Medienspiegel 1. Februar 2020

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

++ZÜRICH
Sans-Papier-Kolumne: «Gesund bleiben, bitte!»
Geschätzt leben 10’000 Menschen ohne Papiere in Zürich, sogenannte Sans-Papiers. Sie leben hier, sie arbeiten hier, aber sie haben (fast) keine Rechte und keine Stimme. Licett Valverde, die als Sans-Papier in die Schweiz kam, schreibt einmal im Monat auf Tsüri.ch über ihre Erlebnisse.
https://tsri.ch/zh/sanspapier-kolumne-zurich-city-card-gesundheit/


+++SCHWEIZ
Nach Urteil von Strassburg: Konvertierte Asylbewerber hoffen auf höhere Bleibechance
Nach einem Leiturteil des Menschenrechtsgerichtshofs erhöhen Asylanwälte den Druck auf die Schweiz.
https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/nach-urteil-von-strassburg-konvertierte-asylbewerber-hoffen-auf-hoehere-bleibechance-136310641


+++DEUTSCHLAND
Ausspähungen durch den türkischen Staat: Asylsuchende in Gefahr
Nach der Verhaftung eines Anwalts der Deutschen Botschaft in Ankara befürchtet die Regierung Übergriffe des türkischen Geheimdienstes in Deutschland.
https://taz.de/Ausspaehungen-durch-den-tuerkischen-Staat/!5661562/


+++SPANIEN
Spanien: Die Kinder-Migranten von Barcelona
In Katalonien kümmern sie sich vorbildlich um Kinder und Jugendliche aus Afrika, die illegal eingereist sind. 13 000 Kinder und Jugendliche, die meisten aus Marokko und anderen afrikanischen Staaten, wagten alleine 2018 ohne Begleitung die gefährliche illegale Reise nach Spanien, in Booten oder versteckt in Lastwagen. Alle hoffen auf eine Zukunft in Katalonien.
https://www.arte.tv/de/videos/091489-000-A/spanien-die-kinder-migranten-von-barcelona/


+++MITTELMEER
Interner Libyen-Bericht EU warnt vor neuer Flüchtlingskrise
Soll die EU im Mittelmeer wieder eigene Schiffe einsetzen und nebenbei auch Flüchtlinge retten? Der Auswärtige Dienst der EU plädiert in einem vertraulichen Bericht dafür – eine neue humanitäre Krise sei möglich.
https://www.spiegel.de/politik/ausland/libyen-interner-eu-bericht-warnt-vor-neuer-fluechtlingskrise-a-58df3b30-95c2-456e-8251-fb956b744ea1?sara_ecid=soci_upd_KsBF0AFjflf0DZCxpPYDCQgO1dEMph


Internationale Migrationsagentur Zahl der Flüchtlinge auf der östlichen Mittelmeerroute steigt
Experten erwarten einen Anstieg von Flüchtlingen in Europa. Die internationale Migrationsagentur lobt Seehofers Vorschlag eines Schnellverfahrens an der EU-Außengrenze.
https://www.handelsblatt.com/politik/international/internationale-migrationsagentur-zahl-der-fluechtlinge-auf-der-oestlichen-mittelmeerroute-steigt/25495520.html


+++LIBYEN
UNO-Flüchtlingswerk schließt Flüchtlingslager in Libyen
Das UNO-Flüchtlingswerk zieht sich aus dem EU-finanzierten Flüchtlingslager in der libyschen Hauptstadt Tripolis zurück. Man könne die Sicherheit der Flüchtlinge und der Mitarbeiter vor Ort nicht mehr sicherstellen.
https://daserste.ndr.de/panorama/aktuell/UNO-Fluechtlingswerk-schliesst-Fluechtlingslager-in-Libyen,libyen272.html


+++FLUCHT
Wiki Eintrag Tunesien
FFM ist daran beteiligt, die bislang von der TAZ unterstützte Seite Migration-Control zu aktualisieren und zu erweitern. Die neue Seite wird im Februar 2020 online gehen. Geplant ist, die bislang unter „Länder“ abrufbaren Beiträge als Wiki zugänglich zu machen und dieses Wiki um Regionalstudien und um weitere Einträge – wie EUTF, GIZ, EUNAVFOR oder FRONTEX – zu erweitern. Um für dieses Projekt zu werben und den Fortschritt unserer Arbeit zu dokumentieren, veröffentlichen wir einige Aktualisierungen vorab.
https://ffm-online.org/wiki-eintrag-tunesien/


+++JENISCHE/SINTI/ROMA
Der Kanton Bern will für ausländische Roma einen Transitplatz einrichten – dagegen wehren sich neben der SVP auch Schweizer Fahrende
Der Kanton Bern will an der A1 im Seeland einen Platz für ausländische Roma schaffen. Die Schweiz ist jedoch verpflichtet, Fahrenden aus dem In- und Ausland Plätze zur Verfügung zu stellen.
https://www.nzz.ch/schweiz/kanton-bern-will-platz-fuer-auslaendische-roma-svp-wehrt-sich-ld.1537242


+++REPRESSION DE
Der Hamburger Prozess gegen »die Drei von der Parkbank« hat begonnen
Eine Frage der Hochsicherheit
Anfang dieses Monats begann der Prozess gegen »die Drei von der Parkbank« in Hamburg. Die Verteidigung wirft der Hamburger Polizei vor, einen der Angeklagten monatelang rechtswidrig überwacht zu haben.
https://jungle.world/artikel/2020/05/eine-frage-der-hochsicherheit


Systemli: ‚Your friendly tech collective‘
Im Zuge des linksunten.indymedia.org-Prozesses vor dem BVerwG in Leipzig haben wir uns bei Studio Ansage gefragt, wie die Arbeit von Tech-Kollektiven funktioniert und inwieweit sie sich durch den Angriff auf und das Verbot von linksunten 2017 mit betroffen sehen.
Dazu haben wir mit Timo von Systemli gesprochen. Laut Selbstbeschreibung ist Systemli ein „Unkommerzieller Anbieter für datenschutzfreundliche Kommunikation. Ganz ohne Überwachung.“
https://www.freie-radios.net/99657


+++SPORTREPRESSION
Neue Kontrollpolitik im Wallis: Gefährlicher Alleingang
Fans sollen bei Spielen im Wallis strenger kontrolliert werden. Das ist ein Abrücken von bewährten Mitteln im Umgang mit Gewalt bei Fussballspielen.
https://www.tagesanzeiger.ch/sport/fussball/neue-kontrollpolitik-im-wallis-gefaehrlicher-alleingang/story/26329083
-> https://www.tagesanzeiger.ch/sport/fussball/kommt-die-idkontrolle-fuer-fussballfans/story/20227733


+++POLICE BE
Rentner nach Streit mit Polizei angezeigt
Der 65-jährige R.G. soll in Worblaufen von Polizisten zu Boden gerissen worden sein und sich Schürfwunden zugezogen haben. Darüber hinaus wurde er nach dem Streit angezeigt. Der Rentner erklärt, wie es zum Vorfall kam.
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/rentner-nach-streit-mit-polizei-angezeigt-136313741
-> https://www.blick.ch/news/schweiz/bern/einfahrt-in-worblaufen-be-zugeparkt-polizei-reisst-rentner-r-g-65-zu-boden-id15727452.html


+++POLICE ZH
Streit bei der SP: Müssen Polizisten die Nationalität der Täter nennen?
Die Zürcher Stadtpolizei soll die Nationalität der Täter wieder öffentlich machen. Dies fordert momentan die Mehrheit des Kantonsparlaments. Das Blatt könnte sich jedoch bald wenden. Die SP der Stadt Zürich macht ihren Kantonalpolitikern Beine.
https://www.telezueri.ch/zuerinews/streit-bei-der-sp-muessen-polizisten-die-nationalitaet-der-taeter-nennen-136313781



tagesanzeiger.ch 01.02.2020

Nennung der Nationalität entzweit Zürcher SP

Taktisch klug oder Verrat eigener Werte? Die SP-Zentrale massregelt die Fraktion wegen der SVP-Initiative.

Corsin Zander

Es scheint, als hätte es die SVP geschafft, die linken Parteien zu spalten. Die Geschäftsleitung (GL) der kantonalen SP übt Druck auf ihre Kantonsratsfraktion aus: Diese soll den Gegenvorschlag zur SVP-Initiative «Bei Polizeimeldungen ist die Nationalität anzugeben» ablehnen. «Die grosse Mehrheit der Geschäftsleitung wollte diese Haltung der Fraktion weitergeben», bestätigt Co-Präsident Andreas Daurù. Dass die GL solche Empfehlungen macht, ist ungewöhnlich.

In der elfköpfigen GL vertreten ist auch der Fraktionschef Markus Späth. Er war gestern für den TA nicht erreichbar. Späth dürfte eine andere Haltung vertreten haben, setzte er sich doch im Kantonsrat dezidiert für die Unterstützung des Gegenvorschlags der Regierung ein. Dieser will, dass die Nationalitäten von Tätern und Opfern in Polizeimeldungen genannt werden – nicht aber ein allfälliger Migrationshintergrund, wie es die SVP fordert. Die Unterstützung des Gegenvorschlags ist ein taktisches Manöver, um – aus der Sicht der Linken – noch Schlimmeres zu verhindern. Die SVP hatte ursprünglich angekündigt, die Initiative zurückzuziehen, wenn das Parlament zum Gegenvorschlag Ja sagt. Vor allem aus diesem Grund befürwortete die vorberatende Kommission den Gegenvorschlag einstimmig.

Stadtparteien machen Druck

Diese taktische Haltung verärgerte die Stadtzürcher Linken. Gemäss TA-Recherchen übten sie Druck auf die Kantonsratsfraktionen aus. Zuerst kippte die AL: Sie lehnte den Gegenvorschlag bei der ersten Behandlung im Kantonsrat vor zwei Wochen klar ab. Die anderen Parteien bis hin zur CVP waren gespalten, sagten mehrheitlich aber Ja zum Gegenvorschlag.

Doch in der Zwischenzeit hat sich einiges getan. Die Jungen Grünen kündigten ein Referendum an, wenn der Gegenvorschlag zustande kommen sollte. Die städtischen Grünen und die Juso sagten dafür ihre Unterstützung zu. Und nun macht auch die kantonale SP-Parteileitung Druck gegen die Taktik, die SVP-Initiative mit einem abgeschwächten Gegenvorschlag zu verhindern. «Dieses taktische Vorgehen ist risikoreich», sagt SP-Co-Präsident Daurù. Aus seiner Sicht müsste die SP für den Kompromiss sehr viel hergeben.

Lagebesprechung am Montag

In den linken Kantonsratsfraktionen sorgen die Druckversuche für Ärger. Viele fürchten, die SVP-Initiative werde angenommen, wenn der Gegenvorschlag nicht zustande kommt. Dann hätte es die SVP nicht nur geschafft, ein Wahlkampfthema zu besetzen, die Polizei müsste auch noch den Migrationshintergrund von Tätern bekannt geben. Offiziell will sich dazu aber niemand äussern. «Wir werden am Montag nochmals zusammensitzen und die Lage neu besprechen», sagt Grünen-Fraktionschefin Esther Guyer bloss. Definitiv entscheidet der Kantonsrat am 7. März über den Gegenvorschlag und die Initiative.
(https://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/region/namensnennung-entzweit-zuercher-sp/story/18777437)


+++ANTIRA
Schule wirbt mit kleinem Ausländeranteil
In einem Stelleninserat einer Thuner Schule steht, sie biete den Bewerbern «überdurchschnittlich wenig Kinder mit Migrationshintergrund». Die Passage sorgt für Empörung.
https://www.20min.ch/schweiz/news/story/Schule-bruestet-sich-mit-kleinem-Auslaenderanteil-20755913


+++HOMOHASS
So reagieren Passanten auf Schwule und Lesben
Böse Blicke und dumme Sprüche: Wir begleiteten mit einer versteckten Kamera ein lesbisches Paar und zwei Schwule durch Zürich.
https://www.20min.ch/schweiz/news/story/-Wir-Lesben-werden-als-Sexobjekte-betrachtet–27663117


+++FUNDIS
Warum die Swiss genug hatte: Der radikale Glauben der Schoko-Familie Läderach
Die Fluggesellschaft Swiss hat die Läderach-Pralinés aus dem Sortiment genommen. Nicht ohne Grund, wie ein genauer Blick auf den fundamentalistischen Hintergrund der Läderachs zeigt.
https://www.watson.ch/blogs/sektenblog/318218963-laederach-bosse-stehen-wegen-ihres-radikalen-glaubens-am-pranger


+++HISTORY
Der Rassist in uns – Deutschlands verdrängtes koloniales Erbe
Spätestens mit dem Aufstieg der AfD ist Deutschlands Ruf als ehrlicher Aufarbeiter der eigenen Vergangenheit dahin. Eine wahre Black Box ist immer noch Deutschlands koloniales Erbe. Der Zündfunk Generator fragt sich, warum die Aufarbeitung der Kolonialverbrechen erst jetzt beginnt.
https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/zuendfunk/der-rassist-in-uns-deutschlands-verdraengtes-koloniales-erbe100.html


+++RECHTSEXTREMISMUS
Weil der Chef mit Neonazis geschäftete: Roviva verliert Auftrag von Asylorganisation
Roviva-Chef Peter Patrik Roth pflegt enge Kontakte zu Neonazis – und produziert Matratzen für Flüchtlinge. Jetzt hat die Asylorganisation Zürich die Zusammenarbeit mit ihm gestoppt.
https://www.blick.ch/news/schweiz/weil-der-chef-mit-neonazis-geschaeftete-roviva-verliert-auftrag-von-asylorganisation-id15729846.html
-> https://www.watson.ch/wirtschaft/schweiz/749664194-matratzenhersteller-roviva-verliert-wegen-nazi-sympathien-des-chefs-auftrag



derbund.ch 01.02.2020

Im Neonazi-Chat tummelt sich auch ein Schweizer «Volksgrenadier»

Das Forum Iron March war die Brutstätte von Rechtsradikalen weltweit – ein Datenleck von 25’000 privaten Nachrichten zeigt, wie sie ticken.

Barnaby Skinner

Die Eingangsfrage im Chat ist harmlos: «Ich habe gehört, dass Du Belletristik schreibst. Welcher Art?» Doch schon bald geht es nicht mehr ums Bücherschreiben, sondern um Shooter-Games und Nazis. Die Spiele wären besser, wenn die Ziele mehr aussehen würden wie Juden, steht da. Und: «Das Dritte Reich nimmt in meinem Herzen einen speziellen Ort ein.» Oder: «Hitler war der grösste Sohn der deutschen Nation!»

Der Chat endet mit dem Hinweis auf ein Youtube-Video mit dem Titel «Sieg oder Walhalla!». Ein Ort für gefallene Krieger in der nordischen Mythologie.

Es handelt sich hierbei um den privaten Austausch zweier Mitglieder der Online-Community Iron March, eines Diskussionsforums von Neonazis. Die beiden involvierten Nutzer tragen in der Gemeinschaft die Namen «Damnatio Memoriae» und «Volksgrenadier». Der erste ist vermutlich Engländer, der zweite wohl Schweizer. Das geschlossene Onlinenetzwerk Iron March wurde im Jahr 2017 von Unbekannten gehackt, und letztes Jahr ist dessen gesamter Inhalt für kurze Zeit frei einsehbar im Internet ebenfalls von unbekannt publiziert worden; darunter sind Sachen wie sensitive Daten wie Passwörter, E-Mail-Adressen, Social-Media-Konten. Es handelt sich um das grösste bekannte Datenleck eines Neonazi-Forums und ermöglicht einen so intimen Einblick in die rechtsextremistische Szene wie selten zuvor.

Das sehen die Ermittlungsbehörden weltweit ebenfalls so, auch diejenigen in der Schweiz. Die Behörden wollen herausfinden, wer hinter Nutzernamen wie «Volksgrenadier» und «Damnatio Memoriae» oder «Odin», «Daddy Terror», «Fascist Capitalist», «Hakenkreuz», «Ginger Hitler» steckt. Und sie handeln dabei durchaus mit Dringlichkeit. Denn es geht darum, abzuschätzen, wie gut vernetzt und wie gewaltbereit die rechte Szene mittlerweile ist, und darum, Gewalt zu verhindern, bevor sie geschieht.

Seltsame esoterische Ader

Das Onlineforum Iron March galt bis zum Riesendatenleck sechs Jahre lang als eine der gefährlichsten Ecken des Internets für rechten Extremismus. Hier wurde der Grundstein zu gleich mehreren rechtsextremen, gewaltbereiten Gemeinschaften gelegt. Vor allem haben sie damit begonnen, die Gewalt auszuüben, die sie im Forum Iron March religiösen Minderheiten, Farbigen oder Homo- und Transsexuellen mit Worten angedroht hatten.

Vanguard America aus den USA ist eine dieser Gruppen. Ein Mitglied war zum Beispiel James Fields; das ist der 20-jährige Neonazi, der bei der Unite-the-Right-Demonstration in Charlottesville im Jahr 2017 die 32-jährige Gegendemonstrantin Heather Heyer mit seinem Auto umgefahren und getötet hat.

Die wohl gefährlichste und grösste Gruppierung, die nachweislich aus Iron March hervorgegangen ist, ist die Atomwaffendivision (AWD). Mindestens fünf Morde werden mit der Gruppierung in Verbindung gebracht. Deren Gründungsmitglieder stammen aus Florida, USA. Ihre Ideologie propagiert masslose Gewalt, um einen weltweiten apokalyptischen Rassenkrieg herbeizuführen. Am 17. März 2017 veröffentlichte der damals 22-jährige Brandon Clint Russell, einer der AWD-Rädelsführer, bei Iron March ein Handbuch zu paramilitärischen Taktiken und zum Umgang mit Landminen. Die AWD hat ausserdem eine seltsame esoterische Ader. So glauben deren Mitglieder, dass Aufstieg und Erfolg der Nationalsozialisten, insbesondere der politische Erfolg von Hitler und Goebbels, auf okkulte Einflüsse zurückzuführen seien.

Nachdem das Forum Iron March gehackt wurde, wechselte die AWD auf andere einschlägige rechtsextreme Internet-Plattformen und benutzt heute den verschlüsselten Chat-Dienst Telegram oder Dienste wie Discord, ein Video-Chat, der eigentlich für Gamer entwickelt wurde. Mittlerweile gelingt es der Organisation, auch Mitglieder ausserhalb der USA anzuwerben. Die skandinavische Sektion etwa heisst «Nordische Widerstandsbewegung», die britische Sektion «Sonnenkrieg-Division» und die deutsche, erst 2018 gegründet, «Atomwaffendivision Deutschland».

Es ist diese neuerliche Entwicklung, die auch Schweizer Ermittlern Sorge bereitet. Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) hat bereits in seinem letzten Jahresbericht festgestellt: «Die Schweizer rechtsextreme Szene ist im Aufbruch.» 2018 kam es in der Schweiz zu 53 rechtsextremen Ereignissen: Treffen, Konzerte, halböffentliche Reden. So viele wie noch nie seit 2012. Ob die Schweizer Rechtsextremisten gewalt­bereiter werden, bleibt gemäss Bericht unklar. Laut NDB sind die Linksextremen in der Schweiz das Hauptproblem. Sie seien weiter wesentlich gewaltbereiter. Umso aufschlussreicher könnte für den NDB ein Blick in die Datenbank von Iron March sein. Er könnte Experten dabei helfen, abzuschätzen, ob die Schweiz bald mit einem aggressiveren Rechtsextremismus zu rechnen hat.

Wertvolle Daten für die Ermittler

Ob der NDB die Daten von Iron March tatsächlich unter die Lupe genommen hat, wollte er allerdings nicht kommentieren. Doch eine Anfrage bei der Zürcher Kantonspolizei lässt vermuten, dass sich der Nachrichtendienst zumindest mit den Daten beschäftigt hat. Der Kanton Zürich verfügt über die schweizweit grösste Polizeieinheit zur Bekämpfung von Cyberkriminalität.

Zum Aufgabengebiet gehört auch die Untersuchung von Extremismus mit Gewaltbezug. Ein Polizeisprecher sagte: «Die zuständige Spezialabteilung hat seit Publikation der geleakten Iron-March-Daten Kenntnis davon. Aber sie will und kann aus ermittlungstaktischen Gründen keine näheren Angaben zur Untersuchung machen.»

Rechtlich ist die Lage so, dass die Zürcher Polizei die Daten erst dann untersuchen darf, wenn darin eindeutige Gewaltbezüge zu finden sind. Mit grosser Wahrscheinlichkeit kam ein ebensolcher Tipp vom NDB.

Eine Untersuchung des umfangreichen Materials verrät, wie wertvoll der Inhalt für die Ermittler sein muss. Diese Zeitung hat sich frühzeitig eine Kopie der Iron-March-Datenbank besorgt. Die Analyse erlaubt einen raren, exklusiven Blick in die Subkultur des Rechtsextremismus; vor allem ist erkennbar, wie weltweit vernetzt die Szene mittlerweile ist. Die Mehrheit der untersuchten 25 000 Privatmeldungen sind auf Englisch verfasst, nebst deutschen, finnischen, holländischen, portugiesischen, schwedischen, serbischen, spanischen oder ungarischen.

Die Analyse zeigt auch, wie schwierig die Polizeiarbeit sein muss. Wer erwartet hat, dass in der rechtsextremen Community am Laufmeter gegen Minderheiten gehetzt und das Gesetz gebrochen wird, muss enttäuscht werden. Liest man nur einen Teil der privaten Meldungen, wähnt man sich in einem Bücherclub. Gerade die älteren Community-Moderatoren verbringen viel Zeit damit, jüngere Nutzer mit Lesematerial zu versorgen. Etwa alle Bücher des italienischen Rassentheoretikers Julius Evola: «Die Arische Lehre von Kampf und Sieg» (1941) zum Beispiel oder «Grundrisse der faschistischen Rassenlehre» (1943). Beide Bücher stehen auch auf der Leseliste von Steve Bannon, dem früheren Berater von US-Präsident Donald Trump. Oder das Buch «Siege» (Belagerung) des US-Neonazis James Mason (1992). Sein Werk gilt als Pflichtlektüre aller Mitglieder der Atomwaffendivision. In den Chats werden für wissbegierige, jüngere Nutzer via Skype sogar Buch­besprechungstermine angeboten.

Strikte Verhaltensregeln

Das Forum kennt strikte Verhaltensregeln. Wer eine Diskussion mit zu vielen eigenen Meldungen dominiert, wird ausgeschlossen. Wer andere öffentlich beleidigt, auch. Das allerschlimmste Verhalten ist Pädophilie. Im Jahr 2012 meldete sich etwa ein Nutzer mit Schweizer Internetadresse und der Mail-Adresse 69pedodave69@gmail.com an. Das Konto wurde gelöscht, bevor der Nutzer sich äussern konnte.

Ein anderer Nutzer gab damit an, dass er kürzlich eine minderjährige Frau für Sex getroffen habe. Der Gründer der Community, der Russe Alexander Slawros, machte kurzen Prozess und schloss den Mann aus der Gemeinschaft aus. «Bitte, bitte, bitte lass mich wieder rein», bettelte der Bestrafte. Vergeblich. Slawros schickte ihm lediglich einen Link auf ein Youtube-Video, das eine russische Schlägertruppe auf der Jagd nach Pädophilen zeigt.

Die ganze Community wird von Slawros und einer Handvoll anderer Moderatoren streng überwacht und, wo sie es für nötig befinden, gemassregelt. Bevor Neumitglieder in das Forum aufgenommen werden und alle Inhalte einsehen dürfen, werden sie von den Moderatoren per Video-Telefonie interviewt und bewertet. Die Neonazi-Gemeinschaft von Iron March ist besessen von der Vorstellung, dass die Regierung sie unterwandert und ausspioniert.

Die Moderatoren sind zudem professionell organisiert. Der Nutzer namens «Der Zeiger» übernimmt die Rolle des Bibliothekars. Im echten Leben heisst der Mann Gabriel Sohier Chaput, ein heute 33-jähriger IT-Angestellter aus Montreal, Kanada. Sein Chat-Verlauf ist eine Ansammlung von Bücher-Links, die er aus allen Ecken der Welt erhalten hat. Seine Aufgabe ist es, den Online-Bücherkatalog aktuell zu halten. Aus seinem privaten Chat-Verlauf sieht man, wie täglich Lektürevorschläge bei ihm eingehen: aus Polen, Deutschland, Serbien, Schweden, Finnland, England. Alles wird geflissentlich katalogisiert. Ein weiterer Moderator ist ein Brite mit dem Nutzernamen «Terror Daddy», im echten Leben als Benjamin Raymond bekannt. Er hat in den privaten Chats oft mit jüngeren Nutzern zu tun. Er testet, wie ernst sie es mit ihrem Nazitum meinen. Im echten Leben ist Raymond ein früherer Politik-Student aus England und Mitglied der in Grossbritannien verbotenen Organisation National Action (NA). Die NA feierte in den sozialen Medien etwa den Mord an der britischen Labour-Politikerin Jo Cox während der Brexit-Referendumskampagne als nationale Heldentat.

Die Anwerbung von jüngeren Nutzern ist bei den meisten Moderatoren ein Dauerthema. In den Diskussionen zwischen den Community-Moderatoren werden regelmässig zwei Hauptquellen für die Rekrutierung erwähnt: europäische Fussballclubs und die Online-Gaming-Szene. In beiden Fällen gibt es Verbindungen in die Schweiz.

«Kein politisch korrektes Spiel»

So schreibt ein Nutzer mit dem Iron-March-Profilnamen «Torquemada»: «Wenn es Dir in der Schweiz gefällt, wird es Dir auch hier bei mir gefallen.» Aus den restlichen Ausführungen kann man davon ausgehen, dass er Slowenien meint. Er fährt fort: «Ihr könnt meine Crew und andere Jungs aus der Szene treffen. Unsere Partys sind ziemlich Hardcore. Unsere Freunde aus anderen Hooligan-Crews sind immer beeindruckt, zum Beispiel die Hooligans des Fussballclubs Berner Young Boys und CSKA Sofia. Aber kannst Du überhaupt das Land verlassen?»

Der angeschriebene «Nebuchadnezzar II» antwortete: «Ich habe es kürzlich nach Thailand in die Ferien geschafft, ohne erwischt zu werden. Doch ich bin jetzt etwas knapp bei Kasse. Alle denken, ich sei reich, weil ich einen reichen Juden um Geld betrogen habe, aber ich habe das Geld in die Weiterbildung meiner Tochter gesteckt.»

Die zweite Verbindung in die Schweiz ist die Gaming-Szene. Auch die eingangs erwähnten Nutzer «Damnatio Memoriae» und der mutmassliche Schweizer mit dem Pseudonym «Volksgrenadier» verbringen viel Zeit mit Gaming. Bei der Lektüre der Chats lässt sich gar nachvollziehen, wie sich die virtuellen Spielwelten mit den rassistischen, faschistoiden Weltanschauungen und Okkultismus vermischen.

Der Nutzer «Damnatio Memoriae» schreibt: «Ah, Du spielst auch gerne Science-Fiction-Spiele? Ich liebe ‹Mass Effect› und die Kotor-Serie.» Beides Action-Spiele für Spielkonsolen.

«Volksgrenadier»: «Ja, ‹Mass Effect› ist gut. (. . .) Und ‹True Blood› liebe ich. Zum Glück sahen es die Entwickler des Spiels nicht für nötig an, mit falschen Nazi-Referenzen das Dritte Reich in den Dreck zu ziehen.»

«Damnatio Memoriae»: «Danke für die Aufklärung der Beziehung von ‹True Blood› zu den Nazis. Das Dritte Reich hat für mich einen sentimentalen Wert. Dir würde bestimmt auch das Spiel ‹WitcherII› gefallen. Was ich daran am meisten liebe: dass es ist kein politisch korrektes Spiel ist. Es zeigt Sklaverei, Königs­morde, Rassismus, Schlachtungen. Verdammt, man kann sogar in ein Bordell gehen und sich seine Hure aussuchen.»

«Volksgrenadier»: «Das Dritte Reich hat in der Tat auch in meinem Herzen Platz, meine Seele bleibt ewig an Adolf Hitler gebunden (. . .).»

«Damnatio Memoriae»: «Ich bin froh zu wissen, dass wir die gleichen Gefühle in Bezug auf Hitler haben. Was Dr.Goebbels über diesen Mann gesagt hat, ist absolut wahr. Er war der grösste Sohn der deutschen Nation, ein Mann, mit dem die Erde einmal in tausend Jahren gesegnet ist. (…) Übrigens brauchst Du das Spiel ‹The WitcherI› nicht zu spielen, um mit NummerII zu beginnen.»

«Volksgrenadier»: «Heil, ich muss mich nur entscheiden, ob ich gleich zu ‹Witcher II› springe. Und ich bin überzeugt, dass der Führer zurückkommt, in der einen Form oder der anderen. Und dann werden wir ihm alle folgen.»

Der vorangegangene Chat-Austausch ist nur eine Auswahl der Meldungen der beiden Iron-March-Mitglieder. Tatsächlich erstreckten sie sich über mehrere Tage und Nächte.

Radikalisierung im Fokus

Wie wurde der «Volksgrenadier» als Nutzer mit mutmasslichem Schweizer Wohnsitz identifiziert? In der Regel verstecken die Mitglieder des Neonazi-Forums ihre IP-Nummern. Das ist so etwas wie die Einwahladresse jedes Computers oder Mobiltelefons ins Internet. In der Regel ist sie öffentlich. Sie kann allerdings mit sogenannten Vir­tual Private Networks (VPN) versteckt werden. Doch beim Abgleich aller IP-Adressen des Nutzers «Volksgrenadier» fällt auf, dass sich eine Ziffernfolge mehrmals wiederholt. Das ist unüblich. In der Regel vergibt ein VPN-Dienst bei jeder neuen Internet-Session eine zufällige Nummer. Das heisst: Der Nutzer «Volksgrenadier» hat manchmal wohl vergessen, seinen VPN-Dienst einzuschalten. Zudem bestätigt die Firma Green.ch mit Sitz in Lupfig AG auf Anfrage, dass die angegebene IP-Nummer einem ihrer Kunden mit Schweizer Wohnsitz zugeteilt ist. Der Versuch, den Nutzer via die angegebene E-Mail-Adresse zu kontaktieren, schlug fehl.

Für die Schweizer Behörden ist die Radikalisierung im Internet nichts Neues. Doch im Programm Nationaler Aktionsplan (NAP) zur Verhinderung und Bekämpfung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus sind dafür keine Präventivmassnahmen vorgesehen. Der Fokus liegt auf der Radikalisierung durch Islamisten. Darauf verwies im Gespräch auch Gaby Szöl­lösy, Generalsekretärin der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren, auf Anfrage.

Doch die Analyse des Internet-Forums Iron March führt möglicher­weise zu einem Umdenken. André Duvillard, Delegierter des Sicherheits­verbunds Schweiz, sagte, dass an der jährlichen NAP-Fachtagung, die im kommenden Mai durchgeführt wird, die Prävention von rechtsextremistischer Radikalisierung ganz zuoberst auf der Agenda geführt werde. Es wird also über die Gefahren geredet, die vom rechten Extremismus ausgehen.



In Zahlen

23 Dies ist der Altersdurchschnitt der User bei der Anmeldung. Im rechtsradikalen, wohl männerlastigen Forum Iron March waren Gaming und Fussball wichtige Themen.

37 So viele Sprachen waren vertreten auf Iron March. Die Mehrheit der untersuchten 25’000 Privatmeldungen wurden jedoch auf Englisch verfasst.
(https://www.derbund.ch/leben/gesellschaft/so-hetzen-neonazis/story/26712536)