Medienspiegel 13.02.2020

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++BERN
Motion Fraktion GB/JA! (Seraina Patzen, JA!): Qualität der Asylunterkünfte in der Stadt Bern prüfen und verbessern
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=ed96df8c7da740b1b13bf6c139e4ead1


Postulat Tabea Rai (AL): Unterbringung von LGBT-Geflüchteten (Lesbian, Gay, Bi, Transgender) in separaten Asylunterkünften
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=9dc731acbc2442f19b5c6a4599c2b292


Motion Zora Schneider (PdA): Langjährige Sans Papiers in der Stadt Bern legalisieren
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=8b0e4fb485b24d4b9cd41bca94160cef



bernerzeitung.ch 13.02.2020

Zähneknirschendes Ja zum Asylkredit

Die Stadt Bern kann Mitte Jahr unter geregelten Bedingungen damit beginnen, im Asylbereich kantonale Aufgaben wahrzunehmen. Viel Kritik richtete sich in der Debatte gegen den Kanton.

Christoph Hämmann

Zunächst für acht Jahre übernimmt die Stadt Bern im Asyl­bereich kantonale Aufgaben. Der Stadtrat genehmigte dies am Donnerstagabend am Ende deutlich mit 54 Ja- gegen 20 Nein-Stimmen (1 Enthaltung). Zuvor war das Geschäft aber kritisiert worden – von allen Seiten, mit unterschiedlichen Argumenten.

Es ging im Kern um eine Defizitgarantie, die der Gemeinderat beantragte. Weil der Kanton im Bereich Integration nämlich 60 Prozent der ent­standenen Kosten nur bei entsprechenden Erfolgen punkto Sprach- und Erwerbsintegration vergütet, riskiert die Stadt ein jährliches Defizit von rund 400’000 Franken.

Das wurde nur schon deshalb kritisiert, weil die Stadt also Leistungen vorfinanziert, für die eigentlich der Kanton aufkommen muss. Ebenfalls bemängelt wurde, dass die Stadt selbst beim «realistischen» Szenario von einem Defizit ausgeht. Damit habe sie in der Ausschreibung andere Bewerber «unredlich» ausgebootet, hiess es etwa von der FDP/JF-Fraktion.

«Mission impossible»

Die Idee, sich allfällige Verluste schon im Voraus finanzieren zu lassen, sei eine «Carte blanche», so FDP/JF-Sprecherin Barbara Freiburghaus. «Transparent wäre, nach Minusjahren einen Nachkredit zu beantragen.» Ihre Fraktion beantragte deshalb, das Geschäft zurückzuweisen.

Zurückweisen wollte die GFL/EVP nur, wenn ihre beiden Anträge nicht durchkommen würden: keine Benachteiligung bei der Förderung von Geflüchteten mit vergleichsweise wenig Ressourcen, klare Kriterien für Freiwillige etwa bei Sprachkursen. Doch selbst dann erfolgte ihre Zustimmung zähneknirschend, machte GFL/EVP-Sprecherin Francesca Chukwunyere deutlich. Die Erfolgsvorgaben des Kantons geisselte sie als «Mission impossibile».

Retouchen anbringen an einer Vorlage, die man auch danach noch skeptisch betrachten würde: Dies war auch die Position der GLP/JGLP.

«Schlechte Ausgangslage»

Harsche Kritik äusserte auch die Ratslinke – am Kanton. Weil auch sie die Zielvorgaben des Kantons teilweise als unerfüllbar erachtet, bestraft das neue System laut SP/Juso-Sprecherin Nora Krummen diejenigen, die sich um die Integration von Geflüchteten bemühen. «Die vorliegende Lösung ist das Optimum, das die Stadt in einer sehr schlechten Ausgangslage herausholen kann», so Krummen.

Sozialdirektorin Franziska Teuscher (GB) betonte, dass der Gemeinderat eine ausgeglichene Rechnung anstrebe und Steuerungsmöglichkeiten habe, um dies zu erreichen. Die Stadt rechne nur deshalb selbst im besten Fall bloss mit einem ­winzigen Plus, weil sie so viel Geld wie möglich in die In­tegrationsförderung stecken wolle – und keinen Gewinn anstrebe, wie das verschiedentlich der privaten ORS vorgeworfen wurde.

«Wir haben Respekt vor der Aufgabe», sagte sie und meinte die Arbeit mit verletzlichen Menschen und das Abgeltungssystem des Kantons. Dass die Geflüchteten, um die sich die Stadt künftig kümmern wird, nach einer gewissen Zeit ohnehin in Obhut der Gemeinden kommen, sei aber eine weitere Motivation, sich um diese Menschen zu kümmern. Spätestens nach Annahme der Ergänzungen von GFL und GLP war klar, dass Teuscher einen Erfolg feiern würde.
(https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/berner-stadtrat-stimmt-zaehneknirschend-fuer-asyldefizitgarantie/story/26666230)



derbund.ch 13.02.2020

Schreckgespenst verhilft Teuscher im Stadtparlament zum Sieg

Um eine gewinnorientierte Firma zu verhindern, ist das Berner Stadtparlament im Asylbereich zu vielem bereit.

Fabian Christl

Am Ende stellte sich das Berner Stadtparlament hinter die Defizitgarantie in der Höhe von 3,36 Millionen Franken für Massnahmen zur beruflichen Integration von Flüchtlingen. In der Ratsdebatte vom Donnerstagabend wurde aber rasch deutlich: Die Lust, im Asylbereich als regionaler Partner des Kantons zu fungieren, hat angesichts der Konditionen deutlich nachgelassen. So ist die Entgeltung des Kantons für die Integrationsmassnahmen erfolgsabhängig. Dabei hat die Stadt wenig Einfluss darauf, «dass genügend Stellen auf dem Arbeitsmarkt vorhanden sind», wie GFL-Sprecherin Francesca Chukwunyere sagte. «Ein weiteres Mal müssen wir Aufgaben finanzieren, die eigentlich in der Zuständigkeit des Kantons liegen», ergänzte Nora Krummen, Sprecherin der SP/Juso-Fraktion.

Dabei tat die Stadt einst alles, um den Zuschlag zu bekommen. Sie versuchte sogar (vergebens), den Wettbewerb zu umgehen und den Auftrag per Direktvergabe zu bekommen, wie der «Bund» publik machte. Und, so interpretierte etwa GLP-Sprecherin Marianne Schild die gewünschte Defizitgarantie, sie hat zu einem «Dumpingpreis» offeriert, um Mitbewerber wie Caritas auszubooten. Deshalb galt die Kritik des Stadtrats nicht nur dem bürgerlichen Kanton, sondern auch der zuständigen Gemeinderätin Franziska Teuscher (GB).

Gut gemeint, aber

Und diese erhielt nicht nur von bürgerlicher Seite Kritik. Selbst die GFL zeigte wenig Verständnis für das Vorgehen des Gemeinderats. So formulierte die Partei für ihre Zustimmung zur Defizitgarantie die Bedingung, dass ihre Anträge angenommen werden. Diese sehen vor, dass sich die Stadt nicht der finanziellen Verlockung hingibt und nur in die Integration von Flüchtlingen mit guten Erfolgsaussichten investiert «und die Schwachen sich selbst überlässt». Zudem brauche es zwecks Qualitätssicherung klare Kriterien für die Zusammenarbeit mit Freiwilligenorganisationen.

Da die GFL für gewöhnlich als Mehrheitsbeschafferin fungiert, wurde die Drohung ernst genommen. Das Problem war einzig: Die Anträge schienen vielen zwar sympathisch, aber nicht zu Ende gedacht. «Es macht doch Sinn, Junge stärker zu fördern als weniger Junge», fand jedenfalls GLP-Sprecherin Marianne Schild. Und in der Forderung nach einem Kriterienkatalog ortete sie unnötige «Bürokratie».

Alles oder nichts

Letztlich fanden aber die GFL-Anträge und die Defizitgarantie klare Mehrheiten. Dies vor allem, weil bei einem Nein die Stadt nicht mehr als regionaler Partner des Kantons hätte fungieren können, wie Teuscher betonte. Wie mehrere Sprecherinnen und Sprecher sagten, wäre damit der Weg frei geworden für die gewinnorientierte Firma ORS – ein Schreckgespenst für die Ratslinke.
(https://www.derbund.ch/bern/schreckgespenst-verhilft-teuscher-im-stadtparlament-zum-sieg/story/24807651)



derbund.ch 13.02.2020

Finden die Flüchtlinge künftig keinen Job, muss die Stadt zahlen

Wenn die Stadt Bern ihre Flüchtlinge künftig nicht im Arbeitsmarkt integriert, bekommt sie weniger Geld vom Kanton. Nun verlangt der Gemeinderat eine Defizitgarantie.

Andres Marti

Der Bund will anerkannte Flüchtlinge künftig rascher integrieren. Der Kanton Bern macht den für die Betreuung zuständigen Organisationen deshalb strenge Vorgaben: So müssen sie etwa dafür sorgen, dass spätestens drei Jahre nach der Einreise die Flüchtlinge rudimentär Deutsch sprechen. Zudem muss mindestens die Hälfte der anerkannten Flüchtlinge nach fünf Jahren einen Job haben oder eine Ausbildung machen, die vorläufig Aufgenommenen nach sieben Jahren. Ein Viertel von ihnen soll nach dieser Zeit finanziell komplett unabhängig sein. Angesicht der vielen oft prekären Arbeitsverhältnisse ist auch dies ein ehrgeiziges Ziel.

Falls die regionalen Partner die Vorgaben der zuständigen Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion (GSI) nicht erreichen, gibt es künftig weniger Geld. Im schlimmsten Fall erhalten die Asyl-Partner der GSI nur noch 40 Prozent der Betreuungskosten. Die restlichen 60 Prozent sollen künftig nur fliessen, wenn die Integrationsziele erfüllt werden.

Bis zu drei Millionen Verlust

Die Stadt Bern wird ab Mitte 2020 für die Integration von rund 1700 Flüchtlingen in Stadt und Umgebung zuständig sein. Für den achtjährigen Auftrag hat sie letztes Jahr von der GSI den Zuschlag erhalten. Bekanntlich hatten andere Asylorganisationen bei dieser grossen Neuverteilung das Nachsehen, etwa das Hilfswerk Caritas.

Falls die Integration der Flüchtlinge nun komplett schiefgehen sollte («worst case»), rechnet die Stadt mit einem Verlust von 3,24 Millionen Franken oder rund 400000 Franken pro Jahr. Auch im sogenannten «realistic case» rechnet die Stadt mit einem Verlust von 1,26 Millionen Franken. Theoretisch könnte der Leistungsvertrag mit dem Kanton auf Ende 2022 gekündet werden.

Nun verlangt der Gemeinderat vom Stadtparlament aber zunächst eine Risikoabsicherung: Als Grund dafür nennt die Stadt «externe Faktoren», namentlich die «Bereitschaft der Wirtschaft, Personen des Asyl- und Flüchtlingsbereichs einzustellen». Auch Faktoren wie Alter, Gesundheit oder vorhandene Kompetenzen der Flüchtlinge könne die Stadt nicht beeinflussen.

Mit dem Antrag des Verpflichtungskredits stösst der Gemeinderat im Stadtrat auf Widerstand. Die GFL/EVP-Fraktion äussert sich in einer Mitteilung «befremdet darüber, dass die Stadt in diesem Bereich Aufgaben übernimmt, welche andernorts von Hilfswerken geleistet werden». Die Stadt konkurrenziere private Asylorganisationen und verlange nun eine Defizitgarantie von der öffentlichen Hand, sagt Fraktionspräsident Lukas Gutzwiller (GFL). «Dieses Vorgehen finden wir fragwürdig.»

Die zu erreichenden Integrationsziele sind für die GFL/EVP-Fraktion zudem «unrealistisch hoch». Sie fürchtet ausserdem falsche Anreize: Um das Risiko möglichst gering zu halten, sei die Stadt künftig gezwungen, sehr genau abzuwägen, in welche Personen sie investiere. Die Gefahr, dass nur mehr Junge, gut Gebildete, Gesunde in den Genuss von Integrationsmassnahmen kommen, sei deshalb gross.

«Keine seriöse Offerte»

Während die GFL/EVP-Fraktion «Nachbesserungen» fordert, lehnt die FDP den Eventualkredit komplett ab. «Wenn der Gemeinderat selbst in seinem realistischen Szenario von einem Verlust ausgeht, ist das für uns keine seriöse Offerte», sagt FDP-Stadträtin Barbara Freiburghaus auf Anfrage. Das sei auch gegenüber den beim Auswahlverfahren unterlegenen Asylorganisationen unfair. «Diese müssen besser rechnen und können nicht erst danach von der öffentlichen Hand eine Defizitgarantie fordern», sagt Freiburghaus. Der Gemeinderat wollte am Mittwoch zu diesen Vorwürfen nicht Stellung nehmen.

Ein «zentrales Anliegen»

Bei der zuständigen Direktion für Bildung, Soziales und Sport (BSS) verteidigt man jedoch das Vorgehen der Stadt: Die Integration von geflüchteten Menschen sei eine wichtige öffentliche Aufgabe, «die gute und möglichst rasche Integration von Asylsuchenden und Flüchtlingen ein zentrales und dringliches Anliegen». Die Stadt sei deshalb froh, dass sie den Zuschlag erhalten habe. «Denn so kann sie mitbestimmen und mitgestalten, wie die Aufgabe erfüllt wird», heisst es in einer schriftlichen Stellungnahme. Im Gegensatz zu einer privaten Organisation unterliege so die Aufgabenerfüllung der «demokratischen Kontrolle».



«Fördern und Fordern»

Im Zentrum des neuen Asylmodells steht der Grundsatz «Fördern und fordern». So wird zum Beispiel der Umzug von einer Kollektivunterkunft in eine Wohnung ans Sprachniveau (A1) und an eine Erwerbstätigkeit oder Ausbildung gebunden. Wer das nicht schafft, muss entsprechend länger in den Kollektivunterkünften bleiben. Für Familien, Kinder und Kranke sind Ausnahmen vorgesehen. Diesem Integrationsmodell hat der Grosse Rat letzten Sommer deutlich zugestimmt.
(https://www.derbund.ch/bern/finden-die-fluechtlinge-kuenftig-keinen-job-muss-die-stadt-zahlen/story/13400294)



bernerzeitung.ch 13.02.2020

Asylstrategie: Stadt Bern droht Defizit von 400’000 Franken

Ab Mitte Jahr ist die Stadt Bern im Auftrag des Kantons für das Asylwesen in sieben Gemeinden zuständig. Dabei droht ihr ein jährliches Defizit.

Christoph Hämmann

Mitte Jahr beginnt im kantonalen Asylbereich eine neue Zeitrechnung. Nach der Neustrukturierung des Asyl- und Flüchtlingsbereichs arbeitet der Kanton neu bloss noch mit fünf Partnerinnen zusammen. Eine ist die Stadt Bern: Sie ist künftig in der Stadt selber und in den Gemeinden Bremgarten, Kirchlindach, Köniz, Muri, Ostermundigen und Zollikofen für Unterbringung, Integrationsförderung und Sozialhilfe für vorläufig Aufgenommene und anerkannte Flüchtlinge zuständig.

Heute Abend landet das Geschäft im Stadtparlament. Hinter den Kulissen ist es aber in den letzten Tagen bereits intensiv diskutiert worden. Die zuständige Sozialdirektorin Franziska Teuscher (GB) will im Stadtrat eine Defizitgarantie abholen. Eine solche ist notwendig, weil die Neuorganisation des kan­tonalen Asylbereichs von In­tegrationsminister Pierre Alain Schnegg (SVP) geprägt ist. Diesem gefällt es immer wieder,im Sozialbereich Leistungen zu kürzen und den Druck auf Bedürftige zu erhöhen.

Nur 40 Prozent fix

Im vorliegenden Fall sieht dies so aus: Die Kosten der Integrationsförderung – Sprachkurse und Arbeitsintegration – werden vom Kanton nur zu 40 Prozent pauschal gedeckt. Die restlichen 60 Prozent sind erfolgsabhängig: Erreichen die Flüchtlinge die vorgegebenen Sprachfähigkeiten nicht, sind nicht genügend viele erwerbstätig oder finanziell unabhängig, dann reduziert der Kanton die Bezahlung.

Doch Integration ist anspruchsvoll, und einige wichtige Rahmenbedingungen sind kaum zu beeinflussen. Dies gilt insbesondere für die Ressourcen der Menschen, die der Stadt zugeteilt werden, sowie für die Anzahl geeigneter Arbeitsstellen. Für den schlechtesten Fall rechnet der Gemeinderat in seinem Vortrag deshalb damit, während der achtjährigen Vertragsdauer mit dem Kanton 3,24 Millionen Franken Verlust zu machen – rund 400’000 Franken jährlich. Beim «realistisch» genannten Szenario geht er immer noch von einem Minus von 1,26 Millionen aus, im besten Fall resultiert ein Plus von total 150’000 Franken.

Forderungen der GLP

Für Bürgerliche zeigt dies, dass die Stadt einen Verlust einkalkuliert hat, um sich das begehrte Mandat zu holen. Verschiedene Quellen kritisieren, dass die Stadt damit – mit dem Steuerzahler im Rücken – Private ausgebootet hat, die präziser kalkulieren müssen.

Dem widerspricht Claudia Mannhart, Co-Generalsekretärin in Teuschers Sozialdirektion. «Der Gemeinderat strebt eine ausgeglichene Rechnung an», sagt sie. Zwar sei das Ergebnis tatsächlich schwierig abzuschätzen. «Aber wir sind zuversichtlich, unsere Angebote so steuern zu können, dass wir dieses Ziel erreichen.» Integration sei eine wichtige öffentliche Aufgabe, betont Mannhart, und je erfolg­reicher die Stadt diese bewältige, desto eher seien Entlastungen in der Sozialhilfe möglich. «Wenn die Stadt diese Aufgabe selber wahrnimmt, ist zudem anders als bei Privaten eine demokratische Kontrolle möglich.»

Bei der FDP überwiegt trotzdem die Skepsis. Wie Fraktionschef Bernhard Eicher bestätigt, wird sie die Vorlage zurück­weisen. Und auch die GLP/JGLP-Fraktion sieht das Geschäft kritisch, tendiert laut Co-Fraktionschefin Marianne Schild aber gegen eine Rückweisung. Sie verlangt allerdings zwei Ergänzungen. Zum einen sollen die neuen Stellen, die für die Erfüllung des Auftrags nötig sind – laut Direktion Teuscher maximal zehn –, befristet besetzt werden. «Der Vertrag kann mit einer Frist von zwölf Monaten jeweils per Jahresende gekündigt werden, erstmals per 31. Dezember 2022», zitiert Schild aus dem Vortrag des Gemeinderats. «Deshalb müssen unserer Ansicht nach auch die Stellen entsprechend befristet werden.»

Der zweite Antrag von Schilds Fraktion ergibt sich aus dem ersten: «Der Gemeinderat soll im Herbst 2021 Bericht über das Mandat erstatten. Damit hat der Stadtrat eine Grundlage, das Geschäft mit Blick auf die erste Kündigungsmöglichkeit zu beurteilen.» Im Gespräch kritisiert Schild zusätzlich den Umstand, dass die Stadt Leistungen des Kantons vorfinanziert – und das Risiko allein trägt, obwohl sechs weitere Gemeinden profitieren. «Wenn der Auftrag ein Verlustgeschäft ist, übernehmen die städtischen Steuerzahler damit Kosten, die erstens der Kanton tragen müsste und die zweitens auch in der Agglomeration entstanden sind.»

Bedingungen der GFL

Skeptisch ist weiter die GFL/EVP-Fraktion, Mehrheitsbeschafferin in der Mitte. Stadt­rätin Francesca Chukwunyere (GFL) findet zweierlei grundsätzlich stossend: dass der Kanton gewillt ist, auf dem Buckel der Integration von Menschen, die meist lange in der Schweiz bleiben werden, zu sparen; und dass er sich seine Leistungen von der Stadt auch noch vorfinanzieren lässt. «Es ist aber eine Wahl zwischen dem Teufel und dem Beelzebub», sagt sie: «Wenn die Stadt den Auftrag nicht wahrnimmt, landet er am ehesten bei der ORS. Und das wollen wir auch nicht.» Die national tätige, gewinnorientierte ORS sorgt immer wieder für Kritik und ist für Linke ein rotes Tuch.

Als «Schadenminderung» verlangt die GFL/EVP zwei Ergänzungen und macht ihre Zustimmung davon abhängig, dass diese angenommen werden: Erstens soll der Gemeinderat dar­legen, dass alle Flüchtlinge und vorübergehend Aufgenommenen zu gleichen Teilen gefördert werden. «Sonst droht angesichts des Bonussystems, dass jene be­sonders gefördert werden, die am meisten Potenzial haben.» Zweitens verlangt die GFL/EVP, dass der Gemeinderat Qualitätskriterien für Freiwilligenangebote definiert und diese auch überprüft. Hintergrund dieser Forderung ist laut Chukwunyere, dass etwa Freikirchen Gratisdeutschkurse anbieten, die sie dann auch gleich noch mit Bibelunterricht füllen.

Ein realistisches Szenario für die heutige Stadtratsdebatte ist dies: Mitte-links nimmt die GFL/EVP-Anträge an – wegen der ORS, wegen des Willens zur Integrationsarbeit. Und genehmigt danach den Kredit.
(https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/teuschers-riskante-asylstrategie/story/26142102)



Neustrukturierung Asyl- und Flüchtlingsbereich im Kanton Bern NA-BE: Umsetzungsplanung; Verpflichtungskredit für Risikoabdeckung (Eventualverpflichtung)
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=292fdfe3a76b4350b4531234155b023c


Ein jemenitischer Journalist kämpft in der Schweiz für sein Land
In der Schweiz leben kaum Jemeniten. Der Journalist Saddam Hamed Abu Asim gehört zu den wenigen, denen die Flucht aus dem Bürgerkriegsland hierher gelungen ist. In der Schweiz darf er schreiben, was er will. Doch für dieses Leben in Sicherheit zahlt er einen hohen Preis.
https://www.swissinfo.ch/ger/migration_ein-jemenitischer-journalist-kaempft-in-der-schweiz-fuer-sein-land/45531038


+++SCHWEIZ
Griechenland – das Labor Europas
Die Lager in der Ägäis sind überfüllt. Die Zustände unhaltbar. Unmenschlich. Die griechische Regierung hat Massnahmen angekündigt. Wenig überraschend liegt der Fokus auf Restriktionen, Haft, Abwehr und Abschreckung. Die Schweiz kündigt derweil Unterstützung in homöopathischen Dosen an. Das ist zu wenig.
https://www.fluechtlingshilfe.ch/news/archiv/2020/griechenland-das-labor-europas.html


+++UNGARN
Flüchtlingspolitik: Ungarn gewährt kaum mehr Asyl
Ungarns Ministerpräsident Orbán verfolgt eine rigide Flüchtlingspolitik. Im vergangenen Jahr lag die Zahl der genehmigten Asylanträge im zweistelligen Bereich.
https://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge-ungarn-gewaehrt-kaum-mehr-asyl-a-462da110-9132-4a42-8a4e-bbe500d26010
-> https://de.euronews.com/2020/02/13/ungarn-gewahrt-nur-noch-in-wenigen-fallen-asyl


+++EUROPA
Spanien darf Migranten weiterhin umgehend nach Marokko abschieben – kein Verstoss gegen die Menschenrechte
Spanien darf nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in seiner Exklave Melilla Migranten bei Grenzübertritt umgehend nach Marokko zurückweisen. Dieses Vorgehen verstosse nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, teilte die Grosse Kammer des Gerichtshofes am Donnerstag in Strassburg mit. Sie widersprach damit einem Urteil aus dem Jahr 2017. Darin hatte der EGMR entschieden, dass die sogenannten «Push-backs» oder Kollektivausweisungen gegen die Konvention verstossen. Die spanische Regierung hatte danach beantragt, dass der Fall an die Grosse Kammer des Gerichtshofs weitergeleitet wird.
https://www.nzz.ch/international/spanien-darf-migranten-weiterhin-umgehend-nach-marokko-abschieben-kein-verstoss-gegen-die-menschenrechte-ld.1540414
-> https://www.derstandard.at/story/2000114540684/massenhafte-abschiebungen-an-spaniens-grenze-erlaubt
-> https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-02/fluechtlingspolitik-migranten-spanien-marokko-pushbacks-egmr
-> https://www.tagesschau.de/ausland/egmr-abschiebepraxis-spanien-101.html
-> https://taz.de/EU-Grenzpolitik/!5660072/
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/play/radio/echo-der-zeit/audio/spanien-darf-asylantraege-verweigern?id=32ab342a-0b59-4fef-b0f3-d88e67e9e6ed
-> https://www.nzz.ch/international/spanien-darf-migranten-weiterhin-umgehend-nach-marokko-abschieben-kein-verstoss-gegen-die-menschenrechte-ld.1540414


+++TUNESIEN
Mitten in der Wüste
Tunesien plant Errichtung von Flüchtlingslager für bis zu 50.000 Menschen. EU dringt auf engere Kooperation
https://www.jungewelt.de/artikel/372546.fl%C3%BCchtlinge-in-tunesien-mitten-in-der-w%C3%BCste.html


+++FREIRÄUME
Gastgewerbe Kontrollen Reitschule Bern – Schweiz Aktuell
Gastgewerbliche Kontrollen wie etwa Jugendschutz oder Rauchverbot seien aus Sicherheitsgründen nicht mehr möglich, so die Kritik. Die Reitschule Bern weist die Anschuldigungen zurück.
https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/gastgewerbe-kontrollen-reitschule-bern?id=c415358e-b3f7-4ba1-9539-29dd49531af7


Keine Kontrollen: SVP wirft Stadt Sonderbehandlung bei Reitschule vor
Seit fünf Jahren kontrolliere die Gewerbepolizei die Gastrobetriebe „Sous Le Pont“ und „Rössli“ der Berner Reitschule angeblich nicht mehr. Kontrollen seien zu gefährlich, berichtet die Zeitung „Der Bund“. Die SVP nutzt diese Gelegenheit für eine weitere Debatte mit dem Stadtrat.
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/keine-kontrollen-svp-wirft-stadt-sonderbehandlung-bei-reitschule-vor-136367494


+++GASSE
25 Jahre Letten-Schliessung – Als Zürich das Drogenelend endlich in den Griff bekam
1995 gelang der Stadt Zürich, woran sie beim Platzspitz 1992 gescheitert war: Die Auflösung der offenen Drogenszene.
https://www.srf.ch/news/regional/zuerich-schaffhausen/25-jahre-letten-schliessung-als-zuerich-das-drogenelend-endlich-in-den-griff-bekam


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Revision Reglement vom 20. Oktober 2005 über Kundgebungen auf öffentlichem Grund (Kundgebungsreglement; KgR)
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=1e62147adbb84f8e87e8fd2099be32b8


Kurdendemo behindert Tramverkehr
Am Donnerstagnachmittag findet in Basel eine bewilligte Demonstration von Kurden statt. Der Tramverkehr in der Innerstadt ist beeinträchtigt.
https://telebasel.ch/2020/02/13/kurdendemo-behindert-tramverkehr
-> https://www.bzbasel.ch/basel/oecalan-demonstration-basler-tramnetz-und-verkehr-beeintraechtigt-136365053


+++REPRESSION TÜRKEI
Türkei ermittelt gegen SP-Nationalrat Mustafa Atici
Die Türkei hat gegen den Basler SP-Nationalrat Mustafa Atici eine Strafuntersuchung eingeleitet. Die Justiz ermittelt wegen angeblicher Terror-Unterstützung.
https://telebasel.ch/2020/02/13/tuerkei-ermittelt-gegen-sp-nationalrat-mustafa-atici
-> https://www.srf.ch/news/regional/basel-baselland/basler-nationalrat-tuerkei-ermittelt-gegen-mustafa-atici
-> https://www.bzbasel.ch/basel/untersuchung-in-tuerkei-atici-wird-terrorunterstuetzung-vorgeworfen-136364873
-> https://www.bazonline.ch/basel/stadt/gilt-atici-in-der-tuerkei-als-terrorhelfer/story/25509940
-> https://www.20min.ch/schweiz/basel/story/Tuerkei-ermittelt-gegen-Nationalrat-Mustafa-Atici-28052471
-> https://www.woz.ch/2007/schweiz-tuerkei/erdogan-schaut-auch-nach-basel


+++BIG BROTHER
«Ich fühle mich auf dem Heimweg beobachtet»
Ein Leser befürchtet, von Überwachungskameras beim Haus des Botschafters von Kuwait gefilmt zu werden. Die Botschaft beteuert jedoch, dass nur der Zaun im Fokus stehen werde.
https://www.20min.ch/schweiz/bern/story/-Ich-fuehle-mich-beobachtet–25490997


Volk hat das letzte Wort zum E-ID-Gesetz
Der digitale Pass kommt definitiv an die Urne. Das Referendumskomitee hat knapp 65’000 gültige Unterschriften eingereicht.
https://www.derbund.ch/schweiz/standard/volk-hat-das-letzte-wort-zum-eidgesetz/story/22149801
-> https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-78091.html


Vor der Premiere von «Moskau einfach!»: Regisseur Micha Lewinsky sieht in Bern seine Fiche ein
Miriam Stein und Mike Müller in den Schweizer Kinos an. Das Werk zum Fichenskandal von 1990 erlangt durch den eben aufgebrochenen Crypto-Skandal zusätzliche Aktualität.
https://www.blick.ch/people-tv/kino/vor-der-premiere-von-moskau-einfach-regisseur-micha-lewinsky-sieht-in-bern-seine-fiche-ein-id15746583.html


+++HOMOHASS
Interpellation SP/JUSO (Mohamed Abdirahim, JUSO): Hate-Crime: Was sind die konkreten Zahlen in Stadt Bern?
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=64f8c8f1839f4ba594792575c766ff81


+++RECHTSPOPULISMUS
Die Schwachen tragen die Last: Frank A. Meyer über das Flüchtlings-Chaos in Griechenland
Frank A. Meyer sinniert über das Chaos in Griechenland und die tausenden Menschen, die auf der Suche nach einer neuen Heimat sind. Aber auch über alle die Menschen, die ungefragt die ganze Last tragen müssen.
https://www.blick.ch/news/politik/fam/frank-frei/die-schwachen-tragen-die-last-frank-a-meyer-ueber-das-fluechtlings-chaos-in-griechenland-id15747465.html


+++RECHTSEXTREMISMUS
Hasskrieger: Der neue globale Rechtsextremismus
Von Christchurch bis Halle: Wie sich der Rechtsterrorismus neu erfindet
Radikale und extreme Rechte vernetzen sich längst nicht mehr nur durch geheime Treffen. Sie sind ganz offen im Internet unterwegs, über alle nationalen Grenzen hinweg. Ihr Umgang mit der digitalen Infrastruktur ist versiert. Ihre Mittel: Strategiepapiere, Guerilla-Marketing und organisierte Hasskampagnen. An die Stelle straff organisierter Gruppen treten immer öfter lose Netzwerke. Viele radikalisieren sich, ein Teil von ihnen greift zur Gewalt, einige von ihnen töten. Karolin Schwarz, Journalistin und Expertin für rechte Propaganda im Internet, zeigt, wie sich Rechtsextremismus organisiert und eine neue Form des globalen Terrorismus entsteht, dessen Gewalt zum Ausbruch kommt. Parallel tragen rechtspopulistische Regierungen und totalitäre Regime Lüge und Hetze über das Netz nach Europa – eine unheilvolle Allianz. Schwarz macht deutlich: Gesellschaft, Justiz und Politik sind keineswegs wehrlos. Dafür müssen sie rechte Strategien und Technologien aber kennen und verstehen.
https://www.herder.de/geschichte-politik-shop/hasskrieger-klappenbroschur/c-34/p-18053/


+++HISTORY
Auf Krawall gebürstet
Vor vierzig Jahren brannte Zürich. Olivia Heussler war Teil der unruhigen Achtziger und hat sie festgehalten.
https://www.tagesanzeiger.ch/zueritipp/kunst/auf-krawall-gebuerstet/story/21451258


+++CRYPTOLEAKS
Ein Ex-Ingenieur der Crypto AG packt aus – 10vor10
Spörndli, damals junger Ingenieur in der Crypto AG, sah seine Aufgabe darin, möglichst gute, sichere Algorithmen zu entwickeln. Ein Irrtum.Im Studiogespräch Adrian Hänni, Schweizer Historiker mit Forschungsschwerpunkt Nachrichtendienste im Kalten Krieg.
https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/fokus-ein-ex-ingenieur-der-crypto-ag-packt-aus?id=047d95df-a4d3-4d1c-940a-97575205f547


Cryptoleaks: Jetzt untersucht die Geheimdienstaufsicht
Was wusste die Schweiz in der Spionageaffäre? Diese Frage will die Geschäftsprüfungsdelegation mit einer Inspektion beantworten.
https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/crypto-leaks/cryptoleaks-antworten-hat-der-bundesrat-noch-keine/story/11539822
-> https://www.parlament.ch/press-releases/Pages/mm-gpk-n-s-2020-02-13.aspx
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/geheimdienst-affaere-geschaeftspruefungsdelegation-untersucht-crypto-affaere
-> https://www.20min.ch/schweiz/news/story/GPDel-informiert-ueber-die-Spionage-Untersuchungen-17356093
-> https://www.watson.ch/schweiz/international/995455083-cryptoleaks-gpdel-will-wissen-was-die-schweizer-behoerden-wussten
-> https://www.blick.ch/news/svp-heer-untersucht-crypto-skandal-wir-haben-uns-ueberlegt-wen-wir-vorladen-id15747326.html
-> https://www.nzz.ch/meinung/die-neutralitaetspolitische-vertrauensfrage-hinter-den-crypto-leaks-ld.1540106
-> https://www.zentralplus.ch/crypto-affaere-geschaeftspruefungsdelegation-startet-untersuchung-1729285/
-> https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/crypto-affaere-geschaeftspruefungsdelegation-eroeffnet-untersuchung-136365878
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/play/radio/echo-der-zeit/audio/parlament-nimmt-spionage-untersuchung-selbst-in-die-hand?id=17cf3ba4-b284-423d-a5ef-97a7faed399c
-> https://www.telebaern.tv/telebaern-news/cryptoleaks-jetzt-kommen-ehemalige-bundesraete-in-die-mangel-136367512
-> https://www.telezueri.ch/zuerinews/parlament-nimmt-crypto-affaere-unter-die-lupe-136367569
-> Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/die-crypto-ag-und-die-politik?id=2557a32b-2367-4fee-b984-7c7967428dde
-> https://www.tele1.ch/artikel/159238/gpdel-untersucht-crypto-affaere
-> https://www.nzz.ch/schweiz/crypto-affaere-das-parlament-beginnt-eine-eigene-untersuchung-ld.1540399


Crypto-Affäre: «Der Bundesrat hat sofort gesehen, dass es hier Aufklärung braucht»
Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom Mittwoch über die Crypto-Affäre gesprochen – allerdings ohne einen neuen Entscheid gefällt zu haben. Die Landesregierung will «volle Aufklärung».
https://www.luzernerzeitung.ch/news-service/inland-schweiz/der-bundesrat-hat-sofort-gesehen-dass-es-hier-aufklaerung-braucht-ld.1194412


Doris Fiala kritisiert die «Skandalisierung» der Crypto-Leaks
Spätestens seit gestern beschäftigen die Cryptoleaks die gesamte Schweiz. Doris Fiala von der FDP hält von der «Skandalisierung» aber nicht viel.
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/doris-fiala-kritisiert-die-skandalisierung-der-crypto-leaks-65661479


«Internationaler Aufschrei ist ausgeblieben»
Politiker sorgen sich nach der Spionage-Affäre um den Ruf der Schweiz. Ex-Diplomat Tim Guldimann hat keine Angst.
https://www.20min.ch/schweiz/news/story/-Internationaler-Aufschrei-ist-ausgeblieben–19710770


Mirage-Skandal lässt grüssen: 5 Dinge, die du zu einer möglichen Crypto-PUK wissen musst
Immer mehr Politiker wollen die Aufklärung des Crypto-Skandals nicht dem Bundesrat überlassen und fordern eine PUK. Das steckt hinter der schärfsten Waffe, über die das Parlament verfügt.
https://www.watson.ch/schweiz/bundesrat/935795734-crypto-ag-5-dinge-die-du-zu-einer-moeglichen-crypto-puk-wissen-musst


Werden Cryptoleaks zu einer FDP Affäre?
In der Affäre um gezinkte Chiffriergeräte der Zuger Crypto AG sind zahlreiche FDP-Politiker involviert – auch bei den Kritikern.
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/werden-cryptoleaks-zu-einer-fdp-affare-65661674


«Ein gutes Beispiel»: NDB-Chef Seiler lobte Crypto noch 2016
In Geheimdienstkreisen war gemäss Recherchen schon lange bekannt, dass die Zuger Crypto AG im Dienst von USA und Deutschland stand. Dennoch lobte der ehemalige Geheimdienstchef Markus Seiler die Firma noch vor wenigen Jahren als «gutes Beispiel».
https://www.blick.ch/news/politik/ein-gutes-beispiel-ndb-chef-seiler-lobte-crypto-noch-2016-id15746566.html


Wie die Besitzverhältnisse der Crypto AG verschleiert wurden
– Rendez-vous
CIA und BND haben mit Geräten der früheren Zuger Firma Crypto AG über Jahrzehnte hinweg andere Staaten ausspioniert. Crypto AG gehörte ab 1970 gar den Geheimdiensten. Durch eine liechtensteinische Stiftung wurden die Besitzverhältnisse verschleiert. Wie war dies möglich?
https://www.srf.ch/play/radio/rendez-vous/audio/wie-die-besitzverhaeltnisse-der-crypto-ag-verschleiert-wurden?id=7c2e729c-b171-4f93-acae-08de88341b0a


17 Jahre bei der Crypto AG – Ex-Mitarbeiter: «Man konnte schon eins und eins zusammenzählen»
Jürg Spörndli arbeitete bis Mitte der 90er für die Zuger Firma. Seiner Meinung nach kommt die Aufregung reichlich spät.
https://www.srf.ch/news/schweiz/17-jahre-bei-der-crypto-ag-ex-mitarbeiter-man-konnte-schon-eins-und-eins-zusammenzaehlen


Ermordete Geheimdienst Sohn von Crypto-Gründer?
Brisantes Detail in der Spionage-Affäre: Ein Geheimdienst soll den Sohn des Firmengründers ermordet haben, weil dieser von den Operationen wusste.
https://www.20min.ch/schweiz/news/story/Ermordete-Geheimdienst-Sohn-von-Crypto-Gruender–28113650


Geheimdienstaffäre Cryptoleaks – Wie seid ihr an die CIA-Dokumente gekommen?
Die Journalistinnen Fiona Endres und Nicole Vögele gewähren einen Blick hinter die Kulissen der Recherche.
https://www.srf.ch/news/schweiz/geheimdienstaffaere-cryptoleaks-wie-seid-ihr-an-die-cia-dokumente-gekommen


Weltweite Spionage-Operation mit Schweizer Firma aufgedeckt – Rundschau
Eine Recherche der «Rundschau», des ZDF und der «Washington Post» enthüllt eine weltweite Abhöroperation von US-amerikanischen und deutschen Geheimdiensten. Eine zentrale Rolle spielten manipulierte Chiffriergeräte der Schweizer Firma Crypto AG. Die «Rundschau»-Sondersendung zur Spionage-Operation.
https://www.srf.ch/play/tv/rundschau/video/weltweite-spionage-operation-mit-schweizer-firma-aufgedeckt?id=2351eb00-7656-4515-b5f8-615a12083eeb
-> https://www.zentralplus.ch/das-sind-die-neuen-erkenntnisse-in-der-spionage-affaere-1729115/


Kaspar Villiger gibt zu, vom Spionageskandal gewusst zu haben
Nur «detailliert» war er nicht informiert und habe «keine aktive Rolle» gespielt, lässt der Alt-Bundesrat schriftlich ausrichten.
https://www.infosperber.ch/Artikel/Politik/Crypto-Villiger-gibt-zu-Spionageskandal-gewusst-zu-haben


“Crypto-Leaks” stellen Schweizer Neutralität unter Stresstest
Die Spionageaffäre rund um die Zuger Firma Crypto AG tangiert auch das Herzstück der Schweizer Identität: die Neutralität. Schweizer Politiker, Historiker und Medien diskutieren mögliche Folgen der manipulierten Chiffriergeräte für die Glaubwürdigkeit des neutralen Kleinstaats.
http://www.swissinfo.ch/ger/geheimdienst-affaere_-crypto-leaks–stellen-schweizer-neutralitaet-unter-stresstest/45556920



tagesanzeiger.ch 13.02.2020

Ein Fall, grösser als meine Fantasie

Unser Autor Res Strehle hat bereits in den Neunzigerjahren zur Crypto AG recherchiert. Was jetzt bekannt wird, ist viel mehr, als sich damals erahnen liess.

Res Strehle

Warum gerade jetzt? Warum soll es ausgerechnet jetzt ein Skandal sein? Ahnte man nicht seit 40 Jahren, dass die Crypto AG manipulierte Chiffriergeräte verkaufte? Viele Kritiker der Cryptoleaks wiesen in den letzten Tagen auf diesen Widerspruch hin. Die Antwort darauf gibt am besten die CIA selber.

Niemand hat die früheren Enthüllungen über die Firma Crypto AG in der Schweiz so minutiös verfolgt wie der US-Geheimdienst. In den Cryptoleaks-­Dokumenten lässt sich nachlesen, wie der CIA in den 90er-Jahren bei jedem Verdacht auf den tatsächlichen Hintergrund der Firma bangte, ob die ­Legende nun auffliegen würde. Weit entfernt ­davon, allmächtiger Drahtzieher im Hintergrund, zu sein, ähnelte der Geheimdienst eher dem bangen Vater eines Wunderkindes, dessen Legende sich jederzeit als Bluff herausstellen konnte. In den Dokumenten lässt sich aber auch nachlesen, wie die CIA es schaffte, dass die Story nie zu einem internationalen Skandal wurde. Bis heute.

1993 erzählte mir der entlassene Crypto-Verkäufer Hans Bühler von ­seinem Verdacht, dass die Geräte seiner Firma manipuliert seien. Die NSA und der deutsche Bundesnachrichtendienst stünden hinter der Firma und würden mit den manipulierten Geräten die geheimen Nachrichten in allen Kundenländern entschlüsseln können. CIA und BND würden im Hintergrund der Firma die Fäden ziehen. Bühler recherchierte, ich half ihm mit journalistischen Mitteln. Die Spur der Eigentümer führte in der Tat nach Deutschland, aber endete auf halbem Weg auf dem Handelsregister in Vaduz, das keinerlei Auskunft gab. Die technologischen Vorgaben kamen aus Arizona (dem Sitz von Motorola) und Bonn – die Firmenleitung stellten Siemens-Manager. Sowohl Motorola wie Siemens wurden damals gute Verbindungen zu den Geheimdiensten nachgesagt. Eine Spur, aber kein Beweis.

Ich war erst skeptisch, solche Mutmassungen kannte ich aus der Verschwörungstheorie. Doch kurz nachdem ich den ehemaligen Vizedirektor der Crypto AG besuchte, der von der Firma in den 70er-Jahren entlassen worden war, war ich plötzlich selber im Lager der ­Verschwörungstheoretiker. Der Entwicklungsingenieur war zum Schluss gekommen, dass während seiner Zeit in der Firma alle Chiffriergeräte manipuliert waren. Er sprach von einer Hintertür, die in die Geräte eingebaut war. Sie zu entfernen, war ihm mehrfach verboten worden. Er wurde schliesslich entlassen.

Die Beweise dafür würden in einem Safe liegen, der nur in seinem Todesfall geöffnet werden durfte – das war seine Lebensversicherung. Der Mann fühlte sich offenkundig bedroht, es hatte in seinem Umfeld auch schon Anschläge gegeben. Auch mir war mulmig ­zumute, als ich an diesem düsteren Februar-Abend sein Haus verliess und ins Auto stieg. Er und einige Kollegen in der Firma waren überzeugt, dass Boris Hagelin junior, der Sohn des Firmengründers, 1970 in Washington nicht durch einen gewöhnlichen Autounfall ums Leben ­gekommen war. Hagelin sei nicht damit einverstanden gewesen, dass sein Vater die Firma an die CIA verkaufte.

Auch das war nicht bewiesen. Entsprechend vorsichtig titelte der Verlag mein Buch, das 1994 erschien: «Verschlüsselt». Der geheimdienstliche Hintergrund der Firma war nur in Frageform angedeutet, von der Spur zum deutschen Eigentümer nur die Tarnfirmen benannt. Auch ein Kollege der SRF-Sendung «Rundschau» recherchierte hartnäckig. Alarmiert schrieb die CIA: «Anfang März erfuhr die CIA, dass Bühler am 23. März eine öffentliche Enthüllung im Schweizer und im Österreichischen Fernsehen plant über die Beziehungen zwischen der Crypto AG und den westlichen Geheimdiensten. In Langley (dem CIA-Hauptquartier Anm. d. Red.) und in Zug starteten alle mit der Schadensbegrenzung.»

Der damalige Firmenleiter Michael Grupe dementierte den nachrichtendienstlichen Hintergrund im Fernsehen vehement. Die Einzelheiten der Sendung sind dem CIA-Bericht zu entnehmen. Der Auftritt des Firmenleiters habe genügend Zweifel an Bühlers Vorwürfen geweckt. Langley hoffte, dass die Zuschauer damit zumindest verwirrt ­seien. Fazit der CIA: «G.s Auftritt hat das Programm vermutlich gerettet.»

Trotzdem zogen sich Grupe und ­weitere Siemens-Leute aus der Firma zurück. An einem Podium nach Erscheinen des Buchs in Zug vertrat sein Schweizer Nachfolger Armin Huber die Firma und bezeichnete unsere Erkenntnisse als pure Hirngespinste. Die CIA-Beobachter notierten, dass ich im Buch das angebliche Attentat auf Boris Hagelin junior erwähnt hatte – ohne dies durch Fakten zu belegen. Damit würde die Glaubwürdigkeit des Buchs geschwächt.

Auf einen Prozess unter Aufgebot von Zeugen wollten es aber weder die Firma noch der deutsche Bundesnachrichtendienst ankommen lassen. Einzig die CIA war forscher und wollte Bühler mit einem Prozess durch alle Instanzen zermürben. Bühler willigte schliesslich gegen eine kleine finanzielle Abfindung zu Stillschweigen ein. Ich titelte im Nachrichtenmagazin «Facts»: «Das letzte Türchen bleibt geschlossen.»

Bühlers Verhaftung war ein Zufallstreffer

In den folgenden Jahren ergab sich zwar noch der eine oder andere Hinweis. 2001 bestätigte mir ein Angestellter der Crypto, dass unsere Erkenntnisse richtig seien. Genannt werden wollte er nicht. Neue Beweise: keine. 2015 gab die NSA die Akten ihres einstigen Chefkryptologen William Friedman frei. Sie belegten, dass er und Firmengründer Hagelin die Chiffriertechnik in Zug ab 1955 in enger Kooperation entwickelten. Das stützte unsere Erkenntnisse aus der Gründungszeit der Firma, aber bewies nichts über die Zeit danach.

Erst jetzt, seit Veröffentlichung der Cryptoleaks, wissen wir: CIA und BND übernahmen die Zuger Firma 1970 gemeinsam und brachten sie mit manipulierten Geräten zur Hochblüte. Nahezu jede zweite Entschlüsselung geheimer Nachrichten im Ausland verdankte der US-Nachrichtendienst der Zuger Firma. Bei den Deutschen beruhten zeitweilig vier von fünf Geheimberichten an die Botschaften darauf. Ein Erfolgsprojekt, auf dass der frühere Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer bis heute stolz ist. Erst jetzt wissen wir, dass er Deutschlands geheimes Engagement nach den Medienberichten 1993 beendete. Erst jetzt wissen wir, dass die CIA danach allein weitermachte, wohl bis zur Aufspaltung der Firma 2018.

Der Iran hat mit der Verhaftung Bühlers einen Zufallstreffer gelandet. Gelöst wurde der Fall damals nicht. Doch er stiess die Tür einen Spalt breit auf, um dem Geheimnis der Zuger Firma auf die Spur zu kommen. Endlich.
(https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/crypto-leaks/ein-fall-groesser-als-meine-fantasie/story/28436840)



tagesanzeiger.ch 13.02.2020

Cryptoleaks: «Das schadet der ganzen Industrie»

Die Spionageaffäre schlägt auch in der Schweizer IT-Sicherheitsbranche ein. Der Schaden sei gross, sagen mehrere Exponenten.

Jorgos Brouzos, Hannes von Wyl

Es ist das Stelldichein der Schweizer IT-Sicherheitsexperten: Am Mittwoch und heute Donnerstag finden die Swiss Cyber Security Days (SCSD) im Forum Freiburg statt. Dort treffen sich die wichtigsten Schweizer Hersteller, Verkäufer und Kunden von IT-Sicherheitslösungen. Neben Wissenschaftlern und Hackern sind auch hochrangige Vertreter des Bundes wie Armeechef Thomas Süssli oder Florian Schütz, zuständig für die Cybersicherheit, anwesend.

Zwei Tage lang tauschen sie sich darüber aus, wie sie die Firmen möglichst sicher aufstellen, welche Tricks sich die Angreifer als Nächstes einfallen lassen und wie sich die Schweiz dagegen wehren kann.

Klar sind da auch die Cryptoleaks ein Gesprächsthema. Die Enthüllungen hätten nicht besser getimt sein können, so eine Teilnehmerin. Die Sache beschäftige in der Branche jeden.

Schaden für die Industrie

Ein IT-Verantwortlicher eines Schweizer Grosskonzerns sagt dazu: Die ganze Geschichte um die Crypto AG sei ein unvorstellbarer Vorgang. Dass die Schweiz Hand geboten habe dafür und ausländische Geheimdienste habe gewähren lassen, sei unentschuldbar. «Das untergräbt unser Vertrauen und schadet der ganzen Industrie», so der Mann.

Ivan Bütler, Gründer der Compass Security AG, ist über die Enthüllung erstaunt. «Ich bin überrascht, dass man das so lange verheimlichen konnte – und sagt, es sei nichts. Und das über Jahrzehnte.» Er habe gedacht, die DNA der Neutralität sei «tief verwurzelt in den Köpfen und Werten unserer Gesellschaft».

Bütler spricht von einem «herben Schlag» für die Schweiz als Wirtschaftsstandort. «Die Schweiz hat das Potenzial, im Rahmen der Digitalisierung als ‹sicheren Hafen› auf der Welt wahrgenommen zu werden. Die Daten in der Schweiz sind auf neutralem Boden. Und auch sonst geniesst die Schweiz eine hohe Glaubwürdigkeit in Bezug auf Neutralität», so Bütler.

Schlecht gehütetes Geheimnis

Ein IT-Unternehmer sieht die Sache gelassener. Dass die Crypto AG der verlängerte Arm der Geheimdienste sei, sei das schlechtestgehütete Geheimnis der Szene gewesen. Die Auftrennung der Crypto AG in verschiedene Unternehmen und die Gründe dafür seien jedem bekannt gewesen. «Die Aufarbeitung der ganzen Geschichte hat nur noch eine historische Bedeutung», sagt der Unternehmer. Viel wichtiger sei es jetzt, zu überprüfen, welche IT-Komponenten und Software heute beschafft würden und ob über diese nicht geheime Datenabflüsse stattfänden. «Dort liegt das Schadenspotenzial der Zukunft», so der Unternehmer. «Wissen wir wirklich, wo unsere Daten landen?»

Das zu wissen, ist offenbar alles andere als einfach. «Da müssen wir einfach vertrauen und hoffen», sagt ein anderer IT-Experte eines bedeutenden Finanzkonzerns. In einer grossen Firma lässt sich schlicht nicht jeder Drucker und jedes Netzwerkteil überprüfen, ob über das Gerät verdeckt Daten gestohlen werden. «Gegen solche Bedrohungen sind wir als einzelne Firma chancenlos», so sein Fazit. Für diese Sicherheit müssten andere Stellen sorgen. «Wir haben schon genug damit zu tun, die alltäglichen Attacken abzuwehren.»
(https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/crypto-leaks/cryptoleaks-das-schadet-der-ganzen-industrie/story/28238546)



tagesanzeiger.ch 13.02.2020

Das steht in den CIA-Dokumenten über Villiger

Der US-Geheimdienst schreibt, dass der frühere Verteidigungsminister in den Abhörskandal verwickelt sei. Der Alt-Bundesrat dementiert das vehement.

Oliver Zihlmann, Thomas Knellwolf, Markus Häfliger, Christoph Lenz, Kurt Pelda und Res Strehle

«Zu dem Zeitpunkt war mindestens ein Mitglied des Bundesrats an der Vertuschung beteiligt.» Dieses Zitat stammt von der CIA. Der amerikanische Geheimdienst frohlockt, dass er sogar ein Mitglied der Schweizer Regierung instrumentalisieren konnte. Dass ein Bundesrat im fernen Bern half, eine der erfolgreichsten amerikanischen Spionageoperationen vor der Entdeckung durch die Schweizer Justiz zu bewahren.

Gemeint ist Kaspar Villiger. Der Zeitpunkt ist 1994, als der FDP-Magistrat dem Eidgenössischen Militärdepartement vorstand. Der Luzerner sass von 1989 bis 2003 im Bundesrat. Eine Vertuschung einer ausländischen Geheimdienstaktion auf Schweizer Boden? Eine Ungeheuerlichkeit, das findet heute auch Villiger selber. Er bestreitet die Sache in einer Stellungnahme vehement.

Deshalb stellt sich die Frage: Wer schreibt die Wahrheit? Die CIA? Oder Villiger?

Villiger bestätigt Treffen

Das Zitat stammt aus den sogenannten Cryptoleaks, 280 Seiten Dokumente, geschrieben von der CIA und dem deutschen Bundesnachrichtendienst (BND). Die Geheimakten hat der Kölner Journalist Peter F. Müller aus unbekannten Quellen erhalten und mit anderen Medien geteilt, auch mit der «Rundschau» des Schweizer Fernsehens. Dieser Zeitung liegen Teile der Papiere vor. In den Cryptoleaks beschreibt die CIA über Dutzende Seiten, wie sie zusammen mit dem BND ab 1970 die Zuger Firma Crypto AG übernahm und wie sie mit der Firma manipulierte Verschlüsselungsgeräte an über 100 Länder und Regierungen verkauften.

Doch bereits 1994 verkündete der Crypto-AG-Angestellte Hans Bühler öffentlich, dass die Geräte manipuliert seien. Die Schweizer Bundespolizei begann, Verwaltungsräte der Zuger Firma zu vernehmen. «Georg Stucky, ein nichts ahnender Crypto-AG-Verwaltungsrat und Mitglied des Nationalrats, durchlief Mitte Mai ein intensives Verhör», schreibt die CIA. Stucky – er war 20 Jahre für die Zuger FDP im Bundeshaus – habe sich danach furchtbar aufgeregt und die Crypto-Leitung ultimativ aufgefordert, ihm zu sagen, wem die Firma tatsächlich gehöre.

«Nur Tage später ging Stucky zu Villiger, dem Verteidigungsminister», schreibt die CIA weiter. Wie das Gespräch verlief, scheint der Geheimdienst nur aus zweiter Hand zu wissen, darauf deutet die Schilderung des Inhalts hin: «Im Laufe des Meetings sagte Villiger: ‹Ah, du bist also der Typ im Verwaltungsrat dieser CIA-Firma›, oder eine ähnliche Aussage, die zeigte, dass er über den Einfluss der Amerikaner auf die Crypto AG genau im Bild war.»

Danach, so schreibt die CIA, habe Villiger geholfen, das Projekt geheim zu halten: «Er war einverstanden, dafür zu sorgen, dass die Schweizer Übermittlungstruppen ein an die Schweizer Regierung verkauftes Crypto-­AG-Gerät untersuchen würden, das sicher sei. Damit sei sichergestellt, dass niemand bemerken konnte, dass die Geräte manipuliert seien.»

«Nur Tage später traf sich Stucky mit Kaspar Villiger, dem Verteidigungsminister, in der Crypto-AG-Angelegenheit. Im Lauf des Meetings sagte Villiger: ‹Ah, du bist also der Typ im Verwaltungsrat dieser CIA-Firma› oder eine ähnliche Aussage, die zeigte, dass er über den Einfluss der Amerikaner auf die Crypto AG genau im Bild war. Aber er erkannte die Sensitivität und war einverstanden, dafür zu sorgen, dass die Schweizer Übermittlungstruppen ein an die Schweizer Regierung verkauftes Crypto-AG-Gerät untersuchen würden, das sicher sei. Damit sei sichergestellt, dass niemand bemerken konnte, dass die Geräte manipuliert seien. Zu dem Zeitpunkt, war also mindestens ein Mitglied des Bundesrats an der Vertuschung beteiligt.

Aber Villiger steckte in einem moralischen Dilemma. Der Bundesrat war dabei, der Firma von jedem Verdacht frei zu sprechen, was ihre Geräte betraf, doch er konnte die Besitzverhältnisse der Firma nicht ausloten. Villiger wusste, wem die Firma gehört und glaubte, dass er womöglich moralisch verpflichtet sei dies offenzulegen.“

Am 20. Dezember berichtete der Chef der Polizei dem Justizdepartement, dass es keine Grundlage gab, um mit einer offiziellen Untersuchung weiterzumachen. Offenkundig hatte Villiger den Mund gehalten. Was die Schweizer Regierung betraf, war damit die Bühler-Affäre vorbei.»

Nun sei zwar ein Bundesrat an der Vertuschung beteiligt gewesen, schreibt die CIA weiter, das habe Villiger aber in ein «moralisches Dilemma» gestürzt: «Villiger wusste, wem die Firma gehörte, und er dachte, er sei moralisch verpflichtet, dies offenzulegen.» Mit einer solchen ­Information wäre die ganze Spionage-Operation gefährdet gewesen. Doch sie flog nicht auf, gemäss der CIA dank dem FDP-Bundesrat: «Offenkundig hielt Villiger den Mund.» Auch die Bundespolizei kam damals zum Schluss, es gebe keine Gründe für weitere Ermittlungen gegen die Crypto AG.

Keine «Handlangerdienste»

Villiger, der heute 79 Jahre alt ist, dementiert diese Informationen über seine angebliche Rolle geradeheraus. «Ich war in diese nachrichtendienstliche Operation nicht eingeweiht», schreibt Villiger auf Anfrage dieser Zeitung. «Handlangerdienste für Drittstaaten, die den Ruf der Schweiz als verlässlich neutrales Land beschädigen können, hätte ich niemals gedeckt und auf jeden Fall im Bundesrat zur Sprache gebracht.» Weiter schreibt Villiger: «Wer und was auch immer hinter den CIA-Notizen zu meiner Person stecken mag: Sie stimmen in dieser Form nicht, denn eine detaillierte ­Information über die neutralitätspolitisch problematische Übungsanlage hätte mich alarmiert und zur Information des Bundesrats veranlasst.»

Alles, was er über die Angelegenheit wisse, habe er in mehreren Gesprächen von der «Rundschau» erfahren. «Ich muss deshalb davon ausgehen, dass ich während meiner Amtszeit nicht hinreichend informiert worden bin.» Diese Aussage deutet darauf hin, dass Villiger heute zumindest nicht ausschliesst, dass untergebene Stellen – etwa die Nachrichtendienste im Militärdepartement – etwas von der Operation wussten. Den Vertuschungsvorwurf weist Villiger jedoch scharf zurück. Er habe in der Crypto-Angelegenheit «nie eine aktive Rolle» gehabt. Und es hätte auch «meinen staatspolitischen Überzeugungen widersprochen», den Gesamtbundesrat nicht über solche Vorgänge zu informieren, schreibt Villiger.

Der Alt-Bundesrat dementiert jedoch nicht, dass es im Crypto-Kontext ein Treffen mit seinem Parteikollegen gegeben habe. «Ich erinnere mich an ein Treffen mit Nationalrat Stucky, wie es mit Parlamentariern üblich ist und ständig vorkommt», schreibt er auf Nachfrage. Dieses Treffen müsse im Zusammenhang mit der damaligen Untersuchung durch die Bundespolizei gestanden sein. «Dabei habe ich keinerlei Informationen bekommen, die mich auch nur im Entferntesten alarmiert hätten. Das hätte ich bestimmt nicht vergessen und wäre dem, wie das meinem Arbeitsstil entsprach, mit anderen zuständigen Stellen (inkl. Bundesrat) nachgegangen.»

CIA gegen Alt-Bundesrat

Villiger ist damit der erste bekannte Exponent, der Darstellungen in den Cryptoleaks ­widerspricht. Stucky konnte für eine Stellungnahme nicht kontaktiert werden. Gegenüber SRF liess der heute 89-jährige ausrichten: «An so etwas kann ich mich nicht erinnern.»

Es steht Aussage der CIA gegen Aussage eines Alt-Bundesrats. Auch deshalb drängt sich die Frage auf: Wie zuverlässig sind die Cryptoleaks-Dokumente?

Bei den seitenlangen Auszügen, die der Redaktion Tamedia vorliegen, handelt es sich um stolze Rückblicke der CIA und des BND auf den «Spionage-Coup des Jahrhunderts» (Zitat der CIA). Insider beschreiben darin ihre heldenhafte Rolle in der Weltgeschichte – teilweise nüchtern, teilweise dramatisch, manchmal eher anekdotisch, manchmal sehr detailreich.

Zweifellos sind die Autoren nahe dran, sie wissen vom Treffen Villigers mit Stucky und von vielen anderen Geschehnissen in der Schweiz, die sich überprüfen lassen. Doch deshalb müssen nicht alle geschilderten Einzelheiten und erst recht nicht die Wertungen korrekt sein.

Die Schweiz «im Griff»?

Ob die Amerikaner die Schweizer Behörden tatsächlich so «im Griff» hatten, wie die CIA schreibt, müssen nun die Abklärungen des Bundes zeigen. Die anberaumte Untersuchung von Alt-Bundesrichter Niklaus Oberholzer oder möglicherweise sogar von einer parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) müssen aufklären, ob Schweizer Nachrichtendienste und allenfalls auch Bundesräte in die Crypto-Operation verstrickt waren.

Als 1994 die Ermittlungen gegen die Crypto AG liefen, kontaktierten die Ermittler der Bundespolizei gemäss der CIA auch den «militärischen Geheimdienst». Welcher Dienst genau gemeint ist, wird nicht klar. Laut CIA waren jedenfalls Teile der Schweizer Nachrichtendienste voll im Bild und gaben den Amerikanern Schützenhilfe, wo sie nur konnten.

«Wie F. ging auch Bühler zur Bundespolizei. Er beklagte sich, dass etwas Seltsames vorgehe innerhalb der Crypto AG. Die Bundespolizei (das Pendant zum amerikanischen FBI) kontaktierte den militärischen Nachrichtendienst. Gewisse hohe Verantwortliche in der Organisation waren sich der deutschen und der amerikanischen Rolle in der Crypto AG im Allgemeinen bewusst und legten ihre Hand schützend über diese Verbindung. Ein Vertreter des Schweizer Nachrichtendienstes informierte die CIA, dass er ‹in der Lage sei, sicherzustellen, dass die offiziellen Resultate von jeder Untersuchung keine Manipulation der Geräte bestätigen wird›. Der Schweizer Chiffrierdienst sei in ihrer Hand, und wenn die Untersuchung der Geräte von der ETH übernommen würde, könnten sie vier der fünf Kryptologen, die möglicherweise involviert würden, ‹in den Griff kriegen›. Vertreter der Bundespolizei besuchten die Firma und sprachen mit G. und anderen, schienen aber nicht sehr interessiert daran, tiefer zu bohren. Sie schienen Bühler für irgendwie verrückt zu halten. Es war eindeutig ein Pro-Forma-Besuch.»

Wörtlich heisst es: «Gewisse hohe Verantwortliche (im Geheimdienst) waren sich der deutschen und amerikanischen Rolle in der Crypto im Allgemeinen bewusst und legten ihre Hand schützend über diese Verbindung. Ein Vertreter des Schweizer Nachrichtendienstes informierte die CIA, dass er ‹in der Lage sei, sicherzustellen, dass die offiziellen Resultate von jeder Untersuchung keine Manipulation der Geräte bestätigen wird›. Der Schweizer Chiffrierdienst sei in ihrer Hand, und wenn die Untersuchung der Geräte von der ETH übernommen würde, könnten sie vier der fünf Kryptologen, die möglicherweise involviert würden, ‹in den Griff kriegen›.»

Zufrieden stellt die CIA sodann fest, dass die Ermittler der Bundespolizei damals tatsächlich nicht sehr interessiert waren, tiefer zu bohren. Sie hätten gewisse Vernehmungen nur «pro forma» gemacht.

«Nicht koscher»

Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) betont in einer Stellungnahme vom Dienstag, dass er sich nicht äussern könne über Aktivitäten oder Entscheidungen seiner Vorgängerorganisationen. Er handle «strikt nach den gesetzlichen Vorgaben», und seine Tätigkeit werde von mehreren politischen und unabhängigen Behörden kontrolliert.

Der heutige Vize-Chef des NDB ist Jürg Bühler. Und just er war es, der damals in den 90er-Jahren bei der Bundespolizei die von der CIA erwähnte und belächelte Untersuchung leitete. Dafür hat Bühler gemäss eigenen Angaben viele Mitarbeiter der Crypto AG vernommen. «Wir hatten Leute, die sagten, sie hätten von der Hintertüre gehört, aber sie nie beschreiben können», sagt Bühler in der «Rundschau». «Tatsache war, dass uns niemand präzise Auskunft geben konnte oder wollte. Und nur gestützt auf Gerüchte und Hörensagen hat man eben nicht genügend Verdachtsmomente.»

Bühler ist damit neben Villiger der zweite bekannte Exponent, der Passagen der Cryptoleaks-Dokumente als falsch bezeichnet. Bühlers Aussage widerspricht aber in derselben Sendung der damalige Crypto-Mitarbeiter Bruno von Ah. «Ich habe dem von der Bundespolizei gesagt, dass es ein mögliches Hintertürchen gibt.» Ein Hintertürchen in den Chiffriergeräten der Crypto AG.

«Als X. 1978 entlassen wurde, erhob er gegenüber dem Schweizer Justizdepartement die Anschuldigung, die Crypto-Geräte seien manipuliert, ohne dass einer der Partner dies bemerkte. Wenngleich der Chef der Bundespolizei kein formelles Untersuchungsverfahren eröffnen wollte, liess er doch einige Geräte stillschweigend untersuchen. Der Schweizer Chiffrierdienst fand heraus, dass die Algorithmen nicht ganz das waren, was sie hätten sein sollen, aber er entdeckte nichts, das man hätte vor Gericht bringen können. Aber das Fehlen eines kriminellen Tatbestands bedeutete noch keine reine Weste. Es war den Schweizern klar, dass mit den Geräten etwas nicht koscher war. Diese Untersuchung verstärkte also den unterschwelligen Eindruck in der Bundespolizei und dem militärischen Nachrichtendienst, dass die Anschuldigungen von F. berechtigt waren. Jeder Involvierte wusste genug, um wegzuschauen.»

Die Bundespolizei hatte die Geräte dieser Firma bereits früher, Ende der 70er-Jahre, ein erstes Mal untersucht. Die Akten dazu sind verschwunden, wie die «Rundschau» herausfand. Zu dieser ersten Crypto-Untersuchung schreibt die CIA: «Es war den Schweizern (damals schon) klar, dass in den Geräten etwas nicht koscher war. Jeder Involvierte wusste genug, um wegzuschauen.» Auch diese ersten Untersuchungen verliefen im Sand.



Die Cryptoleaks in 7 Punkten

1. Über 100 Regierungen kauften in den letzten Jahrzehnten Verschlüsselungsgeräte der ehemaligen Zuger Firma Crypto AG. Sie chiffrierten damit streng geheime Nachrichten, auch im Krieg.

2. Staaten wie der Iran, Libyen, Ägypten und Saudiarabien vertrauten darauf, dass die Geräte aus der neutralen Schweiz nicht manipuliert waren.

3. Jetzt kommt aus: Die CIA und der deutsche BND hatten Hintertüren in den Crypto-Geräten. Sie konnten jahrzehntelang viele Staaten abhören. Der deutsche Geheimdienstkoordinator bestätigt die Operation. (Zur Recherche)

4. Die USA erhielten unschätzbare Informationen etwa in Konflikten mit Libyen und dem Iran.

5. Laut Dokumenten, die der «Rundschau» vorliegen, waren auch Vertreter des Schweizer Geheimdienstes eingeweiht.

6. Der Bundesrat hat Alt-Bundesrichter Niklaus Oberholzer (SP) beauftragt, bis Ende Juni die Faktenlage zu klären. (Zum Bericht)

7. Die beiden Nachfolgefirmen der Crypto AG sagen, sie wüssten nichts von der Operation. Wirtschaftsminister Parmelin hat der Crypto International AG bis zur Klärung der Lage die Generalausfuhrbewilligung sistiert.
(https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/crypto-leaks/das-steht-in-den-ciadokumenten-ueber-villiger/story/14718516)



tagesanzeiger.ch 13.02.2020

So knackt man ein Chiffriergerät

Wo stecken die Schwachstellen? Und wie baut man eine Hintertür ein? Kryptologe Kenny Paterson beantwortet die wichtigsten Fragen zur Crypto AG.

Christoph Lenz

Die Spionageaffäre um die Crypto AG wirft ein Schlaglicht auf ein geheimnisvolles Handwerk: die Kryptologie. Was passiert genau in einem Chiffriergerät?

Es kommt stark darauf an, von welchem Gerätetyp man spricht. Bis vor etwas mehr als 100 Jahren funktionierte Verschlüsselung noch primär mit Stift und Papier. Dann kamen zuerst mechanische und dann elektromechanische Geräte auf. In den Sechziger- und Siebzigerjahren wurden sie verdrängt durch rein elektronische Systeme.

Das berühmteste Gerät ist wohl die von den Nazis genutzte Enigma. Können Sie erklären, wie sie funktioniert

Die Enigma hat ein sehr komplexes Innenleben. Es gibt drei oder vier Walzen. Jede Walze hat zweimal 26 Kontakte für die 26 Buchstaben des Alphabets. Mit jedem Buchstaben, der eingetippt wird, verändert sich die innere Konfiguration der Walzen und der Kontakte. Jeder Buchstabe ist also auf eine neue, praktisch unvorhersehbare Weise verschlüsselt.

Wie knackt man eine Chiffriermaschine?

Nun, man kann es immer damit versuchen, alle Schlüssel auszuprobieren.

Was heisst das?

Stellen Sie sich einen Hausmeister vor, der mit einem grossen Schlüsselbund in einem riesigen Gebäude die Runde macht. Kommt er an eine verschlossene Tür, versucht er jeden Schlüssel, bis sich das Schloss öffnet.

Nicht sehr effektiv.

Nein. Eine Voraussetzung für sichere Systeme ist, dass es so viele mögliche Schlüssel gibt, dass man unmöglich alle durchprobieren kann.

Der Computer hat das radikal verändert, oder?

Nicht unbedingt. Die Enigma ist selbst durch einen heutigen Computer kaum zu knacken. Der Lorenz Geheimschreiber, ebenfalls ein Chiffriergerät aus dem Zweiten Weltkrieg, hat mehr mögliche Schlüssel als es Atome im Universum gibt.

Wie kann man ein solches Gerät sonst knacken?

Jedes Gerät hat seine Schwächen. Auch die Enigma und der Lorenz Geheimschreiber. Wegen ihnen musste man gar nicht alle Schlüssel durchprobieren. Stellen Sie sich den Hauswart vor: Das Aussehen des Schlosses verrät ihm, dass nur ein ganz bestimmter Schlüsseltyp in Frage kommt. Das spart viel Zeit.

Inwiefern hat das Aufkommen des Computers die moderne Kryptografie geprägt?

Früher nutzten nur das Militär, die Geheimdienste und vielleicht noch die Banken Verschlüsselungstechnologie. Heute ist sie allgegenwärtig. Jedes Mal wenn Sie ins Internet gehen, ist sie da. Was sich ebenfalls verändert hat: Wir designen unsere Verschlüsselungssysteme, also die Algorithmen, heute viel offener.

Was heisst offener?

In den meisten Fällen beruht ein Algorithmus heute auf einem öffentlich bekannten Verschlüsselungsstandard.

Warum hält man sich an einen Standard, wenn man doch ein Geheimnis möglichst gut schützen will?

Die Idee ist, dass ein veröffentlichter Standard von jedem überprüft werden kann. Schwächen werden festgestellt, die Sicherheit steigt. Das Gegenteil davon ist Obskurität. Auch sie kann in bestimmten Fällen einen effektiven Schutz bieten, aber vor allem kann Obskurität ein falsches Sicherheitsgefühl vermitteln. Man denkt, niemand versteht das selbst entwickelte System und übersieht wichtige Schwachstellen.

Auf welchen Standard setzen Sie?

Im Jahr 2000 hat das US Institut für Standards und Technologie einen Wettbewerb für einen neuen Verschlüsselungsstandard ausgeschrieben. Zwei Belgier haben ihn gewonnen mit ihrer Entwicklung AES. Das ist heute de facto der globale Standard.

Wie sicher ist er?

Es ist ein sehr, sehr guter Standard. Der alte Standard, der ebenfalls schon gut war, hatte 2hoch56 verschiedene Schlüssel. AES hat nun 2hoch128 Schlüssel. Sie müssen sich das mal vorstellen: Von 56 auf 57 ist es schon eine Verdoppelung der Kombinationen. Das geht so weiter bis 128. Es ist absolut unmöglich, alle Schlüssel auszuprobieren.

Heute vielleicht. Aber in Zukunft …

Selbst wenn sich die Rechnerkapazität von Computern alle 18 Monate verdoppeln sollte, was sie in letzter Zeit nicht mehr tut, wäre AES noch in 50 Jahren unknackbar. Bis heute sind auch noch keine erheblichen Schwachstellen entdeckt worden. Es ist wirklich ein sehr starker Standard. Aber mit ihm hat sich das Problem verlagert.

Inwiefern?

Die Schwachstelle steckt heute oft nicht mehr im Algorithmus, sondern anderswo. Wir müssen heute zum Beispiel viel besser aufpassen, dass unsere Feinde unsere Schlüssel nicht sehen.

Wie kann ein Kunde sicher sein, dass ihm nicht eine kompromittierte Verschlüsselungstechnologie verkauft wird?

Er muss versuchen zu überprüfen, ob das System tut, was es soll und nichts anderes. Das sind komplexe Fragen: Wie werden die Schlüssel generiert? Wie werden sie gespeichert? Gibt es Informationslecks? Gibt es Sidechannels?

Was ist ein Sidechannel?

In den Sechzigerjahren haben es die Briten geschafft, Mikrofone nahe an den Chiffriergeräten der Franzosen zu installieren. Sie haben die Geräte belauscht: Klick-klick, Klick-klick. Dank diesem akustischen Sidechannel konnten sie die Geräte später knacken.

Was ist eine Hintertür und wie schwierig ist es, eine solche in ein Verschlüsselungssystem einzubauen?

Eine Hintertür ist eine Abkürzung oder ein direkter Zugang zur originalen, unverschlüsselten Botschaft. Wir haben durch Edward Snowden erfahren, dass die US-Regierung versucht hat, in alle Verschlüsselungsalgorithmen Hintertüren einzubauen. Aber beim AES-Standard ist das sehr schwierig. Ich weiss das, weil ich es selbst einmal probiert habe.

Wozu?

Um zu verstehen, wo man nach einer Hintertüre suchen muss, wenn man schauen will, ob eine existiert.

War Ihr Versuch erfolgreich?

Wenn man genau hinschaut, sieht man die Türe.

Was heisst das?

Wenn ein Analyst nur eine Standardüberprüfung des Algorithmus macht, wird er sie nicht bemerken. Aber es gibt einige Stellen im Code, die komisch aussehen. Ein guter Analyst würde sich da Fragen stellen. Heute denke ich, dass man anders vorgehen müsste. Der richtige Weg wäre wohl, den Schlüssel zu beschädigen. So dass nur ein Teil des Schlüssels aktiv ist, was die Zahl der möglichen Kombinationen reduziert und es leichter macht, einfach alle Schlüssel zu versuchen.

Der Hausmeister-Trick.

Ja.
(https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/crypto-leaks/jedes-geraet-hat-seine-schwaechen/story/29577910)