Medienspiegel 12. Februar 2020

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++AUSSERRHODEN
«Die Polizei war oft hier»:
Zwischen Landlust und Asylfrust – ein Besuch in Wienacht-Tobel
Das Ausserrhoder Dorf Wienacht-Tobel bewegt: mit der schönen Aussicht und wegen des Disputs um das Asylzentrum Landegg.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/appenzellerland/die-polizei-war-oft-hier-zwischen-landlust-und-asylfrust-ein-besuch-in-wienacht-tobel-ld.1193897


+++ZÜRICH
„Die normale Verwahrlosung der Asylzentren”
Zwischen Bettwanzen und Läusen: ein Besuch im Durchgangszentrum Sonnenbühl in Oberembrach ZH.
https://daslamm.ch/die-normale-verwahrlosung/


+++BALKANROUTE
Gewalt gegen Flüchtlinge: Grenz-Erfahrungen
In hunderten Fällen berichten Flüchtlinge von Misshandlung und Gewalt an der Grenze in Kroatien. Alles Lügen, sagen dazu kroatische Behörden.
https://taz.de/Gewalt-gegen-Fluechtlinge/!5659739/


+++ITALIEN
Senat hebt Salvinis Immunität auf
Staatsanwälte wollen den ehemaligen Innenminister wegen Freiheitsberaubung von Migranten anklagen.
https://www.tagesanzeiger.ch/ausland/europa/senat-hebt-salvinis-immunitaet-auf/story/29955540
-> https://www.20min.ch/ausland/news/story/Senat-hebt-Salvinis-Immunitaet-auf-20777941
-> https://www.nzz.ch/international/italienisches-parlament-hebt-salvinis-immunitaet-auf-ld.1540136
-> https://www.derstandard.at/story/2000114489687/salvini-verliert-seine-parlamentarische-immunitaet?ref=rss
-> https://taz.de/Anklage-gegen-Italiens-Lega-Chef/!5659870/
-> https://www.srf.ch/news/international/prozess-zur-fluechtlingspolitik-senat-hebt-salvinis-immunitaet-auf
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/play/radio/echo-der-zeit/audio/droht-matteo-salvini-das-gefaengnis?id=11e34e39-43fa-40c2-a7bc-d0a03c82cd3d
-> https://www.arte.tv/de/afp/neuigkeiten/salvini-muss-sich-wegen-harter-fluechtlingspolitik-vor-gericht-verantworten


Streit mit Rackete: Ermittlungen gegen Salvini eingestellt
Gegen Matteo Salvini wurden Ermittlungen wegen einer Beleidigungsklage eingestellt. Der ehemalige Innenminister Italiens stritt sich zuvor mit Carola Rackete.
https://www.nau.ch/news/europa/streit-mit-rackete-ermittlungen-gegen-salvini-eingestellt-65661533
-> https://www.20min.ch/ausland/news/story/Italien-stellt-Racketes-Klage-gegen-Salvini-ein-28261127


+++GRIECHENLAND
Moria: Die Grenzen des Kinderrechtsschutzes
Die UN-Kinderrechtskonvention ist ein Fundament des Rechtsstaates. Doch wenn es um unbegleitete minderjährige Schutzsuchende geht, die in Lesbos unter katastrophalen Bedingungen ausharren, rückt das Kindeswohl in den Hintergrund. In diesem Kontext beleuchtet ARTE Info die Situation unbegleiteter Flüchtlingskinder in Europa.
den Hintergrund. In diesem Kontext beleuchtet ARTE Info die Situation unbegleiteter Flüchtlingskinder in Europa.
https://www.arte.tv/de/videos/094279-014-A/moria-die-grenzen-des-kinderrechtsschutzes/


+++MITTELMEER
Migration: Zahl der Geflüchteten im zentralen Mittelmeer steigt deutlich
Die meisten Flüchtlinge kommen laut Frontex noch über den Westbalkan oder Griechenland. Doch ihre Zahl sank im Januar im Gegensatz zur Route nach Italien und Malta.
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-02/migration-fluechtlinge-mittelmeer-hauptrouten-italien-malta-frontex


Operation Sophia: Besser etwas tun, als gar nichts zu tun
Das bewusste Ertrinkenlassen von Menschen, denen geholfen werden könnte, zerstört einen der wichtigsten humanitären Grundwerte
https://www.derstandard.at/story/2000114447240/operation-sophia-besser-etwas-tun-als-gar-nichts-zu-tun
den Hintergrund. In diesem Kontext beleuchtet ARTE Info die Situation unbegleiteter Flüchtlingskinder in Europa.


Auf dem Meer sind alle gleich
Ein Monat auf der Ocean Viking
Europa, wie hältst du es mit deinen Werten? Unser Mitarbeiter Stefan Dold war einen Monat lang mit dem Rettungsschiff Ocean Viking auf dem Mittelmeer unterwegs und an der Rettung von 280 Schiffbrüchigen beteiligt. In einem emotionalen und sehr persönlichen Bericht hat er festgehalten, wie es ist, auf dem Mittelmeer Menschen zu begegnen, die schlimmste Gewalt erlebt haben und nur knapp dem Ertrinken entronnen sind. Menschen, die die Europäische Union am liebsten nicht an ihren Küsten sehen würde.
https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/mittelmeer-erfahrungsbericht-ocean-viking


+++LIBYEN
Libyen, Tuareg und Tubu: Gegen neues Grenzregime und politischen Ausschluss der Bevölkerung
Die algerische oppositionelle Tageszeitung „Watan“ veröffentlicht ein Interview mit dem Tuareg-Aktivisten Akli Sh’kka zur Situation in Libyen. Ausführlich beschreibt dieser die Kontinuitätslinien der staatlichen Herrschaft aus Gaddafis Zeiten bis heute. Die Mehrheit der Bevölkerung sei von der politischen und ökonomischen Teilhabe ausgeschlossen. Die Herrschaft von Tripolis (Es-Sarraj) und von Tubruk (Haftar) stütze sich gleichermassen auf instrumentalisierte Beziehungen zu einzelnen Stämmen. Der Süden Libyens, immerhin die libysche Quelle des Erdöls, des Süsswassers und der meisten Agrarprodukte, werde in besonderer Weise missachtet und vernachlässigt. Akli Sh’kka verteidigt hier explizit die verschiedenen Bevölkerungen und politischen Gruppen der Tuareg und Tubu.
Das neue Grenzregime gegen die Boat-people, das vor allem Italien und Frankreich durch Abkommen und Aufrüstungen zu verantworten haben, habe nur „Chaos“ ins Land gebracht. Die Grenzschliessung Südlibyens habe ab 2014 die grenzüberschreitend siedelnden und nomadisierenden Bevölkerungsverbindungen Libyens, Algeriens, Malis, Nigers und Burkina Fasos zerschnitten. Dafür macht Akli Sh’kka vor allem Algerien verantwortlich.
Auch die jüngsten internationalen Verhandlungen zur Zukunft Libyens bezögen die Bevölkerung des Landes in keiner Weise ein.
Akli Sh’kka stammt aus Sebha im Fezzan. Er hat in London studiert und ist Mitglied mehrerer Amazigh-Vereinigungen.
https://ffm-online.org/libyen-tuareg-und-tubu-gegen-neues-grenzregime-und-politischen-ausschluss-der-bevoelkerung/


+++JENISCHE/SINTI/ROMA
Suche im Zürcher Oberland – Wetzikon hat keinen Platz für Fahrende
Die Stadtregierung hält ein vorgesehenes Grundstück nicht für geeignet. Stiftungen halten dies für eine Ausrede.
https://www.srf.ch/news/regional/zuerich-schaffhausen/suche-im-zuercher-oberland-wetzikon-hat-keinen-platz-fuer-fahrende


+++FREIRÄUME
derbund.ch 12.02.2020

Nicht alle Inspektoren meiden die Reitschule

Gemeinderat Reto Nause (CVP) sagte am Dienstag, die Gewerbepolizei traue sich nicht mehr in das Kulturzentrum. Die Lebensmittelkontrolle hingegen hat keine Probleme mit der Reitschule.

Calum MacKenzie

Ungeachtet der Sicherheitsdebatte rund um die Schützenmatte geht der Betrieb im Reitschule-Restaurant Sous Le Pont rege weiter. Doch könnten nicht auch die Falafel, die veganen Älplermagronen oder das Schweinsschnitzel Gefahren bergen? Um dies zu überprüfen, kommt regelmässig ein unangekündigter Lebensmittelinspektor des kantonalen Laboratoriums vorbei.

«Die Gastwirtschaftsbetriebe in der Reitschule werden wie alle anderen Betriebe im Kanton Bern kontrolliert», schreibt das Laboratorium auf Anfrage. «Die Betriebsverantwortlichen verhielten sich stets kooperativ.»

Die kantonale Amtsstelle beurteilt damit die Lage im Kulturzentrum ganz anders, als es das Stadtberner Polizeiinspektorat tut. Am Dienstag hatten Gemeinderat Reto Nause (CVP) und Polizeiinspektor Marc Heeb verkündet, die ordentlichen Kontrollen der Gewerbepolizei hätten 2015 wegen Drohungen eingestellt werden müssen (lesen Sie hier, wie die Kontrolleure bedroht wurden). Warum schaffen sie seit fast fünf Jahren nicht, was die Lebensmittelkontrolleure mehrmals jährlich tun?

«Saubere Bewertung»

Für Marc Heeb gibt es einen massgeblichen Unterschied zwischen den Aufgaben der beiden Behörden: «Ich nehme an, der Lebensmittelinspektor kommt zumeist tagsüber. Wir müssen am Abend hin.» Dunkelheit und grössere und teilweise alkoholisierte Menschenmengen schafften eine «andere Atmosphäre». Zudem würden die Kontrollen immer in Dreiergruppen durchgeführt, die mehr Aufmerksamkeit auf sich zögen. «Momentan kann ich das für meine Leute nicht verantworten», so Heeb. Zwar habe er die Reitschule im letzten März mit Regierungsstatthalter Christoph Lerch besucht. Dies sei keine gewerbepolizeiliche Kontrolle gewesen, nur ein individueller Augenschein. «Was wir gesehen haben, war aber generell in Ordnung.»

Ob auch die Speisen im Sous Le Pont in Ordnung sind, darf das kantonale Laboratorium nicht sagen: Dazu herrscht eine Schweigepflicht. Die Note des «Bund»-Testessers fiel 2017 jedoch positiv aus (Lesen Sie hier die Gastrokritik über das Sous Le Pont). «Vom ‹Lebensmitteler› kriegen wir immer eine saubere Bewertung», sagt ein Vertreter der Mediengruppe der Reitschule. Man achte schon immer auf Qualität und Nachhaltigkeit. Alles werde deklariert; oft stamme das Essen von kleinen, regionalen Anbietern. «Wir bauen das Gemüse nicht im Innenhof der Reitschule an.»
(https://www.derbund.ch/bern/nicht-alle-inspektoren-meiden-die-reitschule/story/23016418)



derbund.ch 12.02.2020

Kritik an Nauses Alleingang bei der Reitschule

Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL) und Statthalter Christoph Lerch (SP) weisen die Vorwürfe von Gemeinderat Reto Nause (CVP) zurück: Die Beizen der Reitschule würden durchaus kontrolliert.

Bernhard Ott

Für Alec von Graffenried ist alles in Ordnung: «Eine Befreiung der Betriebe der Reitschule von gastgewerblichen Kontrollen gibt es nicht», hält der Stadtpräsident auf Anfrage fest. Er weist die von Gemeinderat Reto Nause (CVP) und Polizeiinspektor Marc Heeb erhobenen Vorwürfe zurück.

Diese hatten gegenüber dem «Bund» erklärt, dass Mitarbeitende der Gewerbepolizei im Mai 2015 vor der Reitschule bedroht worden seien (lesen Sie hier, was Gemeinderat Reto Nause (CVP) der Reitschule vorwirft). Seither hätten im Kulturzentrum keine regulären gastgewerblichen Kontrollen mehr stattgefunden. Vielmehr wollten Heeb und Statthalter Christoph Lerch persönlich die Lokale der Reitschule besuchen. Erst beim dritten Anlauf im März letzten Jahres habe es geklappt.

Laut Heeb war dies aber keine «reguläre Kontrolle». Die Gewerbepolizei müsse zweimal pro Jahr kontrollieren können, ob die Bestimmungen betreffend Jugendschutz, Brandschutz und Altglas-Container eingehalten würden, sagt Heeb. Um dies künftig zu ermöglichen, sei eine bessere visuelle Erkennbarkeit der Reitschul-Security unerlässlich. Diese müsste vom Statthalter verfügt werden. «Bei jedem anderen Betrieb hätte er längst gehandelt», ergänzt Nause.

«Tatsächlich nicht normal»

Für von Graffenried und Lerch war der Besuch vom März 2019 aber sehr wohl eine reguläre gastgewerbliche Kontrolle. Diese hätte «zur Zufriedenheit aller Beteiligten» durchgeführt werden können, sagt der Stadtpräsident. Gestützt auf einen entsprechenden Bericht von Statthalteramt und Gewerbepolizei, habe die Stadt den Vertretern der Reitschule eine «positive Rückmeldung» geben können. Zugleich habe man die Erwartung geäussert, «dass künftige Kontrollen weiterhin in diesem Rahmen und positiven Klima stattfinden können», hält von Graffenried fest.

Auch für Statthalter Lerch lief die Kontrolle vom März 2019 «im normalen Rahmen» ab. Die Situation habe sich seither «normalisiert». Allerdings sei es «tatsächlich nicht normal», dass zwischen Mai 2015 und März 2019 keine regulären Kontrollen hätten durchgeführt werden können. Allerdings werde die Kontrolltätigkeit im Kulturzentrum «nie einfach» sein. Daher weise er die Vertreter der Reitschule in den regelmässig stattfindenden Gesprächen mit der Stadt auch jeweils auf ihre Pflichten hin. Diese würden denn auch Verständnis zeigen. «Sie sind durchaus bereit, ihre Pflichten zu erfüllen. Man muss sie aber immer wieder daran erinnern.»

Eine bessere visuelle Sichtbarkeit des Sicherheitsdienstes hält der Statthalter für unnötig. Im neuen Sicherheitskonzept sei «klar festgehalten», dass die Security erkennbar sein müsse. Deren Mitarbeitende seien «durch einen Funkknopf im Ohr, ein schwarzes T-Shirt und einen Ausweis gekennzeichnet», sagt Lerch.

Reitschule kontert

Kritik an Nauses Intervention wurde am Mittwoch auch von bürgerlicher Seite laut. So wies Stadtrat Thomas Berger (FDP) auf Twitter darauf hin, dass im Dezember 2019 eine Kontrolle des Kantons stattgefunden habe. Dabei handle es sich vermutlich um die Lebensmittelkontrolle, sagt der Co-Präsident der Bar- und Clubkommission auf Anfrage (lesen Sie hier den Artikel über die Lebensmittelkontrollen in der Reitschule). Berger wirft Nause und Heeb ein «fragwürdiges Timing» vor. Schliesslich sei im November 2019 ein neues Sicherheitskonzept erarbeitet worden, in dem auch die Erkennbarkeit der Security geregelt wurde.

Kein gutes Haar an den Ausführungen von Nause und Heeb lässt die Mediengruppe der Reitschule. Es sei «vieles falsch» oder «massiv aus dem Kontext gerissen», heisst es in einer Mitteilung. Der Vorfall vom Mai 2015 habe mit der Reitschule nichts zu tun gehabt. Damals seien Mitarbeitende der Gewerbepolizei unter dem Bahnviadukt in einen Konflikt zwischen der Polizei und «vermeintlichen Drogenhändlern» geraten. In der Folge sei in einer Zusatzvereinbarung zum Sicherheitskonzept definiert worden, wie die Kontrollen abzulaufen hätten. «Allerdings hat sich die Gewerbepolizei bisher nicht an diese Abläufe gehalten», schreibt die Mediengruppe.
(https://www.derbund.ch/bern/kritik-an-nauses-alleingang-bei-der-reitschule/story/29071012)



bernerzeitung.ch 12.02.2020

Nause gerät wegen Reitschul-Sololauf in Kritik

Nicht nur Statthalter Christoph Lerch kontert die Aussagen von Reto Nause, wonach die Reitschule Kontrollen verunmögliche. Dem Sicherheitsdirektor wird Stimmungsmache im Wahljahr vorgeworfen.

Michael Bucher

Seit Mai 2015 finden in den Gastrobetrieben der Reitschule keine regulären Kontrollen durch die Gewerbepolizei mehr statt. Und seit März 2019 gar keine mehr. Dies gaben Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) und Marc Heeb, Co-Leiter der Orts- und Gewerbepolizei Bern, bei einem Mediengespräch bekannt. Der Grund: Mitarbeiter der Gewerbepolizei wurden auf dem Vorplatz von Vermummten bedroht. Seither werden ihnen die Kontrollgänge nicht mehr zugemutet (mehr dazu lesen Sie hier).

Nauses Kritik richtet sich vor allem an Regierungsstatthalter Christoph Lerch, der zuständig für die Gastgewerbebewilligung des Kulturzentrums ist. Dieser müsse dafür sorgen, dass die Kontrollen wieder uneingeschränkt möglich seien.

«Diesen Ball spiele ich zurück», entgegnet Lerch nun. Das Gesetz besage ganz klar, dass die Stadt die Kontrollen durchführen müsse. Weil dies mit «normalen» Angestellten nicht mehr möglich war, habe er sich zur Verfügung gestellt, die Kontrollen zusammen mit Marc Heeb durchzuführen.

Seitenhieb vom Stapi

Eine letzte solche Kontrolle fand im März letzten Jahres statt. Auch hier zeichnet Lerch ein anderes Bild als Nause tags zuvor: «Die Kontrolle lief im normalen Rahmen ab. Die Situation hatte sich nach meiner Wahrnehmung normalisiert.» Gegen den Vorwurf, er gewähre der Reitschule Sonderrechte, wehrt sich Lerch: «Ich weise die Reitschüler bei jeden ordentlichen Gesprächen auf ihre Pflichten hin.»

Darüber hinaus sei es falsch, zu denken, die Reitschule werde nie zur Rechenschaft gezogen. «Es gab Jahre, da zahlte die Reitschule bis zu 10’000 Franken Busse, weil sie gegen die Betriebsbewilligung verstossen hat», hält Lerch fest. Doch auch hier müsse die Stadt aktiv werden, indem die Gewerbepolizei Anzeige einreiche.

Irritiert über die Aussagen von Reto Nause ist offenbar auch Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL) – er wäre im Reitschule-Dossier eigentlich federführend. Er verweist auf die Tatsache, dass aufgrund des Berichts von Lerch und Heeb nach der letzten Kontrolle im März 2019 die Stadt der Reitschule eine positive Rückmeldung gegeben habe.

Auch wurde die Erwartung geäussert, «dass künftige Kontrollen weiterhin in diesem Rahmen und positiven Klima stattfinden können», sagt der Stapi auf Anfrage und platziert noch einen Seitenhieb: «Uns ist nicht bekannt, dass seither ein Kontrollversuch gescheitert wäre.»

«Wahlkampf-Aktion»

Daran stösst sich auch FDP-Stadtrat Tom Berger. Dass Gewerbepolizisten bedroht wurden, sei verwerflich, «doch der Vorfall liegt schon fast fünf Jahre zurück». Seither habe sich einiges getan. Zuletzt wurde etwa im vergangenen November das Sicherheitskonzept verschärft. «Wenn seither Kontrolleure bedrängt worden wären, hätte ich Verständnis für Nauses Vorpreschen», so Berger. Den medialen Sololauf des Sicherheitsdirektors tut er als Wahlkampfaktion ab.

Und die Reitschule? Sie dreht den Spiess vollends um. Nach dem Vorfall vor fünf Jahren habe man mit der Stadt eine Vereinbarung ausgearbeitet, welche genau regle, wie Kontrollen abzulaufen hätten. In dieser seien den Behörden auch fixe Ansprechpersonen seitens der Reitschule im Falle einer Kontrolle gemeldet worden. «Allerdings hat sich die Gewerbepolizei bisher nicht an diese Abläufe gehalten», schreibt die Reitschule.

Mit der Mitteilung versandte die Reitschule zudem auch eine Aufnahme, die Christoph Lerch und Marc Heeb im Dachstock bei der Kontrolle im März 2019 zeigen soll:

    Medienmitteilung der Reitschule Bern vom 12. Februar 2020https://t.co/IdZCvCAp2Mpic.twitter.com/412x5a3sbP

    — Reitschule Bern (@ReitschuleBern) February 12, 2020



Die Sicht der Beizer

Bei der Diskussion um Sonderrechte der Reitschule hätten am ehesten all jene Beizen Grund, sich zu ärgern, die sich pingelig an jede noch so kleine Auflage halten. «Es irritiert uns schon ein wenig, wenn bei den Gastrobetrieben der Reitschule keine Kontrollen mehr durchgeführt werden», sagt Roger Burkhardt, Vizepräsident von Gastro Stadt Bern und Umgebung. Auch dass diese nicht wie überall sonst unangemeldet stattfinden, «entspricht nicht unseren Vorstellungen von gleich langen Spiessen». Er kenne ein paar Gastronomen, bei denen die Behörden intervenierten, weil sie ein paar Tische zu viel draussen aufgestellt hatten. «In Anbetracht der Situation bei der Reitschule mutet das schon etwas unverhältnismässig an», so Burkhardt. (mib)
(https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/nause-geraet-wegen-reitschulsololauf-in-kritik/story/12358786)



Medienmitteilung der Reitschule vom 12. Februar 2020

Mit Erstaunen haben wir aus den Medien vernommen, dass anscheinend seit vielen Jahren keine gastgewerblichen Kontrollen in der Reitschule durchgeführt wurden.

An den gestrigen Ausführungen von Sicherheitsdirektor Reto Nause und Leiter der Orts- und Gewerbepolizei Marc Heeb ist vieles falsch oder massiv aus dem Kontext gerissen.

Angeprangert wird die Reitschule wegen eines Vorfalls aus dem Jahr 2015. Damals gerieten Mitarbeiter der Gewerbepolizei unter dem Eisenbahn-Viadukt vor der Reitschule mitten in einen Konflikt zwischen Einsatzkräften der Polizei und vermeintlichen Drogenhändlern.
Dieser Vorfall stand weder mit der IKuR noch mit der versuchten gastgewerblichen Kontrolle in Zusammenhang.

Nach diesem Vorfall arbeitete die Reitschule im Jahr 2016 auf Wunsch und in Zusammenarbeit mit Stadtbehörden und Regierungsstatthalteramt eine Zusatzvereinbarung zum Sicherheitskonzept aus, in welcher definiert wurde, wie eine solche Kontrolle ablaufen soll. In dieser wurden den Behörden auch fixe Ansprechpersonen seitens der Reitschule im Falle einer Kontrolle gemeldet. Allerdings hat sich die Gewerbepolizei bisher nicht an diese Abläufe gehalten.

Neben den regelmässigen Hygienekontrollen des Lebensmittelinspektors, letztmals im Dezember 2019, haben in
den letzten Jahren aber in der Reitschule durchaus auch Kontrollen durch die Gewerbepolizei stattgefunden,
wenn auch nicht nach dem vereinbarten Ablauf. Kontrollen fanden beispielsweise am 5. Mai 2018 oder am 29. März 2019 statt.

Das angefügte Foto zeigt Christoph Lerch und Marc Heeb im Dachstock der Reitschule bei der erwähnten
Kontrolle am 29. März 2019.

Wir freuen uns auf die nächste Kontrolle  😉

Freundliche Grüsse,
Mediengruppe Reitschule Bern
(https://www.facebook.com/Reitschule/posts/10157609961185660)
-> https://m.facebook.com/Reitschule/photos/a.10150988868945660/10157610019170660/?type=3&source=57



Angst vor Angriffen – Seit Jahren keine Kontrollen mehr in der Reitschule
Weil sich die Kontrolleure fürchten, werden die Gastrobetriebe der Reitschule seit Jahren nicht mehr kontrolliert.
https://www.srf.ch/news/regional/bern-freiburg-wallis/angst-vor-angriffen-seit-jahren-keine-kontrollen-mehr-in-der-reitschule
-> Stellungnahme Regierungsstatthalter: https://www.srf.ch/sendungen/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/der-schloss-ausverkauf-im-kanton-bern-geht-weiter
-> Bund+BZ: https://antira.org/2020/02/12/medienspiegel-11-februar-2020/ (Rubrik Freiräume)


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Kurden-Demo in Bern
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/-kurzmeldungen-136362769
-> https://www.facebook.com/jugendbern/posts/475199189826516
-> https://www.facebook.com/jugendbern/posts/475011063178662


Gewalt im Zuge von Ausschreitungen soll schärfer bestraft werden
Die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates befürwortet im Zuge der Beratung der Vorlage zur Strafrahmenharmonisierung (18.043) die härtere Bestrafung von Personen, die sich im Zuge von Ausschreitungen an Gewalthandlungen beteiligen. Sie folgt dem Bundesrat und beantragt, die heutige Mindeststrafe zu vervierfachen (120 statt 30 Tagessätze).
https://www.parlament.ch/press-releases/Pages/mm-rk-s-2020-02-12.aspx
-> https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19370083/index.html#a285


Benefizanlass mit prominent besetztem Podiumsgespräch – Fall Bodum: Nun geht es für die Journalistin vors Kantonsgericht
«Medienfreiheit JETZT!»: Nachdem die Luzerner Journalistin Jana Avanzini wegen ihrer Berichterstattung über die besetzte Villa des dänischen Haushaltswaren-Designers Jørgen Bodum vom Bezirksgericht Luzern verurteilt wurde, geht der Fall am 9. März vor das Kantonsgericht. Zur Finanzierung wird ein Benefizevent durchgeführt.
https://www.zentralplus.ch/fall-bodum-nun-geht-es-fuer-die-journalistin-vors-kantonsgericht-1727827/


+++AUSLÄNDER*INNEN-RECHT
derbund.ch 12.02.2020

Landesverweis wegen 8863 Franken

Erstmals hat das höchste bernische Gericht einen Ausländer wegen Sozialhilfebetrugs des Landes verwiesen. Es ist eine Folge der 2010 vom Volk angenommenen Ausschaffungsinitiative.

Calum MacKenzie

Schweizerinnen oder Schweizer, die die Sozialhilfe missbrauchen, haben in der Regel mit einer Geldstrafe zu rechnen. Ausländischen Staatsangehörigen, die dasselbe tun, drohen schwerere Konsequenzen: Seit der Umsetzung der Ausschaffungsinitiative im Jahr 2016 können sie bei «unrechtmässigem Bezug von Leistungen der Sozialhilfe» des Landes verwiesen werden.

Nun hat erstmals das höchste Gericht des Kantons Bern ein solches Urteil gefällt. Das zeigen die Akten eines Obergerichtsentscheids vom letzten November zum Fall eines Stadtberner Sozialhilfebezügers.

Nach langer Arbeitslosigkeit schien es für den heute 42-Jährigen zunächst bergauf zu gehen: Ab Sommer 2016 konnte er in einer Fabrik wieder arbeiten, bald wurde er fest angestellt. Doch der neue Lohn habe nicht zum Leben genügt und schon gar nicht, um seine hohen Schulden abzuzahlen, wie der Mann vor Gericht angab.

Deswegen hat er dem Sozialamt seine neue Einkommensquelle verschwiegen; dazu hat er Lohnausweise gefälscht. Der Betrug flog auf, und der Mann wurde zu einer Geldstrafe von 4000 Franken verurteilt. Als türkischer Staatsbürger wurde ihm zudem eine Landesverweisung für fünf Jahre ausgesprochen.

Nur ein Bruchteil

Dass die erste Ausweisung drei Jahre nach Inkrafttreten des strengeren Gesetzes geschieht, hat verschiedene Gründe. Zum einen geschieht Betrug in nur einem Bruchteil aller Sozialfälle: 2019 hat das Sozialamt der Stadt Bern bei rund 6000 Sozialhilfebeziehenden nur 73 Strafanzeigen eingereicht – trotz der im Kanton Bern für Sozialhilfemissbrauch geltenden Anzeigepflicht.

Ausserdem wird nicht in jedem Fall eine Landesverweisung verhängt: Zwar reicht es laut Gesetzesartikel, wenn ein Sozialhilfebezüger den Behörden «unvollständige Angaben» macht oder relevante «Tatsachen verschweigt». Doch in «leichten Fällen» erhalten Schuldige lediglich eine Busse.

Was einen leichten Fall ausmacht, ist strittig: Für die bernische Staatsanwaltschaft sind es deliktisch bezogene Leistungen bis 3000 Franken. Für den Jurist Matthias Jenal können auch Fälle, in denen bis zu 30000 Franken ausbezahlt werden, unter Umständen noch als gering betrachtet werden, wie er im «Basler Kommentar» schrieb.

Der in Bern verurteilte Türke hatte 8863 Franken unrechtmässig bezogen. Vor Gericht gab er zu bedenken, dass er den Betrag vollständig zurückgezahlt habe und bereits seit 13 Jahren in der Schweiz lebe, seine unbescholtene Ehefrau seit beinahe 20 Jahren.

Das Härtefallgesuch, das ihm einen Verbleib noch hätte ermöglichen können, lehnte das Gericht jedoch ab. Mit der Fälschung der Lohnausweise habe er eine gewisse kriminelle Energie an den Tag gelegt. Ihm sowie seiner Frau, die ja auch aus der Türkei stamme, seien eine Rückreise zuzumuten.

Der Fall macht deutlich, wie die Ausschaffungsinitiative, die 2010 vom Stimmvolk angenommen wurde, in der Praxis umgesetzt wird. Die Verfassungsänderung habe eine Rechtsungleichheit zwischen ausländischen und Schweizer Staatsbürgern geschaffen, monieren Kritiker noch immer. Zudem würden ausländische Sozialhilfebetrüger in eine Ecke mit Gewaltverbrechern und Sexualstraftätern gestellt.

Anders sieht es der Könizer Grossrat und Vorstandsmitglied der Sozialinspektion Kanton Bern, Hans-Peter Kohler (FDP). «Die Spielregeln sind, wie sie sind. Als Bürgerlicher unterstütze ich diese Gesetze.» Eine Rechtsungleichheit erkennt er nicht. «Man kann Äpfel nicht mit Birnen vergleichen. Wer jahrzehntelang gearbeitet hat, ist nicht gleich wie jemand, der hierherzieht und gleich Hilfe bezieht.»

Habe ein ausländischer Sozialhilfebetrüger lange ehrlich gearbeitet, hätten dies die Gerichte zu würdigen. Ausserdem funktionierten die Gesetze, so Kohler: «Die strengeren Vorgaben haben eine präventive Wirkung.»

«Situation verschlechtert»

Statistisch ist diese Aussage nur schwer zu belegen – ob die Zahl der jährlich wegen Sozialhilfemissbrauchs angezeigter Ausländer abgenommen hat, kann die bernische Staatsanwaltschaft nicht sagen.

Doch auch Felix Wolffers, Leiter des Stadtberner Sozialamts, sagt: «Wir weisen ausländische Personen darauf hin, dass der missbräuchliche Bezug zur Ausschaffung führen kann. Diese schwerwiegenden Folgen haben sicher einen präventiven Effekt.»

Verschärfte Vorschriften könnten jedoch auch neue Probleme schaffen, so Wolffers. Diese ortet er vor allem im seit 2019 geltenden revidierten Ausländergesetz, wonach selbst dauerhaft, aber legal sozialabhängige Ausländer ihre Niederlassungsbewilligung verlieren können. «Deswegen machen Ausländerinnen und Ausländer die ihnen zustehenden Ansprüche oft nicht mehr geltend. Das führt zu sozialer Ausgrenzung und einer wachsenden verdeckten Armut», sagt Wolffers. «Die Situation von bedürftigen Ausländern hat sich in den letzten Jahren schrittweise immer mehr verschlechtert.»

Der ausgewiesene türkische Staatsbürger will dennoch bleiben. Er hat sein Urteil ans Bundesgericht weitergezogen.



Erhöhtes Risiko

Im Kanton Bern machen ausländische Staatsangehörige rund 40 Prozent der Sozialhilfebeziehenden aus. Damit sind sie überproportional repräsentiert. Wie der Kanton zu den Statistiken des Jahres 2017 schreibt, seien Ausländerinnen und Ausländer einem massiv höheren Risiko ausgesetzt, bedürftig zu werden. Dies sei auf schlechtere Ausbildung, grössere Familien und Tätigkeit in wertschöpfungsarmen Branchen wie Gastronomie und Detailhandel zurückzuführen. (mck)
(https://www.derbund.ch/bern/landesverweis-wegen-8863-franken/story/14014213)


+++BIG BROTHER
Für mehr Sicherheit: Auch die Schweiz soll Flugpassagierdaten nutzen können
Wer einen Flug bucht, teilt der Fluggesellschaft oder der Reiseagentur zahlreiche Informationen mit. Diese Informationen – zusammengefasst in einem Fluggastdatensatz (Passenger Name Record, PNR) – können zur Bekämpfung des Terrorismus und der Schwerstkriminalität beitragen. Bereits 24 europäische Staaten haben Stellen eingerichtet, die diese PNR-Daten sammeln, speichern und bearbeiten. Auch die Schweiz soll nun diese Daten für die Bekämpfung von Terrorismus und schwerer Kriminalität nutzen können. Das hat der Bundesrat an seiner Sitzung vom 12. Februar 2020 beschlossen.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-78069.html
-> https://www.nzz.ch/schweiz/sicherheit-schweizer-behoerden-sollen-flugpassagierdaten-nutzen-koennen-ld.1540100


«Nicht fichiert zu werden, ist ein Menschenrecht»: Das hält der ehemalige Staatsschutz-Spitzel Willy Schaffner fest, während der Schauspieler Philippe Graber über Leute wie ihn sagt: «Sollen das alles eiskalte Roboter gewesen sein?»
Der eine zahlte einen hohen Preis für sein Wirken beim Zürcher Staatsschutz, der andere hat sich bei seiner Rolle als Insider im Spielfilm «Moskau Einfach!» von ihm inspirieren lassen. Im Gespräch loten die beiden die realen Aspekte der Fiktion aus.
https://www.nzz.ch/feuilleton/nicht-fichiert-zu-werden-ist-ein-menschenrecht-sagt-der-ehemalige-spitzel-willy-schaffner-sagt-nicht-fichiert-zu-werden-ist-ein-menschenrecht-der-schauspieler-philippe-graber-sagt-ueber-spitzel-sollen-das-alles-ld.1539448


+++POLIZEI ZH
Du willst Polizist werden? Dann musst du zuerst dieses Deutsch-Diktat meistern
Jeder zweite Polizist der Kantonspolizei Zürich scheitert in der Ausbildung an der Deutschprüfung. Knacknuss ist das Diktat. Würdest du die Prüfung bestehen? Teste jetzt deine Diktat-Skills.
https://www.watson.ch/!793447576


+++HOMOHASS
15-Jähriger greift Schwule vor Zürcher Gay-Club an – das hat Folgen für die Justiz
Wie oft es in der Schweiz zu politisch motivierten Straftaten kommt, wird statistisch nicht erfasst. Das könnte sich bald ändern. Doch nicht alle sind davon begeistert.
https://www.watson.ch/schweiz/gesellschaft%20&%20politik/140401766-homophobie-hate-crimes-sollen-statistisch-erfasst-werden


+++RECHTSEXTREM
Freispruch für Tamedia-Journalisten rechtskräftig
Tierschützer Erwin Kessler verzichtet auf Berufung.
https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/freispruch-fuer-tamediajournalisten-rechtskraeftig/story/18607717


+++HISTORY
Solidaritätsbeitrag: Bundesrat mit Streichung der Frist für Gesuche einverstanden
Möglichst alle noch lebenden Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981 sollen einen Solidaritätsbeitrag erhalten können. Der Bundesrat unterstützt deshalb den Vorschlag der Rechtskommission des Ständerates (RK-S), die Frist für die Einreichung eines solchen Gesuchs ersatzlos zu streichen. Dies hält er in seiner Stellungnahme vom 12. Februar 2020 fest. Der Bundesrat bekräftigt damit, dass er es ernst meint mit der umfassenden Aufarbeitung und Anerkennung des erlittenen Unrechts und Leids.
https://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/aktuell/news/2020/2020-02-12.html
-> https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/aufhebung-der-frist-fuer-verdingkinder-auf-der-zielgeraden/story/25243961


+++CRYPTO LEAK
Fall Crypto AG: Bekannte IT-Firma ist mit CIA-Unternehmen verbandelt
Die berüchtigte Crypto AG hatte eine Schwesterfirma, die das Schweizer Stromnetz und heikle Daten von Firmen schützen soll.
https://www.bzbasel.ch/wirtschaft/fall-crypto-ag-bekannte-it-firma-ist-mit-cia-unternehmen-verbandelt-136363166


Cryptoleaks: Wusste Kaspar Villiger Bescheid?
Laut CIA-Dokumenten war der frühere FDP-Bundesrat offenbar über die Hintertüren bei der Crypto AG informiert. Villiger dementiert vehement.
https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/crypto-leaks/cryptoleaks-wusste-kaspar-villiger-bescheid/story/12799159
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/geheimdienstaffaere-cryptoleaks-schweizer-helfer-der-cia-was-wusste-villiger
-> https://www.luzernerzeitung.ch/schweiz/alt-bundesrat-kaspar-villiger-wehrt-sich-gegen-den-mitwisser-vorwurf-ld.1194213


Jo Lang zum angekratzten Image einer neutralen Schweiz
Über eine Schweizer Firma spionierten die USA und Deutschland 100 Staaten in aller aus. Offenbar mit Wissen des Schweizer Nachrichtendienstes und der Politik. Der Historiker Jo Lang befürchtet einen Reputationsschaden für die «neutrale» Schweiz. Und mehr.
https://www.srf.ch/sendungen/tagesgespraech/jo-lang-zum-angekratzten-image-einer-neutralen-schweiz


Cryptoleaks: Setzt das Parlament eine Kommission ein? – Rendez-vous
Die Nachrichtendienste der USA und Deutschlands haben mit Hilfe von Schweizer Technik jahrzehntelang über hundert Staaten ausspioniert. Politikerinnen und Politiker fordern eine parlamentarische Untersuchungskommission PUK. Auch die Schweizer Armee arbeitet mit den Geräten der Crypto AG.
https://www.srf.ch/play/radio/popupaudioplayer?id=7dc431c6-96bd-4299-a133-4e9350263dd3
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/geheimdienst-affaere-schweizer-geheimdienst-haelt-zentrale-akten-zurueck
-> https://www.srf.ch/play/tv/srf-news/video/die-schweiz-haette-solche-aktionen-unterbinden-muessen?id=3d35405a-f4fa-4295-abab-49080d9d4e1e
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/geheimdienst-affaere-die-schweiz-hat-kein-glaubwuerdigkeits-problem
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/srf-user-zur-spionage-affaere-das-ist-schockierend-und-wird-tiefgreifende-folgen-haben
-> Rendez-vous: https://www.srf.ch/play/radio/rendez-vous/audio/cryptoleaks-setzt-das-parlament-eine-kommission-ein?id=7dc431c6-96bd-4299-a133-4e9350263dd3
-> https://www.derstandard.at/story/2000114480455/podcast-operation-rubikon-der-geheimdienst-coup-des-jahrhunderts-cryptoleaks?ref=rss
-> https://www.nzz.ch/schweiz/cryptoleaks-antworten-zu-spionageaffaere-um-zuger-firma-ld.1540009
-> https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/cryptoleaks-sicherheits-experte-fordert-verbot-der-usa-verbindung-65661023
-> https://www.infosperber.ch/Artikel/Politik/Crypto-AG-Schweiz-unter-einer-Decke-mit-dem-CIA
-> https://www.swissinfo.ch/ger/politik/geheimdienst-affaere_spionageaktion-erschuettert-die-schweiz/45553946
-> http://www.kleinreport.ch/news/cryptoleak-zdf-washington-post-und-srf-enthullen-weltweites-spionage-system-um-schweizer-firma-94132/
-> https://www.watson.ch/international/schweiz/882092156-glaettli-zur-cia-affaere-fuer-die-schweiz-ist-das-ein-erdbeben
-> https://www.watson.ch/schweiz/medien/552000078-crypto-affaere-das-schreibt-die-schweizer-presse-zur-spionage-affaere
-> https://www.watson.ch/schweiz/svp/143494503-crypto-leaks-wer-wusste-was-parteien-fordern-aufklaerung
-> https://www.blick.ch/news/politik/blick-erklaert-die-crypto-leaks-darum-gehts-bei-der-spionage-affaere-id15744930.html
-> https://www.blick.ch/news/politik/crypto-affaere-im-bundesarchiv-sind-akten-verschwunden-id15745337.html
-> https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/geheimdienst-affaere-schweizer-und-deutsche-politiker-verlangen-aufklaerung-einmaliger-skandal-in-der-geschichte-des-nachrichtendienstes-136361096
-> https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/geheimdienst-affaere-jungpolitiker-protestieren-vor-crypto-gebaeude-136361125
-> https://www.zentralplus.ch/junge-alternative-zug-protestieren-vor-crypto-gebaeude-1728831/
-> https://www.zentralplus.ch/bisher-waren-von-allen-spektakulaeren-leaks-auch-zuger-firmen-betroffen-1727821/
-> https://www.zentralplus.ch/crypto-so-sieht-die-dunkle-seite-von-fortschritt-aus-1728661/
-> https://www.blick.ch/news/politik/historiker-thomas-buomberger-kritisiert-die-behoerden-die-schweiz-hat-bewusst-die-augen-verschlossen-id15745240.html
-> https://www.blick.ch/news/politik/politik-fordert-lueckenlose-aufklaerung-der-crypto-leaks-was-wusste-der-bundesrat-id15744526.html
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/play/radio/echo-der-zeit/audio/geheimdienst-affaere—wusste-der-bundesrat-bescheid?id=f0854043-885e-4da7-b203-2705677b2ace
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/play/radio/echo-der-zeit/audio/schweizer-cybersecurity-firmen-machen-sich-sorgen?id=0f732c57-c0ad-41cb-a0fe-3a1ac939c1c4
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/play/radio/echo-der-zeit/audio/geheimdienste-machen-das-halt?id=f7a195cd-1463-460b-830a-fa121d324a70
-> https://www.luzernerzeitung.ch/news-service/inland-schweiz/politiker-drohen-wegen-crypto-leaks-mit-einer-puk-ld.1194075
-> https://www.woz.ch/2007/cryptoleaks/die-schweiz-wird-dechiffriert
-> https://www.schweizer-illustrierte.ch/people/swiss-stars/wir-sind-absolut-vertraulich?wtmc=socialmedia.twitter.shared.web
-> https://www.woz.ch/2007/ruedi-widmer/unten-links
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/geheimdienstaffaere-cryptoleaks-ein-riesiges-problem-fuer-die-schweiz
-> Schweiz Aktuell: https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/crypto-leaks?id=2d954869-b663-49db-afb7-3d833859bfd1
-> Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/crypto-leaks-braucht-es-eine-puk?id=b4e46e72-ae5d-4132-a927-6e9ffeb0cd73
-> Rundschau: https://www.srf.ch/play/tv/sendung/rundschau?id=49863a84-1ab7-4abb-8e69-d8e8bda6c989
-> 10vor10: https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/crypto-leaks-was-wusste-der-bundesrat?id=4bdb81d0-0564-49d7-bd33-a0d016c1e069
-> https://www.telebaern.tv/telebaern-news/-crypto-affaere-leidet-die-neutralitaet-der-schweiz-darunter-136362780
-> https://www.telezueri.ch/zuerinews/darum-geht-es-bei-der-spionageaffaere-um-die-crypto-ag-136360986
-> https://www.telezueri.ch/zuerinews/spionageaffaere-sorgt-fuer-aufregung-in-der-schweizer-politik-136362911
-> https://www.telem1.ch/aktuell/crypto-affaere-lueckenlose-auklaerung-gefordert-136362708
-> https://www.tele1.ch/artikel/159192/cia-und-bnd-spionierten-dank-zuger-firma
-> http://www.tvo-online.ch/mediasicht/78217
-> https://www.nzz.ch/meinung/die-neutralitaetspolitische-vertrauensfrage-hinter-den-crypto-leaks-ld.1540106
-> https://www.tagesschau.de/inland/cia-bnd-103.html
-> https://www.zdf.de/nachrichten/politik/cryptoleaks-bnd-cia-aufklaerung-100.html
-> https://www.zdf.de/nachrichten/zdf-morgenmagazin/von-notz-ausspaehen-ohne-moralische-grenzen-100.html
-> https://www.jungewelt.de/artikel/372780.crypto-ag-belgien-pr%C3%BCft-spionageaktivit%C3%A4t.html
-> https://www.nzz.ch/meinung/die-neutralitaetspolitische-vertrauensfrage-hinter-den-crypto-leaks-ld.1540106
-> https://www.inside-it.ch/de/post/parlamentarier-fordern-unabhaengige-crypto-untersuchung-20200212
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/politiker-fordern-aufklaerung-die-rufe-nach-einer-crypto-puk-werden-lauter
-> https://www.blick.ch/news/politik/crypto-affaere-gpdel-soll-taetig-werden-jetzt-will-alfred-heer-ermitteln-id15746372.html
-> https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/sp-reicht-initiative-zur-einsetzung-einer-cryptoleaks-puk-ein-65661484
-> https://www.rts.ch/info/suisse/11088160-simonetta-sommaruga-le-conseil-federal-a-agi-vite-et-juste-dans-laffaire-crypto.html
-> https://www.rts.ch/info/suisse/11087644-l-affaire-d-espionnage-planetaire-crypto-suscite-le-malaise-a-berne.html
-> https://www.watson.ch/schweiz/justiz/821879618-crypto-alt-bundesrat-kaspar-villiger-wehrt-sich-gegen-den-mitwisser-vorwurf
-> https://www.20min.ch/schweiz/news/story/-Ich-erzaehlte-der-Bundespolizei-alles–24291958
-> https://www.nzz.ch/meinung/die-neutralitaetspolitische-vertrauensfrage-hinter-den-crypto-leaks-ld.1540106
-> https://www.nzz.ch/schweiz/der-it-spezialist-bruce-schneier-zur-crypto-affaere-ld.1540118
-> https://www.nzz.ch/schweiz/im-zwielicht-der-spionage-ld.1540130
-> https://www.nzz.ch/schweiz/bespitzelung-von-freund-und-feind-niemand-war-sicher-vor-den-geraeten-der-crypto-ag-ld.1540103



tagesanzeiger.ch 12.02.2020

Die Tragödie eines Technikers

BND und CIA wurden 1994 als Crypto­-Eigentümer um ein Haar entlarvt. Der Schweizer Ingenieur Hans Bühler wurde zum unbequemen Zeugen.

Res Strehle

Ein Vierteljahrhundert hat Hans Bühler um Klarheit in seinem Fall gekämpft. Vor eineinhalb Jahren verstarb der Verkaufs­ingenieur aus Zürich-Oerlikon nach kurzer, schwerer Krankheit. Es gehört zur Tragik seiner Biografie, dass er die letzte Gewissheit in seinem Fall nicht mehr erfahren hat. Im März 1992 war er in Teheran verhaftet worden, als er für die Zuger Firma Crypto AG im Iran unterwegs war, um der Führung von Armee und Polizei hochwertige Schweizer Chiffriertechnologie zu verkaufen. Mit deren Hilfe konnten geheime Nachrichten via Fax oder Telefon vermeintlich sicher übermittelt werden.

Bühler war Hobbyfunker und Weltreisender aus Leidenschaft. Laut CIA lag er mit seinen Umsatzzahlen im obersten Zehntel aller Crypto-Verkäufer. Das hatte mit seinem Redetalent als Verkäufer zu tun, seiner Verbindlichkeit gegenüber den Kunden, aber auch mit dem Bedarf des Iran nach Chiffriertechnologie. Schon unter der Herrschaft des Schahs gehörten Persiens Armee und Geheimdienst zu den guten Kunden in Zug, unter Khomeini wurde die Geschäftsbeziehung weitergeführt.

Streit um das Lösegeld

Es war nicht die erste Verkaufstour Bühlers im Iran, er war oft dort und sprach sogar ein paar Worte Farsi. Der Iran hätte weder bei den USA noch bei den Russen sensitives Kriegs- und Polizeimaterial bestellt, die Armee- und Polizeiführung dieses blockfreien Staates setzte auf Schweizer Technologie. Was Bühler nicht ahnte: Seit ein paar Monaten misstraute der Iran aber auch den Chiffriergeräten aus Zug. Sieben Monate zuvor war der führende Oppositionelle Shapour Bakhtiar von zwei iranischen Agenten in Paris ermordet morden. Die westlichen Nachrichtendienste konnten die Beteiligung des Iran am Auftragsmord aus der Kommunikation mit den Agenten entschlüsseln. Auch ein Mitarbeiter der iranischen Botschaft in Bern, ein Grossneffe des damaligen Staatspräsidenten Ali Akbar Rafsanjani, war daran beteiligt und wurde verhaftet.

Mit Bühlers Verhaftung wollte der Iran mehr über die Zusammenhänge dieser Verhaftung erfahren und hielt ausserdem eine Schweizer Geisel, um die Abschiebung ihres prominenten Gefangenen nach Frankreich zu verhindern. Der Schweizer verbrachte in der Folge neuneinhalb Monate in iranischer Haft, einen Grossteil davon in einem Militärgefängnis nahe Teheran. Bühler wurde isoliert und psychisch gefoltert, einmal stoppte der Staatsanwalt das Verhör erst, als der Schweizer schon auf ein Streckbett gefesselt war.

Die offizielle Schweiz liess sich von Bühlers Verhaftung nicht beeindrucken und lieferte den iranischen Botschaftsmitarbeiter Ende Juni nach Frankreich aus. Bühler wusste offenkundig nichts vom geheimdienstlichen Hintergrund seiner Firma, er nannte in den Verhören bloss ein paar Namen auf Kundenseite, die Provisionen und Ausbildungszuschüsse erhalten hatten. Nach drei Monaten hätte er freikommen können, seine Firma oder die Schweiz hätten dafür aber 1,5 Millionen Dollar Lösegeld zahlen müssen.

Jetzt begann der Streit zwischen der CIA und dem deutschen Bundesnachrichtendienst (BND). Die USA und Deutschland hatten in solchen Fällen unterschiedliche Regeln. Das amerikanische Recht verbot die Zahlung von Lösegeld, Deutschland ging damit pragmatischer um. Die Crypto verfügte über wenig Reserven, seit sich die Geschäfte ab 1987 deutlich verschlechtert hatten. Die Zuger Firma baute bis 1993 hundert Stellen ab, weil zahlreiche Abnehmerländer unter der Schuldenkrise litten.

Die Frage der Lösegeldzahlung wurde zur grössten Belastungsprobe im Gemeinschaftsprojekt, das die CIA «Minerva» nannten. Der US-­Geheimdienst fürchtete, dass selbst eine verdeckte Zahlung Spuren hinterlassen würde. Der BND scheute zu grosses Aufsehen, wenn der Schweizer lange im iranischen Militärgefängnis verblieb. Nach neun Monaten drohte Bühler psychisch zusammenzubrechen, seine Lebenspartnerin in Zürich setzte alles in Bewegung, um Firma und EDA zu einer Regelung mit den Iranern zu drängen. Schliesslich bezahlte der BND das Lösegeld, ohne die CIA zu informieren. Die Überweisung lief über die Schweiz, das Lösegeld hiess inzwischen «Kaution».

«Kastrierte Technologie»

Nach seiner Rückkehr in die Schweiz erwies sich Bühler als dauerhaftes Risiko für das Projekt «Minerva». Er war durch die Haft, die tagelangen Verhöre und die psychische Folter traumatisiert und ausserdem überzeugt, dass ihn die Firma schon nach drei Monaten hätte freibekommen können. Tag und Nacht ging er den Gründen seiner Verhaftung nach, rief Beiräte, Verwaltungsräte und immer wieder die Geschäftsleitung an, sprach mit Medien, Behörden und ehemaligen Mitarbeitern. Ein 1977 entlassener Vizedirektor der Firma berichtete ihm von manipulierten Geräten und seiner Bevormundung durch amerikanische und deutsche Kryptologen, der Kollege im osteuropäischen Markt vom Misstrauen der jugoslawischen Armeeführung, ein Laborant sprach von «kastrierter Technologie», und ein Mitglied des Beirates machte Andeutungen über einen verdeckten deutschen Eigentümer.

CIA und BND gaben dem Fall Bühler bezeichnenderweise den Decknamen «Hydra». Dem Schlangenmonster aus der griechischen Mythologie wuchsen jeweils zwei Köpfe nach, wenn ihm einer abgeschlagen wurde. Und so war es: Jeder Versuch des deutschen Firmenchefs Michael Grupe, Bühler mit einer Abfindung, der Beschäftigung im Innendienst, einer Übernahme von Kosten seiner psychiatrischen Begleitung und eines finanzierten Outsourcings zum Schweigen zu bringen, konnte die Lage nur zeitweilig beruhigen. Bühlers Drang, über seinen Fall zu reden, war stärker, auch Klagedrohungen schreckten ihn nicht ab. Nach einem Beitrag 1995 in der «Baltimore Sun» erwirkte die Firma eine superprovisorische Verfügung. Aber jetzt musste sie klagen, es drohte ein öffentlicher Gerichtsprozess mit Vorladung von Zeugen. Die CIA empfahl diesen Weg, weil man Bühler in einem jahrelangen Gerichtsverfahren zu zermürben hoffte. Nach einem Ultimatum liess sich Bühler zum Stillschweigen verpflichten – ihm drohte fortan eine Konventionalstrafe von 100’000 Franken für jeden Bruch.

«Es war ein sehr enger Ausgang», ist im CIA-Bericht zum Abschluss der Hydra-Affäre vermerkt. Die Vereinbarung verhinderte die drohende Ausweitung des Falls, was das Ende der verdeckten Geschäftstätigkeit der Firma bedeutet hätte. Zahlreiche Kunden, speziell Indonesien und Ägypten, stellten Crypto-Vertretern im Aussendienst unangenehme Fragen, andere wie Italien waren stets skeptisch.

Der BND steigt aus

Die Hydra-Affäre führte 1993 zum Ausstieg des BND aus dem Gemeinschaftsprojekt. Der Bundesnachrichtendienst war verärgert, dass sich die CIA auch nachträglich nicht am Lösegeld beteiligte. Es war ausserdem absehbar, dass die Zuger Firma neues Geld benötigte, während sie zuvor zeitweilig Geld für die Geheimdienste abgeworfen hatte. Und jede Zahlung würde neue Spuren hinterlassen. Der BND war ausserdem nicht damit einverstanden, dass die Amerikaner ihre Erfolge bei der Entschlüsselung umgehend öffentlich machten.

Der Fall beschäftigte Hans Bühler bis an sein Lebensende. Statt heimzukehren in sein Haus in Zürich-Oerlikon mit der Hobbyfunkzentrale im Dachstock, hatte er neun Monate in einem Teheraner Militärgefängnis geschmort, geplagt mittels Verhörtechniken, die darauf angelegt sind, einen Menschen zu brechen. Statt beim Musikvortrag an der Maturafeier der Tochter seiner Lebenspartnerin dabei zu sein, hörte er die Schreie der gefolterten Mitgefangenen. «Wir vermissen dich», sagte die Tochter an der Trauerfeier im Seebacher Friedhof im August 2018. Auch die Zeitgeschichte wird ihn nicht vergessen, als unermüdlichen Kämpfer für die Wahrheit.

Res Strehle: Verschlüsselt – Der Fall Hans Bühler. Werd-Verlag, 200 S., 1994; Neuauflage als E-­Book 2020.
(https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/die-tragoedie-eines-technikers/story/24215009)



neues-deutschland.de 12.02.2020

Eine »ungeheure Gangsterei«

Die Geschichte der Crypto AG – oder wie NSA, CIA und BND weltweit Staatsgeheimnisse belauschten

Am Mittwoch tagte das Parlamentarische Gremium zur Kontrolle der Geheimdienste. Das Thema dürfte gesetzt gewesen sein: »Cryptoleaks« – ein neuerlicher Spionageskandal von NSA, CIA und BND.

Von René Heilig

Sollte »auch nur ein Bruchteil« der veröffentlichten Fakten zutreffend sein, so halte er das »für einen bislang einmaligen Skandal in der Geschichte des BND«, empört sich André Hahn. Der Linke-Politiker ist Mitglied im Geheimdienstausschuss des Bundestages. Er fordert andere Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) die Offenlegung eines kriminellen Coups. Den haben die US-Geheimdienste NSA und CIA mit dem deutschen Auslandsgeheimdienst BND über Jahrzehnte durchgezogen. Aktuell berichteten das ZDF-Magazin »Frontal21«, die »Rundschau« des Schweizer Fernsehens und die »Washington Post« darüber.

Eine Schlüsselstellung im Wortsinn kommt in der Affäre der Schweizer Crypto AG zu. Die Firma in Zug verkaufte jahrzehntelang unter dem Deckmantel der Schweizer Neutralität Chiffriergeräte. Sie wurden und werden in rund 130 Ländern genutzt, um die Kommunikation zwischen Regierungen und Institutionen, aber auch zwischen Finanz- und Wirtschaftsbereichen geheim zu halten. Allerdings baute der Hersteller zwei Arten von Verschlüsselung ein – eine sichere und eine, die der CIA und dem BND das Mitlesen ermöglichte. Seit mindestens 1970. Beide Dienste waren zu gleichen Teilen Eigentümer der Crypto AG. Seit 2018 ist die Firma – noch immer Marktführerin bei Chiffriergeräten – in einen internationalen und einen Schweizer Teil aufgespalten. Beide Chefetagen versichern, nichts mit ausländischen Nachrichtendiensten zu tun zu haben.

Ähnliches hörte man bereits öfter. Derweil belauschten CIA und BND bei der flächendeckend angelegten Operation jedermann. Auch europäische Staaten. So hörten die Spione den geheimhaltungswürdigen Funkverkehr des blockfreien Jugoslawien ab, dessen Zerfall 1991 manifest wurde. Anschließend tobten Bürgerkriege, die NATO griff ein. Irland wurde belauscht, selbst vor NATO-Partnern wie Spanien, Portugal, Italien oder Türkei machte man nicht halt.

Vor allem aber waren sogenannte Schwellenländer betroffen. Beispielsweise die miteinander verfeindeten Atommächte Indien und Pakistan. Dank eingebauter »Hintertüren« konnten CIA und BND quasi mithören, wie argentinische Putschisten in den 1970er Jahren politische Gegner verschwinden ließen. Das Schicksal von 30 000 Menschen dort ist weiter ungeklärt. Auch der Putsch gegen die frei gewählte sozialistische Regierung 1973 in Chile konnte den Lauschern nicht verborgen bleiben. Ebenso Operationen der iranischen Revolutionsgarden oder die der Iraker unter Saddam Hussein.

Auch bei den Camp-David-Verhandlungen, die Israel und Ägypten zehn Jahre nach dem Sechstagekrieg zusammenführten, hatte der »ehrliche Makler«, US-Präsident Jimmy Carter, Einblick in die Karten aller Seiten. Auch in die von Algerien, dessen gute Dienste man beanspruchte.

Bestens informiert waren die US-Militärs auch, bevor sie 1989 Panama überfielen. Dass der dortige Machthaber Manuel Noriega Schutz in der Vertretung des Vatikan gesucht hatte, wusste die CIA. Denn auch der Heilige Stuhl nutzte Produkte der Crypto AG.

Nun liegen nach Auskunft der beteiligten Rechercheure 250 Seiten an Dokumenten vor, die bestätigen, dass es sich bei der zunächst »Thesaurus« genannten und dann unter dem Codenamen »Rubicon« fortgesetzten Operation um »eine der erfolgreichsten nachrichtendienstlichen Unternehmungen der Nachkriegszeit« handelte. Der BND stieg demnach dennoch 1993 aus.

Begründete Vorwürfe gegen die Crypto AG hat es indes bereits vor Jahren gegeben. In den frühen 1990er Jahren äußerten Experten entsprechende Vermutungen, zudem finden sich Blogeinträge zum Thema aus dem Jahr 2008. Schweizer Journalisten recherchierten 2015. Die NSA selbst gab rund 52 000 Seiten frei. Aus der Dokumentensammlung des langjährigen NSA-Mitarbeiters William F. Friedman (1891-1969), den manche den »Gottvater der US-amerikanischen Kryptologie« nennen, geht einiges hervor. Wer damals nachforschte, konnte leicht herausfinden, dass Crypto-Gründer Boris Hagelin (1892-1983) nicht nur ein enger Freund von Friedman, sondern ebenfalls NSA-Mitarbeiter war.

Nach der Verhaftung des Crypto-AG-Mitarbeiters Hans Bühler 1992 im Iran bekamen Gerüchte über den Geheimdiensthintergrund der Firma abermals Nahrung. Bühler selbst fragt sich, warum er bei den wochenlangen Verhören im iranischen Militärgefängnis immer wieder nach dem Siemens-Konzern gefragt worden ist.

Bei der Gründung des Unternehmens 1952 besaß Hagelin nur eine von insgesamt 50 Aktien. 48 gehörten einer Briefkastenfirma in Liechtenstein. Inzwischen weiß man, dass diese »Anstalt Europäische Handelsgesellschaft« heißt und in Vaduz ein Büro hat. Hier stößt man wieder auf Leute von Siemens – oder solche, die sich als Angestellte der Firma ausgeben. Eine Rolle spielt auch die deutsche Bundesvermögensverwaltung. Sie ist bereits mehrfach als Tarnfirma des BND aufgefallen. Wurden über sie auch die Gewinne aus dem Verkauf der Chiffriermaschinen transferiert? Wohin? Was hat der BND mit den »schwarzen Millionen« gemacht? Weder die Haushälter des Bundestages noch der Bundesrechnungshof wissen das offenbar.

Der Verdacht, dass der BND mit den Geldern Parteien oder andere Extremisten finanziert haben könnte, ließe sich sofort widerlegen, wenn der Geheimdienst die Fakten auf den Tisch legte. Es wäre klug, nicht zu warten, bis andere das tun. Der Schweizer Bundesrat hat bereits eine unabhängige Untersuchung des Falls beschlossen.

Übrigens: Der erste, der auf die trojanischen Konzepte der Crypto AG hingewiesen hat, hieß Boris Hagelin junior. Der Sohn des Firmengründers war als Verkaufsmanager in Nord- und Südamerika unterwegs und sprach von einer »ungeheuren Gangsterei«. Wenn er die Firmenleitung übernehme, versprach er, werde damit Schluss sein. Dazu kam es jedoch nicht: Hagelin junior starb 1970 bei einem Autounfall in New York.
(https://www.neues-deutschland.de/artikel/1132812.crypto-ag-eine-ungeheure-gangsterei.html)



tagesanzeiger.ch 12.02.2020

Spionageaffäre: Für einmal sind sich SP und Blocher einig

Jetzt ist es offiziell: Die Linke beantragt eine Untersuchung durch das Parlament im Fall Cryptoleaks – doch zwei Fraktionen stellen sich quer.

Christoph Lenz, Markus Häfliger, Arthur Rutishauser

Nachdem der Name von Alt-Bundesrat Kaspar Villiger in der Crypto-Affäre aufgetaucht ist, wird die Einsetzung einer Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) immer wahrscheinlicher.

SP-Fraktionschef Roger Nordmann hat bereits am Mittwochnachmittag beim Parlament einen Antrag zur Einsetzung einer PUK eingereicht. Nordmanns Vorschlag enthält 38 konkrete Fragen zu sieben Fragenkomplexen. Sie reichen von der Rolle der Nachrichtendienste über die Strafverfolgungsbehörden bis hin zum Bundesrat. «Es gibt sehr viele Fragen zu klären», räumt Roger Nordmann ein. Aber die Vorgänge seien sehr gravierend. «Die Glaubwürdigkeit der Schweiz, ihrer Geheimdienste, ihrer Unternehmen und ihrer Institutionen steht auf dem Spiel.» Deshalb reiche auch die durch den Bundesrat angeordnete Untersuchung von Alt-Bundesrichter Niklaus Oberholzer nicht aus. «Nur eine PUK hat die notwendigen Mittel, um das richtig aufzuklären.»

Nordmanns Idee ist, dass das Büro des Nationalrats eine eigene überparteiliche Parlamentarische Initiative zur Einsetzung einer PUK beschliesst. Die nächste Sitzung des Büros ist bereits diesen Freitag.

Blocher äussert sich erstmals

Auch SVP-Doyen Christoph Blocher zeigt sich offen für eine PUK. «Wenn es einen ernsthaften Verdacht gibt, dass Bundesräte davon gewusst haben, muss dies von einer externen Stelle untersucht werden, eventuell braucht es sogar eine PUK. Eine vom Bundesrat bestimmte Untersuchungsinstanz reicht jedenfalls nicht, denn sie ist zu wenig unabhängig», sagt Blocher gegenüber dieser Zeitung.

Blocher stand von 2003 bis 2007 als Justizminister selber einem der Departemente vor, die von der Affäre am direktesten betroffen sind. Er selber wisse von der Affäre aber nichts, sagt Blocher. «Mir war auch nur der Inlandgeheimdienst unterstellt. Crypto war für mich kein Begriff.»

Auch die FDP zeigt sich sehr offen für die Einsetzung einer PUK. Präsidentin Petra Gössi hatte Parlamentarische Untersuchungskommission bereits am Dienstagabend im Interview mit dieser Zeitung als «ernsthafte Option» bezeichnet. An dieser Einschätzung habe sich auch nach den Enthüllungen zur möglichen Rolle von Alt-FDP-Bundesrat Villiger nichts geändert, hiess es am Abend bei der FDP Schweiz.

Als allererster hatte Grünen-Fraktionschef Balthasar Glättli von einer PUK gesprochen. Jetzt drückt er aufs Tempo: Ihm schwebt vor, dass sich die Parteien innerhalb des Büros des Nationalrats auf eine PUK einigen und dass das Büro dann eine entsprechende Parlamentarische Initiative verabschieden könnte. Das soll nach Glättlis Vorstellung bereits am nächsten Freitag passieren, wenn das Büro ohnehin tagt. «Wenn der politische Wille bei allen Parteien da ist, könnte die PUK bereits in der kommenden März-Session beschlossen und eingesetzt werden», sagt Glättli.

Mit den Stimmen von SVP, SP, FDP und Grünen gäbe es in beiden Kammern problemlos eine Mehrheit für die Einsetzung einer PUK. Bisher kam dieses mächtige parlamentarische Instrument auf Bundesebene erst viermal zum Einsatz: 1964 beim Mirage-Skandal, 1989 bei der Fichenaffäre, 1990 bei der Geheimarmee P-26 und 1996 wegen Problemen bei der Pensionskasse des Bundes.

CVP und GLP kritisch

Kritisch zur Einsetzung einer fünften PUK zur Crypto-Affäre äussert sich jedoch CVP-Ständerätin Andrea Gmür, die Präsidentin der Mittefraktion. Gmür sagt, es sei «richtig und nötig, den Hintergründen der Crypto-Affäre auf den Grund zu gehen». Daher begrüsse die CVP es sehr, dass der Bundesrat dazu eine Untersuchung bei Alt-Bundesrichter Niklaus Oberholzer (SP) in Auftrag gegeben habe. «Ob auch das Parlament aktiv werden muss, etwa mit einer PUK, ist für mich noch nicht abschliessend klar», so Gmür. «Dafür ist die Faktenlage einfach noch zu dünn.»

Gegen eine PUK zum jetzigen Zeitpunkt äussert sich auch GLP-Fraktionschefin Tiana Angelina Moser. «Klar ist, dass man diese Affäre aufklären muss», sagt die Zürcher Nationalrat. Und klar sei auch, dass die vom Bundesrat angestossene Oberholzer-Untersuchung nicht reiche, sondern dass das Parlament selber aktiv werden müsse. Da sei aber primär Sache der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) des Parlaments. «Genau solche Fragestellungen sind ihre Aufgabe.» Moser argumentiert, dass die GPDel die gleichen Auskunftsrechte und Untersuchungskompetenzen habe wie eine PUK. «Darum ist der Ruf nach einer PUK schlicht verfrüht.»

Die GPDel erhielt vom Bundesrat bereits im November erstmals Informationen über die Crytpo-Affäre. Wegen der eidgenössischen Wahlen wurde sie per Anfang Jahr neu zusammengesetzt. Eine formelle Inspektion oder Untersuchung hat sie bis jetzt noch nicht beschlossen, sie kann das aber jederzeit tun.
(https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/crypto-leaks/spionageaffaere-fuer-einmal-sind-sich-sp-und-blocher-einig/story/17626276)



tagesanzeiger.ch 12.02.2020

Darum blieb die Crypto-Affäre so lange im Dunkeln

Viele Exponenten in Bern wussten von der Spionage-Operation, die über eine Zuger Firma lief – doch die Ermittlungen verliefen im Sand.

Res Strehle, Kurt Pelda, Thomas Knellwolf, Oliver Zihlmann

Wegen eines KMU in Steinhausen, Kanton Zug, müssen bald Geschichtsbücher auf der ganzen Welt angepasst werden. Zum Beispiel Passagen über die spektakulären Verhandlungen in Camp David, die 1979 zum Frieden zwischen Israel und Ägypten führten. Nun wird klar, wie die Amerikaner damals die Ägypter abhören konnten. Dank einer von Geheimdiensten beherrschten Firma im Zugerland. (Wo die Geheimdienste überall mithörten)

Wegen desselben schweizerischen KMU waren der US-Geheimdienst CIA und sein deutscher Partner – der Bundesnachrichtendienst (BND) – auch frühzeitig über die Todesflüge der argentinischen Militärdiktatur im Bild. Dagegen unternommen haben sie nichts. Unzählige Menschen wurden lebendig über dem Atlantik oder dem Rio de la Plata abgeworfen.

Den Falklandkrieg gegen die Briten verloren die Argentinier 1982 wohl auch deshalb, weil sie ihre geheimen Nachrichten mit Geräten aus Steinhausen übermittelten. So konnten die Amerikaner alles entschlüsseln und die Informationen ihren britischen Partnern weiterleiten.

Auf Neutralität vertraut

Ägypten, Argentinien und wohl über 100 andere Staaten kauften über viele Jahrzehnte manipulierte Verschlüsselungsmaschinen im Kanton Zug ein. Und zwar bei der Crypto AG, die 2018 aufgelöst wurde.

Bei den Amerikanern, den Briten oder den Russen hätte wohl keines dieser Länder Verschlüsselungstechnik bezogen. Die Angst vor verborgenen Hintertüren wäre zu gross gewesen. Doch auf den hervorragenden Ruf der Schweizer Neutralität vertrauten Regierungen und Armeen weltweit. Auch der Iran, Jugoslawien, lateinamerikanische Juntas und sogar der Vatikan schworen auf Spitzentechnik made in Switzerland. Sie lagen falsch.

Nun bestätigt sich, was bislang nur vermutet und stets vehement abgestritten wurde: BND und CIA besassen die Crypto AG jahrzehntelang. Das KMU in Steinhausen war nichts anderes als ein gut getarnter Ableger der Geheimdienste für den Verkauf von manipulierter Verschlüsselungstechnik. Zahlreiche Staaten zahlten viel Geld, damit die Deutschen und die Amerikaner ihre vermeintlich chiffrierte Kommunikation abhören konnten.

Doch weshalb wird die jahrzehntelange Spionageoperation, eine der grössten seit dem Zweiten Weltkrieg, ausgerechnet jetzt enthüllt? Der freie Kölner Investigativjournalist Peter F. Müller hat Dokumente zugespielt bekommen, die detailliert beschreiben, wie die BRD und die USA die Welt austricksten, betrogen, über den Tisch zogen. Müller, der für das ZDF arbeitet, teilte rund 270 Seiten Akten mit der «Rundschau» des Schweizer Fernsehens und der «Washington Post».

Die involvierten Redaktionen sind nach monatelanger Prüfung überzeugt, dass die Unterlagen echt sind. Aus CIA- und BND-Perspektive wird darin im Rückblick die Operation beschrieben, welche die Tarnnamen Minerva und Rubikon trug. «Es war der Nachrichtendienst-Coup des Jahrhunderts», rühmen sich die Amerikaner laut der «Washington Post» in den Papieren.

Bernd Schmidbauer, Deutschlands Geheimdienstkoordinator in den 90er-Jahren unter Bundeskanzler Helmut Kohl, bestätigt nun den TV-Sendern das amerikanisch-deutsche Vorgehen. Schmidbauer spricht von einer «sehr gelungenen Operation». Sie habe «sicher dazu beigetragen, dass die Welt ein Stück sicherer geworden ist».

Frühe Hinweise nach Bern

Angefangen hatte gemäss den Dokumenten alles 1970, als die Amerikaner und die Deutschen über eine Liechtensteiner Tarngesellschaft die Crypto AG aufkauften. Dem Schweizer Staat blieben die Aktivitäten in Steinhausen nicht lange verborgen.

Bereits Ende 70er-Jahre bekam die Bundesanwaltschaft ein erstes Mal Hinweise auf die manipulierte Chiffrierung. Die Leitung der Crypto AG hatte einen Vizedirektor in der Entwicklungsabteilung daran gehindert, die noch mechanischen Geräte mit der besten Technik auszurüsten. Der Ingenieur kam zur Überzeugung, dass die Rechenoperationen zur Verschlüsselung stets so zu erfolgen hatten, dass eine Entschlüsselung möglich war. Er bekam dafür zuerst Vorgaben aus der Government Electric Division in Arizona und dann von den Kryptologen aus der Zentralstelle für Chiffrierung bei Bonn.

Der Ingenieur schied 1977 frustriert aus der Firma aus und meldete seine Beobachtungen einem befreundeten Schweizer Korpskommandanten. Der beunruhigte hohe Offizier informierte die Bundesanwaltschaft. Ein Verfahren wurde eröffnet. Doch es verlief im Sand.

Eine zweite Gelegenheit zur Aufklärung der Daueraktivität der ausländischen Geheimdienste auf Schweizer Staatsgebiet verpassten die Behörden in den 90er-Jahren.

Hans Bühler, ein Verkaufsingenieur der Crypto AG, war 1992 auf Dienstreise in Teheran verhaftet und über neun Monate lang festgehalten worden. Nach der Bezahlung von 1 Million Dollar durfte er ausreisen. Zurück in Steinhausen, wurde Bühler entlassen. Empörte Crypto-Mitarbeiter informierten daraufhin die Medien über Manipulationen der Geräte.

Der BND wurde nervös, stieg 1993 bei der Crypto AG aus und liess die Amerikaner alleine weitermachen. Dabei hatten die Deutschen seitens der Schweizer Strafverfolgung kaum etwas zu befürchten. Die Bundespolizei stellte ihre Abklärungen nach eineinhalb Jahren ergebnislos ein.

Waren die Schweizer Ermittler unfähig, die Sache aufzuklären? Oder haben sie die Operation der USA und Deutschlands auf Schweizer Boden gar gedeckt?

Auf die zweite Variante deuten Dokumente hin. Dort heisst es: «Hohe Beamte» des militärischen Nachrichtendienstes der Schweiz hätten «generell Kenntnis von der Rolle Deutschlands und der USA im Zusammenhang mit der Crypto AG» und hätten die Operation geschützt. Auch «Schlüsselpersonen in der Regierung» hätten von den Geschehnissen gewusst.

Das ZDF zitiert eine weitere Stelle, die auf eine Vertuschung hindeutet: «Ein Schweizer Geheimdienst-Mitarbeiter informierte die CIA, dass sie in der Lage wären, das Ergebnis der Untersuchung so zu steuern, dass es keine Manipulation der Geräte zeigt.»

Jürg Bühler, heute Vizedirektor des schweizerischen Nachrichtendiensts des Bundes (NDB), leitete in den 90er-Jahren bei der Bundespolizei die Vorermittlungen zur Crypto AG. Er stellt die Sache grundlegend anders dar. «Niemand konnte uns Beweise liefern, dass die Geräte manipuliert sind», erklärt Bühler. Auch habe die Bundespolizei die Besitzverhältnisse recherchiert, aber man sei in Liechtenstein nicht weitergekommen. «Deshalb hatten wir keinen Verdacht, dass die Vorwürfe stimmten, und haben deshalb kein Verfahren eröffnet», sagt Bühler. «Im Nachhinein merken wir jetzt, dass wir teilweise angelogen wurden. Das ist natürlich ärgerlich.»

Die Schweiz als Profiteurin?

Mehrere Personen, die mit den damaligen Vorgängen in der Schweiz vertraut sind, bestätigen dieser Zeitung, dass verschiedene Exponenten des Bundes von der amerikanisch-deutschen Crypto-Operation wussten. Ein Insider sagt sogar, dass die USA den Schweizer Nachrichtendienst über einen Teil der via manipulierte Chiffriergeräte gewonnenen Informationen in Kenntnis setzten – sozusagen als Gegenleistung dafür, dass man in Steinhausen ungestört weiterarbeiten durfte.

Der Nachrichtendienst des Bundes schreibt, er äussere sich «weder zu Entscheidungen noch zu Aktivitäten seiner Vorgängerorganisationen». Er handle «strikt nach den gesetzlichen Vorgaben» und seine Tätigkeit werde von mehreren politischen und unabhängigen Behörden kontrolliert. Zu seiner operationellen Tätigkeit äussere sich der NDB nur gegenüber der Chefin VBS, Viola Amherd, und seinen Aufsichtsorganen.

Auch die Schweiz hat über Jahrzehnte Verschlüsselungssysteme der Crypto AG bezogen, die zum Teil noch immer im Einsatz stehen. In den vergangenen Wochen sind diese Systeme auf Sicherheitslücken geprüft worden. Für solche Kontrollen zuständig ist die Fachstelle für Kryptologie innerhalb der Führungsunterstützungsbasis (FUB) der Armee. Laut VBS gab es Entwarnung: «Gemäss heutigem Kenntnisstand können Schwächen in den an Schweizer Behörden gelieferten Verschlüsselungssystemen ausgeschlossen werden.»

Aktiv geworden ist auch Wirtschaftsminister Guy Parmelin. Aufgeschreckt durch die Recherchen, hat der SVP-Bundesrat bereits Mitte Dezember die Generalausfuhrbewilligung für international tätige Nachfolgefirmen der Crypto AG sistiert – «bis die Sachlage und die offenen Fragen geklärt sind», wie das Volkswirtschaftsdepartement auf Anfrage erklärt. Die Behandlung von Einzelausfuhrgesuchen sei – wenigstens theoretisch – weiterhin möglich. Tatsächlich sind Einzelgesuche pendent, doch wurden sie bisher nicht bewilligt, teilt das Departement mit.

Die Untersuchung läuft

Der Bundesrat hat am 15. Januar den ehemaligen Bundesrichter Niklaus Oberholzer eingesetzt, um «das Thema zu untersuchen und die Faktenlage zu klären». Unterstützt wird er von der Anwaltskanzlei Kellerhals-Carrard. Oberholzer soll bis Ende Juni dem VBS Bericht erstatten. Doch für Petra Gössi dauert das viel zu lange: «Es geht nicht an, dass wir erst im Sommer wissen, was Sache ist», sagt die FDP-Chefin im Interview. Und SP-Präsident Christian Levrat fordert: «Es gibt Fragen, die der Bundesrat selber beantworten muss – und zwar jetzt.»

Die Bundesanwaltschaft wird im Skandal um die Zuger Firma Crypto AG vorerst nicht aktiv. Das teilt sie auf Anfrage mit. Die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Strafverfahrens seien derzeit nicht erfüllt. «Medienberichte alleine genügen hierfür in der Regel nicht», schreibt die Bundesanwaltschaft. Sollten in der Untersuchung von Alt-Bundesrichter Niklaus Oberholzer aber Hinweise auf strafrechtlich relevante Aspekte auftauchen, würden die zuständigen Stellen diese gemäss dem üblichen Vorgehen prüfen.
(https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/crypto-leaks/darum-blieb-die-cryptoaffaere-so-lange-im-dunkeln/story/27463673)


Video: Ein Kenner schätzt die Affäre ein
Der ehemalige Tages-Anzeiger-Chefredaktor Res Strehle recherchierte schon in den Neunzigerjahren zur Crypto AG. Im Interview erklärt er, um was es bei den Cryptoleaks geht und was das für die Schweiz bedeutet. Video: Anthony Ackermann
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tagesanzeiger.ch 12.02.2020

«Auch der Geheimdienst muss sich der Neutralität unterordnen»

FDP, Grüne und SP erwägen in der Crypto-Affäre die Einsetzung einer PUK. Historiker Georg Kreis sieht den Schaden vor allem im Inland.

Christoph Lenz, Markus Häfliger

Ende Juni soll es Klarheit geben. Bis dann hat Alt-Bundesrichter Niklaus Oberholzer vom Bundesrat Zeit erhalten, seinen Untersuchungsbericht zur Crypto-Affäre abzuliefern. Doch für Petra Gössi dauert das viel zu lange: «Es geht nicht an, dass wir erst im Sommer wissen, was Sache ist», sagt die FDP-Chefin im Interview. Und SP-Präsident Christian Levrat fordert: «Es gibt Fragen, die der Bundesrat selber beantworten muss – und zwar jetzt.»

Levrat verweist auf die «Washington Post». Diese berichtet, dass Personal der früheren, von der CIA kontrollierten Crypto AG womöglich heute noch aktiv sei. Bei solchen Personen stelle sich der Tatverdacht des verbotenen Nachrichtendienstes, sagt Levrat. «Der Bundesrat hätte gegen solche Personen längst Strafanzeige einreichen können.»

Wer wusste was?

Auch SVP-Politiker reagieren alarmiert auf die Enthüllung. «Das ist ein gigantischer Spionagefall», sagt Nationalrat Franz Grüter. Man müsse jetzt rasch abklären, ob in den Schweizer Behörden jemand davon gewusst habe – und wer.

Grünen-Fraktionschef Balthasar Glättli geht bereits weiter – und nennt eine Person, die «besonders im Fokus» stehe: Markus Seiler, bis 2017 Direktor des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB) und heute Generalsekretär von Aussenminister Ignazio Cassis. Dass Seiler früher den NDB geleitet, davor VBS-Generalsekretär war und nun zuständig sei für die Guten Dienste im Ausland, sei eine «explosive Mischung», findet Glättli. Darum müsse Seiler rasch sagen, ob er gewusst habe, dass ausländische Geheimdienste die Crypto AG kontrolliert hätten.

Seiler selber verweist auf Anfrage an das Verteidigungsdepartement (VBS), das in der Affäre die Informationsführung übernommen hat. Doch das VBS beantwortet konkrete Fragen nicht – sondern vertröstet auf die Oberholzer-Untersuchung.

Auch Grüne diskutieren PUK

Er glaube kaum, dass es ohne eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) Aufklärung gebe, sagte Glättli gegenüber SRF. In zehn Tagen soll die grüne Fraktion über einen entsprechenden Antrag diskutieren. Die SP wolle «zuerst schauen, welche Informationen wir auf den normalen Kanälen bekommen», sagt Levrat. Aber auch bei der SP gebe es Überlegungen bezüglich einer PUK.

Eine PUK ist die schärfste Waffe des Parlaments. Bisher kam sie erst viermal zum Einsatz: 1964 beim Mirage-Skandal, 1989 bei der Fichenaffäre, 1990 bei der P-26 und 1996 bei der Eidgenössischen Versicherungskasse. Vereint hätten FDP, Grüne und SP im Ständerat eine Mehrheit für die Einsetzung einer fünften PUK, im Nationalrat fehlen ihnen nur drei Stimmen. Es wäre die erste PUK seit fast einem Vierteljahrhundert, diesmal zur Crypto-Affäre.

Die GPDel wartet ab

Im Normalfall für die Aufsicht über die Nachrichtendienste zuständig ist die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) der eidgenössischen Räte. Das Gremium, das sich aus drei National- und drei Ständeräten zusammensetzt, befasst sich derzeit ebenfalls mit der Crypto-Affäre. Das VBS habe die Delegation im vergangenen November «über die Nachforschungen der Medien und die beschlossenen Abklärungen auf Seiten der Bundesverwaltung informiert», sagt der GPDel-Präsident, Nationalrat Alfred Heer (SVP/ZH). Auf die Frage, was sein Gremium in der Sache nun weiter unternimmt, antwortet Heer: «Sie wird die Resultate der laufenden Abklärungen und Arbeiten der Bundesverwaltung abwarten und danach ihren eigenen Handlungsbedarf prüfen.»

Kein «absolut neutraler Neutraler»

Viele der befragten Politiker sehen die Crypto-Affäre vor allem als Belastung für die Neutralität der Schweiz. Spezialist für die Geschichte der Schweizer Neutralität ist der Historiker Georg Kreis. Im Gespräch erinnert er daran, dass die Schweiz völkerrechtlich nicht für das Handeln von Privatfirmen auf ihrem Territorium verantwortlich ist. Anders sähe die Sache aber aus, wenn der Bund oder der Geheimdienst informiert waren.

«Wenn die Behörden von gewichtigen Nachrichtentätigkeiten erfahren oder sogar indirekt daran beteiligt seien, müssen sie diese unterbinden», sagt Kreis. «Auch untergeordneten Stellen, etwa der eigene Nachrichtendienst, müssen sich der offiziellen Doktrin der Neutralität unterordnen», sagt Kreis.

Der Historiker erinnert an alte Fälle, etwa dass die Bundespolizei 1943 und 1944 die Spionage des Ungarn Alexander Rado für Moskau und des Deutschen Rudolf Rössler unterband. «Den amerikanischen Nachrichtenmann Allen W. Dulles liess sie allerdings gewähren», sagt Kreis. Die Neutralitätspolitik sei eben immer schon sehr elastisch gehandhabt worden. Und auch im Ausland war allen klar, dass die Schweiz ein «westlicher Neutraler» sei und damit den USA nahe standen. «Wie waren nie ein absolut neutraler Neutraler», sagt Kreis.

Über die Nähe der Schweizer Sicherheitsbehörden zum CIA ist Kreis nicht erstaunt. Auch Staaten wie Ägypten und Argentinien hätten von dieser Nähe gewusst, sagt Kreis. «Wenn diese nun erstaunt sind über diese Affäre, würde mich das selber erstaunen.»

Aussenpolitisch sieht er den Schaden deshalb als weniger gross an. Probleme sieht Georg Kreis allenfalls bei den Guten Diensten, die die Schweiz zum Beispiel im Iran anbietet. «Wenn solche Affären bekannt werden, riskiert die Schweiz, dass sie Vertrauen verliert, und Vertrauen ist die Voraussetzung dafür, dass man ihre Guten Dienste überhaupt akzeptiert.»

Fragen stellten sich für Kreis hauptsächlich in der Schweiz selber. «Als Staatsbürger finde ich schon, dass diese Befunde dieser Crypto-Affäre mit dem vorherrschenden Verständnis von Neutralität kollidieren», sagt Kreis. Zwar gebe es in der Bevölkerung eine Überhöhung des Neutralitätsbegriffes, und diese würde teilweise durch die Politiker selbst bewirtschaftet. Wenn die Spannungen mit der Realpolitik aber zu gross würden, könne es Risse und Brüche geben. «Politik muss mitgetragen werden und sie muss bis zu einem bestimmten Grad auch geglaubt werden.» Innenpolitisch dürfte der Fall deshalb durchaus Auswirkungen nach sich ziehen, vermutet Kreis.
(https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/politiker-verlieren-bereits-die-geduld-mit-dem-bundesrat/story/27824192)



tagesanzeiger.ch 12.02.2020

Die Cryptoleaks – erklärt in sieben Punkten

Ausländische Geheimdienste konnten jahrelang über Geräte einer Schweizer Firma mithören. Das Wichtigste zur Spionage-Affäre.

Die Enthüllungen zu den Cryptoleaks sorgen weltweit für Schlagzeilen. «Das wird eine Belastung für die Schweizer Neutralität», sagt Res Strehle, der frühere Chefredaktor des Tages-Anzeigers. Er ist ein Kenner der Geschehnisse rund um die Crypto AG und hat bereits in den Neunzigerjahren darüber ein Buch verfasst. Im Video-Interview erklärt er, was die neuen Erkenntnisse in der Spionage-Affäre für die Schweiz bedeutet.

Das Wichtigste in Kürze:

1. Über 100 Regierungen kauften in den letzten Jahrzehnten Verschlüsselungsgeräte der ehemaligen Zuger Firma Crypto AG. Sie chiffrierten damit streng geheime Nachrichten, auch im Krieg.

2. Staaten wie der Iran, Libyen, Ägypten und Saudiarabien vertrauten darauf, dass die Geräte aus der neutralen Schweiz nicht manipuliert waren.

3. Jetzt kommt aus: Die CIA und der deutsche BND hatten Hintertüren in den Crypto-Geräten. Sie konnten jahrzehntelang viele Staaten abhören. Der deutsche Geheimdienstkoordinator bestätigt die Operation. (Zur Recherche)

4. Die USA erhielten unschätzbare Informationen etwa in Konflikten mit Libyen und dem Iran.

5. Laut Dokumenten, die der «Rundschau» vorliegen, waren auch Vertreter des Schweizer Geheimdienstes eingeweiht.

6. Der Bundesrat hat Alt-Bundesrichter Niklaus Oberholzer (SP) beauftragt, bis Ende Juni die Faktenlage zu klären. (Zum Bericht)

7. Die beiden Nachfolgefirmen der Crypto AG sagen, sie wüssten nichts von der Operation. Wirtschaftsminister Parmelin hat der Crypto International AG bis zur Klärung der Lage die Generalausfuhrbewilligung sistiert.
(https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/die-cryptoleaks-erklaert-in-sieben-punkten/story/11747619)