Medienspiegel 6. Oktober 2019

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++BALKANROUTE
Kroatien, Push Back: Tunesischer Migrant stirbt an Wundbrand
Ende September ist ein Migrant aus Tunesien im Krankenhaus von Bihac, in dem er sieben Monate lang behandelt worden ist, an den Folgen erfrorener Füßen gestorben. Khobeib hatte im letzten Winter versucht, die Grenze nach Kroatien zu Fuß zu überqueren, war aber von der kroatischen Grenzpolizei angehalten worden. Diese habe ihn nach Bosnien zurückgeschickt und ohne Kleidung und Schuhe in den Bergen im Schnee ausgesetzt. Als er im Containerlager in Bira ankommt, sind die Zehen schon schwarz. Berichte über gewaltsame Push Backs an der kroatisch-bosnischen Grenze, die sich zu einem Nadelöhr auf der Balkanroute entwickelt hat, häufen sich. Lorena Fornasir und Gian Andrea Franchi sammeln und publizieren die Erzählungen von den Migranten und den Torturen, die sie erleiden, wenn sie von den kroatischen Grenzbewachern gestoppt und zurückgeschickt werden.
https://ffm-online.org/kroatien-push-back-tunesischer-migrant-stirbt-an-wundbrand/


+++MITTELMEER
Central Mediterranean Regional Analysis
Alarm Phone, 1 July – 30 September 2019
+++ Record number of Alarm Phone distress cases in the central Med +++ Ongoing Libyan mass interceptions but also continuous migrant and NGO struggles at sea +++ Over 1,000 counted fatalities in the Med this year +++ The Maltese Situation +++ Increasing autonomous boat arrivals in Europe +++
https://alarmphone.org/en/2019/10/05/cm-regional-analysis-2


+++EUROPA
Innenministerkonferenz in Luxemburg: Aufnahme unter Vorbehalt
Die EU-Staaten ringen um Lösungen, um Geflüchtete in den Ländern aufzunehmen. Nun soll ein neuer Verteilungsmechanismus helfen.
https://taz.de/Innenministerkonferenz-in-Luxemburg/!5628328/


EU-Staaten sprechen über Malta-Papier – Schweiz diskutiert mit
Die EU-Innenminister diskutieren am Dienstag über das Malta-Papier, in dem die freiwillige Übernahme von Bootsflüchtlingen aus dem zentralen Mittelmeer als Übergangslösung vorgesehen ist. Die Schweiz zeigt sich gegenüber dem Malta-Papier noch skeptisch.
https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/eu-staaten-sprechen-ueber-malta-papier-schweiz-diskutiert-mit-135759194


Seehofers EU-Flüchtlingspolitik: Der Union zu liberal
Seehofer will jeden vierten aus Seenot Geretteten aufnehmen. Das wären zwar nur wenige Hundert, doch Konservative wittern Schlepperhilfe.
https://taz.de/Seehofers-EU-Fluechtlingspolitik/!5628327/


Eine neue Koalition der aufnahmebereiten Staaten? Zum Treffen der EU-Innenminister am 8.Oktober
Bundesinnenminister Seehofer will das EU-Innenministertreffen in Luxemburg nutzen, um mehr Staaten für einen »Notfall-Mechanismus« zu gewinnen. Auf einem vorangehenden Mini-Treffen auf Malta haben vier Mitgliedstaaten sich auf eine Absichtserklärung verständigt, um die sog. Ausschiffungskrise zu beenden. Doch der Vorschlag geht nicht weit genug!
https://www.proasyl.de/news/eine-neue-koalition-der-aufnahmebereiten-staaten-zum-treffen-der-eu-innenminister-am-8-oktober/
-> https://www.neues-deutschland.de/artikel/1126722.bootsfluechtlinge-pro-asyl-kritisiert-vorstoss-von-vier-eu-staaten-als-unzureichend.html


Migration: Seehofer warnt vor größerer Fluchtbewegung als 2015
Immer mehr Flüchtlinge setzen von der Türkei auf die griechischen Inseln über. Bundesinnenminister Horst Seehofer fordert deshalb, die EU-Außenstaaten bei den Kontrollen stärker zu unterstützen.
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/horst-seehofer-warnt-vor-groesserer-fluchtbewegung-als-2015-a-1290187.html
-> https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/seehofer-warnt-vor-neuer-fluechtlingswelle,Re61mdm
-> https://taz.de/Suche-nach-neuer-EU-Fluechtlingspolitik/!5631342/
-> https://www.tagesschau.de/inland/seehofer-933.html
-> https://www.zdf.de/nachrichten/heute/-groesser-als-2015–seehofer-warnt-vor-fluechtlingsflut-100.html
-> https://www.derstandard.at/story/2000109555854/seehofer-warnt-vor-neuer-fluechtlingswelle?ref=rss


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Besetztes Altersheim: Widerstand aus der Bevölkerung
Seit Donnerstag ist das ehemalige Altersheim in Zollikofen besetzt. Die Gemeinde stellte dem Besetzer-Kollektiv ein Räumungs-Ultimatum aus, welches dieses aber verstreichen liess. Nun formiert sich ein Bürgerkomitee gegen die Haus-Besetzenden.
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/besetztes-altersheim-widerstand-aus-der-bevoelkerung-135761072


Transpi Aktion gegen Roviva
In der Nacht auf Sonntag haben wir in der Region Luzern fünf Geschäfte besucht, die Roviva Produkte verkaufen und ein Transpi hinterlassen.
https://resolut.noblogs.org/post/2019/10/06/transpi-aktion-gegen-roviva/



*Communiqué zur DEMO Solidarität statt Rassismus*

Etwa 1000 Demonstrant*innen haben sich heute in Zürich die Strassen genommen um ein Zeichen der Solidarität zu setzen.
Laut, bunt und entschlossen zogen wir durch die Strassen, um zu zeigen, dass wir Rassismus gegenüber Geflüchteten, sogenannten «Ausländer*innen» und Menschen mit nicht-weisser Hautfarbe nicht länger hinnehmen. Sei es auf der Strasse, in der Schule, bei den Behörden, am Arbeitsplatz oder in den Medien. Egal ob es implizit oder explizit, ob es sichtbar oder unsichtbar, ob es von Faschist*innen oder von Liberalen kommt, stellen wir uns dagegen.

Die Demo zog selbstbestimmt durch den Kreis 4 und hatte spezifische Orte für Reden zum Ziel:
Am PJZ vorbei war der erste Stop der Demo die AOZ, die mit ihrer Vielfalt ihrer Aktivitäten als Freiwilligenorganisation daher kommt aber in der Realität Menschen einsperrt. Geflüchtete Menschen werden eingesperrt und kategorisiert, die AOZ unterwirft sie ihrem strikten Regime. Migrant*innen werden in Arbeitsprogrammen ausgebeutet. Die AOZ kooperiert bei Ausschaffungen – darüber können auch die Lehrangebote und Freizeitaktivitäten nicht hinwegtäuschen. Lager und Freiheitsentzug können niemals menschlich sein!

Der nächste Stopp der Demoroute war die Securitas AG, die mit Überwachung und Kontrolle Profit macht. Ob in Knästen oder in Asylzentren, die Securitas AG, als privater Sicherheitsdienst, sorgt dafür, dass Menschen konsequent auf ihre Privatsphäre verzichten müssen und dass geflüchtete Menschen, die Schutz suchen, in Quasigefangenschaft leben müssen.An diesen Orten, wo sich besonders verletzliche Personen aufhalten, stellt das Staatssekretariat für Migration (SEM) kaum Personal zur „Betreuung“ ein, sondern massenweise uniformierte Sicherheitsleute. Diese rauben den Bewohner*innen ihre Würde und Rechte durch Ausgangsverbote und Leibesvisitationen. Die Securitas AG macht sich somit mitverantwortlich für die systematische Unterdrückung, Kontrolle und Isolation von Geflüchteten. Wer mit dem Elend anderer Leute Geld verdient, gehört angegriffen!

Heute auf den Strassen schafften wir einen Moment der Solidarität. Wir kämpfen weiterhin gemeinsam für eine solidarische Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die nicht die Augen davor verschliesst, dass an den Grenzen Europas täglich Menschen ertrinken. Eine Gesellschaft, in der Rassismus, Sexismus und Ausbeutung keinen Platz hat!

Kein Mensch ist illegal – Bleiberecht überall!
No border, no nation – stop deportation!
Say it loud, say it clear: Refugees are welcome here!
(https://www.facebook.com/events/2327959637457499/permalink/2360198674233595/)



[Communiqué Linke PoC zur Demo gegen Rassismus vom 5. Oktober]
Am 5. Oktober sind etwa 1000 Menschen auf die Strassen von Zürich, um gegen Rassismus zu demonstrieren.
In aller Schärfe verurteilen wir dabei die sexuelle Belästigung einer Demonstrationsteilnehmerin, einer trans Frau, durch die Zürcher Polizei: bei einer Kontrolle wurde sie an ihren Brüsten begrapscht. Ihr Geschlecht wurde nicht anerkannt, ihr Material beschlagnahmt, ihr T-Shirt hochgezogen und ihr BH kontrolliert (vollständiger Bericht erscheint auf Barrikade.info). Dies ist Ausdruck von strukturell transfeindlichen Praktiken des Staates, wie des langwierigen und demütigenden Prozesses zur behördlichen Anerkennung des Geschlechts. Der Kampf gegen Transfeindlichkeit ist ein Kampf, mit dem wir uns vollkommen solidarisieren!

Die Demonstration war ein starkes Zeichen gegen Rassismus. Was wir uns wünschen, ist jedoch eine vertiefte Auseindersetzung damit, wie der allerorts vorhandene und tief in unserer Gesellschaft, unserem System und unserer Kultur verankerte Rassismus auch in den Linken reproduziert wird. Ob PoC oder Weisse vorne laufen, ist eine politische Frage. Und an einer Demonstration gegen Rassismus sollten nicht unbedingt nur weisse Cis-Männer durchs Megaphon brüllen. Dies sind Auseinandersetzungen, die in anderen Bereichen geführt worden sind und geführt werden, beim Rassismus jedoch noch bevorstehen. Werden sie geführt, kann die kämpferische Linke mit doppelter Energie, doppelter Stärke aus diesen hervorgehen. Verweigert man sich ihr oder versucht sie zu unterbinden, schwächt sie sich dadurch.
Dies gesagt, bedanken wir uns an alle, die sich mit uns solidarisiert haben, sowohl beim gemeinsamen Transpimalen als auch an der Demo!
(https://www.facebook.com/LinkePoC/posts/393662144634377)



Video Spontidemo 30.09.2010: Dem Rechtsrutsch in Griechenland mit antinationaler Solidarität begegnen!
https://www.facebook.com/perspektiven.bauen/videos/944872535891954/


Bekennerschreiben nach Anschlag auf Läderach
Am Donnerstag wurde ein Buttersäure-Anschlag auf die Läderach Filiale am Basler Claraplatz verübt. Auf einem linksautonomen Infoportal ist nun ein Bekennerschreiben aufgetaucht.
https://www.bazonline.ch/basel/stadt/bekennerschreiben-nach-anschlag-auf-laederach/story/14837995
-> https://www.20min.ch/schweiz/basel/story/Bekennerschreiben-nach-Anschlag-auf-Laederach-19659101
-> https://primenews.ch/news/2019/10/laederach-linksextreme-bekennen-sich-zu-buttersaeure-anschlag
-> https://barrikade.info/article/2678
-> https://www.bazonline.ch/buttersaeure-anschlag-die-rote-linie-ueberschritten/story/12967841


+++REPRESSION TÜRKEI
Die Kinder falscher Terroristen dürfen reisen
Die Schweiz stellt türkischen Primarschülern Notpapiere aus. Die Türkei hatte sich geweigert.
https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/die-kinder-falscher-terroristen-duerfen-reisen/story/29833350


+++BIG BROTHER
tagesanzeiger.ch 06.10.2019

Die Stimme entlarvt den Verbrecher

Ein kurzes Telefongespräch reicht, um ein Phantombild der Sprechenden zu erstellen. Doch die Stimmanalyse hat ihre Tücken.

Rahel Urech

Schwarz vermummt tritt «Jihadi John» vor die Kamera. Er hält ein Messer in der Hand, neben ihm kniet eine Geisel. «Dies ist James Foley, ein amerikanischer Bürger», verkündet er und enthauptet den Journalisten. Es ist das erste von mehreren Videos, auf denen zu sehen ist, wie «Jihadi John», wie er von den Briten genannt wird, westliche Geiseln und syrische Soldaten hinrichtet. 2014 setzten die USA zehn Millionen Dollar auf seinen Kopf aus.

Was den Schlächter der Terrormiliz IS schliesslich entlarvt, ist seine Sprache. Ermittler erkennen an seinem Akzent, dass der Vermummte aus West-London stammt und identifizieren ihn als den 27-jährigen Mohammed Emwazi – einen in Kuwait geborenen Briten. Bei den Ermittlern, die «Jihadi John» zu Fall gebracht haben, handelt es sich um forensische Phonetiker. Diese nutzen das Phänomen, dass Stimmen individuell sind, als Mittel zur Aufklärung von Verbrechen.

Ein Experte darin ist Volker Dellwo, Professor für Phonetik an der Universität Zürich. Seine Arbeitsgruppe ist an fast allen stimmlichen Gutachten in der Schweiz beteiligt. «Vor Gericht geht es am häufigsten darum, die Stimmen verschiedener Sprecher zu vergleichen und zu beurteilen, ob zwei Sprachsignale – eines vom Täter, eines vom Verdächtigten – von ein und demselben oder von zwei verschiedenen Sprechern stammen», sagt Dellwo. In einem kleineren Teil der Fälle beurteilt er umstrittene Äusserungen und stellt den Wortlaut des Gesagten phonetisch nach.

Als Experte gefragt ist Dellwo zudem, wenn die Polizei für eine Fahndung ein Sprecherprofil benötigt, um einen unbekannten Sprecher zu charakterisieren. «Unsere Stimme verrät nicht nur Geschlecht und Alter, sondern auch Merkmale unserer körperlichen Erscheinung, den kulturellen Hintergrund, unsere Laune oder den Alkoholkonsum», sagt Dellwo. Aus der Frequenz und dem Stimmenklang eines Sprechers können Experten ableiten, ob ein Sprecher mit dem Täter identisch ist oder nicht.

Computer-Methoden umstritten

Doch die Stimmanalyse hat ihre Haken: «Ist ein Mensch krank, gestresst, flüstert er oder verstellt er seine Stimme absichtlich, kann das dazu führen, dass die akustischen Charakteristika sich stark verändern», sagt Dellwo. Die Merkmale innerhalb einer Stimme unterschieden sich so stark, «dass man mit stimmlichem Material nicht so zuverlässig auf einen Täter schliessen kann wie mit einem Fingerabdruck oder einer DNA-Analyse». Gut geschulte Ohren seien jedoch nachweislich ein Vorteil.

Könnten neue Technologien das Problem lösen? Nur beschränkt, sagt Dellwo. In der Praxis vielfach erprobt sind automatische Verfahren, bei der Sprechproben anhand ihrer Frequenzen verglichen werden. In einem anderen Ansatz extrahiert eine Software Stimmmerkmale und berechnet daraus Parameter, die auf die Anatomie des Sprechapparats schliessen lassen. So haben Computeringenieure in den USA kürzlich eine Software entwickelt, die nach sechssekündigem Anhören der Stimme eines Menschen sein Phantombild erstellt.

Diese automatisierten Verfahren zur Mustererkennung seien im Allgemeinen sehr leistungsfähig und identifizierten einen Sprecher zuverlässig, sagt Dellwo. Dennoch hält er es nicht für verantwortungsbewusst, sich darauf zu verlassen: «Die Methoden sind sehr abstrakt und es ist nicht einfach zu interpretieren, wie Resultat und Schlussfolgerung zusammenhängen.» Zudem könne in einem automatischen Verfahren nicht bestimmt werden, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Sprecher falsch identifiziert wurde. Dellwo selbst verwendet automatische Verfahren vor Gericht ergänzend.

Fest steht also, dass keine der Methoden der forensischen Phonetik vor Gericht absolut zuverlässig ist. Wie vier europäische Journalisten 2016 in einer breit angelegten Recherche aufdeckten, gibt es eine ganze Reihe von Fehlurteilen. Die Journalisten fanden heraus, dass die Standards für forensische Analysen in den vergangenen zwei Jahrzehnten mehrfach umgangen wurden und schlossen daraus, dass in diesem Zeitraum mehr als 20 unzureichende oder fehlerhafte Stimmanalysen vor Gericht verwendet worden waren.

Kompetenzzentrum gegründet

Wie aber liesse sich die Stimmerkennung verbessern? Wissenschafter aus Deutschland und Österreich haben kürzlich eine Datenbank erstellt, in der sie stimmliche Merkmale von 200 deutschen Männern statistisch erfassten. Nun wissen sie, wie häufig Merkmale wie zum Beispiel Rauigkeit, Heiserkeit oder der Ton, den eine Lippenvorstülpung wie jene von US-Präsident Donald Trump erzeugt, bei deutschen Männern vorkommen.

«Solche Referenzdatenbanken sind sehr wertvoll», sagt Dellwo. Je mehr solcher Daten vorhanden seien, desto besser wisse man, wie die Merkmale in der Bevölkerung verteilt seien. Und umso besser könne man einschätzen, wie wahrscheinlich es sei, dass bei zwei Sprachbeispielen einer bestimmten Bevölkerungsgruppe Merkmale übereinstimmen.

Um das Gebiet der forensischen Phonetik weiterzuentwickeln, hat Dellwos Institut im März in Zusammenarbeit mit dem forensischen Institut der Kantons- und Stadtpolizei Zürich das Center for Forensic Phonetics and Acoustics (CFPA) gegründet. Dellwo selbst forscht mit seiner Gruppe daran, wie Personen ihren Sprachrhythmus variieren. Er erhofft sich dadurch Rückschlüsse auf die Anatomie des Artikulationsapparats.

Dieses Jahr hat der Schweizerische Nationalfonds ein vierjähriges Projekt seiner Arbeitsgruppe bewilligt. Die Nachfrage rechtfertigt die Unterstützung des Bundes: Etwa 50 Anfragen um gerichtliche Gutachten landen pro Jahr auf Dellwos Schreibtisch.
(https://www.tagesanzeiger.ch/news/standard/die-stimme-entlarvt-den-verbrecher/story/22923932)


+++POLIZEI ZH
Jugendgewalt: Immer extremer?
Prügeln, Steine werfen, randalieren: Was steckt hinter den schockierenden Fällen von Jugendgewalt? Woher kommt der Hass auf Andersdenkende, die Gewalt gegen Polizei und Sanität? Was ist zu tun?
Darüber diskutiert Reto Brennwald mit folgenden Gästen: Min Li Marti, Nationalrätin SP/ZH, Daniel Blumer, Kommandant der Stadtpolizei Zürich, Adrian Oertli, Psychotherapeut Sozialwerke Pfarrer Sieber und ehemaliger Linksradikaler und Mauro Tuena, Nationalrat SVP/ZH.
https://www.srf.ch/play/tv/sendung/basler-zeitung-standpunkte?id=e2c72a57-50ad-461d-9c89-171e7b2651c1


+++SOZIALES
Die Rückkehr der „unwürdigen“ Armen. Eine kleine Geschichte der Arbeitslosigkeit
Immer wieder werden Forderungen laut, die Sozialhilfe stärker an Gegenleistungen zu koppeln. Sie beruhen auf einer moralischen Deutung von Arbeitslosigkeit, die Ökonomen vor hundert Jahren als vormodern zurückgewiesen haben. Nun ist sie wieder auf dem Vormarsch.
https://geschichtedergegenwart.ch/die-rueckkehr-der-unwuerdigen-armen-eine-kleine-geschichte-der-arbeitslosigkeit/



tagesanzeiger.ch 06.10.2019

SVP scheitert mit ihrem Angriff auf die Sozialhilfe

Die SVP-Forderung nach kürzeren Sozialhilfebeiträgen verliert an Unterstützung.

 Claudia Blumer

Noch vor einem Jahr rechneten viele mit einer Abwärtsspirale. Bern stimmte als erster Kanton über eine Sozialhilfekürzung ab, mit der die Richtlinien der schweizerischen Sozialhilfekonferenz (Skos) unterschritten worden wären. Auch in anderen Kantonen reichten SVP-Politiker Kürzungsvorstösse ein, die darauf abzielten, den Grundbedarf zu reduzieren – jenen Teil der Sozialhilfe, die für Essen, Kleider, Hygieneartikel und weitere Dinge des alltäglichen Bedarfs gedacht ist.

Doch es kam anders. Die Berner Stimmberechtigten schickten die Vorlage, die von allen ­bürgerlichen Parteien unterstützt wurde, im Mai 2019 überraschend bachab. Seither sinkt der Druck auf die Sozialhilfe gemäss Recherchen dieser Zeitung auch in anderen Kantonen.

In Baselland, wo der Landrat vor zwei Jahren entschieden hatte, den Grundbedarf um bis zu 30 Prozent zu kürzen, wurde vor wenigen Wochen ein Korrekturvorstoss eingereicht: SP-Landrätin Miriam Locher verlangt, dass der Regierungsrat die Übung abbricht, die Umsetzung der Motion von SVP-Landrat Peter Riebli stoppt. Die Abstimmung in Bern habe gezeigt, dass die Bevölkerung solche «menschenverachtenden Bestrebungen» nicht goutiere, schreibt sie im Vorstoss. Die Mehrheitsverhältnisse im Landrat haben im Frühling mit den Wahlen gekehrt; Links-Grün hat nun sieben Sitze mehr, die SVP ebenso viele weniger.

«An Brisanz verloren»

Auch im Aargau hat der Grosse Rat Ende 2017 entschieden, den Grundbedarf auf das absolute Existenzminimum zu senken, der Vorstoss von Martina Bircher (SVP) war ähnlich formuliert und trug denselben Titel wie jener in Baselland. Heute scheint die Vorlage keine Dringlichkeit mehr zu haben, sie ruht bei den Pendenzen im Sozialdepartement, dessen Spitze nach dem Rücktritt von Franziska Roth (SVP) verwaist ist. CVP-Präsidentin und Grossrätin Marianne Binder schätzt, dass eine radikale Kürzungsforderung derzeit wenig Chancen hätte. Seit Anfang 2018 im Aargau der neue Lastenausgleich in Kraft getreten ist, der strukturschwachen Gemeinden hilft, habe das Thema Sozialhilfe an Brisanz verloren. «Mit dem Lastenausgleich wurde einiges aufgefangen», sagt Binder. So verzeichnete etwa Aarburg, wo Martina Bircher Vizeammann ist, letztes Jahr einen Überschuss von einer Million Franken – ohne den Lastenausgleich hätte ein Minus von 3,7 Millionen Franken resultiert. In einem neuerlichen Vorstoss verlangte Bircher kürzlich, dass bei Sozialhilfeempfängern nur noch die ersten drei Kinder unterstützt werden sollen, ab dem vierten Kind soll es kein Geld mehr geben. Diese Forderung sei selbst im bürgerlichen Aargauer Grossrat chancenlos, glaubt Marianne Binder.

Auch in Solothurn ist eine SVP-Forderung zur Kürzung der Sozialhilfe im Kantonsrat hängig. Urheber Tobias Fischer rechnet sich wenig Chancen aus. Die FDP müsste geschlossen mit ihm stimmen, von der CVP-Fraktion ein grosser Teil. Das wird schwierig. Das Nein der Berner Stimmbevölkerung im Mai sei für diese Entwicklung mitverantwortlich, sagt Gaby Szöllösy, Generalsekretärin der Sozialdirektorenkonferenz (SODK). Der Abstimmungskampf sei sehr sachlich gewesen. «Die Medien haben umfassend berichtet. Das hat dazu geführt, dass das System der Sozialhilfe gründlich durchleuchtet wurde.» Sie hofft, dass dieser Trend anhält. Die SODK, die Skos und weitere Institutionen haben deshalb die «Charta für eine faire Sozialhilfe» lanciert. «Wenn das System untergraben wird, leiden die Betroffenen und auch die interkantonale Solidarität», sagt Szöllösy.

Ein überdeutliches Signal bekam die SVP kürzlich in Winterthur: Eine Anfang 2019 lancierte Volksinitiative zur Kürzung der Sozialhilfe scheiterte an der Unterschriftensammlung. Die zweitgrösste Partei in Winterthur bekam die erforderlichen 1000 Unterschriften in einem halben Jahr nicht zusammen – ein Novum in der Geschichte der Stadt. Der Druck auf die Sozialhilfe komme meistens in Wellen, sagt der Winterthurer Sozialvorsteher Nicolas Galladé (SP) – verursacht durch Ereignisse wie den Fall Berikon, der 2014 zu einem Exodus mehrerer Gemeinden aus der Skos führte: Ein renitenter Sozialhilfebezüger im Aargau hatte vor Bundesgericht recht bekommen, weil die Gemeinde beim Kürzen Verfahrensfehler gemacht hatte. Dann habe das Thema erneut Konjunktur bekommen, als die Berner Regierung Anfang 2017 ihre Kürzungspläne bekannt gab. Das habe die Diskussion auch in anderen Kantonen entfacht, sagt Galladé.

«Thema zieht nicht»

Er sei froh, wenn die Diskussion eine gewisse Sachlichkeit erreiche, sagt Galladé, der auch Prä­sident der Städteinitiative So­zialpolitik ist, eines Verbunds ­städ­tischer Sozialvorsteher. Zur eklatanten Niederlage der Winterthurer SVP sagt er: «Entweder war es das falsche Thema, oder das Scheitern hatte organisatorische Gründe. Oder es war eine Kombination von beidem.» Der Winterthurer SVP-Gemeinderat Markus Reinhard erklärte im «Landboten»: «Es ist wohl so, dass das Thema gerade nicht zieht.»

Ulrich Schlüer, Alt-SVP-Nationalrat, ist anderer Meinung: ­Organisatorische Fehler seien der Grund für das Scheitern in ­Winterthur, sagt er und kritisiert ­damit seine Parteikollegen. Schlüer, der aus Flaach im Weinland stammt, hat 2017 eine Gruppe mit rund zwei Dutzend Politikern ins Leben gerufen, welche die Sozialhilfe «reformieren» wollen. Derzeit habe das Thema keine Hochkonjunktur, weil ­Greta Thunberg alles verdränge. Doch wenn die Finanzlast für die Gemeinden absehbarerweise steige, werde sich das ändern, ist Schlüer überzeugt: «Dann wird das Thema ziemlich schnell wieder in den Fokus rücken.»



Flüchtlinge treiben Kosten in die Höhe

Kantone und Gemeinden werden in den nächsten Jahren höhere Sozialhilfekosten haben. Grund dafür ist die Flüchtlingswelle von 2015. Damals wurden in der Schweiz fast 40’000 Asylgesuche gestellt, mehr als je zuvor. Der Bund bezahlt die Sozialhilfe für Flüchtlinge während der ersten fünf Jahre, für vorläufig Aufgenommene während sieben Jahren. Danach sind die Wohngemeinden zuständig, mancherorts auch die Kantone oder beide zusammen.

2020 kommt also ein grosser Teil der 2015 Eingewanderten in die finanzpolitische Obhut der Kantone und Gemeinden, ein weiterer Schub folgt 2022. Die Mehrkosten für Kantone und ­Gemeinden dürften bis zu eine Milliarde Franken betragen, schrieb kürzlich die «SonntagsZeitung», basierend auf einer Hochrechnung der Prognosen von sechs Kantonen.

Damit die Betroffenen sich möglichst rasch integrieren und nicht längerfristig von der Sozialhilfe leben, haben Bund und Kantone eine Integrationsagenda lanciert, im Frühling 2019 ist sie in Kraft getreten. Sie enthält Integrationsbestimmungen und erhöht die Bundespauschale pro Person von 6000 auf 18’000 Franken. Doch für die 2015 eingereisten Asylsuchenden greift diese Gesetzesänderung nicht mehr. Die Pauschale wird zu ­Beginn ausgezahlt.

Den Arbeitsanreiz erhöhen

Die SVP zielt mit ihren Vorstössen stets auf den Grundbedarf, die Sozialhilfe für den täglichen Bedarf. Dort gibt es Spielraum, bei Ausgaben wie Krankenkasse und Wohnungsmiete nicht. Doch finanzpolitisch fällt die Kürzung des Grundbedarfs, selbst wenn sie für die Betroffenen drastisch ist, nicht ins Gewicht. Der Grundbedarf ist nur etwa ein Drittel der Sozialhilfe im engeren Sinn und ein sehr kleiner Teil der ­gesamten Sozialhilfeausgaben, wie nebenstehende Grafik zeigt. Der SVP geht es hierbei weniger ums Sparen als um den Arbeitsanreiz.

SVP-Nationalrätin Barbara Steinemann, Mitglied der Regensdorfer Sozialbehörde, kritisiert die Schwelleneffekte: Wenn Sozialhilfebeziehende einen Job bekommen, der meist im Tieflohnbereich ist, haben sie unter Umständen weniger verfügbares Einkommen als mit der Sozialhilfe. (bl)
(https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/kuerzungen-sind-vorerst-kein-thema-mehr/story/24585672)


+++FUNDIS
Auch bei Inzest und Vergewaltigung keine Ausnahme: Albietz ist gegen Abtreibung
Daniel Albietz ist gegen Abtreibungen. Dafür würde der CVP-Nationalratskandidat auch Ärzte ins Gefängnis stecken.
https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/auch-bei-inzest-und-vergewaltigung-keine-ausnahme-albietz-ist-gegen-abtreibung-135744879