Medienspiegel 19. Februar 2023

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+++BASELLAND
Frau aus Wenslingen kämpft für Flüchtlingsfamilie
https://telebasel.ch/telebasel-news/?channel=15881


+++SCHWEIZ
Sonntagszeitung 19.02.2023

Illegale Migration: Grenzschützer verzeichnen Rekord – Italien verhängt Rücknahme-Stopp

Die Behörden verzeichnen seit Anfang 2023 fast doppelt so viele illegale Aufenthalte wie vor einem Jahr. Italien nimmt die Asylsuchenden nicht mehr zurück.

Cyrill Pinto, Mischa Aebi

Basel, Badischer Bahnhof, Mittwochnachmittag: Deutsche Grenzbeamte postieren sich auf Gleis 4, wo in wenigen Minuten der ICE aus Chur einfährt und dann weiter nach Hamburg rollt. Im Zug, der in Sargans und Zürich hält, sitzen oft Geflüchtete, die aus Österreich illegal in die Schweiz einreisen. Ihr Ziel: Deutschland, Frankreich oder England – dort wollen sie ein Asylgesuch einreichen. Die deutschen Beamten kontrollieren zurzeit jeden Zug. Illegale Migranten werden konsequent zurückgewiesen.

Gleichzeitig an der Südgrenze in Chiasso TI. Hier kontrollieren Schweizer Beamte die Züge, die aus dem Nachbarort Como einfahren. Doch im Unterschied zur Grenze im Norden können die Grenzbeamten die meist jungen Männer nicht nach Italien zurückschicken. Denn Italien hat einen Aufnahmestopp verhängt. Die illegal Eingereisten erhalten deshalb von den Schweizer Behörden lediglich eine Wegweisungsverfügung. Gemäss diesem Papier müssen sie innert 30 Tagen zurück ins Herkunftsland oder aber den Schengen-Raum verlassen. Nur wer sich nicht daran hält und von der Polizei angehalten wird, kann ausgeschafft werden.
In Italien gilt zurzeit ein Aufnahmestopp

Doch selbst dieses Mittel können die Behörden zurzeit nicht anwenden, wie Samuel Wyss vom Staatssekretariat für Migration (SEM) sagt: «Italien hat den Vollzug der Überstellungen ausgesetzt.» Generell gilt in Italien wegen fehlender Kapazitäten ein Aufnahmestopp von Asylsuchenden, wie Wyss bestätigt. «Die Schweiz und die EU sind in Kontakt mit den italienischen Behörden. Wann der Aufnahmestopp aufgehoben wird, ist momentan nicht bekannt.»

Ein kurzzeitiger Stopp sei für die Schweiz verkraftbar, da die betreffenden Personen nachträglich überstellt werden könnten, heisst es beim SEM. Doch die Frist für die Überstellungen läuft nach sechs Monaten ab. Italien müsste den Aufnahmestopp also bald wieder aufheben, damit die illegalen Migranten wieder dahin überstellt werden könnten.

Aktuelle Zahlen des Bundesamts für Zoll und Grenzsicherheit BAZG zeigen: Nach einer deutlichen Zunahme 2022 blieb auch im Januar der Migrationsdruck an der Grenze hoch. So verzeichneten Grenzwächter in den ersten vier Wochen des Jahres 4602 illegale Aufenthalte – im Januar des Vorjahres waren es nur knapp halb so viele und 2021 nur deren 1263. «Die hohe Zahl ist vor allem auf irreguläre Grenzübertritte über die Südgrenze im Tessin sowie auch über die Ostgrenze zurückzuführen», sagt BAZG-Sprecher Simon Erny.

Die rechtswidrig eingereisten Migranten seien hauptsächlich afghanischer oder marokkanischer Nationalität – und sie reisten per Zug in die Schweiz. Für Geflüchtete aus der Ukraine gilt automatisch der Status S. Deshalb tauchen sie in den Statistiken zur illegalen Migration nicht auf.

SEM rechnet 2023 mit einer weiteren Zunahme

Noch verfüge das BAZG zurzeit über genügend Ressourcen, um auch bei den aktuell hohen Zahlen seine Aufgaben erfüllen zu können, sagt Erny. Man tausche sich regelmässig mit den in- und ausländischen Partnerbehörden intensiv aus, insbesondere mit dem SEM. Tatsächlich blickt man beim SEM mit Sorge auf die aktuelle Lage. Denn im Schatten des Krieges in der Ukraine nahm im vergangenen Jahr auch die Zahl der Geflüchteten aus anderen Ländern deutlich zu: Im Vergleich zum Vorjahr verzeichneten die Behörden ein Plus von 60 Prozent. Beim SEM erklärt man sich die Zunahme damit, dass nach dem Ende der Pandemie Reisen generell wieder einfacher seien.

Hinzu kämen eine schwächere Wirtschaft und gleichzeitig höhere Preise wegen des Ukraine-Krieges. Dies habe die Situation zusätzlich verschärft und «erhöhte den Abwanderungsdruck». Insbesondere die Türkei habe im letzten Jahr den Druck auf die dort lebenden 3,5 Millionen Syrer und rund 300’000 Afghanen erhöht. «Das hat im Verlauf des Sommers 2022 zu einer deutlichen Zunahme der Migration in Richtung Europa geführt», heisst es beim SEM. Zuletzt verschlechterte auch das Beben im Süden des Landes die Lebensumstände erheblich.

Die Situation wird sich nicht so schnell entspannen: Für 2023 rechnen die Schweizer Behörden in ihrem wahrscheinlichsten Szenario mit 27’000 neuen Asylgesuchen – deutlich mehr als die 24’500 Gesuche des vergangenen Jahres.
(https://www.derbund.ch/grenzschuetzer-verzeichnen-rekord-italien-verhaengt-ruecknahme-stopp-589098659794)



Sonntagszeitung 19.02.2023

Flucht vor dem Krieg: Schweizer Schulen haben 18’000 ukrainische Kinder aufgenommen

Immer mehr Kinder und Jugendliche aus der Ukraine besuchen in der Schweiz den Unterricht. Die Schulen leisten Gewaltiges – die Flüchtlingskinder ebenfalls. Aber es gibt auch Probleme.

Nadja Pastega

Während in ihrem Heimatland seit einem Jahr Krieg herrscht, müssen sie sich in Schweizer Klassenzimmern zurechtfinden: 18’200 ukrainische Schulkinder im Alter von vier bis 15 Jahren leben seit der russischen Invasion in der Schweiz, wie Zahlen des Staatssekretariats für Migration SEM zeigen. Umgerechnet sind das über 700 Schulklassen. Alle diese Kinder und Jugendlichen werden, von Ausnahmen wie Homeschooling abgesehen, eingeschult. Denn in der Schweiz herrscht für diese Altersgruppen Schulpflicht.

Die ukrainischen Familien mit Schutzstatus S und schulpflichtigen Kindern sind unterschiedlich verteilt: Mit einem Anteil von 17 Prozent hat der Kanton Zürich am meisten aufgenommen, gefolgt von Bern (9,6 Prozent) und Waadt (9,6 Prozent). Am wenigsten gibt es im Kanton Appenzell Innerrhoden mit 0,2 Prozent.

Dani Kachel, Sekundarlehrer im zürcherischen Bassersdorf und Präsident des Zürcher Oberstufenverbands Sek ZH, hat einen ukrainischen Jugendlichen in seiner Klasse. Zu Beginn, sagt Kachel, sei er «am Berg» gestanden. «Ich kann kein Ukrainisch, und er kann weder Deutsch noch Englisch.»

Der junge Ukrainer ist an den Vormittagen in einer Aufnahmeklasse, um Deutsch zu lernen, am Nachmittag im normalen Unterricht. «Im Moment quasi besuchsweise, er ist oft am Handy, um zu übersetzen», sagt Kachel. «Aber man merkt, dass er sich Mühe gibt und allmählich Deutsch lernt.»

Auch bei Yasmine Bourgeois, Schulleiterin an einer Primarschule in Zürich, sitzen ukrainische Kinder im Unterricht. «Es gibt zu wenig Aufnahmeklassen, die dafür da wären, den Kindern zuerst die Sprache beizubringen. Und es gibt zu wenig Lehrpersonen, die Deutsch als Zweitsprache unterrichten», sagt Bourgeois. «Zum Teil kommen die Kinder deshalb direkt in die Regelklassen und können kein Wort Deutsch. Sie verstehen uns nicht, wir verstehen sie nicht. Aber das Engagement der Schulen, um diesen Kindern zu helfen, ist riesig.»

Viele ukrainische Kinder sind am Limit

Wie die Schulen die Integration von Tausenden von Kindern und Jugendlichen meistern, ist bisher wenig belegt. Jetzt wirft eine schweizweite Studie ein erstes Schlaglicht auf die Situation. Sie zeigt: Weil viele ukrainische Schülerinnen und Schüler so schnell wie möglich nach Hause wollen, gehen sie zwar hier zur Schule, büffeln aber parallel dazu den ukrainischen Lehrstoff – das steigert den schulischen Aufwand für diese Kinder erheblich.

«Rund 70 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen besuchen neben dem Unterricht in der Schweiz zusätzlich die Schule in der Ukraine und nehmen am dortigen Onlineunterricht mit ukrainischem Lehrpersonal teil. Sie besuchen also zwei Schulen gleichzeitig», sagt Studienautor Stephan Huber von der Pädagogischen Hochschule Zug. «Hinzu kommt der Sprachunterricht, den sie hier besuchen, und es gehört zum ukrainischen Schulsystem, viele Hausaufgaben zu geben – das führt zu hohen Belastungen. Nicht selten auch zu einer Überlastung.» Diese Kinder seien praktisch nonstop am Lernen. Alles andere wie Spiel, Sport und Kultur bleibe auf der Strecke.

Die Erhebung wurde im Rahmen des Schulbarometers durchgeführt, das Huber lanciert hat. Zwei Onlinebefragungen und weitere Interviews wurden dafür durchgeführt. Dort erzählten Schülerinnen und Schüler, wie es ihnen im Schweizer Unterricht ergeht: «Es ist einfach zu viel, jedes bisschen Freude bleibt auf der Strecke», sagen einige. Andere: «Wie soll ich hier Schule machen, wenn mein Papa im Krieg ist?»

Die ukrainischen Schulkinder wünschen sich Normalität

Neben der schweizweiten Erhebung gibt es eine kantonale Befragung aus Luzern. Diese zeigt detailliert die Stundentafel der Schulkinder aus der Ukraine. Demnach braucht jeder Vierte neben dem Unterricht in der Schweiz mehr als 15 Stunden für den Fernunterricht und Hausaufgaben. Fast die Hälfte gab an, dass sie vom Unterricht in den hiesigen Schulen befreit sein müssen, um an Prüfungen und Fernunterricht aus der Ukraine teilnehmen zu können.

Zwei Schulen gleichzeitig zu besuchen, kann auf Dauer niemand bewältigen. Die ukrainischen Kinder stehen damit quasi vor dem Zwang zu wählen: Schweizer Schulbetrieb oder Unterricht aus der Heimat? «Was jetzt passiert, ist, dass mehr und mehr ukrainische Kinder den Onlineunterricht stark reduzieren oder ganz streichen», sagt Huber. «Aber damit verlieren sie die Anschlussfähigkeit in der Ukraine.» Kehren sie zurück in die Heimat, haben sie wenig Chancen auf einen Schulabschluss.

Aber nicht nur das Büffeln hoch zwei, in der Schweiz und in der Ukraine, macht diesen Schülerinnen und Schülern zu schaffen. «Es ist nicht die Regel, aber es gibt Kinder, die traumatisiert sind, die Schreckliches erlebt haben», sagt Huber. «Da war kürzlich ein Kind, das mit Kollegen Fussball spielte. Als ein Rega-Helikopter über den Fussballplatz flog, warf sich der Junge auf den Boden, fing an zu schreien und zu weinen.»

Huber wollte bei seinen Befragungen auch wissen, was die ukrainischen Schulkinder lieber möchten: integrierten Unterricht in normalen Regelklassen oder Beschulung in separaten Flüchtlingsklassen. «Die Antworten waren meist ähnlich», sagt Huber. «Sie möchten einfach ein bisschen Normalität – und Kontakt mit Schweizer Kindern.»

Diesen Austausch hält Lehrer Dani Kachel ebenfalls für zentral, da auch auf diesem Weg die Sprache gelernt werden könne. Wie gut das Deutsch schon sitzt, sei unterschiedlich. «Einige Schülerinnen und Schüler sind topmotiviert», sagt Kachel. «Andere sind rückkehrorientiert – sie gehen jetzt in den Ferien sogar zwei Wochen nach Hause in die Ukraine.»
(https://www.derbund.ch/schweizer-schulen-haben-18000-ukrainische-kinder-aufgenommen-861980744084)
-> https://www.zentralplus.ch/beruf-bildung/ukraine-kinder-an-luzerner-schulen-bueffeln-doppelt-2521335/



Wie Sabine Haupt afghanische Autorinnen und Autoren in die Schweiz rettete: Das Fluchtnetzwerk der unbeugsamen Professorin
Dank ihr erhielten 43 Afghaninnen und Afghanen eine neue Heimat. Professorin Sabine Haupt rettete zusammen mit Schweizer Schriftstellerinnen und Schriftstellern bedrohte Literaten vor den Taliban.
https://www.blick.ch/gesellschaft/wie-sabine-haupt-afghanische-autorinnen-und-autoren-in-die-schweiz-rettete-das-fluchtnetzwerk-der-unbeugsamen-professorin-id18326355.html


+++GRIECHENLAND
Europäische Migrationspolitik – Längerer Zaun am Grenzfluss Evros geplant
Griechenland will mehr Migrierende daran hindern, nach Europa zu gelangen. Doch das Vorgehen ist nicht unumstritten.
https://www.srf.ch/news/international/europaeische-migrationspolitik-laengerer-zaun-am-grenzfluss-evros-geplant
-> https://www.nau.ch/news/europa/athen-will-zaun-an-turkei-grenze-fur-100-millionen-euro-verlangern-66426142


+++GASSE
Sonntagszeitung 19.02.2023

Nach brutalem Angriff am HB: Gewalt an Bahnhöfen nimmt auch ausserhalb Zürichs zu

Messerattacken, Sachbeschädigungen, Diebstähle: Der Zürcher Hauptbahnhof ist nicht der einzige Hotspot. Andernorts ist es ebenfalls gefährlicher geworden – insbesondere im Mittelland.

Adrian Schmid, Cyrill Pinto, Mischa Aebi

Man muss nur die Zeitungsmeldungen durchstöbern: Am Bahnhof Diessenhofen TG gab es am Donnerstag eine Messerattacke, ebenso Ende Januar beim Bahnhof SBB in Basel. In Grenchen SO wurde im September beim Südbahnhof ein Mann mit einem Messer schwer verletzt. Ende Dezember kam es auf dem Perron in Aarau zu einem Handgemenge zwischen einem Schweizer und zwei Eritreern. Beim Bahnhof Olten griff im November ein Afghane eine Afghanin an und verletzte sie schwer, es war wohl ein Beziehungsdelikt. Und im Januar forderte ein Streit in einer Unterführung einen Verletzten.

Diese Beispiele zeigen: Gewalt ist nicht nur in Zürich ein Problem, sondern auch an anderen Bahnhöfen. Am Zürcher Hauptbahnhof attackierte kürzlich ein Eritreer zwei Frauen. Beide wurden verletzt, eine schwer. Die Kantonspolizei teilte danach mit, dass es am HB in letzter Zeit «zu mehr Auseinandersetzungen gekommen ist». Sicherheitsdirektor Mario Fehr sagte in der NZZ, dass dies auch auf die verstärkten Migrationsbewegungen zurückzuführen sei.

Aarau, Olten, Grenchen sind alles Hotspots

«Tendenziell zunehmend störendes oder sogar deliktisches Verhalten» stellt auch die Kantonspolizei Solothurn fest, wie sie auf Anfrage schreibt – und zwar an den Bahnhöfen in Olten, Solothurn und Grenchen sowie auf der Regionalzugstrecke zwischen den drei Städten. Es geht dabei um Provokationen, Belästigungen, Sachbeschädigungen, Diebstähle und Gewaltdelikte. Im Januar habe man die Sicherheitslage mit der Transportpolizei analysiert. Dabei wurde ein «koordiniertes Vorgehen mit zusätzlichen Patrouillen vereinbart».

«Gewalt im öffentlichen Raum ist auch bei uns ein Thema», schreibt die Aargauer Kantonspolizei. Als Hotspots werden die Bahnhöfe Aarau und Brugg sowie an den Wochenenden die Innenstadt Baden genannt. Das seien beliebte Treffpunkte für Asylsuchende, Randständige und andere Gruppen. Sehr oft sei Alkohol im Spiel. «Daraus resultierende Auseinandersetzungen führen regelmässig zu polizeilichen Interventionen.» Die Fallzahlen bei Gewalt im öffentlichen Raum sind gemäss Aargauer Polizei «auf hohem Niveau stabil».

Mehr Diebstähle in St. Gallen

Im Kanton Basel-Landschaft gab es 2022 einen leichten Anstieg bei den Gewaltdelikten an Bahnhöfen. Die Zahlen bewegten sich jedoch für den ganzen Kanton im tiefen zweistelligen Bereich, teilt die Polizei mit. In St. Gallen hat die Kantonspolizei zwar keine Zunahme von Gewalttaten registriert. Sie schreibt aber: «Andere Delikte wie Ladendiebstähle oder Taschentrickdiebstähle stellen wir bei Bahnhöfen zunehmend fest.»

Probleme gibt es auch an den Bahnhöfen in Basel, Bern und Luzern. Allerdings haben die Kantonspolizeien dort zuletzt keine Zunahme der Gewalt erkennen können. Doch auch in Bern sind die jüngsten Vorkommnisse in Zürich Thema. Diese würden in den Lagebeurteilungen berücksichtigt und könnten «gegebenenfalls einen Einfluss auf unser Sicherheitsdispositiv haben», teilt die Kantonspolizei mit. Aus Luzern heisst es, dass beim Bahnhof und dessen Umgebung viele unterschiedliche Gruppen auf relativ engem Raum zusammenkämen. Das berge ein «gewisses Konfliktpotenzial» – und es komme deshalb auch zu mehr Delikten.

SBB wollen Transportpolizei nicht aufstocken

Eigentlich sind innerhalb der Bahnhöfe die SBB für die Sicherheit zuständig. Doch sie können gerade einmal auf knapp 220 Transportpolizisten zurückgreifen. «Die Kräfte der Transportpolizei reichen bei weitem nicht aus, um sämtliche Bedürfnisse abzudecken. Sie sind oft bei Grossanlässen wie Fussballmatches im Einsatz – und fehlen dann in Zügen und am Bahnhof», sagt Jürg Hurni von der Gewerkschaft des Verkehrspersonals (SEV). «Die Zahl der Grossanlässe hat zugenommen, gleichzeitig ist das Sicherheitsbedürfnis der Bahnnutzer und des Personals gestiegen.»

Handlungsbedarf sehen die SBB jedoch nicht: «Im Moment ist keine Aufstockung geplant. Die Transportpolizei überprüft in regelmässigen Abständen ihre Organisation und die benötigten Ressourcen», sagt Sprecher Daniele Pallecchi. Damit trotzdem uniformierte Kräfte präsent sind, setzen die SBB auf einen eigenen unbewaffneten Sicherheitsdienst – und auf die Unterstützung anderer Polizeikorps, wie Pallecchi sagt: «Die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen nationalen Behörden sowie den Kantons- und Stadtpolizeien und der Transportpolizei ist sehr gut.»
(https://www.derbund.ch/gewalt-an-bahnhoefen-nimmt-auch-ausserhalb-zuerichs-zu-280698611354)
-> https://www.32today.ch/aargau-solothurn/auch-aargau-und-solothurn-betroffen-gewalt-an-bahnhoefen-nimmt-landesweit-zu-150189152


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
WIR WERDEN NICHT RUHEN – ALLES WIRD BESETZT
COMMUNIQUÉE ZUR DEMO AM 18.02.2023 GEGEN DIE RÄUMUNG DER KOCH AREAL BESETZUNG
Zecken im Zentrum, wir bleiben alle, räumt nur weiter aber dann gibts Krawalle!
https://alleswirdbesetzt.ch/was-passiert/wir-werden-nicht-ruhen-alles-wird-besetzt/
-> https://www.stadt-zuerich.ch/pd/de/index/stadtpolizei_zuerich/medien/medienmitteilungen/2023/februar/zahlreiche_sachbeschaedigungennachunbewilligterdemonstration.html
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/sachbeschaedigungen-nach-demonstration-in-zuerich-00206027/
-> https://www.toponline.ch/news/schweiz/detail/news/polizei-nimmt-vier-personen-an-unbewilligter-demo-in-zuerich-fest-00206004/
-> https://tv.telezueri.ch/zuerinews/blinde-zerstoerungswut-demonstranten-mob-hinterlaesst-verwuestete-zuercher-innenstadt-150196719
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/groessere-sachschaeden-in-zuerich-rund-tausend-personen-haben-gegen-wohnungsnot-demonstriert



tagesanzeiger.ch 19.02.2023

Krawall nach Ende des Koch-Areals: «Unerträglich!» – nach eskalierter Demo kritisieren Bürgerliche fehlenden Schutz des Gewerbes

1000 Demonstrierende hinterlassen am Samstag in der Stadt eine Spur der Verwüstung. Die Polizei hat die Gewaltbereitschaft
Malte Aeberli, Jean-Marc Nia, Mario Stäuble

Der Besitzer eines kleinen Gewürzladens an der Zollstrasse in der Nähe des Hauptbahnhofs hatte Glück: «Ich kam gerade aus meinem kleinen Laden, als der Tross vorbeizog», schreibt er in einem Leserkommentar an diese Zeitung. «Ich spürte nur Frust, Aggression und Lust auf Gewalt. (…) Ich habe sie davon abgehalten, auch meine Schaufenster zu versprayen. Ich wurde beschimpft und bedroht.»

Von der Polizei habe er keine Unterstützung erhalten, erklärt der Ladenbesitzer.  Und: «Wir – die Kleingewerbler – sind keine Bonzen. (…) Wir leiden ebenso unter den hohen Geschäftsmieten wie die Demonstranten. Es scheint ihnen egal zu sein, wessen Existenz sie zerstören. Sie wüten einzig aus Frustration und Wut.»

Für andere Ladenbesitzerinnen und Gastronomen ging der Samstagabend weniger glimpflich aus. Ein Rundgang in den Kreisen 3 und 4 am Sonntagnachmittag zeigt: Mehrere Dutzend Fensterfronten sind zerstört oder verschmiert. Es traf Kleiderläden, Boutiquen, Schmuckhändler, Autogaragen, Wohngebäude, das Architekturforum Zürich, selbst die Bildschirme von VBZ-Billettautomaten. Hammer und Sichel prangen in grellem Rot auf dem Schaufenster eines Ladens des Zürcher Seifenherstellers Soeder. «Mir choched wiiter», hat jemand an die Fensterfront der Langstrassenboutique Longside gesprüht.
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Auch eine Filiale der Zürcher Kantonalbank hat deutlich Schaden genommen.
Der gewaltbereite Teil der Demonstranten hinterliess eine Spur aus Schmierereien – so wie hier an der Langstrasse.
Spätestens als der Demonstrationszug Richtung Langstrasse zog, eskalierte die Situation.
Der gewaltbereite Teil der Demonstranten hinterliess eine Spur aus Schmierereien – so wie hier an der Langstrasse.
Foto: Dominique Meienberg

Der letzte Satz ist eine Referenz auf das Motto der Demonstration vom Samstagabend, die zu dieser Zerstörung geführt hat. Nach dem Ende der langjährigen Besetzung des Koch-Areals an der Grenze von Albisrieden und Altstetten hatten Linksautonome auf den einschlägigen Plattformen für Samstagabend um 18 Uhr zu einer Demo aufgerufen.

Polizei: «Überrascht von der sinnlosen Gewalt»

Rund 1000 Demonstrantinnen und Demonstranten folgten dem Aufruf. Sie marschierten vom Landesmuseum via Zoll- und Langstrasse bis zur Fritschiwiese. Was gewaltfrei begann, endete in Gewaltausbrüchen und einer Spur der Verwüstung: Vermummte zündeten Pyrotechnik, warfen Scheiben ein, bewarfen Fassaden mit Farbe, schlugen Haltestellen kaputt und beschädigten ein Tram. Es kam zu vier Verhaftungen. Den Sachschaden konnte die Polizei am Sonntag noch nicht beziffern.

Zwar verhinderten die Polizeisperren, dass der Demonstrationszug in den Kreis 1 oder durch den Hauptbahnhof Richtung Europaallee zog. Allerdings waren während der Demonstration nur wenige Polizeikräfte zu sehen. Lediglich ein Streifenwagen fuhr dem Umzug voraus.

Daniela Brunner, Mediensprecherin der Stadtpolizei Zürich, sagte am Sonntag dieser Zeitung, die Polizei sei zwar mit einem grösseren Aufgebot vor Ort gewesen. Da die Demonstration zunächst friedlich verlaufen sei, habe man den Demonstrationszug gewähren lassen. «Aufgrund der letzten unbewilligten Demonstrationen im Kreis 4, die grösstenteils friedlich verlaufen waren, wurden wir von der Intensität und der sinnlosen Gewalt überrascht.»

«Schlicht nicht mehr Einsatzkräfte zur Verfügung»

Zur selben Zeit sei ein weiterer Einsatz im Gang gewesen. Auch dort war die Stadtpolizei mit einem grösseren Aufgebot vor Ort. «Es standen uns deshalb schlicht nicht mehr Einsatzkräfte zur Verfügung, die hätten eingreifen können. Zudem haben wir zurzeit eine angespannte personelle Situation und unsere Einsatzkräfte sind voll ausgelastet.»

Tatsächlich fand am selben Abend das Eishockeyspiel zwischen den Rapperswil-Jona Lakers und den ZSC Lions statt. Rund 200 Rapperswil-Fans marschierten vor dem Spiel vom Bahnhof Altstetten zum ZSC-Stadion. Dabei zündeten sie diverse Knall- und Rauchpetarden sowie Feuerwerk, wie die Stadtpolizei mitteilte. Nach dem Spiel mussten Polizisten mit einem kurzen Tränengas-Einsatz eine Konfrontation zwischen den gegnerischen Fanlagern verhindern.

Hat die Polizei die Gewaltbereitschaft der Eishockeyfans höher eingeschätzt als jene der Besetzerszene? Daniela Brunner wiederholt: «Wir sind tatsächlich ein bisschen vom Gewaltpotenzial der Demonstranten überrascht worden.» Es habe in der vergangenen Woche vieler Polizeieinsätze bedurft. Am Sonntag stand das Zürcher Derby zwischen GC und dem FCZ an. Auch dort sei die Stadtpolizei mit einem Grossaufgebot gefordert gewesen.

«Wo bleibt die linke Stadtregierung?»

Die politischen Reaktionen auf die Krawalle fallen auf bürgerlicher Seite harsch aus. «Unerträglich!» sei die Situation in der Stadt, sagt Stefan Brupbacher am Telefon. Der FDP-Vertreter war früher Generalsekretär von Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann, heute amtet er als Direktor des Maschinenindustrieverbands Swissmem.

Brupbacher, der in Unterstrass aufgewachsen ist und dort wohnt, postete am Samstagabend auf dem Kurznachrichtendienst Twitter einen Screenshot eines Pamphlets der Demonstrierenden, das mit «Hüser bsetze, Bonze schletze» übertitelt ist. «Das war in meinen Augen ein Aufruf zur Hetze», so Brupbacher. «Wo bleibt die linke Stadtregierung und Stadträtin Rykart im Kampf gegen Chaoten? Es kann nicht sein, dass die Stadt in einem Rechtsstaat die Bürgerinnen und Bürger nicht schützt!»

Ähnlich klingt es bei Stefan Urech, dessen Inbox sich am Sonntag mit wütenden Reaktionen der Parteibasis füllte. «Ich verstehe einfach nicht, dass Mitglieder einer selbst erklärten Arbeiterbewegung Kleingewerblern die Geschäfte kaputtmachen», so der SVP-Gemeinderat. Letztlich sei die Zerstörung vom Samstag das Ergebnis einer Laissez-faire-Politik gegenüber der Besetzerszene und dem schwarzen Block: «Die Stadt hat die immer mit Samthandschuhen angefasst statt durchzugreifen.»

Ihm täten die Polizistinnen und Polizisten an der Front leid, die lediglich ihren Job machten, sagt Urech: «Dieses Wochenende zeigt: Das Gewaltpotenzial ist da. Es braucht mehr Polizei.»

«Am Ende sind die Gewerbler die Leidtragenden»

Erhalten die Gewerbler die Schäden von der Versicherung erstattet? Das komme auf den Einzelfall an, sagt Nicole Barandun, Präsidentin des städtischen Gewerbeverbands und Co-Präsidentin der kantonalen Mitte-Partei. Zum Teil sei Vandalismus gedeckt, zum Teil vertraglich ausgeschlossen. Manchmal treffe es den Hauseigentümer, manchmal den Mieter. «So oder so gibt es jede Menge Arbeit, das aufzuräumen. Die Gewerbler sind am Ende die Leidtragenden.»

Auch Barandun wirft der Stadtregierung vor, die Koch-Besetzer zu wenig hart angefasst zu haben: «Und damit meine ich nicht nur Karin Rykart als Sicherheitsvorsteherin, sondern den Stadtrat als Gremium.» Mehrere Gewerbler hätten ihr zum Beispiel berichtet, dass Besetzer in der Gegend des Koch-Areals Material entwendet hätten. «Passiert ist nichts. Das wirkt auf die Betroffenen, die sich an die Gesetze halten, wie ein Hohn.»

Linke: «Absolut inakzeptabel»

Auf linker Seite zeigt man sich bestürzt über das Ausmass der Zerstörungen vom Samstag. «Wir verurteilen diese Gewalt, die Sachbeschädigungen sind absolut inakzeptabel», sagt Oliver Heimgartner. Die Forderung von bürgerlicher Seite, es brauche noch mehr städtische Polizisten, weist der städtische SP-Co-Präsident zurück. Die SP habe bereits einen Kompromiss mitgetragen, um den Personalbestand um 43 Stellen zu erhöhen. Mehr brauche es nicht: «Bei über 1500 Polizeistellen muss es die Ressourcen- und Einsatzplanung ermöglichen, solche Demonstrationen wie jene vom Samstagabend unter Kontrolle zu halten.»

Und die städtische Politik, Hausbesetzungen zu tolerieren, bis eine Baubewilligung vorliege, habe sich im Übrigen bewährt, so Heimgartner.

Selina Walgis pflichtet dem SP-Politiker bei. «Ich bin erschrocken, als ich gesehen habe, was alles zerstört worden ist», sagte die städtische Co-Fraktionschefin der Grünen. Auch wenn das Anliegen der Demonstrierenden inhaltlich richtig sei – es brauche mehr bezahlbare Wohnungen in der Stadt –, deren Vorgehen sei «kontraproduktiv». Und die Polizei? «Die hat am Samstag gemacht, was sie konnte.» Ob der Einsatz richtig geplant gewesen sei, müsse man nun aber aufarbeiten.
(https://www.tagesanzeiger.ch/unertraeglich-nach-eskalierter-demo-kritisieren-buergerliche-fehlenden-schutz-des-gewerbes-386320043451)


+++SPORT
Reizstoffeinsatz und Steinwürfe nach Eishockeyspiel in Zürich
Nach dem Eishockeyspiel zwischen den ZSC Lions und den Rapperswil-Jona Lakers am Samstag in Zürich hat die Stadtpolizei Zürich Reizstoffe eingesetzt, um das Zusammentreffen der zwei gegnerischen Lager zu verhindern. Die Einsatzkräfte wurden daraufhin mit Steinen beworfen.
https://www.watson.ch/schweiz/eishockey/558656493-reizstoffeinsatz-und-steinwuerfe-nach-eishockeyspiel-in-zuerich
-> https://www.stadt-zuerich.ch/pd/de/index/stadtpolizei_zuerich/medien/medienmitteilungen/2023/februar/konfrontationen_zwischeneishockeyfansverhindert.html
-> https://www.toponline.ch/news/schweiz/detail/news/reizstoffeinsatz-und-steinwuerfe-nach-eishockeyspiel-in-zuerich-00206007/


+++KNAST
Obwohl der Handybesitz in Gefängnissen streng verboten ist: Brian postet regelmässig TikTok Videos aus seiner Zelle
Obwohl er seit Jahren im Gefängnis sitzt, postet Brian regelmässig Videos auf TikTok und Instagram. Die grosse Frage ist: Wie geht das? Denn Handys sind im Knast eigentlich streng verboten.
https://www.blick.ch/news/obwohl-der-handybesitz-in-gefaengnissen-streng-verboten-ist-brian-postet-regelmaessig-tiktok-videos-aus-seiner-zelle-id18332426.html


+++BIG BROTHER
NZZ am Sonntag 19.02.2023

«Der Eingriff in das Grundrecht passiert unbemerkt»

Für Angela Müller, die Leiterin von Algorithm Watch in der Schweiz, gehören die Systeme zur Gesichtserkennung im öffentlichen Raum verboten.

Interview: Thomas Isler

NZZ am Sonntag: Die Pläne der SBB, mit Gesichtserkennungssoftware die Kundenströme an Bahnhöfen zu überwachen und zu analysieren, haben diese Woche zu reden gegeben. Auch Private können längst Software nutzen, um jedes x-beliebige Gesicht zu identifizieren. Ist es heute so, als ob wir in der Öffentlichkeit alle ein Namensschild trügen?

Angela Müller: Nein, so weit sind wir nicht. Ich würde auch nicht behaupten, es müssten sich alle Leute vermummen, wenn sie ihre Anonymität im öffentlichen Raum bewahren wollten. Aber es gibt Entwicklungen, die mit Tempo in die Richtung gehen, uns flächendeckender zu überwachen. Darum setzen wir uns dafür ein, die Grundrechte im öffentlichen Raum zu schützen. Ohne Grundrechte keine Demokratie.

Schon heute gibt es für wenig Geld auch für Private zugängliche Gesichtserkennungssoftware. Sie gleicht das Foto eines Menschen mit einem riesigen, aus dem Internet gewonnenen Datensatz ab und kann so irgendein Gesicht schnell und recht zuverlässig identifizieren.

Solche Apps gibt es, das stimmt. Aber zuallererst ist ihre Treffsicherheit umstritten. Denn sie hängt auch davon ab, wie die Software trainiert wurde. Vereinfacht gesagt: Übt sie mit vielen weissen Männergesichtern, erkennt sie schwarze Frauen halt weniger gut. Auch im Ukraine-Krieg setzen verschiedene Seiten solche Software ein, um Gesichter aus Fotos und Videos zu identifizieren und die Menschen an den Pranger zu stellen. Die Resultate stimmen längst nicht immer – haben aber ganz reale und oft drastische Auswirkungen.

Verschiedene Zeitungen haben die Software schon getestet. Selbst Fotos mit Sonnenbrillen oder Hygienemasken lieferten richtige Treffer.

Natürlich, und die Systeme werden laufend besser. Der Schaden, den sie anrichten, ist aber so oder so beträchtlich. So wurden schon Darstellerinnen aus Pornos identifiziert und dann gestalkt. Oder es gab Fälle von Frauen, die vor häuslicher Gewalt geflüchtet waren und später per Gesichtserkennungssoftware aufgespürt wurden.

Wie sieht es rechtlich aus? Wenn ich ein Foto von der Frau da drüben machen würde, um sie mit meiner App zu identifizieren – wäre das legal?

Nein, ohne ihre Einwilligung wäre das meines Erachtens illegal. Schon heute. Und mit dem neuen Datenschutzgesetz ab September erst recht.

Aber die Chance, dass ich deswegen bestraft würde, gehen gegen null, oder?

Das ist wohl so, es stellt sich die Frage, ob und wie Gesetze durchgesetzt werden können. Unabhängig von Datenschutz und Privatsphäre existieren aber auch weitere verfassungsmässige Grundrechte, die hier enge Grenzen setzen. Gesichtserkennungssoftware kann uns etwa davon abhalten, an einer Demonstration teilzunehmen, eine religiöse Stätte aufzusuchen oder in ein Lokal zu gehen, das etwas über unsere sexuellen Präferenzen verrät – also davon, für die Demokratie zentrale Grundrechte wahrzunehmen. Die Software kann ja nicht nur von Einzelpersonen, sondern auch vom Staat oder von privaten Konzernen genutzt werden. Die Frage ist darum: Was macht diese Technik mit einer demokratisch organisierten Gesellschaft?

Gehen wir der Reihe nach. Setzen staatliche Organe in der Schweiz, etwa die Strafverfolgungsbehörden, solche Software ein?

Ja, es gibt kantonale Polizeikorps, die Gesichtserkennungssoftware einsetzen, etwa in St. Gallen. Unseres Wissens erfolgt dies derzeit nachträglich. Das heisst, es gibt Videoaufnahmen einer Straftat, und man versucht dann, den Täter oder die Täterin per Software zu identifizieren.

Ist das legal?

Klar ist, dass es für einen solchen Einsatz eine Gesetzesgrundlage braucht. Ob die dafür angeführten kantonalen Regeln ausreichen, ist aber in juristischen Kreisen umstritten. Wir haben deshalb mit der Digitalen Gesellschaft Schweiz und Amnesty International Schweiz eine Kampagne gestartet, um eine Debatte zu lancieren. Die Städte Zürich und St. Gallen haben inzwischen bereits ein Verbot der Gesichtserkennung durch ihre Behörden im öffentlichen Raum beschlossen. Die Frage ist: Welche Methoden können wir als Gesellschaft akzeptieren? Und welche nicht? Das Perfide an diesen Systemen ist ja: Der Grundrechtseingriff geschieht unbemerkt und aus der Ferne. Man bemerkt ihn nicht notwendigerweise. Es ist damit auch nicht dasselbe, wie wenn ich irgendwo meine Fingerabdrücke geben muss.

Was ist denn der Unterschied zwischen einer Software und einem Polizeifahnder, der etwa in einem Stadion vor einem Monitor sitzt und schaut, ob er einen Verdächtigen entdeckt?

Übernimmt eine automatisierte Software die Gesichtserkennung, so kommt es zur Bearbeitung besonders schützenswerter Daten aller Personen im Stadion. Das kann, wie erwähnt, unser aller Verhalten massiv beeinflussen und ist ein unverhältnismässiger Eingriff in unsere Grundrechte.

Wie sieht es beim Einsatz solcher Software durch eine private Firma aus? Was, wenn ich beim Betreten eines Ladens identifiziert werde, damit man mich als Kunden gezielter ansprechen kann?

Ein Privatunternehmen brauchte für einen solchen Einsatz grundsätzlich eine explizite Einwilligung der Betroffenen – oder ein überwiegendes privates Interesse, was im öffentlich zugänglichen Raum aber kaum geltend zu machen ist. Das ist also nicht so einfach möglich. Was sich aber zeigt: Es gibt heute mehr und mehr solcher und ähnlicher Systeme, die etwa an Ihrem Gesicht Ihr Geschlecht oder Ihr Alter abzulesen versuchen, um Ihnen personalisierte Werbung anzuzeigen oder Ihr Einkaufserlebnis zu optimieren. Also genau das, was das Überwachungsprojekt der SBB in den Bahnhöfen will.

Wenn ich nach Kaffeemaschinen google, bekomme ich fortan beim Surfen auch überall Werbung für Kaffeemaschinen angezeigt. Die Software erkennt mich als Kaffeemaschinen-Suchenden. Die allermeisten Menschen scheint das aber nicht zu stören.

Für uns Einzelne ist es ja schwierig zu verstehen, was genau läuft. Aber – und das ist mir sehr wichtig – wir können die Verantwortung auch nicht auf die Schultern der Individuen abwälzen. Aufseiten der Unternehmen herrscht eine riesige Intransparenz, wo Algorithmen eingesetzt werden und wie sie funktionieren. Und zumindest in einigen Fällen ist diese Intransparenz auch gewollt. Wir von Algorithm Watch fordern daher zunächst mehr Transparenz und klare gesetzliche Regelungen. Wir müssen dazu nicht notwendigerweise immer die Codes kennen, aber wir müssen die Fakten kennen. Um als demokratische Gesellschaft darüber diskutieren und entscheiden zu können, wo und wozu welche Systeme eingesetzt werden.

Was wäre für Sie eine rote Linie bei der Identifizierung?

Rote Linien sind immer das Mittel letzter Wahl. Wir finden aber, dass beim Einsatz von Gesichtserkennung im öffentlichen Raum eine gezogen werden sollte – hier braucht es ein Verbot. Auch bei Systemen zur Emotionserkennung sollte man vorsichtig sein.

Emotionserkennung?

Es gibt Systeme, deren Anbieter zumindest vorgeben, sie könnten die Emotionen von Gesichtern ablesen – oder gar, dass sie am Gesicht die sexuelle Orientierung oder politische Präferenzen einer Person erkennen könnten.

Das klingt nach verpönter Physiognomik aus dem 18. Jahrhundert, als die Wissenschaft meinte, sie könne an der Form des Kinns Charaktereigenschaften erkennen.

Stimmt. Aber Tatsache ist: Emotionserkennung wird bereits eingesetzt, sei es durch die Analyse von Gesichtern oder von Sprache. Es gibt etwa in Indien eine Stadt, die so versucht, die Not von Frauen im öffentlichen Raum von ihren Gesichtern abzulesen, um sie vor sexueller Gewalt zu schützen.

Ein System im öffentlichen Raum, das merkt, wenn ein Gesicht Angst ausstrahlt?

Genau. Ein weiterer Ort, wo sich so ein System anböte, wären Grenzkontrollen. Da könnte es darum gehen, zu erkennen, wenn jemand nervös ist oder etwas zu verbergen versucht. Aber es gibt auch weitgehende private Nutzungen: Videogesprächsanbieter experimentieren mit Systemen, die Emotionen erkennen, um das Verkaufsgespräch per Videocall optimieren zu können. In Polen gab es eine Bank, die bei Angestellten mit Kundenkontakt gemessen hat, wie oft sie lächelten.

Kann man per Arbeitsvertrag überhaupt rechtsgültig in so etwas einwilligen?

Die Frage ist, wie man rechtliche Grundlagen in diesem Bereich durchsetzt. Und dann natürlich auch, ob die Mitarbeitenden überhaupt vom Einsatz des Systems wissen, und, wenn ja, wie sie dabei mitbestimmen können. Diese Frage stellt sich auch, wenn etwa ein Onlinehändler überwacht, wie produktiv das Logistikpersonal ist.

Ein Argument, das bei Gesichtserkennungssoftware im öffentlichen Raum immer genannt wird, ist jenes der Sicherheit. Und tatsächlich wäre es ja auch sehr nützlich, wenn die Polizei Verdächtige schnell identifizieren könnte?

Es ist eine zentrale Staatsaufgabe, die Sicherheit der Bevölkerung zu garantieren. Das ist unbestritten. Aber erhöhen Gesichtserkennungssysteme unter dem Strich tatsächlich die Sicherheit? Ausserdem sind dem Staat bei seinem Auftrag, für die Sicherheit zu sorgen, schon heute strikte Grenzen gesetzt: die Grundrechte. Strafverfolgungsbehörden dürfen im Namen der Sicherheit nicht alles machen, was denkbar ist. Sie dürfen nicht foltern, sie dürfen niemanden ohne Verdacht verhaften, sie dürfen die Verteidigungsrechte nicht ausser Kraft setzen. Oder anders gesagt: Es gibt ein Grundrecht auf Freiheit, aber es gibt kein Grundrecht auf Sicherheit. Automatisierte Gesichtserkennung im öffentlichen Raum, rein präventiv und aus der Ferne – das beschränkt und verletzt die Grundrechte so vieler Leute so massiv, dass ein Verbot angezeigt ist. Das heisst im Umkehrschluss aber nicht, dass sich der Staat keine Technik zunutze machen kann. Wir sind keine Maschinenstürmerinnen und Maschinenstürmer.



Angela Müller

Angela Müller, 37 (Bild oben), leitet Algorithm Watch CH, eine gemeinnützige Organisation, die sich mit den Auswirkungen algorithmischer Systeme auf Mensch und Gesellschaft beschäftigt. Müller hat politische Philosophie studiert und eine rechtswissenschaftliche Dissertation verfasst
(https://magazin.nzz.ch/nzz-am-sonntag/hintergrund/angela-mueller-ueber-systeme-zur-gesichtserkennung-ld.1726741)
-> https://www.heise.de/news/Gesichtserkennung-Kritik-an-Schweizer-Bahn-wegen-Kundenbespitzelung-7520789.html


+++POLIZEI CH
Polizisten schlagen Alarm: Schwere Gewalt gegen Beamte nimmt zu
Allein am letzten Wochenende wurden in der Schweiz vier Polizeibeamte verletzt. Die Hemmschwelle für Angriffe ist gesunken, sagt der Berufsverband.
https://www.nau.ch/news/schweiz/polizisten-schlagen-alarm-schwere-gewalt-gegen-beamte-nimmt-zu-66419981


Weil sie rassistisch sei: Juso will Polizei abschaffen
Die Juso hat sich in Bern zur Jahresversammlung getroffen. Sie bläst zum Angriff gegen die Polizei. Sie sei strukturell rassistisch, wirft die Jungpartei den Behörden vor.
https://www.blick.ch/politik/weil-sie-rassistisch-sei-juso-will-polizei-abschaffen-id18332478.html


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Es regt sich Protest gegen Daniele Ganser
Der Saubermann der Verschwörungsszene
Daniele Ganser geht auf Vortragstour. In einigen Städten gab es bereits Protest gegen seine Auftritte – teilweise mit Erfolg. Im Gegensatz zu anderen seines Metiers schafft er es weiterhin, als »umstrittener Historiker« ganze Hallen zu füllen.
https://jungle.world/artikel/2023/07/der-saubermann-der-verschwoerungsszene


+++ANTI-WOKE-POPULISMUS
Was macht denn da der Genderstern? – «Woke-Wahnsinn» bei der SVP
Während nationale Parteiexponenten gegen den «Gender-Terror» poltern, ist der Genderstern im Aargau schon bei der SVP angekommen.
https://www.blick.ch/politik/was-macht-denn-da-der-genderstern-woke-wahnsinn-bei-der-svp-id18332315.html


+++HISTORY
MEDIENSPIEGEL 3 JAHRE #HANAU:
-> https://geschichtedergegenwart.ch/say-their-names-drei-jahre-erinnerung-an-hanau/
-> https://www.ardmediathek.de/video/doku-und-reportage/hanau-oder-dokumentarfilm/hr-fernsehen/Y3JpZDovL2hyLW9ubGluZS8xMjY5MzE
-> https://www.rosalux.de/publikation/id/49926
-> https://www.fr.de/meinung/zu-wenig-gelernt-92094494.html
-> https://www.fr.de/meinung/zu-wenig-gelernt-92094494.html
-> https://taz.de/Jahrestag-des-Attentats-von-Hanau/!5913795/
-> Nazi-Terrorist: Wie sein Vater die Hinterbliebenen bedroht | STRG_F : https://www.youtube.com/watch?v=HH31-SmFAiU
-> https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/drei-jahre-nach-dem-terror-von-hanau-warum-weinst-du-nicht-deutschland-9364088.html
-> https://www.spiegel.de/politik/deutschland/lisa-paus-zu-hanau-rassismus-ist-teil-unserer-gesellschaft-aber-das-bewusstsein-dafuer-waechst-gastbeitrag-a-980b451c-129b-4fa6-840e-c28a5fa6f804
-> https://www.zeit.de/gesellschaft/2023-02/gedenktag-hanau-claudia-roth-anschlag-rassismus
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1171071.rassistischer-terror-anschlag-von-hanau-alle-sind-verantwortlich.html
-> https://taz.de/Rechtsextremistisches-Attentat-von-Hanau/!5913920/


Völkerschauen im Zoo Basel
In den ersten Jahren seines Bestehens waren im 1874 eröffneten Zoologischen Garten Basel vor allem heimische Alpentiere zu sehen. Schon bald musste der Zoo aber erkennen, dass es die exotischen Tiere waren, die viel Publikum anzogen. Herumziehende Tiertransporte und Wandermenagerien waren deshalb willkommene Gäste: Während weniger Tage konnte man in Basel so beispielsweise Strausse oder Flusspferde bestaunen.
https://www.zoobasel.ch/de/aktuelles/blog/3/zoo-geschichte/160/voelkerschauen-im-zoo-basel/


„Wladolf Putler“? – Was Putins Regime mit Faschismus und Stalinismus gemein hat
Die Frage nach dem Charakter Wladimir Putins und die häufige Gleichsetzung mit Hitler lenkt ab von der weit relevanteren Frage, welche Parallelen sein Regime mit dem Faschismus oder dem Stalinismus aufweist. Und welche Hypotheken das für die Zeit nach Putin birgt.
https://www.deutschlandfunk.de/was-putins-regime-mit-faschismus-und-stalinismus-gemein-hat-100.html