Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel
+++BERN
Motion Fraktion GB/JA! (Seraina Patzen, JA!): Qualität der Asylunterkünfte in der Stadt Bern prüfen und verbessern
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=ed96df8c7da740b1b13bf6c139e4ead1
Postulat Tabea Rai (AL): Unterbringung von LGBT-Geflüchteten (Lesbian, Gay, Bi, Transgender) in separaten Asylunterkünften
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=9dc731acbc2442f19b5c6a4599c2b292
Motion Zora Schneider (PdA): Langjährige Sans Papiers in der Stadt Bern legalisieren
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=8b0e4fb485b24d4b9cd41bca94160cef
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bernerzeitung.ch 13.02.2020
Zähneknirschendes Ja zum Asylkredit
Die Stadt Bern kann Mitte Jahr unter geregelten Bedingungen damit
beginnen, im Asylbereich kantonale Aufgaben wahrzunehmen. Viel Kritik
richtete sich in der Debatte gegen den Kanton.
Christoph Hämmann
Zunächst für acht Jahre übernimmt die Stadt Bern im Asylbereich
kantonale Aufgaben. Der Stadtrat genehmigte dies am Donnerstagabend am
Ende deutlich mit 54 Ja- gegen 20 Nein-Stimmen (1 Enthaltung). Zuvor war
das Geschäft aber kritisiert worden – von allen Seiten, mit
unterschiedlichen Argumenten.
Es ging im Kern um eine Defizitgarantie, die der Gemeinderat beantragte.
Weil der Kanton im Bereich Integration nämlich 60 Prozent der
entstandenen Kosten nur bei entsprechenden Erfolgen punkto Sprach- und
Erwerbsintegration vergütet, riskiert die Stadt ein jährliches Defizit
von rund 400’000 Franken.
Das wurde nur schon deshalb kritisiert, weil die Stadt also Leistungen
vorfinanziert, für die eigentlich der Kanton aufkommen muss. Ebenfalls
bemängelt wurde, dass die Stadt selbst beim «realistischen» Szenario von
einem Defizit ausgeht. Damit habe sie in der Ausschreibung andere
Bewerber «unredlich» ausgebootet, hiess es etwa von der FDP/JF-Fraktion.
«Mission impossible»
Die Idee, sich allfällige Verluste schon im Voraus finanzieren zu
lassen, sei eine «Carte blanche», so FDP/JF-Sprecherin Barbara
Freiburghaus. «Transparent wäre, nach Minusjahren einen Nachkredit zu
beantragen.» Ihre Fraktion beantragte deshalb, das Geschäft
zurückzuweisen.
Zurückweisen wollte die GFL/EVP nur, wenn ihre beiden Anträge nicht
durchkommen würden: keine Benachteiligung bei der Förderung von
Geflüchteten mit vergleichsweise wenig Ressourcen, klare Kriterien für
Freiwillige etwa bei Sprachkursen. Doch selbst dann erfolgte ihre
Zustimmung zähneknirschend, machte GFL/EVP-Sprecherin Francesca
Chukwunyere deutlich. Die Erfolgsvorgaben des Kantons geisselte sie als
«Mission impossibile».
Retouchen anbringen an einer Vorlage, die man auch danach noch skeptisch
betrachten würde: Dies war auch die Position der GLP/JGLP.
«Schlechte Ausgangslage»
Harsche Kritik äusserte auch die Ratslinke – am Kanton. Weil auch sie
die Zielvorgaben des Kantons teilweise als unerfüllbar erachtet,
bestraft das neue System laut SP/Juso-Sprecherin Nora Krummen
diejenigen, die sich um die Integration von Geflüchteten bemühen. «Die
vorliegende Lösung ist das Optimum, das die Stadt in einer sehr
schlechten Ausgangslage herausholen kann», so Krummen.
Sozialdirektorin Franziska Teuscher (GB) betonte, dass der Gemeinderat
eine ausgeglichene Rechnung anstrebe und Steuerungsmöglichkeiten habe,
um dies zu erreichen. Die Stadt rechne nur deshalb selbst im besten Fall
bloss mit einem winzigen Plus, weil sie so viel Geld wie möglich in
die Integrationsförderung stecken wolle – und keinen Gewinn anstrebe,
wie das verschiedentlich der privaten ORS vorgeworfen wurde.
«Wir haben Respekt vor der Aufgabe», sagte sie und meinte die Arbeit mit
verletzlichen Menschen und das Abgeltungssystem des Kantons. Dass die
Geflüchteten, um die sich die Stadt künftig kümmern wird, nach einer
gewissen Zeit ohnehin in Obhut der Gemeinden kommen, sei aber eine
weitere Motivation, sich um diese Menschen zu kümmern. Spätestens nach
Annahme der Ergänzungen von GFL und GLP war klar, dass Teuscher einen
Erfolg feiern würde.
(https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/berner-stadtrat-stimmt-zaehneknirschend-fuer-asyldefizitgarantie/story/26666230)
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derbund.ch 13.02.2020
Schreckgespenst verhilft Teuscher im Stadtparlament zum Sieg
Um eine gewinnorientierte Firma zu verhindern, ist das Berner Stadtparlament im Asylbereich zu vielem bereit.
Fabian Christl
Am Ende stellte sich das Berner Stadtparlament hinter die
Defizitgarantie in der Höhe von 3,36 Millionen Franken für Massnahmen
zur beruflichen Integration von Flüchtlingen. In der Ratsdebatte vom
Donnerstagabend wurde aber rasch deutlich: Die Lust, im Asylbereich als
regionaler Partner des Kantons zu fungieren, hat angesichts der
Konditionen deutlich nachgelassen. So ist die Entgeltung des Kantons für
die Integrationsmassnahmen erfolgsabhängig. Dabei hat die Stadt wenig
Einfluss darauf, «dass genügend Stellen auf dem Arbeitsmarkt vorhanden
sind», wie GFL-Sprecherin Francesca Chukwunyere sagte. «Ein weiteres Mal
müssen wir Aufgaben finanzieren, die eigentlich in der Zuständigkeit
des Kantons liegen», ergänzte Nora Krummen, Sprecherin der
SP/Juso-Fraktion.
Dabei tat die Stadt einst alles, um den Zuschlag zu bekommen. Sie
versuchte sogar (vergebens), den Wettbewerb zu umgehen und den Auftrag
per Direktvergabe zu bekommen, wie der «Bund» publik machte. Und, so
interpretierte etwa GLP-Sprecherin Marianne Schild die gewünschte
Defizitgarantie, sie hat zu einem «Dumpingpreis» offeriert, um
Mitbewerber wie Caritas auszubooten. Deshalb galt die Kritik des
Stadtrats nicht nur dem bürgerlichen Kanton, sondern auch der
zuständigen Gemeinderätin Franziska Teuscher (GB).
Gut gemeint, aber
Und diese erhielt nicht nur von bürgerlicher Seite Kritik. Selbst die
GFL zeigte wenig Verständnis für das Vorgehen des Gemeinderats. So
formulierte die Partei für ihre Zustimmung zur Defizitgarantie die
Bedingung, dass ihre Anträge angenommen werden. Diese sehen vor, dass
sich die Stadt nicht der finanziellen Verlockung hingibt und nur in die
Integration von Flüchtlingen mit guten Erfolgsaussichten investiert «und
die Schwachen sich selbst überlässt». Zudem brauche es zwecks
Qualitätssicherung klare Kriterien für die Zusammenarbeit mit
Freiwilligenorganisationen.
Da die GFL für gewöhnlich als Mehrheitsbeschafferin fungiert, wurde die
Drohung ernst genommen. Das Problem war einzig: Die Anträge schienen
vielen zwar sympathisch, aber nicht zu Ende gedacht. «Es macht doch
Sinn, Junge stärker zu fördern als weniger Junge», fand jedenfalls
GLP-Sprecherin Marianne Schild. Und in der Forderung nach einem
Kriterienkatalog ortete sie unnötige «Bürokratie».
Alles oder nichts
Letztlich fanden aber die GFL-Anträge und die Defizitgarantie klare
Mehrheiten. Dies vor allem, weil bei einem Nein die Stadt nicht mehr als
regionaler Partner des Kantons hätte fungieren können, wie Teuscher
betonte. Wie mehrere Sprecherinnen und Sprecher sagten, wäre damit der
Weg frei geworden für die gewinnorientierte Firma ORS – ein
Schreckgespenst für die Ratslinke.
(https://www.derbund.ch/bern/schreckgespenst-verhilft-teuscher-im-stadtparlament-zum-sieg/story/24807651)
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derbund.ch 13.02.2020
Finden die Flüchtlinge künftig keinen Job, muss die Stadt zahlen
Wenn die Stadt Bern ihre Flüchtlinge künftig nicht im Arbeitsmarkt
integriert, bekommt sie weniger Geld vom Kanton. Nun verlangt der
Gemeinderat eine Defizitgarantie.
Andres Marti
Der Bund will anerkannte Flüchtlinge künftig rascher integrieren. Der
Kanton Bern macht den für die Betreuung zuständigen Organisationen
deshalb strenge Vorgaben: So müssen sie etwa dafür sorgen, dass
spätestens drei Jahre nach der Einreise die Flüchtlinge rudimentär
Deutsch sprechen. Zudem muss mindestens die Hälfte der anerkannten
Flüchtlinge nach fünf Jahren einen Job haben oder eine Ausbildung
machen, die vorläufig Aufgenommenen nach sieben Jahren. Ein Viertel von
ihnen soll nach dieser Zeit finanziell komplett unabhängig sein.
Angesicht der vielen oft prekären Arbeitsverhältnisse ist auch dies ein
ehrgeiziges Ziel.
Falls die regionalen Partner die Vorgaben der zuständigen Gesundheits-,
Sozial- und Integrationsdirektion (GSI) nicht erreichen, gibt es künftig
weniger Geld. Im schlimmsten Fall erhalten die Asyl-Partner der GSI nur
noch 40 Prozent der Betreuungskosten. Die restlichen 60 Prozent sollen
künftig nur fliessen, wenn die Integrationsziele erfüllt werden.
Bis zu drei Millionen Verlust
Die Stadt Bern wird ab Mitte 2020 für die Integration von rund 1700
Flüchtlingen in Stadt und Umgebung zuständig sein. Für den achtjährigen
Auftrag hat sie letztes Jahr von der GSI den Zuschlag erhalten.
Bekanntlich hatten andere Asylorganisationen bei dieser grossen
Neuverteilung das Nachsehen, etwa das Hilfswerk Caritas.
Falls die Integration der Flüchtlinge nun komplett schiefgehen sollte
(«worst case»), rechnet die Stadt mit einem Verlust von 3,24 Millionen
Franken oder rund 400000 Franken pro Jahr. Auch im sogenannten
«realistic case» rechnet die Stadt mit einem Verlust von 1,26 Millionen
Franken. Theoretisch könnte der Leistungsvertrag mit dem Kanton auf Ende
2022 gekündet werden.
Nun verlangt der Gemeinderat vom Stadtparlament aber zunächst eine
Risikoabsicherung: Als Grund dafür nennt die Stadt «externe Faktoren»,
namentlich die «Bereitschaft der Wirtschaft, Personen des Asyl- und
Flüchtlingsbereichs einzustellen». Auch Faktoren wie Alter, Gesundheit
oder vorhandene Kompetenzen der Flüchtlinge könne die Stadt nicht
beeinflussen.
Mit dem Antrag des Verpflichtungskredits stösst der Gemeinderat im
Stadtrat auf Widerstand. Die GFL/EVP-Fraktion äussert sich in einer
Mitteilung «befremdet darüber, dass die Stadt in diesem Bereich Aufgaben
übernimmt, welche andernorts von Hilfswerken geleistet werden». Die
Stadt konkurrenziere private Asylorganisationen und verlange nun eine
Defizitgarantie von der öffentlichen Hand, sagt Fraktionspräsident Lukas
Gutzwiller (GFL). «Dieses Vorgehen finden wir fragwürdig.»
Die zu erreichenden Integrationsziele sind für die GFL/EVP-Fraktion
zudem «unrealistisch hoch». Sie fürchtet ausserdem falsche Anreize: Um
das Risiko möglichst gering zu halten, sei die Stadt künftig gezwungen,
sehr genau abzuwägen, in welche Personen sie investiere. Die Gefahr,
dass nur mehr Junge, gut Gebildete, Gesunde in den Genuss von
Integrationsmassnahmen kommen, sei deshalb gross.
«Keine seriöse Offerte»
Während die GFL/EVP-Fraktion «Nachbesserungen» fordert, lehnt die FDP
den Eventualkredit komplett ab. «Wenn der Gemeinderat selbst in seinem
realistischen Szenario von einem Verlust ausgeht, ist das für uns keine
seriöse Offerte», sagt FDP-Stadträtin Barbara Freiburghaus auf Anfrage.
Das sei auch gegenüber den beim Auswahlverfahren unterlegenen
Asylorganisationen unfair. «Diese müssen besser rechnen und können nicht
erst danach von der öffentlichen Hand eine Defizitgarantie fordern»,
sagt Freiburghaus. Der Gemeinderat wollte am Mittwoch zu diesen
Vorwürfen nicht Stellung nehmen.
Ein «zentrales Anliegen»
Bei der zuständigen Direktion für Bildung, Soziales und Sport (BSS)
verteidigt man jedoch das Vorgehen der Stadt: Die Integration von
geflüchteten Menschen sei eine wichtige öffentliche Aufgabe, «die gute
und möglichst rasche Integration von Asylsuchenden und Flüchtlingen ein
zentrales und dringliches Anliegen». Die Stadt sei deshalb froh, dass
sie den Zuschlag erhalten habe. «Denn so kann sie mitbestimmen und
mitgestalten, wie die Aufgabe erfüllt wird», heisst es in einer
schriftlichen Stellungnahme. Im Gegensatz zu einer privaten Organisation
unterliege so die Aufgabenerfüllung der «demokratischen Kontrolle».
–
«Fördern und Fordern»
Im Zentrum des neuen Asylmodells steht der Grundsatz «Fördern und
fordern». So wird zum Beispiel der Umzug von einer Kollektivunterkunft
in eine Wohnung ans Sprachniveau (A1) und an eine Erwerbstätigkeit oder
Ausbildung gebunden. Wer das nicht schafft, muss entsprechend länger in
den Kollektivunterkünften bleiben. Für Familien, Kinder und Kranke sind
Ausnahmen vorgesehen. Diesem Integrationsmodell hat der Grosse Rat
letzten Sommer deutlich zugestimmt.
(https://www.derbund.ch/bern/finden-die-fluechtlinge-kuenftig-keinen-job-muss-die-stadt-zahlen/story/13400294)
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bernerzeitung.ch 13.02.2020
Asylstrategie: Stadt Bern droht Defizit von 400’000 Franken
Ab Mitte Jahr ist die Stadt Bern im Auftrag des Kantons für das
Asylwesen in sieben Gemeinden zuständig. Dabei droht ihr ein jährliches
Defizit.
Christoph Hämmann
Mitte Jahr beginnt im kantonalen Asylbereich eine neue Zeitrechnung.
Nach der Neustrukturierung des Asyl- und Flüchtlingsbereichs arbeitet
der Kanton neu bloss noch mit fünf Partnerinnen zusammen. Eine ist die
Stadt Bern: Sie ist künftig in der Stadt selber und in den Gemeinden
Bremgarten, Kirchlindach, Köniz, Muri, Ostermundigen und Zollikofen für
Unterbringung, Integrationsförderung und Sozialhilfe für vorläufig
Aufgenommene und anerkannte Flüchtlinge zuständig.
Heute Abend landet das Geschäft im Stadtparlament. Hinter den Kulissen
ist es aber in den letzten Tagen bereits intensiv diskutiert worden. Die
zuständige Sozialdirektorin Franziska Teuscher (GB) will im Stadtrat
eine Defizitgarantie abholen. Eine solche ist notwendig, weil die
Neuorganisation des kantonalen Asylbereichs von Integrationsminister
Pierre Alain Schnegg (SVP) geprägt ist. Diesem gefällt es immer
wieder,im Sozialbereich Leistungen zu kürzen und den Druck auf
Bedürftige zu erhöhen.
Nur 40 Prozent fix
Im vorliegenden Fall sieht dies so aus: Die Kosten der
Integrationsförderung – Sprachkurse und Arbeitsintegration – werden vom
Kanton nur zu 40 Prozent pauschal gedeckt. Die restlichen 60 Prozent
sind erfolgsabhängig: Erreichen die Flüchtlinge die vorgegebenen
Sprachfähigkeiten nicht, sind nicht genügend viele erwerbstätig oder
finanziell unabhängig, dann reduziert der Kanton die Bezahlung.
Doch Integration ist anspruchsvoll, und einige wichtige
Rahmenbedingungen sind kaum zu beeinflussen. Dies gilt insbesondere für
die Ressourcen der Menschen, die der Stadt zugeteilt werden, sowie für
die Anzahl geeigneter Arbeitsstellen. Für den schlechtesten Fall rechnet
der Gemeinderat in seinem Vortrag deshalb damit, während der
achtjährigen Vertragsdauer mit dem Kanton 3,24 Millionen Franken Verlust
zu machen – rund 400’000 Franken jährlich. Beim «realistisch» genannten
Szenario geht er immer noch von einem Minus von 1,26 Millionen aus, im
besten Fall resultiert ein Plus von total 150’000 Franken.
Forderungen der GLP
Für Bürgerliche zeigt dies, dass die Stadt einen Verlust einkalkuliert
hat, um sich das begehrte Mandat zu holen. Verschiedene Quellen
kritisieren, dass die Stadt damit – mit dem Steuerzahler im Rücken –
Private ausgebootet hat, die präziser kalkulieren müssen.
Dem widerspricht Claudia Mannhart, Co-Generalsekretärin in Teuschers
Sozialdirektion. «Der Gemeinderat strebt eine ausgeglichene Rechnung
an», sagt sie. Zwar sei das Ergebnis tatsächlich schwierig abzuschätzen.
«Aber wir sind zuversichtlich, unsere Angebote so steuern zu können,
dass wir dieses Ziel erreichen.» Integration sei eine wichtige
öffentliche Aufgabe, betont Mannhart, und je erfolgreicher die Stadt
diese bewältige, desto eher seien Entlastungen in der Sozialhilfe
möglich. «Wenn die Stadt diese Aufgabe selber wahrnimmt, ist zudem
anders als bei Privaten eine demokratische Kontrolle möglich.»
Bei der FDP überwiegt trotzdem die Skepsis. Wie Fraktionschef Bernhard
Eicher bestätigt, wird sie die Vorlage zurückweisen. Und auch die
GLP/JGLP-Fraktion sieht das Geschäft kritisch, tendiert laut
Co-Fraktionschefin Marianne Schild aber gegen eine Rückweisung. Sie
verlangt allerdings zwei Ergänzungen. Zum einen sollen die neuen
Stellen, die für die Erfüllung des Auftrags nötig sind – laut Direktion
Teuscher maximal zehn –, befristet besetzt werden. «Der Vertrag kann mit
einer Frist von zwölf Monaten jeweils per Jahresende gekündigt werden,
erstmals per 31. Dezember 2022», zitiert Schild aus dem Vortrag des
Gemeinderats. «Deshalb müssen unserer Ansicht nach auch die Stellen
entsprechend befristet werden.»
Der zweite Antrag von Schilds Fraktion ergibt sich aus dem ersten: «Der
Gemeinderat soll im Herbst 2021 Bericht über das Mandat erstatten. Damit
hat der Stadtrat eine Grundlage, das Geschäft mit Blick auf die erste
Kündigungsmöglichkeit zu beurteilen.» Im Gespräch kritisiert Schild
zusätzlich den Umstand, dass die Stadt Leistungen des Kantons
vorfinanziert – und das Risiko allein trägt, obwohl sechs weitere
Gemeinden profitieren. «Wenn der Auftrag ein Verlustgeschäft ist,
übernehmen die städtischen Steuerzahler damit Kosten, die erstens der
Kanton tragen müsste und die zweitens auch in der Agglomeration
entstanden sind.»
Bedingungen der GFL
Skeptisch ist weiter die GFL/EVP-Fraktion, Mehrheitsbeschafferin in der
Mitte. Stadträtin Francesca Chukwunyere (GFL) findet zweierlei
grundsätzlich stossend: dass der Kanton gewillt ist, auf dem Buckel der
Integration von Menschen, die meist lange in der Schweiz bleiben werden,
zu sparen; und dass er sich seine Leistungen von der Stadt auch noch
vorfinanzieren lässt. «Es ist aber eine Wahl zwischen dem Teufel und dem
Beelzebub», sagt sie: «Wenn die Stadt den Auftrag nicht wahrnimmt,
landet er am ehesten bei der ORS. Und das wollen wir auch nicht.» Die
national tätige, gewinnorientierte ORS sorgt immer wieder für Kritik und
ist für Linke ein rotes Tuch.
Als «Schadenminderung» verlangt die GFL/EVP zwei Ergänzungen und macht
ihre Zustimmung davon abhängig, dass diese angenommen werden: Erstens
soll der Gemeinderat darlegen, dass alle Flüchtlinge und vorübergehend
Aufgenommenen zu gleichen Teilen gefördert werden. «Sonst droht
angesichts des Bonussystems, dass jene besonders gefördert werden, die
am meisten Potenzial haben.» Zweitens verlangt die GFL/EVP, dass der
Gemeinderat Qualitätskriterien für Freiwilligenangebote definiert und
diese auch überprüft. Hintergrund dieser Forderung ist laut Chukwunyere,
dass etwa Freikirchen Gratisdeutschkurse anbieten, die sie dann auch
gleich noch mit Bibelunterricht füllen.
Ein realistisches Szenario für die heutige Stadtratsdebatte ist dies:
Mitte-links nimmt die GFL/EVP-Anträge an – wegen der ORS, wegen des
Willens zur Integrationsarbeit. Und genehmigt danach den Kredit.
(https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/teuschers-riskante-asylstrategie/story/26142102)
—
Neustrukturierung Asyl- und Flüchtlingsbereich im Kanton Bern NA-BE:
Umsetzungsplanung; Verpflichtungskredit für Risikoabdeckung
(Eventualverpflichtung)
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=292fdfe3a76b4350b4531234155b023c
Ein jemenitischer Journalist kämpft in der Schweiz für sein Land
In der Schweiz leben kaum Jemeniten. Der Journalist Saddam Hamed Abu
Asim gehört zu den wenigen, denen die Flucht aus dem Bürgerkriegsland
hierher gelungen ist. In der Schweiz darf er schreiben, was er will.
Doch für dieses Leben in Sicherheit zahlt er einen hohen Preis.
https://www.swissinfo.ch/ger/migration_ein-jemenitischer-journalist-kaempft-in-der-schweiz-fuer-sein-land/45531038
+++SCHWEIZ
Griechenland – das Labor Europas
Die Lager in der Ägäis sind überfüllt. Die Zustände unhaltbar.
Unmenschlich. Die griechische Regierung hat Massnahmen angekündigt.
Wenig überraschend liegt der Fokus auf Restriktionen, Haft, Abwehr und
Abschreckung. Die Schweiz kündigt derweil Unterstützung in
homöopathischen Dosen an. Das ist zu wenig.
https://www.fluechtlingshilfe.ch/news/archiv/2020/griechenland-das-labor-europas.html
+++UNGARN
Flüchtlingspolitik: Ungarn gewährt kaum mehr Asyl
Ungarns Ministerpräsident Orbán verfolgt eine rigide Flüchtlingspolitik.
Im vergangenen Jahr lag die Zahl der genehmigten Asylanträge im
zweistelligen Bereich.
https://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge-ungarn-gewaehrt-kaum-mehr-asyl-a-462da110-9132-4a42-8a4e-bbe500d26010
-> https://de.euronews.com/2020/02/13/ungarn-gewahrt-nur-noch-in-wenigen-fallen-asyl
+++EUROPA
Spanien darf Migranten weiterhin umgehend nach Marokko abschieben – kein Verstoss gegen die Menschenrechte
Spanien darf nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte (EGMR) in seiner Exklave Melilla Migranten bei
Grenzübertritt umgehend nach Marokko zurückweisen. Dieses Vorgehen
verstosse nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, teilte
die Grosse Kammer des Gerichtshofes am Donnerstag in Strassburg mit. Sie
widersprach damit einem Urteil aus dem Jahr 2017. Darin hatte der EGMR
entschieden, dass die sogenannten «Push-backs» oder
Kollektivausweisungen gegen die Konvention verstossen. Die spanische
Regierung hatte danach beantragt, dass der Fall an die Grosse Kammer des
Gerichtshofs weitergeleitet wird.
https://www.nzz.ch/international/spanien-darf-migranten-weiterhin-umgehend-nach-marokko-abschieben-kein-verstoss-gegen-die-menschenrechte-ld.1540414
-> https://www.derstandard.at/story/2000114540684/massenhafte-abschiebungen-an-spaniens-grenze-erlaubt
-> https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-02/fluechtlingspolitik-migranten-spanien-marokko-pushbacks-egmr
-> https://www.tagesschau.de/ausland/egmr-abschiebepraxis-spanien-101.html
-> https://taz.de/EU-Grenzpolitik/!5660072/
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/play/radio/echo-der-zeit/audio/spanien-darf-asylantraege-verweigern?id=32ab342a-0b59-4fef-b0f3-d88e67e9e6ed
-> https://www.nzz.ch/international/spanien-darf-migranten-weiterhin-umgehend-nach-marokko-abschieben-kein-verstoss-gegen-die-menschenrechte-ld.1540414
+++TUNESIEN
Mitten in der Wüste
Tunesien plant Errichtung von Flüchtlingslager für bis zu 50.000 Menschen. EU dringt auf engere Kooperation
https://www.jungewelt.de/artikel/372546.fl%C3%BCchtlinge-in-tunesien-mitten-in-der-w%C3%BCste.html
+++FREIRÄUME
Gastgewerbe Kontrollen Reitschule Bern – Schweiz Aktuell
Gastgewerbliche Kontrollen wie etwa Jugendschutz oder Rauchverbot seien
aus Sicherheitsgründen nicht mehr möglich, so die Kritik. Die Reitschule
Bern weist die Anschuldigungen zurück.
https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/gastgewerbe-kontrollen-reitschule-bern?id=c415358e-b3f7-4ba1-9539-29dd49531af7
Keine Kontrollen: SVP wirft Stadt Sonderbehandlung bei Reitschule vor
Seit fünf Jahren kontrolliere die Gewerbepolizei die Gastrobetriebe
„Sous Le Pont“ und „Rössli“ der Berner Reitschule angeblich nicht mehr.
Kontrollen seien zu gefährlich, berichtet die Zeitung „Der Bund“. Die
SVP nutzt diese Gelegenheit für eine weitere Debatte mit dem Stadtrat.
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/keine-kontrollen-svp-wirft-stadt-sonderbehandlung-bei-reitschule-vor-136367494
+++GASSE
25 Jahre Letten-Schliessung – Als Zürich das Drogenelend endlich in den Griff bekam
1995 gelang der Stadt Zürich, woran sie beim Platzspitz 1992 gescheitert war: Die Auflösung der offenen Drogenszene.
https://www.srf.ch/news/regional/zuerich-schaffhausen/25-jahre-letten-schliessung-als-zuerich-das-drogenelend-endlich-in-den-griff-bekam
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Revision Reglement vom 20. Oktober 2005 über Kundgebungen auf öffentlichem Grund (Kundgebungsreglement; KgR)
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=1e62147adbb84f8e87e8fd2099be32b8
Kurdendemo behindert Tramverkehr
Am Donnerstagnachmittag findet in Basel eine bewilligte Demonstration
von Kurden statt. Der Tramverkehr in der Innerstadt ist beeinträchtigt.
https://telebasel.ch/2020/02/13/kurdendemo-behindert-tramverkehr
-> https://www.bzbasel.ch/basel/oecalan-demonstration-basler-tramnetz-und-verkehr-beeintraechtigt-136365053
+++REPRESSION TÜRKEI
Türkei ermittelt gegen SP-Nationalrat Mustafa Atici
Die Türkei hat gegen den Basler SP-Nationalrat Mustafa Atici eine
Strafuntersuchung eingeleitet. Die Justiz ermittelt wegen angeblicher
Terror-Unterstützung.
https://telebasel.ch/2020/02/13/tuerkei-ermittelt-gegen-sp-nationalrat-mustafa-atici
-> https://www.srf.ch/news/regional/basel-baselland/basler-nationalrat-tuerkei-ermittelt-gegen-mustafa-atici
-> https://www.bzbasel.ch/basel/untersuchung-in-tuerkei-atici-wird-terrorunterstuetzung-vorgeworfen-136364873
-> https://www.bazonline.ch/basel/stadt/gilt-atici-in-der-tuerkei-als-terrorhelfer/story/25509940
-> https://www.20min.ch/schweiz/basel/story/Tuerkei-ermittelt-gegen-Nationalrat-Mustafa-Atici-28052471
-> https://www.woz.ch/2007/schweiz-tuerkei/erdogan-schaut-auch-nach-basel
+++BIG BROTHER
«Ich fühle mich auf dem Heimweg beobachtet»
Ein Leser befürchtet, von Überwachungskameras beim Haus des Botschafters
von Kuwait gefilmt zu werden. Die Botschaft beteuert jedoch, dass nur
der Zaun im Fokus stehen werde.
https://www.20min.ch/schweiz/bern/story/-Ich-fuehle-mich-beobachtet–25490997
Volk hat das letzte Wort zum E-ID-Gesetz
Der digitale Pass kommt definitiv an die Urne. Das Referendumskomitee hat knapp 65’000 gültige Unterschriften eingereicht.
https://www.derbund.ch/schweiz/standard/volk-hat-das-letzte-wort-zum-eidgesetz/story/22149801
-> https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-78091.html
Vor der Premiere von «Moskau einfach!»: Regisseur Micha Lewinsky sieht in Bern seine Fiche ein
Miriam Stein und Mike Müller in den Schweizer Kinos an. Das Werk zum
Fichenskandal von 1990 erlangt durch den eben aufgebrochenen
Crypto-Skandal zusätzliche Aktualität.
https://www.blick.ch/people-tv/kino/vor-der-premiere-von-moskau-einfach-regisseur-micha-lewinsky-sieht-in-bern-seine-fiche-ein-id15746583.html
+++HOMOHASS
Interpellation SP/JUSO (Mohamed Abdirahim, JUSO): Hate-Crime: Was sind die konkreten Zahlen in Stadt Bern?
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=64f8c8f1839f4ba594792575c766ff81
+++RECHTSPOPULISMUS
Die Schwachen tragen die Last: Frank A. Meyer über das Flüchtlings-Chaos in Griechenland
Frank A. Meyer sinniert über das Chaos in Griechenland und die tausenden
Menschen, die auf der Suche nach einer neuen Heimat sind. Aber auch
über alle die Menschen, die ungefragt die ganze Last tragen müssen.
https://www.blick.ch/news/politik/fam/frank-frei/die-schwachen-tragen-die-last-frank-a-meyer-ueber-das-fluechtlings-chaos-in-griechenland-id15747465.html
+++RECHTSEXTREMISMUS
Hasskrieger: Der neue globale Rechtsextremismus
Von Christchurch bis Halle: Wie sich der Rechtsterrorismus neu erfindet
Radikale und extreme Rechte vernetzen sich längst nicht mehr nur durch
geheime Treffen. Sie sind ganz offen im Internet unterwegs, über alle
nationalen Grenzen hinweg. Ihr Umgang mit der digitalen Infrastruktur
ist versiert. Ihre Mittel: Strategiepapiere, Guerilla-Marketing und
organisierte Hasskampagnen. An die Stelle straff organisierter Gruppen
treten immer öfter lose Netzwerke. Viele radikalisieren sich, ein Teil
von ihnen greift zur Gewalt, einige von ihnen töten. Karolin Schwarz,
Journalistin und Expertin für rechte Propaganda im Internet, zeigt, wie
sich Rechtsextremismus organisiert und eine neue Form des globalen
Terrorismus entsteht, dessen Gewalt zum Ausbruch kommt. Parallel tragen
rechtspopulistische Regierungen und totalitäre Regime Lüge und Hetze
über das Netz nach Europa – eine unheilvolle Allianz. Schwarz macht
deutlich: Gesellschaft, Justiz und Politik sind keineswegs wehrlos.
Dafür müssen sie rechte Strategien und Technologien aber kennen und
verstehen.
https://www.herder.de/geschichte-politik-shop/hasskrieger-klappenbroschur/c-34/p-18053/
+++HISTORY
Auf Krawall gebürstet
Vor vierzig Jahren brannte Zürich. Olivia Heussler war Teil der unruhigen Achtziger und hat sie festgehalten.
https://www.tagesanzeiger.ch/zueritipp/kunst/auf-krawall-gebuerstet/story/21451258
+++CRYPTOLEAKS
Ein Ex-Ingenieur der Crypto AG packt aus – 10vor10
Spörndli, damals junger Ingenieur in der Crypto AG, sah seine Aufgabe
darin, möglichst gute, sichere Algorithmen zu entwickeln. Ein Irrtum.Im
Studiogespräch Adrian Hänni, Schweizer Historiker mit
Forschungsschwerpunkt Nachrichtendienste im Kalten Krieg.
https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/fokus-ein-ex-ingenieur-der-crypto-ag-packt-aus?id=047d95df-a4d3-4d1c-940a-97575205f547
Cryptoleaks: Jetzt untersucht die Geheimdienstaufsicht
Was wusste die Schweiz in der Spionageaffäre? Diese Frage will die Geschäftsprüfungsdelegation mit einer Inspektion beantworten.
https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/crypto-leaks/cryptoleaks-antworten-hat-der-bundesrat-noch-keine/story/11539822
-> https://www.parlament.ch/press-releases/Pages/mm-gpk-n-s-2020-02-13.aspx
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/geheimdienst-affaere-geschaeftspruefungsdelegation-untersucht-crypto-affaere
-> https://www.20min.ch/schweiz/news/story/GPDel-informiert-ueber-die-Spionage-Untersuchungen-17356093
-> https://www.watson.ch/schweiz/international/995455083-cryptoleaks-gpdel-will-wissen-was-die-schweizer-behoerden-wussten
-> https://www.blick.ch/news/svp-heer-untersucht-crypto-skandal-wir-haben-uns-ueberlegt-wen-wir-vorladen-id15747326.html
-> https://www.nzz.ch/meinung/die-neutralitaetspolitische-vertrauensfrage-hinter-den-crypto-leaks-ld.1540106
-> https://www.zentralplus.ch/crypto-affaere-geschaeftspruefungsdelegation-startet-untersuchung-1729285/
-> https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/crypto-affaere-geschaeftspruefungsdelegation-eroeffnet-untersuchung-136365878
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/play/radio/echo-der-zeit/audio/parlament-nimmt-spionage-untersuchung-selbst-in-die-hand?id=17cf3ba4-b284-423d-a5ef-97a7faed399c
-> https://www.telebaern.tv/telebaern-news/cryptoleaks-jetzt-kommen-ehemalige-bundesraete-in-die-mangel-136367512
-> https://www.telezueri.ch/zuerinews/parlament-nimmt-crypto-affaere-unter-die-lupe-136367569
-> Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/die-crypto-ag-und-die-politik?id=2557a32b-2367-4fee-b984-7c7967428dde
-> https://www.tele1.ch/artikel/159238/gpdel-untersucht-crypto-affaere
-> https://www.nzz.ch/schweiz/crypto-affaere-das-parlament-beginnt-eine-eigene-untersuchung-ld.1540399
Crypto-Affäre: «Der Bundesrat hat sofort gesehen, dass es hier Aufklärung braucht»
Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom Mittwoch über die Crypto-Affäre
gesprochen – allerdings ohne einen neuen Entscheid gefällt zu haben. Die
Landesregierung will «volle Aufklärung».
https://www.luzernerzeitung.ch/news-service/inland-schweiz/der-bundesrat-hat-sofort-gesehen-dass-es-hier-aufklaerung-braucht-ld.1194412
Doris Fiala kritisiert die «Skandalisierung» der Crypto-Leaks
Spätestens seit gestern beschäftigen die Cryptoleaks die gesamte
Schweiz. Doris Fiala von der FDP hält von der «Skandalisierung» aber
nicht viel.
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/doris-fiala-kritisiert-die-skandalisierung-der-crypto-leaks-65661479
«Internationaler Aufschrei ist ausgeblieben»
Politiker sorgen sich nach der Spionage-Affäre um den Ruf der Schweiz. Ex-Diplomat Tim Guldimann hat keine Angst.
https://www.20min.ch/schweiz/news/story/-Internationaler-Aufschrei-ist-ausgeblieben–19710770
Mirage-Skandal lässt grüssen: 5 Dinge, die du zu einer möglichen Crypto-PUK wissen musst
Immer mehr Politiker wollen die Aufklärung des Crypto-Skandals nicht dem
Bundesrat überlassen und fordern eine PUK. Das steckt hinter der
schärfsten Waffe, über die das Parlament verfügt.
https://www.watson.ch/schweiz/bundesrat/935795734-crypto-ag-5-dinge-die-du-zu-einer-moeglichen-crypto-puk-wissen-musst
Werden Cryptoleaks zu einer FDP Affäre?
In der Affäre um gezinkte Chiffriergeräte der Zuger Crypto AG sind zahlreiche FDP-Politiker involviert – auch bei den Kritikern.
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/werden-cryptoleaks-zu-einer-fdp-affare-65661674
«Ein gutes Beispiel»: NDB-Chef Seiler lobte Crypto noch 2016
In Geheimdienstkreisen war gemäss Recherchen schon lange bekannt, dass
die Zuger Crypto AG im Dienst von USA und Deutschland stand. Dennoch
lobte der ehemalige Geheimdienstchef Markus Seiler die Firma noch vor
wenigen Jahren als «gutes Beispiel».
https://www.blick.ch/news/politik/ein-gutes-beispiel-ndb-chef-seiler-lobte-crypto-noch-2016-id15746566.html
Wie die Besitzverhältnisse der Crypto AG verschleiert wurden
– Rendez-vous
CIA und BND haben mit Geräten der früheren Zuger Firma Crypto AG über
Jahrzehnte hinweg andere Staaten ausspioniert. Crypto AG gehörte ab 1970
gar den Geheimdiensten. Durch eine liechtensteinische Stiftung wurden
die Besitzverhältnisse verschleiert. Wie war dies möglich?
https://www.srf.ch/play/radio/rendez-vous/audio/wie-die-besitzverhaeltnisse-der-crypto-ag-verschleiert-wurden?id=7c2e729c-b171-4f93-acae-08de88341b0a
17 Jahre bei der Crypto AG – Ex-Mitarbeiter: «Man konnte schon eins und eins zusammenzählen»
Jürg Spörndli arbeitete bis Mitte der 90er für die Zuger Firma. Seiner Meinung nach kommt die Aufregung reichlich spät.
https://www.srf.ch/news/schweiz/17-jahre-bei-der-crypto-ag-ex-mitarbeiter-man-konnte-schon-eins-und-eins-zusammenzaehlen
Ermordete Geheimdienst Sohn von Crypto-Gründer?
Brisantes Detail in der Spionage-Affäre: Ein Geheimdienst soll den Sohn
des Firmengründers ermordet haben, weil dieser von den Operationen
wusste.
https://www.20min.ch/schweiz/news/story/Ermordete-Geheimdienst-Sohn-von-Crypto-Gruender–28113650
Geheimdienstaffäre Cryptoleaks – Wie seid ihr an die CIA-Dokumente gekommen?
Die Journalistinnen Fiona Endres und Nicole Vögele gewähren einen Blick hinter die Kulissen der Recherche.
https://www.srf.ch/news/schweiz/geheimdienstaffaere-cryptoleaks-wie-seid-ihr-an-die-cia-dokumente-gekommen
Weltweite Spionage-Operation mit Schweizer Firma aufgedeckt – Rundschau
Eine Recherche der «Rundschau», des ZDF und der «Washington Post»
enthüllt eine weltweite Abhöroperation von US-amerikanischen und
deutschen Geheimdiensten. Eine zentrale Rolle spielten manipulierte
Chiffriergeräte der Schweizer Firma Crypto AG. Die
«Rundschau»-Sondersendung zur Spionage-Operation.
https://www.srf.ch/play/tv/rundschau/video/weltweite-spionage-operation-mit-schweizer-firma-aufgedeckt?id=2351eb00-7656-4515-b5f8-615a12083eeb
-> https://www.zentralplus.ch/das-sind-die-neuen-erkenntnisse-in-der-spionage-affaere-1729115/
Kaspar Villiger gibt zu, vom Spionageskandal gewusst zu haben
Nur «detailliert» war er nicht informiert und habe «keine aktive Rolle»
gespielt, lässt der Alt-Bundesrat schriftlich ausrichten.
https://www.infosperber.ch/Artikel/Politik/Crypto-Villiger-gibt-zu-Spionageskandal-gewusst-zu-haben
„Crypto-Leaks“ stellen Schweizer Neutralität unter Stresstest
Die Spionageaffäre rund um die Zuger Firma Crypto AG tangiert auch das
Herzstück der Schweizer Identität: die Neutralität. Schweizer Politiker,
Historiker und Medien diskutieren mögliche Folgen der manipulierten
Chiffriergeräte für die Glaubwürdigkeit des neutralen Kleinstaats.
http://www.swissinfo.ch/ger/geheimdienst-affaere_-crypto-leaks–stellen-schweizer-neutralitaet-unter-stresstest/45556920
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tagesanzeiger.ch 13.02.2020
Ein Fall, grösser als meine Fantasie
Unser Autor Res Strehle hat bereits in den Neunzigerjahren zur Crypto AG
recherchiert. Was jetzt bekannt wird, ist viel mehr, als sich damals
erahnen liess.
Res Strehle
Warum gerade jetzt? Warum soll es ausgerechnet jetzt ein Skandal sein?
Ahnte man nicht seit 40 Jahren, dass die Crypto AG manipulierte
Chiffriergeräte verkaufte? Viele Kritiker der Cryptoleaks wiesen in den
letzten Tagen auf diesen Widerspruch hin. Die Antwort darauf gibt am
besten die CIA selber.
Niemand hat die früheren Enthüllungen über die Firma Crypto AG in der
Schweiz so minutiös verfolgt wie der US-Geheimdienst. In den
Cryptoleaks-Dokumenten lässt sich nachlesen, wie der CIA in den
90er-Jahren bei jedem Verdacht auf den tatsächlichen Hintergrund der
Firma bangte, ob die Legende nun auffliegen würde. Weit entfernt
davon, allmächtiger Drahtzieher im Hintergrund, zu sein, ähnelte der
Geheimdienst eher dem bangen Vater eines Wunderkindes, dessen Legende
sich jederzeit als Bluff herausstellen konnte. In den Dokumenten lässt
sich aber auch nachlesen, wie die CIA es schaffte, dass die Story nie zu
einem internationalen Skandal wurde. Bis heute.
1993 erzählte mir der entlassene Crypto-Verkäufer Hans Bühler von
seinem Verdacht, dass die Geräte seiner Firma manipuliert seien. Die
NSA und der deutsche Bundesnachrichtendienst stünden hinter der Firma
und würden mit den manipulierten Geräten die geheimen Nachrichten in
allen Kundenländern entschlüsseln können. CIA und BND würden im
Hintergrund der Firma die Fäden ziehen. Bühler recherchierte, ich half
ihm mit journalistischen Mitteln. Die Spur der Eigentümer führte in der
Tat nach Deutschland, aber endete auf halbem Weg auf dem Handelsregister
in Vaduz, das keinerlei Auskunft gab. Die technologischen Vorgaben
kamen aus Arizona (dem Sitz von Motorola) und Bonn – die Firmenleitung
stellten Siemens-Manager. Sowohl Motorola wie Siemens wurden damals gute
Verbindungen zu den Geheimdiensten nachgesagt. Eine Spur, aber kein
Beweis.
Ich war erst skeptisch, solche Mutmassungen kannte ich aus der
Verschwörungstheorie. Doch kurz nachdem ich den ehemaligen Vizedirektor
der Crypto AG besuchte, der von der Firma in den 70er-Jahren entlassen
worden war, war ich plötzlich selber im Lager der
Verschwörungstheoretiker. Der Entwicklungsingenieur war zum Schluss
gekommen, dass während seiner Zeit in der Firma alle Chiffriergeräte
manipuliert waren. Er sprach von einer Hintertür, die in die Geräte
eingebaut war. Sie zu entfernen, war ihm mehrfach verboten worden. Er
wurde schliesslich entlassen.
Die Beweise dafür würden in einem Safe liegen, der nur in seinem
Todesfall geöffnet werden durfte – das war seine Lebensversicherung. Der
Mann fühlte sich offenkundig bedroht, es hatte in seinem Umfeld auch
schon Anschläge gegeben. Auch mir war mulmig zumute, als ich an diesem
düsteren Februar-Abend sein Haus verliess und ins Auto stieg. Er und
einige Kollegen in der Firma waren überzeugt, dass Boris Hagelin junior,
der Sohn des Firmengründers, 1970 in Washington nicht durch einen
gewöhnlichen Autounfall ums Leben gekommen war. Hagelin sei nicht damit
einverstanden gewesen, dass sein Vater die Firma an die CIA verkaufte.
Auch das war nicht bewiesen. Entsprechend vorsichtig titelte der Verlag
mein Buch, das 1994 erschien: «Verschlüsselt». Der geheimdienstliche
Hintergrund der Firma war nur in Frageform angedeutet, von der Spur zum
deutschen Eigentümer nur die Tarnfirmen benannt. Auch ein Kollege der
SRF-Sendung «Rundschau» recherchierte hartnäckig. Alarmiert schrieb die
CIA: «Anfang März erfuhr die CIA, dass Bühler am 23. März eine
öffentliche Enthüllung im Schweizer und im Österreichischen Fernsehen
plant über die Beziehungen zwischen der Crypto AG und den westlichen
Geheimdiensten. In Langley (dem CIA-Hauptquartier Anm. d. Red.) und in
Zug starteten alle mit der Schadensbegrenzung.»
Der damalige Firmenleiter Michael Grupe dementierte den
nachrichtendienstlichen Hintergrund im Fernsehen vehement. Die
Einzelheiten der Sendung sind dem CIA-Bericht zu entnehmen. Der Auftritt
des Firmenleiters habe genügend Zweifel an Bühlers Vorwürfen geweckt.
Langley hoffte, dass die Zuschauer damit zumindest verwirrt seien.
Fazit der CIA: «G.s Auftritt hat das Programm vermutlich gerettet.»
Trotzdem zogen sich Grupe und weitere Siemens-Leute aus der Firma
zurück. An einem Podium nach Erscheinen des Buchs in Zug vertrat sein
Schweizer Nachfolger Armin Huber die Firma und bezeichnete unsere
Erkenntnisse als pure Hirngespinste. Die CIA-Beobachter notierten, dass
ich im Buch das angebliche Attentat auf Boris Hagelin junior erwähnt
hatte – ohne dies durch Fakten zu belegen. Damit würde die
Glaubwürdigkeit des Buchs geschwächt.
Auf einen Prozess unter Aufgebot von Zeugen wollten es aber weder die
Firma noch der deutsche Bundesnachrichtendienst ankommen lassen. Einzig
die CIA war forscher und wollte Bühler mit einem Prozess durch alle
Instanzen zermürben. Bühler willigte schliesslich gegen eine kleine
finanzielle Abfindung zu Stillschweigen ein. Ich titelte im
Nachrichtenmagazin «Facts»: «Das letzte Türchen bleibt geschlossen.»
Bühlers Verhaftung war ein Zufallstreffer
In den folgenden Jahren ergab sich zwar noch der eine oder andere
Hinweis. 2001 bestätigte mir ein Angestellter der Crypto, dass unsere
Erkenntnisse richtig seien. Genannt werden wollte er nicht. Neue
Beweise: keine. 2015 gab die NSA die Akten ihres einstigen
Chefkryptologen William Friedman frei. Sie belegten, dass er und
Firmengründer Hagelin die Chiffriertechnik in Zug ab 1955 in enger
Kooperation entwickelten. Das stützte unsere Erkenntnisse aus der
Gründungszeit der Firma, aber bewies nichts über die Zeit danach.
Erst jetzt, seit Veröffentlichung der Cryptoleaks, wissen wir: CIA und
BND übernahmen die Zuger Firma 1970 gemeinsam und brachten sie mit
manipulierten Geräten zur Hochblüte. Nahezu jede zweite Entschlüsselung
geheimer Nachrichten im Ausland verdankte der US-Nachrichtendienst der
Zuger Firma. Bei den Deutschen beruhten zeitweilig vier von fünf
Geheimberichten an die Botschaften darauf. Ein Erfolgsprojekt, auf dass
der frühere Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer bis heute stolz
ist. Erst jetzt wissen wir, dass er Deutschlands geheimes Engagement
nach den Medienberichten 1993 beendete. Erst jetzt wissen wir, dass die
CIA danach allein weitermachte, wohl bis zur Aufspaltung der Firma 2018.
Der Iran hat mit der Verhaftung Bühlers einen Zufallstreffer gelandet.
Gelöst wurde der Fall damals nicht. Doch er stiess die Tür einen Spalt
breit auf, um dem Geheimnis der Zuger Firma auf die Spur zu kommen.
Endlich.
(https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/crypto-leaks/ein-fall-groesser-als-meine-fantasie/story/28436840)
—
tagesanzeiger.ch 13.02.2020
Cryptoleaks: «Das schadet der ganzen Industrie»
Die Spionageaffäre schlägt auch in der Schweizer IT-Sicherheitsbranche ein. Der Schaden sei gross, sagen mehrere Exponenten.
Jorgos Brouzos, Hannes von Wyl
Es ist das Stelldichein der Schweizer IT-Sicherheitsexperten: Am
Mittwoch und heute Donnerstag finden die Swiss Cyber Security Days
(SCSD) im Forum Freiburg statt. Dort treffen sich die wichtigsten
Schweizer Hersteller, Verkäufer und Kunden von IT-Sicherheitslösungen.
Neben Wissenschaftlern und Hackern sind auch hochrangige Vertreter des
Bundes wie Armeechef Thomas Süssli oder Florian Schütz, zuständig für
die Cybersicherheit, anwesend.
Zwei Tage lang tauschen sie sich darüber aus, wie sie die Firmen
möglichst sicher aufstellen, welche Tricks sich die Angreifer als
Nächstes einfallen lassen und wie sich die Schweiz dagegen wehren kann.
Klar sind da auch die Cryptoleaks ein Gesprächsthema. Die Enthüllungen
hätten nicht besser getimt sein können, so eine Teilnehmerin. Die Sache
beschäftige in der Branche jeden.
Schaden für die Industrie
Ein IT-Verantwortlicher eines Schweizer Grosskonzerns sagt dazu: Die
ganze Geschichte um die Crypto AG sei ein unvorstellbarer Vorgang. Dass
die Schweiz Hand geboten habe dafür und ausländische Geheimdienste habe
gewähren lassen, sei unentschuldbar. «Das untergräbt unser Vertrauen und
schadet der ganzen Industrie», so der Mann.
Ivan Bütler, Gründer der Compass Security AG, ist über die Enthüllung
erstaunt. «Ich bin überrascht, dass man das so lange verheimlichen
konnte – und sagt, es sei nichts. Und das über Jahrzehnte.» Er habe
gedacht, die DNA der Neutralität sei «tief verwurzelt in den Köpfen und
Werten unserer Gesellschaft».
Bütler spricht von einem «herben Schlag» für die Schweiz als
Wirtschaftsstandort. «Die Schweiz hat das Potenzial, im Rahmen der
Digitalisierung als ‹sicheren Hafen› auf der Welt wahrgenommen zu
werden. Die Daten in der Schweiz sind auf neutralem Boden. Und auch
sonst geniesst die Schweiz eine hohe Glaubwürdigkeit in Bezug auf
Neutralität», so Bütler.
Schlecht gehütetes Geheimnis
Ein IT-Unternehmer sieht die Sache gelassener. Dass die Crypto AG der
verlängerte Arm der Geheimdienste sei, sei das schlechtestgehütete
Geheimnis der Szene gewesen. Die Auftrennung der Crypto AG in
verschiedene Unternehmen und die Gründe dafür seien jedem bekannt
gewesen. «Die Aufarbeitung der ganzen Geschichte hat nur noch eine
historische Bedeutung», sagt der Unternehmer. Viel wichtiger sei es
jetzt, zu überprüfen, welche IT-Komponenten und Software heute beschafft
würden und ob über diese nicht geheime Datenabflüsse stattfänden. «Dort
liegt das Schadenspotenzial der Zukunft», so der Unternehmer. «Wissen
wir wirklich, wo unsere Daten landen?»
Das zu wissen, ist offenbar alles andere als einfach. «Da müssen wir
einfach vertrauen und hoffen», sagt ein anderer IT-Experte eines
bedeutenden Finanzkonzerns. In einer grossen Firma lässt sich schlicht
nicht jeder Drucker und jedes Netzwerkteil überprüfen, ob über das Gerät
verdeckt Daten gestohlen werden. «Gegen solche Bedrohungen sind wir als
einzelne Firma chancenlos», so sein Fazit. Für diese Sicherheit müssten
andere Stellen sorgen. «Wir haben schon genug damit zu tun, die
alltäglichen Attacken abzuwehren.»
(https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/crypto-leaks/cryptoleaks-das-schadet-der-ganzen-industrie/story/28238546)
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tagesanzeiger.ch 13.02.2020
Das steht in den CIA-Dokumenten über Villiger
Der US-Geheimdienst schreibt, dass der frühere Verteidigungsminister in
den Abhörskandal verwickelt sei. Der Alt-Bundesrat dementiert das
vehement.
Oliver Zihlmann, Thomas Knellwolf, Markus Häfliger, Christoph Lenz, Kurt Pelda und Res Strehle
«Zu dem Zeitpunkt war mindestens ein Mitglied des Bundesrats an der
Vertuschung beteiligt.» Dieses Zitat stammt von der CIA. Der
amerikanische Geheimdienst frohlockt, dass er sogar ein Mitglied der
Schweizer Regierung instrumentalisieren konnte. Dass ein Bundesrat im
fernen Bern half, eine der erfolgreichsten amerikanischen
Spionageoperationen vor der Entdeckung durch die Schweizer Justiz zu
bewahren.
Gemeint ist Kaspar Villiger. Der Zeitpunkt ist 1994, als der
FDP-Magistrat dem Eidgenössischen Militärdepartement vorstand. Der
Luzerner sass von 1989 bis 2003 im Bundesrat. Eine Vertuschung einer
ausländischen Geheimdienstaktion auf Schweizer Boden? Eine
Ungeheuerlichkeit, das findet heute auch Villiger selber. Er bestreitet
die Sache in einer Stellungnahme vehement.
Deshalb stellt sich die Frage: Wer schreibt die Wahrheit? Die CIA? Oder Villiger?
Villiger bestätigt Treffen
Das Zitat stammt aus den sogenannten Cryptoleaks, 280 Seiten Dokumente,
geschrieben von der CIA und dem deutschen Bundesnachrichtendienst (BND).
Die Geheimakten hat der Kölner Journalist Peter F. Müller aus
unbekannten Quellen erhalten und mit anderen Medien geteilt, auch mit
der «Rundschau» des Schweizer Fernsehens. Dieser Zeitung liegen Teile
der Papiere vor. In den Cryptoleaks beschreibt die CIA über Dutzende
Seiten, wie sie zusammen mit dem BND ab 1970 die Zuger Firma Crypto AG
übernahm und wie sie mit der Firma manipulierte Verschlüsselungsgeräte
an über 100 Länder und Regierungen verkauften.
Doch bereits 1994 verkündete der Crypto-AG-Angestellte Hans Bühler
öffentlich, dass die Geräte manipuliert seien. Die Schweizer
Bundespolizei begann, Verwaltungsräte der Zuger Firma zu vernehmen.
«Georg Stucky, ein nichts ahnender Crypto-AG-Verwaltungsrat und Mitglied
des Nationalrats, durchlief Mitte Mai ein intensives Verhör», schreibt
die CIA. Stucky – er war 20 Jahre für die Zuger FDP im Bundeshaus – habe
sich danach furchtbar aufgeregt und die Crypto-Leitung ultimativ
aufgefordert, ihm zu sagen, wem die Firma tatsächlich gehöre.
«Nur Tage später ging Stucky zu Villiger, dem Verteidigungsminister»,
schreibt die CIA weiter. Wie das Gespräch verlief, scheint der
Geheimdienst nur aus zweiter Hand zu wissen, darauf deutet die
Schilderung des Inhalts hin: «Im Laufe des Meetings sagte Villiger: ‹Ah,
du bist also der Typ im Verwaltungsrat dieser CIA-Firma›, oder eine
ähnliche Aussage, die zeigte, dass er über den Einfluss der Amerikaner
auf die Crypto AG genau im Bild war.»
Danach, so schreibt die CIA, habe Villiger geholfen, das Projekt geheim
zu halten: «Er war einverstanden, dafür zu sorgen, dass die Schweizer
Übermittlungstruppen ein an die Schweizer Regierung verkauftes
Crypto-AG-Gerät untersuchen würden, das sicher sei. Damit sei
sichergestellt, dass niemand bemerken konnte, dass die Geräte
manipuliert seien.»
«Nur Tage später traf sich Stucky mit Kaspar Villiger, dem
Verteidigungsminister, in der Crypto-AG-Angelegenheit. Im Lauf des
Meetings sagte Villiger: ‹Ah, du bist also der Typ im Verwaltungsrat
dieser CIA-Firma› oder eine ähnliche Aussage, die zeigte, dass er über
den Einfluss der Amerikaner auf die Crypto AG genau im Bild war. Aber er
erkannte die Sensitivität und war einverstanden, dafür zu sorgen, dass
die Schweizer Übermittlungstruppen ein an die Schweizer Regierung
verkauftes Crypto-AG-Gerät untersuchen würden, das sicher sei. Damit sei
sichergestellt, dass niemand bemerken konnte, dass die Geräte
manipuliert seien. Zu dem Zeitpunkt, war also mindestens ein Mitglied
des Bundesrats an der Vertuschung beteiligt.
Aber Villiger steckte in einem moralischen Dilemma. Der Bundesrat war
dabei, der Firma von jedem Verdacht frei zu sprechen, was ihre Geräte
betraf, doch er konnte die Besitzverhältnisse der Firma nicht ausloten.
Villiger wusste, wem die Firma gehört und glaubte, dass er womöglich
moralisch verpflichtet sei dies offenzulegen.“
Am 20. Dezember berichtete der Chef der Polizei dem Justizdepartement,
dass es keine Grundlage gab, um mit einer offiziellen Untersuchung
weiterzumachen. Offenkundig hatte Villiger den Mund gehalten. Was die
Schweizer Regierung betraf, war damit die Bühler-Affäre vorbei.»
Nun sei zwar ein Bundesrat an der Vertuschung beteiligt gewesen,
schreibt die CIA weiter, das habe Villiger aber in ein «moralisches
Dilemma» gestürzt: «Villiger wusste, wem die Firma gehörte, und er
dachte, er sei moralisch verpflichtet, dies offenzulegen.» Mit einer
solchen Information wäre die ganze Spionage-Operation gefährdet
gewesen. Doch sie flog nicht auf, gemäss der CIA dank dem FDP-Bundesrat:
«Offenkundig hielt Villiger den Mund.» Auch die Bundespolizei kam
damals zum Schluss, es gebe keine Gründe für weitere Ermittlungen gegen
die Crypto AG.
Keine «Handlangerdienste»
Villiger, der heute 79 Jahre alt ist, dementiert diese Informationen
über seine angebliche Rolle geradeheraus. «Ich war in diese
nachrichtendienstliche Operation nicht eingeweiht», schreibt Villiger
auf Anfrage dieser Zeitung. «Handlangerdienste für Drittstaaten, die den
Ruf der Schweiz als verlässlich neutrales Land beschädigen können,
hätte ich niemals gedeckt und auf jeden Fall im Bundesrat zur Sprache
gebracht.» Weiter schreibt Villiger: «Wer und was auch immer hinter den
CIA-Notizen zu meiner Person stecken mag: Sie stimmen in dieser Form
nicht, denn eine detaillierte Information über die
neutralitätspolitisch problematische Übungsanlage hätte mich alarmiert
und zur Information des Bundesrats veranlasst.»
Alles, was er über die Angelegenheit wisse, habe er in mehreren
Gesprächen von der «Rundschau» erfahren. «Ich muss deshalb davon
ausgehen, dass ich während meiner Amtszeit nicht hinreichend informiert
worden bin.» Diese Aussage deutet darauf hin, dass Villiger heute
zumindest nicht ausschliesst, dass untergebene Stellen – etwa die
Nachrichtendienste im Militärdepartement – etwas von der Operation
wussten. Den Vertuschungsvorwurf weist Villiger jedoch scharf zurück. Er
habe in der Crypto-Angelegenheit «nie eine aktive Rolle» gehabt. Und es
hätte auch «meinen staatspolitischen Überzeugungen widersprochen», den
Gesamtbundesrat nicht über solche Vorgänge zu informieren, schreibt
Villiger.
Der Alt-Bundesrat dementiert jedoch nicht, dass es im Crypto-Kontext ein
Treffen mit seinem Parteikollegen gegeben habe. «Ich erinnere mich an
ein Treffen mit Nationalrat Stucky, wie es mit Parlamentariern üblich
ist und ständig vorkommt», schreibt er auf Nachfrage. Dieses Treffen
müsse im Zusammenhang mit der damaligen Untersuchung durch die
Bundespolizei gestanden sein. «Dabei habe ich keinerlei Informationen
bekommen, die mich auch nur im Entferntesten alarmiert hätten. Das hätte
ich bestimmt nicht vergessen und wäre dem, wie das meinem Arbeitsstil
entsprach, mit anderen zuständigen Stellen (inkl. Bundesrat)
nachgegangen.»
CIA gegen Alt-Bundesrat
Villiger ist damit der erste bekannte Exponent, der Darstellungen in den
Cryptoleaks widerspricht. Stucky konnte für eine Stellungnahme nicht
kontaktiert werden. Gegenüber SRF liess der heute 89-jährige ausrichten:
«An so etwas kann ich mich nicht erinnern.»
Es steht Aussage der CIA gegen Aussage eines Alt-Bundesrats. Auch
deshalb drängt sich die Frage auf: Wie zuverlässig sind die
Cryptoleaks-Dokumente?
Bei den seitenlangen Auszügen, die der Redaktion Tamedia vorliegen,
handelt es sich um stolze Rückblicke der CIA und des BND auf den
«Spionage-Coup des Jahrhunderts» (Zitat der CIA). Insider beschreiben
darin ihre heldenhafte Rolle in der Weltgeschichte – teilweise nüchtern,
teilweise dramatisch, manchmal eher anekdotisch, manchmal sehr
detailreich.
Zweifellos sind die Autoren nahe dran, sie wissen vom Treffen Villigers
mit Stucky und von vielen anderen Geschehnissen in der Schweiz, die sich
überprüfen lassen. Doch deshalb müssen nicht alle geschilderten
Einzelheiten und erst recht nicht die Wertungen korrekt sein.
Die Schweiz «im Griff»?
Ob die Amerikaner die Schweizer Behörden tatsächlich so «im Griff»
hatten, wie die CIA schreibt, müssen nun die Abklärungen des Bundes
zeigen. Die anberaumte Untersuchung von Alt-Bundesrichter Niklaus
Oberholzer oder möglicherweise sogar von einer parlamentarischen
Untersuchungskommission (PUK) müssen aufklären, ob Schweizer
Nachrichtendienste und allenfalls auch Bundesräte in die
Crypto-Operation verstrickt waren.
Als 1994 die Ermittlungen gegen die Crypto AG liefen, kontaktierten die
Ermittler der Bundespolizei gemäss der CIA auch den «militärischen
Geheimdienst». Welcher Dienst genau gemeint ist, wird nicht klar. Laut
CIA waren jedenfalls Teile der Schweizer Nachrichtendienste voll im Bild
und gaben den Amerikanern Schützenhilfe, wo sie nur konnten.
«Wie F. ging auch Bühler zur Bundespolizei. Er beklagte sich, dass etwas
Seltsames vorgehe innerhalb der Crypto AG. Die Bundespolizei (das
Pendant zum amerikanischen FBI) kontaktierte den militärischen
Nachrichtendienst. Gewisse hohe Verantwortliche in der Organisation
waren sich der deutschen und der amerikanischen Rolle in der Crypto AG
im Allgemeinen bewusst und legten ihre Hand schützend über diese
Verbindung. Ein Vertreter des Schweizer Nachrichtendienstes informierte
die CIA, dass er ‹in der Lage sei, sicherzustellen, dass die offiziellen
Resultate von jeder Untersuchung keine Manipulation der Geräte
bestätigen wird›. Der Schweizer Chiffrierdienst sei in ihrer Hand, und
wenn die Untersuchung der Geräte von der ETH übernommen würde, könnten
sie vier der fünf Kryptologen, die möglicherweise involviert würden, ‹in
den Griff kriegen›. Vertreter der Bundespolizei besuchten die Firma und
sprachen mit G. und anderen, schienen aber nicht sehr interessiert
daran, tiefer zu bohren. Sie schienen Bühler für irgendwie verrückt zu
halten. Es war eindeutig ein Pro-Forma-Besuch.»
Wörtlich heisst es: «Gewisse hohe Verantwortliche (im Geheimdienst)
waren sich der deutschen und amerikanischen Rolle in der Crypto im
Allgemeinen bewusst und legten ihre Hand schützend über diese
Verbindung. Ein Vertreter des Schweizer Nachrichtendienstes informierte
die CIA, dass er ‹in der Lage sei, sicherzustellen, dass die offiziellen
Resultate von jeder Untersuchung keine Manipulation der Geräte
bestätigen wird›. Der Schweizer Chiffrierdienst sei in ihrer Hand, und
wenn die Untersuchung der Geräte von der ETH übernommen würde, könnten
sie vier der fünf Kryptologen, die möglicherweise involviert würden, ‹in
den Griff kriegen›.»
Zufrieden stellt die CIA sodann fest, dass die Ermittler der
Bundespolizei damals tatsächlich nicht sehr interessiert waren, tiefer
zu bohren. Sie hätten gewisse Vernehmungen nur «pro forma» gemacht.
«Nicht koscher»
Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) betont in einer Stellungnahme vom
Dienstag, dass er sich nicht äussern könne über Aktivitäten oder
Entscheidungen seiner Vorgängerorganisationen. Er handle «strikt nach
den gesetzlichen Vorgaben», und seine Tätigkeit werde von mehreren
politischen und unabhängigen Behörden kontrolliert.
Der heutige Vize-Chef des NDB ist Jürg Bühler. Und just er war es, der
damals in den 90er-Jahren bei der Bundespolizei die von der CIA erwähnte
und belächelte Untersuchung leitete. Dafür hat Bühler gemäss eigenen
Angaben viele Mitarbeiter der Crypto AG vernommen. «Wir hatten Leute,
die sagten, sie hätten von der Hintertüre gehört, aber sie nie
beschreiben können», sagt Bühler in der «Rundschau». «Tatsache war, dass
uns niemand präzise Auskunft geben konnte oder wollte. Und nur gestützt
auf Gerüchte und Hörensagen hat man eben nicht genügend
Verdachtsmomente.»
Bühler ist damit neben Villiger der zweite bekannte Exponent, der
Passagen der Cryptoleaks-Dokumente als falsch bezeichnet. Bühlers
Aussage widerspricht aber in derselben Sendung der damalige
Crypto-Mitarbeiter Bruno von Ah. «Ich habe dem von der Bundespolizei
gesagt, dass es ein mögliches Hintertürchen gibt.» Ein Hintertürchen in
den Chiffriergeräten der Crypto AG.
«Als X. 1978 entlassen wurde, erhob er gegenüber dem Schweizer
Justizdepartement die Anschuldigung, die Crypto-Geräte seien
manipuliert, ohne dass einer der Partner dies bemerkte. Wenngleich der
Chef der Bundespolizei kein formelles Untersuchungsverfahren eröffnen
wollte, liess er doch einige Geräte stillschweigend untersuchen. Der
Schweizer Chiffrierdienst fand heraus, dass die Algorithmen nicht ganz
das waren, was sie hätten sein sollen, aber er entdeckte nichts, das man
hätte vor Gericht bringen können. Aber das Fehlen eines kriminellen
Tatbestands bedeutete noch keine reine Weste. Es war den Schweizern
klar, dass mit den Geräten etwas nicht koscher war. Diese Untersuchung
verstärkte also den unterschwelligen Eindruck in der Bundespolizei und
dem militärischen Nachrichtendienst, dass die Anschuldigungen von F.
berechtigt waren. Jeder Involvierte wusste genug, um wegzuschauen.»
Die Bundespolizei hatte die Geräte dieser Firma bereits früher, Ende der
70er-Jahre, ein erstes Mal untersucht. Die Akten dazu sind
verschwunden, wie die «Rundschau» herausfand. Zu dieser ersten
Crypto-Untersuchung schreibt die CIA: «Es war den Schweizern (damals
schon) klar, dass in den Geräten etwas nicht koscher war. Jeder
Involvierte wusste genug, um wegzuschauen.» Auch diese ersten
Untersuchungen verliefen im Sand.
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Die Cryptoleaks in 7 Punkten
1. Über 100 Regierungen kauften in den letzten Jahrzehnten
Verschlüsselungsgeräte der ehemaligen Zuger Firma Crypto AG. Sie
chiffrierten damit streng geheime Nachrichten, auch im Krieg.
2. Staaten wie der Iran, Libyen, Ägypten und Saudiarabien vertrauten
darauf, dass die Geräte aus der neutralen Schweiz nicht manipuliert
waren.
3. Jetzt kommt aus: Die CIA und der deutsche BND hatten Hintertüren in
den Crypto-Geräten. Sie konnten jahrzehntelang viele Staaten abhören.
Der deutsche Geheimdienstkoordinator bestätigt die Operation. (Zur
Recherche)
4. Die USA erhielten unschätzbare Informationen etwa in Konflikten mit Libyen und dem Iran.
5. Laut Dokumenten, die der «Rundschau» vorliegen, waren auch Vertreter des Schweizer Geheimdienstes eingeweiht.
6. Der Bundesrat hat Alt-Bundesrichter Niklaus Oberholzer (SP) beauftragt, bis Ende Juni die Faktenlage zu klären. (Zum Bericht)
7. Die beiden Nachfolgefirmen der Crypto AG sagen, sie wüssten nichts
von der Operation. Wirtschaftsminister Parmelin hat der Crypto
International AG bis zur Klärung der Lage die Generalausfuhrbewilligung
sistiert.
(https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/crypto-leaks/das-steht-in-den-ciadokumenten-ueber-villiger/story/14718516)
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tagesanzeiger.ch 13.02.2020
So knackt man ein Chiffriergerät
Wo stecken die Schwachstellen? Und wie baut man eine Hintertür ein?
Kryptologe Kenny Paterson beantwortet die wichtigsten Fragen zur Crypto
AG.
Christoph Lenz
Die Spionageaffäre um die Crypto AG wirft ein Schlaglicht auf ein
geheimnisvolles Handwerk: die Kryptologie. Was passiert genau in einem
Chiffriergerät?
Es kommt stark darauf an, von welchem Gerätetyp man spricht. Bis vor
etwas mehr als 100 Jahren funktionierte Verschlüsselung noch primär mit
Stift und Papier. Dann kamen zuerst mechanische und dann
elektromechanische Geräte auf. In den Sechziger- und Siebzigerjahren
wurden sie verdrängt durch rein elektronische Systeme.
Das berühmteste Gerät ist wohl die von den Nazis genutzte Enigma. Können Sie erklären, wie sie funktioniert
Die Enigma hat ein sehr komplexes Innenleben. Es gibt drei oder vier
Walzen. Jede Walze hat zweimal 26 Kontakte für die 26 Buchstaben des
Alphabets. Mit jedem Buchstaben, der eingetippt wird, verändert sich die
innere Konfiguration der Walzen und der Kontakte. Jeder Buchstabe ist
also auf eine neue, praktisch unvorhersehbare Weise verschlüsselt.
Wie knackt man eine Chiffriermaschine?
Nun, man kann es immer damit versuchen, alle Schlüssel auszuprobieren.
Was heisst das?
Stellen Sie sich einen Hausmeister vor, der mit einem grossen
Schlüsselbund in einem riesigen Gebäude die Runde macht. Kommt er an
eine verschlossene Tür, versucht er jeden Schlüssel, bis sich das
Schloss öffnet.
Nicht sehr effektiv.
Nein. Eine Voraussetzung für sichere Systeme ist, dass es so viele
mögliche Schlüssel gibt, dass man unmöglich alle durchprobieren kann.
Der Computer hat das radikal verändert, oder?
Nicht unbedingt. Die Enigma ist selbst durch einen heutigen Computer
kaum zu knacken. Der Lorenz Geheimschreiber, ebenfalls ein
Chiffriergerät aus dem Zweiten Weltkrieg, hat mehr mögliche Schlüssel
als es Atome im Universum gibt.
Wie kann man ein solches Gerät sonst knacken?
Jedes Gerät hat seine Schwächen. Auch die Enigma und der Lorenz
Geheimschreiber. Wegen ihnen musste man gar nicht alle Schlüssel
durchprobieren. Stellen Sie sich den Hauswart vor: Das Aussehen des
Schlosses verrät ihm, dass nur ein ganz bestimmter Schlüsseltyp in Frage
kommt. Das spart viel Zeit.
Inwiefern hat das Aufkommen des Computers die moderne Kryptografie geprägt?
Früher nutzten nur das Militär, die Geheimdienste und vielleicht noch
die Banken Verschlüsselungstechnologie. Heute ist sie allgegenwärtig.
Jedes Mal wenn Sie ins Internet gehen, ist sie da. Was sich ebenfalls
verändert hat: Wir designen unsere Verschlüsselungssysteme, also die
Algorithmen, heute viel offener.
Was heisst offener?
In den meisten Fällen beruht ein Algorithmus heute auf einem öffentlich bekannten Verschlüsselungsstandard.
Warum hält man sich an einen Standard, wenn man doch ein Geheimnis möglichst gut schützen will?
Die Idee ist, dass ein veröffentlichter Standard von jedem überprüft
werden kann. Schwächen werden festgestellt, die Sicherheit steigt. Das
Gegenteil davon ist Obskurität. Auch sie kann in bestimmten Fällen einen
effektiven Schutz bieten, aber vor allem kann Obskurität ein falsches
Sicherheitsgefühl vermitteln. Man denkt, niemand versteht das selbst
entwickelte System und übersieht wichtige Schwachstellen.
Auf welchen Standard setzen Sie?
Im Jahr 2000 hat das US Institut für Standards und Technologie einen
Wettbewerb für einen neuen Verschlüsselungsstandard ausgeschrieben. Zwei
Belgier haben ihn gewonnen mit ihrer Entwicklung AES. Das ist heute de
facto der globale Standard.
Wie sicher ist er?
Es ist ein sehr, sehr guter Standard. Der alte Standard, der ebenfalls
schon gut war, hatte 2hoch56 verschiedene Schlüssel. AES hat nun
2hoch128 Schlüssel. Sie müssen sich das mal vorstellen: Von 56 auf 57
ist es schon eine Verdoppelung der Kombinationen. Das geht so weiter bis
128. Es ist absolut unmöglich, alle Schlüssel auszuprobieren.
Heute vielleicht. Aber in Zukunft …
Selbst wenn sich die Rechnerkapazität von Computern alle 18 Monate
verdoppeln sollte, was sie in letzter Zeit nicht mehr tut, wäre AES noch
in 50 Jahren unknackbar. Bis heute sind auch noch keine erheblichen
Schwachstellen entdeckt worden. Es ist wirklich ein sehr starker
Standard. Aber mit ihm hat sich das Problem verlagert.
Inwiefern?
Die Schwachstelle steckt heute oft nicht mehr im Algorithmus, sondern
anderswo. Wir müssen heute zum Beispiel viel besser aufpassen, dass
unsere Feinde unsere Schlüssel nicht sehen.
Wie kann ein Kunde sicher sein, dass ihm nicht eine kompromittierte Verschlüsselungstechnologie verkauft wird?
Er muss versuchen zu überprüfen, ob das System tut, was es soll und
nichts anderes. Das sind komplexe Fragen: Wie werden die Schlüssel
generiert? Wie werden sie gespeichert? Gibt es Informationslecks? Gibt
es Sidechannels?
Was ist ein Sidechannel?
In den Sechzigerjahren haben es die Briten geschafft, Mikrofone nahe an
den Chiffriergeräten der Franzosen zu installieren. Sie haben die Geräte
belauscht: Klick-klick, Klick-klick. Dank diesem akustischen
Sidechannel konnten sie die Geräte später knacken.
Was ist eine Hintertür und wie schwierig ist es, eine solche in ein Verschlüsselungssystem einzubauen?
Eine Hintertür ist eine Abkürzung oder ein direkter Zugang zur
originalen, unverschlüsselten Botschaft. Wir haben durch Edward Snowden
erfahren, dass die US-Regierung versucht hat, in alle
Verschlüsselungsalgorithmen Hintertüren einzubauen. Aber beim
AES-Standard ist das sehr schwierig. Ich weiss das, weil ich es selbst
einmal probiert habe.
Wozu?
Um zu verstehen, wo man nach einer Hintertüre suchen muss, wenn man schauen will, ob eine existiert.
War Ihr Versuch erfolgreich?
Wenn man genau hinschaut, sieht man die Türe.
Was heisst das?
Wenn ein Analyst nur eine Standardüberprüfung des Algorithmus macht,
wird er sie nicht bemerken. Aber es gibt einige Stellen im Code, die
komisch aussehen. Ein guter Analyst würde sich da Fragen stellen. Heute
denke ich, dass man anders vorgehen müsste. Der richtige Weg wäre wohl,
den Schlüssel zu beschädigen. So dass nur ein Teil des Schlüssels aktiv
ist, was die Zahl der möglichen Kombinationen reduziert und es leichter
macht, einfach alle Schlüssel zu versuchen.
Der Hausmeister-Trick.
Ja.
(https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/crypto-leaks/jedes-geraet-hat-seine-schwaechen/story/29577910)