Medienspiegel 16. September 2018

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+++ST. GALLEN
Zürichsee-Zeitung 16.09.2018

Gommiswald: Die weite Welt in der Nachbarschaft erlebt

Seit knapp einem Jahr wird das ehemalige Alters- und Pflegeheim Haldrain als Asylzentrum genutzt. Momentan leben 35 Migranten zusammen unter einem Dach. Ein Tag der offenen Tür bot Einblick.

Dragiza Stoni

Während Asylsuchende das Buffet draussen mit selbstgebackenen und -gekochten Speisen bereichern, führen Verantwortliche der Asylkommission Gäste durch das Haus. Zahlreiche Bürger folgten am Samstag der Einladung der Gemeinde und nutzten den Tag der offenen Tür für Begegnungen und einen Einblick ins Asylzentrum. «Hier werden die Schuhe deponiert», erklärt Weber im Erdgeschoss und zeigt auf Reihen blauer Schränke. In der ersten Etage präsentiert er Küche und Gemeinschaftsräume, in der zweiten Etage ein Schulzimmer – sieben Stunden Deutschunterricht pro Woche sind Pflicht.

Freude über offene Menschen

Er zeigt in einen Flur mit mehreren Türen. «Hier wohnen Leute aus Sri Lanka», sagt Weber. Menschen gleicher Nation leben nach Möglichkeit beieinander. Eine Etage höher wohnen Afghanen. Auch zwei private Wohnräume dürfen besichtigt werden. In einem der Zimmer lebt eine alleinerziehende Mutter mit Kind. Ein gemütlich aussehendes Bett, eine alte Kommode und ein Gitterbettchen sind zu sehen.

Weitere Stockwerke sind gesperrt. «Um die Privatsphäre zu gewähren», sagt Weber. Das Haus ist einfach und zweckmässig eingerichtet. Die Asylsuchenden freuen sich über den Besuch. Es sei schön, so viele Leute hier zu haben, sagt Selam Gebru aus Eritrea in gebrochenem Deutsch. Die 22-Jährige schätzt Menschen, die offen auf sie zugehen. Die Eritreerin kam vor vier Jahren in die Schweiz. Seit drei Jahren lebt sie in Gommiswald – zuerst im Schönenbach und jetzt im Haldrain. Zur Zeit macht sie ein Praktikum als Küchengehilfin in St. Gallen. Familienangehörige hat sie keine hier, ausser ihrer Cousine Rufta Desbere in Genf, über deren Besuch sie sich an diesem Tag sehr freut. Sie sehen sich selten.

Motiviert, Deutsch zu lernen

Andere Asylsuchende aus Afghanistan und Syrien sind als Familie mit Kindern zugewandert. Im Haus leben Asylsuchende aus acht verschiedenen Nationen. Die Kleinen geniessen am Tag der offenen Tür das Angebot für Kinder. Sie vergnügen sich auf der Hüpfburg oder spielen Fussball.

Erwachsene Besucher zieht es Richtung Festwirtschaft, wo sie von den vielen fremden Speisen kosten und sich mit Verantwortlichen unterhalten. Nach dem Rechten im Haus sieht Walter Weber zusammen mit Sonja Gökner und Regula Tschopp. Die Aufgaben sind teils ehrenamtlich. Für zeitintensive Aufgaben, wie zum Beispiel die wöchentlichen Putzkontrollen, gibt es eine Entschädigung.

Er sei da so reingerutscht, sagt Weber. Der einst in Gommiswald als Primarlehrer tätige Rentner engagiert sich gern. Der Aufwand sei jedoch manchmal grösser als erwartet. Neben verschiedenen Einteilungsplänen und sonstigen organisatorischen Aufgaben unterrichtet er auch Deutsch. Die meisten Asylsuchenden seien bei ihrer Ankunft sehr motiviert.

Die Angst vor der Ausweisung

Die Wartezeit auf einen Entscheid des Migrationsamtes dauert jedoch Jahre. Diese Zeit des Bangens und der Angst vor Ausweisung setzt zu. Vorbehalte von Bürgern gegenüber Asylsuchenden kann Weber nachvollziehen. «Darum sind sie dazu eingeladen, die Menschen im Asylzentrum kennenzulernen, zu sehen, was hier vorgeht», sagt er. Das Haus stehe Interessierten jederzeit offen.
(https://www.zsz.ch/obersee/die-weite-welt-in-der-nachbarschaft-erlebt/story/24720878)

+++ZÜRICH
Zürcher rennen mit Politikern und Sportlern für Geld gegen Rassismus
Hunderte Personen rannten heute Sonntag in Zürich gegen den Rassismus. An diesem Spendenlauf versuchten Politiker und Sportler möglichst viel Geld zu sammeln.
https://www.nau.ch/zurcher-rennen-mit-politikern-und-sportlern-fur-geld-gegen-rassismus-65422065

+++SCHWEIZ
Bund führt umstrittene Alterstests bei Asylsuchenden ein
Unbegleitete minderjährige Asylsuchende geniessen einen besonderen Schutz. Jetzt werden ihre Altersangaben überprüft.
https://www.derbund.ch/schweiz/standard/bund-fuehrt-umstrittene-alterstests-bei-asylsuchenden-ein/story/25328546


NZZ am Sonntag 16.09.2018

Minderjährige Asylsuchende müssen zur Altersbestimmung in die Rechtsmedizin

Asylsuchende, die jünger als 18 sind und ohne ihre Eltern flüchten, sollen in der Schweiz besonderen Schutz erhalten. Damit dies nicht ausgenutzt werden kann, führt der Bund nun flächendeckend umstrittene Tests zur Altersabklärung ein.

von Lukas Häuptli

Fest steht: Asylsuchende, die jünger als 18 sind und ohne ihre Eltern flüchten, sollen in der Schweiz besonderen Schutz erhalten. Deshalb werden ihre Gesuche prioritär behandelt, wie es das Asylgesetz verlangt. Deshalb steht ihnen im Verfahren eine Vertrauensperson zur Seite, die sich für sie einsetzt. Und deshalb werden unbegleitete minderjährige Asylsuchende, sogenannte Umas, nach der Ablehnung ihres Gesuchs nur in Ausnahmefällen in einen anderen Staat oder in ihre Heimat abgeschoben.

Wegen dieses besonderen Schutzes sind die unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden spätestens seit dem Flüchtlingsjahr 2015 ein Politikum. Der Bund müsse, fordern SP und Grüne, zusätzliche Massnahmen treffen und für die unter 18-Jährigen spezielle Unterkünfte zur Verfügung stellen, die medizinische Versorgung verbessern und für die schulische und berufliche Eingliederung mehr Mittel bereitstellen. Demgegenüber verlangt die SVP vor allem eines: Der Bund solle genauer abklären, ob die Asylsuchenden, die sich als Minderjährige ausgeben, auch tatsächlich minderjährig sind.

«Mehr Rechtsgleichheit»

Jetzt führt der Bund flächendeckend medizinisch-forensische Tests ein, um in Zweifelsfällen das Alter von unbegleiteten Asylsuchenden abzuklären: die umstrittenen sogenannten Drei-Säulen-Tests. «Die Voraussetzungen sind gegeben, diese Methode der Altersbestimmung an allen Standorten des Staatssekretariats für Migration einzuführen», sagt Sprecher Lukas Rieder. «Damit können eine einheitlichere Praxis und mehr Rechtsgleichheit bei der Festlegung des Alters erreicht werden.» Aufgrund der Asylreform, die im März 2019 in Kraft tritt, gibt es künftig 16 Standorte, in denen der Bund Asylverfahren durchführt und die Tests anordnen kann.

Bei der Drei-Säulen-Methode werden das Handgelenk, die Zähne und das Schlüsselbein der Asylsuchenden geröntgt. Das geschieht in Instituten der Rechtsmedizin, wie es sie in Zürich, Basel, Bern, Genf und Lausanne gibt. Aufgrund der Röntgenbilder geben dann die dortigen Ärzte und Ärztinnen an, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Asylsuchenden jünger oder älter als 18 sind. Das ganz genaue Alter lässt sich auch mit diesen Tests nicht bestimmen.

In Zukunft rechnet das Staatssekretariat für Migration mit 600 bis 700 derartiger Abklärungen und mit Kosten von rund 1,1 Millionen Franken pro Jahr. Bis jetzt war die Drei-Säulen-Methode vor allem im Testzentrum des Bundes in Zürich zur Anwendung gekommen. Dabei stellte sich heraus, dass rund 40 Prozent der Asylsuchenden, die vorgaben, minderjährig zu sein, in Tat und Wahrheit volljährig waren.

«Die Versuchsphase im Testbetrieb hat gezeigt, dass die Altersbestimmung nach dem Drei-Säulen-Modell zuverlässig und effizient dazu beiträgt, den Sachverhalt bei Zweifeln am geltend gemachten Alter zu klären», sagt Sprecher Lukas Rieder. Und Eva Scheurer, Professorin und Leiterin des Instituts für Rechtsmedizin Basel, erklärt: «Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Drei-Säulen-Methode die zurzeit beste Methode zur Altersschätzung von jungen Menschen.» Scheurer hat für das Staatssekretariat auch einen Expertenbericht verfasst.

Nichtsdestotrotz stösst die Anwendung der Drei-Säulen-Tests auf heftige Kritik. So sagt Peter Meier, Sprecher der Schweizer Flüchtlingshilfe: «Wir haben klare Zweifel daran, dass eine solche Abklärung kindgerecht und grundrechtskonform ist.» Es gebe andere Möglichkeiten, etwa entwicklungspsychologische Abklärungen durch Fachpersonen. «Aus Sicht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe muss im Zweifelsfall die Minderjährigkeit des Asylsuchenden angenommen und entsprechend das Kindswohl prioritär beachtet werden.» Ähnlich tönt es bei anderen Nichtregierungsorganisationen, etwa bei Amnesty International oder bei der Informations-Plattform humanrights.ch.

Allerdings haben Gerichte die Praxis des Staatssekretariats für Migration mehrmals als rechtmässig beurteilt, das letzte Mal in einem Entscheid am 8. August 2018. In diesem heisst es unter anderem: «Die durchgeführte Altersschätzung stellt ein starkes Indiz für die Volljährigkeit des Beschwerdeführers dar.»

Die meisten stammen aus Afghanistan
Im Flüchtlingsjahr 2015 stellten in der Schweiz rund 39 500 Personen ein Asylgesuch. 2700 von ihnen waren unbegleitete Minderjährige – ein Höchststand in den letzten Jahren (vgl. Grafik).

Im laufenden Jahr haben bis im Juli 244 unbegleitete jugendliche Asylsuchende ein Gesuch gestellt, wie das Staatssekretariat für Migration mitteilt. Rechnet man diese Zahl auf das ganze Jahr hoch, wären es für 2018 rund 420. Das entspricht den Jahresdurchschnittswerten vor dem Spitzenjahr 2015. Zurzeit sind 2,7 Prozent aller Asylsuchenden unbegleitete Minderjährige. 2015 waren es noch 6,9 Prozent gewesen.

Gegenwärtig stammen die meisten unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden aus Afghanistan (55 Gesuchsteller von Januar bis Juli 2018), Eritrea (46), Somalia (35), Syrien (15) und Marokko (14). Vor drei Jahren kamen allein aus Eritrea und Afghanistan mehr als 2000 Asylsuchende, die unter 18-jährig und allein auf der Flucht waren.
(luh.)
(https://nzzas.nzz.ch/schweiz/minderjaehrige-asylsuchende-im-zweifel-in-die-rechtsmedizin-ld.1420442)

+++EUROPA
EU-Flüchtlingspolitik:”Sich nur abzuschotten, das hilft nicht”
Die Flüchtlingspolitik der EU wird ein zentrales Thema des EU-Gipfels in Salzburg sein. Der Historiker Philipp Ther glaubt nicht, dass man in diesem Rahmen einen Konsens erreiche. Dafür gebe es innerhalb der EU zu viele Interessensgegensätze, sagte er im Dlf.
https://www.deutschlandfunk.de/eu-fluechtlingspolitik-sich-nur-abzuschotten-das-hilft-nicht.694.de.html?dram:article_id=428245

+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Sprayaktion gegen drei Polizeiposten
Tage in Bern verlangt nach Antworten. Eine von vielen Möglichen gaben wir am Samstag Abend in Form von drei angegriffenen Polizeiposten. Die Polizeiposten Ostermundigen, Köniz und Schwarzenburg wurden grossflächig zugesprayt und mit Parolen versehen.
https://barrikade.info/Sprayaktion-gegen-drei-Polizeiposten-1423

Stadt Bern blieben diesmal Unruhen erspart
Wegen einer Demonstration von christlich-konservativen Abtreibungsgegnern glichen Berns Strassen am Samstag einer Festung. Die Gegenseite provozierte, blieb aber friedlich.
https://www.20min.ch/schweiz/bern/story/Grosses-Polizeiaufgebot-schuetzt-in-Bern-25760888

«Es war richtig, nicht einzugreifen»
Trotz Gegendemo-Verbot sind gestern 800 Personen durch die Stadt Bern gezogen. Sicherheitsdirektor Reto Nause sagt, die Polizei habe verhältnismässig gehandelt.
https://www.derbund.ch/bern/stadt/es-war-richtig-nicht-einzugreifen/story/17500206
-> https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/lehrstueck-in-sachen-verhaeltnismaessigkeit/story/31882703

Liebe Freundinnen und Freunde der Reitschule

Auch wir möchten zur gestrigen Demo ein paar Worte verlieren.

Gestern bewegte sich eine bunte Menschenmasse durch halb Bern, um gegen den «Marsch fürs Läbe» zu demonstrieren. Das war ein toller Erfolg für alle Demonstrierenden – es gab keine Zwischenfälle. Mindestens 800 Menschen beteiligten sich am vielfältigen Protest.
Die Polizei marschierte mit einem bedrückenden Aufgebot an Kastenwagen, Gitterwagen, Wasserwerfern und Kolleg*innen aus anderen Kantonen auf, um den «Marsch fürs Läbe» abzuschirmen. Viele Menschen in Bern hatten Angst, dass die Polizei Gewalt anwenden würde.

Vor Ort konnten wir den Stadtpräsidenten, zwei Gemeinderät*innen und sogar den Regierungsrat und Oberbrandstifter P. Müller (in trendiger Stone-Island-Jacke) entdecken. Interessant ist auch, wie Sicherheitsdirektor Reto Nause seinen Nachmittagsspaziergang in der «Bernerzeitung» analysierte: Die Polizei habe mit ihrem toleranten Verhalten den Beweis geliefert, dass sie «in der Lage sei, angemessen zu reagieren und verhältnismässig vorzugehen». Indirekt gibt Nause damit zu, dass die Polizei dazu nicht immer in der Lage ist.

Das zeigt, dass die Kritik von uns, Parteien, Parlamentarier*innen und teilweise auch Medien erste – wenn auch kleine – Früchte trägt. Die KaPo wird nun auch in Regierungskreisen kritischer gesehen, auch wenn diese das offenkundig nie zugeben würden. Das dürfte der Hauptgrund für das relativ zurückhaltende Verhalten der Polizei gewesen sein.

Leider kommen auch in Zukunft wieder Einsätze der KaPo ohne Beobachtung von hoher Seite auf uns zu. Die Verantwortung, das teilweise brutale und ungesetzliche Verhalten der KaPo zu dokumentieren, liegt nach wie vor bei jeder Einzelnen von uns!

Gerne möchten wir bei dieser Gelegenheit der Zeitung «Der Bund» nahelegen, etwas sorgfältiger zu berichten. «Der Bund» schrieb heute im Liveticker zum «Marsch fürs Läbe», die Mediengruppe der Reitschule hätte am 14. September in einer Mitteilung «versichert», dass «keine Aktionen auf der Schützenmatte» im Rahmen des Gegenprotestes geplant seien.
Eine entsprechende Antwort haben wir am Dienstag, 11. September – nicht etwa am Freitag – einem Bund-Journalisten per Mail zugestellt. Wir haben darin auch nichts «versichert», sondern auf unseren Kenntnisstand verwiesen. Die Reitschule war an der Organisation der sehr breiten Proteste gegen die christlichen Fundis nicht direkt beteiligt und konnte auch keine entsprechenden «Versicherungen» machen.

Wir gratulieren dem Organisationskomitee der Proteste zu dem vollen Erfolg und bedanken uns bei allen für das politische Engagement.

Eure Reitschule Bern
https://www.facebook.com/Reitschule/posts/10156335394250660

Kundgebung in Zürich: Über 100 Personen demonstrieren gegen Abtreibungsgegner
In Bern hat am Samstag der «Marsch fürs Läbe» stattgefunden, bei dem Abtreibungsgegner aus christlich-konservativen Kreisen mitliefen. Dagegen hat sich nicht nur in der Hauptstadt eine Gegendemo formiert, sondern am frühen Abend auch in Zürich.
https://www.blick.ch/news/schweiz/kundgebung-in-zuerich-ueber-100-personen-demonstrieren-gegen-abtreibungsgegner-id8860148.html
-> https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/unbewilligte-demonstration-im-kreis-4-und-5-133169651

+++SEXWORK
Übernehmen Hipster das Milieu?
14.09.2018    20:46   Angela Borner   Matthias Kempf
Das Basler Rotlichtviertel ist im Wandel. Während sich die einen über den Strassenstrich beklagen, sehen andere im Milieu eine Chance.
https://telebasel.ch/2018/09/14/uebernehmen-hipster-das-milieu/?channel=105100

Sonntagszeitung 16.09.2018

Der Männerstrich – Sexarbeit im Verborgenen

Ist die Rede von Prostitution, geht es stets um Frauen. Dabei ist die Schweiz für Stricher sehr lukrativ. Wie ergeht es Männern, die ihren Körper verkaufen?

Tina Huber

Tarek war der Mann, den die Männer wollten. Für ein paar Stunden, eine Nacht, für immer. Die Heiratsanträge lehnte er ab, nur sie. Tarek ist 40 Jahre alt und hat zehn Jahre seines Lebens als Escort gearbeitet, hat seinen muskulösen, makellosen Körper verkauft. Schon eine Weile sitzt er da, auf einem Holzstuhl, der unter ihm zum Stühlchen wird, und sagt, wie er ins Gewerbe rutschte, erzählt vom Russen und dem Lexus, dem kuwaitischen Prinz. Aber jetzt hat er auch eine Frage: «Können wir darüber sprechen, was es mit dir macht, wenn du mit Menschen schläfst, obwohl du es nicht willst?»

Es ist die Frage, die kaum jemand stellt, zumindest wenn es um Männer geht. Diesen Sommer forderte die Zürcher Frauenzentrale eine «Schweiz ohne Freier», die Kommentare waren heftig. Stets im Fokus: die Frauen. Unerwähnt blieb, dass sich auch Männer anbieten (und Frauen für Sex bezahlen). Doch die Frage, ob käuflicher Sex menschenwürdig ist, gilt auch für Männer, selbst wenn sie nicht ins Opferschema passen, schon gar nicht ein Berg von einem Mann wie Tarek.

«Männliche Prostitution ist ein noch grösseres Tabu»

Ist das Stigma des Strichers kleiner als jenes der Hure? Im Gegenteil, sagt Oliver Vrankovic: «Männliche Prostitution ist ein noch grösseres Tabu als weibliche.» Er leitet das Projekt Herrmann, ein Angebot des Checkpoint Zürich für Männer im Sexgewerbe. «Weibliche Prostituierte haben eine Lobby. Nebst Frauenverbänden solidarisieren sich viele Frauen aus der Bevölkerung. Männlichen Prostituierten fehlt dieser gesellschaftliche Rückhalt.» Sie hätten keine öffentliche Stimme – abgesehen von den Aids-Hilfen. Vrankovics Büro liegt wenige Schritte entfernt vom Zürcher Sihlquai, früher standen dort die Mädchen am Strassenrand.

Vor fünf Jahren hat die Stadt sie auf den Strichplatz umquartiert, für 2,4 Millionen Franken Steuergelder. Die Stricher – Vrankovic spricht von «Male Sexworkers» – können nirgends offiziell arbeiten, bestenfalls sind sie geduldet. Eine Studie im Auftrag des Bundes ging 2015 von jährlich bis zu 20’000 Frauen in der Schweiz aus, die zumindest zeitweise im Erotikgewerbe tätig sind. Der Schwulenstrich ist viel kleiner und nur in Zürich, Genf und Lausanne sichtbar. Während Vrankovic für Zürich von ungefähr 700 Sexarbeitern ausgeht, nennt die Fachstelle in Genf eine Schätzung von 200 Strichern.

Immer auf Viagra, oft auf Drogen

Vielleicht sind es auch sehr viel mehr. Denn männliche Prostitution findet im Verborgenen statt: Klassische Bordelle gibt es nicht, lediglich Schwulensaunas und einige Bars – etwa den Predigerhof im Zürcher Niederdorf –, wo Stricher toleriert werden. Darum werben viele auf Gay-Onlineportalen um die zahlungskräftige Schweizer Klientel. So wie Tarek, bis vor fünf Jahren, als er seinen letzte Freund kennenlernte.

Fragt man ihn nach seinem ersten Freier, erzählt er von einer durchaus angenehmen Begegnung. Tarek hat den Körper eines Türstehers und stammt aus dem Libanon, solide Mittelschicht. In Wahrheit heisst er anders. Sein erster Freier, das kam so: Während des Studiums in den USA wurde er auf der Strasse angesprochen. Er würde bestimmt einen guten Escort abgeben, sagte der Mann, ein Russe, ohne Sex von ihm zu wollen. Tarek zuckt die Schultern. «Na ja, ich sah halt gut aus.» Er ist einer jener Menschen, nach denen man sich umdreht, wenn sie einen Raum betreten, und er weiss das. Also probierte er es aus. Sein erster Freier war ein Mann um die 70, Harvard-Absolvent, holte ihn mit dem Lexus ab. «Soll ich in die Details gehen?» fragt Tarek. Bitte. Der Gentleman wünschte, dass Tarek sich auszog, stellte sich hinter ihn und rieb sich an ihm bis zum Höhepunkt. Dafür zahlte er 200 Dollar plus 50 Dollar Trinkgeld.

Tarek machte weiter, erst in den USA, später in Deutschland und der Schweiz. Er warb auf Gay-Websites, liess sich für 100 Dollar die Füsse lecken oder verbrachte für 1000 Dollar die Nacht beim Kunden. Sagte manchmal nein. Etwa, als ein Kunde wünschte, dass er ihm ein Stück Arm abbeisse. Oder jenen, das kam ab und zu vor, die auf ihn koten wollten. Seine Freier waren alleinstehende Männer, Familienväter, heimliche Schwule. Einmal habe ihn ein Prinz aus Kuwait Business Class nach Genf einfliegen lassen, 2000 Franken die Nacht, «er wollte gefickt werden». Immer war Tarek auf Viagra, oft auf Drogen. Weil viele Kunden eine Linie anboten und er es sonst oft nicht ausgehalten hätte.

Seine Familie – nur die Schwester weiss, dass er schwul ist – unterstützte ihn finanziell. Warum tat er es also, wenn nicht wegen des Geldes? «Es ging ums Ego, um Whiskey und Koks, um einen Lifestyle eben.» Wie zerstörend es ist, realisierte er nur langsam. Je länger er gegen Geld mit Fremden schlief, desto weniger Lust hatte er privat. «Zu viel Sex ruiniert den Sex», sagt Tarek. Er, der auswärts immer konnte, immer können musste, brachte zuhause keinen mehr hoch, behandelte seine Partner wie Klienten. Von all den Escorts, die er kenne, schaffe es nur eine Handvoll, über längere Zeit im Sexgewerbe zu arbeiten, ohne psychisch Schaden zu nehmen, sagt Tarek. Andere können nicht mehr ohne Drogen – neben Crystal, GBL, Ecstasy etc. sind auch Anabolika verbreitet –, sie schlafen nicht mehr, haben Depressionen.

Blowjobs ab 20 Franken

Dabei war Tarek privilegiert, konnte sich die Kunden auslesen. Er sagte sich, er tue es freiwillig. Nicht wie die Strichjungen, die Oliver Vrankovics Team in der Zürcher Altstadt besucht. Sie verkaufen sich des Geldes wegen, viele sind nicht homosexuell. «Junge Roma erzählen uns, dass sie zuhause Frau und Kinder haben», sagt Vrankovic. Der Zürcher Schwulenstrich folgt einem klaren Gefüge: Latinos werben online, Roma und Asiaten teilen sich Schwulensaunas und Bars auf. Die meisten kommen mit Touristenvisa und reisen nach ein paar Wochen weiter, nach Berlin, Amsterdam, Paris. Auch in Zürich drückt die Konkurrenz die Preise: Ein Blowjob ist heute schon ab 20 Franken zu haben.

Den klassischen Zuhälter gibt es auf dem Männerstrich nicht. Vrankovic sagt: «Oft gibt aber eine Art Stammesältester, ein Silberrücken, Infos weiter: wo man Zimmer und Kondome findet oder wie die Gesundheitsversorgung funktioniert.» Sind Stricher also weniger von Menschenhandel und Ausbeutung betroffen? Nur bedingt, sagt Vrankovic. Einerseits seien viele auf Zimmer zu Wucherpreisen angewiesen. Andererseits seien jene, die sich im Internet anbieten, zwar unabhängiger, ohne den Schutz der Community aber auch verletzlicher, etwa wenn ein Freier gewalttätig wird. Zudem ist in der Szene mittlerweile bekannt, dass sich die Zürcher Stadtpolizei – auch wenn sie dies nicht explizit bestätigen will – mit gefälschten Profilen auf Gaywebsites tummelt, um etwa Verstösse gegen das Ausländergesetz aufzudecken.

Die Socken verkaufen – macht 15 Franken

Auf einer dieser Websites, auf Planetromeo.ch, finden wir David. Sein Profilbild zeigt ihn nackt, von hinten. Er streicht gerade eine Dachschräge türkisblau. Das ist sein Geschäftsmodell: Handwerkerarbeiten ausführen. Und dabei nackt sein. David ist 28 und äusserlich das Gegenstück zu Tarek: schmächtige Brust, lange blonde Haare. Er hat eine Jugend in der süddeutschen Provinz und eine Malerlehre hinter sich. Vor ein paar Jahren fragte ihn ein Kunde, ob er die Wand auch nackt streichen würde, für 25 Euro. «Also hab ich den Gürtel geöffnet und die Hose fallen gelassen», sagt David. Seither macht er das regelmässig, irgendwo gibts immer eine Wand zu streichen.

In Deutschland lief das Geschäft gut, manchmal verdiente er 1500 Euro Sackgeld im Monat. Der Schweizer sei vorsichtiger, warte erst einmal ab. Davids Kunden sind eher gesetzte Herren, schwul oder hetero. Da gab es den Villenbesitzer nahe Zürich, der das ganze Haus neu streichen liess, oder den Herrn aus Luzern, der sich als Schriftsteller Herbert vorstellte und eine nackte Muse wünschte. Den ganzen Tag bewegte David sich frei im Haus, holte sich ab und zu einen Kaffee, das war dem Mann 300 Franken wert. Ein Kunde kaufte ihm die gebrauchten Socken ab, 15 Franken.

Die legale Vergewaltigung

Warum tut er das? David, der sich als bisexuell bezeichnet und meist Beziehungen zu Frauen hat, zuckt die Schultern. «Weil ich gerne nackt bin, das fühlt sich so frei an.» FKK mag er auch. Keine Ahnung, woher das komme, von zuhause nicht, die Eltern seien ziemlich verklemmt. Fast immer fragen ihn die Kunden, ob ein bisschen mehr drinliege, fast immer lehnt er ab. Kein Sex, kein Blowjob. Warum? Er wisse, sagt David, dass er psychisch nicht stabil genug sei, um als «echter» Escort zu arbeiten. «Es würde mich kaputt machen.» Er will den Drogen fernbleiben – und er ist gewarnt durch Bekannte aus dem Milieu, die ähnlich wie Tarek mit den Spätfolgen hadern.

Tarek, heute in der Sozialen Arbeit tätig, meldet sich einen Tag nach dem Treffen per SMS: Vielleicht beginne käuflicher Sex schon beim Sugar Daddy mit seinem Trophy Boy und ende bei der Vergewaltigung, denn als das könne man Prostitution auch sehen: als legale Vergewaltigung. Er sagt: «Sex ist eine wunderbare Sache, die nicht mit Geld beschmutzt werden sollte.» Mit seinem letzten Freier ist er heute gut befreundet. Es soll sein allerletzter Freier bleiben.
(https://www.derbund.ch/sonntagszeitung/die-schattenmaenner/story/22875729)

+++MENSCHENRECHTE
Zum Beispiel der Fall Glor. Warum auch die Schweiz den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte braucht
Mit der sogenannten „Selbstbestimmungsinitiative“ will die SVP den grundsätzlichen Vorrang des nationalen Rechts vor dem Völkerrecht festschreiben. Doch auch die Menschen in der Schweiz brauchen den Schutz von Menschenrechtskonvention und Menschenrechtsgerichtshof. Ein neues Buch zeigt Beispiele wie dieses.
https://geschichtedergegenwart.ch/zum-beispiel-der-fall-glor-warum-auch-die-schweiz-den-europaeischen-gerichtshof-fuer-menschenrechte-braucht/

+++KNAST
Kapazitätsmonitoring Freiheitsentzug 2017
Die Fachgruppe “Kapazitätsmonitoring Freiheitsentzug” hat ihren dritten Bericht veröffentlicht. Der vorliegende Bericht der Fachgruppe liefert Ergebnisse zur Belegung und zum Bedarf an Plätzen für die Untersuchungshaft, für den offenen und geschlossenen Strafvollzug sowie für die ausländerrechtliche Administrativhaft.
https://www.kkjpd.ch/newsreader/kapazitaetsmonitoring-freiheitsentzug-2017.html
-> Bericht Kapazitaetsmonitoring 2017 de.pdf (1,2 MiB): https://www.kkjpd.ch/newsreader/kapazitaetsmonitoring-freiheitsentzug-2017.html?file=files/Dokumente/Themen/Strafvollzug/Bericht%20Kapazitaetsmonitoring%202017%20de.pdf

+++BIG BROTHER
Gesichtserkennung: Super Recogniser sollen Polizei künftig bei der Fahndung helfen
Sie identifizieren Gesichter verlässlicher als jede Software: Menschen mit dieser Fähigkeit werden beim Oktoberfest zum Einsatz kommen.
https://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/gesichtserkennung-super-recogniser-sollen-polizei-kuenftig-bei-der-fahndung-helfen/23072626.html

+++POLIZEI BS
So arbeitet die Community Polizei im Kleinbasel
Community Polizisten sollen das freundliche Gesicht der Basler Polizei sein. Schönwetterpolizisten sind sie deswegen noch lange nicht. Im Gegenteil: Sie kommen oft dann, wenn das Wetter schon schlecht ist. Ein Einblick in ihren Alltag.
https://tageswoche.ch/form/reportage/so-arbeitet-die-community-polizei-im-kleinbasel/

Betrunkener schreit: «Polizeigewalt»: Wüste Szenen bei Festnahme in Basel
BASEL-STADT – Bei einer Verhaftung in Basel kam es in der Nacht auf Sonntag zu wüsten Szenen. Fünf Beamte mussten einen Betrunkenen zu Boden zwingen, während dieser schrie, dass er Schmerzen habe. Die Polizei hält den Einsatz dennoch für verhältnismässig.
https://www.blick.ch/news/schweiz/basel/betrunkener-schreit-polizeigewalt-wueste-szenen-bei-festnahme-in-basel-id8861867.html

+++ANTIFA
SVP PROTESTIERT MIT GIPFELI
Mit Cervelats wollten sie gegen die Wanderung des Islamischen Zentralrats auf die Elsigenalp demonstrieren. Statt Cervelats gab es jedoch Gipfeli.
https://www.telebaern.tv/118-show-news/27799-episode-sonntag-16-september-2018#svp-protestiert-mit-gipfeli

Gipfeli statt Cervelats
Frutigen – Der Islamische Zentralrat Schweiz lud zur Wanderung rund um das Frutiger Elsighorn. Die rund dreissig Personen wurden von der Jungen SVP mit Gipfeli – anstelle der ursprünglich geplanten Cervelats – in Empfang genommen.
https://www.bernerzeitung.ch/region/oberland/gipfeli-statt-cervelats/story/12157966

SVP und Pnos empfangen wandernde Muslime
Das Oberländer Dorf Frutigen hat einen aussergewöhnlichen Sonntagmorgen hinter sich: An der Talstation des Elsighorns trafen Muslime auf Rechte.
https://www.20min.ch/schweiz/bern/story/SVP-und-Pnos-stoert-sich-an-wandernden-Muslimen-11919423
-> Foto: https://twitter.com/Islamrat/status/1041281123672702976
-> Video: https://www.facebook.com/islamrat/videos/294658264463549/?notif_id=1537086834389341&notif_t=live_video_explicit