Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel
+++BERN
Status der Verzweiflung
Die Gruppe „Stop Isolation“ hat sich am 20. Juli erneut die Strassen
Berns genommen, um gegen die unmenschlichen Bedingungen im Asylregime zu
protestieren. Nach der Demo vor dem SEM am 7. Juli 2020, hatte der
Berner Polizeidirektor Migrant*innen als undemokratisch &
unsolidarisch bezeichnet. Heute hat sich ein Demonstrant* aus Protest
selbst angezündet.
Vorfälle wie heute sind kein Zufall. Das Asylregime ist rassistisch und
schafft Bedingungen, die ein menschliches Leben nicht erlauben. Nicht
alle Gefängnisse haben Wände. Bevor mensch mit dem Finger auf
Protestformen zeigt: Diese Verzweiflung ist politisch und hat System.
Dieses System stützen Sie, Herr Müller.
https://www.megafon.ch/aktuelles/status-der-verzweiflung/
-> Video: https://streamable.com/dtb7fg
Aus Protest gegen Asylpolitik: Mann hat sich auf dem Bundesplatz angezündet
Bei einer Demonstration gegen die Schweizer Asylpolitik hat sich vor dem
Bundeshaus ein Mann selbst in Brand gesetzt. Er ist ausser
Lebensgefahr.
https://www.derbund.ch/person-auf-bundesplatz-zuendet-sich-an-829742223703
-> Megafon-Tweets: https://twitter.com/Megafon_RS_Bern
-> https://www.bernerzeitung.ch/person-zuendet-sich-auf-bundesplatz-selbst-an-419139011448
-> https://www.20min.ch/story/person-zuendet-sich-auf-bundesplatz-selbst-an-347158150689
-> https://twitter.com/Megafon_RS_Bern/status/1285197383073177600
-> https://twitter.com/Megafon_RS_Bern/status/1285199103643746304
-> https://www.blick.ch/news/politik/waehrend-demonstration-person-soll-sich-auf-dem-bundeshausplatz-angezuendet-haben-id16002597.html
-> https://www.telebaern.tv/telebaern-news/bundesplatz-bern-demonstrant-zuendet-sich-selbst-an-138514582
Twitter:
-> https://twitter.com/NetworkMigrant
-> https://twitter.com/OpenEyesBalkan
-> https://twitter.com/Megafon_RS_Bern
Heute 14 Uhr | Protestaktion von Stop Isolation | «Wir sind nicht
unsolidarisch und undemokratisch. Wir fordern unsere Rechte ein»
Die Gruppe Stop Isolation antwortet mit einer Protestaktion auf die
Stellungnahme des Kantons Bern. Am Freitag bezeichnete die Berner
Sicherheitsdirektion die Forderungen von Stop Isolation als
«unsolidarisch» und «undemokratisch» . Die Aktivist*innen sowie mehrere
Organisationen und Parteien reagieren fassungslos.
https://migrant-solidarity-network.ch/2020/07/20/heute-14-uhr-protestaktion-von-stop-isolation-wir-sind-nicht-unsolidarisch-und-undemokratisch-wir-fordern-unsere-rechte-ein
Widerstand gegen die Rückkehrzentren
Wir sind enttäuscht, ja geradezu entsetzt, was die Sicherheitsdirektion
des Kantons Bern in ihrer Medienmitteilung zu den Forderungen von «Stop
Isolation» geschrieben hat.
Dass Menschen bewusst in die Isolation getrieben werden, ist eine
Schande für dieses Land. Geradezu zynisch erscheint es, wenn die
Sicherheitsdirektion von «unsolidarischem» Verhalten seitens der
Protestierenden schreibt.
https://al-be.ch/widerstand-gegen-die-rueckkehrzentren/
Offener Brief an die Sicherheitsdirektion und das Amt für Bevölkerungsdienste des Kantons Bern
Bezug nehmend auf die Medienmitteilung der Sicherheitsdirektion
«Forderungen der Gruppe ‹Stopp Isolation›: Undemokratisch und
unsolidarisch» sowie den von Herrn Aeschlimann unterzeichneten Brief vom
16. Juli 2020 an die genannte Gruppe, erlauben wir uns als
Demokratische Juristinnen und Juristen Bern (djb) insbesondere zur
(Un-)Rechtmässigkeit der in den sogenannten Rückkehrzentren geltenden
Anwesenheitspflicht Stellung zu nehmen. Erschreckend fällt auf, dass die
veröffentlichten Ausführungen jegliche Auseinandersetzung mit den
Grundrechten der Betroffenen vermissen lassen. Nach hier vertretener
Auffassung verletzt die seit dem 1. März 2020 geltende – im Internet
bisher nicht zugängliche – «Nothilfe- und Gesundheitsweisung
(Nothilfeweisung)» jedoch gleich in mehrfacher Hinsicht grundrechtlich
geschützte Rechtspositionen und rechtsstaatliche Grundprinzipien.
https://djs-jds.ch/de/be-2/aktuell-be
Die Demokratischen Juristinnen und Juristen Bern (djb) unterstützen die Forderungen der Gruppe «Stopp Isolation»
Ende letzter Woche veröffentlichte die Sicherheitsdirektion des Kantons
Bern unter dem Titel «Forderungen der Gruppe ‹Stopp Isolation›:
Undemokratisch und unsolidarisch» eine Medienmitteilung. Die djb stellen
sich hinter die Forderungen der Bewohner*innen der neuen
Rückkehrzentren und verurteilen die mit dem Labeling «undemokratisch»
und «unsolidarisch» vorgenommene behördliche Diskreditierung des
Protests.
https://www.djs-jds.ch/images/MM_djb_Nothilfeweisung.pdf
Stellungnahme: Solidarität mit der Gruppe „Stopp Isolation“
augenauf Bern solidarisiert sich mit der Gruppe „Stopp Isolation“ und
unterstützt ihre Forderungen im Brief vom 6. Juli 2020 an den Kanton
Bern und das Staatssekretariat für Migration (SEM) vollumfänglich. Die
Antwort des Kantons verurteilen wir scharf.
https://www.augenauf.ch/aktivitaeten/183-stellungnahme-solidaritaet-mit-der-gruppe-stopp-isolation.html
—
(FB Grüne Kanton Bern)
Respekt und menschenwürdige Behandlung gelten auch für abgewiesene Asylsuchende #haltungzeigen✊
„Stop Isolation“, eine Gruppe von Geflüchteten mit negativem
Asylentscheid, macht in diesen Tagen auf die schwierige Situation in
Rückführzentren im Kanton Bern aufmerksam und ist mit ihren Forderungen
sowohl an den Bund wie auch an den Kanton Bern gelangt. #StopIsolation
➡ Die GRÜNEN Kanton Bern setzen sich dafür ein, dass der Kanton Bern im
(sehr restriktiven) Rahmen des Asylgesetzes des Bundes seinen Beitrag
für einen menschenwürdigen und respektvollen Umgang mit den
Direktbetroffen leistet. Der Kanton Bern soll vorhandene Spielräume zu
Gunsten der Betroffenen nutzen, sei es insbesondere bei der Behandlung
von Härtefallgesuchen, bei der Unterbringung und bei der Auszahlung der
Nothilfe.
➡ Die GRÜNEN Kanton Bern haben Verständnis für die Not und schwierige
Situation der Direktbetroffenen, die in vielen Fällen trotz negativem
Asylentscheid nicht ausreisen können. Die Rückkehrzentren sollen so
organisiert sein, dass die Bewegungsfreiheit und das Privat- und
Familienleben weiterhin ermöglicht wird. Auf Schikanen wie
Anwesenheitspflichten etc. ist zu verzichten.
➡ Bezüglich der Nothilfe wird der Grosse Rat im September über einen
überparteilich breit abgestützten Vorstoss abstimmen «Nothilfe auch für
privat untergebrachte abgewiesene Asylsuchende ausrichten und Kosten
sparen». Der Vorstoss verlangt, dass auch privat untergebrachten
abgewiesenen Asylsuchenden die Nothilfe von 8 Franken pro Tag
auszurichten sei.
➡ Die GRÜNEN Kanton Bern erwarten vom Kanton Bern einen respektvollen
und menschenwürdigen Umgang mit Menschen in einer schwierigen Situation
und von allen Beteiligten die Umsetzung von praktikabeln Verbesserungen
und konstruktiven Lösungen.
(https://www.facebook.com/gruenebern/photos/a.159680684095253/3248004625262828/?type=1&theater)
—
derbund.ch 20.07.2020
Asylsuchende Lehrlinge: SVP-Spitze will Lockerung für Abgewiesene
Ausgerechnet die nationale SVP-Spitze setzt sich ein für einen
abgewiesenen jungen Eritreer im Kanton Bern – und fordert grosszügigere
Regeln.
Calum MacKenzie
Ein Disput um Asylpolitik entzweit die bernischen Bürgerlichen.
Asylsuchende, die eine Lehre beginnen, müssen diese nach einem negativen
Asylentscheid sofort abbrechen. Verärgerte Gewerbler, die in diesen
Fällen plötzlich auf eine Arbeitskraft verzichten müssen, verlangen bei
ihren bürgerlichen Vertretern, dass sie sich für einen Verbleib ihrer
Lehrlinge stark machen. Druck erfahren die wirtschaftsnahen Politiker
allerdings gleichzeitig von Wählenden, die eine strikte Asylpolitik
wollen.
Schützenhilfe erhalten die Lehrlinge nun aber von unerwarteter Seite:
Ausgerechnet führende Hardliner der SVP Schweiz sprechen sich für eine
Lockerung der Asylregeln aus. In einem Brief an einen betroffenen
bernischen Unternehmer verspricht Parteipräsident Albert Rösti, eine
Lösung zu finden.
Der Brief liegt dem «Bund» vor: «Sie haben mir den Handlungsbedarf
eindrücklich aufgezeigt», schreibt Rösti. «Die SVP ist zwar für eine
harte und konsequente Rückschaffung von Wirtschaftsmigranten. Leute aus
einem Lehrverhältnis herauszuzerren, scheint aber auch mir
unverhältnismässig.» Er werde die Angelegenheit den zuständigen
Nationalräten weiterleiten.
Glarner will sich einsetzen
Adressat des Briefs ist Malermeister Jürg Lüthi, Präsident der FDP
Mühlethurnen. Im Juli letzten Jahres musste sein Lehrling Tesfom
Andemariam, der aus Eritrea stammt, die Ausbildung nach einem negativen
Bescheid abbrechen. Darauf forderte Lüthi seine Partei auf, die strikte
Asylpolitik zu hinterfragen – und löste eine Debatte im bürgerlichen
Lager aus. «Dass ein gut integrierter junger Herr in einer
Asylunterkunft verelenden soll, ist absolut stossend», sagte Lüthi
damals. Im vergangenen März wandte er sich mit seinem Anliegen an Albert
Rösti.
Röstis Antwort deutet darauf hin, dass auch die SVP zum Thema von ihren
Wählenden unter Druck geraten ist. So sieht es jedenfalls Lüthi: In
seinem ländlichen Wohnort werde er oft auf die «unverständliche»
aktuelle Praxis angesprochen. «Es ist wichtig, dass die SVP merkt, dass
die Leute an ihrer Basis differenzierter denken.»
Rösti verweist auf Anfrage auf den Aargauer Nationalrat Andreas Glarner,
der in der SVP für Asylfragen verantwortlich sei. Glarner gibt sich
zurückhaltend: «Grundsätzlich sind Asylverfahren zu beschleunigen und
die Abgewiesenen unverzüglich auszuschaffen.» Doch er will die ihm von
Rösti erteilte Aufgabe erfüllen: «Wir werden das Thema in den
Kommissionen anschauen. Es muss machbar sein, dass ein Abgewiesener, der
kurz vor dem Abschluss steht, seine Lehre noch beenden kann.»
Müller unter Druck
Ob die SVP im Nationalrat dereinst tatsächlich für eine Lockerung der
Asylregeln einsteht, wird sich zeigen. Glarner macht zu seinen
Vorstellungen einer Gesetzesänderung noch keine genauen Angaben. Doch
die neuen Töne aus dem harten Kern der Partei könnten Signalwirkung
haben: Sowohl Glarner wie auch Rösti sind in Asylfragen für ihre Strenge
bekannt. Dieser Ruf haftet im Kanton Bern auch dem zuständigen
Regierungsrat Philippe Müller (FDP) an. Kritiker werfen ihm vor, in
Fällen abgewiesener Lehrlinge den juristischen Spielraum des Kantons
nicht hinreichend zugunsten der Betroffenen auszunützen.
Auch Lüthi vertritt die Ansicht, sein Parteikollege könnte mehr tun. Er
hofft, dass Müller die ungewohnten Verlautbarungen aus der SVP zur
Kenntnis nimmt. «Wenn selbst die Hardliner das überdenken, sinkt
vielleicht der Druck auf Müller, ebenfalls einen harten Kurs zu
verfolgen.»
Müller seinerseits sagt, er vertrete überhaupt keine harte Linie. «Ich
halte nur an der Praxis des geltenden Rechts fest.» Dieses sei
demokratisch legitimiert: Das Volk habe dem revidierten Asylgesetz
deutlich zugestimmt.
Markwalder ist skeptisch
Derweil fordern im Nationalrat die bernischen Abgeordneten Jürg Grossen
(GLP) und Christa Markwalder (FDP), dass Abgewiesene eine begonnene
Ausbildung in jedem Fall beenden dürfen. Ihre Motionen sind hängig, der
Bundesrat empfiehlt sie zur Ablehnung. Doch Markwalder ist optimistisch:
«Der Bundesrat anerkennt das Problem in seiner Antwort», sagt sie.
«Somit stimmt es mich zuversichtlich, dass nun auch Stimmen aus der SVP
diesem Anliegen positiv gegenüberstehen. Üblicherweise verfolgen sie
eine ideologische Linie im Asylwesen.»
Auch Markwalder äussert Skepsis gegenüber der Haltung der bernischen
Kantonsregierung. «Ich bezweifle, dass der Kanton seinen Spielraum
wirklich nutzt, um abgewiesenen Asylsuchenden einen Lehrabschluss zu
ermöglichen.» Es müsse aber in seinem Interesse liegen, dies zu tun –
«zumal es bei uns viele solche Schicksale gibt.»
Etliche Gewerbler, die sich für Asyl suchende Lehrlinge einsetzen, haben
primär wirtschaftliche Beweggründe. Malermeister Lüthi macht jedoch
mittlerweile den Eindruck eines Aktivisten: «In 20 Jahren wird man sich
fragen, wie wir das nur tun konnten», sagt er über die Rückkehrzentren
für Abgewiesene. Insbesondere für nach altem Asylrecht vor 2019
Eingereiste fordert er rasche Lösungen. Sein Lehrling Andemariam ist
zurzeit privat in einem Pfarrhaus untergebracht. Bei den Bundesbehörden
ist ein Gesuch hängig, seinen Asylfall wieder zu erwägen.
(https://www.derbund.ch/svp-spitze-will-lockerung-fuer-abgewiesene-632046118088)
+++ST. GALLEN
tagblatt.ch 20.07.2020
«Diese Kinder haben es verdient, glücklich zu sein wie alle anderen
auch»: Wieso sich ein St.Galler Stadtparlamentarier für eine abgewiesene
Flüchtlingsfamilie einsetzt
Jeyakumar Thurairajah, Grüner Stadtparlamentarier und einst selber
Asylsuchender, setzt sich mit einem zweiten Vorstoss für ein
abgewiesenes Flüchtlingsehepaar mit hörbehindertem Kind ein.
Diana Hagmann-Bula
Die Schweiz ist für ihn ein Traumland. Ein Land, in dem er sich mit
seiner Familie sicher fühlt, er einem Beruf nachgehen kann, der ihn
erfüllt und finanziell über Wasser hält. Nicht immer war das so: 1987
flüchtete Jeyakumar Thurairajah aus politischen Gründen aus Sri Lanka,
wartete sieben Jahre lang auf einen positiven Asylentscheid. Auch
deshalb politisiert der Grüne im Stadtparlament: «Um dem Land, das so
gut mit mir ist, etwas zurückzugeben.»
Doch gerade enttäuscht ihn sein Traumland. Die Schweiz, die sonst so
solidarisch und engagiert sei, mit der er Personen wie den verstorbenen
in Kambodscha helfenden Kinderarzt Beat Richner verbinde, sie hat ein
Asylehepaar abgewiesen. Der Mann stammt aus Äthiopien, die Frau aus dem
Sudan, die in der Schweiz geborenen Kinder sind zwei Jahre alt. Die
Familie weigerte sich, ins Ausreise- und Nothilfezentrum Vilters
umzuziehen. Der Kanton strich die Sozialhilfe. Damit fiel auch die
Behandlung für das eine Kind mit Hörbehinderung weg.
Die Stadt habe getan, was möglich sei
Thurairajah will das nicht hinnehmen. «Es geht mir nicht um das
Ausländerrecht, sondern um das Kindeswohl», betont er. Im März hatte er
im Stadtparlament bereits eine Einfache Anfrage zum Fall eingereicht.
Was der Stadtrat unternehmen könne, damit das Kind die nötigen
Behandlungen bekomme, wollte er wissen.
Die Sozialen Dienste der Stadt, so antwortete der Stadtrat, hätten die
Familie von März 2016, dem Zeitpunkt, als sie in die Stadt übertrat, bis
zu den letztinstanzlichen Entscheiden des Bundesverwaltungsgerichts
unterstützt.
Nachdem das Staatssekretariat für Migration (SEM) das Asylgesuch des
Ehepaars abgelehnt hatte, legten dessen Rechtsvertreter Beschwerde ein.
Vergeblich. Das politische Engagement des Asylbewerbers in seinem
Heimatland erreiche kein Ausmass, das die Aufmerksamkeit der
äthiopischen Behörden erwecke, stimmte das Bundesverwaltungsgericht mit
der Vorinstanz überein. Ausserdem habe sich die politische Lage in
Äthiopien entspannt.
Die Stadt fühlt sich nicht zuständig für die Familie
«Die Zuständigkeit für die Familie fiel mit der Rechtskraft von der
Stadt zurück an den Kanton», ist in der Antwort des Stadtrats zu lesen.
Die Stadt habe, solange sie für die Familie zuständig gewesen sei, diese
so weit möglich und sinnvoll unterstützt, auch betreffend die
gesundheitlichen Probleme des einen Kindes, heisst es weiter. «Zu
beachten ist auch, dass allfällige Massnahmen der Stadt gegen die
übergeordnet festgelegte Kompetenzordnung oder gegen die
Gewaltentrennung verstossen könnten.»
Er sei mit der Antwort des Stadtrats nicht zufrieden, sagt
Stadtparlamentarier Jeyakumar Thurairajah. Deshalb hat er nun eine
zweite Einfache Anfrage eingereicht, die sich um die Flüchtlingsfamilie
dreht. Er kritisiert:
Thurairajah bricht es das Herz
Thurairajah verweist auf die UN-Kinderrechtskonvention, 1997 von der
Schweiz ratifiziert, sowie auf die UN-Behindertenrechtskonvention.
«Welche Bedeutung haben die genannten internationalen Rechtsgrundlagen
für die Verantwortlichkeit der Stadt St.Gallen gegenüber einem
behinderten Kleinkind von Asylsuchenden?», erkundigt er sich in seinem
neuen Vorstoss. Und fragt, ob bei einer angemessenen Behandlung gemäss
Prinzipien der Kinderrechts- und Behindertenrechtskonvention
übergeordnete Institutionen die Stadt tatsächlich sanktionieren könnten.
Thurairajah: «Ich bin nach wie vor der Ansicht, dass die Stadt ihre
Verantwortung abschiebt. Sie könnte fordern, dass die
UN-Kinderrechtskonvention im kantonalen Sozialhilfe-, im Familien-,
Asyl- und Ausländergesetz verankert und umgesetzt wird.» Es breche ihm
das Herz, dass der Bub wegen des negativen Asylentscheids benachteiligt
sei. Jedes Mal, wenn er die Geschwister sieht, denkt er:
Beim Bund ist ein Wiedererwägungsgesuch hängig
Auch abseits des Stadtparlaments gibt der 50-jährige Pflegefachmann und
Jugileiter dem Flüchtlingsehepaar eine Stimme. Soeben hat er sich mit
Rechtsfachleuten, Vertretern des Solidaritätshauses und des
Solidaritätsnetzes St.Gallen, der Kirchgemeinden sowie mit privaten
Helfern getroffen, um zu besprechen, wie es weitergehen soll. Klausfranz
Rüst-Hehli, der die Familie rechtlich berät und sie gegenüber Behörden
und Gerichten vertritt, verweist auf das Wiedererwägungsgesuch, das beim
Staatssekretariat für Migration hängig ist.
Zögerlich werde es behandelt, obwohl Fälle, in denen es um Kindeswohl
gehe, Priorität hätten, sagt er. Man habe das Gesuch im Oktober 2019
eingereicht, erst letzten Monat habe das SEM einen Arztbericht über die
Hörbehinderung des einen Kindes einverlangt. Rüst-Hehli wertet das als
gutes Zeichen:
Man habe damals den Einzelfall nicht vorschriftsgemäss geprüft, ist er überzeugt.
Rüst-Hehli hat bereits einen Plan B
Ob im Rückschaffungsland Äthiopien Therapie und Beschulung des
hörbehinderten Kindes angeboten würden und finanzierbar seien, darüber
gebe es nur Spekulationen. «Humanitär nicht zumutbar wäre das.» Deshalb
wünscht sich der 72-jährige Kindesverfahrensvertreter, der früher unter
anderem für die Rechtsberatungsstelle für Asylsuchende
St.Gallen-Appenzell gearbeitet hat, dass das Wiederwägungsgesuch
gutgeheissen wird. Ein Ja würde für die Familie gemäss Rüst-Hehli die
vorläufige Aufnahme bedeuten, samt Behandlung von Schweizer Ärzten für
das Kind.
Rüst-Hehlis Hoffnung ist gross. Und dennoch hat er einen Plan B. Einen
Plan für den Fall, dass das Wiedererwägungsgesuch doch abgelehnt wird.
Käme der Ausschuss zum selben Schluss wie Rüst-Hehli, würde er ein
erneutes Wiedererwägungsgesuch beim SEM stellen. Ein Prozedere, das
dauert. Rüst-Hehli rechnet mit zwei Jahren und mehr. Was passiert
derweil mit der Familie und ihren Kindern? Er weiss es nicht genau: Im
besten Fall fordere der Ausschuss die Schweiz wohl auf, die endgültige
Stellungnahme abzuwarten und die Familie in der Schweiz wohnen zu
lassen.
Der Härtefall: Eine Möglichkeit, die keine ist
Eigentlich gäbe es noch eine weitere Möglichkeit: Nach über fünf Jahre
dauerndem Asylverfahren besteht die Möglichkeit, beim Kanton ein Gesuch
einzureichen wegen persönlicher übermässiger Härte. Ende August ist
diese Frist im Fall der Flüchtlingsfamilie gemäss Rüst-Hehli erreicht.
Wegen fehlender adäquater medizinischer Behandlung des Kindes in
Äthiopien erachtet er die Situation durchaus als Härtefall. «Um als
solcher anerkannt zu werden, müssen die Betroffenen allerdings
wirtschaftlich selbstständig sein», sagt er.
Eine Unmöglichkeit. Der Mann sei zwar studierter Jurist, beherrsche aber
die Sprache und die Gesetze unseres Landes noch nicht. Er könne sich im
unqualifizierten Arbeitsmarkt bewerben, in der Gastronomie oder in der
Reinigungsbranche etwa. «Dort gibt es jedoch mehr Bewerber als Stellen.
Falls er trotzdem einen Job findet, dann ist der Lohn so niedrig, dass
der Mann seine vierköpfige Familie damit bestimmt nicht durchbringt.»
Jeyakumar Thurairajah, Stadtparlamentarier und ehemaliger Asylbewerber,
sagt, er wisse aus eigener Erfahrung, wie der Mann aus Äthiopien sich
fühle. Hilflos. Machtlos. Verängstigt.
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/stgallen/diese-kinder-haben-es-verdient-gluecklich-zu-sein-wie-alle-anderen-auch-wieso-sich-ein-stgaller-stadtparlamentarier-fuer-eine-abgewiesene-fluechtlingsfamilie-einsetzt-ld.1239625)
+++EUROPA
EU-Grenzschutzagentur Frontex: Hilfe beim Abschieben
Frontex zahlt auf Wunsch Charterflüge, um Flüchtlinge in ihre
Herkunftsländer zurückzubringen. Deutschland macht davon regen Gebrauch.
https://taz.de/EU-Grenzschutzagentur-Frontex/!5701399/
+++FREIRÄUME
bernerzeitung.ch 20.07.2020
Stadt Bern duldet illegale Bauwagen-Siedlung im Wald
In einer Waldlichtung nördlich von Bethlehem stehen seit Jahren mehrere
Bauwagen. Die Stadt Bern duldet die Siedlung, obwohl sie nicht legal
ist.
Stefan Schnyder
Ein Leser dieser Zeitung staunte nicht schlecht. Auf einem
Waldspaziergang gelangte er in ein Waldstück, das nördlich von Bethlehem
liegt. Das Waldstück ist Teil des Bremgartenwalds und wird von dessen
Kerngebiet durch die Eymattstrasse, welche nach Hinterkappelen führt,
abgetrennt. «Meine Frau und ich sahen plötzlich, dass in einer
Waldlichtung mehrere Bauwagen standen», erzählt der Leser, der seinen
Namen nicht in der Zeitung lesen will. Offensichtlich lebt eine
Personengruppe permanent dort. Er möchte wissen, wie es um die Legalität
dieser Siedlung steht.
«Es ist Wald»
Eine Suche im Archiv des Berner Stadtrats zeigt, dass diese Siedlung
schon vor acht Jahren im Stadtparlament ein Thema war. Die SVP-Vertreter
Alexander Feuz und Ueli Jaisli wollten wissen, ob die Siedlung legal
sei und was die Stadt in dieser Sache zu tun gedenke.
Die Fragen brachten den Gemeinderat in leichte Verlegenheit. Er musste
einräumen, dass die Waldlichtung im Pfründwald – so heisst das Waldstück
– planungsrechtlich als Wald eingestuft ist. Dies heisst, dass es dort
nur mit einer Sonderbewilligung erlaubt ist, ein Bauwerk aufzustellen
respektive es permanent für Wohnzwecke zu nutzen. Zudem fügte die
Stadtregierung an, dass sich auf der Parzelle früher die Schlamm- und
Abfalldeponie Jordengrube befand.
Die Eigentümer dulden die Nutzung
Der Gemeinderat betonte weiter, dass eine Erbengemeinschaft die
Grundbesitzerin sei und dass diese die Nutzung durch die Bauwagen
bislang geduldet habe. Unklar ist, ob die Erbengemeinschaft auch heute
noch die Besitzerin des Grundstückes ist. Und dann schob der Gemeinderat
die Verantwortung für den illegalen Zustand den Grundeigentümern zu:
«Verantwortlich für die legale Nutzung ist im Übrigen die Eigentümerin
der betreffenden Parzelle.» Dann stellte die Stadtregierung in Aussicht,
dass sich nötigenfalls die Baupolizei um die Angelegenheit kümmern
werde.
Aktuell ist die Direktion für Sicherheit, Umwelt und Energie von
Gemeinderat Reto Nause (CVP) für den Fall zuständig. Die Sprecherin
Alice Späh schreibt zum Stand des baupolizeilichen Verfahrens: «Die
Stadt hat das Verfahren im Jahr 2014 eingeleitet, dann aus
verfahrenstechnischen Gründen vorübergehend sistiert und aufgrund
veränderter Umstände vor gut einem Jahr, im Frühsommer 2019, wieder
aufgenommen.» Konkreter will sie nicht werden. Sie bestätigt zudem, dass
die Nutzung des Areals für Wohnzwecke nach wie vor nicht legal ist.
«Langwieriges Verfahren»
Damit bleibt offen, ob es das Ziel des Gemeinderates ist, das Areal
früher oder später zu räumen. Die Sprecherin der Sicherheitsdirektion
betont in ihrer Antwort, dass es sich dabei um ein «langwieriges
Verfahren» handle. Damit wiederholt sie ein Wort, das der Gemeinderat
schon 2012 in seiner Antwort verwendet hat. «Rechtlich korrrekt
durchgeführte baupolizeiliche Wiederherstellungsverfahren sind sehr
langwierig, wenn nicht die öffentliche Sicherheit konkret und aktuell
bedroht ist.»
Der Gemeinderat betonte 2012 weiter, dass eine Räumung des Areals
verhältnismässig sein müsste. Damit lässt er sich elegant die Hintertür
offen, von einer Räumung abzusehen respektive sie weit in die Zukunft zu
verschieben. Die Stadtregierung formulierte es so: «Die widerrechtliche
Nutzung der Parzelle über viele Jahre ist daher auch mit
verhältnismässigen Mitteln beziehungsweise innert verhältnismässigen
Fristen einzustellen.»
Der Gemeinderat führte in seiner Antwort jedoch nicht aus, welche
Argumente gegen eine Räumung sprechen. Es ist davon auszugehen, dass er
befürchtete, dass eine allfällige Räumungsaktion zu einer
Solidaritätswelle innerhalb von linksaktivistischen Kreisen führen
könnte. So wie im November 1987, als es im Rahmen der Jugendbewegung zu
heftigen Protesten gegen die Räumung der alternativen Siedlung Zaffaraya
durch die Polizei kam.
Dass der Gemeinderat 2012 auf Zeit gespielt hat, dürfte einen weiteren
Grund haben: Damals setzte er seine Hoffnungen auf sein Vorhaben, in
Riedbach eine Zone für experimentelle Wohnformen zu schaffen. Das
Stadtberner Stimmvolk stimmte der Vorlage im September 2013 mit 54
Prozent Ja-Stimmen zu. Doch die Zone ist bis heute nicht Realität
geworden, denn der Kanton wehrt sich mit dem Hinweis auf den Schutz von
Fruchtfolgeflächen für die Landwirtschaft gegen die Schaffung einer
solchen Zone.
«Stadt misst mit ungleichen Ellen»
SVP-Fraktionschef Alexander Feuz ärgert sich, dass die Stadt seit 2012,
als er seinen Vorstoss zu dieser Bauwagensiedlung eingereicht hat, keine
Fortschritte vorweisen kann: «Wenn ein privater Hausbesitzer seine
Terrasse vergrössert und etwas mit der Bewilligung nicht stimmt, dann
geht die Stadt mit der ganzen Härte des Gesetzes gegen ihn vor. Im Fall
der Bauwagensiedlung im Pfründwald dagegen drückt die Stadtregierung
während Jahren beide Augen zu», betont er. Seiner Ansicht nach zeigt
dieses Beispiel, dass die Stadt mit unterschiedlichen Ellen messe. Die
Tatsache, dass die Stadt das Verfahren während mehrerer Jahre sistiert
habe, «befremde» ihn, sagt er.
Ausserdem weist er auf das Risiko hin, dass die Bewohner sich eines
Tages auf das Gewohnheitsrecht berufen können, wenn die Stadt zu lange
nichts unternimmt. «Will die Stadt wie bei den Zaffarayanern im Neufeld
bewusst so lange warten, bis die rechtlichen Grundsätze Vertrauensschutz
und Verhältnismässigkeit die Wegweisung der Bewohner nahezu
verunmöglichen?», fragt er.
Auch der Leser hat sich seine Gedanken zum Thema gemacht, seit er die
Bauwagensiedlung das erste Mal gesehen hat. «Wo führt das hin, wenn
immer mehr daran Spass finden und feststellen, dass dieses Vorgehen
nicht nur geduldet, sondern sogar legalisiert und von anderen finanziert
wird?», fragt er.
(https://www.bernerzeitung.ch/stadt-bern-duldet-illegale-bauwagen-siedlung-im-wald-300646405525)
—
Die Häuser denen, die drin wohnen!
Am Samstag besetzten Konstanzer Aktivistinnen und Aktivisten ein
leerstehendes Haus in der Markgrafenstrasse. Neben einem offenen Café
und einem Infoladen soll in den oberen Etagen Wohnraum entstehen, der
offen für alle ist. Am gleichen Tag fand zudem eine Demo für bezahlbaren
Wohnraum statt. Holger Reile und Eli Nowak haben sich umgeschaut.
https://www.saiten.ch/die-haeuser-denen-die-drin-wohnen/
+++GASSE
«Hesch mer e Stutz?» – Polizei registriert mehr Bettler auf Basels Strassen
Seit dem 1. Juli ist in Basel-Stadt das «Bettel-Verbot» aufgehoben. Bürgerliche Politiker sehen einen Zusammenhang.
https://www.srf.ch/news/regional/basel-baselland/hesch-mer-e-stutz-polizei-registriert-mehr-bettler-auf-basels-strassen
—
derbund.ch 20.07.2020
Wegen Open-Air-Partys: In Bern häufen sich die Lärmklagen
Bei der Kantonspolizei gehen zurzeit deutlich mehr Beschwerden ein, als
dass es im Sommer üblich ist. Die städtische Interventionsgruppe Pinto
sieht im Feiern im Freien einen Trend, der jährlich zunimmt.
Sven Niederhäuser
Bisher ist es ein schöner Sommer, jedoch hat er auch seine
Schattenseite. Denn durch das warme Wetter sind mehr Menschen draussen,
wodurch in der Schweiz immer öfter über Lärm geklagt wird. So auch in
Bern. «Im ganzen Kanton gab es in der ersten Julihälfte deutlich mehr
Beschwerden als in den Jahren davor», sagt Ramona Mock, Sprecherin der
Berner Kantonspolizei. Zahlen und Ursachen könne sie jedoch keine
nennen. «Es kann verschiedene Gründe dafür geben», sagt Mock.
Auch letztes Wochenende seien bei der Polizei Lärmklagen eingegangen.
Mock relativiert: «Das ist an einem Sommerwochenende nichts
Aussergewöhnliches.» Ebenfalls komme es an solchen auch häufig zu
Auseinandersetzungen und Streitereien. Diesbezüglich habe es jedoch
keinen grösseren Einsatz gegeben. «Besonders am Samstag zog es viele
aufgrund des schönen Wetters aus der Stadt heraus. Beispielsweise zum
Bräteln», sagt Mock.
«Eine Frage des Masses»
Silvio Flückiger ist Leiter der städtischen Interventionsgruppe Pinto.
Er stellt im Sommer beim Feiern unter freiem Himmel einen Trend fest,
der stetig zunimmt. «Das Leben findet seit Jahren vermehrt draussen
statt.» Flückiger kennt die häufigsten Lärmquellen der Stadt. Denn wenn
bei der Polizei eine Lärmklage eingeht, werden manchmal seine Leute
vorgeschickt. «Das, wenn die Polizei nicht gleich Bussen verteilen
will.» Doch auch Anwohnende und Quartiervereine melden sich bei ihnen.
Momentan sind 13 Lärmklagen bei Pinto hängig. Bis auf eine stammen alle
aus Aussenquartieren. Flückigers Erklärung dafür: «Ausserhalb der
Innenstadt wohnen mehr Leute.»
Besonders beliebt für nächtliche Feieraktivitäten unter Jugendlichen
sind Quartierparks und Schulhausplätze, sagt Flückiger. Beschwert man
sich darüber, versucht Pinto in erster Linie zu vermitteln. «Die
Feiernden werden auf das Ruhebedürfnis der Anwohnenden sensibilisiert.»
Doch auch die Lärmklagenden kriegen etwas zu hören. «Wir sagen ihnen,
dass sie in einer Stadt nicht damit rechnen können, dass ab 22 Uhr
absolute Ruhe herrscht.» Grundsätzlich seien Partys im öffentlichen Raum
überall erlaubt. «Es ist eine Frage des Masses.»
Weniger Angebote im Sommer
Über die Sommermonate schliessen viele Clubs und Jugendhäuser ihre Tore.
So auch die Jugend-Disco Einspruch in der Aarbergergasse oder die
Treffpunkte des Trägervereins für offene Jugendarbeit (Toj). Im Sommer
würden sich die jungen Erwachsenen sowieso vor allem draussen treffen,
sagt Toj-Chefin Nicole Joerg Ratter. «Die Badis, die Aare und andere
öffentliche Plätze sind sehr beliebt.» Doch diesen Sommer würden nur
zwei Wochen Sommerpause gemacht, «da viele nicht in die Ferien gehen und
hier bleiben».
Es bestehe durchaus das Bedürfnis nach offenen Clubs. Als die
Toj-Jugendtreffs nach dem Lockdown am 6. Juni wieder öffneten, wurde von
den Jugendlichen ein Day Rave mit 300 Personen veranstaltet. «Diese
fragten sich allerdings, warum sie in den Einrichtungen Abstand halten
mussten, wenn dies in der Schule nicht so war», sagt Joerg Ratter. Die
Jugendlichen seien aber sehr pflichtbewusst gewesen, was
Schutzmassnahmen anbelangte. «Viele fragten sich auch, wo ihr Platz in
dieser Krise ist.»
Nächtliche Open-Air-Partys könnten aber bald wieder in die Clubs
verschwinden. Im Jugend- und Kulturzentrum Gaskessel wird festgestellt:
«Wir merken, dass die Jugendlichen wieder in den Ausgang wollen», sagt
Teamleiter Francisco Droguett. Er findet es wichtig, dass die Clubs
wieder offen haben. Denn: «Bei illegalen Partys besteht keine Chance für
ein Contact-Tracing.»
Verbote sind für ihn keine Lösung. «Es ist blauäugig zu glauben, wenn
alles verboten wird, passiert nichts.» Deshalb seien die
Kulturveranstaltenden als Partnerinnen und Partner für die Behörden
wichtig. «Jeder Betreibende setzt sich nicht nur einem wirtschaftlichen,
sondern einem grossen Reputationsrisiko aus.» Es sei mit grossen
Anstrengungen verbunden, damit alles geordnet über die Bühne gehe. Seit
der Wiederöffnung seien keine Lärmklagen im Zusammenhang mit ihren
Veranstaltungen bekannt.
(https://www.derbund.ch/in-bern-haeufen-sich-die-laermklagen-461206540951)
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
bernerzeitung.ch 20.07.2020
Graffiti in der Reitschule: Aktivistinnen prangern Sexismus in der linken Szene an
Sexismus macht auch vor linken Bewegungen nicht halt. Das zeigen
kritische Beiträge von Berner Aktivistinnen. Entzündet hatte sich der
Disput an einem Graffito.
Michael Bucher
Die revolutionäre Linke ist bekannt für ihren teils militanten Kampf
gegen Kapitalismus, Faschismus und staatliche Repression. Auch das
Engagement für Gleichstellung und feministische Anliegen zählt zu dessen
Repertoire. Doch offenbar ist man auch in der linksautonomen Szene in
Bern nicht vor Sexismus gefeit. Das zeigen zwei veröffentlichte
Schreiben auf dem Online-Portal Barrikade.info. Konkret geht es um
Sexismus und sexualisierte Gewalt beziehungsweise den Umgang damit
innerhalb der eigenen Reihen.
Der eine Eintrag ist eine 15’000 Zeichen lange Wutschrift von einer
Gruppe, die sich selbst als «revolutionäre Queerfeministinnen»
bezeichnet. Die Frauen verschaffen darin ihrem Ärger Luft, dass ihre
Forderungen von den Männern in der Szene zu wenig ernst genommen würden.
Entzündet hat sich der Geschlechterkonflikt an einem Graffito, welches
Frauen im Innenhof der Reitschule an ein Tor gesprayt hatten. «Kill all
Rapists» (engl.: Tötet alle Vergewaltiger) stand dort. Für nicht wenige
Männer der linksautonomen Szene war damit der Bogen offensichtlich
überspannt. Jedenfalls sollen laut dem Schreiben einige von ihnen das
Wort «Rapists» mit «U» (für you, engl.: du) übermalt haben. Auch hätten
die Frauen wegen der radikalen Forderung «verbale Angriffe» innerhalb
der Szene erlebt.
Vorwurf der Heuchelei
«Wir haben diese elenden Rechtfertigungsdiskussionen satt», schreibt die
Frauengruppe. Natürlich sei man sich der Polemik des Schriftzuges
bewusst. Doch provokante Parolen seien in der links-revolutionären Szene
schliesslich keine Seltenheit. Die Frauengruppe fragt sich, seit wann
die Szene plötzlich den Anspruch habe, dass Parolen in Graffiti oder auf
Transparenten an Demos eine ganzheitliche Analyse beinhalten sowie
angenehm und diplomatisch sein müssen. An etlichen Wänden stünden
schliesslich ebenso heftige Parolen wie «Kill Nazis» (Tötet Nazis) oder
«ACAT» (für «All Cops Are Targets», engl.: Alle Polizisten sind Ziele).
Gewaltandrohungen würden nur legitim erscheinen, wenn sie sich gegen die
klassischen Feindbilder wie Polizei und kapitalistische Exponenten
wenden, so der Vorwurf der linken Aktivistinnen. Derselbe Umgang mit
patriarchaler Gewalt werde hingegen als zu extrem empfunden. «Was für
Heuchler*innen seid ihr?», schreibt die anonyme Gruppe spürbar empört.
Ihr Fazit: «Feindbilder dürfen diffamiert und angegriffen werden,
solange sie sich deutlich ausserhalb des eigenen Dunstkreises befinden.»
Offenbar fühlen sich die Aktivistinnen von ihren männlichen Gefährten
teils bevormundet. So sei ihnen vorgehalten worden, die Parole sei
«kontraproduktiv» oder «mit Anarchismus unvereinbar». Damit spreche man
den Frauen in der Szene jegliches politische Wissen ab, so der Vorwurf
der Verfasserinnen. Die Kritik verstärke den Eindruck, dass es in einem
anarchistischen Umfeld mehr Platz für Täterpersonen und deren Schützer
habe als für die von sexualisierter Gewalt Betroffenen.
Die Frau als «Spassbremse»
Dass Sexismus auch in der linken Szene vorkommt, erstaunt Zora Schneider
nicht. «Sexismus ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen», sagt die
34-Jährige, welche in Bern am linken Rand politisiert. Die Werkstudentin
ist Mitglied der kommunistischen Partei der Arbeit (PdA) und seit drei
Jahren Berner Stadträtin. Sie sei zwar nicht an der hitzigen Diskussion
innerhalb der linksautonomen Bewegung beteiligt, doch zumindest was ihr
politisches Umfeld betrifft, kann sie festhalten: «Auch ich habe
Erfahrungen mit männlichem Dominanzverhalten in Diskussionen gemacht.»
Ebenso kenne sie die Vorwürfe, dass man als Frau beim Ansprechen solcher
Themen als «Spassbremse» bezeichnet werde.
Dem Sexismus in linken Kreisen will Zora Schneider jedoch nicht allzu
viel Gewicht geben. Sie betont, dass in anderen Kreisen die Auswüchse
viel schlimmer seien. In der linken Szene gebe es ein verstärktes
Bewusstsein für Sexismus, was die Diskussionen erleichtere. Angesprochen
auf das umstrittene Graffito, meint sie: «Das kann ich nur aus der
Ferne beurteilen. Ich könnte mir aber vorstellen, dass es der Ausdruck
von Wut darüber ist, dass es in der Schweiz im Jahr etwa 680 angezeigte
Vergewaltigungen gibt» – bei einer mutmasslich hohen Dunkelziffer.
Was die Reitschule zu der hitzigen Debatte meint, die auf ihrem Gemäuer
ausgetragen wird, ist unklar. Von der Mediengruppe war niemand
erreichbar.
–
Provokante Parolen auch anderorts in der Kritik
Debatten um Sexismus und Mackertum innerhalb der linken Szene sind weder
neu noch auf Bern beschränkt. Davon zeugen diverse Broschüren und
Beiträge auf linksautonomen Online-Portalen. Vor zwei Jahren publizierte
in der Schweiz ein Zusammenschluss von Linksaktivistinnen und
-aktivisten namens «Lieber Glitzer» eine 40-seitige Broschüre zum Thema.
Darin werden verschiedene patriarchale Muster in den eigenen Reihen
thematisiert. Etwa der Umstand, dass Frauen oft kaum sichtbare Arbeit
erledigen (Protokoll führen, Finanzen, putzen), während Männer für
Aufgaben vorgesehen sind, die am meisten Anerkennung und
Entscheidungsmacht beinhalten (Sitzungen leiten, das Megafon bedienen).
Ausserdem würden nicht militante Aktionen und feministische Forderungen
oft heruntergespielt oder belächelt. «Radikal ist nur, was laut,
gefährlich und krass ist», heisst es in der Broschüre.
Frauen stellen teilweise auch oft verwendete Parolen der linksautonomen
Bewegung infrage, wie ein Blick nach Deutschland zeigt. Dort verurteilen
Aktivistinnen das Festhalten an der Formulierung «ACAB» (für «All Cops
are Bastards», engl.: Alle Polizisten sind Bastarde). «Bastard ist eine
Bezeichnung für ein uneheliches Kind», hält ein nicht genanntes
Kollektiv in einem Beitrag fest, welcher auch auf dem Schweizer Portal
Barrikade.info publiziert wurde. Mütter von unehelichen Kindern seien
jahrhundertelang als «Schlampen» bezeichnet worden. Ausserdem bezeichne
der Begriff Bastard immer auch eine Art «unreine Mischform» – eine
Stigmatisierung, deren sich auch die Nationalsozialisten bedient hätten.
«Der Begriff ist schlichtweg reaktionär, antifeministisch und nicht
links», wird in dem Schreiben festgehalten. Von Männern kriege man
jedoch oft zu hören, dass der Begriff Bastard lediglich eine «neutrale
Beleidigung» sei. Zudem sei der Spruch eine «linke Tradition». Für die
Frauen unerklärlich: «Warum ist hier die so oft hochgehaltene,
vermeintliche Begriffsarbeit plötzlich nicht mehr wichtig?» (mib)
(https://www.bernerzeitung.ch/aktivistinnen-prangern-sexismus-in-der-linken-szene-an-452557592486)
—
KILL ALL RAPISTS – Touch me again and I will fucking kill you
KILL ALL RAPISTS-und wieso diese Aussage, aus unserer Sicht, auch Teil eines feministischen Kampfes sein kann.
Wir, eine Gruppe von revolutionären Queerfeministinnen, haben im
Innenhof der Reitschule ein grosses „Kill All Rapists“ gemalt. Nach
verbalen Angriffen, Rechtfertigungsforderungen v.a. von cis Männern und
der gezielten Übermalung des Wortes „Rapists“ mit dem Wort „U“ im Bild,
sind wir es nun leid.
https://barrikade.info/article/3620
—
Sexismus in der linken Szene
Im Folgenden wollen wir einige, unserer Haltung nach, sexistische und
reaktionäre Vorkommnisse innerhalb der linken Szene (u.a. in Frankfurt
am Main) aufgreifen.
https://barrikade.info/article/84
—
Demonstrationen während Corona-Krise: Der Zürcher Statthalter tadelt Polizeivorsteherin Rykart
Die Aufsichtsbeschwerde der SVP gegen die grüne Stadträtin Karin Rykart
wird zwar aus formellen Gründen abgewiesen. Inhaltlich teilt der
Statthalter aber die Kritik.
https://www.nzz.ch/zuerich/demonstrationen-in-zuerich-der-statthalter-tadelt-die-polizeivorsteherin-ld.1567257
+++REPRESSION DE
Hackerangriffe auf Indymedia?
Linke Online-Plattform leidet unter Störungen
Die linke Internetplattform indymedia war in der vergangenen Woche in
mehreren deutschen Städten nicht erreichbar. Wer hinter den
Hackerangriffen steht, ist unklar. Doch auch die politischen Angriffe
auf die Plattform nehmen zu.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1139363.indymedia-hackerangriffe-auf-indymedia.html
+++AUSLÄNDER*INNEN-RECHT
Härtefallklausel kommt oft zum Zug: So unterschiedlich schaffen die Kantone kriminelle Ausländer aus
Nach Annahme der Ausschaffungs-Initiative dürfen kriminelle Ausländer
nur noch in Ausnahmesituationen in der Schweiz bleiben. Eigentlich. Denn
die neusten Zahlen zeigen das Gegenteil. Zwischen den Kantonen gibt es
riesige Unterschiede.
https://www.blick.ch/news/politik/haertefallklausel-kommt-oft-zum-zug-so-unterschiedlich-schaffen-die-kantone-kriminelle-auslaender-aus-id16002824.html
-> https://www.tagesanzeiger.ch/svp-blaest-zum-angriff-auf-die-haertefallklausel-920187598882
+++POLIZEI ZH
Paralleldiplomatie bei der Stadtpolizei? Stapo schenkt Schutzwesten an die bolivianische Polizei
In Bolivien begeht die De-facto-Regierung unter Jeanine Añez massive
Menschenrechtsverletzungen. Trotzdem erhielt sie vorletzte Woche eine
grosszügige Spende aus der Schweiz: von der Zürcher Stadtpolizei. Laut
bolivianischen Medien ein Akt der offiziellen Diplomatie, doch bis vor
Kurzem wusste das EDA von nichts. Was ist passiert? Eine Recherche.
https://daslamm.ch/die-stapo-betreibt-paralleldiplomatie/
+++POLIZEI DE
Frankfurt am Main : Horst Seehofer fordert Studie über Gewalt gegen Polizei
Nach den Ausschreitungen auf dem Opernplatz will der Innenminister
Gewalt gegen Polizeibeamte untersuchen. Auf dem Platz in Frankfurt gilt
künftig ein Betretungsverbot.
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-07/horst-seehofer-studie-gewalt-gegen-polizisten-frankfurt-am-main?wt_zmc=sm.ext.zonaudev.twitter.ref.zeitde.share.link.x
-> https://www.tagesschau.de/inland/frankfurt-opernplatz-krawalle-101.html
-> https://www.jungewelt.de/artikel/382618.aufreger-frankfurt-am-main-folgen-unregulierter-feier.html
Racial Profiling: Diskussion über Studie zu Rassismus und Polizei hält an
Der Bundesinnenminister bleibt bei seinem Nein zu einer Studie über
Racial Profiling bei der Polizei. Doch einige Amtskollegen in den
Bundesländern lassen nicht locker. Immerhin kündigt Seehofer ein
Lagebild zu Extremismus im öffentlichen Dienst an.
https://www.migazin.de/2020/07/20/racial-profiling-diskussion-studie-rassismus
-> https://www.br.de/nachrichten/bayern/erlanger-professor-studie-zu-racial-profiling-wichtig,S5FReJC
Aufklärung von „NSU 2.0“-Drohmails: Das laute Schweigen der Grünen
Wegen des Skandals um „NSU 2.0“-Drohmails steht der hessische
Innenminister schwer in der Kritik. Die Grünen sind auffällig leise.
https://taz.de/Aufklaerung-von-NSU-20-Drohmails/!5695799/
-> https://www.jungewelt.de/artikel/382614.nsu-2-0-keine-chefsache-gba-will-nicht-ermitteln.html
-> https://www.hessenschau.de/gesellschaft/ex-gruene-ditfurth-berichtet-von-nsu-20-morddrohung,drohmail-ditfurth-100.html
-> https://www.br.de/nachrichten/bayern/serie-rechtsextremer-drohmails-auch-muenchner-anwaeltin-betroffen,S5FxCjw
—
derbund.ch 20.07.2020
Polizeiskandale in Deutschland: Hassmails mit Hilfe von Polizisten
In Deutschland werden vor allem Frauen von Rechtsextremen mit dem Tod
bedroht, und vieles deutet auf Täter oder Helfer in Hessens Polizei hin.
Über das Versagen der Ermittler und der Politik.
Matthias Drobinski, Renate Meinhof
Dass sie eine dunkle Sonnenbrille trägt oder doch wenigstens eine Maske
oder, viel sicherer noch, Brille und Maske, das hätte man erwartet bei
einer Frau, die jede Minute erschossen werden kann. Denn so ist es. Jede
Minute kann es vorbei sein, Schluss, Ende. Das hat sie schwarz auf
weiss, in all den Mails und Nachrichten voller Hass. Sie aber steht da,
mitten in Frankfurt, wo sie lebt, Idil Baydar, die Kabarettistin, eine
kleine, rundliche Frau mit hochgestecktem Haar, und tut nichts, um nicht
aufzufallen, im Gegenteil. Sie lacht laut, Menschen drehen sich um, und
ihre Stimme springt einem mit Wärme und trockenem, tiefen Schnarren
entgegen. Sie telefoniert gerade so viel mit Journalisten, dass von der
Farbe auf ihren Lippen nur an der oberen Linie noch ein Restchen übrig
ist. Sie sucht den Schutz durch die Öffentlichkeit. «Jemand, der nicht
gehört wird», sagt sie im Gehen, «fängt an zu schreien.» Man könnte auch
sagen, Idil Baydar schreit um ihr Leben.
Dass sie das Vertrauen in die Polizei verloren hat, hängt auch mit
Frankfurt zusammen, mit diesem dreistöckigen Bau aus Stahl und
grünlichem Panzerglas, der sich fast duckt zwischen all den hohen
Nachbargebäuden aus den Sechzigerjahren. Nein, das 1. Polizeirevier in
Frankfurt ist kein schöner Ort. Die 130 Polizistinnen und Polizisten,
die hier arbeiten, haben einen harten Job.
Acht Anzeigen – kein Resultat
Hier treffen die reiche und die arme Stadt brutal aufeinander.
Drogendealer verkaufen ihren Stoff, Abhängige stehlen Geldbörsen und
Handys, Bettler bedrängen Passanten, Obdachlose brechen zusammen und
brauchen den Notarzt, betrunkene Jugendliche pöbeln. Wer hier länger
Dienst tut, dessen Menschenbild kann sich durchaus eintrüben. Der kann
schon mal jenen Ausschnitt der Welt, in dem die Menschen schlecht sind,
die Integration misslungen ist, für die gesamte Wirklichkeit halten.
Letzte Woche haben etwa hundert Menschen vor dem Panzerglasbau demonstriert. Sie haben «Nazis raus!» gerufen!
Im Februar hat das hessische Innenministerium eine Internetumfrage unter
Polizistinnen und Polizisten veröffentlicht. Eine Frage lautete: Was
belastet Sie besonders? Fast die Hälfte antwortete: Wenn wir unseren
Dienst tun und dann als Rassisten oder Nazis beschimpft werden.
Aber der Polizeiskandal, der seit zwei Jahren in Wellen Hessen und ganz
Deutschland erschüttert, hat nun einmal genau hier begonnen, an diesem
Ort. Dieses Frankfurter Polizeirevier hat mit der ersten der vielen
Drohmails zu tun, die nun täglich verschickt werden. Sie gehen vor allem
an Frauen, die irgendwie als links identifizierbar sind: Janine
Wissler, die Fraktionsvorsitzende der hessischen Linken, oder auch an
die Linken-Bundestagsabgeordnete Martina Renner. Sie gehen auch an
Männer, an Redaktionen wie jene von ZDF-Moderatorin Maybrit Illner, ja
selbst an Hessens CDU-Innenminister Peter Beuth.
Und an Idil Baydar gehen die Drohmails. Achtmal hatte sie schon Anzeige
erstattet, weil sie binnen eineinhalb Jahren acht SMS bekommen hatte. Es
könne kein Täter ermittelt werden, teilte man ihr mit. Sie sitzt in
einem Restaurant nahe dem Hauptbahnhof, nimmt ihr Telefon und zeigt, was
da kam: «Du fette Kackwurst!!!», steht auf dem Display, «ich erschiesse
dich.» Unterzeichnet von «SS-Ostubaf» – Obersturmbannführer.
Und weiter. Da liest sie den Namen ihrer Mutter, die auch erschossen
werden soll. Idil Baydar sagt: «Wie kann die Polizei die Täter nicht
finden? Die Amerikaner haben Osama Bin Laden in einem Erdloch gefunden,
und die wollen mir erzählen, dass es zu schwierig ist, die Absender zu
finden?» In einem Beratungsgespräch habe man ihr nahegelegt, doch die
Telefonnummer zu ändern. «Aber das ist doch, als wenn einer sagt: Zieh
keinen Minirock an, dann wirste auch nicht vergewaltigt», ruft sie. «Die
müssen doch ermitteln!»
Nicht von der Polizei, durch die Zeitung hat Idil Baydar erfahren, dass
auch ihre persönlichen Daten von einer Polizeidatenbank abgerufen
wurden. Wie auch vor zwei Jahren bei Seda Başay-Yıldız, der Frankfurter
Rechtsanwältin. Es ist der 2. August 2018. Auf dem 1. Polizeirevier
werden zwischen 14 und 14.15 Uhr ihre Daten beim Einwohnermeldeamt über
einen Polizeicomputer abgerufen. Seda Başay-Yıldız hat im Prozess gegen
den «Nationalsozialistischen Untergrund» (NSU) die Familie des
ermordeten Blumenhändlers Enver Şimşek vertreten. Sie ist an diesem Tag
beruflich in Tunis. Um 15.41 Uhr trifft im Büro der Anwältin ein Fax
ein, das automatisch als Mail weitergeleitet wird. Abends liest Seda
Başay-Yıldız: «Dieses kostenlose Fax wurde Ihnen von Uwe Böhnhardt
geschickt.» Böhnhardt war einer der NSU-Mörder. «Als Vergeltung
schlachten wir deine Tochter», heisst es weiter, und: «Gruss, NSU 2.0».
Auf dem Fax stehen der Name des Kindes und die Adresse der Familie. Das
ist eine konkrete Morddrohung, untermauert mit nicht öffentlich
zugänglichen Daten.
Witzen über Juden, über Behinderte, mit Hakenkreuzen
Eine Polizistin hat sich an jenem 2. August 2018 zur fraglichen Zeit in
den Computer auf der Wache eingeloggt, Mitte September wird ihre Wohnung
durchsucht. Auf ihrem Mobiltelefon finden die Ermittler eine Chatgruppe
– mit Witzen über Juden, über Behinderte, mit Hakenkreuzen und einem
Bild, auf dem Adolf Hitler vor einem rauchenden Schornstein sitzt: «Umso
grösser der Jude, desto wärmer die Bude», steht darunter. Sechs der
sieben Gruppenmitglieder sind Polizisten, fünf gehören aktuell zum 1.
Revier in Frankfurt. Sie gelten als Leistungsträger. Die sechs Beamten
werden suspendiert.
Der Nachweis aber, dass einer von ihnen das verschlüsselte Fax
abgeschickt hat, gelingt nicht. Die Aufregung in der Öffentlichkeit legt
sich, obwohl Seda Başay-Yıldız eine weitere Drohung erhält.
Jetzt, zwei Jahre später, ist die Ruhe wieder vorbei. Von einem
Polizeicomputer, diesmal von einer Wache in Wiesbaden aus, hat jemand
die Daten von Linken-Politikerin Janine Wissler abgerufen, die dann in
einem Drohschreiben an sie auftauchen. Es ist das erste von vielen, der
Schneeball, der zur Lawine wird. Die Täter werden immer dreister. Hinter
jeder verschickten Drohbotschaft, oft untermauert mit öffentlich nicht
zugänglichen Daten des oder der Bedrohten, steckt auch ein höhnisches
«Ihr kriegt uns nicht».
Hessens Innenminister Peter Beuth tritt in diesen Tagen unglücklich auf.
Erst wirft er dem Landeskriminalamt vor, ihn über die Drohungen gegen
Janine Wissler nicht unterrichtet zu haben. Beuth und die LKA-Chefin
Sabine Thurau sind sich nicht grün. Schon im März hatte das LKA
Landespolizeipräsident Udo Münch informiert. Münch ist Beuth unterstellt
und hätte ihn informieren müssen – der Minister ist blossgestellt. Er
schickt Münch in den Ruhestand. So viele Schuldige – nur Beuth hat sich
nichts vorzuwerfen. Eines immerhin hat er in diesen Tagen eingeräumt: Es
könnte ein rechtes Netz geben in Hessens Polizei.
Im hessischen Landeskriminalamt arbeiten jetzt sechzehn Ermittler unter
Missachtung ihrer Feierabende und, so heisst es, manchmal am Rande der
Verzweiflung daran, herauszufinden, wer da Menschen überall im Land
bedroht. Sie kommen nicht voran. Auch in der Wiesbadener Wache war
schnell klar, welcher Polizeibeamte eingeloggt war, als die Daten von
Janine Wissler abgerufen wurden. Auch dieser Polizist sagt, wie vor zwei
Jahren seine Frankfurter Kollegin, er habe mit den Drohmails nichts zu
tun.
Das Problem für die Ermittler: Bisher konnten die Beamten sich über
jeden Polizeicomputer in die Datenbank mit den Einwohnermeldedaten
einloggen und angemeldet bleiben – auch wenn sie einen Kaffee holten
oder im Zimmer nebenan mit dem Kollegen redeten. Und obwohl das
eigentlich verboten war: Immer wieder startete mal jemand eine Abfrage
vom Rechner eines Kollegen aus, der gerade eingeloggt war. Das geht viel
schneller, als sich an- und abzumelden – und je höher die
Arbeitsbelastung ist, desto attraktiver erscheint es, den Dienstweg
abzukürzen. Es konnte also leicht jemand unter dem Namen eines anderen
Daten abfragen.
Gegen 70 Polizeibeamte gibt und gab es einschlägige Ermittlungen. 70
Fälle bei 14’000 Polizistinnen und Polizisten in Hessen – das
rechtfertigt keinen Generalverdacht gegen die Polizei. Das zeigt aber
auch, dass es nicht unmöglich ist, dass eine handlungsfähige Schar
Gleichgesinnter Drohschreiben verschickt oder einen Schreiber
unterstützt, dass Kollegen dies wissen und schweigen, aus Zustimmung,
falschem Korpsgeist, Angst.
Hessiche Polizei will tadellosen Ruf zurück
Aber jetzt soll alles besser werden. Am letzten Freitag stellt Hessens
Innenminister Peter Beuth einen neuen Landespolizeipräsidenten vor:
Roland Ullmann war bislang Polizeichef in Offenbach. Er verspricht, er
werde «mit aller Kraft daran arbeiten, dass die hessische Polizei einen
tadellosen Ruf geniesst» – und gibt zu, dass dieser Ruf arg gelitten
hat.
Beuth liest vom Blatt ab, was nun alles passieren soll. Alle
Zugangsdaten zu den Computern würden gerade zurückgesetzt. Jeder
Polizist bekomme neue Passwörter und werde belehrt, dass er sie geheim
halten solle. Wer Daten von Personen des öffentlichen Lebens abfragen
möchte, brauche künftig die Erlaubnis des Vorgesetzten. Der
Sonderermittler Hanspeter Mener, den Beuth eingesetzt hat, erhält
weitreichende Befugnisse. Eine Kommission mit Fachleuten auch von
ausserhalb der Polizei soll die Strukturen und die Mentalität der
Polizei überprüfen. Es ist viel von Sensibilisierung und Verantwortung
die Rede, geradezu beschwörend: Ihr müsst mitmachen, liebe Polizistinnen
und Polizisten. Neue Passwörter allein helfen nicht.
(https://www.derbund.ch/hassmails-mit-hilfe-von-polizisten-298349023689)
+++POLIZEI USA
Widerstand gegen Trumps »Geheimpolizei«
Seit Tagen gibt es Zusammenstöße bei Protesten gegen Polizeigewalt in der US-Stadt Portland
In Portland protestieren linke Demonstranten seit Tagen gegen
paramilitärische Bundesbeamte in Kriegsmontur. Die provozieren wieder
mehr Beteiligung bei den Black-Lives-Matter-Protesten, die sich auch
gegen die örtliche Polizei richten.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1139386.portland-widerstand-gegen-trumps-geheimpolizei.html
https://www.tagesanzeiger.ch/trump-will-einsatz-von-bundespolizisten-ausweiten-114415056855
-> https://www.tagesschau.de/ausland/portland-115.html
-> https://www.heise.de/tp/features/Trump-schickt-ungefragt-Hilfe-durch-Spezialeinheiten-nach-Portland-4847423.html
-> https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-07/usa-donald-trump-bundesbeamte-antirassismus-demonstrationen
-> https://www.nzz.ch/international/portland-showdown-zwischen-buergern-und-bundespolizisten-ld.1567318
+++POLICE INT
La police comme symbole de la masculinité en crise
À travers une analyse des discours et sur fond de crise, nous montrerons
comment se construit une masculinité raciste et misogyne allant de la
police jusqu’aux incels.
https://renverse.co/analyses/article/la-police-comme-symbole-de-la-masculinite-en-crise-2694
+++RECHTSPOPULISMUS
Andreas Glarner (SVP) prangert ausländische Lehrabgänger an
SVP-Asylchef Andreas Glarner nervt sich, dass bei Aldi viele Ausländer
und Secondos eine Lehre absolvieren. Prompt postet er die Namen der
Jungen auf Facebook.
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/andreas-glarner-svp-prangert-auslandische-lehrabganger-an-65746878
-> https://twitter.com/redder66/status/1285232477313826816
+++RECHTSEXTREMISMUS
Verdacht auf Volksverhetzung Polizei ermittelt gegen Hildmann
Kochbuchautor Attila Hildmann fiel zuletzt vor allem als aggressiver
Verschwörungsideologe auf. Mehrmals bedrohte er den Grünen-Politiker
Beck. Jetzt wird gegen ihn ermittelt – unter anderem wegen
Volksverhetzung.
https://www.tagesschau.de/inland/ermittlungen-hildmann-101.html
-> https://www.blick.ch/people-tv/international/er-glaubt-an-aliens-und-droht-politikern-die-welt-von-corona-verschwoerer-attila-hildmann-id16002442.html
-> https://www.tagesspiegel.de/berlin/vorwurf-der-volksverhetzung-justiz-sieht-moegliche-straftat-bei-attila-hildmann/26020100.html
-> https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2020/07/staatsanwaltschaft-cottbus-ermittlung-volksverhetzung-hildmann.html
-> https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-07/atila-hildmann-lka-berlin-ermittlung-volksverhetzung
-> https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/attila-hildmann-ermittlungen-volker-beck-100.html#xtor=CS5-62
+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Grünen-Fraktionsvize von Notz über Attila Hildmann „Aus Halle, Kassel und Hanau hat man offensichtlich nichts gelernt“
Am Wochenende hatte der Verschwörungsaktivist Attila Hildmann dem
früheren Bundestagsabgeordneten Volker Beck erneut massiv gedroht. Der
Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz kritisiert nun die Untätigkeit
der Strafverfolger.
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/attila-hildmann-konstantin-von-notz-beklagt-nach-drohung-gegen-volker-beck-untaetigkeit-der-behoerden-a-86cfd38f-fa33-45c3-bf0c-adab46c685e1
Coronavirus: Conspiracy Theories: Last Week Tonight with John Oliver (HBO)
With conspiracy theories about coronavirus proliferating, John Oliver
discusses why we’re prone to believe, how to distinguish fact from
fiction, and what you can do to help others.
https://youtu.be/0b_eHBZLM6U
+++WORLD OF CORONA
Verschwörungstheoretiker mit Referendum gegen Corona-App
Obwohl viele die SwissCovid-App längst installiert haben, ergreifen
Verschwörungstheoretiker das Referendum. Sie berufen sich auf
Finanzminister Ueli Maurer.
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/verschworungstheoretiker-mit-referendum-gegen-corona-app-65746558
-> https://www.derbund.ch/westschweizer-komitee-kaempft-mit-referendum-gegen-swiss-covid-app-578182952943
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/bedenken-beim-datenschutz-komitee-ergreift-referendum-gegen-swisscovid-app
-> https://www.20min.ch/story/schritt-hin-zu-totaler-kontrolle-komitee-ergreift-referendum-gegen-swisscovid-app-739751409112
-> https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/jetzt-auch-noch-ein-referendum-der-naechste-rueckschlag-fuer-die-swisscovid-app-138512017
+++HISTORY
Die 80er Bewegung im Spiegel des Schweizer Spielfilms: Vom unerreichbaren Ort des unerreichbaren Glücks
Gemäss weit verbreiterter Interpretation „brachen“ die Unruhen von 1980
„aus heiterem Himmel“ über Zürich und andere Schweizer Städte „herein“.
https://www.untergrund-blättle.ch/kultur/film/die-80er-bewegung-im-spiegel-des-schweizer-spielfilms-5912.html
Wie aus 50’000 Franken über 50 Millionen wurden: Wie viel Geld steckt hinter der Crypto AG?
Die Steinhauser Firma Crypto AG spielte eine bedeutende Rolle in der
Spionage-Geschichte des 20. Jahrhunderts. Aber wirtschaftlich war sie
nicht immer erfolgreich, wie eine Recherche beim Handelsregisteramt des
Kantons Zug zeigt.
https://www.zentralplus.ch/wie-viel-geld-steckt-hinter-der-crypto-ag-1845881/