antira-Wochenschau: Zwei Gerichtsurteile über Faschisten, ein Kredit für drei Asylcamps, Ausschaffungen nach Iran und Georgien

Was ist neu? 

Seenotrettung und die Festung Europa
Während diese Woche weitere Meldungen von Rettungsaktionen auf dem Mittelmeer gemeldet wurden, werden sich am 23. September auf Malta Vertreter*innen der «Festung Europa» treffen, um über eine vorläufige «Quotenregelung für Bootsmigranten» zu entscheiden. Die italienische Küstenwache hat fast 100 Menschen von einem Boot in der Nähe von Lybien aufgenommen. Zuvor hat das WatchTheMed Alarmphone die maltesische und italienische Behörde stundenlang auf das zu sinken drohende Schiff aufmerksam gemacht. In der selben Nacht hat die maltesische Küstenwache 45 Personen von einem Boot aufgenommen. Ausserdem ist vor der tunesischen Küste ein Boot gesunken, wovon 9 Personen gerettet werden konnten. Das Alarm Phone schreibt, dass 14 Personen weiterhin vermisst werden. Das zivile Seenotrettungsschiff «Ocean Viking» hat weitere 73 Personen gerettet, wobei sie diese Woche in zwei früheren Aktionen bereits 48 und 61 Personen aufgenommen haben. Am Mittwochmorgen hat zudem ein Boot mit über 100 Personen die Küste von Lampedusa erreicht.  Ist eine positive Wende in Aussicht?Die evangelische Kirche in Deutschland lässt verlauten, dass sie ein Seenotrettungsschiff kaufen will. Darauf hin wurde beispielsweise aus der CDU und natürlich der AFD lauthalts Kritik geäussert. Der deutsche Innenminister Seehofer liess verlauten, dass Deutschland zukünftig ein Viertel der in Italien ankommenden via Mittelmeer gflüchteten Menschen aufnehmen will. Darauf kam scharfe Kritik aus verschiedensten politisch gefärbten Ecken. Auch Frankreich würde ein Viertel aufnehmen, weitere Personen würden auf andere EU Staaten verteilt, sodass Italien nur noch 10% aufnehmen müsste. Ausserdem werden sich am 23.September auf Malta Regierungsvertreter*innen aus Deutschland, Frankreich, Italien und EU-Rats-Vorsitzende aus Finnland sowie der EU-Kommission treffen, um eine vorläufige «Quotenregelung für Bootsmigranten» zu finden. Im Oktober soll der Vorschlag den Staats- und Regierungschefs vorgelegt werden. Italien und Malta hatten jüngst immer wieder Schiffen mit Migrant*innen an Bord die Einfahrt in ihre Häfen untersagt. 

Festung Europa baut seine Mauern weiter
Angesichts dieser Meldungen könnte mensch denken, eine positive Wende in der öffentlichen Wahrnehmung zur unhaltbaren Situation auf dem Mittelmeer und der zivilen Seenotrettung sei in Aussicht. Im Hintergrund der öffentlichen «Scheinheiligkeit» baut die Festung Europa aber fleissig weiter an ihren Mauern: Deutschland, Frankreich und weitere EU-Länder wollen die «Einmarschkompetenz» der Frontex weiter ausbauen. Konkret heisst das, dass bewaffnete Frontex-Truppen nun ohne Bewilligung der nicht-EU-Länder handeln könnten. Im April hat sich die EU-Kommission darauf geinigt, 10.000 neue Beamte einzustellen, jedoch erst 2027. So weit so gut – mit dieser anscheinend proaktiven Migrationspolitik ist in keiner Weise die Situation auf dem Mittelmeer gelöst. Solange zivile Seenotrettung kriminalisiert wird, italienische und maltesische Regierungen zivilen Schiffen die Einfahrt verweigern oder Emanuel Macron «Migranten» als jene Personen, die Überfälle, Raube und andere Delikte begehen bezeichnet, kann die Pseudosolidarität von EU-Staaten ihre rassistische Grundhaltung kaum verheimlichen.


Der Antisemit Alain Soral zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt
Der antisemitische französisch-schweizerische Essayist wurde wegen eines antisemitischen Videoclips zu 24 Monaten Gefängnis und sechs Monaten auf Bewährung verurteilt. Im Rapclip wurden Schilder mit dem Namen Rothschild und Fotos von Bernard-Henri Lévy, Jacques Attali und Patrick Drahi ins Feuer geworfen. Der Rapper forderte, Rothschild, Attali und BHL „zu verbrennen“ und nannte sie „Parasiten“. Im Januar verurteilte ein Gericht Soral bereits zu einem Jahr Haft, weil er zum Genozid an Jüd*innen aufgerufen hatte. 
https://blogs.mediapart.fr/albert-herszkowicz/blog/190919/alain-soral-nouveau-condamne-mais-toujours-en-liberte-scandaleuse-impunite

Das SEM lässt die Kantone in den Iran und nach Georgien ausschaffen
Lange Zeit wurden in den Iran keine Ausschaffungen durchgeführt. Zu gefährlich. Auch der aktuelle Bericht von Human Rights Watch über die Situation im Iran berichtet von Folter, willkürlichen Verhaftungen und Mord. Und die Schweizerische Flüchtlingshilfe erklärt, dass die Menschenrechtslage im Iran sich in gewissen Bereichen gar verschlechtert habe. Aber das SEM kümmert das nicht. Seit Anfang Jahr wurden bereits zwei Personen in den Iran zwangsausgeschafft. Die iranische Community ist alarmiert und hat Angst. Seit Jahresbeginn tauchten 28 Personen unter. Auch nach Georgien soll verstärkt abgeschoben werden. Im August 2019 setzte der Bundesrat das Land auf die Liste der sicheren Herkunftsstaaten. Diese Woche unterschrieb SEM-Chef Mario Gattiker eine Ausschaffungserklärung mit den georgischen Behörden. Seit Jahresbeginn schoben die Kantone 69 Personen ab. Aus Angst vor der Abschiebung tauchten 132 Personen unter. 
https://www.woz.ch/1937/asylpraxis/ausschaffung-ins-mullah-regime
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-76432.html

94.4 Millionen für den Bau von drei neuen Bundesasylcamps
Der Nationalrat hat diese Woche einen Kredit für Bundesasylzentren gutgeheissen. Altstätten SG erhält 43 Millionen Franken, Le Grand-Saconnex bei Genf 27,3 Millionen Franken und für das umstrittene Camp in Schwyz gibt es 24,1 Millionen Franken. Die SVP, die diese isolierenden Orte stets gefordert hatte, wehrte sich erfolglos gegen die Kredite. Die anderen bürgerlichen Kräfte im Parlament inklusive SP und Grüne haben für den Kredit gestimmt. Sie wollen diese Camps offenbar. Das bestätigt auch Mattea Meyer von der SP: „Die SP hat sich immer und wird sich auch immer für den Bau der nötigen Bundesasylzentren aussprechen“. Ein solches Bundesasylcamp hat diese Woche in Flumenthal – isoliert zwischen Autobahn und einem Gefängnis – den Betrieb aufgenommen. Bis zu 250 Geflüchtete können im Camp isoliert werden, um auf ihre Ausschaffung zu warten (antira.org hat hier <https://antira.org/2018/12/07/isolation-zwang-und-entrechtung-neue-sommaruga-verordnung-zu-bundesasyllager/> festgehalten, was für Bedingungen in den Camps herrschen). 
https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2019/20190917113244988194158159041_bsd070.aspx
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/nationalrat-bewilligt-baukredit-fuer-bundesasylzentrum-altstaetten-ld.1152579
https://www.srf.ch/news/regional/aargau-solothurn/unterkunft-in-flumenthal-so-bund-eroeffnet-neues-asylzentrum

Was ist aufgefallen?

Freispruch für faschistischen Leutnant der schweizer Armee
Ein Offizier fiel im Balkaneinsatz mit nationalsozialistischen Gesten auf. Uniformiert streckte er in einer Bar den Arm zum Hitlergruss, schrie «Heil Hitler!» und «Sieg Heil!». Die Person war bereits zuvor während der Ausbildung in Stans mit Hitlergrüssen aufgefallen. Im Juni musste er sich vor einem Militärgericht verantworten. Das Gericht verurteilte den Mann wegen Trunkenheit. Vom Vorwurf des „Verbreiten einer rassistischen Ideologie“ wurde er trotz Hitlergrüssen freigesprochen. Der Offizier habe «nicht wissentlich und willentlich» rechtsextremes Gedankengut verbreitet und dürfe seinen Rang behalten. Der Vorfall zeigt wie ernst es die Armee meint, wenn sie folgendes auf ihrer Website veröffentlicht: „Das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) nimmt die Problematik des Extremismus sehr ernst. In der Schweizer Armee gilt die Null-Toleranz-Strategie, das heisst: Im Kader der Armee wird keine extremistische Geisteshaltung geduldet“. 
https://www.blick.ch/news/ausland/sieg-heil-rufe-im-kosovo-einsatz-thurgauer-swisscoy-offizier-schockt-mit-hitlergruss-id15516568.html
https://www.vtg.admin.ch/de/mein-militaerdienst/allgemeines-zum-militaerdienst/extremismus.html

Was nun?

Boykottaufruf gegen Roviva Produkte
„Roviva kaufen heisst Nazis finanzieren“, so heisst es im Bokottaufruf, den wir auf Barrikade gefunden haben. DEr CEO und Alleininhaber Peter Rothder der traditionsreichen Matratzen-Fabrik ist seit Jahren in Neonaziszene unterwegs und gut vernetzt. Durch seine Position bei Roviva verfügt Roth über ein enormes Kapital, um rechtsextreme Strukturen zu unterstützen.
https://barrikade.info/article/2616

Wie antworten wir auf das antiziganistische Referendum im Kanton Bern?
Am 9. Februar 2020 bestimmen die Stimmberechtigten im Kanton Bern, ob in der Gemeinde Wileroltigen ein Transitplatz für Fahrende ohne schweizer Pass eingerichtet werden soll. Konkret abgestimmt wird über einen Kredit von 3,3 Millionen Franken. Diese Woche hat die bernische SVP entschlossen, das Referendum ihrer Jungpartei zu unterstützen. Es ist also mit einer antiziganistischen Kanmpagne zu rechnen, die einer klaren antirassistischen Reaktion bedarf. 
https://www.bernerzeitung.ch/region/kanton-bern/bernische-svp-sagt-nein-zum-transitplatz-in-wileroltigen/story/16796682
PS: Auf polyphon kann nachgehört werden, wie sich die Gemeinde inklusive deren Behörden gegen den Platz auflehnt. 
https://polyphon-rabe.ch/wp/antiziganismus-was-geht-ab-in-wileroltigen/
https://polyphon-rabe.ch/wp/kein-fuss-breit-dem-antiziganismus/

Antirasstistisch auf das geplante Theaterstück „Jeder rettet einen Afrikaner“ reagieren
Im Theater Klara in Basel soll das Stück „Benefiz – Jeder rettet einen Afrikaner“ von Ingrid Lausund aufgeführt werden. Auf Facebook ist eine Debatte entbrannt. Eventuell ein Thema um dich einzubringen?  
https://www.facebook.com/events/746216592496298/?active_tab=about
https://antira.org/2019/09/21/worte-antira-reaktionen-auf-das-geplante-theaterstueck-jeder-rettet-einen-afrikaner/

Was war gut?

Die Mensa der PHBern zieht Schokoküsse mit rassistischer Wirkung aus dem Sortiment
An der pädagogischen Hochschule Bern konnten angehende Lehrpersonen bis vor kurzem „M*****köpfe“ der Firma Richterich kaufen. Nachdem verschiedene Rückmeldungen auf die rasssitische Wirkung dieser Produkte eingegangen waren, entschied die Mensa den längst überfälligen Schritt zu wagen und hat das rassistische Produkt aus dem Sortiment gestrichen. Hier eine Briefvorlage, um andere Orte, die rassistische Schokoküsse verkaufen aufzufordern, dies nicht mehr zu tun. „Ich habe am XX Ihren Laden besucht und festgestellt, dass Sie Produkte der Firma Richterich namens „Mohrenköpfe“ anbieten. Diese Bezeichnung ist stossend, weil sie an rassistisch-koloniale Klischees appelliert. Bislang weigert sich die Firma, über eine korrekte Bezeichnung ihrer Produkte nachzudenken (bspw. „Schaumküsse“). Es würde mich freuen, wenn Sie diese Produkte aus dem Sortiment entfernen würde, so lange sie diese veraltete und verletzende Bezeichung tragen. Für Ihre freundliche Kenntnissnahme bedanke ich mich.“ Bitte meldet uns eure Nachahmungstaten. Es gibt noch zu viele Betriebe, die sich weigern, auf die Produkte der Firma Richterich zu verzichten.

Wo gabs Widerstand?
Demonstration gegen Äthiopienausschaffungen vor dem SEM
Rund 100 Geflüchtete aus Äthiopien und solidarische Personen aus der ganzen Schweiz haben heute Nachmittag vor dem Staatssekretariat für Migration (SEM) gegen die laufenden Zwangsausschaffungen nach Äthiopien demonstriert. Auf Schildern und Transparenten waren Aufschriften wie etwa „Äthiopien ist kein sicheres Land“, „Nothilfe ist psychische Folter“, “Bleiberecht jetzt“ oder „Ausschaffungen sind nie eine Lösung“ zu lesen. Eine Delegation traf sich mit Vertreter*innen des SEM und überreichte diesen eine Stellungnahme mit Forderungen. Das SEM soll (1) anerkennen, dass Äthiopien kein sicherer Staat ist; (2) Ausschaffungen nach Äthiopien stoppen; (3) Das SEM soll jegliche Zusammenarbeit mit dem NISS stoppen; Geflüchteten mit Lebensmittelpunkt in der Schweiz ein Bleiberecht und eine sichere Perspektive ermöglichen. Dieses Jahr hat die offizielle Schweiz bereits 2 Personen nach Äthiopien zwangsausgeschafft. Unter den rund 300 abgewiesenen Geflüchteten aus Äthiopien herrscht deshalb grosse Angst. Das ist eine Erklärung dafür, dass seit Jahresbeginn bereits 46 Personen untergetaucht sind. Auch die 26 sogenannt „freiwilligen“ Rückkehrer*innen haben sich vermutlich aus Angst zu dem Schritt entschieden. Mit den Ausschaffungen nimmt die offizielle Schweiz Leiden und eventuell sogar den Tod der Betroffenen in Kauf, denn Äthiopien ist kein sicherer Staat. Die Ethiopian Human Rights and Democracy Taskforce und das Migrant Solidarity Network, die zur Demonstration aufgerufen haben, sind der Ansicht, dass sich die Situation, die das Bundesverwaltungsgericht im Referenzurteil vom 6. Mai 2019 dazu bewogen hat, Zwangsausschaffungen zuzustimmen, verschlechtert hat.
https://migrant-solidarity-network.ch/2019/09/18/rund-100-gefluechtete-und-nichtgefluechtete-aktivistinnen-demonstrieren-gegen-ausschaffungen-nach-aethiopien/
http://www.bvger.ch/publiws/download?decisionId=af35ea0c-4371-4bb4-9e7a-fac82f9acf85

Was steht an?

Seebrücke Block an der Klimademo in Bern 
28.09.2019 – 13:30 | unter der Eisenbahnbrücke auf der Schützenmatte!
Zieht euch etwas oranges an oder nehmt Schwimmwesten mit und kommt in den Block der Seebrücke an der schweizweiten Klimademo in Bern.
https://barrikade.info/event/1095

Demo: Solidarität statt Rassismus
5. Oktober 2019 | 16 Uhr | Helvetiaplatz Zürich
Migrant*innen werden als Feindbilder aufgebaut und müssen als Sündenböcke für die herrschende Misere herhalten.Wehren wir uns gegen diese menschenverachrtende Politik. Gemeinsam auf die Strasse gegen Rassismus und reaktionäre Hetze!
https://www.facebook.com/events/2327959637457499/?notif_t=plan_user_invited&notif_id=1567078744206204

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

Blockade des „Marsch fürs Läbe“ in Zürich – 14.9.2019
Kurzer Videozusammenschnitt der Blockade des „Marsch fürs Läbe“ am 14. September 2019 am Escher-Wyss-Platz, in der Limmatstrasse und am Limmatplatzhttps://barrikade.info/article/2625https://www.youtube.com/watch?v=BIDB90yWPxM

Antira-Flyer an Schulen
Die neue Flyer-Aktion von GRA und SET erklärt mittels lebensnaher Beispiele, was Rassismus und Antisemitismus bedeuten und wie sie heute funktionieren. Damit zusammenhängende Phänomene wie «Othering» und «Hate Speech» und mögliche Reaktionsweisen darauf werden erläutert sowie Präventionsmassnahmen verständlich dargestellt. Die Flyer-Aktion richtet sich speziell an Lehrpersonen an Schweizer Schulen.
https://www.gra.ch/bildung/umgang-mit-rassismus-und-antisemitismus-an-schulen/