+++SCHWEIZ
Die Regelschule im Zentrum der Integration ausländischer Kinder
Das Bundesgericht kommt in zwei Urteilssprüchen zum Schluss, dass
ausländische Kinder mit mangelnder schulischer Vorbildung und geringen
Deutschkenntnissen nicht über längere Zeit in segregierten Klassen oder
nur in einzelnen Fächern unterrichtet werden dürfen. Es wies beide Fälle
zur verfassungsmässigen Neubeurteilung an die verantwortliche Behörde
zurück.
https://www.humanrights.ch/de/menschenrechte-schweiz/inneres/bildung/bildung/regelschule-integration-kinder
+++ÖSTERREICH
Österreichs Ex-Kanzler sorgt vor Wahl am Sonntag für Aufsehen: Kurz warnt vor neuer Flüchtlingswelle
Die österreichische Politik wurde infolge der Ibiza-Affäre heftig
durchgeschüttelt. Wenige Tage vor den vorgezogenen Wahlen äussert sich
jetzt Ex-Kanzler Sebastian Kurz zur Politik seines Landes.
https://www.blick.ch/news/ausland/oesterreichs-ex-kanzler-sorgt-vor-wahl-am-sonntag-fuer-aufsehen-kurz-warnt-vor-neuer-fluechtlingswelle-id15530942.html
+++BALKANROUTE
Elende Zustände auf Balkanroute: Kroatien anprangern
Auf der neuen Balkanroute zeichnen sich Zustände wie in Libyen ab. Die
Zahl der Flüchtlinge steigt wieder und die EU schaut angestrengt weg.
https://taz.de/Elende-Zustaende-auf-Balkanroute/!5624916/
Bihac in Bosnien ist das Nadelöhr für Tausende Migranten auf dem Weg in die EU
Im westbosnischen Bihac stranden Tausende Migranten auf dem Weg nach
Westeuropa. Für die Kleinstadt ist das eine grosse Belastung, zumal der
Staat bei der Hilfe versagt.
https://www.nzz.ch/international/bosnien-tausende-migranten-stranden-auf-dem-weg-in-die-eu-ld.1509057
+++ITALIEN
Italien – Betreuung nach wie vor ungenügend
Eine Abklärungsreise der SFH zeigt: Verletzliche Personen, die gemäss
Dublin-Verordnung nach Italien rücküberstellt werden, werden im
italienischen Asylsystem nach wie vor nicht adäquat betreut.
https://www.fluechtlingshilfe.ch/news/archiv/2019/italien-betreuung-nach-wie-vor-ungenuegend.html
+++GRIECHENLAND
Folge der türkischen FlüchtlingspolitikMehr Migranten in Griechenland
Auf mehreren griechischen Inseln wie Lesbos oder Samos hat sich die Zahl
der Migranten seit April fast verdoppelt. Die Zunahme der Flüchtlinge
vom nahen türkischen Festland steht im Zusammenhang mit einer neuen
Flüchtlingspolitik der Regierung Erdogan.
https://www.deutschlandfunk.de/folge-der-tuerkischen-fluechtlingspolitik-mehr-migranten-in.795.de.html?dram:article_id=459390
+++MITTELMEER
So will Europa Migranten verteilen
Deutschland und Frankreich einigen sich auf eine Verteilung von Bootsmigranten. Zieht nun die Schweiz nach?
https://www.luzernerzeitung.ch/international/so-will-europa-migranten-verteilen-ld.1154530
Innenministertreffen zur Seenotrettung: Notfall-Lösung steht
Deutschland, Frankreich, Italien und Malta einigen sich,
Bootsflüchtlinge automatisch aufzunehmen und solidarisch zu verteilen.
Der Grunddissens bleibt.
https://taz.de/Innenministertreffen-zur-Seenotrettung/!5629312&s=malta/
-> https://www.neues-deutschland.de/artikel/1126220.mittelmeer-vorlaeufige-einigung-in-der-fluechtlingspolitik.html
-> https://www.jungewelt.de/artikel/363445.seenotrettung-mittelmeer-kein-sicherer-hafen.html
-> https://www.tagesschau.de/ausland/bootsfluechtlinge-119.html
-> https://www.zdf.de/nachrichten/heute/eu-staaten-einigen-sich-auf-notfallsystem-fuer-seenotrettung-100.html
-> https://www.deutschlandfunk.de/seenotrettung-deutschland-und-drei-weitere-staaten-einigen.1939.de.html?drn:news_id=1052184
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/play/radio/popupaudioplayer?id=e80e65a4-6ede-4a3a-abeb-8cace79b377c
-> https://www.srf.ch/news/international/entscheid-mehrerer-eu-staaten-uebergangsloesung-fuer-aus-seenot-gerettete-migranten
-> https://www.derstandard.at/story/2000108986548/eu-quoten-fuer-gerettete-aus-dem-mittelmeer?ref=rss
-> https://www.spiegel.de/politik/ausland/eu-staaten-einigen-sich-auf-uebergangsloesung-fuer-seenotrettung-a-1288215.html
-> https://www.srf.ch/news/international/entscheid-mehrerer-eu-staaten-uebergangsloesung-fuer-aus-seenot-gerettete-migranten
-> https://www.derstandard.at/story/2000108984089/vier-eu-staaten-einigten-sich-auf-notfallsystem-fuer-seenotrettung?ref=rss
-> https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/mittelmeer-malta-verkuendet-einigung-bei-seenotrettung
-> Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/popupvideoplayer?id=27fc1155-8c39-4b09-afef-d85e6a3132de&startTime=50.005
-> https://www.nzz.ch/international/fluechtlinge-eu-staaten-einigen-sich-auf-vorlaeufige-seenotrettung-ld.1510800
-> https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/eu-fluechtlingspolitik-notfallsystem-seenotrettung-mittelmeer
-< https://ffm-online.org/malta-ein-durchbruch-klingt-anders/?utm_source=dlvr.it&utm_medium=twitter
-> https://www.derbund.ch/ausland/europa/vier-eu-staaten-einigen-sich-auf-uebergangsloesung-fuer-seenotrettung/story/23568084
Migranten im Mittelmeer: „Chance für eine neue Ära“
Italien und Malta sollen weiter die sicheren Häfen für die Seenotrettung
bereitstellen. Italien fordert, dass die Migranten zulasten der EU
verteilt werden und Wirtschaftsflüchtlinge zur Verteilung gehören
https://www.heise.de/tp/features/Migranten-im-Mittelmeer-Chance-fuer-eine-neue-Aera-4536744.html
Eric Chinje: „Für uns ist Migration eine natürliche Bewegung“
Auf Malta suchen EU-Innenminister Lösungen für die Seenotrettung. Eric
Chinje, Journalist in Kamerun, beschreibt eine afrikanische Perspektive
auf das Thema.
https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/eric-chinje-migration-fluechtlinge-mittelmeer-solidaritaet-afrika/komplettansicht
Seenotretter „Ocean Viking“
Italien lässt Geflüchtete an Land
In der sizilianischen Hafenstadt Messina lässt die „Ocean Viking“ 182
Geflüchtete an Land. Derweil wird auf Malta über einen
Verteilmechanismus beraten.
https://taz.de/Seenotretter-Ocean-Viking/!5627929/
Wieso die Flüchtlingssituation im Mittelmeer so kompliziert ist
Während Migranten im Mittelmeer ertrinken, herrscht nach wie vor
Uneinigkeit darüber, wie man mit der Problematik umgehen soll. Der
Streit zwischen privaten Seenotrettern und EU-Staaten dauert an.
https://www.nzz.ch/international/wieso-die-fluechtlingssituation-im-mittelmeer-so-kompliziert-ist-ld.1494713
Der Aussenminister Luxemburgs ruft zu neuer EU-Seenotrettungsmission auf
Der luxemburgische Aussenminister Jean Asselborn fordert eine neue
EU-Seenotsrettungsmission und eine Verteilung der in Seenot geratenen
Flüchtlinge auf alle EU-Länder. Die sei ein Gebot der Humanität.
https://www.nzz.ch/international/der-aussenminister-luxemburgs-ruft-zu-neuer-eu-seenotrettungsmission-auf-ld.1510591
+++SYRIEN
Erdogan will Flüchtlingsgipfel mit Merkel, Macron und Putin
Sein Plan, durch außenpolitische Erfolge von den innenpolitischen Problemen abzulenken, ist gescheitert
https://www.heise.de/tp/features/Erdogan-will-Fluechtlingsgipfel-mit-Merkel-Macron-und-Putin-4535544.html
+++JENISCHE/SINTI/ROMA
Zu wenig Platz für Fahrende in der Schweiz
Die Schweiz anerkennt die Fahrenden als nationale Minderheit. Dennoch
hat die Zahl der Stand- und Durchgangsplätze für mehrere Tausend
Angehörige des fahrenden Volks in den vergangenen Jahren ständig
abgenommen. Was dazu führt, dass deren Lebensweise ernsthaft bedroht
ist.
http://www.swissinfo.ch/ger/bedrohte-minderheiten_kein-platz-mehr-fuer-fahrende-in-der-schweiz-/45241326
Fahrende in der Schweiz: Andreas Geringer – der Vermittler – Schweiz Aktuell
Andreas Geriger, selber Fahrender, ist der bekannteste Vermittler im
Streit um Transitplätze. Er vermittelt im Auftrag vom Bund bei
Konflikten.
https://www.srf.ch/play/tv/popupvideoplayer?id=b76c22e2-9598-433a-8bda-5589d3824964&startTime=628.793
—
derbund.ch 23.09.2019
Eine Kritik ohne Abnehmer
Der Präsident des Verbands Sinti und Roma Schweiz wirft den Behörden
lasches Durchgreifen bei den Fahrenden in Wileroltigen vor. Bund und
Kanton wollen davon nichts wissen.
Martin Erdmann
Der Rastplatz in Wileroltigen ist keine gewöhnliche Ruhestätte für
erschöpfte Verkehrsteilnehmer. Kein anderes Fleckchen Land im Kanton
Bern symbolisiert die Spannungen zwischen Fahrenden, Behörden und
Bevölkerung besser als diese Asphaltfläche nahe der freiburgischen
Grenze. Im Sommer 2017 haben ausländische Fahrende das an die Raststätte
angrenzende Feld in Beschlag genommen. Seither tobt ein Streit über den
Umgang mit dem fahrenden Volk. Dieser gipfelte in einem
JSVP-Referendum, das den Bau eines fixen Transitplatzes in Wileroltigen
verhindern will und nächsten Februar vors Volk kommt.
Wie 2017 wurde der Rastplatz in Wileroltigen als provisorischer
Zwischenhalt für ausländische Fahrende gebraucht. Was sich in diesem
Sommer darauf abgespielte, sorgte bei Andreas Geringer für Kritik
(«Bund» vom Montag). Der erfahrene Mediator zwischen Fahrenden und
Behörden kritisiert, dass die Behörden auf dem Platz Regeln nicht zur
Genüge durchsetzten. Dabei spricht er Abfallprobleme an oder auch die zu
lange Verweildauer. Zudem werde er von den Behörden in seiner
Vermittlungsarbeit zu wenig unterstützt.
Müller: «Falsche Adresse»
Doch das Wort Behörde ist ein weiter Begriff. Denn keine Dienststelle
will sich Geringers Kritik annehmen. Berns Sicherheitsdirektor Philippe
Müller (FDP) sieht sich nicht in der Verantwortung. «Kanton und Polizei
sind für die Vorwürfe die falsche Adresse.» Der Kanton sei in Sachen
Wileroltigen für die Planung und die Finanzierung zuständig, und die
Polizei greife nur bei strafrechtlicher Relevanz ein. «Wäre dies anders,
würden viele zu Recht reklamieren.»
Grund für polizeiliche Eingriffe hat es laut Müller in diesem Jahr kaum
gegeben. Als reibungslosen Sommer will er die Saison aber dennoch nicht
bezeichnen. «Wenn auf so engem Raum zusammengelebt wird, liegen
Konflikte auf der Hand.» Diese zu schlichten, liege in der Verantwortung
des Platzbetreibers.
In Wileroltigen ist es das Bundesamt für Strassen (Astra). Müller
illustriert das Problem mit einem Vergleich: «Wenn sich die Bewohner
eines Hochhauses um den Waschplan streiten, wird auch nicht die Polizei
gerufen, sondern die Liegenschaftsverwaltung.»
Gelder blieben aus
Doch auch beim Astra läuft Geringers Kritik ins Leere. Ja, sie sorgt
sogar für eine gewisse Verwunderung. Denn nachdem das Bundesamt im
Krisensommer 2017 auf Geringers Mediation zurückgegriffen hatte, suchte
es auch in diesem Jahr die Zusammenarbeit mit ihm. «Wohl aus
terminlichen Gründen kam diese aber nicht zustande», sagt Astra-Sprecher
Thomas Rohrbach. Doch auch ohne Geringers Hilfe war es laut Rohrbach
ein eher ruhiges Jahr. «Wir versuchten, eine akzeptable, praxis- und
konsensorientierte Lösung zu finden, was uns bisher gut gelungen ist.»
Zu Geringers Vorwurf, dass ein längeres Verweilen als die erlaubte
Haltezeit auf dem Platz toleriert werde, sagt Rohrbach: «Es waren nicht
permanent die gleichen Fahrenden anwesend. Wir haben immer wieder
Wechsel festgestellt.» Auch die Kritik, dass bei der Abfallentsorgung zu
lasch vorgegangen worden sei, will Rohrbach nicht gelten lassen. Seit
Juni sei ein privates Sicherheitsunternehmen permanent vor Ort, was sich
bewährt habe. «Fahrende wurden immer wieder auf Umweltvorschriften
hingewiesen und deren Einhaltung eingefordert.»
Bleibt die Frage der behördlichen Unterstützung. Geringer hatte sich im
Juni darüber beklagt, dass Gelder vom Kanton für seine Arbeit
ausgeblieben seien. Das treffe tatsächlich zu, wie Iris Frey von der
kantonalen Erziehungsdirektion bestätigt. Das liege daran, dass
Bedingungen nicht erfüllt worden seien. «Bisher wurde uns kein
Finanzierungsplan zugestellt, sodass wir die konkrete Geldüberweisung
noch nicht vornehmen konnten.»
Kritik an JSVP-Wahlkampf
Simon Röthlisberger ist Geschäftsführer der Stiftung Zukunft für
Schweizer Fahrende. Für ihn kommt Geringers Kritik wenig überraschend.
«Würde alles einwandfrei funktionieren, brauchte es seine Mediation
nicht.» Dass diese notwendig ist, steht für Röthlisberger ausser Frage.
«Das ist eine sehr schwierige Aufgabe, weil viele Emotionen mitspielen.»
Ein Platz wie Wileroltigen sorge immer für ein Spannungsfeld zwischen
Behörden und Bevölkerung. Und genau diese Spannung sei von der JSVP
instrumentalisiert worden, um Wahlkampf zu führen.
Röthlisberger erachtet es als problematisch, dass Geringers Kritik in
die politische Meinungsmache einfliesst. «Es werden Dinge miteinander
verglichen, über die getrennt debattiert werden muss.» Das Projekt, über
das abgestimmt wird, habe nichts mit der momentanen Übergangslösung zu
tun und könne diese nur verbessern. «Ein Fixplatz mit klaren
Betriebsstrukturen würde viele Probleme lösen», hält Röthlisberger fest.
(https://www.derbund.ch/bern/eine-kritik-ohne-abnehmer/story/14136819)
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derbund.ch 23.09.2019
«Sie müssen Sanktionen gegen renitente Familien durchsetzen»
Andreas Geringer ist der bekannteste Vermittler im Streit um
Tansitplätze. Nun übt er scharfe Kritik an den ausländischen Fahrenden
sowie am Kanton Bern.
Christian Zellweger
Es war ein überraschender Auftritt: Andreas Geringer, einer der
bekanntesten Schweizer Fahrenden, nahm vergangene Woche an einer
Parteiversammlung der Berner SVP teil. Dabei war es ausgerechnet die
Junge SVP, welche über 11000 Unterschriften sammelte für ein Referendum
gegen den geplanten Transitplatz für ausländische Fahrende in
Wileroltigen. So kommt nun der Kredit über 3,3 Millionen vors Volk.
Geringer hatte sich als Präsident des Verbandes Sinti und Roma Schweiz
(VSRS) in den letzten Jahren intensiv für den Bau eingesetzt. Und
Geringer war auch an der erfolgreichen Klage gegen die Junge SVP
beteiligt, die in Inseraten Fahrenden diffamierte.
Herr Geringer, wie muss man Ihren Auftritt bei der SVP-Versammlung
interpretieren? Heisst das, dass Sie nun ebenfalls gegen den
Transitplatz in Wileroltigen sind?
Nein, ich bin weiter dafür, dass dieser Transitplatz kommt. Das habe ich
auch an der SVP-Versammlung klar betont. Ich habe die letzten fünf
Jahre intensiv dafür gearbeitet, dass dieser Platz gebaut werden kann.
Zudem ist der Ort als Transitplatz aus Sicht der Fahrenden gut geeignet,
weil er unter anderem gut erschlossen ist.
Wieso denn nun der Auftritt an der SVP-Versammlung?
Mir ging es nicht um den Transitplatz, sondern um die Probleme, die wir
in Bern mit gewissen fahrenden Familien aus dem Ausland haben. Was
dieses Jahr im Kanton Bern mit ausländischen Fahrenden ablief, kann ich
so nicht unterstützen.
Was meinen Sie?
Was wir in Bern erleben, ist schlicht Dauercamping von einzelnen
ausländischen Familien, die die Transitplätze besetzten. Diese wären für
einen Aufenthalt von maximal sieben Tagen gedacht. Mit den zwei
provisorischen Plätzen in Brügg und Gampelen gab es dieses Jahr im
Kanton Bern 70 Standplätze für etwa 350 Personen. Für Fahrende auf
Durchreise im Kanton müsste das reichen. Nun hat man aber auch in
Wileroltigen eine weitere Gruppe toleriert – das war falsch. Gewisse
Familien besetzen diese Plätze schon seit Anfang Jahr. Wir Schweizer
Fahrenden müssen unsere Standplätze jeweils nach mindestens einem Monat
verlassen. Das wird von den Behörden auch konsequent durchgesetzt. Bei
diesen einzelnen renitenten Familien aus dem Ausland getraut man sich
aber nicht, etwas zu unternehmen.
Und darum gehen Sie an die SVP-Parteiversammlung?
Wir arbeiten mit verschiedenen Gemeindepräsidenten zusammen, da ist die
Partei zweitrangig. Ich bin auch in keiner Partei. Doch: Nur bei der SVP
habe ich das Gefühl, in dieser Sache gehört zu werden. Vom Kanton, der
Polizei und den linken Parteien habe ich in diesem Fall keine
Unterstützung gespürt.
Werden Sie mit solchen Auftritten nicht zum Abstimmungshelfer gegen den Transitplatz?
Ich bin kein Politiker, aber ich setze mich für die fahrende Lebensweise
ein. Und die ist gefährdet, wenn man nichts gegen diese einzelnen
Familien unternimmt, die sich nicht an die Regeln halten. Wir vom VSRS
haben 300 Gemeinden im Mittelland angefragt, ob sie uns Fahrenden einen
Standplatz anbieten würden, wenn wir uns zuvor anmelden würden. Wir
haben keine einzige Zusage erhalten.
Was fordern Sie denn von den Behörden?
Sie müssen Sanktionen auch gegen renitente Familien durchsetzen, wo das
vielleicht nicht so einfach ist, wie bei Schweizer Fahrenden. Es braucht
viel mehr Kontrollen, etwa von der Fremdenpolizei oder dem
Handelsregisteramt. Fahrende, die aus dem Ausland in die Schweiz kommen,
um zu arbeiten, erhalten die Bewilligungen dafür viel zu einfach, ohne
Nachweise ihrer selbstständigen Tätigkeit und auch wenn sie ihr Metier
kaum beherrschen oder sich um Umweltvorgaben scheren.
Sie sind, wie Sie auch der «Berner Zeitung» sagten, enttäuscht von den
Berner Behörden und suchen die Hilfe der SVP. In Ihrer Tätigkeit als
Vermittler zwischen Fahrenden und Behörden sollten Sie aber möglichst
neutral sein. Was heisst das nun für Ihr Engagement in der Mediation?
Die Mediation, die wir vom VSRS aus anbieten, führen wir natürlich
weiter. Sie ist in anderen Kantonen sehr gefragt, dort arbeiten wir auch
gut mit den Ämtern zusammen. Mit dem Kanton Bern müssen wir uns aber
zuerst noch mal gemeinsam an den runden Tisch setzen.
Was brauchte es denn, damit die angesprochenen Probleme gar nicht erst
entstehen? Damit die Mediation funktioniert, müssten die Behörden in
erster Linie hinter mir stehen. Stattdessen ist man mir in Wileroltigen
in den Rücken gefallen: Ich hatte vom Bundesamt für Strassen (Astra) als
Landbesitzerin ein Mandat bekommen, um mit der Familie in Wileroltigen
zu verhandeln, und auch bereits einen Abreisetermin vereinbart. Die
Polizei erlaubte dann aber, dass sie bleiben darf. So bin ich als
Vermittler nicht mehr glaubwürdig.
Und konkret auf den Stand- und Transitplätzen?
Die Plätze müssen die entsprechende Infrastruktur besitzen und täglich
gut betreut sein, es braucht einen «Feldweibel». Man muss die Leute
erziehen: Abfall muss korrekt entsorgt werden, Arbeiten, etwa mit Farbe,
müssen umweltgerecht ausgeführt werden und so weiter. In Brügg, wo der
Platz eng betreut wurde, hat das dieses Jahr gut funktioniert.
Gegenbeispiele sind Gampelen und eben Wileroltigen, wo sich niemand so
eng um die Plätze kümmern konnte – und sich die Gruppen sehr schlecht an
Regelungen und Vereinbarungen hielten.
Wie sieht Ihr Umfeld von Schweizer Fahrenden die Situation?
Es gibt durchaus Leute, die finden, es dürfe nur noch Standplätze für
Schweizer Fahrende geben und ausländische Fahrende hätten in der Schweiz
nichts zu suchen. Das wäre aber rechtlich gar nicht möglich, nicht
zuletzt auch wegen des Freizügigkeitsabkommens mit der Europäischen
Union.
Und wie sehen Sie das?
Ich bin sehr dagegen, generell gegen ausländische Fahrende zu schiessen.
Das führt zu Extremismus. Und Zeiten, in denen extreme Positionen die
Politik bestimmten, waren nie gute Zeiten für uns Fahrende. Es braucht
einen Mittelweg – und eine klare Haltung gegenüber allen, die sich nicht
an die Regeln halten. Und zwar nicht nur bei Schweizer Fahrenden,
sondern auch bei ausländischen Familien, wo das vielleicht etwas
schwieriger durchzusetzen ist.
–
Zur Person
Andreas Geringer ist Präsident des Verbandes Sinti und Roma Schweiz
(VSRS). Als solcher kennt er die Situation von Schweizer und
ausländischen Fahrenden im Land so gut wie kaum sonst jemand. Geringer
fungiert als Vermittler zwischen der Bevölkerung, den Behörden und den
Fahrenden. Geringer, der selbst eine fahrende Lebensweise pflegt, leitet
als VSRS-Präsident nämlich auch ein Mediationsprojekt, das der Verband
2017 gemeinsam mit der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) lancierte
und seit 2018 selbstständig weiterführt: Für die Behörden und
Landbesitzer sind die Mediatoren Ansprechpartner, gegenüber den
ausländischen Fahrenden versuchen die Mediatoren, die Schweizer Gesetze
und Gebräuche zu vermitteln. Ziel ist es, etwa Spontanhalten ausserhalb
der vorgesehen Plätze und Konflikte zu vermeiden. Einen Teil der Kosten
decken dabei die betroffenen Kantone. (zec)
(https://www.derbund.ch/bern/sie-muessen-sanktionen-gegen-renitente-familien-durchsetzen/story/29613522)
+++GASSE
Gemeinderatsantwort auf Motion Schneider „Dunkelziffer bei Obdachlosen ans Licht bringen“ (PDF, 75.3 KB)
https://www.bern.ch/politik-und-verwaltung/gemeinderat/aktuelle-antworten-auf-vorstosse/publizierte-antworten-am-23-september-2019/motion-schneider-dunkelziffer-bei-obdachlosen-ans.pdf/download
Armut in Basel – Seit einem Jahr hat Basel eine Notschlafstelle nur für Frauen
Ziel des Pilotprojekts ist es, dass mehr armutsbetroffene Frauen in die Notschlafstelle kommen.
https://www.srf.ch/news/regional/basel-baselland/armut-in-basel-seit-einem-jahr-hat-basel-eine-notschlafstelle-nur-fuer-frauen
Notschlafstelle Aargau – Die Nachfrage nach einem Schlafplatz ist gross
In Baden hat am 1. September die erste Notschlafstelle im Aargau eröffnet. Die sechs Betten sind bereits oft belegt.
https://www.srf.ch/news/regional/aargau-solothurn/notschlafstelle-aargau-die-nachfrage-nach-einem-schlafplatz-ist-gross
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tagesanzeiger.ch 23.09.2019
«Als Obdachlose war ich ständig gestresst»
Sandra Brühlmann lebte auf der Strasse, trank Wodka, litt unter Gewalt und Wahnvorstellungen. Heute hat sie einen «Traumjob».
Marisa Eggli
Es ist ein unscheinbarer Ort mitten in der Stadt Zürich. Hier, in einer
Seitengasse beim hektischen Stauffacher im Kreis 4, hat Sandra Brühlmann
ihre Nächte verbracht, zusammengekauert auf einem Gitterrost. Über
Monate hinweg kam sie abends her, um hier zu übernachten, meist
begleitet von zwei obdachlosen Männern.
Den Platz an der Seitenwand des Starbucks habe sie selbst entdeckt, sagt
sie. In ihrer Stimme schwingt etwas Stolz mit. Hier fror sie weniger
als anderswo, weil durch das Gitter stossweise warme Luft aus dem
Untergrund strömte. Am Morgen stieg sie jeweils in ein Tram und drehte
wahllos Runden durch Zürich, um sich aufzuwärmen.
Im Wahn sah sie Wölfe
Bald wird Sandra Brühlmann zum ersten Mal eine Gruppe von Interessierten
zu diesem Gitterrost am Rand des Stauffachers führen. Sie wird
erzählen, dass sie hier ihre Nächte verbrachte, aber selten habe
schlafen können. Sie litt an einer schweren Psychose, sah in ihrem Wahn
Wölfe, hörte Stimmen, und vor allem hatte sie grosse Angst, bedrängt
oder angegriffen zu werden. Deshalb streifte sie auch tage- und
nächtelang durch die Stadt, kam kaum zur Ruhe. «Ich war eigentlich immer
gestresst, und mir fehlte die Privatsphäre», sagt sie und streicht sich
eine blonde Strähne aus dem Gesicht.
Sie ist die erste Frau, die für den Verein Surprise in Zürich einen
Stadtrundgang macht und darin auch über die dunklen Seiten ihrer eigenen
Geschichte spricht. «Schattenwelten» heisst die neue Tour. Sie führt an
verborgene Orte, die zentral liegen und für Brühlmann wichtig waren,
als sie obdachlos war, Wodkaflaschen leerte, Ritalin-Tabletten schluckte
– und später wieder ins Leben zurückfand. Ähnliche Führungen von Frauen
gab es bisher erst in Basel und Bern.
Sandra Brühlmann ist sympathisch und gepflegt. Ihr Lachen fällt auf, und
ihre Stimme klingt rau. Während des Probelaufs erzählt sie ohne Pause
von ihrer Vergangenheit, schnell, fast hastig. Den Text, sagt sie, wolle
sie mit der Zeit auswendig können. Noch gelinge ihr das nicht ganz,
müsse sie ein bisschen ablesen. Sie sei auch etwas nervös. Das
Manuskript ist ziemlich dick.
Wohnung zugemüllt
«Hier», sagt sie nach einigen Schritten und zeigt auf ein Plätzchen am
Schanzengraben, «hier bin ich tagelang gesessen, habe in meiner Psychose
getanzt, gelacht oder laut mit mir selbst geredet.» Manchmal schmückte
sie die drei mächtigen Kastanien neben der Mauer. In ihrem Wahn schienen
sie ihr schön wie leuchtende Christbäume.
Im Grunde, sagt sie, sei sie sehr einsam gewesen. Sie hatte kaum mehr
Freunde, die Familie war weit weg, ihr Bruder suchtkrank. «Ich hätte mir
gewünscht, jemand spräche mich an oder hörte mir zu.» Aber sie hat auch
Verständnis für die Leute, die den Kopf drehten und an ihr
vorübereilten, so auffällig, wie sie sich benommen habe.
Ihre Wohnung in Zürich hatte Sandra Brühlmann verloren, als sie
psychisch bereits sehr krank war. Sie hatte das Haus seit Wochen kaum
verlassen, trank viel, ass wenig und sass bevorzugt in einer Ecke im
Wohnzimmer. Eines Tages klingelten Polizisten an der Tür. Sie wies die
Beamten erst schroff zurück. Doch dann entdeckten diese, wie sie in
ihrer Wohnung lebte. Die Böden in den Zimmern waren übersät mit Abfall,
Papierfetzen, Plastik, Zigarettenpackungen, alles wild durcheinander.
Auf den Tischen standen leere Bierdosen, Müll überall. Die
Fensterscheiben hatte sie eingeschlagen, die Vorhänge gezogen. In ihrem
Wahn glaubte sie, beobachtet zu werden.
Die Polizisten fotografierten die Räume, informierten die
Erwachsenenschutzbehörde, und dann ging es schnell: Sandra Brühlmann
erhielt eine Beiständin und die Kündigung für die Wohnung. Ihrer
Erzählung nach wurde das so rasch abgewickelt, dass sie keine Chance
hatte, für ihre Bleibe zu kämpfen. «Mir fehlte auch die Kraft, mich zu
wehren», sagt sie. Damals war sie 30, heute ist sie 36 Jahre alt.
Sparen für eine Afrikareise
Auf der Tour zeigt Sandra Brühlmann Bilder ihrer verwüsteten Wohnung.
Fragen beantwortet sie offen. Gemeinsam mit einer Mitarbeiterin von
Surprise hat sie intensiv daran gearbeitet, ihre Vergangenheit erzählen
und akzeptieren zu können.
Bereits als Jugendliche war sie depressiv und trank, erlebte Gewalt.
Später litt sie jahrelang an der Psychose, die vermutlich eine zu hohe
Dosis Ritalin ausgelöst hatte. Sie wurde missbraucht und obdachlos.
Nach Monaten auf der Strasse fand Sandra Brühlmann schliesslich
Unterschlupf im Suneboge, einer Wohn- und Arbeitsgemeinschaft im
Stadtzürcher Kreis 1. Erst fürchtete sie sich auch hier, weil vorwiegend
Männer dort wohnten. Doch wegen des nahenden Winters war sie froh um
ein Zimmer.
Der Suneboge ist auch ein wichtiger Ort auf ihrer Tour, einer, an dem
sie endlich etwas zur Ruhe gekommen ist. Dort merkte Sandra Brühlmann,
dass sie anders weiterleben will. Sie hörte schrittweise auf zu trinken
und wohnt inzwischen wieder in einer eigenen kleinen Wohnung. Nun ist
auch die Dosis ihrer Medikamente gut eingestellt. Jeden Monat legt sie
ein wenig Geld zurück und spart für eine Reise nach Afrika, wo sie sich
in einem Projekt um Tiere kümmern will.
«Wenn ich zurückschaue, schäme ich mich zum Teil für das, was ich getan
habe, zum Beispiel für die zerstörte Wohnung», sagt sie. Aber sie sei
auch glücklich über die Chance von Surprise. Als Stadtführerin und
Armutsexpertin wird sie Hunderten ihre Geschichte erzählen und sie auf
die Probleme einer verborgenen Welt aufmerksam machen können. «Ein
Traumjob», sagt sie, und «ein Glück»: «Cool, dass ich so etwas Gutes aus
meiner Scheiss-Vergangenheit machen kann.»
«Schattenwelten»: Nächste Tour mit Sandra Brühlmann am Montagnachmittag, 30.9. Weitere Führungen unter: www.surprise.ngo/stadtrundgangzh/
–
Grossteil der Obdachlosen ist psychisch krank
Wie viele Obdachlose in Zürich leben, weiss man nicht. Zahlen fehlen.
Die Stadt hat Kenntnis von rund einem Dutzend Menschen, die das ganze
Jahr über im Freien übernachten. Besser erforscht ist in Zürich die
Gesundheit von Obdachlosen.
Eine Studie kam 2014 zum Schluss, dass ein Grossteil der Obdachlosen an
einer psychischen Krankheit leidet. Für die Studie sind knapp 340
Personen befragt worden. Eine Untersuchung aus Basel kam in diesem
Frühling zu einem ähnlichen Schluss. Den zuständigen Professor Matthias
Drilling von der Fachhochschule Nordwestschweiz erstaunen die
Erfahrungen von Sandra Brühlmann deshalb wenig. Er startet Anfang 2020
die erste umfassende Studie zum Thema Obdachlosigkeit in der Schweiz.
Darin untersucht er unter anderem die Situation in Zürich, Basel und
Genf.
Als Frau mit einer psychischen Krankheit verkörpert Sandra Brühlmann
gleich zwei wichtige Aspekte des Themas. Obdachlose Frauen sind in der
Minderheit und sehen sich häufig Gewalt ausgesetzt. In Zürich schätzt
man den Anteil der Frauen, die in der Notschlafstelle übernachten,auf
rund ein Drittel. Die Institution hat 50 Plätze. (meg)
(https://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/stadt/als-obdachlose-war-ich-staendig-gestresst-und-hatte-angst/story/30232049)
—
«Wir erwarten mehr Unterstützung von den Behörden»
Am Samstagabend sind bei einer Massenschlägerei vier Männer verletzt
worden. Der Leiter der Freizeithalle Dreirosen sagt, es sei nur die
Spitze des Eisbergs.
https://telebasel.ch/2019/09/23/wir-erwarten-mehr-unterstuetzung-von-den-behoerden
Nach Massenschlägerei: Die Basler Dreirosenanlage wird Politikum
Am Samstag kam es auf der Dreirosenanlage zu einer Massenschlägerei,
sieben Personen wurden festgenommen, mehrere verletzt. Nun ermittelt
eine Sonderkommission – und die Politiker schalten sich ein. Die
Situation sei so nicht mehr tragbar.
https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/nach-massenschlaegerei-die-basler-dreirosenanlage-wird-politikum-135671309
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Schule ging an Klimademo – Regierung äussert sich
Jugendliche der Oberstufe von Frutigen BE nahmen im Frühling an einer
Klimademo in Thun teil. Darüber unterhält sich die Politik noch immer.
https://www.20min.ch/schweiz/bern/story/Klimademo-21947499
-> Motions-Antwort: https://www.gr.be.ch/gr/de/index/geschaefte/geschaefte/suche/geschaeft.gid-d694053c1d2d4775b50903a741489417.html
Linksextreme bekennen sich zu Attacke im Niederdorf
Vermummte schlugen am Samstagnachmittag eine Polterabendgruppe brutal
nieder. Am Sonntagabend taucht ein Bekennerschreiben aus der linken
Szene auf: Der Angriff war von Links auf Rechts. Ein Extremismus-Experte
befürchtet nun Vergeltungsschläge.
https://www.telezueri.ch/zuerinews/linksextreme-bekennen-sich-zu-attacke-im-niederdorf-135670773
Farbanschlag auf brasilianisches Konsulat
Das Konsulat Brasiliens in Zürich wurde am Wochenende mit Farbe beschmiert. Ein SVP-Kantonsrat twitterte Fotos.
https://www.20min.ch/schweiz/zuerich/story/Farbanschlag-auf-brasilianische-Botschaft-31935273
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/farbanschlag-auf-brasilianisches-konsulat-in-zurich-65588264
«Elsi»-Hausbesetzer verschandeln Flora-Buvette
Einen halben Arbeitstag musste Betriebsleiter Andreas Anderhub aufwenden, um die Schmierereien wieder abzuschleifen.
https://primenews.ch/news/2019/09/elsi-hausbesetzer-verschandeln-flora-buvette
+++SPORTREPRESSION
FCB-Graffiti fordert Polizeieinsatz am Bahnhof
Am Sonntagnachmittag kam es am Bahnhof SBB zu einem
Polizei-Grosseinsatz. Grund dafür war ein Graffiti von FCB-Fans an der
Rückseite des Kiosks beim Gleis
https://telebasel.ch/2019/09/23/fcb-graffiti-fordert-polizeieinsatz-am-bahnhof
-> https://primenews.ch/news/2019/09/grosseinsatz-der-kantonspolizei-beim-bahnhof-sbb
+++REPRESSION DE
G20-Krawalle: Polizei ignoriert Löschanordnung des Datenschützers
Eigentlich sollte die Hamburger Polizei eine Datenbank mit Bildern von
G20-Demonstranten löschen, doch sie nutzt sie munter weiter.
https://www.heise.de/newsticker/meldung/G20-Krawalle-Polizei-ignoriert-Loeschanordnung-des-Datenschuetzers-4537317.html
+++BIG BROTHER
Räte einigen sich auf Regeln für elektronischen Ausweis
Eine vom Bund anerkannte E-ID ermöglicht bei Online-Geschäften und
Behördenkontakten die elektronische Identifizierung nach Schweizer
Regeln. Der Ständerat hat am Montag die letzte Differenz beim
E-ID-Gesetz ausgeräumt. Das letzte Wort dürfte das Volk haben.
https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2019/20190923153010940194158159041_bsd114.aspx
Bündnis will Referendum gegen E-ID ergreifen
Ein Bündnis hat das Referendum gegen das Gesetz zum elektronischen
Ausweis E-ID angedroht, falls das Parlament am Montag das Geschäft unter
Dach bringt. Es befürchtet, dass sich der Bund mit der Privatisierung
der E-ID von einer staatlichen Kernaufgabe verabschiedet.
https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2019/20190923073457755194158159041_bsd027.aspx
+++POLIZEI AG
Misslungener Polizeieinsatz – Verurteilter Einsatzleiter bleibt im Aargau Polizist
Die rechtskräftige Verurteilung wegen fahrlässiger schwerer
Körperverletzung im Einsatz hat für einen Aargauer Polizisten keine
beruflichen Konsequenzen.
https://www.srf.ch/news/regional/aargau-solothurn/misslungener-polizeieinsatz-verurteilter-einsatzleiter-bleibt-im-aargau-polizist
+++POLIZEI LU
Sicherheitsbericht Luzern
https://www.tele1.ch/sendungen/1/Nachrichten#512640_4
-> https://www.stadtluzern.ch/aktuelles/news/771827
+++POLIZEI DE
Brutal oder harmlos? In Deutschland sorgt ein Video mit «Schmerzgriffen» der Polizei für Aufregung
Hat die deutsche Polizei am Rande der Klima-Demonstrationen übermässige
Gewalt angewendet? Im Netz kursiert ein Video aus Hamburg, das zeigt,
wie Beamte «Schmerzgriffe» anwenden. Aktivisten und linke Politiker sind
empört. Die Polizeigewerkschaft hält dagegen.
https://www.nzz.ch/international/polizeigewalt-ein-video-aus-hamburg-sorgt-fuer-aufregung-ld.1510617
-> https://www.neues-deutschland.de/artikel/1126250.polizeigewalt-klimastreik-blockade-so-gewaltvoll-ging-die-polizei-in-hamburg-vor.html
+++ANTIRA
Zweifach benachteiligt – schwarze Pionierinnen
Wer erinnert sich an die erste schwarze Schweizer Nationalrätin Tilo
Frey? Neuchâtel hat ihr 2019 einen Platz gewidmet. In den USA erinnern
sich viele an die ehemalige Sklavin und Bürgerrechtlerin Harriet Tubman –
der Platz auf der 20-Dollarnote wird ihr aber erfolgreich verweigert.
https://www.srf.ch/sendungen/kontext/zweifach-benachteiligt-schwarze-pionierinnen
antira-Wochenschau: Zwei Gerichtsurteile über Faschisten, ein Kredit für drei Asylcamps, Ausschaffungen nach Iran und Georgien
https://antira.org/2019/09/23/antira-wochenschau-zwei-gerichtsurteile-ueber-faschisten-ein-kredit-fuer-drei-asylcamps-ausschaffungen-nach-iran-und-georgien/
+++RECHTSPOPULISMUS
Gemeinderatsantwort auf Interpellation Fraktion SVP „Krawalle bei der Reitschule“ (PDF, 89.8 KB)
https://www.bern.ch/politik-und-verwaltung/gemeinderat/aktuelle-antworten-auf-vorstosse/publizierte-antworten-am-23-september-2019/interpellation-fraktion-svp-krawalle-bei-der.pdf/download
Gemeinderatsantwort auf Interpellation Glauser „Griffige Massnahmen zum Schutz vor politisch motivierter Gewalt“ (PDF, 77.0 KB)
https://www.bern.ch/politik-und-verwaltung/gemeinderat/aktuelle-antworten-auf-vorstosse/publizierte-antworten-am-23-september-2019/interpellation-glauser-griffige-massnahmen-zum.pdf/download
Gemeinderatsantwort auf Motion Beuchat „Null Toleranz bei Pyro-Zünslern,
militanten Reithalleaktivisten und illegalen Sprayern aus der Reithalle
sowie bei Gewalt im Sport“ (PDF, 90.7 KB)
https://www.bern.ch/politik-und-verwaltung/gemeinderat/aktuelle-antworten-auf-vorstosse/publizierte-antworten-am-23-september-2019/motion-beuchat-null-toleranz-bei-pyrozunslern.pdf/download
Gemeinderatsantwort auf Motion Fraktion SVP „Keine Zwischennutzung mehr für Vertragsbrecher und für Besetzer!“ (PDF, 92.0 KB)
https://www.bern.ch/politik-und-verwaltung/gemeinderat/aktuelle-antworten-auf-vorstosse/publizierte-antworten-am-23-september-2019/motion-fraktion-svp-keine-zwischennutzung-mehr-fur.pdf/download
Glarner provoziert mit pseudo-arabischem Wahlplakat
Der SVP-Politiker Andreas Glarner macht seinem Ruf als Provokateur alle
Ehre. Mit seiner neuen Plakatkampagne fordert er angeblich
“Religionsfreiheit statt Islamisierung“. Doch die abgebildeten
arabischen Schriftzeichen ergeben offenbar keinen Sinn.
https://www.telem1.ch/aktuell/-glarner-provoziert-mit-pseudo-arabischem-wahlplakat-135670555
SP-Vock nennt SVP-Bircher auf Facebook eine Rassistin – sie kontert mit einer Strafanzeige
Die Aargauer SVP-Grossrätin Martina Bircher machte sich für die Kürzung
der Sozialhilfe für Grossfamilien stark. Ihr SP-Parlamentskollege
Florian Vock bezeichnete sie daraufhin auf Facebook als Rassistin. Nun
hat Bircher eine Anzeige gegen ihren Kollegen eingereicht.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/sp-vock-nennt-svp-bircher-auf-facebook-eine-rassistin-sie-kontert-mit-einer-strafanzeige-135667953
+++RECHTSEXTREMISMUS
Wie einige MitgliederInnen der SVP Antisemitismus banalisieren
Nicht auf einer faschistischen Tradition basierend, war Antisemitismus
für die Ideologie der SVP niemals essenziell. Dennoch trägt der Einfluss
des Neo-Faschismus sowie die natürliche Tendenz der extremen Rechten
zum Antisemitismus dazu bei, dass zahlreiche Mitglieder der SVP dem
Antismitismus nahe stehende und für einige ganz klar antisemitische,
Rhetorik benützen.
https://barrikade.info/article/2627
Vertrauliches Papier: Rechtsextreme Gewalt alarmiert Europol
Die Morde an Walter Lübcke und an der britischen Politikerin Cox –
europaweit nehmen rechtsextreme Gewalttaten und die internationale
Vernetzung zu. Dies geht aus einem vertraulichen Europol-Papier hervor,
das WDR, NDR und „SZ“ vorliegt.
https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/europol-rechtsextremismus-europa-101.html
+++FUNDIS
Zürcher Katholiken sind sich uneinig: Ist der «Marsch fürs Läbe» gottlos?
Der Generalvikar Josef Annen massregelt einen Mitarbeiter des Zürcher
Synodalrats wegen einer Aussage zur Demonstration der Abtreibungsgegner.
Die oberste Zürcher Katholikin, Franziska Driessen-Reding,
beschwichtigt: «Wir haben keinen Konflikt.»
https://www.nzz.ch/zuerich/ist-der-marsch-fuers-laebe-gottlos-ld.1510679
Die scheinheiligen Retter des Abendlandes
Die Stiftung «Zukunft CH» macht Stimmung gegen Schwule und Muslime und
propagiert die «heile» Familie. Weshalb das alles andere als liberal
ist.
https://www.bazonline.ch/die-scheinheiligen-retter-des-abendlandes/story/13049350
+++HISTORY
Serie: Anarchisten in der Schweiz / 6 Ein Banküberfall – und „Todesstrafe!“, rief Schweiz
Da blieb die Schweiz erstaunlich lange cool: Anfang des 20. Jahrhunderts
trieben anarchistische Flüchtlinge im Gastland ihr Unwesen. Doch eine
Tat war der Blutstropfen zu viel: Der Banküberfall von Montreux 1907,
bei dem zwei Russen einen Angestellten und auf ihrer Flucht einen
Passanten töteten. „Todesstrafe“, riefen Bürgerinnen und Bürger.
https://www.swissinfo.ch/ger/serie–anarchisten-in-der-schweiz—6_ein-bankueberfall-genuegte—–und–todesstrafe—-rief-es-in-der-schweiz/45079514
Wie Sisis Mörder den Kopf verlor
Die österreichische Kaiserin wurde 1898 erstochen – und lief zuerst
ahnungslos weiter. Ihr Attentäter wünschte sich die Todesstrafe.
https://blog.tagesanzeiger.ch/historyreloaded/index.php/4781/wie-sisis-attent%C3%A4ter-den-kopf-verlor/
-> https://de.wikipedia.org/wiki/Luigi_Lucheni
-> https://de.wikipedia.org/wiki/Propaganda_der_Tat
+++PSYCHIATRIE
Psychiatrische Klinik Münsterlingen: Medikamentenversuche an bis zu 3000
Patienten +++ Kanton errichtet Zeichen der Erinnerung auf altem
Spitalfriedhof
Roland Kuhn testete in Münsterlingen eine enorme Menge nicht
zugelassener Medikamente direkt an seinen ahnungslosen Patienten. Ein
nun erschienenes Buch zeigt die Dimension der Tests auf.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/frauenfeld/todesfaelle-und-millionen-von-der-pharmaindustrie-buch-ueber-medikamententests-in-der-psychiatrischen-klinik-muensterlingen-zeigt-das-riesige-ausmass-ld.1154244
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/medikamententests-an-patienten-viel-mehr-betroffene-als-angenommen
-> Rendez-vous: https://www.srf.ch/play/radio/popupaudioplayer?id=729fce2f-d5e2-47d2-8582-ce95e29a7c63
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/play/radio/popupaudioplayer?id=b2ce57df-6e73-4439-b0a5-98e10e5f3794
-> Schweiz Aktuell: https://www.srf.ch/play/tv/popupvideoplayer?id=b76c22e2-9598-433a-8bda-5589d3824964&startTime=55.351
-> Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/popupvideoplayer?id=27fc1155-8c39-4b09-afef-d85e6a3132de&startTime=797.707
-> https://www.nzz.ch/meinung/patientenforschung-braucht-klare-und-verbindliche-regeln-ld.1510734
-> https://www.toponline.ch/news/thurgau/detail/news/medikamente-an-3000-psychiatrie-patienten-in-muensterlingen-getestet-00120156/
-> https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/psychiater-verdiente-millionen-mit-medikamententests-obwohl-es-zu-todesfaellen-kam-135668340
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tagesanzeiger.ch 23.09.2019
36 Todesfälle nach Medikamenten-Versuchen
Neues Buch zeigt: In Münsterlingen prüfte ein Psychiater jahrzehntelang
nicht zugelassene Medikamente an Patienten. Diese waren ahnungslos. Er
verdiente Millionen.
Simone Rau
«Jetzt macht man mir einfach Spritzen, sodass ich am Sonntag nicht
einmal in die Kirche kann. Hier macht man einen noch kränker, als man
schon ist. Ich bin doch kein Versuchstier, ich bin doch ein Mensch. Ich
will fort!»
Mit diesen Worten versuchte sich im Jahr 1954 eine Patientin in der
Psychiatrischen Klinik Münsterlingen einer sehr schmerzhaften Injektion
zu widersetzen. Es nützte nichts: Fräulein Wild* (Pseudonym) bekam das
Präparat G 22150 verabreicht – auch «Geigy Weiss» genannt. Dabei
handelte es sich nicht um ein zugelassenes Medikament, sondern um einen
Prüfstoff, der bisweilen starke Erregung und Sehstörungen auslöste.
Die psychisch kranke Frau war Teil eines klinischen Versuchs unter der
Leitung des renommierten Psychiaters Roland Kuhn. Und damit eine von
Tausenden Betroffenen in einer jahrzehntelangen Versuchspraxis.
Gut 60 Jahre später, im Mai 2015, erteilte der Thurgauer Regierungsrat
einem Historikerteam den Auftrag, die umstrittene
Psychopharmakaforschung in Münsterlingen zu untersuchen. Auslöser war
ein Medienskandal. Ab 2012 berichtete unter anderem der «Tages-Anzeiger»
von Tests mit nicht zugelassenen Substanzen – durchgeführt in enger
Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie in Basel.
Schier unglaubliches Ausmass
Nach mehrjähriger Forschungsarbeit liegt nun das Buch «Testfall
Münsterlingen» vor. Die so erstaunlichen wie erschütternden Resultate
zeigen: Das Ausmass der Versuche ist schier unglaublich. Im untersuchten
Zeitraum – 1940 bis 1980 – gelangten mindestens drei Millionen
Einzeldosen an den Bodensee. Bei 67 Substanzen liegen eindeutige Beweise
für eine Prüfung vor, weitere 50 dürften ebenfalls getestet worden
sein. Wenn nicht noch mehr.
Auch die 1112 identifizierten Patientinnen und Patienten sind eine
Mindestzahl. Die Forscherinnen und Forscher gehen davon aus, dass viel
mehr Personen Prüfstoffe verabreicht bekamen. In den Testberichten von
Psychiater Kuhn sind insgesamt 2789 Fälle vermerkt.
Doch auch diese Zahl sei konservativ, da er nicht immer alle Fälle
mitgezählt und nicht bei jeder Substanz angegeben habe, wie viele
Personen involviert gewesen seien, sagt Marietta Meier, Leiterin des
Forschungsteams und Titularprofessorin an der Universität Zürich. «Auch
sonst gibt es überall Lücken. Die Dunkelziffer muss um einiges höher
sein.» Ihr Team beschränkte sich aus Kapazitätsgründen vor allem auf
Krankenakten von Personen, die in Kuhns Nachlass erwähnt sind – es gibt
Tausende weitere. Und auch da musste es eine Auswahl treffen.
Ob Dragées, Tabletten, Ampullen oder Zäpfchen, ob in der Farbe Weiss,
Rosa, Rot, Gelb oder Schwarz: Die grösste Menge an Präparaten wurde der
Psychiatrischen Klinik zwischen 1957 und 1965 geliefert. Damals gab es
in Münsterlingen durchschnittlich 700 stationäre und knapp 1400
ambulante Patienten pro Jahr. Die grösste dokumentierte Lieferung
enthielt 300’000 Dragées Ketimipramin – kurz Keto genannt.
Sie zeigt, dass in Münsterlingen nicht nur Unmengen von Substanzen
verbraucht wurden, die später als Medikamente in den Handel kamen.
Sondern auch Stoffe, die ihre Zulassung nie erhielten. Neben Keto
testete Kuhn beispielsweise in grossen Mengen das für gefährliche
Zwischenfälle sorgende Neuroleptikum FR 33. Patientinnen und Patienten
kollabierten zum Teil nach nur einer Tablette schwer, manche verstarben –
auf den Markt gelangte die Substanz nie.
Kostenlose Lieferungen aus Basel
Die Prüfstoffe wurden Kuhn allesamt kostenlos aus Basel zugeschickt. Er
rapportierte an die Pharmafirmen Geigy, Ciba, die fusionierte
Ciba-Geigy, aber auch an Hoffmann-La Roche, Wander und Sandoz – und
machte mit der Forschung viel Geld. Insgesamt erhielt er rund acht
Millionen Franken. Praktisch alle Einkünfte gingen an ihn persönlich.
Die Aufsichtskommission liess ihn, genau wie der Thurgauer
Regierungsrat, gewähren. Man war über die Versuche im Bild – eine
Kontrolle fand aber nie statt.
Wer aber war überhaupt betroffen? Das Spektrum der Patientinnen und
Patienten, die Testpräparate erhielten, ist breit. Die involvierten
Personen unterscheiden sich stark, sei es im Hinblick auf Alter,
Geschlecht oder Herkunft, sei es im Bezug auf medizinische Kriterien wie
Diagnose, Symptome oder Behandlungsdauer.
Und doch gab es Patienten, die Kuhn gezielt für Versuche einsetzte.
Auffallend oft griff er auf chronisch Schwerkranke mit ungünstiger
Prognose zurück, um die Verträglichkeit einer Substanz kennen zu lernen.
«Kuhn war vermutlich der Meinung, dass hier nicht mehr viel zu
verlieren sei», heisst es im Buch.
Um die Wirkung der Substanzen genauer zu beobachten, suchte sich Kuhn
andere Patienten, etwa solche, die besser Auskunft geben konnten und
stärker reagierten als chronisch Kranke. In einem besonderen
Abhängigkeitsverhältnis standen etwa Pflegerinnen, die in Münsterlingen
arbeiteten und dort zugleich behandelt wurden. Wie gut sie über die
nicht zugelassenen Stoffe informiert wurden, lässt sich schwer
abschätzen.
«Nie um Einwilligung gefragt»
Stationäre Patientinnen und Patienten wussten – so viel ist klar – in
den seltensten Fällen, was ihnen verabreicht wurde. Kuhn selber schrieb,
man habe Patienten «nie um ihre Einwilligung gefragt». Er bat die
Pharmafirmen sogar wiederholt, neue Prüfstoffe gleich einzufärben wie
bereits zugelassene Medikamente – «sodass die Patienten gar nicht
merken, wenn sie ein anderes Medikament bekommen».
Aus den ambulanten Krankenakten geht nicht hervor, ob die Patienten
informiert wurden – allerdings war auch ihr Handlungsspielraum grösser:
Sie scheinen ihre Präparate oft selbstständig abgesetzt, unregelmässig
oder gar nicht eingenommen zu haben.
Die stationären Patienten hingegen nahmen die Substanzen meist ein –
anstandslos, weil man ihnen sagte, sie täten ihnen gut, oder auf
Zureden. Manchmal waren auch Druck oder gar Drohungen nötig. «Je enger
Patienten kontrolliert werden konnten, desto weniger Chancen hatten sie,
dass sich ihr Widerstand auszahlte», heisst es im Buch.
Wer sich weigerte, bekam die Stoffe auch mal in den Kaffee oder in die
Suppe gemischt. Oder war irgendwann still: Fräulein Wild* etwa fürchtete
sich auch sieben Jahre später noch vor den Injektionen. Doch «sie sagte
nichts», notierte eine Pflegerin 1961, «schüttelt jedes Mal den Kopf».
Vermutlich seien Medikamentenversuche auch in anderen Schweizer Kliniken
lange ohne Einwilligung durchgeführt worden, schreiben die
Forscherinnen und Forscher. Was zugleich bestätigt: Auch anderswo fanden
Tests statt – mit möglicherweise gravierenden Folgen. Historikerin
Meier sagt, Kuhn sei «sicher einer von vielen Testern» gewesen. Auch
müsse man vorsichtig sein, wegen der «einzigartigen Quellenlage» in
Münsterlingen darauf zu schliessen, dass Kuhn zwingend mehr oder andere
Versuche durchgeführt habe als andere Psychiater. Hinweise fand das Team
für knapp 20 Institutionen, darunter alle fünf Universitätskliniken in
Basel, Bern, Lausanne, Genf und Zürich.
«Alltägliche Grenzüberschreitungen»
Und doch war Kuhn in vieler Hinsicht speziell: «Er war von einem grossen
Drang beseelt, in der Forschung Spuren zu hinterlassen», sagt Meier.
Das Problematische aus heutiger Sicht seien die «alltäglichen
Grenzüberschreitungen». Wenn der ehrgeizige Psychiater aus
wissenschaftlichem Eifer auf eigentlich übliche Vorabklärungen zur
Giftigkeit der Präparate verzichtet habe. Oder wenn er bei einer
Patientin aus Vorsicht eine gefährliche Prüfsubstanz abgesetzt habe, um
diese sogleich neuen Patienten zu verabreichen.
Auch in methodischer Hinsicht war Kuhn speziell: Er befolgte die
Vorgaben der Pharmafirmen nicht. So kombinierte er etwa nach Gutdünken
Prüfstoffe mit bereits zugelassenen Medikamenten. «Dieses Vorgehen
widersprach systematischen, wissenschaftlichen Prüfungsanordnungen, aber
die Pharmafirmen liessen ihn trotzdem gewähren. Skepsis wurde selten
geäussert», schreibt das Forschungsteam.
Nebenwirkungen und Risiken bedeuteten für den Psychiater keineswegs,
dass Substanzen ungeeignet oder unwirksam waren. Bei Zwischenfällen
passte er die Dosierung an oder suchte nach anderen Patienten. Nicht
einmal Komplikationen, die längerfristige Folgen hatten oder gar zum Tod
führten, schienen ihn gross zu kümmern: «Sie blieben für ihn
Interpretationssache und wurden praktisch nie mit Prüfsubstanzen in
Verbindung gebracht», sagt Meier.
«Man kann sich fragen»
Insgesamt sind die Forscherinnen auf 36 Personen gestossen, die während
oder kurz nach der Verabreichung von Prüfstoffen verstarben. Nur bei
zehn von ihnen zog Kuhn einen Zusammenhang in Erwägung. Bei den
restlichen 26 «lavierte Kuhn zwar manchmal hin und her, kam jedoch stets
zu einem negativen Schluss», wie es im Buch heisst. «Man kann sich
natürlich fragen», habe er jeweils geschrieben, um im nächsten Satz
«aber» nachzuschieben.
Gegen aussen klärte Kuhn über die Todesfälle nicht konsequent und
transparent auf. Er erzählte weder den Angehörigen noch den Pathologen,
die die verstorbenen Patienten routinemässig obduzierten, von den
verabreichten Präparaten.
Um die Psychiatrische Klinik Münsterlingen weiter in die schweizerische
Landschaft der Medikamentenversuche einzuordnen, wären Vergleiche mit
anderen Kliniken nötig, schreiben Meier und ihr Team. Die historische
Arbeit ist noch längst nicht beendet: Auch im Staatsarchiv Thurgau
warten Tausende weitere Krankenakten darauf, untersucht zu werden.
–
Regierungsrat bittet Betroffene um Entschuldigung
Am Montag haben die Historikerinnnen Marietta Meier und Magaly Tornay im
Staatsarchiv des Kantons Thurgau ihr Buch «Testfall Münsterlingen»
vorgestellt. Neben Staatsarchivar André Salathé, der mit der jahrelangen
Archivierung des Nachlasses des Psychiaters Roland Kuhn die historische
Forschungsarbeit erst ermöglicht hat, waren auch der Thurgauer
Regierungsratspräsident Jakob Stark sowie Regierungsrat Walter
Schönholzer vor Ort.
Man müsse heute «ohne Wenn und Aber» feststellen, dass die
Forschungsmethode des renommierten Psychiaters spätestens ab Mitte der
1960er-Jahre nicht mehr den wissenschaftlichen Standards genügte, die
sich anderenorts durchzusetzen begannen, sagte Jakob Stark. «Trotzdem
liess man ihn – von Seiten der kantonalen Aufsichtsbehörden ebenso wie
von Seiten der pharmazeutischen Industrie – gewähren und griff auch bei
den Finanzflüssen nicht korrigierend ein», so Stark weiter. «Der
Regierungsrat entschuldigt sich heute bei allen Betroffenen von
Medikamententests in der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen zwischen
1940 und 1980.»
Das «thurgauische Zeichen der Erinnerung», das der Kanton – gestützt auf
das Bundesgesetz über die Aufarbeitung der fürsorgerischen
Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981 – errichten wird, sei
ausdrücklich auch den Betroffenen von Medikamenten-Tests gewidmet.
Der Regierungsrat veranstaltet hierfür einen Wettbewerb unter
Künstlerinnen und Künstlern. Ziel ist es, das ausgewählte Kunstwerk auf
dem ehemaligen Spitalfriedhof von Münsterlingen in spätestens eineinhalb
Jahren zu errichten. Auch soll der Friedhof partiell restauriert und
unter Schutz gestellt werden. (sir)
(https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/36-todesfaelle-nach-medikamentenversuchen/story/24699407)
+++KOMMISSAR FREPO
bernerzeitung.ch 23.09.2019
Sans-Papiers in Bern: Bande täuscht Härtefälle vor
Die Fremdenpolizei der Stadt Bern hat ein Netzwerk aufgedeckt. Dieses
zeigt Einwanderungswilligen, wie sie die Behörden täuschen können.
Rahel Guggisberg
Sie sind da, obwohl sie es nicht sein dürften: die Sans-Papiers. Jene
Menschen, die ohne Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz leben. Sie
dürfen nicht auffallen. Denn wenn die Polizei ihren Ausweis verlangt und
merkt, dass sie illegal in der Schweiz sind, droht ihnen die
Ausschaffung. Illegale haben aber noch eine letzte Möglichkeit: Sie
können ein Gesuch stellen und erhalten bei Erfolg als Härtefälle eine
Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz.
Voraussetzung dafür ist, dass die Betroffenen verschiedene Bedingungen
erfüllen. Familien müssen mindestens fünf Jahre in der Schweiz gelebt
haben, Einzelpersonen mindestens zehn Jahre. Sie stehen finanziell auf
eigenen Beinen, haben eine Wohnung, sind gesellschaftlich integriert und
reden eine Landessprache.
Doch der Weg, um zu einer Aufenthaltsgenehmigung zu kommen, wird auch
ausgenutzt: Alexander Ott, Polizeiinspektor und Chef der Fremdenpolizei
der Stadt Bern, hat mit seinem Team aufgedeckt, dass
Einwanderungswillige aus Drittstaaten in die Schweiz kommen und hier ein
Härtefallgesuch stellen. Dies jedoch, ohne dass sie die Voraussetzungen
dafür erfüllen. Dabei werden sie von in der Schweiz
aufenthaltsberechtigten Landsleuten beraten. Ihnen wird gesagt, welche
Geschichte sie den Behörden erzählen sollen, damit sie die Bedingungen
der Gesuche erfüllen. Sie benötigen Arbeitsverträge und Mietverträge.
Auch diese fälscht die Bande.
Mazedonier blieb hängen
Die Polizei stösst durch Zufall auf die Bande: Bei einer Kontrolle auf
einer Baustelle überprüft sie vor ein paar Tagen einen 40-jährigen
Mazedonier. Sie stellt fest, dass er sich rechtswidrig in der Schweiz
befindet. Er gibt an, er habe sich bei der Sans-Papiers-Beratungsstelle
in Bern gemeldet, damit diese ihn dabei unterstütze, eine
Aufenthaltsbewilligung zu erhalten. Später zeigt sich: Der Mazedonier
wohnt in der Stadt Bern bei einem befreundeten Landsmann, der eine
Aufenthaltsbewilligung hat. Bei einer Kontrolle in dieser
Dreizimmerwohnung wird klar, dass hier zahlreiche Personen leben. Die
Fremdenpolizei stellt mehrere Reisepässe von Staatsangehörigen aus
Mazedonien sicher.
«Wir vermuten, dass die Wohnung als Safe House für Personen genutzt
wird, die sich illegal in der Schweiz aufhalten. Die Bewohner werden
hier gleichzeitig beraten, wie sie ein Härtefallgesuch bei der
Beratungsstelle für Sans-Papiers in Bern einreichen können», sagt Ott.
Abklärungen durch die Fremdenpolizei der Stadt Bern haben ergeben, dass
sich der Mazedonier nur sporadisch in der Schweiz aufhielt. Er besitzt
mit seiner Familie in Mazedonien ein Haus. Er sei nur mit dem Ziel in
die Schweiz gekommen, hier zu arbeiten und um Geld für den Umbau seines
Hauses zu verdienen. Dazu brauchte er eine Aufenthaltsbewilligung.
Seinen Lebensmittelpunkt hat er in Mazedonien; und er beabsichtigt
nicht, in der Schweiz zu bleiben. Die Beratungsstelle Sans-Papiers habe
ihm ein Kollege empfohlen. Alexandra Büchler, Co-Präsidentin der Berner
Beratungsstelle für Sans-Papiers, sagt: «Für uns ist es eine grosse
Enttäuschung, zu erfahren, dass es offenbar Personen gibt, die zu uns in
die Beratung gekommen sind und uns einen falschen Sachverhalt erzählt
haben. Die Beratungsstelle prüfe die Härtefallgesuche stets sorgfältig.»
Ein solches Gesuch zu verfassen, brauche viel Zeit und etliche
Gespräche mit der betroffenen Person, sagt sie.
Mindestens sieben Fälle
Die durch die Fremdenpolizei aufgedeckten Fälle ähneln sich. Die
Abklärungen ergeben, dass mehrere Personen in verschiedenen Fällen an
denselben Adressen in der Schweiz wohnten sowie dieselben Arbeitgeber
angaben. Es steckt also ein System dahinter, um an
Aufenthaltsbewilligungen zu kommen. Bei den Arbeitgebern handelt es sich
meistens um Landsleute, die Sozialabgaben und Steuern nicht bezahlen.
«Wir haben bis jetzt in sieben weiteren Fällen festgestellt, dass die
Behörden getäuscht wurden und Härtefallgesuche eingereicht wurden,
obwohl sie auf Lügengeschichten basierten», sagt Ott. Es handle sich
dabei um Staatsangehörige aus Mazedonien, Albanien und Kosovo. Vier
dieser Personen wurden bereits in ihre Heimatländer zurückgeführt. Bei
den anderen laufen noch Abklärungen.
Das System dahinter
Das Vorgehen lässt sich wie folgt rekonstruieren: Die ausländischen
Personen weisen sich jeweils mit einem neuen Reisepass aus. Dadurch
vertuschen sie bisherige Ein- und Ausreisen anhand der Einreisestempel
in den alten Reisedokumenten. Sie legen Arbeitsbestätigungen und weitere
Unterlagen vor, welche einen langjährigen, stetigen und gefestigten
Aufenthalt in der Schweiz belegen. «Es handelt sich um
Gefälligkeitsbestätigungen und um professionell ausgestellte
Arbeitsbestätigungen von Arbeitgebern und Firmen, die eigens zu diesem
Zweck gegründet wurden und danach wieder in Konkurs gingen», sagt
Polizeiinspektor Alexander Ott.
Nach einer gewissen Zeit melden sich die Personen bei den zuständigen
Beratungsstellen und täuschen vor, dass sie seit Jahren nicht mehr in
ihrem Heimatland verwurzelt seien und sie keine Verbindungen mehr
hätten. Sie suggerieren, sie seien sehr gut in der Schweiz integriert
und eine Rückkehr ins Heimatland sei aussichtslos. «In den aufgedeckten
Fällen pflegen alle soziale Bindungen zu ihren Familien in der Heimat,
und sie sind Eigentümer von Liegenschaften», so Ott. Das professionelle
Vorgehen und die vorliegenden Arbeitsverträge deuten darauf hin, dass
diese Vorgehensweise und die Aktivitäten nicht allein auf den Raum Bern
beschränkt sind.
–
Sans-Papiers: Linke pochen auf Revision des Ausländer- und Integrationsgesetzes
Zwischen 50’000 und 100’000 Ausländer und Ausländerinnen leben ohne
gültige Aufenthaltspapiere in der Schweiz. Das sind 0,6 bis 1,2 Prozent
der Bevölkerung. Die einen sind Personen, die nie eine
ausländerrechtliche Bewilligung für den Aufenthalt in der Schweiz
hatten, die anderen solche, deren Aufenthaltsbewilligung auslief, die
dritten solche, deren Asylgesuch abgelehnt wurde. Der Einfachheit halber
nennt man alle Sans-Papiers. In der öffentlichen Diskussion wird das
Thema sehr kontrovers und pauschal behandelt. «Die Sans-Papiers werden
von der einen Seite in unzulässiger Weise kriminalisiert und
stigmatisiert. Auf der anderen Seite wird versucht, sie generell in eine
Opferrolle zu drängen», erklärt Alexander Ott. Die Anzahl der
sogenannten Sans-Papiers steigt laut Alexander Ott. «Das spüren wir bei
der täglichen Arbeit. Das Thema rückt vermehrt in den Fokus: Bei
Kontrollen zur Bekämpfung der Schattenwirtschaft treffen wir vermehrt
Sans-Papiers an.» Gleichzeitig fordern Beratungsstellen eine Änderung
des geltenden Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG), wonach
Personen, welche Sans-Papiers beherbergen vom Gesetz her nicht mehr
bestraft werden. Die Nationalrätin Lisa Mazzone (Grüne GE) verlangt, das
AIG entsprechend anzupassen. Es gibt tatsächlich Personen, welche sich
seit Jahrzehnten in der Schweiz aufhalten und von Arbeitgebern schamlos
ausgenutzt werden. Bei diesen Personen kommen nach wie vor die
ausländerrechtlichen Härtefallkriterien zur Anwendung. (rag)
(https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/der-trick-mit-den-haertefallgesuchen-auslaenderpolitik-die-fremdenpolizei-der-stadt-bern-hat-ein-netzwerk-aufgedeckt-dieses-zeigt-einwanderungswilligen-wie-sie-die-behoerden-taeuschen-koennen/story/23653065)
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derbund.ch 23.09.2019
Mit illegalen Tricks zum legalen Aufenthalt
Die Fremdenpolizei der Stadt Bern hat ein Netzwerk aufgedeckt, das für
Sans-Papiers Dokumente fälschte. Es könnten noch weitere Städte
betroffen sein.
Simon Gsteiger
Gefälschte Miet- und Arbeitsverträge, erfundene Lebensgeschichten,
fragwürdige Ratschläge: Ein Netzwerk bestehend aus mehreren Personen hat
Sans-Papiers in der Stadt Bern dabei geholfen, die Migrationsdienste zu
täuschen, um einen legalen Aufenthaltsstatus zu erwirken. Nun hat die
Fremdenpolizei der Stadt Bern die Machenschaften einer Bande aufgedeckt.
Bislang hat sie in sieben Fällen festgestellt, dass Behörden gezielt mit
Lügen und gefälschten Papieren getäuscht wurden. Vier Personen wurden
bereits in ihre Heimatländer zurückgeführt. Bei den anderen laufen die
Abklärungen noch. Die Fremdenpolizei bestätigt einen entsprechenden
Beitrag der «Berner Zeitung» von gestern.
Durch Zufall aufgeflogen
Sans-Papiers ist ein Sammelbegriff für Ausländerinnen und Ausländer, die
sich ohne gültige Aufenthaltspapiere und mithin illegal in der Schweiz
befinden. In der Schweiz leben schätzungsweise 50’000 bis 100’000
Sans-Papiers. Wie viele es in der Stadt Bern sind, ist nicht bekannt.
Sie können ein Härtefallgesuch stellen und so versuchen, ihren
Aufenthaltsstatus zu legalisieren. Die Bewilligung ist an verschiedene
Voraussetzungen geknüpft. So müssen die Gesuchsteller etwa nachweisen,
finanziell auf eigenen Beinen zustehen, eine Wohnung zu haben, eine
Landessprache zu beherrschen und gesellschaftlich integriert zu sein.
Der als Notlösung gedachte Weg über das Härtefallgesuch hat das Netzwerk
ausgenutzt. Aufgeflogen sind die Machenschaften durch Zufall: Als die
Fremdenpolizei einen Mazedonier bei einer Kontrolle auf einer Baustelle
befragte, verstrickte sich dieser in Widersprüche.
Die Fremdenpolizei stellte nach näheren Abklärungen fest, dass mehrere
Personen in verschiedenen Fällen an denselben Adressen in der Schweiz
wohnten und dieselben Arbeitgeber angaben. In diesen sogenannten Safe
Houses wurden die Personen durch ein Netzwerk beraten und auf die
Sitzungen bei der Beratungsstelle für Sans-Papiers und das Einreichen
der Gesuche vorbereitet.
Arbeitgeber existiert nicht
Bei näherem Hinschauen hat sich nun gezeigt: Die Personen halten sich
nur sporadisch in der Schweiz auf. Obwohl sie suggerieren, in ihren
Herkunftsländern nicht mehr verwurzelt zu sein, pflegen sie soziale
Bindungen zu den Familien in der Heimat und sind dort Eigentümer von
Liegenschaften. Die Firmen, bei denen sie angeblich arbeiten, gibt es
nicht mehr oder hat es gar nie gegeben.
Die ausländischen Personen wiesen sich jeweils mit einem neuen Reisepass
aus. Dadurch waren frühere Einreisestempel nicht mehr sichtbar.
«Grosse Enttäuschung»
Alexander Ott, Leiter der Fremdenpolizei der Stadt Bern, sagt, das
Vorgehen habe System. Es handle sich bei der Bande um mehrere
untereinander vernetzte Personen. Die genaue Zahl werde ermittelt. «Wir
prüfen nun weitere Fälle. Es sind umfangreiche Abklärungen, und wir
wissen nicht, ob auch noch andere Kantone oder Städte betroffen sind»,
sagt er dem «Bund».
Die Berner Beratungsstelle für Sans-Papiers wurde von der Fremdenpolizei
in Kenntnis gesetzt. Der Vorfall sei eine «grosse Enttäuschung», sagt
Co-Präsidentin Alexandra Büchler. «Es gab offenbar Personen, die uns
einen falschen Sachverhalt erzählt haben.» An den Sitzungen der
Beratungsstelle wird etwa abgeklärt, ob die Voraussetzungen für einen
Härtefall gegeben sind. Hat man zu wenig genau hingeschaut?
«Wir prüfen jeden Fall sorgfältig und erledigen unsere Arbeit nach
bestem Wissen und Gewissen», sagt Büchler. «Dies braucht viel Zeit und
etliche Gespräche mit der betroffenen Person. Falls Ungereimtheiten
bestehen, haken wir nach.» Die Richtigkeit der Beweismittel lasse sich
jedoch nicht überprüfen, das sei die Arbeit der Polizei. Die Aufgabe der
Beratungsstelle sei es, den Personen kompetente Beratung anzubieten.
(https://www.derbund.ch/bern/stadt/sans-papiers/story/10733816)
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Fremdenpolizei in Bern deckt Netzwerk auf: So tricksten Mazedonier, Albaner und Kosovaren mit der Härtefall-Klausel
Die Fremdenpolizei der Stadt Bern hat ein Netzwerk aufgedeckt, dass Sans-Papiers hilft, die Schweizer Behörden auszutricksen.
https://www.blick.ch/news/schweiz/bern/fremdenpolizei-in-bern-deckt-netzwerk-auf-so-tricksten-mazedonier-albaner-und-kosovaren-mit-der-haertefall-klausel-id15529978.html
+++ERDOGANISTAN
tagesanzeiger.ch 23.09.2019
Die falschen Terroristen schlagen zurück
Ein Ehepaar aus der Waadt denunzierte seine türkischstämmigen Nachbarn
als Terrorhelfer. Die Anschuldigungen haben schwere Folgen.
Dominique Botti, Thomas Knellwolf
Ihnen wird die Unterstützung von Terroristen vorgeworfen. Seit Recep
Tayyip Erdogan Mitte Juli 2016 einem blutigen Putsch entkam, lässt der
türkische Präsident Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen
verfolgen. Dies geschieht nicht nur in der Türkei, sondern weltweit –
auch in der Schweiz.
Wie sehr das Ganze zu einer Hatz auf Unbeteiligte und Unschuldige
verkommen kann, zeigt nun in aller Deutlichkeit der Umgang der Türkei
mit einer Gruppe von Türken und türkischstämmigen Schweizern, die alle
seit Jahren am Genfersee leben. Diese Gruppe traf sich in einer Moschee
im Lausanner Vorort Ecublens und auch in privatem Rahmen.
Nicht mehr zum Westschweizer Freundes- und Bekanntenkreis gehört heute
ein Ehepaar aus der Waadt. Denn es hat den Rest der Gruppe in der Türkei
denunziert – mit vielen offensichtlich falschen Anschuldigungen. Doch
diese hatten weitreichende Folgen.
Ein spezieller Ferienabend
Im Sommer 2017 war das Paar nach Izmir gereist. In der Grossstadt an der
Ägäis suchte es am 4. Juli gegen 18 Uhr das lokale Anti-Terror-Büro
auf, wie türkische Polizeidokumente zeigen. Dort kamen der Mann und die
Frau einer Denunzierungsaufforderung Erdogans nach. Diese hatte kurz
nach dem gescheiterten Staatsstreich auch der damals höchste türkische
Vertreter in der Schweiz wiederholt.
In Izmir bezichtigte das Ehepaar nacheinander seine Nachbarn und
Bekannten aus der Schweiz der Zugehörigkeit zu Fetö, der angeblichen
«Fethullahistischen Terrororganisation». Dem Beamten, der sie befragte,
verrieten die beiden Denunzianten Namen, Adressen und angebliche
Aktivitäten der vermeintlichen Terrorunterstützer. «Meine Klienten haben
ihnen vertraut», sagt der Genfer Anwalt Duy-Lam Nguyen, der sich für 16
in der Türkei Denunzierte einsetzt. Die Hälfte davon sind Frauen und
Kinder. «Sie hätten sich das nie vorstellen können.»
Geschah der Verrat aus freien Stücken? Gab es Druck? Das bleibt unklar.
Der Mann, der seine Bekannten denunzierte, brach das Telefongespräch ab,
als er von dieser Zeitung mit den Vorwürfen konfrontiert wurde.
Sofort laufen Ermittlungen
«Diese Vorwürfe sind völlig unbegründet», sagt der Geschädigtenvertreter
Nguyen. Viele seiner Klienten haben den Grossteil ihres Lebens in der
Schweiz verbracht und sind bestens integriert. Nur Einzelne von ihnen,
so sagt Anwalt Nguyen, teilten Werte des islamischen Predigers Gülen,
aber dies sei eine religiöse und philosophische Sache: «Sie sind sicher
nicht Teil einer organisierten Gruppe terroristischer Regimegegner.»
Vorwürfe zu Fetö, selbst wenn sie nicht erhärtet sind oder so
unplausibel wie im Westschweizer Fall, haben in der Türkei oft
gravierende Folgen. Seit dem gescheiterten Staatsstreich sind in der
Türkei über 50’000 Menschen verhaftet worden, viele willkürlich. 100’000
Beamte wurden entlassen.
Im Fall der Gruppe aus der Romandie wurde unmittelbar nach der
Denunziation eine Anti-Terror-Untersuchung eingeleitet. Bankkonten der
Betroffenen in der Türkei wurden auf verdächtige Zahlungen überprüft.
Die Staatsanwaltschaft Izmir befragte Angehörige in der Türkei zu ihren
Verwandten aus der Schweiz. Ein Betroffener, der in die Türkei gereist
war, durfte das Land vier Monate lang nicht verlassen. Mittlerweile ist
er wieder in der Schweiz.
Kinder erhalten keine Pässe
Der türkische Staatsbürger Orhan (Name geändert) lebt seit elf Jahren in
der Westschweiz und arbeitet als Ingenieur bei einem multinationalen
Unternehmen. In seinem Einfamilienhaus erzählt er, wie er und seine
Angehörigen zwei Jahre nach dem Putsch und ein Jahr nach seiner
Denunzierung plötzlich Probleme mit dem türkischen Staat bekamen: «Wir
wollten im Konsulat in Genf die abgelaufenen Pässe unserer Kinder
erneuern. Doch dies wurde uns verweigert, ohne Angabe von Gründen.» Auch
ein zweiter Anlauf sei gescheitert.
Wegen der Probleme auf dem Konsulat schaltete Orhan einen Anwalt in der
Türkei ein, der durch Zufall an Akten der Terrorermittlung der
Staatsanwaltschaft Izmir gegen die Westschweizer Gruppe herangekommen
sei. Die Justizunterlagen zeigen auch: Gegen Orhan und andere
Denunzierte aus dem Kanton Waadt sind Haftbefehle ausgestellt worden.
Das hatte Folgen für die Betroffenen. Gleich zwei Personen konnten wegen
des Risikos, im Gefängnis zu landen, jüngst nicht in die Türkei reisen,
als ihre Väter dort starben. Orhans Kinder, die in der Westschweiz die
Schule besuchen, haben bis heute keine gültigen Pässe.
Die Eltern haben versucht, beim Staatssekretariat für Migration in Bern
einen internationalen Pass zu bekommen, bislang erfolglos. «Wir müssten
dafür eine offizielle Abweisung der Türkei vorlegen, aber diese bekommen
wir nicht», sagt Orhan. Alles sei mündlich gelaufen. Belege für
Passverweigerungen bekomme man im türkischen Konsulat in Genf nicht.
Bundesanwalt eingeschaltet
Das Staatssekretariat für Migration will sich nicht zum Fall äussern.
Die türkische Botschaft hat auf Anfragen dieser Zeitung nicht reagiert.
Die Betroffenen fühlen sich ohnmächtig. Sich in der Türkei zu wehren,
erscheint ihnen aussichtslos. Die Männer und Frauen werden deshalb in
der Schweiz gegen ihre Denunzianten aktiv. Am Donnerstag haben sie eine
Strafanzeige an die Bundesanwaltschaft in Bern abgeschickt. Dem Paar,
das sie brandmarkte, droht nun ein Strafverfahren wegen politischen
Nachrichtendienstes und Ehrverletzungsdelikten.
–
Der lange Arm Erdogans
Seit dem fehlgeschlagenen Putsch gegen Recep Tayyip Erdogan versucht die
Türkei auch in der Schweiz gegen Anhänger der islamischen
Gülen-Bewegung vorzugehen. Dabei nimmt die Regierung wenig Rücksicht auf
diplomatische und rechtsstaatliche Grenzen. Ende 2018 prahlte der
türkische Vize-Aussenminister Yavuz Selim Kiran in Lausanne vor
Landsleuten mit der Verschleppung von rund 100 angeblichen Staatsfeinden
und Oppositionellen aus dem Ausland. Er forderte von den Anwesenden
«Unterstützung mit Kraft».
In der Schweiz hatten Agenten des Geheimdiensts MIT zwei Jahre zuvor die
Entführung eines türkisch-schweizerischen Doppelbürgers im Kanton
Zürich vorangetrieben. Sie wollten den Geschäftsmann mit K.-o.-Tropfen
betäuben und verschleppen. Die erste bekannte staatliche Entführung in
der Schweiz seit der Nazi-Zeit scheiterte, als die schweizerischen
Sicherheitsbehörden Wind davon bekamen. (tok)
(https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/die-falschen-terroristen-schlagen-zurueck/story/11265267)
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