Medienspiegel 23. Dezember 2021

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+++ST. GALLEN
tagblatt.ch 23.12.2021

«Trotz Corona so gefragt wie eh und je»: Wie die Pandemie das Solihaus beeinflusst – und warum Geflüchtete teils impfkritisch sind

Als offenes Haus für Flüchtlinge ist das St.Galler Solihaus von den Corona-Einschränkungen besonders betroffen. Obwohl sein Herzstück, der Mittagstisch, nur bedingt angeboten wird und Feste wie jenes zum Zehnjährigen nicht oder beschränkt stattfanden, ist das Bedürfnis nach Beratungen und Kursen unvermindert gross.

Marcel Elsener

«Lieblingsorte» von Flüchtlingen aus Äthiopien oder Afghanistan zeigt derzeit eine kleine Fotoausstellung im St.Galler Solidaritätshaus, das alle Solihaus nennen. Es ist das Resultat eines Kurses, den ein junger St.Galler im Rahmen eines Arbeitslosenprojektes angeboten hat: Fotografieren mit dem Smartphone. Die Aufnahmen, begleitet von anrührenden Texten, zeigen beispielsweise den Heks-Garten auf dem Areal Bach in St.Gallen oder den Hafenplatz in Rorschach.

Ein Lieblingsort für mehrere Hundert Migrantinnen und Migranten, die in die Ostschweiz geflüchtet sind, ist freilich das Solihaus selber: Die Institution im ehemaligen Kinderhort auf einer grünen Quartierbrache in St.Fiden ist im Herbst just zehn Jahre alt geworden. Der offene, jederzeit niederschwellige Treffpunkt mit Mittagstisch sowie kostenlosen Kurs- und Beratungsangeboten war im Januar 2011 von einem Trägerverein aus sozial engagierten und kirchlichen Kreisen lanciert und im September eröffnet worden. Als «Haus mit Herz und Gemütlichkeit» sollte es ein Zeichen gegen die verhärtete Asylpolitik und «die soziale Kälte» in Teilen der Gesellschaft setzen, wie die Gründungspräsidentin Ursula Surber damals sagte.

Gemeinden haben Integrationsleistungen verbessert

Ein Jahrzehnt später hat das Solihaus als Freiwilligenprojekt viele Ansprüche erfüllt und ist aus dem Netzwerk der Integration nicht mehr wegzudenken. Es konnte in der St.Galler Asylhilfe nach dem Vorbild Paul Grüningers «die guten Kräfte bündeln» und vielen Flüchtlingen helfen, in der fremden Umgebung Fuss zu fassen und dank Alltags- und Berufseinstiegshilfen «flügge zu werden», um es mit den Worten des ersten Geschäftsführers Istvan «Öcsi» Deér zu umschreiben. Auch wenn der Verein wenig Einfluss habe auf die Asylpolitik, sei das Solihaus «nur schon zum Plaudern, Essen, Pingpongspielen wichtig», sagte er nach der Aufbauphase. «Wenn man will, dass die Leute hier wirklich ankommen, braucht es zwingend Gesprächsangebote, Bildung, Begleitung, Beratung.»

All dies bietet das Solihaus nach wie vor, doch ist es heute noch vermehrt «Austausch- und Vermittlungsort in vielen kleinen Dingen», sagt Francesca Corbella, seit September neue Vereinspräsidentin. «Wir spüren eine gewisse Entlastung in der Flüchtlingsbetreuung, weil die Integrationsangebote in den Bundeszentren und seitens der St.Galler Gemeinden spürbar verbessert worden sind.» Anders als früher haben die Leute, die ins Solihaus kommen, bereits etwas Deutsch gelernt, eine Ahnung vom hiesigen Alltag und erste Schritte ins Berufsleben gemacht. Das Bedürfnis nach Alltagsberatung ist deswegen nicht kleiner geworden: Oft geht es um «Papierkram», also Hilfe bei Bank-, Versicherungs- oder Krankenkassensachen, in Rechts- und Ehefragen oder bei der Job- und Wohnungssuche – gut 40 Termine wöchentlich, die Geschäftsleiterin Ana Victoria Paredes und Freiwillige wahrnehmen.

Die Jobsituation bleibe hart, sagt Paredes. Einerseits hätten viele Leute wegen der Pandemie ihre kleineren Jobs verloren, speziell im Gastgewerbe, andererseits herrschten in der Reinigungs- und Verpackungsbranche teils missliche Arbeitsbedingungen. «Es gibt zwar Arbeit, aber man kann kaum davon leben.»

«Ein guter Ort, der einem vieles gibt»

Die Ausstrahlung des Solihauses als «guter Ort, der einem vieles zurückgibt» zeigt sich für Francesca Corbella beispielhaft daran, dass frühere Besucher, die eine Aufnahmebewilligung erhalten und Arbeit gefunden haben, noch immer oder wieder im Haus verkehren. Der frühpensionierten St.Galler Primarlehrerin selber hat es vor Jahren während eines Bildungsurlaubs «den Ärmel reingenommen», wie sie sagt. Bei der Aufgabenhilfe im Solihaus und im Deutschunterricht in der Integra engagiert, freute sich ihr «Lehrerinnenherz» über eine Institution, «wo alle wirklich lernen wollen» und die unbürokratisch «ohne Formularplunder» funktioniere. Die Aufnahme eines jungen Afghanen in ihrer Familie, Mukhtar Jafari, der die Berufslehre als Pfleger absolviert, habe ihr vor Augen geführt, «wie privilegiert wir in der Schweiz leben».

Zwei Dutzend Freiwillige bezeugen im Solihaus, dass die Zivilgesellschaft allen Unkenrufen zum Trotz sehr wohl lebt. Dank erhöhter Präsenz in den sozialen Medien sind kürzlich acht junge Leute dazu gekommen. Passend dazu die Zusammenarbeit mit dem Verein Rheinspringen, der Jugendliche auf dem Weg in die Arbeitswelt begleitet und für junge Helfer bei der Aufgabenhilfe für Kinder und im Computerkurs sorgt. Auch beim Verpacken der Weihnachtsgeschenke halfen Jugendliche mit: 75 Taschen mit gespendeten Lebensmitteln konnte das Solihaus an Flüchtlingsfamilien abgeben.

Im Vergleich zu 2015 sind die Asylzahlen in der Schweiz verhältnismässig klein, doch spürt das Solihaus wie ein Seismograph den internationalen Druck oft früh und unmittelbar. So führte die Taliban-Machtübernahme in Afghanistan zu etlichen Anfragen nach Gesuchen: Ana Paredes bemühte sich um humanitäre Visa (zwölfmal vergeblich) und um Familiennachzug, der immerhin für 4 von 15 Gesuchen klappte – im Fall eines St.Galler Afghanen mit einer dramatischen Abholaktion der Frau auf dem Flughafen Kabul.

Viel Skepsis gegenüber der Coronaimpfung

Die Lockdowns und Einschränkungen aufgrund der Coronapandemie gaben dem offenen Haus zu schaffen – Maskenpflicht und Abstandsregeln sind der Kontaktpflege nicht förderlich. Am meisten litt der Mittagstisch, den normalerweise täglich gut 40 Personen besuchen; das Haus behalf sich in den wärmeren Monaten mit einem Zelt als «Gartenwirtschaft» und serviert seine Mahlzeiten nun mit halbiertem Platzangebot. Bei den Kursen (Nähen, Malen, Computer) gilt Zertifikatspflicht, während Mittagstisch und Alltagsberatung weiterhin mit Maskenpflicht, aber ohne Zertifikat stattfinden können. Dass dem Solihaus wie der Gassenküche oder anderen sozialen Anlaufstellen ein Ausnahmestatus zugesprochen wurde, freut die Betreiberinnen: «So konnten wir den Betrieb mehr oder weniger aufrechterhalten.»

Mit dem Impfen tun sich viele Migrantinnen und Migranten schwer – manche aus kulturellen und religiösen Gründen, manche misstrauen behördlichen Informationen und sind empfänglich für «Fake News». So folgen viele Eritreerinnen und Eritreer einer Kirche, die Impfungen verbietet und aufs Beten vertraut. Die Kampagne des Kantons, zumal plakativ mit grosser Spritze, habe die Migranten zunächst nicht erreicht, bestätigen die Solihausleute die Kritik auch aus anderen Communities.

Im Oktober organisierte das Solihaus im Verbund mit Integrations- und Sans-Papier-Organisationen eine Impfaktion, die aber ins Leere lief: Obwohl keine Papiere nötig waren und das Büro die Daten erfasste, liessen sich gerade einmal fünf Personen ins Impfzentrum begleiten. An jenem Tag liessen sich die regelmässigen Besucherinnen weder an der Kleiderbörse noch am Nähkurs blicken liessen. Seit der neuen Welle und der 2G-Regel sähen aber immer mehr Leute die Nachteile und liessen sich impfen – wie der kampfsportbegeisterte Äthiopier, der sonst nicht mehr ins Fitnessstudio könnte, oder die Somalierin, die ihre Buben nicht mehr zum Fussballtraining begleiten dürfte.

Die Pandemie belastet das Solihaus weit über die Impfsorgen hinaus: Weil sich die Welt fast nur um das Virus dreht, sind soziale Anliegen wie Flüchtlingshilfe und Integration in den Hintergrund gerückt. «Gerade in unsicheren Zeiten wie jetzt ist das Solihaus für viele ein Rettungsanker», heisst es im Jahresbericht. Und Präsidentin Corbella sagt: «Wir sind trotz Corona so gefragt wie eh und je.»

Den Stellenwert des in dieser offenen Form schweizweit einzigartigen Hauses anerkennt auch die Stadt St.Gallen: Sie hat mit dem «sozialen Vorzeigeprojekt» diesen Frühling eine Leistungsvereinbarung abgeschlossen. Die bescheidene Abgeltung (15’000 Franken) deckt nicht einmal die Miete, die der Verein der Stadt fürs Haus entrichtet. Was wiederum zeigt, dass das Solihaus dem Wesen seiner kostenlosen Angebote und grösstenteils ehrenamtlichen Freiwilligenarbeit nach eine nicht-behördliche, unabhängige Institution bleibt, die auf Spenden von Stiftungen, Kirchen und Privaten angewiesen ist.

Solihaus-Erweiterung in Rorschach

Einen solchen Begegnungsort für Flüchtlinge würde man sich in vielen Gemeinden wünschen, hiess es nach der Eröffnung. Zumindest in Rorschach ist inzwischen ein zweites Solihaus bezogen worden, sprich die beiden Häuser in Nähe des Stadtbahnhofs, die der 2018 verstorbene Historiker und Theologe Max Schär dem Verein vermachte. In seinem Testament hatte Schär festgelegt, dass dort Migranten oder notleidende Schweizer wohnen dürften. Im Sommer 2020 ist eine syrische Familie mit fünf Kindern eingezogen, die über das Resettlement-Programm des Bundes direkt Aufnahme gefunden hat. Im Parterre wohnt zudem eine junge Frau mit ihrem Sohn.

Gemeinsam mit den Stadtbehörden und der Landschaftsgärtnerabteilung des benachbarten Berufsschulzentrums plant der Verein derzeit die Gestaltung der Parzelle zwischen Schärs Haus und der Bahnlinie als naturnahe Parkanlage und Begegnungsplatz. Dies entspricht ebenfalls einer Schenkungsauflage des Verstorbenen. Die Wiese war bis vor kurzem als Installationsplatz für den Bahnhofumbau an die SBB vermietet worden. Noch offen ist die künftige Nutzung des Häuschens, das sich als Mehrzweckraum für Sitzungen und kleinere Veranstaltungen eignen würde.
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/integration-neue-solihaus-praesidentin-francesca-corbella-wir-sind-trotz-corona-so-gefragt-wie-eh-und-je-ld.2231317)


+++ZÜRICH
Umstrittene Züri City Card: Warum Zürich einen Ersatzausweis für Illegale einführen will
Rund ein Zehntel der illegalen Migrantinnen und Migranten in der Schweiz lebt in Zürich, viele arbeiten als Hausangestellte. Ein städtischer Ausweis soll ihren Alltag künftig erleichtern. Doch es gibt Protest.
https://www.spiegel.de/ausland/schweiz-kulturkampf-um-ersatzausweis-fuer-illegale-migranten-in-zuerich-a-4180a01b-93d9-46e1-80ba-160d9eeb5d37


+++SCHWEIZ
Mario Gattiker sagt der Asylpolitik Adieu – Rendez-vous-Tagesgespräch
Er hat die Schweizer Flüchtlings- und Asylpolitik über viele Jahre geprägt, nun geht Mario Gattiker in Pension. Im «Tagesgespräch» bei Marc Lehmann blickt der Chef des Staatssekretariats für Migration auf seine lange Laufbahn im Dienst des Asylwesens zurück.
https://www.srf.ch/audio/tagesgespraech/mario-gattiker-sagt-der-asylpolitik-adieu?id=12112292


Noch fehlen viel zu viele Unterschriften: Frontex-Referendum droht zu scheitern
Europa sorge an seinen Grenzen für viel Flüchtlingselend. Daran dürfe sich die Schweiz nicht beteiligen, finden Gegner der Grenzschutzagentur Frontex. Bisher hat das linke Aktivsten-Netzwerk aber Mühe zu mobilisieren.
https://www.blick.ch/politik/noch-fehlen-viel-zu-viele-unterschriften-frontex-referendum-droht-zu-scheitern-id17092948.html


+++FRANKREICH
Am Tag Skipiste in der Nacht Fluchtroute I die Solidarische Bergwacht in Briancon stellt sich vor
Die italienisch französischen Grenze wird hauptsächlich an zwei Stellen von people on the move überwunden. die eine Stelle ist ca 300 km im Innern des Festland in den Alpen zwischen dem Italienischen Bergdörfchen Oulx und dem französischen Briancon, die andere dirkekt am Meer bei Ventimiglia.
An diesen Sellen gibt es auch solidarische Strukturen, die versuchen die Geflüchteten auf ihrem beschwerlichen Weg zu unterstützen und ihr Recht auf Bewegungsfreiheit zu supporten.
im folgenden Beitrag geht es um die solidarische Bergwacht, die an dem Alpenpass auf der französischen Seite bei Briancon aktiv ist.
https://www.freie-radios.net/112968


+++GRIECHENLAND
Flüchtlingskinder hungern in Griechenland
Kein Essen, keine Medikamente, keine warme Kleidung: Tausende Schutzsuchende in Griechenland bekommen seit Wochen kein Geld mehr vom Staat und leiden unter Hunger. Der Grund: Die griechische Regierung verzögert die Auszahlung von EU-Hilfsgeldern.
https://www.proasyl.de/news/fluechtlingskinder-hungern-in-griechenland/


+++MITTELMEER
Europas größtes Versagen
Weihnachten 1996 ertranken mehr als 280 Geflüchtete im Mittelmeer. Seither starben an dieser Außengrenze der EU mehr als 50 000 weitere Menschen
In den Medien war es nur eine Randnotiz, Politiker sprachen von einem »angeblichen« Untergang: Vor 25 Jahren ertranken bei einem Schiffsunglück auf dem Mittelmeer 280 Geflüchtete. Seither starben dort mehr als 50 000 weitere Menschen.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1159896.sterben-im-mittelmeer-europas-groesstes-versagen.html


“Sea-Watch 3”: Italienische Justiz lässt letzte Anklage gegen Carola Rackete fallen
Im Juni 2019 war Carola Rackete unerlaubterweise in den Hafen von Lampedusa eingefahren. Nun hat ein Gericht der Archivierung der letzten Anklage gegen sie zugestimmt.
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2021-12/carola-rackete-sea-watch-3-italien-anklage
-> https://www.blick.ch/ausland/italienisches-gericht-stellt-ermittlungen-ein-letzte-anklage-gegen-carola-rackete-fallen-gelassen-id17093929.html
-> https://www.spiegel.de/ausland/carola-rackete-italienische-justiz-laesst-letzte-anklage-gegen-seenotretterin-fallen-a-696e0e99-abfa-4843-a36c-b9ccb2c6df70?utm_source=dlvr.it&utm_medium=twitter#ref=rss
-> https://www.derstandard.at/story/2000132146945/letztes-verfahren-gegen-kapitaenin-rackete-auf-sizilien-eingestellt?ref=rss


Ärzte ohne Grenzen rettet erneut 80 Bootsmigranten
Wieder konnten ungefähr 80 Menschen von der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen von einem Schlauchboot gerettet werden.
https://www.nau.ch/news/europa/arzte-ohne-grenzen-rettet-erneut-80-bootsmigranten-66073406


Mit 214 Geretteten an Bord: Sea-Eye 4 darf in Pozzallo anlegen
Nach tagelangem Ausharren mit 214 Menschen an Bord ist dem Seenotrettungsschiff Sea-Eye 4 ein sicherer Hafen in Pozzallo zugewiesen worden. Freitagfrüh soll das Schiff dort einlaufen. Viele der Geretteten bräuchten medizinische Hilfe, heißt es.
https://www.br.de/nachrichten/bayern/mit-214-geretteten-an-bord-sea-eye-4-darf-in-pozzallo-anlegen,SsQxMsR


+++EUROPA
Während wir Weihnachten feiern: Geflüchtete sitzen weiter in der Kälte fest
Während wir uns in Deutschland auf ruhige Weihnachtsfeiertage im Kreise der Familie vorbereiten, stecken an den europäischen Außengrenzen immer noch Geflüchtete fest und harren bei Minusgraden in den Wäldern an der polnisch-belarussischen Grenze aus. Für diese Menschen braucht es schnelle Lösungen!
https://www.proasyl.de/news/waehrend-wir-weihnachten-feiern-gefluechtete-sitzen-weiter-in-der-kaelte-fest/


+++LIBYEN
Die Rüstungsindustrien des Verteidigungsministeriums zur anti-migrantischen Bewaffnung des libyschen Militärs. Wer zahlt, ist die EU.
Das Innenministerium hat einen neuen Partner für die anti-migrantischen Schulungs- und Ausrüstungsprogramme der lybischen Küstenwache: Die AID, Agentur für Verteidigungsindustrie, jene Einrichtung, die die Niederlassungen des Verteidigungsministeriums betreibt und die Rüstungsmittel und -systeme des Militärs bereitstellt. Um die „bittere Pille“ ein wenig zu versüßen, werden der IOM, der Internationalen Organisation für Migration der Vereinten Nationen, in Libyen etwas Geld und Dienste anvertraut.
https://www.borderlinesicilia.it/de/news-de/die-ruestungsindustrien-des-verteidigungsministeriums-zur-anti-migrantischen-bewaffnung-des-libyschen-militaers-wer-zahlt-ist-die-eu/


+++FREIRÄUME
Gemeinderat genehmigt Leistungsvertrag mit Verein «Tankere»
Der Gemeinderat hat neu einen Leistungsvertrag mit dem Verein Tankere genehmigt. Der Verein betreibt seit Mai 2018 die Einspruch Diskothek in der Aarbergergasse. Das ursprüngliche Baugesuch für einen Jugendclub an der Predigergasse 12 war lange Zeit durch Einsprachen blockiert und wurde schliesslich zurückgezogen. Auf Herbst 2022 zieht die Diskothek auf die Grosse Schanze in die Räumlichkeiten des vormaligen Passion Clubs um. Ab dem kommenden Jahr soll der Betrieb der Diskothek vollständig dem Verein Tankere übertragen werden. Der Verein ist personell gut aufgestellt und hat ein ausgewiesenes Betriebskonzept für den Club für unter 18-Jährige. Damit sind die Voraussetzungen für den Abschluss eines einjährigen Leistungsvertrages ab 2022 und damit auch für die Anstellung der Geschäftsführung ab Januar durch den Verein Tankere gegeben. Die Abgeltung der Stadt Bern beträgt 198’600 Franken (exklusive der von der Stadt getragenen Mietkosten von 163’000 Franken). Von der Gesamtsumme sind 121’600 Franken für Personalkosten und 77’000 Franken den Betrieb vorgesehen. Vom Betriebsbeitrag wiederum sind 40’000 Franken für Security-Kosten bestimmt.
Gemeinderat der Stadt Bern
https://www.bern.ch/mediencenter/medienmitteilungen/aktuell_ptk/gemeinderat-genehmigt-leistungsvertrag-mit-verein-tankere
-> https://www.derbund.ch/200000-franken-fuer-die-tankere-784211991342



Wegen Strafanzeige: Luzerner Polizei hat Wagenburg-Bewohnerinnen einvernommen
Noch immer steht die Wagenburg auf dem Krienser Hinterschlund-Areal. Weil die Strafanzeige nach wie vor besteht, kam es diese Woche zu einer Polizeikontrolle. Zwischen den Behörden und den Bewohnenden scheint sich derweil eine Einigung abzuzeichnen.
https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/luzern/hinterschlund-kriens-wegen-strafanzeige-luzerner-polizei-hat-wagenburg-bewohnerinnen-einvernommen-ld.2231175


+++GASSE
«Den Menschen auf Augenhöhe begegnen»
Die Kirchliche Gassenarbeit Bern hat bewegte Zeiten hinter sich. Pandemie und Zügelstress sind nur einige der Herausforderungen, welche sie im letzten Jahr zu bewältigen hatten. Seit September ist die Kirchliche Gassenarbeit Bern am Sennweg in der Längasse zu finden.
https://journal-b.ch/artikel/den-menschen-auf-augenhoehe-begegnen/


Umzug der Drogenanlaufstelle wird nicht weiterverfolgt
Der Gemeinderat hat beschlossen, dass die Kontakt- und Anlaufstelle für Drogenabhängige an der Hodlerstrasse 22 bleibt und das Projekt für einen Umzug an die Predigergasse 12 nicht weiterverfolgt wird. Die Prüfung einer Verschiebung der Anlaufstelle geht auf ein Massnahmenpaket von 2016 zur sozialräumlichen Entwicklung im Perimeter Schützenmatte zurück. Die vom Gemeinderat in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie hat zwar gezeigt, dass die ehemaligen Räumlichkeiten der Sanitätspolizei an der Predigergasse baulich gut für die Unterbringung der Drogenanlaufstelle geeignet wären. Der Umzug wäre nach Einschätzung des Gemeinderats angesichts der kritischen Aufnahme des Projekts jedoch mit einem erheblichen Planungsrisiko und einem hohen Aufwand verbunden gewesen. Der Gemeinderat hat die zuständigen Verwaltungsstellen beauftragt, nun die Sanierung der Kontakt- und Anlaufstelle an der Hodlerstrasse 22 zu projektieren und die entsprechende Kreditvorlage auszuarbeiten.
Gemeinderat der Stadt Bern
https://www.bern.ch/mediencenter/medienmitteilungen/aktuell_ptk/umzug-der-drogenanlaufstelle-wird-nicht-weiterverfolgt
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/geschlossene-testzentren-ueber-die-festtage-sorgen-fuer-kritik?id=12112157



derbund.ch 23.12.2021

«Hodlere»-Umzug vom Tisch: Ein ungeliebtes Projekt scheitert

Die Berner Drogenanlaufstelle zieht nicht neben die Privatschule NMS. Die Idee fand auch innerhalb der Verwaltung zu wenig Unterstützung.

Calum MacKenzie

Die Berner Anlaufstelle für Drogenabhängige bleibt an der Hodlerstrasse. Der Gemeinderat will das Projekt für einen Umzug an die Predigergasse nicht weiterverfolgen – stattdessen wird das Haus am aktuellen Standort saniert. Die nun abgeschlossene Machbarkeitsstudie hat zwar ergeben, dass die ehemaligen Räumlichkeiten der Sanitätspolizei an der Predigergasse baulich gut geeignet wären. Doch das Vorhaben hat weder innerhalb noch ausserhalb der Stadtverwaltung genügend Unterstützung finden können.

Für Wirbel hatten die Pläne schon nach Bekanntwerden gesorgt. Denn der potenzielle neue Standort der Anlaufstelle, wo täglich bis zu 150 Personen mitgebrachte Drogen unter kontrollierten, hygienischen Bedingungen zu sich nehmen, lag direkt neben der Privatschule NMS Bern. Von der Aussicht auf regelmässige Begegnungen zwischen Schulkindern und Drogenabhängigen waren weder Schulleitung noch Eltern begeistert. «Für jüngere Kinder kann das manchmal etwas bedrohlich wirken», sagt Direktorin Annette Geissbühler. «Unser Anliegen war daher ein sicherer Schulweg.»

Direkt bekämpft hat Geissbühler das Projekt jedoch nicht. Das von der Stadt aufgegleiste Projekt habe sie sehr überzeugt, sagt sie. «Das hatte nichts mehr mit dem alten ‹Fixerstübli› zu tun und war sehr sorgfältig und kompetent geplant.» Das Problem des Schulwegs hätten die Behörden anerkannt. «Wir wären bereit gewesen, mit der Stadt noch einmal zusammenzusitzen und eine Lösung zu finden.»

Stadtpräsident unterliegt

Die Stiftung Contact, die die Anlaufstelle betreibt, hätte einen Umzug grundsätzlich begrüsst. Wer hat das Projekt also zu Fall gebracht? Auf Anfrage bestätigt Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL), dass die Direktbetroffenen für einen gangbaren Weg offen gewesen wären. «Aus anderen Kreisen» habe sich jedoch Widerstand angekündigt. «Einige Nichtbeteiligte haben sich als Beschützer der Schule aufgespielt», so von Graffenried – näher will er diese nicht identifizieren. Aber auch innerhalb der Verwaltung habe das Projekt nicht restlos überzeugen können. «Es gab Befürchtungen, dass Einsprachen das Projekt kompliziert machen oder verhindern könnten.»

Deutlich wird, dass von Graffenried selbst noch hinter dem Vorhaben steht. Es sei schade, sagt er, könne das Projekt nicht mehr umgesetzt werden. «So hätte die Schützenmatte entlastet und die Anlaufstelle reibungslos umgesiedelt werden können. Stattdessen steht jetzt eine Renovation unter Betrieb an.»

Der Stadtpräsident dürfte also im Gemeinderat unterlegen sein. Neben der Abneigung gegenüber einem umstrittenen Unterfangen spielten wohl auch andere Faktoren eine Rolle: Die unerfreuliche finanzielle Situation der Stadt tangiert nahezu alle Entscheide der Regierung. Zudem hatte sich die Kantonspolizei zum Umzug kritisch geäussert, was die Überlegungen in der städtischen Sicherheitsdirektion beeinflusst haben dürfte.

Auch von Stadträtinnen und -räten wurden Bedenken laut. Das Kunstmuseum Bern hingegen – an der Hodlerstrasse ein Nachbar der Drogenanlaufstelle – hat keinen Einfluss auf den Entscheid genommen, wie mehrere Beteiligte sagen. Noch im Sommer wurde gemutmasst, dass dem vor einem grossen Umbau stehenden Museum ein Wegzug der Drogenanlaufstelle gelegen käme. «Zwischen der Anlaufstelle und ihren Nachbarn besteht ein guter Dialog», sagt aber Alec von Graffenried. «Wir pflegen unsere Beziehungen zur Nachbarschaft proaktiv», so Rahel Gall, die Geschäftsführerin der Stiftung Contact. «In den letzten zehn Jahren gab es kaum Konflikte, das wird sich jetzt nicht ändern.»

«Bruchbude» sanieren

Gall kann mit dem Verbleib am jetzigen Standort leben. Eines ist für sie aber klar: Der Entscheid dürfe nicht einfach ein Nein zur Predigergasse, sondern müsse vor allem ein Ja zur Hodlerstrasse sein. «Wir arbeiten in einer Bruchbude», so Gall. «Jeden Winter steigt die Heizung mehrmals aus.» Die Stadt müsse die Sanierung schnell und umfassend umsetzen.

Von Graffenried teilt mit, bis dahin dauere es wohl noch ein bis zwei Jahre. Das Sanierungsprojekt müsse jetzt erarbeitet werden. In die Predigergasse soll die städtische Verkehrsplanung einziehen, sobald eine Nachmieterin für die bisherigen Räumlichkeiten an der Effingerstrasse gefunden ist.
(https://www.derbund.ch/die-hodlere-bleibt-wo-sie-ist-154290174002)


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Adventsgrüsse vom Berner Klimastreik
Kleine Aktivitäten wider die konsumistische Hektik in der Vorweihnachtszeit
https://www.youtube.com/watch?v=lycjSG7jm_I


Adventslieder für den Hungerstreik
Impressionen von den Mahnwachen für Guillermo und den jüngsten Aktivitäten vom Berner Klimastreik
https://www.youtube.com/watch?v=8_DhcNKxmPw


+++AUSLÄNDER*INNEN-RECHT
Einbürgerung dreimal verweigert: Jetzt endlich ist sie Schweizerin
Eine 33-jährige Kosovarin, die als Zehnjährige in die Schweiz kam, ist in ihrer Luzerner Gemeinde doch noch eingebürgert worden. Warum dauerte das so lange?
https://www.derbund.ch/jetzt-endlich-ist-sie-schweizerin-582479100256


+++MENSCHENRECHTE
Wo die Schweiz das Recht, Rechte zu haben, beschneidet
In den Coronamassnahmen sehen manche unakzeptable Einschränkungen der Grundrechte. In vielerlei Hinsicht privilegierte Menschen laufen Sturm gegen eine angeblich drohende Zweiklassengesellschaft. Dabei ist diese auch in der Schweiz längst Realität: Die einen haben ein Recht auf Menschenrechte, die anderen nicht.
https://www.humanrights.ch/de/ipf/menschenrechte/zugang-zum-recht/schweiz-recht-rechte-beschneidet?force=1


+++POLICE BE
bernerzeitung.ch 23.12.2021

Zu Busse verurteilt: Er wehrte sich bei der Personenkontrolle

Ein Beschuldigter wehrte sich erfolglos gegen einen Strafbefehl. Er war von der Polizei in der Region Thun kontrolliert worden und hatte sich dabei renitent verhalten.

Hans Kopp

Einem 57-jährigen Mann aus dem Kongo flatterte ein Strafbefehl der Staatsanwaltschaft des Kantons Bern, Region Oberland, ins Haus. Der Vorwurf: Der Beschuldigte verhielt sich im Winter 2018 in der Region Thun während einer Personenkontrolle durch die Polizei renitent.

Trotz der mehrmals durch den Polizeibeamten geäusserten Aufforderung, das Mobiltelefon während der Personenkontrolle nicht zu benutzen, wehrte er die Versuche des Beamten ab, ihm dieses wegzunehmen. In der Folge wurde er von zwei Polizeibeamten zu Boden geführt und in Handschellen gelegt, wobei er Widerstand leistete.

Nicht zum Rückzug bereit

Der Mann wurde wegen Hinderung einer Amtshandlung für schuldig erklärt und mit einer bedingten Geldstrafe von 12 Tagessätzen zu je 60 Franken bei einer Probezeit von drei Jahren bestraft. Zudem wurde dem Beschuldigten eine Verbindungsbusse von 180 Franken auferlegt, bei schuldhaftem Nichtbezahlen ersatzweise eine Freiheitsstrafe von drei Tagen. Zusammen mit Gebühren von 500 Franken hätte er 680 Franken bezahlen müssen.

Weil er den Strafbefehl nicht anerkannte und dagegen Einsprache erhob, kam es am Donnerstag zur Hauptverhandlung am Regionalgericht Oberland in Thun. Er war auch nicht dazu zu bewegen, die Einsprache noch vor Verhandlungsbeginn zurückzuziehen.

Bei der ins Französische übersetzten anderthalbstündigen Einvernahme durch Gerichtspräsidentin Eveline Salzmann bestritt der Beschuldigte zum grössten Teil den Sachverhalt, wie dieser im Strafbefehl dargestellt sei. «Ich war überrascht, dass ich nach einem Einkauf plötzlich von einem Polizisten in Zivil am Arm gepackt und zu Boden geführt worden bin», gab er zu Protokoll. Er habe sich kooperativ gezeigt und der Polizei seinen Ausweis gezeigt.

Zur falschen Zeit am falschen Ort

In die gleiche Kerbe hieb der amtliche Verteidiger des Kongolesen. «Ich vermute, dass mein Mandant lediglich aufgrund seiner Hautfarbe angehalten und kontrolliert worden ist», führte er in seinem Plädoyer aus. Im Nachhinein stellte sich nämlich heraus, dass zeitgleich eine Spezialeinheit der Polizei nach Drogendealern fahndete. Seiner Ansicht nach befand sich sein Klient, dessen Aussagen er als glaubwürdig einstufte, zur falschen Zeit am falschen Ort. Hingegen bezweifelte er die Hieb- und Stichfestigkeit der Wahrnehmungsberichte der beteiligten Polizisten.

Weil der Beschuldigte gegen diese Strafanzeige eingereicht hatte – die allerdinsg eingestellt wurde –, vermutete er als Retourkutsche gegenseitige Absprachen zum Selbstschutz. Der Anwalt machte auch auf die psychischen Folgen des Vorfalls für seinen Mandanten aufmerksam. Er beantragte die Aufhebung des Strafbefehls und damit einen vollständigen Freispruch.

Hohe Verfahrenskosten

Anders sah die Einzelrichterin den Sachverhalt. «Ich habe Verständnis dafür, dass es nicht lustig ist, von der Polizei angehalten zu werden, wenn man nichts gemacht hat», sagte sie unter anderem in ihrer Urteilsbegründung. Das entschuldige jedoch das Verhalten des Kongolesen während der Personenkontrolle keineswegs.

Sie sprach ihn der Hinderung einer Amtshandlung schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingten Geldstrafe von acht Tagessätzen zu 80 Franken bei einer Probezeit von drei Jahren, teilweise als Zusatzstrafe zu einem früheren Urteil. Im Weiteren hat er eine Verbindungsbusse von 160 Franken und die Verfahrenskosten von 2600 Franken zu bezahlen.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es kann von den Parteien innert zehn Tagen angefochten werden.
(https://www.bernerzeitung.ch/er-wehrte-sich-bei-der-personenkontrolle-355564575028)


+++RECHTSPOPULISMUS
SVP-Frauen distanzieren sich von Abtreibungs-Initiativen
Die von SVP-Nationalrätinnen lancierten Abtreibungs-Initiativen lösen eine heftige Kontroverse aus – auch in der eigenen Partei.
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/svp-frauen-distanzieren-sich-von-abtreibungs-initiativen-66073068


+++RECHTSEXTREMISMUS
Rechtsextremismus: “Das sind Leute mit Gewalterfahrung”
Im Osten enden die Proteste gegen die Corona-Politik oft mit Gewalt. Das hat auch mit den Neonazis der Neunziger zu tun, sagt Rechtsextremismusforscher David Begrich.
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2021-12/rechtsextremismus-corona-proteste-ostdeutschland-david-begrich/komplettansicht



derbund.ch 23.12.2021

Heikle Inserate: Werbung für rechtsradikale Bücher bei Swisscom und NZZ

Der Kopp-Verlag, in Deutschland bekannt für verschwörungstheoretische und antisemitische Bücher, drängt auf den Schweizer Markt und in hiesige Onlinemedien.

Markus Häfliger

«Adolf Hitler – eine Korrektur», «Das wahre Gesicht des Dr. Fauci», «Corona-Diktatur – der Staatsstreich von Merkel, Christunion & Co», «Die Dekonstruktion der Rasse», «Bevölkerungsaustausch in Europa».

Bücher mit solchen Titeln vertreibt der Kopp-Verlag in Deutschland seit 1993 – doch jetzt nimmt das umstrittene deutsche Verlagshaus gezielt den Schweizer Markt ins Visier. Dieser Tage hat es bei mindestens drei Schweizer Onlinemedien prominent Werbung geschaltet: bei der NZZ, bei «Watson» und auf der Seite Bluewin.ch, die der bundeseigenen Swisscom gehört.

Der Kopp-Verlag hat seinen Sitz im deutschen Rottenburg am Neckar und publiziert und vertreibt schwergewichtig grenz- und pseudowissenschaftliche sowie verschwörungstheoretische Bücher – und zahlreiche rechtspopulistische bis rechtsradikale Werke. Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» bezeichnete den Verlag einst als «Heimatplanet für rechtsextreme Ufologen». Seit 2020 hat er auch zahlreiche Werke im Angebot, welche die Corona-Pandemie als globale Verschwörung darstellen.

Der Verlag bedient auch antisemitische Vorurteile, etwa mit dem Machwerk «Die Protokolle der Weisen von Zion – erfüllt!». Das ursprüngliche Werk, auf das sich der Buchtitel bezieht, ist eine antisemitische Fälschung und Hetzschrift vom Beginn des 20. Jahrhunderts, doch der Kopp-Verlag schreibt dazu: «Die Übereinstimmung des Geplanten mit dem heute Erreichten ist nahezu perfekt!»

Ringier ausgetrickst

Ist es angemessen, dass die Swisscom, die sich mehrheitlich in Bundesbesitz befindet, Werbung für solche Bücher schaltet?

«Wir distanzieren uns vom Verlagsprogramm des Kopp-Verlags», schreibt Blue News, die zuständige Unternehmenseinheit der Swisscom. Die Anzeigen auf Bluewin.ch seien über einen externen Online-Werbevermarkter gebucht worden. Die Redaktion von Blue News habe diese Anzeigen schon Anfang November 2021 bemerkt und beim Werbevermarkter sperren lassen. Man gehe nun erneut auf ihn zu, um die Anzeigen zu sperren, schreibt Blue News.

Der externe Werbevermarkter, von dem Blue News spricht, heisst Ringier Advertising und ist eine Unternehmenseinheit von Ringier. Die Ringier-Medienstelle erklärt, das fragliche Inserat sei «über Google Ads automatisch auf Bluewin.ch eingespeist» worden. Trotz mehrerer Sicherheitsstufen könne es «in seltenen Fällen passieren, dass ein unzulässiger Inhalt trotzdem ausgespielt wird». Man habe das Inserat nun schnellstmöglich entfernt und prüfe zusätzliche Massnahmen, um solche Fälle in Zukunft zu verhindern.

«Offene Meinungsbildung»

Auch bei der NZZ wurde die Werbung «via programmatische Systeme eingebucht», wie die NZZ-Medienstelle erklärt. «Wir werden prüfen, inwiefern die Inhalte kritisch sind, und uns gegebenenfalls überlegen, einzelne Werbungen dieses Absenders zu indexieren.» Grundsätzlich vertrete die NZZ bei Inseraten aber eine liberale Haltung, solange sie keine rechtswidrigen oder offensichtlich anstössigen Inhalte beinhalteten, schreibt die Medienstelle. «Das gehört zur offenen Meinungsbildung.»

Auch Tamedia, zu der diese Zeitung gehört, «kennt die Herausforderung von unerwünschten Anzeigen via digitale Buchungsplattformen», wie die Tamedia-Unternehmenskommunikation auf Anfrage sagt. «Solche Kunden werden im Einzelfall umgehend gesperrt.»
(https://www.derbund.ch/werbung-fuer-rechtsradikale-buecher-bei-swisscom-und-nzz-292928361079)


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Gefährliches «Wundermittel» – Freiburger Hausärztin gibt verbotenes Mittel gegen Covid ab
Eine Hausärztin im Kanton Freiburg hat Chlordioxid an Patienten abgegeben. Swissmedic warnt vor dieser Substanz.
https://www.srf.ch/news/schweiz/gefaehrliches-wundermittel-freiburger-hausaerztin-gibt-verbotenes-mittel-gegen-covid-ab


«Endlösung»: Michael Wendler teilt gefälschtes Nazi-Impfzitat
Schlagerstar Michael Wendler teilt auf Telegram ein gefälschtes Zitat eines deutschen Politikers. Nun drohen ihm juristische Konsequenzen.
https://www.nau.ch/people/welt/endlosung-michael-wendler-teilt-gefalschtes-nazi-impfzitat-66072980


+++SEHRRECHTSPOPULISMUS
derbund.ch 23.12.2021

Interview mit Politologin zu Corona-Protesten: «In einer Krise werden Kräfte wie die SVP zu einer besonderen Belastung»

Natascha Strobl glaubt, dass die Proteste die Pandemie überdauern werden. Sie sagt, in welcher Tradition Massnahmengegner stehen – und wann sie für Demokratien zum Problem werden.

Jacqueline Büchi, Alan Cassidy

Frau Strobl, haben Sie schon mal etwas von den Freiheitstrychlern gehört?

Bitte was?

Trycheln, also das Schwingen von Kuhglocken, gehört eigentlich zum Schweizer Brauchtum. In der Pandemie inszenieren sich die vehementen Gegner von Corona-Massnahmen mit diesen Glocken. Wie passt das zusammen?

Ach ja, doch, die sind mir auch schon aufgefallen. Ich kannte bloss den Begriff nicht. Es gibt dieses Phänomen in ähnlicher Form auch in anderen Ländern: Gruppen von Menschen, die mit Verweis auf die Tradition, das Brauchtum oder die Landesfarben gegen Corona-Massnahmen ankämpfen.

Wie erklären Sie sich das?

Es ist tatsächlich ein interessanter Gegensatz. Man könnte ja auch ganz anders argumentieren: dass es einer patriotischen Gesinnung entspricht, auf seine Landsleute zu achten und sie vor der Pandemie zu schützen. Meist wird aber umgekehrt suggeriert, dass Schutzmassnahmen unamerikanisch, unösterreichisch oder unschweizerisch seien. Und damit sind wir schon bei einem Muster, das vor der Pandemie begann.

Welches Muster?

Es handelt sich um eine traditionelle Erzählung der extremen Rechten: Hier wird dem Volk etwas aufoktroyiert, das gegen die Interessen des Volkes ist. Hier wird die Nation geknechtet durch eine Elite, die mit äusseren Mächten verbündet ist oder durch sie gesteuert wird. Man sah das in Europa schon 2015, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise. Damals war viel die Rede von einem sinistren Netzwerk, das die Fluchtbewegungen nach Europa lenke. Diese Erzählung ist häufig wie ein Lückentext, in den man einfüllt, was gerade aktuell ist. Was damals George Soros war, ist heute Bill Gates. Die Verwendung von Brauchtum und Tradition hilft dabei, Kreise anzusprechen, die man sonst nicht erreicht hätte.

Die Freiheitstrychler besuchten im November Ihren Wohnort Wien – und traten dort an Protesten auf, an denen nicht nur Neonazis und Konservative, sondern auch viele Leute der Esoterikszene auftraten. Was eint diese Menschen?

Das ist nicht eine Gruppe, man muss eher von Allianzen sprechen. Manchmal bilden sich lose Gruppen um einzelne Influencer, manchmal um Freundeskreise, die sich online kennen gelernt haben. Und so setzt sich die Bewegung Stück für Stück zusammen. Wir haben es also nicht mit einer klassischen Form der politischen Organisation zu tun. Diese Leute haben aber offensichtlich kein Problem damit, zusammen aufzutreten, weil sie im Kern schon eine gemeinsame Gesinnung haben: Es gibt in diesen Kreisen einen unverhohlenen Sozialdarwinismus.

Wie äussert sich dieser?

In der Vorstellung, dass Menschen, die keinen reinen Körper haben, weniger wert sind. Dass irgendwie selbst schuld ist, wer mit diesem Virus nicht zurechtkommt. Wer daran stirbt, der stirbt halt. Dieser Sozialdarwinismus ist im völkischen Denken ganz wichtig, aber auch im esoterischen. Denn man darf nicht vergessen: Die ursprüngliche Ideologie der Esoterik ist weit mehr als irgendein Ökokram auf dem Teleshopping-Kanal. Es mag also kurios aussehen, wenn Identitäre an der Seite von Schamanentänzerinnen und Ponchoträgern demonstrieren, doch ideologisch gibt es da durchaus einen gemeinsamen Bezugspunkt.

Man könnte entgegnen: Diese Corona-Protestbewegungen sind einfach Ausdruck einer lebendigen Demokratie.

Natürlich könnte man sagen: Es ist egal, wer in einer Demokratie protestiert, das gehört dazu. Doch ich finde schon, dass man sich auch genau anschauen sollte, was diese Leute politisch wollen. Ich nehme sie politisch ernst. Und ich sehe darin keine Bewegung, die einer lebendigen Demokratie Ausdruck verleihen will. Sondern ich sehe bei denen, die auf die Strasse gehen, oft rechtsextremes und antidemokratisches Gedankengut. Es ist kein Zeichen einer lebendigen Demokratie, wenn in Dresden Neonazis auf die Strasse gehen oder politische Verantwortliche zu Hause bedroht werden.

Werden diese Bewegungen die Pandemie überdauern?

Auf jeden Fall. Die Pandemie hat diese Bewegungen befeuert, ihnen zu neuen Anhängern verholfen. Doch in der Anlage begannen sie schon früher. In Deutschland sahen wir ähnliche Allianzen schon bei den Montagsmahnwachen. Das ging dann zu den Pegida-Demonstrationen über und wandelte sich zu Protesten gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. Natürlich fallen da Gruppen weg, neue Gruppen kommen hinzu. Aber einen diffusen Kern scheint es zu geben. Und dort, wo es in einen organisierten Bereich hineingeht, sieht man auch immer wieder dieselben Akteure am Werk.

In der Pandemie haben die Behörden in vielen Ländern Massnahmen ergriffen, die bis anhin undenkbar waren. Ist es nicht nachvollziehbar, wenn ein Teil der Bevölkerung aufbegehrt?

Doch, das bestimmt. Diese Pandemie ist ja wie ein Katastrophenfilm. Ich glaube, alle von uns haben in dieser Zeit einmal Angst, Frust und Wut verspürt. Doch es geht dieser Bewegung nicht darum, über einzelne Massnahmen zu streiten. Diese Leute wollen keine Impfung, keine Masken, sie wollen keine Tests für Kinder, sie wollen keine Schutzmassnahmen in den Schulen. Sie bezichtigen das Personal in den Krankenhäusern der Lüge, sie bezichtigen die Virologen der Lüge. Das ist insgesamt eine sehr schwierige Ausgangslage für ein Gespräch. Ihre Idee ist, das Virus einfach durch die Bevölkerung durchrauschen zu lassen und dann zu schauen, was passiert. Ein menschenverachtendes Experiment.

Sie leben in Österreich, wo die Regierung zuletzt einen scharfen Lockdown verhängte. Wie erging es Ihnen dabei?

Es war bei uns ein grosses Hin und Her. Zuerst wurde die Pandemie vorschnell für beendet erklärt, dann ging es plötzlich in die andere Richtung. Die österreichische Regierung hat es nie geschafft, eine Geschwindigkeit beizubehalten. Mit einer solchen Kommunikation verliert man viele Menschen. Und damit meine ich nicht nur die vehementen Gegner von Massnahmen. Es gibt auch die andere Seite: das Krankenhauspersonal etwa, das nicht mehr mag, aber nach einer 12-Stunden-Schicht halt keine Zeit hat, auf die Strasse zu gehen. Oder die Eltern, die sich um ihre Kinder sorgen, die zu wenig geschützt werden.

Sowohl die Schweiz als auch Österreich haben mit der SVP und der FPÖ starke rechte Parteien, die den Corona-Kurs der Regierung torpedieren.

In Österreich leben wir ja schon sehr lange mit der FPÖ, ebenso wie die Schweiz mit der SVP. Und es sollte eigentlich niemanden mehr verwundern, wie die beiden Parteien agieren. Aber in einer Krisensituation werden solche Kräfte nochmals zu einer besonderen Belastung. Wenn die Gesundheitssprecherin der FPÖ, die notabene eine Ärztin ist, sich hinstellt und wider alle Tatsachen behauptet, dass die Intensivstationen voller Opfer von Impfschäden seien, ist man schon mittendrin in der Verschwörungs- und Desinformationsszene. Nur sitzen diese Leute im Parlament.

Was macht das mit dem politischen Klima im Land?

Es schadet der Demokratie. Es geht dabei ja nicht mehr um unterschiedliche Meinungen. Es geht darum, dass politische Kräfte Desinformation und Lügen legitimieren. Wenn man das zulässt, lösen sich alle Parameter auf, nach denen Politik funktioniert. Dann ist alles erlaubt.

Ihr Buch über «radikalisierten Konservatismus» ist in diesem Herbst auf grosses Echo gestossen. Was verstehen Sie unter dem Begriff?

Radikalisierter Konservatismus beschreibt eine Dynamik innerhalb von konservativen Parteien. Früher, das heisst nach dem Krieg, waren die konservativen Parteien ein Stabilitätsfaktor, gemeinsam mit den Sozialdemokratinnen auf der anderen Seite. Dieses Kräftegleichgewicht nährte sich aus dem Versprechen nach Wohlstand – dass es jeder Generation besser gehen wird, wenn man zusammenarbeitet, fleissig ist, sich bildet.

Und dieser Konsens ist heute zerbrochen.

Ja. Das Aufstiegsversprechen wird schon seit einiger Zeit nicht mehr eingelöst. Nun werden die Folgen spürbar, weil jetzt jene Generationen nachrücken, für die es gar nicht mehr galt.

Sie haben Jahrgang 1985. Zählen Sie sich selbst dazu?

Meine Generation ist gerade auf der Kippe. Aber jene, die jünger sind als ich, sind schon in einer ganz anderen Welt aufgewachsen, fernab von der Idee, von 9 bis 17 Uhr zu arbeiten und möglicherweise das Leben lang im selben Job zu bleiben. Sie leben in einer komplett liberalisierten, globalisierten und prekarisierten Arbeitswelt, die das Versprechen auf mehr Wohlstand zur Illusion werden lässt. Diese Menschen wenden sich vom alten Konsens ab und von den Parteien, die ihn lange Zeit vertraten. Und entsprechend verlieren diese Parteien an Zuspruch.

Und wie reagieren die konservativen Parteien darauf?

Indem sich Teile von ihnen radikalisieren. Viele dieser Parteien – die Republikaner in den USA, die ÖVP von Sebastian Kurz in Österreich, aber auch andere – übernehmen Strategien und Narrative der extremen Rechten. Leute wie Kurz und Donald Trump haben gemerkt, dass das alte Gefühl der Sicherheit dahin ist – und sie versuchen, ihm ein neues entgegenzusetzen. Nicht mit einem detaillierten politischen Programm oder mit einem möglichst überzeugenden Auftreten, sondern mit dem aggressiven Bewirtschaften eines Gefühls, das auf die ständige Polarisierung zielt. Bei Kurz lief das so, dass er immer alle Themen und Probleme mit der Migration verknüpfte.

Eine Methode der radikalisierten Konservativen sei der «bewusste Regelbruch», sagen Sie. Was meinen Sie damit?

Es ist der Versuch, mit dem ständigen Bruch von geschriebenen und ungeschriebenen Regeln des politischen Betriebs so zu tun, als sei die eigene Partei gar nicht Teil des Systems, als stehe sie ausserhalb des Establishments. Die öffentliche Empörung über den Regelbruch ist dabei immer schon einkalkuliert. Denn sie hilft diesen Akteuren wiederum, bei ihren eigenen Fans Entschlossenheit zu markieren: Seht her, wir stehen in der Kritik des politisch-medialen Systems, des Sumpfs – und lassen uns davon nicht beeindrucken. Die Empörung der anderen wird dann gerade zum Beleg dafür, dass die eigene Seite alles richtig macht.

In der Schweiz liess sich ein Regierungsmitglied der SVP kürzlich in einem T-Shirt der Freiheitstrychler fotografieren. Auch da: grosse Empörung.

Ja, das ist derselbe Mechanismus. Wenn ein Politiker so etwas macht, signalisiert er: Ich sitze zwar vielleicht dort in der Regierung, aber ideologisch gehöre ich zu euch. Ich bin nicht Politiker, sondern Teil eurer Bewegung. Die Empörung darüber hilft ihm dann nur. Und natürlich spielt auch Eitelkeit immer eine Rolle – die Freude daran, wenn alle über einen sprechen.

Sie schreiben auch: «Eine Lüge ist eine Lüge, aber eine Lüge, die ohne Konsequenzen wiederholt wird, wird zur Wahrheit.» Ist das Desinformation als politische Waffe?

Nichts gegen mediale Faktenchecks, die sind wichtig und gut. Aber wenn politische Akteure merken, dass es keine Konsequenzen hat, wenn sie offensichtliche Lügen auf grosser Bühne wiederholen, sind diese Faktenchecks wirkungslos. Leute wie Trump und Kurz haben das begriffen und sich das zunutze gemacht. Es müsste eine politische Konsequenz fürs Lügen geben. Insbesondere wenn dabei ein gesundheitlicher Schaden entsteht, wie es in dieser Pandemie der Fall ist, wenn Politiker zum Beispiel Entwurmungsmittel als Corona-Therapie empfehlen.

In der Schweiz sagten die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger zweimal Ja zum Covid-Gesetz, das die hiesigen Corona-Massnahmen stützt – zuletzt Ende November mit rund 62 Prozent. Finden Sie das viel oder eher wenig?

Es zeigt, dass die Gesellschaft viel weniger polarisiert ist, als man vielleicht glaubt. Es gibt keine 50-50-Spaltung. Das zeigt, dass es auch in einem so aufgeheizten Klima auf demokratische Art und Weise Mehrheiten für einen Katalog von Massnahmen geben kann – trotz massivem Widerstand. Das ist schon mal interessant.

Und was sagt es über den Widerstand aus?

Es ist Aufgabe für eine sozialwissenschaftliche Studie, herauszufinden, wer die 38 Prozent sind, die das Gesetz abgelehnt haben. Aber sicher sind das nicht alles Corona-Leugner und radikale Massnahmengegner, die auf die Strasse gehen.

Bei den Schweizer Massnahmengegnern lassen sich seit der Abstimmung Spaltungstendenzen beobachten. Überrascht Sie das?

Nein, das ist die Natur dieser diffusen Allianzen. Sie werden rasch sehr gross, solange der Zuspruch da ist – aber sobald der Erfolg ein bisschen nachlässt, wird gestritten. Denn sie sind naturgemäss eben keine stabilen Gebilde, sondern eine Ansammlung verschiedener Interessen, vieler Befindlichkeiten, grosser Egos. Das Resultat der Abstimmung hat zumindest teilweis ihr Geschäftsmodell kaputtgemacht. Sie mussten merken, dass sie eben nicht für die schweigende Mehrheit stehen.

Kann man diese Menschen wieder ins Boot holen?

Ja, es ist das Allerwichtigste, die Menschen ins Boot zu holen, die noch zu erreichen sind. Aufgabe der Politik sollte es überall sein, sich auf den grossen Anteil jener zu konzentrieren, die für ein Argument oder für Fakten noch zu gewinnen sind.

Und wie kann das gelingen?

Indem man auf Augenhöhe mit ihnen kommuniziert. Und indem man wirklich zu verstehen versucht, was ihre Motivationen sind. Wenn man sich die Impfskepsis anschaut, dann gibt es Gruppen, die sich durchaus erreichen lassen. Zum Beispiel die vielen jungen Frauen im gebärfähigen Alter, die Angst haben, dass sie nicht schwanger werden können, oder die schon schwanger sind und Angst haben, dass durch die Impfung etwas mit der Schwangerschaft passiert. Da hilft es sicher, wenn nicht irgendwelche Männer in grauen Anzügen mit ihnen reden. In Österreich haben wir das Glück, dass zwei Ärztinnen, die selber schwanger waren, sehr viel in den sozialen Medien informieren. Oft ist es am einfachsten, Vertrauen zu schaffen durch Personen, die keine Politikerinnen sind.



Politologin und Twitter-Influencerin

Ihr neues Buch trug ihr viel Aufmerksamkeit ein: Die Wiener Politologin Natascha Strobl (36) veröffentlichte diesen Herbst ihre Analyse über «Radikalisierten Konservatismus», von der bereits die fünfte Auflage gedruckt wurde. Darin stellt Strobl die These auf, dass sich konservative Volksparteien einer konsequenten Polarisierungsstrategie verschrieben hätten. Strobl schreibt und forscht auch regelmässig über Rechtsextremismus. Ihre Twitter-Kommentare zur österreichischen Tagespolitik stossen im deutschsprachigen Raum oft auf grosses Interesse. Strobl ist Mitglied der SPÖ. (red)



Corona-Proteste halten an

Es war ein selten emotionaler Abstimmungskampf: Am 28. November stimmte die Schweiz zum zweiten Mal über das Covid-Gesetz ab, das unter anderem den Einsatz des Covid-Zertifikats regelt. Die Kampagne war geprägt von regelmässigen Demonstrationen unterschiedlicher Massnahmengegner, von Drohungen gegen Politikerinnen und von kleineren und grösseren Gehässigkeiten. Am Schluss war das Resultat klar: 62 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer sprachen sich für das Gesetz aus.

Die Schweiz ist das einzige Land, in dem über Corona-Massnahmen abgestimmt wird, doch Widerstand dagegen gibt es auch anderswo, von Österreich über die Niederlande bis in die USA. In Deutschland kommt es seit einigen Wochen regelmässig zu Protesten mit Tausenden Menschen, an denen sich vielerorts Rechtsextreme beteiligen. Der deutsche Verfassungsschutz warnte vor einigen Tagen, dass rechtsextreme Gruppierungen in Ostdeutschland «propagandistische Antreiber und inhaltliche Stichwortgeber» vieler Proteste seien. (red)
(https://www.derbund.ch/in-einer-krise-werden-kraefte-wie-die-svp-zu-einer-besonderen-belastung-897378748937)


+++HISTORY
Streit um Bührle-Sammlung – Miriam Cahn will nicht länger im Zürcher Kunsthaus ausstellen
Die Debatte um die Bührle-Sammlung bricht nicht ab. Die international bekannte jüdische Künstlerin Miriam Cahn kehrt dem Kunsthaus Zürich nun den Rücken zu – und kauft sich ihre Werke zurück.
https://www.srf.ch/kultur/kunst/streit-um-buehrle-sammlung-miriam-cahn-will-nicht-laenger-im-zuercher-kunsthaus-ausstellen
-> https://www.srf.ch/kultur/kunst/kunsthaus-zuerich-zu-vorwuerfen-wir-wuerden-miriam-cahns-werke-ungerne-ziehen-lassen



nzz.ch 23.12.2021

Bührle-Sammlung: Künstlerin will ihre Werke aus dem Kunsthaus abziehen

In einem offenen Brief wirft die Baslerin Miriam Cahn den Verantwortlichen der Bührle-Sammlung Antisemitismus vor. Aus Protest will sie ihre Werke vom Kunsthaus zurückkaufen.

David Vonplon

Der Streit um die Bührle-Sammlung im Kunsthaus Zürich ist um eine Volte reicher. Am Mittwoch hat die Basler Künstlerin Miriam Cahn einen offenen Brief publiziert. Darin schreibt die 72-Jährige, dass sie ihre Werke aus dem Kunsthaus abziehen wolle. Sie werde sich mit ihrer Galerie in Verbindung setzen, um alle ihre Werke vom Kunsthaus Zürich zum Originalpreis des Ankaufs zurückzukaufen.

Kahn reagiert mit diesem Schritt auf Äusserungen von Bührle-Stiftungs-Präsident Alexander Jolles an der Medienkonferenz des Kunsthauses von vergangener Woche. Am Anlass wiesen Kunsthaus und Bührle-Stiftung Kritik am Dokumentationsraum und an der Provenienzforschung zurück. Jolles erklärte dabei, dass nicht jedes Rechtsgeschäft, das ein jüdischer Emigrant in der Schweiz, in den USA oder in einem anderen nicht besetzten Gebiet während des Zweiten Weltkriegs getätigt habe, «primär einmal als verfolgungsbedingt erzwungen betrachtet werden kann». Vielmehr habe es damals auch «einen ordentlichen Handel» gegeben. Auch das müsse berücksichtigt werden.

Für Cahn war mit diesen Aussagen des Stiftungspräsidenten der Bührle-Sammlung das Mass voll. «Ich Jüdin denke nicht daran, den üblen Inhalt dieser Bemerkungen von Herrn Jolles zu entschlüsseln – erkläre Antisemiten niemals ihren Antisemitismus!», heisst es im offenen Brief der Künstlerin, über den das jüdische Wochenmagazin «tachles» berichtet hat. Für Cahn zeugen die Aussagen Jolles’ von einem «fundamentalen Mangel» an Geschichtskenntnis und Sensibilität.

«Billiger Ablasshandel» der Bührles

Ebenfalls kritisiert die Künstlerin im Brief die «undurchsichtige Gemengelage» zwischen Kunsthaus Zürich, Kunsthausgesellschaft, der Zürcher Regierung und den Wissenschaftern. Diese habe zu einem «dummen Leihvertrag» geführt, der letztlich nichts anderes als ein «billiger Ablasshandel» der Bührles sei, um von den Waffendeals abzulenken. Zur Causa Bührle schreibt sie: «Kunst kaufen wäscht nicht weiss! Kunst sammeln macht nicht zum besseren Menschen!»

Auf Anfrage der NZZ bestätigt Kristin Steiner, Sprecherin des Kunsthauses Zürich, den Eingang des Schreibens. In der Zwischenzeit sei eine E-Mail von Frau Cahn eingetroffen. Man werde nun das persönliche Gespräch mit ihr suchen. Wie das Kunsthaus Zürich am Donnerstag gegenüber dem «Tages-Anzeiger» erklärte, können Werke, die dem Kunsthaus verkauft worden sind und sich im Eigentum der Zürcher Kunstgesellschaft befinden, nicht zurückgezogen werden.

40 Werke von Cahn in der Sammlung des Kunsthauses

Gemäss Angaben von Steiner befinden sich 40 Werke von Cahn in der Sammlung des Kunsthauses Zürich. 27 Werke stammen aus dem Eigentum der Zürcher Kunstgesellschaft. Weitere 13 Werke, die der Vereinigung Kunstfreunde Zürich gehören, sind im Kunsthaus als Leihgabe deponiert. In einer Ausstellung im neuen Kunsthaus-Erweiterungsbau zu sehen ist derzeit ein Video der Künstlerin.

Vor Miriam Cahn hatten jüdische Organisationen bereits vergangene Woche mit Empörung auf die Medienkonferenz von vergangener Woche reagiert. Dort sei «eine teilweise sehr verzerrte Darstellung der historischen Tatsachen präsentiert» worden, schrieb der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG). «Die wenig konstruktive und unnachgiebige Haltung und das zweifelhafte Geschichtsbewusstsein» von Kunsthaus und Bührle-Stiftung seien «erschreckend».

Nicht zum offenen Brief von Cahn äussern wollte sich einstweilen die Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch. Man stehe mit den jüdischen Organisationen aber «in einem stetigen und konstruktiven Austausch». Von der Absicht Cahns, ihre Werke aus dem Kunsthaus zurückzuziehen, erfuhr sie aus den Medien.
(https://www.nzz.ch/feuilleton/streit-um-buehrle-sammlung-eskaliert-weiter-schweizer-kuenstlerin-will-ihre-werke-aus-dem-kunsthaus-abziehen-ld.1661790)



nzz.ch 23.12.2021

Der Mythos Walter Stürm oder Freie Sicht auf die 1980er Jahre

Im Walter-Stürm-Film mit dem Journalisten Res Strehle, dessen Name ein Alias des «Ausbrecherkönigs» war. Was denkt er heute über damals?

Samuel Tanner

Res Strehle steigt hinab in seine eigene Vergangenheit, in die 1980er Jahre, im Saal 3 des Kinos Riffraff werden sie noch einmal an die Wand projiziert.

«Bis wir tot sind oder frei» heisst der Film über Walter Stürm, einen notorischen Einbrecher, der vor allem als Ausbrecher bekannt war. Als er einmal kurz vor Ostern ausbrach, hinterliess er einen Zettel: «Bin beim Ostereiersuchen, Stürm». Acht Ausbrüche gelangen ihm. In der Zürcher Jugendbewegung der achtziger Jahre wurden sie als subversive Kommentare zur Isolationshaft und zur Enge in der bürgerlichen Schweiz gelesen. Die Frage, wie politisch Stürm wirklich gewesen sei, blieb unbeantwortet im Schatten seines Mythos.

«Seine Isolationshaft war schon ein grosses Thema und er ein Symbol für Freiheitsdrang», schreibt Res Strehle per E-Mail auf die Frage, ob er sich den Film anschauen und über damals reden wolle. Strehle, 70, sollte später Chefredaktor des «Tages-Anzeigers» werden, früher war er aber eine Figur der 68er und der 80er Bewegung gewesen und ein Alias von Walter Stürm – obwohl die beiden nicht näher bekannt waren. Strehle kommt in dem Kinofilm über Walter Stürm nicht vor, aber er und sein Name geistern noch immer durch die Zeiten.

In seiner E-Mail schreibt Strehle noch: «Er hat einmal ein Auto auf meinen Namen gemietet, was mir jahrelange Scherereien beim Grenzübertritt brachte (immer, wenn er draussen war, denn dann war er international ausgeschrieben mit allen Alias-Namen).» Schon in seinem Buch «Mein Leben als 68er» hat sich Strehle an Stürm erinnert: «Ich bin ihm bis heute dankbar, dass er meine Unterschrift auf einem Mietvertrag für ein Leihauto dermassen offensichtlich fälschte, dass ich später in einer einzigen Schriftprobe klären konnte, dass nicht ich diesen Wagen gemietet hatte, der für allerlei krumme Touren verwendet worden war.»

Die Sympathie für Walter Stürm war gross in der Szene, er galt als gewaltfreier Witz-und-Charme-Krimineller, aber Strehle schreibt: «Heute kann man zu Recht ein paar Fragezeichen hinter diese Weltsicht setzen.» Also, wie war es damals?

Ausgebrochen, eingesperrt

Der Film beginnt damit, wie Walter Stürm (gespielt von Joel Basman) auf abenteuerliche Art mit einem Kastenwagen der Polizei ausbricht. Gegengeschnitten wird eine Demonstrationsszene, an deren Ende Barbara Hug (gespielt von Marie Leuenberger) in einen Kastenwagen der Polizei eingesperrt wird. Hug, eine linke Aktivistin, sollte später die Anwältin von Stürm werden. Der Film bleibt ein Gegenschnitt zwischen Freiheit und Isolation, Hug kämpft für Stürm und vor allem um Stürms Mythos. Stürm kämpft vor allem für und mit sich selbst.

«Bis wir tot sind oder frei» ist ein gutgelauntes Roadmovie durch eine scheinbar verkehrsbehinderte 1980er-Jahre-Schweiz. Irgendwann küssen sich Stürm und Hug. Am Ende erstickt sich Stürm mit einem Plastiksack, Hug erhält eine neue Niere und wird beatmet. Im Abspann pfeift und singt Joe Dassin: «Salut, comment tu vas?»

Dekonstruktion eines Mythos

Res Strehle findet den Film «nicht schlecht», aber er hätte ihn sicher anders gemacht. Bei ihm hätten sich Hug und Stürm nicht verliebt, zu wenig hat in Wahrheit darauf hingedeutet, der Film wäre ernsthafter geworden, und vielleicht ist das logisch.

Im Dezember 1980 demonstrierte Strehle in Regensdorf für Stürm und gegen die Isolationshaft, es sei kalt gewesen, erinnert er sich, und Bauern aus der Gegend kamen mit Güllenwagen, um die linken Demonstranten abzuspritzen. Bis heute hat er den dumpfen Ton im Ohr, wie die Steine der Demonstranten auf die Güllenwagen aufschlugen. Er selber, sagt Strehle, habe keine Steine geworfen.

Der Mythos von Walter Stürm wird im Film dekonstruiert. Der scheinbar gewaltfreie Robin Hood, wie er bis heute teilweise verharmlost wird, ist in einen Bankraub verwickelt, bei dem eine alte Kassiererin niedergeschlagen wird. Und das geraubte Geld braucht Stürm für sich selbst und für schnelle Autos. Stürm liess viele aus der Bewegung frustriert zurück, vielleicht auch, weil die Kapitalismuskritiker ausgerechnet auf Stürms Marketingqualitäten hereinfielen.

«Ein Robin Hood war er sicher nicht», sagt Res Strehle, «dafür fehlte ihm die Grundlage: Er nahm das Geld nicht von den Reichen, um es den Armen zu geben.»

War er vor allem eine Projektionsfläche?

«Ja, wahrscheinlich», sagt Strehle. Nicht zufällig, glaubt er, hat die erste Biografie über Stürm nicht ein Historiker aus der Bewegung, sondern ein Journalist geschrieben, der molekulare Entwicklungsbiologie studiert hatte. Auf das Buch «Ausbrecherkönig Stürm. Im Gefängnis der Lügen» von Reto Kohler baut auch der Film.

Stürm war auch eine Projektionsfläche für Strehle selbst. Mit einem phantasievollen Ausbrecher aus den Zumutungen der Zeit identifizierte er sich gerne.

Res Strehle kommt vom Zürichberg, sein Vater war Oberst und Militärrichter – er sah den Sohn schon als Offizier oder immerhin als Redaktor der NZZ. Diese Schweiz bekämpfte Strehle spätestens ab 1968 als Student und Mitglied der Theoriegruppe an der Hochschule in St. Gallen. Im Nachgang der Bewegung, als die einen in die Drogen, die anderen in die Esoterik und noch einmal andere in die Dogmatik abdrifteten, wurde Res Strehle an seiner ersten Arbeitsstelle am Gottlieb-Duttweiler-Institut entlassen. Der Subversivenjäger Ernst Cincera habe gegen ihn interveniert, schreibt Strehle in seinen Erinnerungen.

So begann seine «dogmatische Phase», wie er es nennt: Strehle begann zu schreiben, er gründete die linke «WoZ» mit, und er schrieb für eine Publikation, die «Eisbrecher» hiess – der Subtilitätsgrad lässt sich schon im Titel erahnen.

«Die 80er Bewegung und auch Stürm befreiten mich dann aus der Dogmatik», sagt Strehle, «Repressionsprotest war also auch in schnellen Autos, mit schnellen Sprüchen möglich.» Die maximal ernsthaften Kommunismus-Seminare wurden abgelöst von der Forderung: «Freie Sicht aufs Mittelmeer!».

Strehle wurde zwei Mal verhaftet und verurteilt, einmal weil er ein Plakat mit dem Bild der untergehenden Bahnhofstrasse an ein Tramhäuschen gekleistert hatte, einmal bei einer Häuserbesetzung. Später hat Strehle Karriere gemacht, er wurde immer wieder mit seiner Vergangenheit konfrontiert, aber er hat sich nie davon distanziert. Bis heute sagt er: «Gewalt ist nicht automatisch falsch, gegen den Faschismus ist sie als Widerstandsform zweifellos berechtigt.» Wer die damalige Zeit nicht miterlebt hat, gerät bei Recherchen über die Bewegung in ein Dickicht aus linken, radikalen und terroristischen Organisationen. Strehle sagt, er sei geistig den deutschen oder den italienischen Autonomen nahegestanden. Was immer das bedeutet.

Inzwischen ist Res Strehle pensioniert. Er schreibt gerade ein Buch über den Sprayer Harald Naegeli, eine Figur der achtziger Jahre auch er. Und manchmal, wenn er Nachrichten aus China oder aus Russland liest, denkt er darüber nach, ob sie eigentlich mutig waren, damals.

«Eigentlich brauchte es nicht viel Mut», sagt er, «in China hätten sie uns verschwinden lassen.»

War das Feindbild Betonschweiz also gar nicht so mächtig, wie sie meinten?

«Es hatte schon gewackelt», sagt Strehle.
(https://www.nzz.ch/schweiz/walter-stuerm-was-bleibt-von-seinem-verbrechermythos-ld.1661464)