Am 19. Dezember korrigiert die Verteidigungsministerin diese Aussage: Lediglich in Gaudins Papieren aus dem Bunker gebe es keine solchen Hinweise, erklärt sie nun. Und am 20. Dezember präsentiert Karin Keller-Sutter im Bundesrat Dokumente, die man in ihrem Justizdepartement gefunden hat. Dort war Koller federführend, als in den 1990er Jahren die Bundespolizei den ersten Verdächtigungen gegen die Crypto AG nachging. Aus dem Dossier geht hervor, dass Koller und seine Entourage über die Arbeiten im Bilde waren und auch von Villigers Kontakt zu Nationalrat Georg Stucky wussten, einem Verwaltungsrat der Crypto AG.

Villiger dementiert

Vor diesem Hintergrund entscheidet sich der Bundesrat für eine externe Untersuchung: Nicht für eine historische, sondern für eine juristische Aufarbeitung mit mehr Gewicht. Am 15. Januar beauftragt er den ehemaligen Bundesrichter Niklaus Oberholzer. Er soll bis im Juni einen umfassenden Bericht zur Crypto AG abliefern, unterstützt von externen Juristen und den involvierten Stellen des Bundes, namentlich auch der vom Bundesrat eingesetzten Arbeitsgruppe. Bis dahin hat sich die Regierung Schweigen auferlegt.

Doch nun übernehmen Parteien und Parlamentarier. Kaum hat die «Rundschau» ihre Recherchen publik gemacht, erheben SP und SVP den Vorwurf, in den Fall sei – angefangen bei Kaspar Villiger – vor allem freisinnige Prominenz verwickelt. Mit den Fragen um die Rolle Kollers ist nun aber auch ein ehemaliger CVP-Magistrat ins Visier geraten. Und aus dem Freisinn hört man bereits den Vorwurf, Amherd habe ihren Parteikollegen mit einem Persilschein reinwaschen wollen.

Kaspar Villiger wiederholte am Samstag, dass er «in diese nachrichtendienstliche Operation in keiner wie auch immer gearteten Form eingeweiht war». Sonst hätte er dies dem Bundesrat zur Kenntnis gebracht. Weiter schreibt Villiger, er habe damals Kenntnis von der Analyse der Bundespolizei gehabt. Doch habe es keinen Anlass gegeben, an deren negativem Bericht zu zweifeln. Arnold Koller sagte diese Woche, er habe wohl von der Existenz der Crypto AG gewusst. «Aber ich kann mich sonst an nichts erinnern.»

Was wussten Cotti und Delamuraz?

Im Zuger Dokumentationszentrum ist die «NZZ am Sonntag» jetzt zudem auf Briefe von Anfang 1994 gestossen, in denen der damalige Wirtschaftsminister Jean-Pascal Delamuraz (fdp.) und Aussenminister Flavio Cotti (cvp.) auf die Machenschaften der Crypto hingewiesen wurden. Die Schreiben stammen von einem Geschäftsmann, der in Iran mit dem Vertrieb der Crypto AG betraut war und 1992 mit dem Schweizer Mitarbeiter Hans Bühler festgenommen wurde.

Der Mann schreibt direkt an Delamuraz und Cotti, er habe mit dem Label «Swiss made» versehene Geräte der Firma Crypto verkauft, die der Spionage gedient hätten. Zudem stünden deutsche Interessen hinter der angeblich unabhängigen Firma. Ein Chefbeamter von Delamuraz beantwortete den Brief und erklärte dem Gefangenen, er könne ihm nicht helfen.



Crypto AG

Manipulierte Chiffriergeräte

Während Jahrzehnten horchten der amerikanische und der deutsche Geheimdienst über die Zuger Firma Crypto AG die Welt mittels manipulierter Chiffriergeräte aus. Das ist im Wesentlichen die Erkenntnis aus den Crypto-Leaks. Dank Dokumenten des US-Geheimdienstes CIA konnten der deutsche Sender ZDF, die «Washington Post» und die Sendung «Rundschau» des Schweizer Fernsehens die Operation nachzeichnen. Aus den Papieren geht hervor, dass die Crypto AG ab den 1950er Jahren mit den Amerikanern zusammenarbeitete. 1970 wurden die Geheimdienste CIA und BND alleinige Inhaber der Firma. Nur wenige Staaten, darunter die Schweiz, konnten Chiffriergeräte kaufen, die sich nicht knacken liessen. Die meisten Crypto-Kunden erhielten manipuliertes Material. Die Geheimdienste konnten somit die diplomatischen, vermeintlich verschlüsselten Konversationen von über 100 Ländern mitlesen. 1993 stiegen die Deutschen aus, die CIA blieb womöglich bis 2018 Besitzerin der Crypto AG. Für die neutrale Schweiz sind die Enthüllungen brisant: Wusste der Schweizer Nachrichtendienst, wussten gar Bundesräte vom verdeckten Spiel der Crypto AG? Bundesrat und Parlament haben Untersuchungen eingeleitet, um diese Fragen zu klären. Andrea Kučera



Crypto-Affäre und Kampfjetbeschaffung: Linke schiessen gegen US-Hersteller

Finger weg von den F-35: Rot-grüne Politiker warnen aufgrund der Crypto-Leaks vor dem Kauf des Kampfflugzeugs des US-Herstellers Lockheed Martin. «Wenn die Amerikaner so dreist sind, über eine Schweizer Firma weltweit Spionage zu betreiben, werden sie sicher bei ihren eigenen Flugzeugen Abhör- und Kontrollmechanismen einbauen», sagt Roger Nordmann.

Der SP-Fraktionschef ist mit seinen Bedenken nicht allein. «Man sollte gut abwägen, wem man Vertrauen schenken will», sagt die Grüne Marionna Schlatter, Mitglied der sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats. «Das zeigt die Crypto-Affäre schonungslos.» SP-Sicherheitspolitikerin Priska Seiler Graf ergänzt: «Wer ein US-Flugzeug kauft, kauft den Geheimdienst mit ein. Spätestens jetzt sollte auch allen anderen klar sein, dass die Befürchtungen der SP keine Hirngespinste sind.»

Bürgerliche Sicherheitspolitiker halten die Bedenken der Linken für ein taktisches Manöver. «Rot-Grün nimmt die Crypto-Leaks als Vorwand, um gegen die Kampfjetbeschaffung Stimmung zu machen», sagt FDP-Ständerat Thierry Burkart. Dabei stehe der Typenentscheid erst nach der Volksabstimmung an. «Zudem verwenden auch andere Hersteller US-Kommunikationstechnologie. Ein Eingriff von aussen ist aber nicht möglich.»

Selbst im Mitte-rechts-Lager gibt es aber kritische Stimmen: «Ich bin angesichts der neuen Enthüllungen kein Fan der Idee, amerikanische Flugzeuge zu kaufen», sagt FDP-Nationalrätin Jacqueline de Quattro. Man dürfe indes keine voreiligen Schlüsse ziehen: «Zunächst sollten wir die Crypto-Untersuchungen abwarten.» Ähnlich äussert sich CVP-Politikerin Ida Glanzmann: «Falls sich alle Verdachtsmomente bestätigen sollten, kann man immer noch die Auswirkungen auf die Kampfjetbeschaffung diskutieren.»

SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor findet seinerseits, die Crypto-Leaks seien eine Warnung, dass die Schweiz bei der Flugzeugbeschaffung die Frage der Souveränität stärker gewichten sollte. «Alle Anbieter müssen glaubhafte Garantien bieten, dass die Schweiz die totale Kontrolle hat über die Schlüsseltechnologien des neuen Fliegers.»

Voraussichtlich im Herbst wird das Schweizervolk über den Kredit für den Kauf neuer Kampfjets abstimmen, nicht aber über den Flugzeugtyp. Diesen Entscheid will der Bundesrat nach der Abstimmung fällen. Vier Anbieter sind im Rennen: Es sind dies neben Lockheed Martin ein zweites US-Unternehmen, Boeing, sowie zwei europäische Anbieter. Lockheed Martin liess auf Anfrage ausrichten, man kommentiere die Sache nicht. Andrea Kučera
(https://nzzas.nzz.ch/schweiz/crypto-affaere-weitere-bundesraete-betroffen-ld.1540788)



Die Crypto-Affaire trifft die Partei ins Mark: Die FDP und ihr Swissair-Moment
Die Crypto-Affäre trifft den Freisinn ins Mark. Das hat viel mit der Geschichte der Schweiz zu tun. Die Partei hat in den Abwehrmodus geschaltet.
https://www.blick.ch/news/die-crypto-affaire-trifft-die-partei-ins-mark-die-fdp-und-ihr-swissair-moment-id15751037.html


FDP-Noser über die Cryptoleaks: «Der Feind kam aus dem Osten»
Die Amerikaner haben ein Problem mit der Glaubwürdigkeit, nicht die Schweiz, sagt Ständerat und IT-Unternehmer Ruedi Noser.
https://www.blick.ch/news/fdp-noser-ueber-die-cryptoleaks-der-feind-kam-aus-dem-osten-id15751075.html


Parlament untersucht Crypto-Affäre: Jetzt werden alt Bundesräte vorgeladen
Plötzlich kann es Bundesrat und Parlament nicht schnell genug gehen: Die Aufsicht über den Nachrichtendienst führt eine Inspektion der Crypto-Spionageaffäre durch. Auch die Landesregierung lässt sie untersuchen. Doch wie ernsthaft ist das?
https://www.blick.ch/news/politik/parlament-untersucht-crypto-affaere-jetzt-werden-alt-bundesraete-vorgeladen-id15748186.html



Sonntagszeitung 16.02.2020

Chefinspektor Heer gerät in Bedrängnis

Die Untersuchung der Geheimdienstaffäre leiten und gleichzeitig SVP-Präsident werden: Geht das?

Adrian Schmid

SVP-Nationalrat Alfred Heer hat ein Problem: Als Präsident der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) leitet er die Inspektion der Cryptoleaks-Affäre. Gleichzeitig ist er Kandidat fürs SVP-Präsidium. «Beides geht nicht», sagt Grünen-Chefin Regula Rytz. «Wenn Heer entscheidet, die Untersuchung zu leiten, kann er nicht Parteipräsident werden.» In der GPDel müsse man sich von den Parteininteressen lösen, als Parteichef funktioniere das nicht.

Zweifel hat auch SP-Nationalrat Fabian Molina, da die Untersuchung zeitintensiv sei und Geheimhaltung erfordere. «Ich traue das Heer zu. Es ist aber besser, wenn er nicht noch SVP-Präsident wird.» Spielraum für politische Manöver gebe es auch in der GPDel.

Zudem wird Heer angegriffen, weil er und die GPDel erst jetzt tätig werden, obwohl sie bereits im November vom Fall wussten. Molina stört es, dass Heer und die GPDel erst auf medialen Druck hin die Untersuchung eröffneten. Rytz fragt sich, ob die GPDel als Aufsicht des Geheimdienstes kritisch genug sei für die Aufgabe. Beide sind der Meinung, dass es besser wäre, eine parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) einzusetzen.

Heer will alles der ­Untersuchung unterordnen

Heer selbst sagt, im November sei er noch nicht Präsident der GPDel gewesen. Diese habe sich nach den Wahlen zuerst konstituieren müssen. «Bevor wir eine Inspektion beschliessen konnten, mussten wir zudem wissen, was der Bundesrat unternehmen will.»

Im Weiteren betont Heer, in einem Milizsystem sei es üblich, dass Parteichefs Kommissionspräsidien übernähmen. Im Moment sei er nicht SVP-Präsident und deshalb sei die Kritik hypothetischer Natur. «Als GPDel-Präsident ist mir klar, dass die Inspektion eine absolut ernst zu nehmende Verpflichtung gegenüber der Bundesversammlung und der Öffentlichkeit ist.» Er werde deshalb geschäftliche, private und politische Tätigkeiten zugunsten der Inspektion unterordnen. Ob er immer noch SVP-Chef werden will, lässt Heer trotzdem offen.
(https://www.derbund.ch/sonntagszeitung/chefinspektor-heer-geraet-in-bedraengnis/story/10791618)



Geheimdienst-Experte erklärt, was an den Crypto-Leaks wirklich dran ist: US-Nachrichtendienst gab gezielt Dokumente frei
Der US-Nachrichtendienst NSA gab mit den Crypto-Dokumenten erstaunliche Details über die Kunden der Chiffriermaschinen frei, wie Geheimdienstkenner Wolfgang Krieger sagt. Allerdings fehlten Originaldokumente und finale Beweise der Abhöraktionen.
https://www.blick.ch/news/wirtschaft/geheimdienst-experte-erklaert-was-an-den-crypto-leaks-wirklich-dran-ist-us-nachrichtendienst-gab-gezielt-dokumente-frei-id15748204.html



Sonntagszeitung 16.02.2020

«Alles wurde abgehört»

Die von der Crypto AG betrogenen Regierungen ziehen es heute mehrheitlich vor, zur Abhöraktion zu schweigen.

Kurt Pelda

«Die Hauptkunden von uns – es sei noch einmal in aller Deutlichkeit gesagt, wir haben sie alle betrogen und ihnen dabei auch noch reichlich Geld abgenommen . . .» So steht es wörtlich in den Papieren der Cryptoleaks. Und weiter: «Ganz oben auf unserer Prioritäten-Verkaufsliste waren (. . .) jene Staaten, die in späteren Jahren als Schurkenstaaten (. . .) bezeichnet wurden.» Mit den Hauptkunden der Zuger Crypto AG waren die mehrheitlich muslimischen Länder Ägypten, Libyen, Iran, Irak, Saudiarabien, Algerien und Syrien gemeint.

Obwohl zahlreiche Länder im Nahen Osten und in Nordafrika von der Crypto AG und ihren Hintermännern in den Geheimdiensten CIA und BND über den Tisch gezogen wurden, kommt aus den arabischen Staaten und dem Iran nur dröhnendes Schweigen als ­Reaktion auf das sogenannte Minerva-Programm der USA und Deutschlands.

Vor den Internationalen Gerichtshof?

Niemand kann stolz sein, von einer kleinen Schweizer Firma übertölpelt worden zu sein, darum zieht man es im Nahen Osten vor zu schweigen. Weder die gewöhnlich äusserst redselige amtliche Nachrichtenagentur des Iran noch jene von Syrien äusserten sich zu den von ihren Ländern verwendeten Crypto-Geräten. Eine hörbare Reaktion kam aus der muslimischen Welt einzig aus Pakistan, und zwar von der Senatorin Sehar Kamran, die zur oppositionellen Pakistan Peoples Party gehört. Sie forderte die geschädigten Länder – Pakistan inklusive – auf, den Internationalen Gerichtshof anzurufen. Das UNO-Gericht in Den Haag beschäftigt sich mit zwischenstaatlichen Streitfällen.

Gelassen reagierte dagegen Irland, dessen Crypto-Chiffriermaschinen ebenfalls systematisch ausgelesen wurden. Die Iren benutzten die Schweizer «Qualitätsprodukte» in den frühen Achtzigerjahren für die Kommunikation zwischen Dublin und den Botschaften im Ausland. Weil die Amerikaner schon im Falklandkrieg von 1982 Grossbritannien via das Minerva-Programm mit Informationen versorgt hatten, gehen die Iren davon aus, dass die Briten auch bei ihnen ständig mitlasen. Heikel war das vor allem in den Verhandlungen, die 1985 zum anglo-irischen Abkommen führten. Dieser Vertrag ebnete den Weg zum 13 Jahre später unterzeichneten Abkommen von Belfast, mit dem der Bürgerkrieg in Nordirland beendet wurde. Michael Lillis, ein ehemaliger Diplomat, der 1985 für Irland am Verhandlungstisch sass, sagte der «Irish Times» kürzlich, dass alles von den Briten abgehört worden sei – «jedes einzelne Wort», das Regierungsmitglieder gesagt hätten. Für wirklich geheime Nachrichten aus Nordirland habe man damals Kuriere benutzt. Befreundete Briten hätten Dublin auch gewarnt, sich zu sehr auf Verschlüsselungsgeräte zu verlassen, erinnert sich ein anderer irischer Ex-Diplomat. Manchmal verabschiedeten sich irische Regierungsmitglieder in ihrem Sitzungszimmer am späten Abend mit einem Gute-Nacht-Gruss an das britische Government Communications Headquarters (GCHQ), weil sie davon ausgingen, dass der Raum ohnehin verwanzt war.

Österreich hat es entdeckt

Laut den Cryptoleaks-Dokumenten schreckte die CIA auch nicht davor zurück, andere Nato-Staaten abzuhören, darunter Italien, das ebenfalls Crypto-Geräte verwendet hatte. In Belgien gelangte der Militärgeheimdienst vor kurzem mit einer kryptischen Meldung an die Öffentlichkeit, wonach man über das Minerva-Programm informiert sei und nun den «mo?glichen Umfang der gemeldeten Abho?rpraktiken» untersuche. Unklar blieb, ob Belgien auch Zuger Chiffriermaschinen verwendet hatte.

Im neutralen Österreich standen in den 70er-Jahren Crypto-Produkte im Bundesheer und in der Telekommunikation zwischen dem Aussenministerium und den Botschaften im Einsatz. Die Österreicher verwendeten zum Teil denselben Typ wie Jugoslawien, doch entdeckten beide Staaten die «Hintertür» in den Zuger Geräten. «Wir ko?nnen ausschliessen, dass in den 1980er-Jahren und danach Verschlu?sselungsgera?te der Firma Crypto eingesetzt wurden», zitierte die Wiener Tageszeitung «Die Presse» einen Sprecher des Aussenministeriums. Die liberale Neos-Partei hat deshalb Aufklärung durch die Regierung verlangt.
(https://www.derbund.ch/sonntagszeitung/alles-wurde-abgehoert/story/31665997)



NZZ am Sonntag 16.02.2020

«Es war wie in einem Agentenfilm», erzählt der Kryptologe zur Crypto-Affäre

ETH-Professor Ueli Maurer erklärt, wie der US-Geheimdienst versuchte, ihn anzuwerben, warum man überall abgehört werden kann und wieso es absurd sei, dass die ETH im Crypto-Bericht auftauche.

Daniel Meier und Peter Hossli

NZZ am Sonntag: Herr Maurer, seit wann wissen Sie, dass hinter der Crypto AG aus Zug die amerikanische CIA und der deutsche Bundesnachrichtendienst BND stecken?

Ueli Maurer: Dass die Firma den Geheimdiensten gehört, habe ich nicht gewusst. In den siebziger und achtziger Jahren gab es immer wieder Gerüchte über eine Zusammenarbeit zwischen der Crypto und den Amerikanern. Die Gerüchte waren glaubwürdig, kaum jemand zweifelte damals daran, dass es so war – auch ich nicht. Mir ist aber von Leuten, die bei der Crypto arbeiteten, versichert worden, dass das in den neunziger Jahren nicht mehr der Fall war.

Und was denken Sie heute darüber?

Dass es so lange ging – offenbar bis 2018 – hat mich überrascht. Und das Schicksal der Leute macht mich betroffen. Jene Mitarbeiter der Crypto, die nicht eingeweiht waren, wurden belogen, ihr Leben wurde einfach weggeworfen. Hans Bühler, der 1992 in Iran verhaftet worden war, kam nach seiner Freilassung zu mir und bat mich um Hilfe. Er wollte herausfinden, ob mit den Crypto-Geräten etwas nicht in Ordnung sei. Ich musste ihm leider sagen, dass ich nicht helfen könne.

1995 berichteten US-Medien über Verbindungen der Crypto zum amerikanischen Nachrichtendienst NSA und darüber, dass der Crypto-Vizedirektor und ETH-Ingenieur Peter Frutiger sich in den siebziger Jahren mit NSA-Spezialisten getroffen hatte. Wie hat die ETH reagiert?

An der ETH war das kein Thema. Die ETH war nie involviert, sie ist es auch heute nicht.

Laut dem Minerva-Bericht, der jetzt zu reden gibt, soll ein Vertreter des Schweizer Nachrichtendienstes der CIA gesagt haben, es sei sichergestellt, dass allfällige Untersuchungen der Crypto-Geräte immer bestätigen würden, dass es keine Manipulation gebe – selbst wenn das von der ETH gemacht werde. Dort habe man «vier von fünf Kryptologen im Griff».

Das ist absurd. Wer das aufgeschrieben hat, hat geblufft oder phantasiert. Es gab in jener Zeit an der ETH zwei Kryptologen, James Massey und mich. Massey war mein Doktorvater, ein Amerikaner und meines Erachtens integer. Diese Bemerkung im Bericht zeigt mir, dass man vorsichtig sein muss.

Zweifeln Sie das Dokument an?

Nein, aber ich kann es nicht wirklich beurteilen. Auch wenn der Bericht authentisch ist, kann man einzelne Aussagen hinterfragen. Die Sache mit der ETH zeigt, dass nicht alles korrekt ist. Es gibt in Geheimdiensten Leute, die ihren Chefs imponieren wollen.

Sie wären einer dieser ETH-Experten gewesen.

Genau. Und mich würde interessieren, ob ich aus Sicht der Nachrichtendienste einer der vier gewesen wäre, die man angeblich unter Kontrolle hatte – oder aber der fünfte. Tatsache ist: Ich bin im Fall Crypto nie kontaktiert worden. Es ist auch eine seltsame Vorstellung, dass man die Geräte zur ETH gebracht hätte, um zu bestätigen, dass sie nicht gezinkt seien – denn natürlich hätte man uns dafür ein Gerät ohne Schwachstellen zur Verfügung gestellt. Damit wäre nichts bewiesen.

Wie oft haben Sie mit solchen Themen zu tun?

Fast nie! Wir sind Wissenschafter. Kryptologie ist enorm spannend, sie fasziniert mich seit über 35 Jahren. In dieser Zeit sind in unserem Gebiet mehrere revolutionäre Erfindungen gelungen – Dinge, die man zuvor für absolut unmöglich hielt. Deshalb zieht die Kryptologie einige der besten Forscher an. Wir entwickeln kryptografische Verfahren, zum Beispiel die Grundlagen für sicheres digitales Geld und unter anderem auch Verschlüsselungsverfahren. Nichts daran ist anrüchig. Im Alltag haben wir eigentlich kaum je mit Geheimdiensten zu tun.

Sie bilden aber Leute aus, die später bei Firmen wie Crypto arbeiten.

Ich sehe da keinen Gewissenskonflikt. Genauso gut könnte man einem Institut, das Programmierer ausbildet, vorwerfen, es sei dafür verantwortlich, dass es Leute gibt, die Viren programmieren können. Wir bauen keine Chiffriergeräte. Unsere Leute sind kompetent in der Kryptologie. Richtig ist, dass Verschlüsselung im militärisch-diplomatischen Bereich schon lange eine Rolle spielt. Erst ab den siebziger Jahren kam der kommerziell-zivile Bereich hinzu, zuerst im Bankensektor. Daraus wurde ein riesiges Geschäft, und das Thema wird wichtiger. An der ETH haben wir bereits drei Professuren.

Leute wie Sie sind doch gefragt bei den Geheimdiensten. Ihr Wissen ist wertvoll.

Nein, wir haben keine Geheimnisse. Was wir wissen, publizieren wir. Aber es trifft zu, dass die Geheimdienste in den neunziger Jahren begannen, eigene Leute an Fachkongresse zu schicken. Man wusste das, auch wenn sie inkognito auftraten. In Dokumenten, die vor einigen Jahren von der NSA freigegeben wurden, sieht man, dass ich 1992 an der «Eurocrypt» in Ungarn aufgetreten bin.

Sie haben offenbar Eindruck gemacht. In dem Papier heisst es, Ihr Vortrag sei «umwerfend brillant» gewesen.

Genau! Als ich das las, musste ich lachen.

Wurden Sie von der NSA auch kontaktiert?

Ja, in jener Zeit wurden einige Wissenschafter in unserem Bereich kontaktiert.

Wie muss man sich das vorstellen?

Wie in einem Agentenfilm. Man lernt jemanden kennen, es wirkt wie ein normaler Kontakt im privaten Kontext. In meinem Fall war es ein Mann. Ich dachte keine Sekunde daran, dass eine bestimmte Absicht dahinterstehen könnte. Die Begegnung war interessant, es entwickelte sich ein regelmässiger Kontakt daraus. Irgendwann sagte die Person dann, sie wolle mich einem Bekannten vorstellen, der gerne mit mir reden möchte. Da wurde klar, auf was es hinausläuft.

Wie ist das, wenn man feststellen muss, dass von Anfang an diese Absicht bestand?

Das ist menschlich speziell. Es hat mich beschäftigt, und ich habe nur mit sehr wenigen Menschen darüber gesprochen.

Sind Sie darauf eingestiegen?

Nein. Ich hätte nur verlieren können.

Kennen Sie weitere Fälle?

In den neunziger Jahren sind zwei oder drei von meinen Doktoranden auf ähnliche Weise durch Leute von Geheimdiensten kontaktiert worden. Doktoranden verfügen nur über Kenntnisse, die man auch anderswo beschaffen könnte. Daher vermute ich, es ging darum, ein Netzwerk aufzubauen mit Leuten, die später einmal in einer sensitive Position tätig und deshalb hilfreich sein könnten.

Kommt das heute noch vor?

Das weiss ich nicht. Aber ich werde nun mit den Doktoranden darüber sprechen, dass diese Möglichkeit besteht.

Sie haben für eine Konkurrentin der Crypto AG gearbeitet, die Omnisec, ehemals Gretag.

Ich hatte von 1988 bis 2017 bei Omnisec ein Beratungsmandat. Das erfolgte mit Wissen der ETH. Dabei ging es nicht darum, Chiffrieralgorithmen zu entwickeln. Ich habe wissenschaftliche Studien gemacht und auch neue Verfahren patentiert. Es gibt keinerlei Hinweise, dass die Firma von einem Geheimdienst unterwandert war.

Die Crypto hat in ihre Verschlüsselungsgeräte eine Hintertüre eingebaut, damit die amerikanischen und deutschen Geheimdienste mithören konnten. Damit hat die Firma das Vertrauen ihrer Kunden massiv missbraucht – und erst noch viel Geld dafür kassiert.

Das war wirklich dreist. Wenn ich ein Chiffriergerät benutze, muss ich dem Hersteller vertrauen – anders geht es gar nicht. Deshalb war der Schweizer Standort von Crypto für die Kunden so wichtig. Mich hat aber immer erstaunt, dass Crypto trotz den Gerüchten um den amerikanischen Einfluss weiterhin Geräte in viele Länder verkaufen konnte. Über die Gründe kann man nur spekulieren. Sicher spielt in solchen Beschaffungen Korruption eine Rolle. Sofern jemand bestochen wird, will er diese Geräte kaufen – auch wenn es Hinweise gibt, dass daran etwas faul ist.

Um die Kommunikation dank der Hintertür in den Crypto-Geräten entschlüsseln zu können, mussten die Amerikaner und die Deutschen zuerst die Daten abfangen. Wie funktioniert das?

Die globale Kommunikation über Satelliten oder Glasfasern ist unsicher. Die Amerikaner und andere Geheimdienste wenden enorme Ressourcen auf, um das routinemässig abzuhören. Alles was unverschlüsselt ist, können sie lesen oder hören. Es wird sicher viel mehr abgehört, als wir denken.

Hat es den Trick mit der Hintertür vor dem Fall Crypto schon gegeben?

Da ist mir nichts bekannt. Im Zweiten Weltkrieg wurde Enigma, die Chiffriermaschine der Deutschen, geknackt, aber nicht, weil sie eine Hintertüre hatte, sondern weil die Komplexität in diesen mechanischen Geräten noch so beschränkt war, dass es noch möglich war, den Code zu knacken.

Ist das heute nicht mehr möglich? Gibt es eine sichere Verschlüsselung?

Natürlich gibt es das. Aber ich meine damit nur den Algorithmus. Man kann sich die Verschlüsselung wie einen Safe vorstellen, zu dem nur Sie und ich einen Schlüssel haben. Wenn wir sicher kommunizieren wollen, lege ich eine Nachricht in diesen Safe, und Sie können sie mit ihrem Schlüssel dort abholen. Der Hersteller des Safes hat keinen
Schlüssel. Man kann einen Algorithmus herstellen, den kein Geheimdienst knacken kann. Entscheidend ist – nebst der kryptografischen Komplexität des Algorithmus – die Zahl der Möglichkeiten, die ausprobiert werden müssen, um die Lösung zu finden. Selbst wenn wir die gesamte Energie der Sonne und alle Computer der Welt dafür verwenden würden, würde es nicht reichen, diesen Schlüssel zu finden.

Das klingt nach absoluter Sicherheit.

Ja, aber nur beim Algorithmus. Rundherum bestehen Schwachstellen, die man infiltrieren kann, um die Verschlüsselung auszuspähen. Im Betriebssystem, in der Hardware, der Software oder im Algorithmus selber kann man Hintertüren einbauen.

In welchen Geräten geschieht das heute?

Grundsätzlich überall. Wir stehen am Anfang des Informationszeitalters, niemand hat eine Ahnung, wohin das führt. Die Auswirkungen für die Gesellschaft werden dramatisch. Offensichtlich sind enorme finanzielle und nationale Interessen involviert.

Also kann man überall ausspioniert werden?

Das sage ich seit Jahrzehnten: Geheimdienste machen, was sie können – und dazu gehört, dass sie versuchen, bei Infrastrukturfirmen einzugreifen. Zu glauben, man könne Technologie einkaufen, ohne dass Einfluss genommen werde, wäre naiv.

Sollte die Schweiz ihr Mobilfunknetz nicht mithilfe der chinesischen Firma Huawei bauen?

Man kann davon ausgehen, dass da Einfluss genommen wird. Aber ich will nicht gegen die Chinesen sprechen, andere machen das auch. Spätestens jetzt wissen wir, dass die Herkunft keine Rolle spielt – die Crypto-Geräte kamen ja aus der Schweiz.

Stellt man am besten möglichst viel selber her?

Ja, sofern man das Wissen und das Geld dafür hat. Das ist sehr teuer. Ausserdem kann man nicht alles selber machen, man ist immer auf Komponenten angewiesen.

Auch die Enthüllungen von Edward Snowden haben gezeigt, dass fast überall ein Hintertürchen eingebaut sein könnte.

Natürlich, Snowden hat uns vor Augen geführt, was die NSA alles macht – das ist dramatisch. In Zukunft wird das noch wichtiger sein. Da geht es nicht nur darum, eine Verschlüsselung zu knacken und dann abzuhören, sondern auch darum, etwas ausser Gefecht zu setzen. Man könnte zum Beispiel an Kampfflugzeuge denken, die vom Herstellerland im Ernstfall lahmgelegt werden.

Können wir uns überhaupt schützen?

Das ist hochkomplex. Wir müssten die ganze Infrastruktur einer kompletten Überarbeitung unterziehen, alles müsste sicherer gemacht werden. Wenn wir in 50 Jahren auf die heutige Zeit zurückblicken, werden wir sagen: Das ist ja unglaublich, wie naiv wir damals waren. Ich denke an alle Arten von Infrastruktur, zum Beispiel im Finanzsektor. Wir dürfen uns nicht vorstellen, was geschehen würde, wenn solche Ziele massiv angegriffen würden.

Das heisst, wir sind in höchstem Masse angreifbar – und der Grund, weshalb doch recht wenig passiert, ist nur, dass es nicht mehr Böses auf der Welt gibt?

Ja – noch nicht.



Zur Person

Ueli Maurer
Seit über 35 Jahren beschäftigt sich Ueli Maurer mit Kryptologie. Geboren in Leimbach (AG), studierte er Elektrotechnik an der ETH Zürich. Beim amerikanischen Kryptologen James Massey doktorierte er 1990. Anschliessend verbrachte er einige Zeit an der Princeton-Universität in den USA, bevor er an die ETH zurückkehrte, wo er heute als Professor für Kryptologie tätig ist. Der 59-jährige Maurer forscht unter anderem zum Thema Informationssicherheit. Er ist Mitbegründer der Stiftung Concordium, die sich mit der Blockchain-Technologie befasst. In seiner Freizeit spielt er Cello und sammelt Weine. Maurer hat drei erwachsene Kinder und lebt in Wil (SG).
(https://nzzas.nzz.ch/hintergrund/crypto-affaere-es-war-wie-in-einem-agentenfilm-ld.1540797)



tagesanzeiger.ch 16.02.2020

Cryptoleaks: Der Kronzeuge tritt aus dem Schatten

Laut dem Zürcher Ingenieur Peter Frutiger ist die Schweiz schon seit mehr als vierzig Jahren über die Machenschaften seines früheren Arbeitgebers informiert.

Res Strehle

Lange war er aus Sicherheitsgründen in Deckung geblieben. In der Sendung «Rundschau» des Schweizer Fernsehens von 1994 wurden seine Zitate im Gegenlicht verlesen, im Buch «Verschlüsselt» wird er als ehemaliger Mitarbeiter erwähnt. Aber jetzt hat sich Peter Frutiger entschieden, als Kronzeuge namentlich mit seinem Wissen gegen die Zuger Chiffriergerätefirma aufzutreten.

Am Samstag meldete er sich per E-Mail bei dieser Zeitung: «Ich habe diese Firma aus Protest verlassen, die Wahrheit wollte man damals nicht preisgeben», schreibt Frutiger. Und: «Dass unser Staat darüber nichts wusste, ist völlig falsch!» Kurz zuvor hatte der inzwischen 83-jährige Ingenieur zwei Reporter der «NZZ am Sonntag» bei sich zu Hause zu einem zweistündigen Gespräch empfangen.

Frutiger war Mitte der Neunzigerjahre schon der wichtigste Belastungszeuge im Fall Bühler. Verkaufsingenieur Hans Bühler war während einer Geschäftsreise im Iran verhaftet worden, blieb in einem Teheraner Militärgefängnis neun Monate lang inhaftiert und wurde nach seiner Rückkehr in die Schweiz von der Crypto entlassen. Auf seiner unermüdlichen Suche nach Wahrheit half ihm der frühere Crypto-Entwicklungschef Frutiger.

Er fand einen «roten Faden»

Peter Frutiger war der Erste, der Bühlers Vermutung von kompetenter Seite bestätigte: Die Crypto hat ihre Chiffrierung seit der Gründung den US-Geheimdiensten NSA und CIA zugänglich gemacht und dazu die Geräte auch manipuliert. Als junger ETH-Mathematiker war Frutiger in die Firma eingestiegen und wurde in den Siebzigerjahren von Gründer Boris Hagelin damit beauftragt, für die Firma die erste Generation digitaler Chiffriergeräte zu entwickeln.

Als Frutiger dazu die Algorithmen der mechanischen Geräte genauer studierte, kam er dem Geheimnis auf die Spur: Die mathematische Prozess zur Verschlüsselung hatte zwingend einem bestimmten Schema zu folgen, der Mathematiker empfand es als «roten Faden». Diesen festgelegten Pfad durfte er nicht umgehen, er ermöglichte es den westlichen Geheimdiensten, die geheimen Meldungen über eine Hintertür zu entschlüsseln. Auch die nun zu entwickelnde digitale Verschlüsselung sollte knackbar bleiben, das war die Vorgabe, die er von den Kryptologen aus den USA und Deutschland erhielt.

Frutiger wurde vom schwedischen Firmengründer ins Geheimnis der mysteriösen Eigentümer eingeweiht, reiste rund zehnmal in die USA und fünfzigmal nach Deutschland, traf Vertreter von CIA und des deutschen Bundesnachrichtendiensts.

Der Entwicklungsingenieur schildert nun bei seinem Treffen mit den Reportern der «NZZ am Sonntag» seine damalige Rolle deutlich ausführlicher und präziser, als er dies noch in den Neunzigerjahren getan hatte. Damals fühlten Frutiger und seine Frau sich stark bedroht, es soll mehrere Anschläge gegen ihn gegeben haben. Diese Bedrohung soll bis ins Jahr 2017 angehalten haben, damals drangen in der Nacht Einbrecher in das Haus des Ehepaars ein.

Für Frutigers Frau war das ein traumatisches Erlebnis. Sie habe später einen Nervenzusammenbruch erlitten und sei wenige Wochen darauf Anfang dieses Jahres gestorben. Beim Einbruch schien es Frutiger, als würden die Täter nicht nach Wertsachen suchen, sondern nach Dokumenten. Frutiger deutet dies so, dass die CIA vor dem Verkauf der Crypto dafür sorgen wollte, dass keine belastenden Unterlagen mehr da waren.

Im Auto mit dem Schah

Dass Frutiger anfänglich mit den westlichen Geheimdiensten kooperierte, erklärt er mit seiner einstigen Überzeugung, dass es in der damaligen Weltsicht um den Kampf von Gut gegen Böse ging. Firmengründer Boris Hagelin hatte seine Geräte den USA im Kampf gegen Nazideutschland zur Verfügung gestellt, im Kalten Krieg stand die westliche Aufklärung in der weltweiten Auseinandersetzung mit dem totalitären Kommunismus der Sowjetblocks.

Frutiger gibt an, er habe erst Skrupel bekommen, als er Mitte der Siebzigerjahre den Schah von Persien verschiedene Male nach St. Moritz gefahren habe. Dabei soll sich eine freundschaftliche Beziehung entwickelt haben. Frutiger merkte beschämt, dass der Schah der Schweizer Technologie gutgläubig vertraute.

Der Entwicklungsingenieur verliess 1977 die Zuger Firma aus Protest. Sein Abgang verstärkte in der Firma über Jahrzehnte die Gerüchte, dass die Algorithmen von US-Geheimdiensten und dem deutschen Nachrichtendienst kontrolliert würden und die Firma nach Hagelins Verkauf 1970 in deren Besitz übergegangen war. Die Firma diffamierte Peter Frutiger in der Folge ähnlich wie danach Hans Bühler in den Neunzigerjahren: Frutiger hätte den Übergang zur digitalen Generation der Geräte nicht geschafft, hätte in der Firma schliesslich keine Aufgabe mehr gehabt und sei deshalb entlassen worden.

Laut der «Washington Post» rekrutierte die CIA nach Frutigers Abgang den berühmten schwedischen Kryptologen Kjell-Ove Widman für Crypto. Auch Widman war ein Bewunderer der USA und ihrer Vision einer freien Welt. Er soll nach einer Sitzung von zwei CIA-Agenten zur Seite genommen und dabei über den Hintergrund der Firma aufgeklärt worden sein. Widman wollte zu dieser Darstellung der «Washington Post» nicht Stellung nehmen, von einem Protest wie jenem Frutigers ist von ihm nichts bekannt.

Weitere Namen

Und was wusste die Schweiz über die Crypto AG? Frutiger sagte schon in den Neunzigerjahren, dass er nach seinem Ausscheiden den mit ihm befreundeten Chef der Flieger- und Flabtruppen Kurt Bolliger und auch die Bundesanwaltschaft ausführlich über den nachrichtendienstlichen Hintergrund der Firma informiert habe.

Im Gespräch mit der «NZZ am Sonntag» nennt er nun weitere Namen: Kurt Bolliger und er hätten die Fakten danach auch gegenüber Rolf Lécher, dem Chef der Flieger- und Flabnachrichtenabwehr, und Bundesanwalt Hans Walder offengelegt. Lécher soll ihm aber beschieden haben, man könne diese Informationen nicht «verarbeiten». Walder soll die Untätigkeit der Bundesanwaltschaft damit begründet haben, dass man von der Crypto keine Geräte erhalten habe.

Wer immer die Cryptoleaks im Jahr 2020 untersuchen wird: Die Geräte der Firma aus den verschiedenen Jahrzehnten sollten jetzt zu erhalten sein. Womöglich kann die Schweiz den Fall also heute «verarbeiten».
(https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/cryptoleaks-der-kronzeuge-tritt-aus-dem-schatten/story/20571924)



NZZ am Sonntag 16.02.2020

Der Informant, der aus der Deckung kommt

Als Entwicklungsleiter der Crypto AG zinkte Peter Frutiger Chiffriergeräte. Die CIA wollte ihn rekrutieren. Nach Gewissensbissen trat er aus der Firma aus und klärte die Schweizer Behörden auf. Jetzt redet er.

Peter Hossli und Daniel Meier

Sein Büro sei abhörsicher, betont Peter Frutiger. «Um ein Handy zu überwachen, muss einer schon vor dem Fenster zuhören.» Frutiger – grauer Haarkranz, graublaue Augen – sitzt in einem kahlen Raum, mitten im malerischen Dorfkern von Wangen bei Dübendorf, unweit des Militärflugplatzes. Ein Tisch, drei Stühle, auf dem Boden Spannteppich.

Das Aufnahmegerät läuft. Frutiger erzählt, was er bei der Crypto AG erlebt hat. Seine Aussagen sind bemerkenswert. Einiges lässt sich überprüfen, anderes nicht.

Er war bis 1977 Entwicklungschef und Vizedirektor. Die Zuger Firma verkaufte jahrelang gezinkte Chiffriergeräte. Die Apparate waren mit Hintertüren versehen, damit der amerikanische Geheimdienst CIA und sein deutsches Pendant BND mithören konnten.

Frutiger wusste Bescheid. Seit rund 25 Jahren spricht er aus der Deckung heraus darüber. Jetzt erzählt er erstmals mit Namen und Bild. «Ich rede wegen meiner Gemahlin», erklärt er. «Sie ist vor wenigen Wochen verstorben, zerbrochen an der Angst vor der CIA.» Jetzt, nach dem Tod der Frau – «wir waren 55 Jahre verheiratet» –, kann er offen sprechen.

Lange Zeit war Frutiger für Reporter eine anonymisierte Quelle. «Ich weiss, dass deutsche und amerikanische Geheimdienste Crypto-Geräte so manipulierten, dass sie für diese Dienste abhörbar wurden», zitierte ihn 1994 das Schweizer Fernsehen als «Mister X».

Im März wird Frutiger 84 Jahre alt. Er hört nicht mehr gut, was das zweistündige Gespräch erschwert. Fragen liest er vom Bildschirm ab, er beantwortet sie aber klar.

Frutigers Name erscheint mindestens auf einem CIA-Dokument, das Historikern half, Bücher über die Geschichte der Spionage zu verfassen. Darauf festgehalten ist ein Treffen im August 1975 in den USA. Frutiger nahm teil, zwei weitere Mitarbeiter der Crypto AG, zwei Mitarbeiter des US-Geheimdienstes NSA und drei Angestellte von Motorola. Der US-Konzern und die US-Spione sollten der Crypto helfen, neuartige Geräte zu bauen. Die «Baltimore Sun» belegte 1995 mit dem besagten Dokument den «vielleicht verwegensten Spionagecoup». Die US-Journalisten erzählten damals die Geschichte, die SRF, «Washington Post» und ZDF jetzt mit vielen Aussagen bestätigen.

Die Einweihung

Schon als kleiner Bub ver- und entschlüsselte Frutiger gerne Texte. Nach der Matura studierte er an der ETH Zürich zuerst Elektronik, später Mathematik und Physik. Als er sich auf eine freie Stelle bei der Crypto AG bewarb, war er bei der ETH als Forscher angestellt.

Nach seinem Stellenantritt stand in Zug ein Wandel an, den Frutiger durchzuziehen hatte: Crypto stellte um, von mechanischen auf elektronische Geräte, von Zahnrädern zu Schaltungen. Wobei die alten Geräte mit den neuen kommunizieren mussten. Was nicht eben trivial war. Um die komplexe Aufgabe zu meistern, musste Frutiger die bisherigen Geräte bis ins hinterste Detail verstehen. Sonst hätte er die mechanischen Verkettungen nicht elektronisch umsetzen können.

Der Gründer der Crypto AG, der Schwede Boris Hagelin, weihte den jungen Schweizer ein. Er erzählte ihm, man verkaufe gesicherte und unsichere Chiffriergeräte, je nach Kunde. Bei Letzteren könnten die CIA und der BND verschlüsselte Texte entschlüsseln. Das Programm heisse Minerva. Frutiger war an Herrschaftswissen geraten. «In der Crypto gab es neben Hagelin und mir niemanden, der die Details so gut kannte», sagt er.

Der Schweizer beschreibt den Schweden als «nett und ehrlich». Die Haltung Hagelins beeindruckte Frutiger. Er habe die Idee für Minerva aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, als Codeknacker die verschlüsselten Botschaften der Nazis dechiffrieren konnten. Das half den Alliierten, die Nachrichten deutscher U-Boote abzuhören, was den Krieg entschied.

Der Mythos vom Kampf gegen das Böse band Frutiger an die CAG, wie die Crypto AG im Jargon hiess. Er glaubte, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. «Anfänglich entwickelte ich saubere Geräte, bis der BND verlangte, die Sicherheit einzuschränken.»

Er reiste um die Welt, besuchte Kunden in 30 Ländern, in Afrika, Südamerika, im Nahen Osten. Er traf sich mit Geheimdienstlern, die hinter der CAG standen. Gegen 50-mal sei er im Hauptquartier des BND im bayrischen Pullach gewesen, «vielleicht 10-mal» nach Amerika gereist, meist allein. «Hagelin wollte verhindern, dass ich Kollegen mitnahm», so Frutiger. «Damit niemand Verdacht schöpfte.»

Er besuchte Washington und reiste in die Wüste nach Arizona. «Die CIA hat mir dort den hintersten und letzten Ort gezeigt, einmal führten sie mich 10 Stockwerke unter Tag.» US-Spione bildeten ihn aus, brachten ihm bei, wie er mit Kunden zu reden habe. Geheimdienstler hätten zudem seine Frau instruiert, wie sie Gäste gesellschaftlich ausführen solle.

Mehrmals traf er sich mit Nora Mackabee, einer Mathematikerin des NSA. «Eine blitzgescheite Frau», sagt Frutiger. Einen anderen NSA-Mitarbeiter, Bob Pfeifer, besuchte er auf dessen Ranch bei Scottsdale in Arizona. Mackabee wie Pfeifer nahmen im August 1975 am dokumentierten Treffen teil.

Das Angebot der CIA

«Die Leute bei der CIA haben mir alles gezeigt, weil sie mich behalten wollten», sagt Frutiger. Der Schweizer scheint den Amerikanern zu imponieren. Ein Ingenieur, sprachgewandt, der rechnen kann, Physik kennt, ausgebildet an einer der besten Hochschulen der Welt. «Die CIA wollte mich nach Amerika holen», sagt er.

Zu Beginn der siebziger Jahre habe der US-Geheimdienst ihm eine Stelle angeboten: 100 000 Dollar Lohn, dazu ein Einfamilienhaus mit Swimmingpool in einem geschlossenen Wohnkomplex nördlich von Boston. «Das war viel Geld», sagt Frutiger. «Ein Dollar hatte damals vier Franken wert.» Frutiger lehnte ab. Er hatte eben ein Haus in Wangen gebaut. «Es kam für mich nicht infrage, die Familie mit drei kleinen Knöpfen nach Amerika zu verpflanzen.» Freunde rieten ihm davon ab, in die USA zu ziehen.

Stattdessen brachte er die Crypto zur Blüte. Als er anfing, hatte die Firma erst wenig Angestellte. Als er 1977 austrat waren es 200. «Der Umsatz vervielfachte sich», sagt Frutiger. Es schien ein Geschäft ohne finanzielle Risiken zu sein. Schrieb die Firma Verluste, deckte sie die CIA. Was vorkam, sagt Frutiger. «Unsere Entwicklungen waren kostspielig. Fragten wir, wer das zahlen würde, hiess es: Das Geld ist da.» Wusste er, woher es kam? «Die CIA zahlte.» Um sicherzugehen, dass sich gewisse Länder die Geräte leisten konnten, hätten die USA sogar Militärkredite gewährt.

Er beschreibt ein kollegiales Arbeitsverhältnis bei der Crypto. «Wir haben uns alle geduzt, von der Sekretärin bis hin zum Direktor.» Es habe ein «grosses gegenseitiges Vertrauen geherrscht». Frutiger genoss in der Firma einen guten Ruf. «Sie schauten mich ein bisschen an wie den ‹Herrgott›, weil niemand ähnliche mathematische Kenntnisse hatte, ich sagte immer: ‹Ich bin ein ganz normaler Mensch›.»

Einen Kunden mochte er besonders, den persischen Schah Reza Pahlavi. Die Crypto verkaufte Verschlüsselungstechnologie nach Iran. Im Engadin rüstete Frutiger die Villa des Persers damit aus. Da Pahlavi um seine Sicherheit fürchtete, habe er Frutiger gebeten, ihn nach St. Moritz zu chauffieren. Statt im iranischen Tross mitzufahren, sei der Schah in Frutigers Mercedes gestiegen, getarnt mit Perücke. «Ich fuhr ihn mehrmals ins Engadin.»

Freundschaft mit dem Schah

Es sei diese Freundschaft gewesen, die bei ihm Zweifel geschürt habe. Bei einem Gespräch in der Villa in St. Moritz sagte der Schah zu Frutiger, man müsse mittlerweile aufpassen bei Chiffriergeräten, es seien gezinkte im Umlauf. Deshalb kaufe er bewusst bei der Crypto AG ein, Schweizern können man vertrauen.

Das Gespräch verstärkte Frutigers Gewissensbisse. Weil der Schah wohl die fingierten Geräte erhalten habe. «Da wurde ich skeptisch und fragte mich, ob das moralisch tragbar sei.» Sein Schluss: «Das ist ein Problem.»

Er konnte es nicht mehr verantworten, «Krämpfe in Geräte einzubauen», wie er sagt. Als er Bedenken anbrachte, stiess er beim neuen Chef, bei Heinz Wagner, auf kein Gehör. Es kam zum Bruch. Per Brief verabschiedete er sich am 28. April 1977: «Ich bin zutiefst enttäuscht von dieser Direktion und deren mehrheitlich falschen Darstellungen von aktuellen Problemen und natürlich über die verdrehte Darstellung meines Falles. Sie begreifen sicherlich, dass ich mit dieser Direktion nicht wieder zusammenarbeiten werden kann.»

Es gibt eine Darstellung, wonach er entlassen wurde. Diese Woche erzählt Frutiger, die Amerikaner hätten ihn behalten wollen und ihm sogar einen Bleibebonus von 1,5 Jahresgehältern angeboten. Überprüfen lässt sich das nicht. Sicher ist: Frutiger ging. Nach dem Ausstieg hätten ihm CIA-Agenten mit dem Tod gedroht, sollte er reden, fügt er an. Und: «Man hat sechs Anschläge auf mich verübt.» Gleichwohl schwieg er nicht. Der damalige Leiter der Flieger- und Fliegerabwehrtruppen Kurt Bolliger fragte ihn, ob die Gerüchte um die Crypto AG stimmten. «Darauf habe ich Bolliger alles erzählt», so Frutiger. «Wir hatten vor, es sofort EMD-Chef Rudolf Gnägi zu melden, aber es kam nie dazu.» Ob Bolliger, 2008 verstorben, das nachholte, wisse er nicht.

Bolliger begleitete Frutiger zu einem Gespräch mit dem Chef des Nachrichtendienstes der Flieger- und Fliegerabwehr, Rolf Lécher. Wieder will Frutiger alles offengelegt haben. «Lécher sagte: ‹Wir können das nicht verarbeiten.›» Gleichwohl ging Frutiger davon aus, man würde bei der Crypto jetzt einschreiten. «Ich habe nie etwas gehört, null, es ist nie etwas passiert.» Trotz drei eingeschriebenen Briefen nach Bern, in denen er Antworten verlangt habe. «Es kam nie etwas zurück.»

Schliesslich nahm er mit dem ehemaligen Bundesanwalt Hans Walder Kontakt auf. «Hier in Wangen habe ich ihm die gesamte Story erzählt», sagt Frutiger. «Er versprach mir, sich der Sache anzunehmen, meinte aber, das brauche Zeit, es sei halt nicht einfach, und er müsse schauen, mit wem er das behandeln könne, zumal das eine sehr heikle Angelegenheit sei, es mache nur Sinn, wenn man das seriös mache.»

Später habe Walder ausrichten lassen, man habe von der Crypto keine Geräte erhalten, deshalb könne man es nicht untersuchen. «Die hätten das ohnehin nicht verstanden», sagt Frutiger. Hagelin habe stets gesagt, das komme nicht aus, weil es niemand verstehe. «Die Herren der CIA beruhigten mich mit dem Argument, Komplexität sei die Tarnung. Anwälte hätten keine Ahnung von Mathematik.»

Wussten Schweizer Politiker etwas über Crypto? Frutiger lacht. «Schweizer Politiker verstehen Chiffrierungen nicht.»

Frutiger redet über den tödlichen Autounfall 1970 von Bo Hagelin, dem Sohn des Firmengründers. Er habe es als problematisch eingestuft, manipulierte Geräte zu verkaufen. «Er sagte dem Vater, er dürfe das nicht tun», erzählt Frutiger. «Die beiden sind mehrmals aneinandergeraten.» Später mochte der Vater nicht glauben, dass sein Sohn – «ein guter Autofahrer» – verunfallt sei. Vergebens versuchte er, die Umstände herauszufinden.

Zuletzt schildert Frutiger einen aktenkundigen Überfall im Mai 2017, mitten in der Nacht in Wangen. Bewaffnete Personen seien in sein Haus eingedrungen, hätten seiner Frau den Schmuck vom Körper gezerrt, nach Dokumenten gesucht. Er konnte die Polizei rufen, die Angreifer flohen vor deren Ankunft.

Frutiger vermutet, er sei überfallen worden, weil die Crypto AG verkauft werden sollte. Dahinter stünden Geheimdienste. «Man wollte versuchen, Dokumente zu zerstören.» Die Kantonspolizei glaubt, es sei ein Raubüberfall gewesen. «Gestohlen haben sie nichts Wichtiges», sagt Frutiger. «Nur die Offizierspistole. Die Munition fanden sie nicht.»

Der Überfall setzte seiner Frau zu. Fortan dachte sie bei jedem Anruf, die CIA stelle ihr nach. Sie erlitt einen Nervenzusammenbruch und verstarb wenige Wochen danach. «Mein Leben ist nicht mehr mein Leben», sagt Frutiger. Der sonst kontrollierte Mann beginnt zu weinen. «Meine Gemahlin hat immer gesagt, wenn es herauskommt, gibt das Probleme.»



Peter Frutiger

Der 83-jährige Elektroingenieur, Physiker und Mathematiker Peter Frutiger war viele Jahre bei der Crypto AG tätig. Weil er keine gezinkten Geräte mehr verkaufen wollte, verliess er die Zuger Firma 1977.



Wer schreibt ein solches Papier?

Alle reden über den Minerva-Bericht, doch gesehen haben ihn nur ganz wenige Leute. Der deutsche Journalist Peter F. Müller hat das Papier erhalten – laut eigenen Angaben aus Geheimdienstkreisen. Selbstverständlich nennt er seine Quellen nicht. Müller gab den Bericht an das ZDF, die «Washington Post» und die SRF-Sendung «Rundschau» weiter. Diese Redaktionen konnten die Unterlagen zumindest teilweise einsehen. Andere Medien erhalten keinen Zugang. Auf Anfrage erklärt Müller, dass man «zu diesem Zeitpunkt keine weiteren Dokumente zugänglich machen» werde. Das hätten die drei ursprünglichen Empfänger so ausgemacht. Sie wollten weitere Geschichten daraus erzählen. Selbst ein beschränkter Einblick, etwa auf die Seite mit den Passagen zur Rolle von alt Bundesrat Kaspar Villiger, wird verwehrt.

Die wenigen Passagen, die in den Medienberichten gezeigt wurden, werfen Fragen auf. Die Sprache entspricht überhaupt nicht dem, was man in einem Geheimdienstpapier erwarten würde. Der Text klingt salopp, schon fast derb, wie der Satz «Evidently, Villiger had kept his mouth shut» («Offenkundig hatte Villiger den Mund gehalten») zeigt. So schreibt kaum jemand, der einen Bericht für den internen Gebrauch verfasst. Eher scheint sich der Autor an ein Publikum zu richten, er will die Leser in den Bann ziehen.

Der Bericht ist in Englisch verfasst, doch er klingt stellenweise etwas holprig, sogar so, als hätte kein Amerikaner, sondern eine deutschsprachige Person ihn geschrieben. Der Titel des gezeigten Papiers – «Minerva A History» – ist kein korrektes Englisch. Es müsste «A History of Minerva» heissen. In einer der wenigen veröffentlichten Stellen sind die Verben ensure und insure verwechselt.

Eine Person, die den Bericht gesehen haben will, spricht von einer «Sprache, die in Groschenromanen zu lesen ist». Zudem seien auffällig viele Ausrufezeichen verwendet worden. Beides sei ungewöhnlich in einem Geheimdienstpapier.

Wer hat den Minerva-Bericht verfasst? Und wenn er den Medien zugespielt wurde: Welches Ziel verfolgt der Autor? Wer sich umhört, erfährt ganz unterschiedliche Thesen. Ein Kenner der Geheimdienste sagt, es sei ein ehemaliger Mitarbeiter des deutschen Bundesnachrichtendienstes gewesen. Dieser habe den Text auf Deutsch verfasst, danach sei er ins Englische übersetzt worden. Stimmt das, lag das Papier nicht in CIA-Archiven, wie es kolportiert wird.

Der Publizist Erich Schmidt-Eenboom, der das Papier gelesen hat und in den TV-Berichten auftrat, widerspricht: «Zunächst schrieb ein CIA-Historiker auf der Basis von Akten und Interviews mit Geheimdienstmitarbeitern die Studie ‹Minerva A History›. Es war definitiv kein deutscher Autor.»

Auf Anfrage heisst es bei der US-Botschaft in Bern, man nehme keine Stellung zu Themen, die den Geheimdienst betreffen. Im Raum bleiben offene Fragen, die wohl erst beantwortet werden, wenn der Minerva-Bericht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.



Wie die Firma Kunden und Konkurrenz austrickste

Der deutsche Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom hatte Einsicht in die Dokumente des amerikanischen Auslandgeheimdienstes CIA. Seit Monaten befasst er sich mit der Affäre um die Crypto AG. Wie die Unterlagen zeigen, belieferte die Firma mit Sitz in Steinhausen im Kanton Zug rund 130 Staaten mit Geräten für die verschlüsselte Kommunikation. Ab 1970 war die Firma Crypto vom deutschen Bundesnachrichtendienst (BND) und von der CIA aufgekauft worden.

Die verkauften Geräte wurden so manipuliert, dass sie Lücken in den chiffrierten Codes aufwiesen und die Deutschen und die Amerikaner Zugriff auf die übermittelten Informationen hatten. Oft seien den Interessenten andere Systeme vorgeführt worden, als das Unternehmen ihnen später geliefert habe. «Die Verkäufer tauschten die Geräte aus», sagt Schmidt-Eenboom. Crypto habe mit Entwicklern, umherreisenden Aussendienstmitarbeitern sowie stationären Verkäufern gearbeitet.

In der Hochblüte, in den achtziger Jahren, setzte die Firma laut dem Experten enorme Beträge um: «Allein Saudiarabien erteilte der Crypto damals einen Auftrag im Wert von 600 Millionen Franken.» Schmidt-Eenboom hält fest, die Gewinne seien in der Schweiz ordnungsgemäss versteuert und dann über eine Stiftung im Fürstentum Liechtenstein nach Deutschland überwiesen worden. «Der BND und die CIA teilten sich den Ertrag auf.» Die Amerikaner hätten sich jedoch nicht um das Geschäftliche und Administrative gekümmert und die Buchhaltung ganz den Deutschen überlassen.

Um die Konkurrenz auszuschalten, schmiedete die Crypto Übernahmepläne. In den Dokumenten findet sich eine Liste von Firmen, die BND und CIA zu infiltrieren beabsichtigten. Sie hatten auch die Firma Gretag im Visier, eine Hauptlieferantin von Verschlüsselungsgeräten der Schweizer Behörden. Verdeckt, über das Elektronikunternehmen Motorola, unterbreiteten sie ein Übernahmeangebot. Weil der Versuch scheiterte, inszenierte die Crypto eine Schmutzkampagne gegen die Gretag. Schmidt-Eenboom sagt, in den Dokumenten werde das Vorhaben thematisiert, die Geräte der Konkurrenz schlechtzureden und dem Firmenruf zu schaden.

Die Gretag hatte einst auch die Schweizer Botschaften im Ausland mit Informationstechnologie versorgt. So wurden dem Aussendepartement sogenannte James-Bond-Koffer verkauft, mit denen Diplomaten verschlüsselte Telexmeldungen nach Bern senden konnten. Wie die «Wochenzeitung» (WOZ) im Dezember 2013 berichtete, hatte der Bund über Jahre die technologischen Entwicklungen der Gretag auf dem Gebiet der Verschlüsselungstechnik finanziert. Aus einer Sparte der Firma entstand 1987 dann die Omnisec, die – wie die Crypto – mit dem Siegel der Schweizer Neutralität Verschlüsselungsgeräte an Regierungen und Armeen im Ausland lieferte.

Als Hochburg für die Herstellung von Informationstechnologie präsentiert sich die Schweiz auch in jüngerer Zeit. So wurde Anfang 2016 beispielsweise publik, dass die Firma Wavecom in Bülach im Zürcher Unterland Decodierungsgeräte nach Russland liefern wollte. Das Ausfuhrgesuch führte zu einem Disput im Bundesrat, die beiden FDP-Vertreter gerieten aneinander: Aussenminister Didier Burkhalter sprach sich gegen den Export aus, Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann wollte ihn bewilligen. Schliesslich zog Schneider-Ammann den Ausfuhr-Antrag zurück.

Die Firma Wavecom stellt Soft- und Hardware für Geheimdienste her. Damit können Telefongespräche abgehört und Mails abgezapft werden. Dem Vernehmen nach verwendet auch der Schweizer Geheimdienst – der Nachrichtendienst des Bundes – in seinem Zentrum für elektronische Operationen in Zimmerwald im Kanton Bern Decodierungsgeräte der Firma Wavecom.
Andreas Schmid
(https://nzzas.nzz.ch/hintergrund/der-informant-der-aus-der-deckung-kommt-ld.1540802)



Überwachungskritiker, Sozialdemokrat, Ex-Bundesrichter: Das ist der Mann, der die Spionage-Affäre aufklären soll
Der Bundesrat hat den ehemaligen Bundesrichter Niklaus Oberholzer mit der Untersuchung Affäre um manipulierte Chiffriergeräte aus der Schweiz beauftragt. Das ist kein Zufall.
https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/ueberwachungskritiker-sozialdemokrat-ex-bundesrichter-das-ist-der-mann-der-die-spionage-affaere-aufklaeren-soll-136371919
-> https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/alt-bundesrichter-oberholzer-will-moeglicher-puk-oder-gpdel-nicht-in-die-quere-kommen-136376929



Sonntagszeitung 16.02.2020

«Ich will einer möglichen PUK nicht in die Quere kommen»

Niklaus Oberholzer untersucht die Cryptoleaks. Der Ex-Bundesrichter über seine neue Aufgabe und politischen Druck.

Catherine Boss

Niklaus Oberholzer, 66, kennt die Schweizer Justiz wie kaum ein anderer. Er war Ermittler, Anwalt, Kantonsrichter und bis vor kurzem Bundesrichter. Wer nun denkt, dass er sich nach dem Rücktritt aus dem Bundesgericht aufs Altenteil setzt, der irrt. Soeben hat ihn der Bundesrat mit der Untersuchung des Spionage-Skandals um die Crypto AG beauftragt. Das Interview war schon vor diesen Ereignissen vereinbart.

Sie sind Mitte Januar vom Bundesrat beauftragt worden, die Affäre um die Crypto AG zu untersuchen. Sind Sie schon an der Arbeit?

Ich bin daran, Akten zu studieren. Es ist eine höchst spannende Aufgabe. Aber ich kann mich über den Inhalt nicht äussern.

Haben Sie auch Zugang zu geheimen Akten?

Ja, das ist kein Problem.

Es sollen Akten verschwunden sein. Sind Sie auf der Suche danach?

Darüber darf ich Ihnen keine Angaben machen.

Arbeiten Sie allein?

Ich kann auf Leute zurückgreifen, wenn es nötig ist. Als Erstes geht es nun mal darum, sorgfältig Fakten zusammenzutragen.

Und danach?

Ich verstehe den Auftrag so, dass die Bewertung dieser Fakten dann nicht mehr meine Aufgabe sein wird. Das muss der Bundesrat oder das Parlament tun.

Die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) hat beschlossen, die Crypto-Affäre selber zu untersuchen. Auch eine parlamentarische Untersuchung, eine PUK, ist im Gespräch. Wie geht das mit Ihrem Auftrag zusammen?

Wir werden klären müssen, wer was untersucht. Ich will einer möglichen PUK oder der GPDel auf keinen Fall in die Quere kommen.

Es hat bereits früher Untersuchungen in dieser Sache gegeben, die im Sande verliefen. Nun geht es um die zentrale Frage, ob Schweizer Behörden und Bundesräte informiert waren. Die Erwartungen an Sie sind hoch, mehr zu liefern.

Das ist mir bewusst. Ich denke, die Aktenlage ist heute aber wesentlich besser. Aber mehr kann ich zum meinem Auftrag nun wirklich nicht sagen.
(…)
(https://www.derbund.ch/sonntagszeitung/ich-will-einer-moeglichen-puk-nicht-in-die-quere-kommen/story/21170798)