Medienspiegel 26. August 2019

+++BERN
derbund.ch 26.08.2019

Streit um Asylbewerber in der Lehre

Lehrlinge mit abgewiesenem Asylantrag müssen ihre Lehre abbrechen und gehen – dagegen kämpfen Grossräte an.

Christoph Aebischer

Im Grossen Rat läuft ein Machtkampf um Asylbewerber in Ausbildung. Im Juni zwang eine Mehrheit im Rat die Regierung, gegen deren Willen eine Härtefallregelung zu prüfen. Der Antrag von Grossrat Michael Köpfli (GLP) wurde dank vereinzelten bürgerlichen Stimmen von BDP, FDP und sogar SVP überwiesen. Jetzt wendet sich die grossrät­liche Sicherheitskommission knapp dagegen. Sie begründet dies im am Montag versandten Communiqué damit, dass abgewiesene Asylbewerber ihr Bleiberecht verwirkt hätten und ausreisen müssten. Solange sie noch hier seien, dürften sie zumindest nicht mehr arbeiten. Es sei nicht gerechtfertigt, Lehrlinge anders zu behandeln.

BDP-Grossrat Ulrich Stähli, der dem Antrag im Juni zugestimmt hatte, kann das nicht verstehen. Er findet es besser, wenn auch abgewiesene Personen in Ausbildung zumindest etwas zu tun hätten. Stossend ist für ihn auch, dass Lehrmeister unter dem Stichwort Integration in den Arbeitsmarkt dazu angehalten würden, auch Asylbewerber als Lehrlinge anzustellen. Gleichzeitig müssten sie jederzeit damit rechnen, dass diese die Ausbildung vorzeitig abbrechen müssten. Damit hintertreibe man die eigene Zielsetzung der verstärkten Integration in den Arbeitsmarkt. Stähli kommt zum Schluss: «Polizeidirektor Philippe Müller will einfach nicht.» Diese Haltung sei «unhaltbar» und «perfid». Müller wolle um keinen Preis von seiner «Abschreckungsstrategie» abrücken.

Köpfli hält an Antrag fest

Michael Köpfli sieht es ähnlich wie Stähli. Er hält jedenfalls am Antrag fest. Er macht klar, dass es in jedem Fall nur um wenige Einzelfälle gehe. Insbesondere solche, deren Verfahren schon Jahre andauerten, oder solche, die auch bei abschlägigem Bescheid nicht zurückgeschafft werden könnten. Davon betroffen seien beispielsweise Eritreer oder Tibeter. Stossend findet er insbesondere, dass die Polizeidirektion bis auf eine Aufschiebung der Ausweisung um maximal sechs Monate keinen Spielraum sehe. Ihm gehe es keineswegs darum, das Asylrecht auszuhöhlen.

Unterstützung erhält Köpfli nun indirekt vom Staatssekretariat für Migration (SEM). Dieses schreibt auf Anfrage, der Kanton könne in Ausnahmefällen eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen: «Die Bundesgesetze stellen ausreichend Rechtsgrundlage dar, um in Einzelfällen Asylsuchende, die sich in einer Lehre befinden, als Härtefall anzuerkennen.» Die entsprechende gesetzliche Grundlage sind das Asylgesetz (Artikel 14) und die Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (Artikel 30). Schwierig werde es dann, wenn keine ausreichenden Papiere vorhanden seien, schreibt das SEM weiter.

Die Sicherheitskommission räumt selber ein, dass es auf Bundesebene einen rechtlichen Spielraum gebe, darum brauche es keine separate Regelung im kantonalen Gesetz. Da ist Köpfli anderer Meinung: «Wenn wir darauf verzichten, wird Polizeidirektor Philippe Müller diese Regelung nie anwenden.»

Unterstützung bröckelt

Für Kommissionspräsident Werner Moser (SVP) sollte sich der Zwist sowieso bald erübrigen. Denn das verschärfte Asylgesetz, dessen Umsetzung auf Kantonsstufe nun ansteht, sehe kürzere Verfahren vor. Er geht davon aus, dass deshalb kaum mehr solche Fälle entstehen sollten.

Die Unterstützung über das links-grüne Lager hinaus für eine explizite Festschreibung einer Härtefallregelung im kantonalen Gesetz bröckelt bereits: Grossrat Adrian Haas (FDP), der im Juni noch für den Prüfungsantrag stimmte, wird bei der zweiten Lesung nun der Kommission folgen, wie er auf Nachfrage mitteilt. Stähli von der BDP ist dennoch zuversichtlich, dass der Grosse Rat voraussichtlich in der Session im November Müller (FDP) die Stirn bietet. Er werde sich persönlich dafür einsetzen. Es könne nicht angehen, dass Lehrmeister und Asylbewerber für «verschlampte Verfahren» zahlen müssten.

Zur Frage, um wie viele Personen es in diesem Streit geht, schreibt die Polizeidirektion: «um sehr wenige». Zudem habe der Kanton rechtlich keinen Handlungsspielraum. Man könne höchstens beim SEM den Antrag auf eine Härtefallbewilligung stellen – der gleichen Behörde, die auch das Asylgesuch prüfe. Dies tue man dort, wo es Aussicht auf Erfolg gebe. Die Polizeidirektion schreibt weiter: Eine kantonale Regelung wäre je nach Ausgestaltung entweder bundesrechtswidrig oder symbolisch. «In jedem Fall würde sie falsche Erwartungen wecken.»

Neue Aufgabe für «Prêles»?

Das ehemalige Jugendheim Prêles im Berner Jura ist wieder als Standort für eine Justizvollzugsanstalt im Gespräch. Die Sicherheitskommission des Grossen Rats möchte, dass die Polizeidirektion diesen Standort «als Option» prüft. Dies anlässlich der Beratung des Masterplans zur Umsetzung der kantonalen Justizvollzugsstrategie.

Dieser Masterplan sieht Neuerungen im Justizvollzug vor. Herzstück in der ersten Phase ist ein Neubau mit rund 250 Haftplätzen irgendwo im Seeland oder im Berner Jura.

Aus dem früheren Jugendheim sollte nach der Schliessung Ende 2016 zuerst ein Ausschaffungs­gefängnis und eine Asyl-Kollektivunterkunft werden. Diese Pläne zerschlugen sich. Danach sollte es zum Rückkehrzentrum für abgewiesene Asylsuchende werden. Im März untersagte der Grosse Rat dem Kanton nach Protesten aus Asylkreisen und der betroffenen Region diese Nutzung.
(https://www.derbund.ch/bern/streit-um-asylbewerber-in-der-lehre/story/26888859)

Masterplan zur Umsetzung der Justizvollzugsstrategie: Arbeiten sollen rasch angegangen werden
Die Sicherheitskommission (SiK) empfiehlt dem Grossen Rat einstimmig, in der Herbstsession den Masterplan zur Umsetzung der Justizvollzugsstrategie anzunehmen. Dies mit elf ergänzenden Planungserklärungen. Weiter hat sich die SiK mit dem Einführungsgesetz zum Ausländer- und Integrationsgesetz sowie zum Asylgesetz (EG AIG und AsylG) beschäftigt, über das der Grosse Rat im November in zweiter Lesung beraten wird. Die SiK rät dem Grossen Rat, dem Gesetz wie in erster Lesung beschlossen zuzustimmen. Die Mehrheit ist gegen eine Härtefallregelung.
https://www.be.ch/portal/de/index/mediencenter/medienmitteilungen.meldungNeu.mm.html/portal/de/meldungen/mm/2019/08/20190823_1755_arbeiten_sollen_raschangegangenwerden

+++BASEL
Medizinische Versorgung für Asylsuchende: Keine Hilfe für Familie Tahmazov
Seit März ist in der Schweiz das neue Asylverfahren in Kraft. Ein Fall aus Basel zeigt, wie das Staatssekretariat für Migration die elementarsten Bedürfnisse von Asylsuchenden ignoriert – und dabei gegen Bundesrecht verstösst.
https://www.woz.ch/1934/medizinische-versorgung-fuer-asylsuchende/keine-hilfe-fuer-familie-tahmazov

+++GENF
Une vie digne pour les MNA
Compte rendu de la manifestation de ce vendredi 23. Nous étions 450 dans les rues de Genève à manifester pour exiger non pas la Lune mais une vie digne pour les mineur.e.s non accompagné.e.s censé.e.s être protégé.e.s par le Canton de Genève.
https://renverse.co/Une-vie-digne-pour-les-MNA-2172

+++SCHWEIZ
Rückübernahme abgewiesener Asylbewerber: «Problemländern» droht neu eine Visastrafe
Die Schweiz und die EU gehen gegen Länder vor, die bei der Rückübernahme ihrer Bürger nicht kooperieren.
https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/rueckuebernahme-abgewiesener-asylbewerber-problemlaendern-droht-neu-eine-visastrafe-135462370

Studentin kämpft für Menschenrechte | Flüchtlinge aus Eritrea | Klub Konstruktiv | SRF DOK
Veronica Almedom aus Genf setzt sich für die Rechte der Flüchtlinge aus Eritrea in der Schweiz ein. Ein schwieriger Job, denn die Schweiz hat ihre Eritrea-Politik verschärft.
https://youtu.be/7wkexXh_4TA

+++DÄNEMARK
Dänemark: Unsicherer Hafen für Migranten
Die Sozialdemokraten haben Dänemark zurückerobert, doch der Diskurs der Partei ist seit den Parlamentswahlen im Juni noch weiter nach rechts gerückt. Ein beliebtes Thema ist dabei die Einwanderungspolitik. Das besorgt nicht nur die Flüchtlinge im Land, sondern auch die Wirtschaft.
https://www.arte.tv/de/videos/091812-000-A/daenemark-unsicherer-hafen-fuer-migranten/

+++SPANIEN
Ceuta Melilla: Spanien erhöht EU-Zaun auf 10 Meter
Die spanische sozialdemokratische Regierung wird die EU-Zäune um die spanischen Enklaven Ceuta und Melilla in Nordafrika bis Jahresende von sechs auf zehn Meter erhöhen und eine neue Kameraüberwachung mit Gesichtserkennung längs der Zäune installieren. Die Kosten betragen 32,7 Millionen Euro und werden zu 75 Prozent von der EU getragen.
Zugleich wird der rasiermesserscharfe Stacheldraht auf den spanischen Zäunen abmontiert. Stattdessen hatte Marokko in den vergangenen Monaten auf den neuen vorgelagerten marokkanischen Zäunen rund um Ceuta und Melilla ebendiesen rasiermesserscharfen Stacheldraht aufgesetzt. Die sozialdemokratische Regierung von José Luis Rodríguez Zapatero hatte 2005 die flüchtlingsfeindlichen Zaun-Rasiermesser installieren lassen. In der Folge hatten zahlreiche zaunkletternden Geflüchtete und Migrant*innen tiefe Fleischwunden erlitten oder waren gar verblutet.
https://ffm-online.org/ceuta-melilla-spanien-erhoeht-eu-zaun-auf-10-meter/

+++GRIECHENLAND
Uno fordert besseren Schutz von Minderjährigen in Lagern auf Lesbos
Die übers Mittelmeer nach Lesbos geflüchteten Kinder, von denen viele traumatische Erfahrungen hinter sich haben, bräuchten besondere Betreuung in auf sie ausgerichteten Unterkünften, fordert ein UNHCR-Vertreter.
https://www.nzz.ch/international/uno-fordert-besseren-schutz-von-minderjaehrigen-auf-lesbos-ld.1504200

+++MITTELMEER
Carola Rackete beim Kapitänstag: Mehr Kapitäne für die Seenotrettung
„Sea-Watch“-Kapitänin Carola Rackete tritt im September beim traditionsreichen Bremer Kapitänstag auf. Sie will dort für Seenotrettung im Mittelmeer werben.
https://taz.de/Carola-Rackete-beim-Kapitaenstag/!5620570/

Schiff mit Sponsor und Kapitän aus Bayern rettet 101 Flüchtlinge
Kaum in See hat das neue Rettungsschiff der NGO “Mission Lifeline” 101 Menschen im Mittelmeer gerettet. Das erfuhr der BR vom Oberpfälzer Mode-Unternehmer Benjamin Hartmann, der das Schiff organisiert hatte und mit der Crew an Bord in Kontakt ist.
https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/schiff-mit-sponsor-und-kapitaen-aus-bayern-rettet-101-fluechtlinge,RaGBovP
-> https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2019-08/mittelmeer-seenotrettung-mission-lifeline-migranten-eleonore
-> https://www.tagesschau.de/ausland/mittelmeer-migranten-103.html
-> https://mission-lifeline.de/aktuelles/erster-einsatz-fur-eleonore

Die Verschwörungstheorie von der “Sogwirkung” der Rettungsschiffe
Einen ähnlichen Vorwurf gab es schon bei der Rettung der Boatpeople durch das Schiff “Cap Anamur” im Südchinesischen Meer vor 40 Jahren
https://www.heise.de/tp/features/Die-Verschwoerungstheorie-von-der-Sogwirkung-der-Rettungsschiffe-4505709.html?wt_mc=rss.tp.beitrag.atom

Berliner Senatorin fordert legale Einreise für Flüchtlinge
LINKEN-Politikerin Elke Breitenbach sieht die EU in der Pflicht, Menschen in Not zu helfen
Das Mittelmeer ist eine Todesfalle für Flüchtlinge. Viele Menschen lassen sich dennoch nicht von der gefährlichen Überfahrt abhalten. Berlins Integrationssenatorin sieht die EU in der Pflicht und macht sich für eine Forderung von Hilfsorganisationen stark.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1124847.seenotrettung-berliner-senatorin-fordert-legale-einreise-fuer-fluechtlinge.html

Frankfurter im Bündnis „Seebrücke“: Die Unermüdlichen
Sowmya Maheswaran und Burkard Lang engagieren sich für das Bündnis „Seebrücke“.
Am Anfang stand die Empörung. Als das Rettungsschiff „Lifeline“ im Juni 2018 tagelang auf hoher See kreuzen musste, weil kein europäischer Staat die mehr als 200 aus Seenot geretteten Menschen an Bord an Land lassen wollte, entstand eine politische Debatte. Erstmals wurde breit über die Bedeutung und die Behinderung privater Seenotrettung auf dem Mittelmeer diskutiert. Und Sowmya Maheswaran beschloss, an einer Demonstration des neu entstehenden Bündnisses „Seebrücke“ in Frankfurt teilzunehmen. „Das war der Gipfel“, erinnert sich Maheswaran. „Dass Leute im Mittelmeer sterben und man noch diskutieren muss, ob man sie retten soll.“
https://www.fr.de/frankfurt/frankfurt-unermuedlichen-12942400.html

+++FREIRÄUME
Fast schon mündig
Seit 15 Jahren besteht das Zentrum für Kulturproduktion PROGR. Am Samstag, 17. August, feierte es sich als Atelierhaus und Veranstaltungsort mitten in Bern. Grund, sich die Geschichte des Hauses in Erinnerung zu rufen.
http://www.journal-b.ch/de/082013/kultur/3367/Fast-schon-m%C3%BCndig.htm

Der Zauber des Anfangs (Teil 1)
Es war auf Zeit und wurde deshalb möglich. Der damalige Kultursekretär erzählt die Geschichte der Umwandlung des Progers in den PROGR. – Erster Teil.
http://www.journal-b.ch/de/082013/kultur/3368/Der-Zauber-des-Anfangs-(Teil-1).htm

+++GENTRIFIZIERUNG
derbund.ch 26.08.2019

«Wohnen ist mehr als ein Dach über dem Kopf»

Stadtentwicklung dürfe nicht dem Meistbietenden überlassen werden, sagt der gebürtige Berner Humangeograf Daniel Mullis. Er warnt vor der «zersetzenden Kraft des Renditedenkens».

Markus Dütschler

In der Berner Lorraine wird ein Neubau mit hochpreisigen Wohnungen zum Hassobjekt. Ist das – europäisch gesehen – ein Einzelfall?

Auseinandersetzungen wegen einer bestimmten Liegenschaft gibt es oft. In Berlin kam es immer wieder zu Sabotageakten gegen Baustellen. Oder Unbekannte haben teure Autos angezündet, weil deren Besitzern vorgeworfen wurde, das Stadtviertel zu gentrifizieren.

Die Angst, dass ein ganzes Quartier gentrifiziert wird, macht sich in der Lorraine offenbar an dieser Überbauung fest. Wie berechtigt ist dies?

Dort sind solche Ängste vielleicht stärker als anderswo. Das Quartier ist ein politisch geprägter Ort mit einer linken Kultur, wo Widerspruch dezidiert geäussert wird. Manche sehen ihren Lebensstil und die soziale Absicherung durch die Veränderungen gefährdet. Letztlich sind die Sorgen nicht unbegründet, auch wenn die Gentrifizierung nicht erst mit diesem Gebäude auf der Serini-Brache angefangen hat.

Oft wird behauptet, ein Quartier brauche eine bessere Durchmischung. Zu Recht?

Beim Stichwort Durchmischung schwingt stets die Absicht einer Aufwertung mit. Man hat noch nie gehört, dass auf dem Zürichberg zwecks besserer Durchmischung Sozialwohnungen gebaut werden müssten. Leute mit kleinen Einkommen spüren, dass sie bei «Aufwertungen» den Kürzeren ziehen.

Sie haben 2009 an der Uni Bern am Geographischen Institut «eine kritische Analyse der Stadtplanungsdokumente» zu diesem Quartier vorgelegt unter dem Titel «Gentrification und Neoliberalisierung». Was hat Neoliberalisierung mit der Lorraine zu tun?

Globalisierung bedeutet heute, dass die Gesetzmässigkeiten des Marktes weltweit wirken sollen. Die Frage ist jetzt, wie weit sich eine Stadt dieser angeblichen Gesetzmässigkeit unterwirft. Wie soll sich die Stadt transformieren? Ist sie einzig ein attraktiver Standort im Wettbewerb, der Investoren und potente Steuerzahler anzieht? Eine wohlhabende Klientel profitiert, die anderen müssen sehen, wo sie bleiben.

Immobilien werden teurer, somit auch die Mieten. Ist das eine Art Naturgesetz?

Der Run auf Immobilien hat auch damit zu tun, dass Kapitalanlagen nur noch wenig oder gar keinen Zins mehr abwerfen. Liegenschaften, bei denen mit einer Wertsteigerung gerechnet werden kann, sind für Pensionskassen und andere Anleger eine gute Alternative. Das treibt die Preise und folglich die Mieten in die Höhe. Wer da nicht mitbieten kann, hat das Nachsehen. Auch nicht kommerzielle Kultur oder Kunst hat das Nachsehen.

Was geschieht konkret, wenn langjährige Quartierbewohner verdrängt werden?

Für sie ist das ein grosses Problem, weil gewachsene Beziehungen verschwinden. Vielleicht ist da eine Rentnerin, die bisher nicht ins Heim musste, weil Nachbarn regelmässig bei ihr vorbeischauen. Oder die Familie, die für die Kinderbetreuung auf ein Netzwerk im Quartier baut und deren Kinder sich in der Schule wohlfühlen. Wohnen ist viel mehr als ein Dach über dem Kopf, es ist soziale Einbettung.

Es sind nicht nur Privatpersonen betroffen. Auch ein Quartiermetzger, ein Bäcker oder sonst ein kleiner Laden ist auf eine erschwingliche Miete angewiesen.

In Frankfurt, wo ich wohne, ist diese zersetzende Kraft des Renditedenkens sehr stark zu spüren. Sie verunsichert die Menschen zutiefst. Auch Gewerbetreibende klagen darüber. Sie sagen, sie fänden kaum mehr Arbeitskräfte, da diese keine erschwingliche Wohnung finden und lange Wege keine Option sind. Dann zieht auch das Geschäft weg. Auch ein Migros-Verkäufer in Bern, der im Bahnhof Früh- oder Spätschicht hat, braucht eine bezahlbare Wohnung, die er zu Randzeiten noch mit dem Bus erreichen kann.

Oft bekommt man in Bern den Eindruck, als werde der Wegzug des Malers oder des Mechanikbetriebs nicht wirklich bedauert, weil Hämmern die biedermeierliche Befindlichkeit der Anwohner stören könnte.

(lacht) Nun ja, Lärm stört doch alle. Aber klar, Gewerbeinfrastruktur ist für Städte wichtig und Teil des Lebens. Ein Stück weit verstehe ich das Gewerbe, das sich beklagt. In einer Stadt müssen aber verschiedenste Bedürfnisse und Ansprüche nebeneinander Platz haben. Dies auszutarieren, ist nicht einfach.

Rot-grüne Städte heben Parkplätze auf, was das Gewerbe bedauert, der Verkehr wird beruhigt und zurückgedrängt. In einer Stadt wird es aber immer Verkehr geben.

Ich bin überzeugt, dass es richtig ist, den Verkehr in den Quartieren zu beruhigen, das Velofahren zu fördern und Parkplätze in den weissen Zonen aufzuheben. Nicht erst die Debatte um den Klimawandel zeigt, dass die Städte etwas Gutes getan haben.

Wenn etwa die Mittelstrasse im Länggassquartier verkehrsberuhigt wird, gehen die Wohnungsmieten durch die Decke. Beschleunigt RGB dadurch die Gentrifizierung?

So würde ich das nicht sagen. Die Verkehrsberuhigung hat die Lebensqualität erhöht, und das muss man unbedingt positiv werten. Es kann nicht sein, dass man schlechte Lebensqualität erzeugt, nur damit die Mieten tief bleiben. Ein Stück weit werden die rot-grün regierten Städte Opfer ihres Erfolgs. Sie sollten bei den Mieten gegensteuern, nicht bei der Qualität sparen.

Ein Quartier ist ein Stück Heimat. Welche weiteren Einrichtungen braucht es, damit sich die Bewohnerinnen und Bewohner dort wohlfühlen?

Es braucht Freiräume, nicht nur Beizen, in denen man ein Bier trinken kann. Wichtig sind Quartiertreffs drinnen und draussen, wo man sich nicht nur kennen lernen, sondern etwas unternehmen kann. Sie stehen vielen offen, Einheimischen und Migranten. Es gibt keinen Konsumationszwang. Dort finden Diskussionen statt, auch Konflikte. Es ist idealerweise ein Ort, an dem man die politische Willensbildung erprobt. Wenn er wegfällt, fehlt etwas Wichtiges. Ich bin froh, dass dieser Diskurs, das sich Einmischen, in der Schweiz als viel selbstverständlicher wahrgenommen wird als etwa hier in Frankfurt.

Gehört auch die Reitschule zu diesen Orten?

Unbedingt. Sie ist für Jugendliche ein enorm wichtiger Ort, auch wenn das manchmal unschöne Begleiterscheinungen hat. Die Reitschule ist ein riesiger Gewinn für die Stadt.

Was soll die Stadt bei den Wohnungen unternehmen?

Die Politik muss regulierend eingreifen, indem sie etwa Investoren gewisse Verpflichtungen auferlegt, wenn sie ihnen Parzellen abgibt. Abstimmungen und Initiativen in der Schweiz machen deutlich, dass dies den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern wichtig ist. Sie wollen keine Stadt, in der nur der Meistbietende seine Pläne umsetzen kann, sondern eine Stadt mit einem gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Zur Person

Der promovierte Humangeograf Daniel Mullis ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut in Frankfurt/M.
(https://www.derbund.ch/bern/wohnen-ist-mehr-als-ein-dach-ueber-dem-kopf/story/21378637)

Wegen Vandalen: Geschäft verlässt die Lorraine
Die Betreiberin der Firma Bestswiss hat genug von Farbanschlägen und wirft das Handtuch.
https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/wegen-vandalen-geschaeft-verlaesst-die-lorraine/story/12341996
-> https://www.telebaern.tv/telebaern-news/kurzmeldungen-135465684

Verslumung wäre übler als Gentrifizierung
Vandalen vertreiben Mieter aus der Lorraine und wollen die Aufwertung stoppen. Doch es gibt keinen Rechtsanspruch darauf, in seinem Wunschquartier günstig wohnen zu können.
https://www.derbund.ch/bern/verslumung-waere-uebler-als-gentrifizierung/story/31999327

derbund.ch 25.08.2019

Militante Gentrifizierungs-Gegner vertreiben Start-up aus Trendquartier

Immer wieder attackierten Vandalen gezielt einen Neubau in der Berner Lorraine. Das Geschäft im Erdgeschoss will nun so schnell wie möglich weg.

Andres Marti

«Die Situation ist für uns nicht mehr tragbar», sagt Anita Di Domenico, Geschäftsführerin von Bestswiss. Mit ihrem Team ist Di Domenico vor rund zwei Jahren in den Neubau an der Lorrainestrasse 25 eingezogen. Im Erdgeschoss betreibt das Start-up einen Showroom, um Schweizer Designprodukte zu vermarkten. Neben der Gewerbefläche werden auf dem ehemaligen Serini-Areal auch ein Dutzend Wohnungen im Hochpreissegment vermietet.

Teer im Showroom

Eigentlich hat Di Domenico einen Fünfjahresvertrag abgeschlossen. Doch jetzt, bereits nach zwei Jahren, will sie nur noch weg. Der Grund: eingeschlagene Scheiben, Farbanschläge, Hassbotschaften. Denn bei militanten Gentrifizierungsgegnern gilt der Neubau als Hassobjekt par excellence, als Symbol für steigende Mieten und Verdrängung der alteingesessenen Quartierbevölkerung. Zwar richteten sich die Anschläge gegen das Gebäude als Ganzes, sagt Di Domenico, doch als Laden und Aushängeschild befände man sich in einer «unmöglichen Sandwichposition». Das Ganze sei zu einem «grotesken Ressourcenverschleiss» geworden.

Der letzte Anschlag, ausgeführt in einer Nacht Mitte Juli, war besonders heftig. Fast alle Scheiben des Erdgeschosses wurden beschädigt, einige gingen komplett zu Bruch. Die Glasfassade haben die unbekannten Täter mit einem schwer zu entfernendem Teer-Gemisch verschmiert, sogar die Innenräume wurden damit besudelt. Dass sie hier einmal derart angefeindet werden würde, habe sie sich nie vorstellen können, sagt Di Domenico. Ihre Eltern kamen in den 1960er-Jahren einst selber als Migranten in die Lorraine. Als Kind ging sie hier zur Schule.

Anders als Di Domenico nimmt ihr Geschäftspartner die Attacken persönlicher. Beim Kaffee im Büro lässt er Dampf ab. «Dass ausgerechnet in der linken Lorraine solche an den Faschismus erinnernden Attacken bei manchen Leuten auf Zustimmung stossen, ist für mich die grösste Heuchelei», sagt er.

Natürlich sympathisiert öffentlich niemand mit den kriminellen Methoden der Aufwertungsgegner. Hinter vorgehaltener Hand hört man im Quartier jedoch auch das Gegenteil. Was solle man denn sonst gegen die steigenden Mieten tun? – so das oft vorgebrachte Argument.

Der Besitzer der Immobilie, Stefan Berger, besitzt im Quartier mehrere Häuser. In der linksalternative Lorraine gilt er bei vielen als Feindbild. Er wollte sich gegenüber dem «Bund» aber nicht zum Thema äussern.

«Die Lage ist sehr begehrt»

Was die Schäden angeht, kommt man bei der Verwaltung mit dem Reparieren offenbar nicht mehr nach. So sind die eingeschlagenen Fenster auch nach über einem Monat nur notdürftig abgedeckt. Bei der zuständigen Liegenschaftsverwaltung Von Graffenried bedauert man den geplanten Auszug von Bestswiss. Der Fall zeige, dass die Leidtragenden dieser kriminellen Attacken in erster Linie die Mieter seien, sagt Giorgio Albisetti, Chef der Von Graffenried Liegenschaften. Ansonsten versucht Albisetti den Ball flach zu halten. Als Liegenschaftsvermittler gehört er auch nicht zu den direkt Geschädigten.

Das Inserat ist seit kurzem online, «Preis auf Anfrage». Laut Albisetti haben sich bereits mehrere Interessenten gemeldet. Dass sich potenzielle Nachmieter von den Attacken abschrecken lassen, glaubt er nicht. «Die Lage ist sehr begehrt.» Werden die Vandalen auch einen Pizzakurier attackieren? Eine Kita?

Seit 20 Jahren ein Thema

Beim Quartierverein verurteilt man die Angriffe und bedauert den geplanten Auszug. Johannes Wartenweiler, SP-Stadtrat und Quartierbewohner, hält aber fest, dass Aufwertungen und Verdrängung von Alteingesessenen in der Lorraine seit mindesten 20 Jahren ein Thema sind. In der Lorraine mache man aber viel, damit man nicht «komplett von der Gentrifizierungswelle» überrollt werde, so Wartenweiler. Es gebe Genossenschaften, weiterhin günstigen Wohnraum und Stadtwohnungen. Als Nachmieter wünscht sich Wartenweiler ein Geschäft, «das im weitesten Sinne der Quartierversorgung dient».

Bergers Neubau, in den Augen seiner Gegner «Sinnbild der Gentrifizierung», war bereits vor seiner Fertigstellung Thema im Stadtrat. In seiner Antwort auf eine Interpellation der SP-Fraktion äusserte sich der Gemeinderat am Beispiel der Lorrainestrasse 25 ausführlich zu Quartieraufwertungen. Die Stadtregierung verweist dabei auf die Anwendung der Wohninitiative, die soweit möglich auch auf Arealen privater Eigentümer angewandt werde, obwohl sie wegen eines hängigen Bundesgerichtsentscheids noch nicht in Kraft ist. Auf die Wohnungsmiete von privaten Immobilien könne die Stadt hingegen keinen Einfluss nehmen.

Nicht nur negativ

Was den Neubau an der Lorrainestrasse angeht, sieht der Gemeinderat trotzt hoher Mietpreise keine negativen Folgen für das Quartier. Auf einem unbenutzten Areal seien vor allem grosse Wohnungen, die sich für Familien eigneten, entstanden. Dies sei erfreulich, liege der Fokus bei vielen gewinnorientierten Bauprojekten doch eher auf kleineren Wohnungen. Das Nebeneinander von preisgünstigen, genossenschaftlichen und konventionellen Wohnmöglichkeiten ermögliche eine «vielfältige Wohnbevölkerung» im Quartier. Laut dem Gemeinderat entsprechen die Mieten in der Lorraine ungefähr dem städtischen Mittel. Zu beachten sei auch, dass Aufwertungen von Quartieren nicht nur negativ seien, was gerade die Lorraine zeige: «Sie hat sich dank Sanierungs- und Neubauprojekten zu dem attraktiven Wohnquartier entwickelt, dass sie heute ist.»
(https://www.derbund.ch/bern/militante-gentrifizierungs-gegner-vertreiben-start-up-aus-trendquartier/story/27878884)

+++GASSE
Solothurner Ausgehmeile – Man hat sich an die Patrouilleure gewöhnt
Seit Juli sorgt ein Sicherheitsdienst in Solothurn dafür, dass die Altstadtbewohner schlafen können. Ein Augenschein.”
https://www.srf.ch/news/regional/aargau-solothurn/solothurner-ausgehmeile-man-hat-sich-an-die-patrouilleure-gewoehnt

Schweres Delikt ab 12 Gramm – Wer mit Crystal Meth dealt, spürt die volle Härte des Gesetzes
Erstmals hat das Bundesgericht festgelegt, ab welcher Menge beim Verkauf der Droge eine härtere Bestrafung droht.
https://www.srf.ch/news/schweiz/schweres-delikt-ab-12-gramm-wer-mit-crystal-meth-dealt-spuert-die-volle-haerte-des-gesetzes
-> https://www.derbund.ch/schweiz/standard/ab-welcher-menge-crystal-meth-ein-schweres-delikt-vorliegt/story/18271669
-> Rendez-vous: https://www.srf.ch/play/radio/popupaudioplayer?id=a87eea77-2e91-4642-a214-90b6eda35ef9
-> https://www.nzz.ch/schweiz/12-gramm-reines-crystal-meth-bilden-die-grundlage-fuer-ein-schweres-drogendelikt-ld.1504235?mktcid=smsh&mktcval=Twitter
->
-> Medienmitteilung Bundesgericht: https://www.bger.ch/files/live/sites/bger/files/pdf/de/6B_504_2019_2019_08_26_T_d_10_41_29.pdf
-> Urteil Bundesgericht: https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index.php?highlight_docid=aza%3A%2F%2Faza://29-07-2019-6B_504-2019&lang=de&zoom=&type=show_document

Kokain und Falschgeld – Luzi Stamm hat eine weisse Weste
Die Verfahren gegen den Aargauer SVP-Nationalrat wegen Kokain und Falschgeld werden von der Justiz nicht weiterverfolgt.
https://www.srf.ch/news/regional/aargau-solothurn/kokain-und-falschgeld-luzi-stamm-hat-eine-weisse-weste
-> https://www.derbund.ch/schweiz/standard/kokain-und-falschgeld-verfahren-gegen-luzi-stamm-eingestellt/story/17111407
-> https://www.20min.ch/schweiz/news/story/Kein-Verfahren-gegen-Luzi-Stamm-31188341
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/luzi-stamm-kokain-und-falschgeld-haben-keine-juristischen-folgen-65574431
-> https://www.blick.ch/news/politik/kein-verfahren-gegen-svp-mann-bundesanwaltschaft-laesst-luzi-stamm-laufen-id15483643.html
-> https://www.nzz.ch/schweiz/luzi-stamms-kokainkauf-hat-keine-strafrechtliche-folgen-ld.1504263
-> https://www.telem1.ch/aktuell/luzi-stamm-kann-aufatmen-135466144

Schweizer Hanf-Lüge in Hollywood aufgetischt?
Der griechische Milliardenerbe Alki David verkauft in den USA Cannabisprodukte aus Gstaad. Dort weiss man jedoch nichts von den angeblichen Hanfanlagen.
https://www.20min.ch/schweiz/bern/story/Cannabis-in-Gstaad-10030504

bernerzeitung.ch 26.08.2019

Wohnhilfe zieht nicht ins Wohnquartier

Nach zahlreichen Einsprachen aus einem Steffisburger Wohnquartier zieht die Wohnhilfe Thun ihr Baugesuch an der Thunstrasse 54 zurück – und sucht eine neue Liegenschaft.

Janine Zürcher

Im Juli wurde bekannt, dass der Verein Wohnhilfe Thun in Betracht zieht, mit all seinen Angeboten – dazu gehören die Notschlafstelle, das teilbetreute und begleitete Wohnen sowie die Verwaltung der Wohnhilfe Thun mit den Büros der Wohnungsvermittlung – an die Thunstrasse 54 in Steffisburg umzuziehen. Nun hat der Verein das entsprechende Baugesuch zurückgezogen. Der Grund: Die Anwohner im Quartier wehrten sich vehement dagegen, dass künftig Obdachlose den Schulweg ihrer Kinder kreuzen könnten.

31 Einsprachen, teils inklusive Rechtsverwahrungen, gingen innert der Einsprachefrist bei der Gemeinde Steffisburg ein. Der Tenor: Im Wohnquartier sei ein derartiges Angebot fehl am Platz. Verstärkter Alkohol- und Drogenkonsum im Quartier wurden befürchtet, zudem führe der Weg zu Schule und Kindergarten für viele Kinder vor dem Haus an der Thunstrasse 54 hindurch.

Nun muss der Verein klein beigeben. «Im Wissen, dass das Baugesuch allen Anforderungen entspricht, ist der Entscheid zum Rückzug schwergefallen», schreibt der Verein in einer Mitteilung. Doch wegen der Verzögerungen im Bewilligungsverfahren, die nach den Einsprachen «zu erwarten» seien, habe der Verein dennoch beschlossen, das Baugesuch zurückzuziehen.

«Ein Umfeld, das sich vehement gegen die Arbeit des Vereins wehrt, würde Konflikte und Unruhen fördern. Diese wären für Mitarbeitende und Klienten nicht zumutbar und hätten die Arbeit und die Erfüllung des Auftrages massiv erschwert», heisst es weiter. Und: «Den juristischen Weg mit allfällig hohen Kosten zu beschreiten, wäre für den Verein kein adäquates Vorgehen gewesen.» Der Verein Wohnhilfe Thun werde sich aber nach neuen Liegenschaften umsehen und den geplanten Umzug und die Zusammenlegung der Angebote weiterverfolgen.
(https://www.bernerzeitung.ch/region/thun/wohnhilfe-zieht-nicht-ins-wohnquartier/story/17796597)

+++REPRESSION DE
HAMBURGER GITTER – Der G20 Gipfel als “Schaufenster moderner Polizeiarbeit” –
170 Ermittler arbeiten an hunderten Verfahren gegen militante Demonstranten und Menschen, die sich an Ausschreitungen und Plünderungen beteiligten. Harte Strafen wurden gefordert und in bisher über 40 Fällen auch verhängt. Der Staat verlor im Sommer 2017 die Kontrolle in Hamburg und versucht sie nun zurück zu gewinnen. Die Dokumentation konzentriert sich auf den Umgang mit den Protesten und die staatliche Sicherheitspolitik. Versammlungsfreiheit, Bewegungsfreiheit und Pressefreiheit spielen in den Betrachtungen eine ebenso große Rolle wie die Veränderung der polizeilichen Strategien. Konnten während der Proteste Grundrechte außer Kraft gesetzt werden? Gibt es in der Judikative und Legislative Akteure und Überzeugungen, welche auf gewaltsame Proteste anders reagieren als in der Vergangenheit? Welche Methoden der „Ausnahmesituation G20″ in Hamburg könnten zur Normalität werden? Dem sind wir nachgegangen, indem wir die relevanten Geschehnisse nachzeichneten, mit Betroffenen auf beiden Seiten sprachen und Experten zu Protestgeschichte, Grundrechten, Sicherheitspolitik und der politischen Gesamtsituation befragten.
https://youtu.be/6sTJChDG9Rw

+++REPRESSION GR
First they take Exarchia…
Das rebellische Viertel Exarchia in Athen, heute morgen: Die Bilder sprechen Horrorbände. Hunderte Riotcops mit Tränengas und zugehörigen Gasmasken stehen parat. Spezialeinheiten aller Art. Motorräder. Sogar Hubschrauber. Ein ganzes Viertel gesperrt. Jeder normal denkende Mensch würde vermuten, hier bricht gleich ein Bürgerkrieg oder schlimmeres aus. Logik oder irgendwas Ähnliches – fehl am Platz. Denn dann würde das hier nicht passieren: Der griechische Staat sendet seine ganze Repressionsarmada aus, um Besetzungen von geflüchteten Migrant*innen zu räumen.
https://revoltmag.org/articles/first-they-take-exarchia/

Police raids 4 squats in Exarchia, removes migrants and their babies
Greek police staged a huge operation and raided four squats in the Exarchia district of Athens on Monday morning. In coordination, strong police forces raided the four building occupied by anarchists, refugees and migrants in order to restore “security” as the government said.
https://www.keeptalkinggreece.com/2019/08/26/exarchia-police-refugees-squats
-> https://twitter.com/search?q=exarchia
-> http://www.ekathimerini.com/243890/article/ekathimerini/news/police-conduct-raids-on-squats-in-exarchia
-> http://blogyy.net/2019/08/26/exarcheia-sous-occupation-policiere/
-> https://www.theguardian.com/cities/2019/aug/26/athens-police-poised-to-evict-refugees-from-squatted-housing-projects

+++REPRESSION G7
Tränengasnebel in Klein-Bayonne
Frankreich schränkt während des G7-Gipfels das Demonstrationsrecht massiv ein
G7-Gipfel in Frankreich: Mit einer massiven Präsenz der Sicherheitskräfte wurde im Baskenland nach türkischem Vorbild ein Demonstrationsverbot mit nur einer Ausnahme durchgesetzt.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1124901.g-gipfel-traenengasnebel-in-klein-bayonne.html

Idriss Déby muss Zuhause bleiben
Tschads Diktator ist Frankreichs militärischer Bündnispartner Nr. 1 in Afrika, aber in Biarritz nicht willkommen
Eines der wenigen konkreten Ergebnisse des G7-Gipfels ist die von Frankreich und Deutschland angekündigte Initiative zur Unterstützung der Sahel-Zone zur Terrorbekämpfung und Flüchtlingsabwehr.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1124885.g-gipfel-idriss-deby-muss-zuhause-bleiben.html

+++KNAST
Jugendheim Prêles wieder als Gefängnis im Gespräch
Der Kanton Bern wollte das Jugendheim Prêles zu einem Rückkkehrzentrum für abgewiesene Asylsuchende umwandeln. Daraus wurde nichts. Nun könnte es in eine Justizvollzugsanstalt umgewandelt werden.
https://www.bernerzeitung.ch/region/kanton-bern/jugendheim-preles-wieder-als-gefaengnis-im-gespraech/story/21303741
-> https://www.derbund.ch/bern/wird-aus-dem-jugendheim-ein-gefaengnis/story/11726866

Masterplan zur Umsetzung der Justizvollzugsstrategie: Arbeiten sollen rasch angegangen werden
Die Sicherheitskommission (SiK) empfiehlt dem Grossen Rat einstimmig, in der Herbstsession den Masterplan zur Umsetzung der Justizvollzugsstrategie anzunehmen. Dies mit elf ergänzenden Planungserklärungen. Weiter hat sich die SiK mit dem Einführungsgesetz zum Ausländer- und Integrationsgesetz sowie zum Asylgesetz (EG AIG und AsylG) beschäftigt, über das der Grosse Rat im November in zweiter Lesung beraten wird. Die SiK rät dem Grossen Rat, dem Gesetz wie in erster Lesung beschlossen zuzustimmen. Die Mehrheit ist gegen eine Härtefallregelung.
https://www.be.ch/portal/de/index/mediencenter/medienmitteilungen.meldungNeu.mm.html/portal/de/meldungen/mm/2019/08/20190823_1755_arbeiten_sollen_raschangegangenwerden

+++BIG BROTHER
Wenn ein Haar Auskunft über die Herkunft gibt – Echo der Zeit
Neue DNA-Analyse-Methoden könnten in Zukunft bei der Aufklärung von schweren Verbrechen helfen. Zum Beispiel indem durch DNA-Proben die geografische Herkunft des Täters oder der Täterin bestimmt wird. Solche Methoden sind derzeit verboten. Doch der Bundesrat möchte dies ändern.
https://www.srf.ch/play/radio/popupaudioplayer?id=119d6fb0-d76e-4222-8c38-4e1dee1da2ab

+++RECHTSPOPULISMUS
Greta oder Pippi? Warum sich viele Menschen die Welt so machen, wie sie ihnen gefällt
In der Debatte um die Klimakrise werden viele moralisch korrekt handelnde Menschen mit fadenscheinigen Argumenten als scheinheilig und heuchlerisch abgekanzelt. Die Umweltpsychologin Karen Hamann erklärt, woran das liegt – und wie man dagegen vorgehen kann.
https://daslamm.ch/greta-oder-pippi-warum-sich-viele-menschen-die-welt-so-machen-wie-sie-ihnen-gefaellt/

SVP wehrt sich gegen Ausländer als Zürcher Stadtpolizisten
Ein Vorstoss im Stadtzürcher Gemeinderat sieht vor, dass künftig auch Ausländer Polizisten werden können. Das sorgt bei der SVP für Aufregung und Kopfschütteln.
https://www.nau.ch/news/schweiz/svp-wehrt-sich-gegen-auslander-als-zurcher-stadtpolizisten-65573190

Gemeinderatsantwort auf Interpellation Hess “Ausländeranteil in der Sozialhilfe” (PDF, 81.0 KB)
https://www.bern.ch/politik-und-verwaltung/gemeinderat/aktuelle-antworten-auf-vorstosse/publizierte-antworten-am-26-august-2019/interpellation-hess-auslanderanteil-in-der.pdf/download

+++FUNDIS
Missionare versuchen, Schwingfans zu bekehren
Am Eidgenössischen Schwingfest waren auch Freikirchler unterwegs. Die Organisatoren des Festes distanzieren sich von der Aktion.
https://www.20min.ch/schweiz/news/story/Missionare-versuchen-Schwing-Fans-zu-bekehren-27525264

+++SEXWORK
bernerzeitung.ch 26.08.2019

Ihre Tantra-Massagen sind zonenfremd

Sechs Jahre durfte eine Tantra-Masseurin in der Lorraine in Bern einen Salon betreiben. Nun muss sie wegen «fehlender Zonenkonformität» ihr Geschäft aufgeben.

Michael Bucher

«Es macht mich sehr traurig, muss ich das hier alles aufgeben.» Mia steht im Türrahmen ihrer 3½-Zimmer-Wohnung in der Lorraine. Sie blickt in eines der Zimmer. Überschaubar sind sie, nur rund 18 Quadratmeter klein.

Am Boden liegt eine Ma­tratze mit buntem Überzug.Kerzen, Buddha-Figuren und Massageöl stehen daneben. Mia, so nennt sie sich auf der Arbeit, betreibt hier seit sechs Jahren einen Tantra-Massagesalon. Doch nun muss sie raus. Die Behörden haben ihre Bewilligung nicht verlängert.

Ein ruhiges Gewerbe

Es ist nicht so, dass Mia gegen Auflagen verstossen hätte oder gegen Hygienevorschriften oder dass Frauen ohne Arbeitser­laubnis bei ihr gearbeitet hätten. «Ich habe alle Auflagen stets erfüllt, die Kontrolleure hatten nie etwas zu beanstanden», sagt die 35-Jährige, die vor zwölf Jahren aus Tschechien nach Bern kam und heute über eine Niederlassungsbewilligung verfügt.

Der Grund für die Wegweisung ist die Rechtsprechung des Bundesgerichts. Dieses hat in mehreren Urteilen festgehalten, dass Bordelle und andere erotische Dienstleistungen, wie eben ein Tantra-Massagesalon, in reinen Wohnzonen nichts verloren hätten. Letztmals 2012 beim Bordell am Lagerweg in der Lorraine, das daraufhin schliessen musste.

Das Gericht begründete den Entscheid mit «ideellen Immissionen». Hinter dem Begriff verbirgt sich die Vorstellung, dass durch einen Bordellbetrieb in einem Wohnquartier das seelische Empfinden der Bevölkerung verletzt sein könne. Auch Mias Salon liegt in einer Wohnzone, der Block nebenan jedoch bereits in einer gemischten Zone, wo auch anderes Gewerbe ansässig ist.

«Ich verstehe nicht, warum unser Salon störend sein sollte», sagt Mia. Tatsächlich ist von aussen nicht sichtbar, dass im Hochparterre des Hauses erotische Massagen angeboten werden. «Ausserdem sind wir wohl die ruhigsten Mieter hier im Quartier», sagt Mia. «Bei Tantra-Massagen ist eine entspannte Atmosphäre sehr wichtig.»

Verlängerungen gewährt

Neben Mia bieten noch vier weitere Frauen aus Tschechien in der Wohnung Tantra-Massagen an. 15 Minuten kosten 100 Franken, 90 Minuten 350 Franken. Die Frauen arbeiten selbstständig. Zahlen müssen sie Mia lediglich eine Zimmermiete für die Zeit, in der sie dort massieren.

Die Salonbetreiberin betont, dass sie und ihre Kolleginnen – im Gegensatz zu vielen anderen Tantra-Masseurinnen – keinen Geschlechtsverkehr anbieten. Es gehe nur um «sinnliche Massagen». Sie stört sich daran, dass ihr Geschäft in denselben Topf wie ein Bordell geworfen wird.

Bei ihrem Start in der Lorraine im Sommer 2013 erhielt Mia vom Regierungsstatthalteramt wegen «fehlender Zonenkonformität» nur eine auf zwei Jahre befristete Bewilligung – die Regel wäre fünf Jahre. Kurz vor Ablauf verlängerten die Behörden die Frist bis September 2018.

Weil sich die Suche nach neuen Räumlichkeiten in Bern als äusserst schwierig erwies, wurde ihr eine Fristverlängerung bis Mitte September dieses Jahres gewährt, doch danach ist definitiv Schluss. Was Mia nicht versteht: Warum durfte sie bisher in ihrer Wohnung ihre Dienste anbieten und jetzt nicht mehr?

«Uns sind die Hände gebunden», sagt Alexander Ott, Co-Leiter des städtischen Polizeiinspektorats, «wir müssen uns an die Rechtsprechung halten.» Er wisse jedoch um die Schwierigkeit solcher Etablissements, Räumlichkeiten zu finden. Deshalb hätten die Behörden zweimal die Frist verlängert – auch weil es keine Beschwerden gegen den Betrieb gab. «Wir haben uns sehr kulant gezeigt», sagt Ott. Eine nochmalige Verlängerung sei nicht infrage gekommen, «wir haben den rechtlichen Ermessensspielraum zugunsten der Betreiberin ausgelotet», findet er.

Warum erteilte man damals trotz fehlender Zonenkonformität eine Bewilligung? «Wir hätten der Frau damals die Existenz entzogen. Würden wir das Gesetz eins zu eins umsetzen, so würden wir der ursprünglichen Absicht nicht gerecht werden», sagt Ott. Denn es solle in erster Linie um den Schutz der Sexarbeiterinnen gehen (s. Kasten).

Abzocke bei der Miete

Beschwerde gegen den Entscheid der Behörden hat Mia nicht eingelegt. Einen neuen Standort hat sie aber noch nicht gefunden. «Es ist extrem schwierig, eine Wohnung für unser Business zu finden», sagt die Tantra-Masseurin. Dutzendfach erhalte sie von Liegenschaftsverwaltungen Absagen.

Die wenigen Angebote auf dem Markt würden meist von dubiosen Einzelpersonen stammen. Ein älterer Liegenschaftsbesitzer, der wohl ihr Inserat entdeckt hatte, habe sich bei ihr gemeldet. Für eine 3½-Zimmer-Wohnung in Gümligen verlangte er 3200 Franken. «Einen solchen Preis würde er bei eineranderen Mieterschaft nie ver­langen», ist Mia überzeugt.

Es klingt fast ein bisschen resi­gniert, wenn sie sagt: «Es ist in unserer Branche normal, dass man von Hausbesitzern abgezockt wird.» Sie nennt ein Beispiel einer Kollegin. Auf dem Papier zahle diese für eine 3½-Zimmer-Wohnung in Bern 1500 Franken Miete, doch in Wahrheit müsse sie dem Besitzer der Wohnung zusätzliche 1800 Franken entrichten.

Für Alexander Ott sind diese Schilderungen nichts Neues. «Solche überrissenen Mieten kommen des Öfteren vor», so der Co-Leiter des Polizeiinspektorats. Laut ihm versuchen solche Vermieter die hohen Zusatzabgaben häufig mit erfundenen Nebenkosten zu rechtfertigen. Wichtig sei, dass die Mieterinnen Fälle von Wucher den Behörden meldeten, damit ein Verfahren eingeleitet werden könne.

Auch Christa Ammann, Leiterin der kantonalen Fachstelle für Sexarbeit Xenia, sind diese Probleme bekannt. Die Mieten für Sexarbeiterinnen seien massiv höher als für andere Branchen an ähnlichen Lagen. «das ist Ausdruck davon, dass Sexarbeit weiterhin stark stigmatisiert ist, ihr aber auch mit einer Doppelmoral begegnet wird», sagt sie. Mit dem Argument, dass das Sex-Gewerbe einen negativen Einfluss auf die Vermietbarkeit von umliegenden Wohnungen habe, sei es dann doch legitim, massive Mieten zu verlangen. Ammann hält fest: «Es wird davon profitiert, dass Arbeitsplätze und geeignete Räumlichkeiten knapp sind und sich deshalb kaum jemand gegen die hohen Mieten wehren wird.»

Prostituierte ziehen sich in Privatwohnungen zurück

2013 trat das Prostitutionsgesetzin Kraft. Der Kanton Bern war damit der erste Deutschschweizer Kanton, der die Sexarbeit um­fassend regelte. Das Ziel ist ein besserer Schutz der gemäss Schätzungen 1150 bis 1800 Prostituierten im Kanton Bern, bessere Arbeitsbedingungen, mehr Prävention und Information. Die wichtigste Massnahme: Alle Rotlichtunternehmer müssen beim Regierungsstatthalter eine Be­willigung für ihren Betrieb einholen und diese alle fünf Jahre erneuern. Sie müssen zahlreiche Vorschriften einhalten und insbesondere garantieren, dass in ihrem Betrieb niemand zu Sex gezwungen wird. Die Bewilligungspflicht gilt jedoch nur, wenn mehr als zwei Personen am Geschäft beteiligt sind. Eine Sexarbeiterin, die allein in ihrer Wohnung ihre Dienste anbietet, braucht also keine amtliche Erlaubnis.

Christa Ammann, Leiterin der kantonalen Fachstelle für Sexarbeit Xenia, steht dem Gesetz seit je kritisch gegenüber. Die Berner Grossrätin (Alternative Linke) bemängelt, dass sich durch das neue Gesetz Prostituierte vermehrt in ihre Privatwohnung zurückziehen und dort allein arbeiten. Der letztjährige Bericht der Kommission für das Prostitutionsgewerbe bestätigt diesen Trend aufs Neue. So reduzierte sich zwischen April 2017 und April 2018 im Kanton die Anzahl Pros­titutionsbetriebe um acht auf insgesamt 124. «Der Mangel an bezahlbaren Räumlichkeiten und die hohen administrativen Hürden begünstigen eine Verlagerung in Privatwohnungen», sagt Ammann. Das führe dazu, dass die Sexarbeiterinnen für Xenia schwieriger erreichbar seien. «Ihr Schutz verschlechtert sich so.» (mib)
(https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/ihre-tantra-massagen-sind-zonenfremd/story/29740039)


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