Medienspiegel 23. September 2019

+++SCHWEIZ
Die Regelschule im Zentrum der Integration ausländischer Kinder
Das Bundesgericht kommt in zwei Urteilssprüchen zum Schluss, dass ausländische Kinder mit mangelnder schulischer Vorbildung und geringen Deutschkenntnissen nicht über längere Zeit in segregierten Klassen oder nur in einzelnen Fächern unterrichtet werden dürfen. Es wies beide Fälle zur verfassungsmässigen Neubeurteilung an die verantwortliche Behörde zurück.
https://www.humanrights.ch/de/menschenrechte-schweiz/inneres/bildung/bildung/regelschule-integration-kinder


+++ÖSTERREICH
Österreichs Ex-Kanzler sorgt vor Wahl am Sonntag für Aufsehen: Kurz warnt vor neuer Flüchtlingswelle
Die österreichische Politik wurde infolge der Ibiza-Affäre heftig durchgeschüttelt. Wenige Tage vor den vorgezogenen Wahlen äussert sich jetzt Ex-Kanzler Sebastian Kurz zur Politik seines Landes.
https://www.blick.ch/news/ausland/oesterreichs-ex-kanzler-sorgt-vor-wahl-am-sonntag-fuer-aufsehen-kurz-warnt-vor-neuer-fluechtlingswelle-id15530942.html


+++BALKANROUTE
Elende Zustände auf Balkanroute: Kroatien anprangern
Auf der neuen Balkanroute zeichnen sich Zustände wie in Libyen ab. Die Zahl der Flüchtlinge steigt wieder und die EU schaut angestrengt weg.
https://taz.de/Elende-Zustaende-auf-Balkanroute/!5624916/


Bihac in Bosnien ist das Nadelöhr für Tausende Migranten auf dem Weg in die EU
Im westbosnischen Bihac stranden Tausende Migranten auf dem Weg nach Westeuropa. Für die Kleinstadt ist das eine grosse Belastung, zumal der Staat bei der Hilfe versagt.
https://www.nzz.ch/international/bosnien-tausende-migranten-stranden-auf-dem-weg-in-die-eu-ld.1509057


+++ITALIEN
Italien – Betreuung nach wie vor ungenügend
Eine Abklärungsreise der SFH zeigt: Verletzliche Personen, die gemäss Dublin-Verordnung nach Italien rücküberstellt werden, werden im italienischen Asylsystem nach wie vor nicht adäquat betreut.
https://www.fluechtlingshilfe.ch/news/archiv/2019/italien-betreuung-nach-wie-vor-ungenuegend.html


+++GRIECHENLAND
Folge der türkischen FlüchtlingspolitikMehr Migranten in Griechenland
Auf mehreren griechischen Inseln wie Lesbos oder Samos hat sich die Zahl der Migranten seit April fast verdoppelt. Die Zunahme der Flüchtlinge vom nahen türkischen Festland steht im Zusammenhang mit einer neuen Flüchtlingspolitik der Regierung Erdogan.
https://www.deutschlandfunk.de/folge-der-tuerkischen-fluechtlingspolitik-mehr-migranten-in.795.de.html?dram:article_id=459390


+++MITTELMEER
So will Europa Migranten verteilen
Deutschland und Frankreich einigen sich auf eine Verteilung von Bootsmigranten. Zieht nun die Schweiz nach?
https://www.luzernerzeitung.ch/international/so-will-europa-migranten-verteilen-ld.1154530


Innenministertreffen zur Seenotrettung: Notfall-Lösung steht
Deutschland, Frankreich, Italien und Malta einigen sich, Bootsflüchtlinge automatisch aufzunehmen und solidarisch zu verteilen. Der Grunddissens bleibt.
https://taz.de/Innenministertreffen-zur-Seenotrettung/!5629312&s=malta/
-> https://www.neues-deutschland.de/artikel/1126220.mittelmeer-vorlaeufige-einigung-in-der-fluechtlingspolitik.html
-> https://www.jungewelt.de/artikel/363445.seenotrettung-mittelmeer-kein-sicherer-hafen.html
-> https://www.tagesschau.de/ausland/bootsfluechtlinge-119.html
-> https://www.zdf.de/nachrichten/heute/eu-staaten-einigen-sich-auf-notfallsystem-fuer-seenotrettung-100.html
-> https://www.deutschlandfunk.de/seenotrettung-deutschland-und-drei-weitere-staaten-einigen.1939.de.html?drn:news_id=1052184
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/play/radio/popupaudioplayer?id=e80e65a4-6ede-4a3a-abeb-8cace79b377c
-> https://www.srf.ch/news/international/entscheid-mehrerer-eu-staaten-uebergangsloesung-fuer-aus-seenot-gerettete-migranten
-> https://www.derstandard.at/story/2000108986548/eu-quoten-fuer-gerettete-aus-dem-mittelmeer?ref=rss
-> https://www.spiegel.de/politik/ausland/eu-staaten-einigen-sich-auf-uebergangsloesung-fuer-seenotrettung-a-1288215.html
-> https://www.srf.ch/news/international/entscheid-mehrerer-eu-staaten-uebergangsloesung-fuer-aus-seenot-gerettete-migranten
-> https://www.derstandard.at/story/2000108984089/vier-eu-staaten-einigten-sich-auf-notfallsystem-fuer-seenotrettung?ref=rss
-> https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/mittelmeer-malta-verkuendet-einigung-bei-seenotrettung
-> Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/popupvideoplayer?id=27fc1155-8c39-4b09-afef-d85e6a3132de&startTime=50.005
-> https://www.nzz.ch/international/fluechtlinge-eu-staaten-einigen-sich-auf-vorlaeufige-seenotrettung-ld.1510800
-> https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/eu-fluechtlingspolitik-notfallsystem-seenotrettung-mittelmeer
-< https://ffm-online.org/malta-ein-durchbruch-klingt-anders/?utm_source=dlvr.it&utm_medium=twitter
-> https://www.derbund.ch/ausland/europa/vier-eu-staaten-einigen-sich-auf-uebergangsloesung-fuer-seenotrettung/story/23568084


Migranten im Mittelmeer: “Chance für eine neue Ära”
Italien und Malta sollen weiter die sicheren Häfen für die Seenotrettung bereitstellen. Italien fordert, dass die Migranten zulasten der EU verteilt werden und Wirtschaftsflüchtlinge zur Verteilung gehören
https://www.heise.de/tp/features/Migranten-im-Mittelmeer-Chance-fuer-eine-neue-Aera-4536744.html


Eric Chinje: “Für uns ist Migration eine natürliche Bewegung”
Auf Malta suchen EU-Innenminister Lösungen für die Seenotrettung. Eric Chinje, Journalist in Kamerun, beschreibt eine afrikanische Perspektive auf das Thema.
https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/eric-chinje-migration-fluechtlinge-mittelmeer-solidaritaet-afrika/komplettansicht


Seenotretter „Ocean Viking“
Italien lässt Geflüchtete an Land
In der sizilianischen Hafenstadt Messina lässt die „Ocean Viking“ 182 Geflüchtete an Land. Derweil wird auf Malta über einen Verteilmechanismus beraten.
https://taz.de/Seenotretter-Ocean-Viking/!5627929/


Wieso die Flüchtlingssituation im Mittelmeer so kompliziert ist
Während Migranten im Mittelmeer ertrinken, herrscht nach wie vor Uneinigkeit darüber, wie man mit der Problematik umgehen soll. Der Streit zwischen privaten Seenotrettern und EU-Staaten dauert an.
https://www.nzz.ch/international/wieso-die-fluechtlingssituation-im-mittelmeer-so-kompliziert-ist-ld.1494713


Der Aussenminister Luxemburgs ruft zu neuer EU-Seenotrettungsmission auf
Der luxemburgische Aussenminister Jean Asselborn fordert eine neue EU-Seenotsrettungsmission und eine Verteilung der in Seenot geratenen Flüchtlinge auf alle EU-Länder. Die sei ein Gebot der Humanität.
https://www.nzz.ch/international/der-aussenminister-luxemburgs-ruft-zu-neuer-eu-seenotrettungsmission-auf-ld.1510591


+++SYRIEN
Erdogan will Flüchtlingsgipfel mit Merkel, Macron und Putin
Sein Plan, durch außenpolitische Erfolge von den innenpolitischen Problemen abzulenken, ist gescheitert
https://www.heise.de/tp/features/Erdogan-will-Fluechtlingsgipfel-mit-Merkel-Macron-und-Putin-4535544.html


+++JENISCHE/SINTI/ROMA
Zu wenig Platz für Fahrende in der Schweiz
Die Schweiz anerkennt die Fahrenden als nationale Minderheit. Dennoch hat die Zahl der Stand- und Durchgangsplätze für mehrere Tausend Angehörige des fahrenden Volks in den vergangenen Jahren ständig abgenommen. Was dazu führt, dass deren Lebensweise ernsthaft bedroht ist.
http://www.swissinfo.ch/ger/bedrohte-minderheiten_kein-platz-mehr-fuer-fahrende-in-der-schweiz-/45241326


Fahrende in der Schweiz: Andreas Geringer – der Vermittler – Schweiz Aktuell
Andreas Geriger, selber Fahrender, ist der bekannteste Vermittler im Streit um Transitplätze. Er vermittelt im Auftrag vom Bund bei Konflikten.
https://www.srf.ch/play/tv/popupvideoplayer?id=b76c22e2-9598-433a-8bda-5589d3824964&startTime=628.793



derbund.ch 23.09.2019

Eine Kritik ohne Abnehmer

Der Präsident des Verbands Sinti und Roma Schweiz wirft den Behörden lasches Durchgreifen bei den Fahrenden in Wileroltigen vor. Bund und Kanton wollen davon nichts wissen.

Martin Erdmann

Der Rastplatz in Wileroltigen ist keine gewöhnliche Ruhestätte für erschöpfte Verkehrsteilnehmer. Kein anderes Fleckchen Land im Kanton Bern symbolisiert die Spannungen zwischen Fahrenden, Behörden und Bevölkerung besser als diese Asphaltfläche nahe der freiburgischen Grenze. Im Sommer 2017 haben ausländische Fahrende das an die Raststätte angrenzende Feld in Beschlag genommen. Seither tobt ein Streit über den Umgang mit dem fahrenden Volk. Dieser gipfelte in einem JSVP-Referendum, das den Bau eines fixen Transitplatzes in Wileroltigen verhindern will und nächsten Februar vors Volk kommt.

Wie 2017 wurde der Rastplatz in Wileroltigen als provisorischer Zwischenhalt für ausländische Fahrende gebraucht. Was sich in diesem Sommer darauf abgespielte, sorgte bei Andreas Geringer für Kritik («Bund» vom Montag). Der erfahrene Mediator zwischen Fahrenden und Behörden kritisiert, dass die Behörden auf dem Platz Regeln nicht zur Genüge durchsetzten. Dabei spricht er Abfallprobleme an oder auch die zu lange Verweildauer. Zudem werde er von den Behörden in seiner Vermittlungsarbeit zu wenig unterstützt.

Müller: «Falsche Adresse»

Doch das Wort Behörde ist ein weiter Begriff. Denn keine Dienststelle will sich Geringers Kritik annehmen. Berns Sicherheitsdirektor Philippe Müller (FDP) sieht sich nicht in der Verantwortung. «Kanton und Polizei sind für die Vorwürfe die falsche Adresse.» Der Kanton sei in Sachen Wileroltigen für die Planung und die Finanzierung zuständig, und die Polizei greife nur bei strafrechtlicher Relevanz ein. «Wäre dies anders, würden viele zu Recht reklamieren.»

Grund für polizeiliche Eingriffe hat es laut Müller in diesem Jahr kaum gegeben. Als reibungslosen Sommer will er die Saison aber dennoch nicht bezeichnen. «Wenn auf so engem Raum zusammengelebt wird, liegen Konflikte auf der Hand.» Diese zu schlichten, liege in der Verantwortung des Platzbetreibers.

In Wileroltigen ist es das Bundesamt für Strassen (Astra). Müller illustriert das Problem mit einem Vergleich: «Wenn sich die Bewohner eines Hochhauses um den Waschplan streiten, wird auch nicht die Polizei gerufen, sondern die Liegenschaftsverwaltung.»

Gelder blieben aus

Doch auch beim Astra läuft Geringers Kritik ins Leere. Ja, sie sorgt sogar für eine gewisse Verwunderung. Denn nachdem das Bundesamt im Krisensommer 2017 auf Geringers Mediation zurückgegriffen hatte, suchte es auch in diesem Jahr die Zusammenarbeit mit ihm. «Wohl aus terminlichen Gründen kam diese aber nicht zustande», sagt Astra-Sprecher Thomas Rohrbach. Doch auch ohne Geringers Hilfe war es laut Rohrbach ein eher ruhiges Jahr. «Wir versuchten, eine akzeptable, praxis- und konsensorientierte Lösung zu finden, was uns bisher gut gelungen ist.»

Zu Geringers Vorwurf, dass ein längeres Verweilen als die erlaubte Haltezeit auf dem Platz toleriert werde, sagt Rohrbach: «Es waren nicht permanent die gleichen Fahrenden anwesend. Wir haben immer wieder Wechsel festgestellt.» Auch die Kritik, dass bei der Abfallentsorgung zu lasch vorgegangen worden sei, will Rohrbach nicht gelten lassen. Seit Juni sei ein privates Sicherheitsunternehmen permanent vor Ort, was sich bewährt habe. «Fahrende wurden immer wieder auf Umweltvorschriften hingewiesen und deren Einhaltung eingefordert.»

Bleibt die Frage der behördlichen Unterstützung. Geringer hatte sich im Juni darüber beklagt, dass Gelder vom Kanton für seine Arbeit ausgeblieben seien. Das treffe tatsächlich zu, wie Iris Frey von der kantonalen Erziehungsdirektion bestätigt. Das liege daran, dass Bedingungen nicht erfüllt worden seien. «Bisher wurde uns kein Finanzierungsplan zugestellt, sodass wir die konkrete Geldüberweisung noch nicht vornehmen konnten.»

Kritik an JSVP-Wahlkampf

Simon Röthlisberger ist Geschäftsführer der Stiftung Zukunft für Schweizer Fahrende. Für ihn kommt Geringers Kritik wenig überraschend. «Würde alles einwandfrei funktionieren, brauchte es seine Mediation nicht.» Dass diese notwendig ist, steht für Röthlisberger ausser Frage. «Das ist eine sehr schwierige Aufgabe, weil viele Emotionen mitspielen.» Ein Platz wie Wileroltigen sorge immer für ein Spannungsfeld zwischen Behörden und Bevölkerung. Und genau diese Spannung sei von der JSVP instrumentalisiert worden, um Wahlkampf zu führen.

Röthlisberger erachtet es als problematisch, dass Geringers Kritik in die politische Meinungsmache einfliesst. «Es werden Dinge miteinander verglichen, über die getrennt debattiert werden muss.» Das Projekt, über das abgestimmt wird, habe nichts mit der momentanen Übergangslösung zu tun und könne diese nur verbessern. «Ein Fixplatz mit klaren Betriebsstrukturen würde viele Probleme lösen», hält Röthlisberger fest.
(https://www.derbund.ch/bern/eine-kritik-ohne-abnehmer/story/14136819)



derbund.ch 23.09.2019

«Sie müssen Sanktionen gegen renitente Familien durchsetzen»

Andreas Geringer ist der bekannteste Vermittler im Streit um Tansitplätze. Nun übt er scharfe Kritik an den ausländischen Fahrenden sowie am Kanton Bern.

Christian Zellweger

Es war ein überraschender Auftritt: Andreas Geringer, einer der bekanntesten Schweizer Fahrenden, nahm vergangene Woche an einer Parteiversammlung der Berner SVP teil. Dabei war es ausgerechnet die Junge SVP, welche über 11000 Unterschriften sammelte für ein Referendum gegen den geplanten Transitplatz für ausländische Fahrende in Wileroltigen. So kommt nun der Kredit über 3,3 Millionen vors Volk. Geringer hatte sich als Präsident des Verbandes Sinti und Roma Schweiz (VSRS) in den letzten Jahren intensiv für den Bau eingesetzt. Und Geringer war auch an der erfolgreichen Klage gegen die Junge SVP beteiligt, die in Inseraten Fahrenden diffamierte.

Herr Geringer, wie muss man Ihren Auftritt bei der SVP-Versammlung interpretieren? Heisst das, dass Sie nun ebenfalls gegen den Transitplatz in Wileroltigen sind?

Nein, ich bin weiter dafür, dass dieser Transitplatz kommt. Das habe ich auch an der SVP-Versammlung klar betont. Ich habe die letzten fünf Jahre intensiv dafür gearbeitet, dass dieser Platz gebaut werden kann. Zudem ist der Ort als Transitplatz aus Sicht der Fahrenden gut geeignet, weil er unter anderem gut erschlossen ist.

Wieso denn nun der Auftritt an der SVP-Versammlung?

Mir ging es nicht um den Transitplatz, sondern um die Probleme, die wir in Bern mit gewissen fahrenden Familien aus dem Ausland haben. Was dieses Jahr im Kanton Bern mit ausländischen Fahrenden ablief, kann ich so nicht unterstützen.

Was meinen Sie?

Was wir in Bern erleben, ist schlicht Dauercamping von einzelnen ausländischen Familien, die die Transitplätze besetzten. Diese wären für einen Aufenthalt von maximal sieben Tagen gedacht. Mit den zwei provisorischen Plätzen in Brügg und Gampelen gab es dieses Jahr im Kanton Bern 70 Standplätze für etwa 350 Personen. Für Fahrende auf Durchreise im Kanton müsste das reichen. Nun hat man aber auch in Wileroltigen eine weitere Gruppe toleriert – das war falsch. Gewisse Familien besetzen diese Plätze schon seit Anfang Jahr. Wir Schweizer Fahrenden müssen unsere Standplätze jeweils nach mindestens einem Monat verlassen. Das wird von den Behörden auch konsequent durchgesetzt. Bei diesen einzelnen renitenten Familien aus dem Ausland getraut man sich aber nicht, etwas zu unternehmen.

Und darum gehen Sie an die SVP-Parteiversammlung?

Wir arbeiten mit verschiedenen Gemeindepräsidenten zusammen, da ist die Partei zweitrangig. Ich bin auch in keiner Partei. Doch: Nur bei der SVP habe ich das Gefühl, in dieser Sache gehört zu werden. Vom Kanton, der Polizei und den linken Parteien habe ich in diesem Fall keine Unterstützung gespürt.

Werden Sie mit solchen Auftritten nicht zum Abstimmungshelfer gegen den Transitplatz?

Ich bin kein Politiker, aber ich setze mich für die fahrende Lebensweise ein. Und die ist gefährdet, wenn man nichts gegen diese einzelnen Familien unternimmt, die sich nicht an die Regeln halten. Wir vom VSRS haben 300 Gemeinden im Mittelland angefragt, ob sie uns Fahrenden einen Standplatz anbieten würden, wenn wir uns zuvor anmelden würden. Wir haben keine einzige Zusage erhalten.

Was fordern Sie denn von den Behörden?

Sie müssen Sanktionen auch gegen renitente Familien durchsetzen, wo das vielleicht nicht so einfach ist, wie bei Schweizer Fahrenden. Es braucht viel mehr Kontrollen, etwa von der Fremdenpolizei oder dem Handelsregisteramt. Fahrende, die aus dem Ausland in die Schweiz kommen, um zu arbeiten, erhalten die Bewilligungen dafür viel zu einfach, ohne Nachweise ihrer selbstständigen Tätigkeit und auch wenn sie ihr Metier kaum beherrschen oder sich um Umweltvorgaben scheren.

Sie sind, wie Sie auch der «Berner Zeitung» sagten, enttäuscht von den Berner Behörden und suchen die Hilfe der SVP. In Ihrer Tätigkeit als Vermittler zwischen Fahrenden und Behörden sollten Sie aber möglichst neutral sein. Was heisst das nun für Ihr Engagement in der Mediation?

Die Mediation, die wir vom VSRS aus anbieten, führen wir natürlich weiter. Sie ist in anderen Kantonen sehr gefragt, dort arbeiten wir auch gut mit den Ämtern zusammen. Mit dem Kanton Bern müssen wir uns aber zuerst noch mal gemeinsam an den runden Tisch setzen.

Was brauchte es denn, damit die angesprochenen Probleme gar nicht erst entstehen? Damit die Mediation funktioniert, müssten die Behörden in erster Linie hinter mir stehen. Stattdessen ist man mir in Wileroltigen in den Rücken gefallen: Ich hatte vom Bundesamt für Strassen (Astra) als Landbesitzerin ein Mandat bekommen, um mit der Familie in Wileroltigen zu verhandeln, und auch bereits einen Abreisetermin vereinbart. Die Polizei erlaubte dann aber, dass sie bleiben darf. So bin ich als Vermittler nicht mehr glaubwürdig.

Und konkret auf den Stand- und Transitplätzen?

Die Plätze müssen die entsprechende Infrastruktur besitzen und täglich gut betreut sein, es braucht einen «Feldweibel». Man muss die Leute erziehen: Abfall muss korrekt entsorgt werden, Arbeiten, etwa mit Farbe, müssen umweltgerecht ausgeführt werden und so weiter. In Brügg, wo der Platz eng betreut wurde, hat das dieses Jahr gut funktioniert. Gegenbeispiele sind Gampelen und eben Wileroltigen, wo sich niemand so eng um die Plätze kümmern konnte – und sich die Gruppen sehr schlecht an Regelungen und Vereinbarungen hielten.

Wie sieht Ihr Umfeld von Schweizer Fahrenden die Situation?

Es gibt durchaus Leute, die finden, es dürfe nur noch Standplätze für Schweizer Fahrende geben und ausländische Fahrende hätten in der Schweiz nichts zu suchen. Das wäre aber rechtlich gar nicht möglich, nicht zuletzt auch wegen des Freizügigkeitsabkommens mit der Europäischen Union.

Und wie sehen Sie das?

Ich bin sehr dagegen, generell gegen ausländische Fahrende zu schiessen. Das führt zu Extremismus. Und Zeiten, in denen extreme Positionen die Politik bestimmten, waren nie gute Zeiten für uns Fahrende. Es braucht einen Mittelweg – und eine klare Haltung gegenüber allen, die sich nicht an die Regeln halten. Und zwar nicht nur bei Schweizer Fahrenden, sondern auch bei ausländischen Familien, wo das vielleicht etwas schwieriger durchzusetzen ist.



Zur Person

Andreas Geringer ist Präsident des Verbandes Sinti und Roma Schweiz (VSRS). Als solcher kennt er die Situation von Schweizer und ausländischen Fahrenden im Land so gut wie kaum sonst jemand. Geringer fungiert als Vermittler zwischen der Bevölkerung, den Behörden und den Fahrenden. Geringer, der selbst eine fahrende Lebensweise pflegt, leitet als VSRS-Präsident nämlich auch ein Mediationsprojekt, das der Verband 2017 gemeinsam mit der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) lancierte und seit 2018 selbstständig weiterführt: Für die Behörden und Landbesitzer sind die Mediatoren Ansprechpartner, gegenüber den ausländischen Fahrenden versuchen die Mediatoren, die Schweizer Gesetze und Gebräuche zu vermitteln. Ziel ist es, etwa Spontanhalten ausserhalb der vorgesehen Plätze und Konflikte zu vermeiden. Einen Teil der Kosten decken dabei die betroffenen Kantone. (zec)
(https://www.derbund.ch/bern/sie-muessen-sanktionen-gegen-renitente-familien-durchsetzen/story/29613522)


+++GASSE
Gemeinderatsantwort auf Motion Schneider “Dunkelziffer bei Obdachlosen ans Licht bringen” (PDF, 75.3 KB)
https://www.bern.ch/politik-und-verwaltung/gemeinderat/aktuelle-antworten-auf-vorstosse/publizierte-antworten-am-23-september-2019/motion-schneider-dunkelziffer-bei-obdachlosen-ans.pdf/download


Armut in Basel – Seit einem Jahr hat Basel eine Notschlafstelle nur für Frauen
Ziel des Pilotprojekts ist es, dass mehr armutsbetroffene Frauen in die Notschlafstelle kommen.
https://www.srf.ch/news/regional/basel-baselland/armut-in-basel-seit-einem-jahr-hat-basel-eine-notschlafstelle-nur-fuer-frauen


Notschlafstelle Aargau – Die Nachfrage nach einem Schlafplatz ist gross
In Baden hat am 1. September die erste Notschlafstelle im Aargau eröffnet. Die sechs Betten sind bereits oft belegt.
https://www.srf.ch/news/regional/aargau-solothurn/notschlafstelle-aargau-die-nachfrage-nach-einem-schlafplatz-ist-gross



tagesanzeiger.ch 23.09.2019

 «Als Obdachlose war ich ständig gestresst»

Sandra Brühlmann lebte auf der Strasse, trank Wodka, litt unter Gewalt und Wahnvorstellungen. Heute hat sie einen «Traumjob».

Marisa Eggli

Es ist ein unscheinbarer Ort mitten in der Stadt Zürich. Hier, in einer Seitengasse beim hektischen Stauffacher im Kreis 4, hat Sandra Brühlmann ihre Nächte verbracht, zusammengekauert auf einem Gitterrost. Über Monate hinweg kam sie abends her, um hier zu übernachten, meist begleitet von zwei obdachlosen Männern.

Den Platz an der Seitenwand des Starbucks habe sie selbst entdeckt, sagt sie. In ihrer Stimme schwingt etwas Stolz mit. Hier fror sie weniger als anderswo, weil durch das Gitter stossweise warme Luft aus dem Untergrund strömte. Am Morgen stieg sie jeweils in ein Tram und drehte wahllos Runden durch Zürich, um sich aufzuwärmen.

Im Wahn sah sie Wölfe

Bald wird Sandra Brühlmann zum ersten Mal eine Gruppe von Interessierten zu diesem Gitterrost am Rand des Stauffachers führen. Sie wird erzählen, dass sie hier ihre Nächte verbrachte, aber selten habe schlafen können. Sie litt an einer schweren Psychose, sah in ihrem Wahn Wölfe, hörte Stimmen, und vor allem hatte sie grosse Angst, bedrängt oder angegriffen zu werden. Deshalb streifte sie auch tage- und nächtelang durch die Stadt, kam kaum zur Ruhe. «Ich war eigentlich immer gestresst, und mir fehlte die Privatsphäre», sagt sie und streicht sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht.

Sie ist die erste Frau, die für den Verein Surprise in Zürich einen Stadtrundgang macht und darin auch über die dunklen Seiten ihrer eigenen Geschichte spricht. «Schattenwelten» heisst die neue Tour. Sie führt an verborgene Orte, die zentral liegen und für Brühlmann wichtig waren, als sie obdachlos war, Wodkaflaschen leerte, Ritalin-Tabletten schluckte – und später wieder ins Leben zurückfand. Ähnliche Führungen von Frauen gab es bisher erst in Basel und Bern.

Sandra Brühlmann ist sympathisch und gepflegt. Ihr Lachen fällt auf, und ihre Stimme klingt rau. Während des Probelaufs erzählt sie ohne Pause von ihrer Vergangenheit, schnell, fast hastig. Den Text, sagt sie, wolle sie mit der Zeit auswendig können. Noch gelinge ihr das nicht ganz, müsse sie ein bisschen ablesen. Sie sei auch etwas nervös. Das Manuskript ist ziemlich dick.

Wohnung zugemüllt

«Hier», sagt sie nach einigen Schritten und zeigt auf ein Plätzchen am Schanzengraben, «hier bin ich tagelang gesessen, habe in meiner Psychose getanzt, gelacht oder laut mit mir selbst geredet.» Manchmal schmückte sie die drei mächtigen Kastanien neben der Mauer. In ihrem Wahn schienen sie ihr schön wie leuchtende Christbäume.

Im Grunde, sagt sie, sei sie sehr einsam gewesen. Sie hatte kaum mehr Freunde, die Familie war weit weg, ihr Bruder suchtkrank. «Ich hätte mir gewünscht, jemand spräche mich an oder hörte mir zu.» Aber sie hat auch Verständnis für die Leute, die den Kopf drehten und an ihr vorübereilten, so auffällig, wie sie sich benommen habe.

Ihre Wohnung in Zürich hatte Sandra Brühlmann verloren, als sie psychisch bereits sehr krank war. Sie hatte das Haus seit Wochen kaum verlassen, trank viel, ass wenig und sass bevorzugt in einer Ecke im Wohnzimmer. Eines Tages klingelten Polizisten an der Tür. Sie wies die Beamten erst schroff zurück. Doch dann entdeckten diese, wie sie in ihrer Wohnung lebte. Die Böden in den Zimmern waren übersät mit Abfall, Papierfetzen, Plastik, Zigarettenpackungen, alles wild durcheinander. Auf den Tischen standen leere Bierdosen, Müll überall. Die Fensterscheiben hatte sie eingeschlagen, die Vorhänge gezogen. In ihrem Wahn glaubte sie, beobachtet zu werden.

Die Polizisten fotografierten die Räume, informierten die Erwachsenenschutzbehörde, und dann ging es schnell: Sandra Brühlmann erhielt eine Beiständin und die Kündigung für die Wohnung. Ihrer Erzählung nach wurde das so rasch abgewickelt, dass sie keine Chance hatte, für ihre Bleibe zu kämpfen. «Mir fehlte auch die Kraft, mich zu wehren», sagt sie. Damals war sie 30, heute ist sie 36 Jahre alt.

Sparen für eine Afrikareise

Auf der Tour zeigt Sandra Brühlmann Bilder ihrer verwüsteten Wohnung. Fragen beantwortet sie offen. Gemeinsam mit einer Mitarbeiterin von Surprise hat sie intensiv daran gearbeitet, ihre Vergangenheit erzählen und akzeptieren zu können.

Bereits als Jugendliche war sie depressiv und trank, erlebte Gewalt. Später litt sie jahrelang an der Psychose, die vermutlich eine zu hohe Dosis Ritalin ausgelöst hatte. Sie wurde missbraucht und obdachlos.

Nach Monaten auf der Strasse fand Sandra Brühlmann schliesslich Unterschlupf im Suneboge, einer Wohn- und Arbeitsgemeinschaft im Stadtzürcher Kreis 1. Erst fürchtete sie sich auch hier, weil vorwiegend Männer dort wohnten. Doch wegen des nahenden Winters war sie froh um ein Zimmer.

Der Suneboge ist auch ein wichtiger Ort auf ihrer Tour, einer, an dem sie endlich etwas zur Ruhe gekommen ist. Dort merkte Sandra Brühlmann, dass sie anders weiterleben will. Sie hörte schrittweise auf zu trinken und wohnt inzwischen wieder in einer eigenen kleinen Wohnung. Nun ist auch die Dosis ihrer Medikamente gut eingestellt. Jeden Monat legt sie ein wenig Geld zurück und spart für eine Reise nach Afrika, wo sie sich in einem Projekt um Tiere kümmern will.

«Wenn ich zurückschaue, schäme ich mich zum Teil für das, was ich getan habe, zum Beispiel für die zerstörte Wohnung», sagt sie. Aber sie sei auch glücklich über die Chance von Surprise. Als Stadtführerin und Armutsexpertin wird sie Hunderten ihre Geschichte erzählen und sie auf die Probleme einer verborgenen Welt aufmerksam machen können. «Ein Traumjob», sagt sie, und «ein Glück»: «Cool, dass ich so etwas Gutes aus meiner Scheiss-Vergangenheit machen kann.»

«Schattenwelten»: Nächste Tour mit Sandra Brühlmann am Montagnachmittag, 30.9. Weitere Führungen unter: www.surprise.ngo/stadtrundgangzh/



Grossteil der Obdachlosen ist psychisch krank

Wie viele Obdachlose in Zürich leben, weiss man nicht. Zahlen fehlen. Die Stadt hat Kenntnis von rund einem Dutzend Menschen, die das ganze Jahr über im Freien übernachten. Besser erforscht ist in Zürich die Gesundheit von Obdachlosen.

Eine Studie kam 2014 zum Schluss, dass ein Grossteil der Obdachlosen an einer psychischen Krankheit leidet. Für die Studie sind knapp 340 Personen befragt worden. Eine Untersuchung aus Basel kam in diesem Frühling zu einem ähnlichen Schluss. Den zuständigen Professor Matthias Drilling von der Fachhochschule Nordwestschweiz erstaunen die Erfahrungen von Sandra Brühlmann deshalb wenig. Er startet Anfang 2020 die erste umfassende Studie zum Thema Obdachlosigkeit in der Schweiz. Darin untersucht er unter anderem die Situation in Zürich, Basel und Genf.

Als Frau mit einer psychischen Krankheit verkörpert Sandra Brühlmann gleich zwei wichtige Aspekte des Themas. Obdachlose Frauen sind in der Minderheit und sehen sich häufig Gewalt ausgesetzt. In Zürich schätzt man den Anteil der Frauen, die in der Notschlafstelle übernachten,auf rund ein Drittel. Die Institution hat 50 Plätze. (meg)
(https://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/stadt/als-obdachlose-war-ich-staendig-gestresst-und-hatte-angst/story/30232049)



«Wir erwarten mehr Unterstützung von den Behörden»
Am Samstagabend sind bei einer Massenschlägerei vier Männer verletzt worden. Der Leiter der Freizeithalle Dreirosen sagt, es sei nur die Spitze des Eisbergs.
https://telebasel.ch/2019/09/23/wir-erwarten-mehr-unterstuetzung-von-den-behoerden


Nach Massenschlägerei: Die Basler Dreirosenanlage wird Politikum
Am Samstag kam es auf der Dreirosenanlage zu einer Massenschlägerei, sieben Personen wurden festgenommen, mehrere verletzt. Nun ermittelt eine Sonderkommission – und die Politiker schalten sich ein. Die Situation sei so nicht mehr tragbar.
https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/nach-massenschlaegerei-die-basler-dreirosenanlage-wird-politikum-135671309


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Schule ging an Klimademo – Regierung äussert sich
Jugendliche der Oberstufe von Frutigen BE nahmen im Frühling an einer Klimademo in Thun teil. Darüber unterhält sich die Politik noch immer.
https://www.20min.ch/schweiz/bern/story/Klimademo-21947499
-> Motions-Antwort: https://www.gr.be.ch/gr/de/index/geschaefte/geschaefte/suche/geschaeft.gid-d694053c1d2d4775b50903a741489417.html


Linksextreme bekennen sich zu Attacke im Niederdorf
Vermummte schlugen am Samstagnachmittag eine Polterabendgruppe brutal nieder. Am Sonntagabend taucht ein Bekennerschreiben aus der linken Szene auf: Der Angriff war von Links auf Rechts. Ein Extremismus-Experte befürchtet nun Vergeltungsschläge.
https://www.telezueri.ch/zuerinews/linksextreme-bekennen-sich-zu-attacke-im-niederdorf-135670773


Farbanschlag auf brasilianisches Konsulat
Das Konsulat Brasiliens in Zürich wurde am Wochenende mit Farbe beschmiert. Ein SVP-Kantonsrat twitterte Fotos.
https://www.20min.ch/schweiz/zuerich/story/Farbanschlag-auf-brasilianische-Botschaft-31935273
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/farbanschlag-auf-brasilianisches-konsulat-in-zurich-65588264


«Elsi»-Hausbesetzer verschandeln Flora-Buvette
Einen halben Arbeitstag musste Betriebsleiter Andreas Anderhub aufwenden, um die Schmierereien wieder abzuschleifen.
https://primenews.ch/news/2019/09/elsi-hausbesetzer-verschandeln-flora-buvette


+++SPORTREPRESSION
FCB-Graffiti fordert Polizeieinsatz am Bahnhof
Am Sonntagnachmittag kam es am Bahnhof SBB zu einem Polizei-Grosseinsatz. Grund dafür war ein Graffiti von FCB-Fans an der Rückseite des Kiosks beim Gleis
https://telebasel.ch/2019/09/23/fcb-graffiti-fordert-polizeieinsatz-am-bahnhof
-> https://primenews.ch/news/2019/09/grosseinsatz-der-kantonspolizei-beim-bahnhof-sbb


+++REPRESSION DE
G20-Krawalle: Polizei ignoriert Löschanordnung des Datenschützers
Eigentlich sollte die Hamburger Polizei eine Datenbank mit Bildern von G20-Demonstranten löschen, doch sie nutzt sie munter weiter.
https://www.heise.de/newsticker/meldung/G20-Krawalle-Polizei-ignoriert-Loeschanordnung-des-Datenschuetzers-4537317.html


+++BIG BROTHER
Räte einigen sich auf Regeln für elektronischen Ausweis
Eine vom Bund anerkannte E-ID ermöglicht bei Online-Geschäften und Behördenkontakten die elektronische Identifizierung nach Schweizer Regeln. Der Ständerat hat am Montag die letzte Differenz beim E-ID-Gesetz ausgeräumt. Das letzte Wort dürfte das Volk haben.
https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2019/20190923153010940194158159041_bsd114.aspx


Bündnis will Referendum gegen E-ID ergreifen
Ein Bündnis hat das Referendum gegen das Gesetz zum elektronischen Ausweis E-ID angedroht, falls das Parlament am Montag das Geschäft unter Dach bringt. Es befürchtet, dass sich der Bund mit der Privatisierung der E-ID von einer staatlichen Kernaufgabe verabschiedet.
https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2019/20190923073457755194158159041_bsd027.aspx


+++POLIZEI AG
Misslungener Polizeieinsatz – Verurteilter Einsatzleiter bleibt im Aargau Polizist
Die rechtskräftige Verurteilung wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung im Einsatz hat für einen Aargauer Polizisten keine beruflichen Konsequenzen.
https://www.srf.ch/news/regional/aargau-solothurn/misslungener-polizeieinsatz-verurteilter-einsatzleiter-bleibt-im-aargau-polizist


+++POLIZEI LU
Sicherheitsbericht Luzern
https://www.tele1.ch/sendungen/1/Nachrichten#512640_4
-> https://www.stadtluzern.ch/aktuelles/news/771827


+++POLIZEI DE
Brutal oder harmlos? In Deutschland sorgt ein Video mit «Schmerzgriffen» der Polizei für Aufregung
Hat die deutsche Polizei am Rande der Klima-Demonstrationen übermässige Gewalt angewendet? Im Netz kursiert ein Video aus Hamburg, das zeigt, wie Beamte «Schmerzgriffe» anwenden. Aktivisten und linke Politiker sind empört. Die Polizeigewerkschaft hält dagegen.
https://www.nzz.ch/international/polizeigewalt-ein-video-aus-hamburg-sorgt-fuer-aufregung-ld.1510617
-> https://www.neues-deutschland.de/artikel/1126250.polizeigewalt-klimastreik-blockade-so-gewaltvoll-ging-die-polizei-in-hamburg-vor.html


+++ANTIRA
Zweifach benachteiligt – schwarze Pionierinnen
Wer erinnert sich an die erste schwarze Schweizer Nationalrätin Tilo Frey? Neuchâtel hat ihr 2019 einen Platz gewidmet. In den USA erinnern sich viele an die ehemalige Sklavin und Bürgerrechtlerin Harriet Tubman – der Platz auf der 20-Dollarnote wird ihr aber erfolgreich verweigert.
https://www.srf.ch/sendungen/kontext/zweifach-benachteiligt-schwarze-pionierinnen


antira-Wochenschau: Zwei Gerichtsurteile über Faschisten, ein Kredit für drei Asylcamps, Ausschaffungen nach Iran und Georgien
https://antira.org/2019/09/23/antira-wochenschau-zwei-gerichtsurteile-ueber-faschisten-ein-kredit-fuer-drei-asylcamps-ausschaffungen-nach-iran-und-georgien/


+++RECHTSPOPULISMUS
Gemeinderatsantwort auf Interpellation Fraktion SVP “Krawalle bei der Reitschule” (PDF, 89.8 KB)
https://www.bern.ch/politik-und-verwaltung/gemeinderat/aktuelle-antworten-auf-vorstosse/publizierte-antworten-am-23-september-2019/interpellation-fraktion-svp-krawalle-bei-der.pdf/download


Gemeinderatsantwort auf Interpellation Glauser “Griffige Massnahmen zum Schutz vor politisch motivierter Gewalt” (PDF, 77.0 KB)
https://www.bern.ch/politik-und-verwaltung/gemeinderat/aktuelle-antworten-auf-vorstosse/publizierte-antworten-am-23-september-2019/interpellation-glauser-griffige-massnahmen-zum.pdf/download


Gemeinderatsantwort auf Motion Beuchat “Null Toleranz bei Pyro-Zünslern, militanten Reithalleaktivisten und illegalen Sprayern aus der Reithalle sowie bei Gewalt im Sport” (PDF, 90.7 KB)
https://www.bern.ch/politik-und-verwaltung/gemeinderat/aktuelle-antworten-auf-vorstosse/publizierte-antworten-am-23-september-2019/motion-beuchat-null-toleranz-bei-pyrozunslern.pdf/download


Gemeinderatsantwort auf Motion Fraktion SVP “Keine Zwischennutzung mehr für Vertragsbrecher und für Besetzer!” (PDF, 92.0 KB)
https://www.bern.ch/politik-und-verwaltung/gemeinderat/aktuelle-antworten-auf-vorstosse/publizierte-antworten-am-23-september-2019/motion-fraktion-svp-keine-zwischennutzung-mehr-fur.pdf/download


Glarner provoziert mit pseudo-arabischem Wahlplakat
Der SVP-Politiker Andreas Glarner macht seinem Ruf als Provokateur alle Ehre. Mit seiner neuen Plakatkampagne fordert er angeblich “Religionsfreiheit statt Islamisierung“. Doch die abgebildeten arabischen Schriftzeichen ergeben offenbar keinen Sinn.
https://www.telem1.ch/aktuell/-glarner-provoziert-mit-pseudo-arabischem-wahlplakat-135670555


SP-Vock nennt SVP-Bircher auf Facebook eine Rassistin – sie kontert mit einer Strafanzeige
Die Aargauer SVP-Grossrätin Martina Bircher machte sich für die Kürzung der Sozialhilfe für Grossfamilien stark. Ihr SP-Parlamentskollege Florian Vock bezeichnete sie daraufhin auf Facebook als Rassistin. Nun hat Bircher eine Anzeige gegen ihren Kollegen eingereicht.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/sp-vock-nennt-svp-bircher-auf-facebook-eine-rassistin-sie-kontert-mit-einer-strafanzeige-135667953


+++RECHTSEXTREMISMUS
Wie einige MitgliederInnen der SVP Antisemitismus banalisieren
Nicht auf einer faschistischen Tradition basierend, war Antisemitismus für die Ideologie der SVP niemals essenziell. Dennoch trägt der Einfluss des Neo-Faschismus sowie die natürliche Tendenz der extremen Rechten zum Antisemitismus dazu bei, dass zahlreiche Mitglieder der SVP dem Antismitismus nahe stehende und für einige ganz klar antisemitische, Rhetorik benützen.
https://barrikade.info/article/2627


Vertrauliches Papier: Rechtsextreme Gewalt alarmiert Europol
Die Morde an Walter Lübcke und an der britischen Politikerin Cox – europaweit nehmen rechtsextreme Gewalttaten und die internationale Vernetzung zu. Dies geht aus einem vertraulichen Europol-Papier hervor, das WDR, NDR und “SZ” vorliegt.
https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/europol-rechtsextremismus-europa-101.html


+++FUNDIS
Zürcher Katholiken sind sich uneinig: Ist der «Marsch fürs Läbe» gottlos?
Der Generalvikar Josef Annen massregelt einen Mitarbeiter des Zürcher Synodalrats wegen einer Aussage zur Demonstration der Abtreibungsgegner. Die oberste Zürcher Katholikin, Franziska Driessen-Reding, beschwichtigt: «Wir haben keinen Konflikt.»
https://www.nzz.ch/zuerich/ist-der-marsch-fuers-laebe-gottlos-ld.1510679


Die scheinheiligen Retter des Abendlandes
Die Stiftung «Zukunft CH» macht Stimmung gegen Schwule und Muslime und propagiert die «heile» Familie. Weshalb das alles andere als liberal ist.
https://www.bazonline.ch/die-scheinheiligen-retter-des-abendlandes/story/13049350


+++HISTORY
Serie: Anarchisten in der Schweiz / 6 Ein Banküberfall – und “Todesstrafe!”, rief Schweiz
Da blieb die Schweiz erstaunlich lange cool: Anfang des 20. Jahrhunderts trieben anarchistische Flüchtlinge im Gastland ihr Unwesen. Doch eine Tat war der Blutstropfen zu viel: Der Banküberfall von Montreux 1907, bei dem zwei Russen einen Angestellten und auf ihrer Flucht einen Passanten töteten. “Todesstrafe”, riefen Bürgerinnen und Bürger.
https://www.swissinfo.ch/ger/serie–anarchisten-in-der-schweiz—6_ein-bankueberfall-genuegte—–und–todesstrafe—-rief-es-in-der-schweiz/45079514


Wie Sisis Mörder den Kopf verlor
Die österreichische Kaiserin wurde 1898 erstochen – und lief zuerst ahnungslos weiter. Ihr Attentäter wünschte sich die Todesstrafe.
https://blog.tagesanzeiger.ch/historyreloaded/index.php/4781/wie-sisis-attent%C3%A4ter-den-kopf-verlor/
-> https://de.wikipedia.org/wiki/Luigi_Lucheni
-> https://de.wikipedia.org/wiki/Propaganda_der_Tat


+++PSYCHIATRIE
Psychiatrische Klinik Münsterlingen: Medikamentenversuche an bis zu 3000 Patienten +++ Kanton errichtet Zeichen der Erinnerung auf altem Spitalfriedhof
Roland Kuhn testete in Münsterlingen eine enorme Menge nicht zugelassener Medikamente direkt an seinen ahnungslosen Patienten. Ein nun erschienenes Buch zeigt die Dimension der Tests auf.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/frauenfeld/todesfaelle-und-millionen-von-der-pharmaindustrie-buch-ueber-medikamententests-in-der-psychiatrischen-klinik-muensterlingen-zeigt-das-riesige-ausmass-ld.1154244
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/medikamententests-an-patienten-viel-mehr-betroffene-als-angenommen
-> Rendez-vous: https://www.srf.ch/play/radio/popupaudioplayer?id=729fce2f-d5e2-47d2-8582-ce95e29a7c63
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/play/radio/popupaudioplayer?id=b2ce57df-6e73-4439-b0a5-98e10e5f3794
-> Schweiz Aktuell: https://www.srf.ch/play/tv/popupvideoplayer?id=b76c22e2-9598-433a-8bda-5589d3824964&startTime=55.351
-> Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/popupvideoplayer?id=27fc1155-8c39-4b09-afef-d85e6a3132de&startTime=797.707
-> https://www.nzz.ch/meinung/patientenforschung-braucht-klare-und-verbindliche-regeln-ld.1510734
-> https://www.toponline.ch/news/thurgau/detail/news/medikamente-an-3000-psychiatrie-patienten-in-muensterlingen-getestet-00120156/
-> https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/psychiater-verdiente-millionen-mit-medikamententests-obwohl-es-zu-todesfaellen-kam-135668340



tagesanzeiger.ch 23.09.2019

36 Todesfälle nach Medikamenten-Versuchen

Neues Buch zeigt: In Münsterlingen prüfte ein Psychiater jahrzehntelang nicht zugelassene Medikamente an Patienten. Diese waren ahnungslos. Er verdiente Millionen.

Simone Rau

«Jetzt macht man mir einfach Spritzen, sodass ich am Sonntag nicht einmal in die Kirche kann. Hier macht man einen noch kränker, als man schon ist. Ich bin doch kein Versuchstier, ich bin doch ein Mensch. Ich will fort!»

Mit diesen Worten versuchte sich im Jahr 1954 eine Patientin in der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen einer sehr schmerzhaften Injektion zu widersetzen. Es nützte nichts: Fräulein Wild* (Pseudonym) bekam das Präparat G 22150 verabreicht – auch «Geigy Weiss» genannt. Dabei handelte es sich nicht um ein zugelassenes Medikament, sondern um einen Prüfstoff, der bisweilen starke Erregung und Sehstörungen auslöste.

Die psychisch kranke Frau war Teil eines klinischen Versuchs unter der Leitung des renommierten Psychiaters Roland Kuhn. Und damit eine von Tausenden Betroffenen in einer jahrzehntelangen Versuchspraxis.

Gut 60 Jahre später, im Mai 2015, erteilte der Thurgauer Regierungsrat einem Historikerteam den Auftrag, die umstrittene Psychopharmakaforschung in Münsterlingen zu untersuchen. Auslöser war ein Medienskandal. Ab 2012 berichtete unter anderem der «Tages-Anzeiger» von Tests mit nicht zugelassenen Substanzen – durchgeführt in enger Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie in Basel.

Schier unglaubliches Ausmass

Nach mehrjähriger Forschungsarbeit liegt nun das Buch «Testfall Münsterlingen» vor. Die so erstaunlichen wie erschütternden Resultate zeigen: Das Ausmass der Versuche ist schier unglaublich. Im untersuchten Zeitraum – 1940 bis 1980 – gelangten mindestens drei Millionen Einzeldosen an den Bodensee. Bei 67 Substanzen liegen eindeutige Beweise für eine Prüfung vor, weitere 50 dürften ebenfalls getestet worden sein. Wenn nicht noch mehr.

Auch die 1112 identifizierten Patientinnen und Patienten sind eine Mindestzahl. Die Forscherinnen und Forscher gehen davon aus, dass viel mehr Personen Prüfstoffe verabreicht bekamen. In den Testberichten von Psychiater Kuhn sind insgesamt 2789 Fälle vermerkt.

Doch auch diese Zahl sei konservativ, da er nicht immer alle Fälle mitgezählt und nicht bei jeder Substanz angegeben habe, wie viele Personen involviert gewesen seien, sagt Marietta Meier, Leiterin des Forschungsteams und Titularprofessorin an der Universität Zürich. «Auch sonst gibt es überall Lücken. Die Dunkelziffer muss um einiges höher sein.» Ihr Team beschränkte sich aus Kapazitätsgründen vor allem auf Krankenakten von Personen, die in Kuhns Nachlass erwähnt sind – es gibt Tausende weitere. Und auch da musste es eine Auswahl treffen.

Ob Dragées, Tabletten, Ampullen oder Zäpfchen, ob in der Farbe Weiss, Rosa, Rot, Gelb oder Schwarz: Die grösste Menge an Präparaten wurde der Psychiatrischen Klinik zwischen 1957 und 1965 geliefert. Damals gab es in Münsterlingen durchschnittlich 700 stationäre und knapp 1400 ambulante Patienten pro Jahr. Die grösste dokumentierte Lieferung enthielt 300’000 Dragées Ketimipramin – kurz Keto genannt.

Sie zeigt, dass in Münsterlingen nicht nur Unmengen von Substanzen verbraucht wurden, die später als Medikamente in den Handel kamen. Sondern auch Stoffe, die ihre Zulassung nie erhielten. Neben Keto testete Kuhn beispielsweise in grossen Mengen das für gefährliche Zwischenfälle sorgende Neuroleptikum FR 33. Patientinnen und Patienten kollabierten zum Teil nach nur einer Tablette schwer, manche verstarben – auf den Markt gelangte die Substanz nie.

Kostenlose Lieferungen aus Basel

Die Prüfstoffe wurden Kuhn allesamt kostenlos aus Basel zugeschickt. Er rapportierte an die Pharmafirmen Geigy, Ciba, die fusionierte Ciba-Geigy, aber auch an Hoffmann-La Roche, Wander und Sandoz – und machte mit der Forschung viel Geld. Insgesamt erhielt er rund acht Millionen Franken. Praktisch alle Einkünfte gingen an ihn persönlich. Die Aufsichtskommission liess ihn, genau wie der Thurgauer Regierungsrat, gewähren. Man war über die Versuche im Bild – eine Kontrolle fand aber nie statt.

Wer aber war überhaupt betroffen? Das Spektrum der Patientinnen und Patienten, die Testpräparate erhielten, ist breit. Die involvierten Personen unterscheiden sich stark, sei es im Hinblick auf Alter, Geschlecht oder Herkunft, sei es im Bezug auf medizinische Kriterien wie Diagnose, Symptome oder Behandlungsdauer.

Und doch gab es Patienten, die Kuhn gezielt für Versuche einsetzte. Auffallend oft griff er auf chronisch Schwerkranke mit ungünstiger Prognose zurück, um die Verträglichkeit einer Substanz kennen zu lernen. «Kuhn war vermutlich der Meinung, dass hier nicht mehr viel zu verlieren sei», heisst es im Buch.

Um die Wirkung der Substanzen genauer zu beobachten, suchte sich Kuhn andere Patienten, etwa solche, die besser Auskunft geben konnten und stärker reagierten als chronisch Kranke. In einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis standen etwa Pflegerinnen, die in Münsterlingen arbeiteten und dort zugleich behandelt wurden. Wie gut sie über die nicht zugelassenen Stoffe informiert wurden, lässt sich schwer abschätzen.

«Nie um Einwilligung gefragt»

Stationäre Patientinnen und Patienten wussten – so viel ist klar – in den seltensten Fällen, was ihnen verabreicht wurde. Kuhn selber schrieb, man habe Patienten «nie um ihre Einwilligung gefragt». Er bat die Pharmafirmen sogar wiederholt, neue Prüfstoffe gleich einzufärben wie bereits zugelassene Medikamente – «sodass die Patienten gar nicht merken, wenn sie ein anderes Medikament bekommen».

Aus den ambulanten Krankenakten geht nicht hervor, ob die Patienten informiert wurden – allerdings war auch ihr Handlungsspielraum grösser: Sie scheinen ihre Präparate oft selbstständig abgesetzt, unregelmässig oder gar nicht eingenommen zu haben.

Die stationären Patienten hingegen nahmen die Substanzen meist ein – anstandslos, weil man ihnen sagte, sie täten ihnen gut, oder auf Zureden. Manchmal waren auch Druck oder gar Drohungen nötig. «Je enger Patienten kontrolliert werden konnten, desto weniger Chancen hatten sie, dass sich ihr Widerstand auszahlte», heisst es im Buch.

Wer sich weigerte, bekam die Stoffe auch mal in den Kaffee oder in die Suppe gemischt. Oder war irgendwann still: Fräulein Wild* etwa fürchtete sich auch sieben Jahre später noch vor den Injektionen. Doch «sie sagte nichts», notierte eine Pflegerin 1961, «schüttelt jedes Mal den Kopf».

Vermutlich seien Medikamentenversuche auch in anderen Schweizer Kliniken lange ohne Einwilligung durchgeführt worden, schreiben die Forscherinnen und Forscher. Was zugleich bestätigt: Auch anderswo fanden Tests statt – mit möglicherweise gravierenden Folgen. Historikerin Meier sagt, Kuhn sei «sicher einer von vielen Testern» gewesen. Auch müsse man vorsichtig sein, wegen der «einzigartigen Quellenlage» in Münsterlingen darauf zu schliessen, dass Kuhn zwingend mehr oder andere Versuche durchgeführt habe als andere Psychiater. Hinweise fand das Team für knapp 20 Institutionen, darunter alle fünf Universitätskliniken in Basel, Bern, Lausanne, Genf und Zürich.

«Alltägliche Grenzüberschreitungen»

Und doch war Kuhn in vieler Hinsicht speziell: «Er war von einem grossen Drang beseelt, in der Forschung Spuren zu hinterlassen», sagt Meier. Das Problematische aus heutiger Sicht seien die «alltäglichen Grenzüberschreitungen». Wenn der ehrgeizige Psychiater aus wissenschaftlichem Eifer auf eigentlich übliche Vorabklärungen zur Giftigkeit der Präparate verzichtet habe. Oder wenn er bei einer Patientin aus Vorsicht eine gefährliche Prüfsubstanz abgesetzt habe, um diese sogleich neuen Patienten zu verabreichen.

Auch in methodischer Hinsicht war Kuhn speziell: Er befolgte die Vorgaben der Pharmafirmen nicht. So kombinierte er etwa nach Gutdünken Prüfstoffe mit bereits zugelassenen Medikamenten. «Dieses Vorgehen widersprach systematischen, wissenschaftlichen Prüfungsanordnungen, aber die Pharmafirmen liessen ihn trotzdem gewähren. Skepsis wurde selten geäussert», schreibt das Forschungsteam.

Nebenwirkungen und Risiken bedeuteten für den Psychiater keineswegs, dass Substanzen ungeeignet oder unwirksam waren. Bei Zwischenfällen passte er die Dosierung an oder suchte nach anderen Patienten. Nicht einmal Komplikationen, die längerfristige Folgen hatten oder gar zum Tod führten, schienen ihn gross zu kümmern: «Sie blieben für ihn Interpretationssache und wurden praktisch nie mit Prüfsubstanzen in Verbindung gebracht», sagt Meier.

«Man kann sich fragen»

Insgesamt sind die Forscherinnen auf 36 Personen gestossen, die während oder kurz nach der Verabreichung von Prüfstoffen verstarben. Nur bei zehn von ihnen zog Kuhn einen Zusammenhang in Erwägung. Bei den restlichen 26 «lavierte Kuhn zwar manchmal hin und her, kam jedoch stets zu einem negativen Schluss», wie es im Buch heisst. «Man kann sich natürlich fragen», habe er jeweils geschrieben, um im nächsten Satz «aber» nachzuschieben.

Gegen aussen klärte Kuhn über die Todesfälle nicht konsequent und transparent auf. Er erzählte weder den Angehörigen noch den Pathologen, die die verstorbenen Patienten routinemässig obduzierten, von den verabreichten Präparaten.

Um die Psychiatrische Klinik Münsterlingen weiter in die schweizerische Landschaft der Medikamentenversuche einzuordnen, wären Vergleiche mit anderen Kliniken nötig, schreiben Meier und ihr Team. Die historische Arbeit ist noch längst nicht beendet: Auch im Staatsarchiv Thurgau warten Tausende weitere Krankenakten darauf, untersucht zu werden.



Regierungsrat bittet Betroffene um Entschuldigung

Am Montag haben die Historikerinnnen Marietta Meier und Magaly Tornay im Staatsarchiv des Kantons Thurgau ihr Buch «Testfall Münsterlingen» vorgestellt. Neben Staatsarchivar André Salathé, der mit der jahrelangen Archivierung des Nachlasses des Psychiaters Roland Kuhn die historische Forschungsarbeit erst ermöglicht hat, waren auch der Thurgauer Regierungsratspräsident Jakob Stark sowie Regierungsrat Walter Schönholzer vor Ort.

Man müsse heute «ohne Wenn und Aber» feststellen, dass die Forschungsmethode des renommierten Psychiaters spätestens ab Mitte der 1960er-Jahre nicht mehr den wissenschaftlichen Standards genügte, die sich anderenorts durchzusetzen begannen, sagte Jakob Stark. «Trotzdem liess man ihn – von Seiten der kantonalen Aufsichtsbehörden ebenso wie von Seiten der pharmazeutischen Industrie – gewähren und griff auch bei den Finanzflüssen nicht korrigierend ein», so Stark weiter. «Der Regierungsrat entschuldigt sich heute bei allen Betroffenen von Medikamententests in der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen zwischen 1940 und 1980.»

Das «thurgauische Zeichen der Erinnerung», das der Kanton – gestützt auf das Bundesgesetz über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981 – errichten wird, sei ausdrücklich auch den Betroffenen von Medikamenten-Tests gewidmet.

Der Regierungsrat veranstaltet hierfür einen Wettbewerb unter Künstlerinnen und Künstlern. Ziel ist es, das ausgewählte Kunstwerk auf dem ehemaligen Spitalfriedhof von Münsterlingen in spätestens eineinhalb Jahren zu errichten. Auch soll der Friedhof partiell restauriert und unter Schutz gestellt werden. (sir)
(https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/36-todesfaelle-nach-medikamentenversuchen/story/24699407)


+++KOMMISSAR FREPO
bernerzeitung.ch 23.09.2019

Sans-Papiers in Bern: Bande täuscht Härtefälle vor

Die Fremdenpolizei der Stadt Bern hat ein Netzwerk aufgedeckt. Dieses zeigt Einwanderungswilligen, wie sie die Behörden täuschen können.

Rahel Guggisberg

Sie sind da, obwohl sie es nicht sein dürften: die Sans-Papiers. Jene Menschen, die ohne Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz leben. Sie dürfen nicht auffallen. Denn wenn die Polizei ihren Ausweis verlangt und merkt, dass sie illegal in der Schweiz sind, droht ihnen die Ausschaffung. Illegale haben aber noch eine letzte Möglichkeit: Sie können ein Gesuch stellen und erhalten bei Erfolg als Härtefälle eine Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz.

Voraussetzung dafür ist, dass die Betroffenen verschiedene Bedingungen erfüllen. Familien müssen mindestens fünf Jahre in der Schweiz gelebt haben, Einzelpersonen mindestens zehn Jahre. Sie stehen finanziell auf eigenen Beinen, haben eine Wohnung, sind gesellschaftlich integriert und reden eine Landessprache.

Doch der Weg, um zu einer Aufenthaltsgenehmigung zu kommen, wird auch ausgenutzt: Alexander Ott, Polizeiinspektor und Chef der Fremdenpolizei der Stadt Bern, hat mit seinem Team aufgedeckt, dass Einwanderungswillige aus Drittstaaten in die Schweiz kommen und hier ein Härtefallgesuch stellen. Dies jedoch, ohne dass sie die Voraussetzungen dafür erfüllen. Dabei werden sie von in der Schweiz aufenthaltsberechtigten Landsleuten beraten. Ihnen wird gesagt, welche Geschichte sie den Behörden erzählen sollen, damit sie die Bedingungen der Gesuche erfüllen. Sie benötigen Arbeitsverträge und Mietverträge. Auch diese fälscht die Bande.

Mazedonier blieb hängen

Die Polizei stösst durch Zufall auf die Bande: Bei einer Kontrolle auf einer Baustelle überprüft sie vor ein paar Tagen einen 40-jährigen Mazedonier. Sie stellt fest, dass er sich rechtswidrig in der Schweiz befindet. Er gibt an, er habe sich bei der Sans-Papiers-Beratungsstelle in Bern gemeldet, damit diese ihn dabei unterstütze, eine Aufenthaltsbewilligung zu erhalten. Später zeigt sich: Der Mazedonier wohnt in der Stadt Bern bei einem befreundeten Landsmann, der eine Aufenthaltsbewilligung hat. Bei einer Kontrolle in dieser Dreizimmerwohnung wird klar, dass hier zahlreiche Personen leben. Die Fremdenpolizei stellt mehrere Reisepässe von Staatsangehörigen aus Mazedonien sicher.

«Wir vermuten, dass die Wohnung als Safe House für Personen genutzt wird, die sich illegal in der Schweiz aufhalten. Die Bewohner werden hier gleichzeitig beraten, wie sie ein Härtefallgesuch bei der Beratungsstelle für Sans-Papiers in Bern einreichen können», sagt Ott. Abklärungen durch die Fremdenpolizei der Stadt Bern haben ergeben, dass sich der Mazedonier nur sporadisch in der Schweiz aufhielt. Er besitzt mit seiner Familie in Mazedonien ein Haus. Er sei nur mit dem Ziel in die Schweiz gekommen, hier zu arbeiten und um Geld für den Umbau seines Hauses zu verdienen. Dazu brauchte er eine Aufenthaltsbewilligung.

Seinen Lebensmittelpunkt hat er in Mazedonien; und er beabsichtigt nicht, in der Schweiz zu bleiben. Die Beratungsstelle Sans-Papiers habe ihm ein Kollege empfohlen. Alexandra Büchler, Co-Präsidentin der Berner Beratungsstelle für Sans-Papiers, sagt: «Für uns ist es eine grosse Enttäuschung, zu erfahren, dass es offenbar Personen gibt, die zu uns in die Beratung gekommen sind und uns einen falschen Sachverhalt erzählt haben. Die Beratungsstelle prüfe die Härtefallgesuche stets sorgfältig.» Ein solches Gesuch zu verfassen, brauche viel Zeit und etliche Gespräche mit der betroffenen Person, sagt sie.

Mindestens sieben Fälle

Die durch die Fremdenpolizei aufgedeckten Fälle ähneln sich. Die Abklärungen ergeben, dass mehrere Personen in verschiedenen Fällen an denselben Adressen in der Schweiz wohnten sowie dieselben Arbeitgeber angaben. Es steckt also ein System dahinter, um an Aufenthaltsbewilligungen zu kommen. Bei den Arbeitgebern handelt es sich meistens um Landsleute, die Sozialabgaben und Steuern nicht bezahlen.

«Wir haben bis jetzt in sieben weiteren Fällen festgestellt, dass die Behörden getäuscht wurden und Härtefall­gesuche eingereicht wurden, obwohl sie auf Lügengeschichten basierten», sagt Ott. Es handle sich dabei um Staatsangehörige aus Mazedonien, Albanien und Kosovo. Vier dieser Personen wurden bereits in ihre Heimatländer zurückgeführt. Bei den anderen laufen noch Abklärungen.

Das System dahinter

Das Vorgehen lässt sich wie folgt rekonstruieren: Die ausländischen Personen weisen sich jeweils mit einem neuen Reisepass aus. Dadurch vertuschen sie bisherige Ein- und Ausreisen anhand der Einreisestempel in den alten Reisedokumenten. Sie legen Arbeitsbestätigungen und weitere Unterlagen vor, welche einen langjährigen, stetigen und gefestigten Aufenthalt in der Schweiz belegen. «Es handelt sich um Gefälligkeitsbestätigungen und um professionell ausgestellte Arbeitsbestätigungen von Arbeitgebern und Firmen, die eigens zu diesem Zweck gegründet wurden und danach wieder in Konkurs gingen», sagt Polizeiinspektor Alexander Ott.

Nach einer gewissen Zeit melden sich die Personen bei den zuständigen Beratungsstellen und täuschen vor, dass sie seit Jahren nicht mehr in ihrem Heimatland verwurzelt seien und sie keine Verbindungen mehr hätten. Sie suggerieren, sie seien sehr gut in der Schweiz integriert und eine Rückkehr ins Heimatland sei aussichtslos. «In den aufgedeckten Fällen pflegen alle soziale Bindungen zu ihren Familien in der Heimat, und sie sind Eigentümer von Liegenschaften», so Ott. Das professionelle Vorgehen und die vorliegenden Arbeitsverträge deuten darauf hin, dass diese Vorgehensweise und die Aktivitäten nicht allein auf den Raum Bern beschränkt sind.



Sans-Papiers: Linke pochen auf Revision des Ausländer- und Integrationsgesetzes

Zwischen 50’000 und 100’000 Ausländer und Ausländerinnen leben ohne gültige Aufenthaltspapiere in der Schweiz. Das sind 0,6 bis 1,2 Prozent der Bevölkerung. Die einen sind Personen, die nie eine ausländerrechtliche Bewilligung für den Aufenthalt in der Schweiz hatten, die anderen solche, deren Aufenthaltsbewilligung auslief, die dritten solche, deren Asylgesuch abgelehnt wurde. Der Einfachheit halber nennt man alle Sans-Papiers. In der öffentlichen Diskussion wird das Thema sehr kontrovers und pauschal behandelt. «Die Sans-Papiers werden von der einen Seite in unzulässiger Weise kriminalisiert und stigmatisiert. Auf der anderen Seite wird versucht, sie generell in eine Opferrolle zu drängen», erklärt Alexander Ott.  Die Anzahl der sogenannten Sans-Papiers steigt laut Alexander Ott. «Das spüren wir bei der täglichen Arbeit. Das Thema rückt vermehrt in den Fokus: Bei Kontrollen zur Bekämpfung der Schattenwirtschaft treffen wir vermehrt Sans-Papiers an.» Gleichzeitig fordern Beratungsstellen eine Änderung des geltenden Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG), wonach Personen, welche Sans-Papiers beherbergen vom Gesetz her nicht mehr bestraft werden. Die Nationalrätin Lisa Mazzone (Grüne GE) verlangt, das AIG entsprechend anzupassen. Es gibt tatsächlich Personen, welche sich seit Jahrzehnten in der Schweiz aufhalten und von Arbeitgebern schamlos ausgenutzt werden. Bei diesen Personen kommen nach wie vor die ausländerrechtlichen Härtefallkriterien zur Anwendung. (rag)
(https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/der-trick-mit-den-haertefallgesuchen-auslaenderpolitik-die-fremdenpolizei-der-stadt-bern-hat-ein-netzwerk-aufgedeckt-dieses-zeigt-einwanderungswilligen-wie-sie-die-behoerden-taeuschen-koennen/story/23653065)



derbund.ch 23.09.2019

Mit illegalen Tricks zum legalen Aufenthalt

Die Fremdenpolizei der Stadt Bern hat ein Netzwerk aufgedeckt, das für Sans-Papiers Dokumente fälschte. Es könnten noch weitere Städte betroffen sein.

Simon Gsteiger

Gefälschte Miet- und Arbeitsverträge, erfundene Lebensgeschichten, fragwürdige Ratschläge: Ein Netzwerk bestehend aus mehreren Personen hat Sans-Papiers in der Stadt Bern dabei geholfen, die Migrationsdienste zu täuschen, um einen legalen Aufenthaltsstatus zu erwirken. Nun hat die Fremdenpolizei der Stadt Bern die Machenschaften einer Bande aufgedeckt.

Bislang hat sie in sieben Fällen festgestellt, dass Behörden gezielt mit Lügen und gefälschten Papieren getäuscht wurden. Vier Personen wurden bereits in ihre Heimatländer zurückgeführt. Bei den anderen laufen die Abklärungen noch. Die Fremdenpolizei bestätigt einen entsprechenden Beitrag der «Berner Zeitung» von gestern.

Durch Zufall aufgeflogen

Sans-Papiers ist ein Sammelbegriff für Ausländerinnen und Ausländer, die sich ohne gültige Aufenthaltspapiere und mithin illegal in der Schweiz befinden. In der Schweiz leben schätzungsweise 50’000 bis 100’000 Sans-Papiers. Wie viele es in der Stadt Bern sind, ist nicht bekannt.

Sie können ein Härtefallgesuch stellen und so versuchen, ihren Aufenthaltsstatus zu legalisieren. Die Bewilligung ist an verschiedene Voraussetzungen geknüpft. So müssen die Gesuchsteller etwa nachweisen, finanziell auf eigenen Beinen zustehen, eine Wohnung zu haben, eine Landessprache zu beherrschen und gesellschaftlich integriert zu sein.

Der als Notlösung gedachte Weg über das Härtefallgesuch hat das Netzwerk ausgenutzt. Aufgeflogen sind die Machenschaften durch Zufall: Als die Fremdenpolizei einen Mazedonier bei einer Kontrolle auf einer Baustelle befragte, verstrickte sich dieser in Widersprüche.

Die Fremdenpolizei stellte nach näheren Abklärungen fest, dass mehrere Personen in verschiedenen Fällen an denselben Adressen in der Schweiz wohnten und dieselben Arbeitgeber angaben. In diesen sogenannten Safe Houses wurden die Personen durch ein Netzwerk beraten und auf die Sitzungen bei der Beratungsstelle für Sans-Papiers und das Einreichen der Gesuche vorbereitet.

Arbeitgeber existiert nicht

Bei näherem Hinschauen hat sich nun gezeigt: Die Personen halten sich nur sporadisch in der Schweiz auf. Obwohl sie suggerieren, in ihren Herkunftsländern nicht mehr verwurzelt zu sein, pflegen sie soziale Bindungen zu den Familien in der Heimat und sind dort Eigentümer von Liegenschaften. Die Firmen, bei denen sie angeblich arbeiten, gibt es nicht mehr oder hat es gar nie gegeben.

Die ausländischen Personen wiesen sich jeweils mit einem neuen Reisepass aus. Dadurch waren frühere Einreisestempel nicht mehr sichtbar.

«Grosse Enttäuschung»

Alexander Ott, Leiter der Fremdenpolizei der Stadt Bern, sagt, das Vorgehen habe System. Es handle sich bei der Bande um mehrere untereinander vernetzte Personen. Die genaue Zahl werde ermittelt. «Wir prüfen nun weitere Fälle. Es sind umfangreiche Abklärungen, und wir wissen nicht, ob auch noch andere Kantone oder Städte betroffen sind», sagt er dem «Bund».

Die Berner Beratungsstelle für Sans-Papiers wurde von der Fremdenpolizei in Kenntnis gesetzt. Der Vorfall sei eine «grosse Enttäuschung», sagt Co-Präsidentin Alexandra Büchler. «Es gab offenbar Personen, die uns einen falschen Sachverhalt erzählt haben.» An den Sitzungen der Beratungsstelle wird etwa abgeklärt, ob die Voraussetzungen für einen Härtefall gegeben sind. Hat man zu wenig genau hingeschaut?

«Wir prüfen jeden Fall sorgfältig und erledigen unsere Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen», sagt Büchler. «Dies braucht viel Zeit und etliche Gespräche mit der betroffenen Person. Falls Ungereimtheiten bestehen, haken wir nach.» Die Richtigkeit der Beweismittel lasse sich jedoch nicht überprüfen, das sei die Arbeit der Polizei. Die Aufgabe der Beratungsstelle sei es, den Personen kompetente Beratung anzubieten.
(https://www.derbund.ch/bern/stadt/sans-papiers/story/10733816)


Fremdenpolizei in Bern deckt Netzwerk auf: So tricksten Mazedonier, Albaner und Kosovaren mit der Härtefall-Klausel
Die Fremdenpolizei der Stadt Bern hat ein Netzwerk aufgedeckt, dass Sans-Papiers hilft, die Schweizer Behörden auszutricksen.
https://www.blick.ch/news/schweiz/bern/fremdenpolizei-in-bern-deckt-netzwerk-auf-so-tricksten-mazedonier-albaner-und-kosovaren-mit-der-haertefall-klausel-id15529978.html


+++ERDOGANISTAN
tagesanzeiger.ch 23.09.2019

Die falschen Terroristen schlagen zurück

Ein Ehepaar aus der Waadt denunzierte seine türkischstämmigen Nachbarn als Terrorhelfer. Die Anschuldigungen haben schwere Folgen.

Dominique Botti, Thomas Knellwolf

Ihnen wird die Unterstützung von Terroristen vorgeworfen. Seit Recep Tayyip Erdogan Mitte Juli 2016 einem blutigen Putsch entkam, lässt der türkische Präsident Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen verfolgen. Dies geschieht nicht nur in der Türkei, sondern weltweit – auch in der Schweiz.

Wie sehr das Ganze zu einer Hatz auf Unbeteiligte und Unschuldige verkommen kann, zeigt nun in aller Deutlichkeit der Umgang der Türkei mit einer Gruppe von Türken und türkischstämmigen Schweizern, die alle seit Jahren am Genfersee leben. Diese Gruppe traf sich in einer Moschee im Lausanner Vorort Ecublens und auch in privatem Rahmen.

Nicht mehr zum Westschweizer Freundes- und Bekanntenkreis gehört heute ein Ehepaar aus der Waadt. Denn es hat den Rest der Gruppe in der Türkei denunziert – mit vielen offensichtlich falschen Anschuldigungen. Doch diese hatten weitreichende Folgen.

Ein spezieller Ferienabend

Im Sommer 2017 war das Paar nach Izmir gereist. In der Grossstadt an der Ägäis suchte es am 4. Juli gegen 18 Uhr das lokale Anti-Terror-Büro auf, wie türkische Polizeidokumente zeigen. Dort kamen der Mann und die Frau einer Denunzierungsaufforderung Erdogans nach. Diese hatte kurz nach dem gescheiterten Staatsstreich auch der damals höchste türkische Vertreter in der Schweiz wiederholt.

In Izmir bezichtigte das Ehepaar nacheinander seine Nachbarn und Bekannten aus der Schweiz der Zugehörigkeit zu Fetö, der angeblichen «Fethullahistischen Terrororganisation». Dem Beamten, der sie befragte, verrieten die beiden Denunzianten Namen, Adressen und angebliche Aktivitäten der vermeintlichen Terrorunterstützer. «Meine Klienten haben ihnen vertraut», sagt der Genfer Anwalt Duy-Lam Nguyen, der sich für 16 in der Türkei Denunzierte einsetzt. Die Hälfte davon sind Frauen und Kinder. «Sie hätten sich das nie vorstellen können.»

Geschah der Verrat aus freien Stücken? Gab es Druck? Das bleibt unklar. Der Mann, der seine Bekannten denunzierte, brach das Telefongespräch ab, als er von dieser Zeitung mit den Vorwürfen konfrontiert wurde.

Sofort laufen Ermittlungen

«Diese Vorwürfe sind völlig unbegründet», sagt der Geschädigtenvertreter Nguyen. Viele seiner Klienten haben den Grossteil ihres Lebens in der Schweiz verbracht und sind bestens integriert. Nur Einzelne von ihnen, so sagt Anwalt Nguyen, teilten Werte des islamischen Predigers Gülen, aber dies sei eine religiöse und philosophische Sache: «Sie sind sicher nicht Teil einer organisierten Gruppe terroristischer Regimegegner.»

Vorwürfe zu Fetö, selbst wenn sie nicht erhärtet sind oder so unplausibel wie im Westschweizer Fall, haben in der Türkei oft gravierende Folgen. Seit dem gescheiterten Staatsstreich sind in der Türkei über 50’000 Menschen verhaftet worden, viele willkürlich. 100’000 Beamte wurden entlassen.

Im Fall der Gruppe aus der Romandie wurde unmittelbar nach der Denunziation eine Anti-Terror-Untersuchung eingeleitet. Bankkonten der Betroffenen in der Türkei wurden auf verdächtige Zahlungen überprüft. Die Staatsanwaltschaft Izmir befragte Angehörige in der Türkei zu ihren Verwandten aus der Schweiz. Ein Betroffener, der in die Türkei gereist war, durfte das Land vier Monate lang nicht verlassen. Mittlerweile ist er wieder in der Schweiz.

Kinder erhalten keine Pässe

Der türkische Staatsbürger Orhan (Name geändert) lebt seit elf Jahren in der Westschweiz und arbeitet als Ingenieur bei einem multinationalen Unternehmen. In seinem Einfamilienhaus erzählt er, wie er und seine Angehörigen zwei Jahre nach dem Putsch und ein Jahr nach seiner Denunzierung plötzlich Probleme mit dem türkischen Staat bekamen: «Wir wollten im Konsulat in Genf die abgelaufenen Pässe unserer Kinder erneuern. Doch dies wurde uns verweigert, ohne Angabe von Gründen.» Auch ein zweiter Anlauf sei gescheitert.

Wegen der Probleme auf dem Konsulat schaltete Orhan einen Anwalt in der Türkei ein, der durch Zufall an Akten der Terrorermittlung der Staatsanwaltschaft Izmir gegen die Westschweizer Gruppe herangekommen sei. Die Justizunterlagen zeigen auch: Gegen Orhan und andere Denunzierte aus dem Kanton Waadt sind Haftbefehle ausgestellt worden.

Das hatte Folgen für die Betroffenen. Gleich zwei Personen konnten wegen des Risikos, im Gefängnis zu landen, jüngst nicht in die Türkei reisen, als ihre Väter dort starben. Orhans Kinder, die in der Westschweiz die Schule besuchen, haben bis heute keine gültigen Pässe.

Die Eltern haben versucht, beim Staatssekretariat für Migration in Bern einen internationalen Pass zu bekommen, bislang erfolglos. «Wir müssten dafür eine offizielle Abweisung der Türkei vorlegen, aber diese bekommen wir nicht», sagt Orhan. Alles sei mündlich gelaufen. Belege für Passverweigerungen bekomme man im türkischen Konsulat in Genf nicht.

Bundesanwalt eingeschaltet

Das Staatssekretariat für Migration will sich nicht zum Fall äussern. Die türkische Botschaft hat auf Anfragen dieser Zeitung nicht reagiert.

Die Betroffenen fühlen sich ohnmächtig. Sich in der Türkei zu wehren, erscheint ihnen aussichtslos. Die Männer und Frauen werden deshalb in der Schweiz gegen ihre Denunzianten aktiv. Am Donnerstag haben sie eine Strafanzeige an die Bundesanwaltschaft in Bern abgeschickt. Dem Paar, das sie brandmarkte, droht nun ein Strafverfahren wegen politischen Nachrichtendienstes und Ehrverletzungsdelikten.



Der lange Arm Erdogans

Seit dem fehlgeschlagenen Putsch gegen Recep Tayyip Erdogan versucht die Türkei auch in der Schweiz gegen Anhänger der islamischen Gülen-Bewegung vorzugehen. Dabei nimmt die Regierung wenig Rücksicht auf diplomatische und rechtsstaatliche Grenzen. Ende 2018 prahlte der türkische Vize-Aussenminister Yavuz Selim Kiran in Lausanne vor Landsleuten mit der Verschleppung von rund 100 angeblichen Staatsfeinden und Oppositionellen aus dem Ausland. Er forderte von den Anwesenden «Unterstützung mit Kraft».

In der Schweiz hatten Agenten des Geheimdiensts MIT zwei Jahre zuvor die Entführung eines türkisch-schweizerischen Doppelbürgers im Kanton Zürich vorangetrieben. Sie wollten den Geschäftsmann mit K.-o.-Tropfen betäuben und verschleppen. Die erste bekannte staatliche Entführung in der Schweiz seit der Nazi-Zeit scheiterte, als die schweizerischen Sicherheitsbehörden Wind davon bekamen. (tok)
(https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/die-falschen-terroristen-schlagen-zurueck/story/11265267)


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