Medienspiegel 16. August 2018

+++BERN
derbund.ch 16.08.2018

Sie drängen darauf, Deutsch zu lernen

Die Familie Iqbali aus Afghanistan geflohen. Nach langer Reise leben sie in einem Zimmer in der Asyl­unterkunft in Aarwangen. Sie hoffen, in der Schweiz ein neues Daheim zu finden.

Calum MacKenzie

Vor der Tür zum Zimmer der Iqbalis hängt ein helles orangefarbenes Tuch. Vater Fahim zieht seine Schuhe aus, schiebt das Tuch beiseite und öffnet die Tür. «Welcome», sagt er. Hier, auf diesen vier mal vier Metern, ist seine fünfköpfige Familie zu Hause. In der Mitte des Raums steht strahlend die Mutter Hassina; auf dem Arm hält sie den jüngsten Sohn Sina. Seine Schwester Somaya und Bruder Sohayl sitzen unruhig auf dem Bett. Die Iqbalis mögen es hier, und sie freuen sich da zu sein, auch wenn sie dies unfreiwillig tun.

Die Iqbalis wohnen in der Kollektivunterkunft Aarwangen, wo Flüchtlinge, Menschen in laufenden Asylverfahren und Nothilfebezüger unter der Leitung der Heilsarmee untergebracht sind. Die Familie stammt aus Kabul, der Hauptstadt Afghanistans. Fahim Iqbali war der Rektor einer Schule, Hassina Iqbali unterrichtete Dari, Afghanistans Lingua franca. Sie hatten ein Haus und ein Auto. Doch ihre Welt geriet aus den Fugen. Die Taliban begingen Anschläge und Entführungen, 2015 kam zu dieser Bedrohung diejenige des Islamischen Staates hinzu. «Nachts gab es immer Schiessereien und Explosionen», sagt der Vater. Sie sahen sich gezwungen, das Land zu verlassen. «Es war zu gefährlich.»

Von der Türkei gelangten Fahim, Hassina, Somaya und Sohayl über den Seeweg nach Griechenland, wo sie mehrere Monate in einem Flüchtlingslager verbrachten. «Es war heiss, und es kamen Schlangen in unser Zelt», sagt Hassina Iqbali. Zu Fuss zogen sie weiter, und nach einer Zeit in einem zweiten Lager in Ungarn, wo Sina zur Welt kam, erreichten sie im Januar die Schweiz. Die Reise hatte zwei Jahre gedauert.

So kam es, dass die Familie Iqbali nun in diesem kleinen Fleck Oberaargau heimisch wurde. Im Bett auf einem Alugestell schlafen die Eltern mit dem neun Monate alten Sina, in einer Krippe in der Ecke schläft der vierjährige Sohayl, Somaya, die sechs ist, legt sich auf das kleine Sofa. Ein Tischchen mit einem Wasserkocher und zwei Spinde vervollständigen die Möblierung.

Teppich aus dem Brockenhaus

Hassina Iqbali serviert Tee und Nüsschen. «In Afghanistan würden wir mehr anbieten», sagt sie entschuldigend. «Dort macht man für Gäste alles.» Ein weinroter orientalischer Teppich am Boden erinnert an das Herkunftsland. «Den haben wir aus einem Brockenhaus in der Nähe», sagt sie. Er sei zwar nicht aus Afghanistan, sei aber ähnlich wie die Teppiche, die sie in ihrem Haus in Kabul hatten. Ein paar andere Dekorationen hätten sie von der Heilsarmee erhalten, um den Raum etwas gemütlicher zu machen. Es hängen Plüschtiere und ein paar Bilder an der Wand, ebenso ein Foto von Somaya an ihrem sechsten Geburtstag.

Die KU Aarwangen war einst ein Knabenheim, und so veraltet wie dieser Begriff klingt, sind auch viele der Einrichtungen im Gebäude: Von den Rollläden blättert die graue Farbe ab; die Gänge sind dunkel und kühl. Das Zimmer der Iqbalis ist eng, in der Schweiz haben fünfköpfige Familien meistens beträchtlich mehr Bewegungsraum. Der Vater sieht aber das Positive: «Es ist schön, dass die ganze Familie so nahe beieinander lebt.» Am Tischchen würden sie immer gemeinsam essen.

Ein paar Türen weiter befindet sich die Gemeinschaftsküche, die sich etwa zwanzig Bewohner teilen. «Am Mittag muss man lange anstehen, um die Küche zu benutzen», sagt die Mutter. Deswegen koche sie das Essen oft schon um 10 Uhr. Meistens gebe es Spaghetti oder Reis, manchmal aber auch afghanische Speisen. «Ab und zu mache ich Qabuli Pulau», sagt sie. Um das Reisgericht mit Fleisch, Rosinen, Karotten und Pistazien zuzubereiten, müsse sie jedoch von einer anderen Familie einen Dampfkochtopf ausleihen.

Sprache öffnet Türen

Die Schweiz hätten sie vor der Ankunft nicht wirklich gekannt, sagen die Eltern. «Wir wussten nur, dass es hier sicher ist und dass die Gesetze streng sind», sagt Fahim Iqbali. Was ihnen aber jetzt vertraut ist, mögen sie: In Aarwangen fühlen sie sich wohl, gerne gehen sie mit den Kindern in den Park oder der Aare entlang spazieren. «Die Menschen sind sehr lieb zu uns, die Landschaft ist wunderschön.» Es brauche aber noch Zeit, bis man sich an das neue Land gewöhnt habe. Als Lehrer kennen die beiden die Wichtigkeit von Sprachkenntnissen. Nun müssen sie selbst zu Schülern werden. «Erst, wenn wir Deutsch können, können wir da richtig zu Hause sein», sagt Fahim Iqbali.

Die Eltern beneiden ihre Kinder. «Wenn man klein ist, geht das viel schneller», sagt der Vater. «Somaya und Sohayl sprechen mit den anderen Kindern in der Unterkunft nur Deutsch.» Ein Satz, den er bereits gelernt hat, lautet: «Kommt ihr spielen?» Es ist die Frage, die seine Sprösslinge jeden Abend an der Zimmertür hören. Doch Fahim und Hassina Iqbali wünschen sich grössere Fortschritte – deswegen besuchen sie gleich zwei Sprachkurse. «Mit zwei Lehrern und zwei Lehrbüchern ist es etwas kompliziert», sagt er. Bei Einkäufen im Denner versuchten sie, die gelernten Sätze anzuwenden. Doch das Englisch, mit dem sie sich in Europa durchgeschlagen haben, ist vom Segen zum Fluch geworden. «Hier in der Schweiz können alle Englisch», sagt sie. «Wenn die Leute hören, dass ich Englisch spreche, reden sie kein Deutsch mehr mit mir.»

Entschlossen, hier neu anzufangen

Die Iqbalis haben ihr kleines Refugium im Kanton Bern und die Umstände, die sie hierhin geführt haben, nicht ausgewählt. Zudem ist ihre Zukunft alles andere als gewiss. Ob sie in der Schweiz bleiben dürfen, ist genauso unklar wie der Zeitpunkt des Entscheids darüber. Trotz allem sind sie fest entschlossen, in Aarwangen mit dem Wiederaufbau ihres Lebens zu beginnen.

Fahim Iqbali meint, dass dies schrittweise passieren wird. «Kann man Deutsch, ist es viel einfacher, eine Arbeit zu bekommen.» Weil er noch in einem laufenden Asylverfahren und deswegen im Arbeitsmarkt zuhinterst in der Reihe steht, macht er bei der Reinigung der KU mit. Diese Aufgabe helfe, die Zeit zu vertreiben. «Einfach im Zimmer zu sitzen und nichts zu tun, ist langweilig.» Der Umbruch in seinem Leben hat ihm viel Anpassungsfähigkeit abverlangt. «Ja, in Kabul war ich Rektor, und hier putze ich Toiletten», sagt er. «Das ist aber unwichtig. Das Wichtigste ist, dass meine Frau und meine Kinder hier sicher sind.»

Der Lehrer scheint bei ihm immer noch durch. Auch diesen Teil seines alten Lebens will er in der neuen Heimat beibehalten. Nächstes Jahr wird Somaya im Schulalter sein. «Ich freue mich darauf, ihr mit Matheaufgaben zu helfen.»

37 Franken für eine Familie

Das längliche Gebäude in der Nähe des Aarwangener Schlosses wird seit 1989 von der Heilsarmee als Kollektivunterkunft (KU) genutzt. Sie hat eine maximale Kapazität von etwa 180 Personen, momentan leben dort knapp 150 Menschen. Das Gebäude verfügt über 56 Bewohnerzimmer unterschiedlicher Grössen, über sieben Gemeinschaftsküchen sowie weitere Räume wie Nähatelier, Wasch­küche und Kinderspielraum.

Eine fünfköpfige Familie, die in einer Kollektivunterkunft wohnt, erhält vom Kanton Bern 37.50 Franken pro Tag, also etwas über 7 Franken pro Person und Tag. Durch die Teilnahme am KU-internen Putzprogramm können noch zusätzliche 3 Franken pro Tag verdient werden. (mck)
(https://www.derbund.ch/sie-draengen-darauf-deutsch-zu-lernen/story/17066098)

+++SCHWEIZ
Das Mädchen von der Babyfarm
In den 1980er Jahren wurden 700 Kinder aus Sri Lanka in die Schweiz adoptiert. Viele dieser Kinder wurden gestohlen, ihre Papiere gefälscht. Von Babyfarmen und Menschenhandel ist die Rede. Sakuntala Kavitha Küttel ist eines dieser Kinder. Heute ist sie erwachsen und hat eine Million Fragen. Ein Porträt.
https://www.watson.ch/!909373490

+++ÖSTERREICH
Zurückweisungen an der Grenze: Endstation Salzburger Bahnhof
Die Regierung wäre fast über einen Streit über Zurückweisungen zerbrochen. Doch in Österreich weisen deutsche Beamte längst Flüchtlinge ab.
http://taz.de/Zurueckweisungen-an-der-Grenze/!5525353/

+++MITTELMEER
Aquarius auf Malta eingetroffen
Die Aquarius ist in den Hafen der maltesischen Hauptstadt Valletta eingelaufen. Ärzte ohne Grenzen ist erleichtert, dass ein sicherer Ort für 141 schutzbedürftigen Menschen gefunden wurde, die am Freitag auf dem Mittelmeer gerettet wurden. Wir begrüßen die Nachricht, dass Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Portugal und Spanien ebenfalls die Verantwortung für eine koordinierte europäische Antwort übernehmen.
https://www.aerzte-ohne-grenzen.at/article/aquarius-auf-malta-eingetroffen

+++FREIRÄUME
Alternative Kultur in Geldnot
Sowohl die Heitere Fahne als auch der Zirkus Chnopf bekunden Finanzierungsprobleme.
https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/alternative-kultur-in-geldnot/story/29517262

+++REPRESSION DE/G-20
G20-Ausschuss: Zu uneinig für Abschlussbericht
Nach knapp einem Jahr, 15 Sitzungen, der Befragung von 24 sogenannte Auskunftspersonen und Dutzender Senatsvertreter hat der G20-Sonderausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft am Donnerstagabend seine Arbeit beendet – allerdings ohne einen gemeinsamen Abschlussbericht vorzulegen, wie es bei Untersuchungsausschüssen eigentlich üblich ist.
https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/G20-Ausschuss-Zu-uneinig-fuer-Abschlussbericht-,sonderausschuss140.html

Ende des G20-Sonderausschusses: Ein Jahr nach G20 ist nichts ist klar
Am Donnerstag hat der G20-Sonderausschuss zum letzten Mal getagt. Die Bilanz soll erst Ende September folgen, aber das vorläufige Fazit ist bereits ernüchternd.
http://taz.de/Ende-des-G20-Sonderausschusses/!5525262/
-> https://www.mdr.de/sachsen/leipzig/leipzig-leipzig-land/neonazi-prozess-leipzig-beginnt-100.html
-> https://www.zdf.de/nachrichten/heute/interview-angriff-in-leipzig-connewitz-fusst-auf-gut-organisierten-netzwerken-100.html
-> https://www.neues-deutschland.de/artikel/1097561.naziangriff-auf-connewitz-attacke-auf-leere-festung.html
-> http://www.spiegel.de/panorama/justiz/leipzig-connewitz-prozessmarathon-wegen-rechter-krawalle-beginnt-a-1223436.html#ref=rss
-> https://www.zdf.de/nachrichten/heute/connewitz-nach-neonazi-krawallen-erste-angeklagte-vor-gericht-100.html

+++AUSLÄNDER_INNEN-RECHT
EU knöpft sich Ausschaffungs-Initiative vor: Schweiz soll EU-Bürger nicht mehr abschieben dürfen
Der Schweizer Lohnschutz steht einer Einigung mit Brüssel im Weg. Doch nun zeigt sich: Es gibt noch einen viel grösseren Stolperstein. Ein Rahmenabkommen würde die Umsetzung der Ausschaffungs-Initiative rückgängig machen.
https://www.blick.ch/news/politik/eu-knoepft-sich-ausschaffungs-initiative-vor-schweiz-soll-eu-buerger-nicht-mehr-abschieben-duerfen-id8729997.html?utm_source=twitter&utm_medium=social_page&utm_campaign=bli

+++GRENZWACHTKORPS
Ein weiterer Rückschlag für die Region
Ständeratskommission ist gegen eine Aufstockung des Korps. Damit droht ein weiterer Anlauf zu scheitern.
https://www.basellandschaftlichezeitung.ch/basel/basel-stadt/ein-weiterer-rueckschlag-fuer-die-region-132932782

+++ANTIRA
«Der Knochen in den Haaren ist herablassend»
Die Logos der Clique Negro Rhygass und Mohrekopf-Gugge werden als rassistisch kritisiert. Die Basler Fasnächtler hingegen planen einen Solidaritäts-Marsch am Freitag.
https://www.20min.ch/schweiz/basel/story/Tradition-entschuldigt-nicht-alles-26027986

Comité-Obfrau Pia Inderbitzin: «Niemand hat im Sinn, rassistisches Gedankengut weiterzugeben»
Die am Mittwoch entbrannte Debatte über die Namensgebung von Guggen im Zusammenhang mit Rassismus liess die Basler Fasnachtsszene toben. Das Fasnachts-Comité bezieht Stellung.
https://www.basellandschaftlichezeitung.ch/basel/basel-stadt/comit-obfrau-pia-inderbitzin-niemand-hat-im-sinn-rassistisches-gedankengut-weiterzugeben-132931744

Ein «Riesen-Gugus»: -minu verteidigt Negro Rhygass
Die Rassismus-Vorwürfe an die Adresse der Guggenmusik «Negro Rhygass» seien absurd und hochgekocht, sagt der Kolumnist -minu.
https://telebasel.ch/2018/08/16/ein-riesen-gugus-minu-verteidigt-negro-rhygass/?utm_source=lead&utm_medium=carousel&utm_campaign=pos%200
-> https://www.nau.ch/politik/regional/2018/08/16/negro-rhygass-aus-basel-ist-das-logo-rassistisch-65396986

Negro Rhygass: Georg Kreis plädiert für mehr Gelassenheit
Die Basler Gugge «Negro Rhygass» steht wegen Rassismus-Vorwürfen in der Kritik. Ex-Rassismus-Kommission-Mitglied Georg Kreis bezieht Stellung.
https://www.nau.ch/nachrichten/schweiz/2018/08/16/negro-rhygass-georg-kreis-pladiert-fur-mehr-gelassenheit-65397718

Fasnächtler wollen für die Negro Rhygass marschieren
Der Fall Negro Rhygass zieht seine Kreise: Auf Facebook wurde für Freitag ein Solidaritätsmarsch angekündigt, der auf grossen Zulauf stösst.
https://telebasel.ch/2018/08/16/fasnaechtler-wollen-fuer-die-negro-rhygass-marschieren

Rassismusdebatte erreicht Fasnacht
Die Basler Traditionsgugge Negro Rhygass diskutiert im Verein über eine Namensänderung.
https://bazonline.ch/basel/stadt/rassismusdebatte-erreicht-fasnacht/story/26617683
-> https://www.nzz.ch/schweiz/weshalb-der-rassismus-vorwurf-an-die-basler-fasnacht-ins-leere-zielt-ld.1412145
-> https://www.nau.ch/politik/regional/2018/08/16/negro-rhygass-aus-basel-ist-das-logo-rassistisch-65396986
-> https://www.srf.ch/news/regional/basel-baselland/rassismus-debatte-basler-guggenmusik-negro-rhygass-im-auge-eines-shitstorms

«Das Fasnachts-Comité ist keine Zensurbehörde»
Fasnächtler erkennen in den Namen der Negro Rhygass und Mohrenkopf-Gugge nichts Rassistisches. Auf Facebook ernten diese Beifall und das Comité hält sich vornehm zurück.
https://www.20min.ch/schweiz/basel/story/Solidaritaetswelle-fuer-Negro-und-Mohrekopf-Gugge-14033845

«Gewalt kommt oft von männlichen Migranten»
Bei Gewalt an Frauen gelten Männer mit Migrationshintergrund häufiger als Täter. Das sagt eine Statistik – doch die Zahlen sind zu relativieren.
https://www.20min.ch/schweiz/news/story/Migranten-werden-haeufiger-an-den-Pranger-gestellt-31619615
-> Blick-Talk (ab 04:02): https://www.blick.ch/news/politik/heute-um-12-uhr-blick-talk-zu-gewalt-gegen-frauen-id8731280.html
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/gewalt-gegen-frauen-im-ausgang-die-sitten-sind-rauer-geworden-auch-kulturell-bedingt

+++PATRIARCHAT
Radikale Christen predigen gegen Homosexualität
Fundamentalistische Christen, die kürzlich in Valencia eine Massenpanik auslösten, sind nun auch in der Schweiz unterwegs.
https://www.20min.ch/schweiz/news/story/Radikale-Christen-predigen-gegen-Homosexualitaet-16006184