Medienspiegel 17. Juli 2020

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++BERN
Aufruf zu Solidarität mit Stop Isolation!
Der Kanton Bern ist gegen alle Forderungen der Gruppe «Stop Isolation». Das hat er in einer Medienmitteilung und einem Antwortbrief veröffentlicht. Stop Isolation – eine Gruppe von Personen mit Negativentscheid im Kanton Bern hat letzte Woche protestiert und stellte in einem Brief an den Kanton Bern und den Bund konkrete Forderungen (1) Aufenthaltsbewilligungen, (2) keine Isolation in Rückkehrcamps, (3) keine ständigen Kontrollen, Bussen und Haftstrafen, (4) Respekt und Würde.
https://migrant-solidarity-network.ch/2020/07/17/aufruf-zu-solidaritaet-mit-stop-isolation/


Nach Protest gegen Rückkehrzentren: Asylsuchende finden bei Polizeidirektor Müller kein Gehör
Regierungsrat Philippe Müller (FDP) kritisiert die Proteste als «undemokratisch» und «unsolidarisch».
https://www.derbund.ch/sicherheitsdirektion-wehrt-sich-gegen-vorwuerfe-der-demonstranten-529360223371
-> https://www.bernerzeitung.ch/berner-sicherheitsdirektion-verteidigt-rueckkehrzentren-369919912788
-> Medienmitteilung kantonale Sicherheitsdirektion: https://www.be.ch/portal/de/index/mediencenter/medienmitteilungen.meldungNeu.mm.html/portal/de/meldungen/mm/2020/07/20200716_1644_forderungen_der_gruppestoppisolationundemokratischundunsolidaris
-> Schreiben des Amts für Bevölkerungsdienste an die Gruppe «Stopp Isolation»: https://www.be.ch/portal/de/index/mediencenter/medienmitteilungen.assetref/dam/documents/portal/Medienmitteilungen/de/2020/07/2020-07-17-sid-schreiben-abev-stopp-isolation.pdf
-> https://www.neo1.ch/news/news/newsansicht/datum/2020/07/17/kanton-bern-verteidigt-seine-rueckkehrzentren.html
-> https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/183374/
-> https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/rueckkehrzentren-menschenunwuerdig-die-sicherheitsdirektion-des-kanton-bern-sagt-klar-nein-138481031


Pfleger (28) muss Land verlassen: «Wenn Fuad ausgeschafft wird, haben wir ein Problem»
Fuad Hussein (28) aus Äthiopien muss innert 30 Tagen die Schweiz verlassen. Im Thuner Alterszentrum, wo der junge Mann arbeitet, hat man wegen der bevorstehenden Ausschaffung ein Problem. Auf die Hilfskraft ist man derzeit nämlich besonders angewiesen.
https://www.20min.ch/story/wenn-fuad-ausgeschafft-wird-haben-wir-ein-problem-783236119655


+++ZÜRICH
Streit um Zürcher Asyl-Rückkehrzentren: Die Strafanzeige verhärtet die Fronten unnötig
Während der Corona-Krise ist der Konflikt um die abgewiesenen Asylsuchenden in Zürich eskaliert. Was es jetzt braucht, ist eine konstruktive Diskussion, keine Strafanzeigen.
https://www.nzz.ch/meinung/streit-um-abgewiesene-asylsuchende-strafanzeige-schadet-diskurs-ld.1566677


+++ITALIEN
Ventimiglia: Reportage von der italienisch-französischen Grenze
Reportage aus dem Rotkreuzlager „Campo Roia“ und der Anlaufstelle „Bar Hobbit“
https://ffm-online.org/ventimiglia-reportage-von-der-italienisch-franzoesischen-grenze/


+++MITTELMEER
Seenotrettung: Leiche eines Migranten treibt zwei Wochen im Meer
Die Hilfsorganisation Sea-Watch publizierte verstörende Bilder. Sie zeigen, wie die Leiche eines verstorbenen Migranten über Wochen im Mittelmeer treibt. Keine Behörde scheint sich für die Bergung des leblosen Körpers verantwortlich zu fühlen.
https://www.20min.ch/video/leiche-eines-migranten-treibt-zwei-wochen-im-meer-758476321982


+++EUROPA
EUGH – Asylbewerber haben Recht auf persönliche Anhörung auch in mehreren EU-Staaten
Asylbewerber haben auch dann das Recht auf eine persönliche Anhörung ihres Falls, wenn ihnen bereits in einem anderen EU-Land Asyl gewährt wurde.
https://www.deutschlandfunk.de/eugh-asylbewerber-haben-recht-auf-persoenliche-anhoerung.1939.de.html?drn:news_id=1151893


+++GASSE
Erster Basler Obdachloser ist weg von der Strasse – aber nicht alle wollen überhaupt eine eigene Wohnung
«Housing First» ermöglicht Randständigen ein Zuhause. Nun zeigt sich: Nicht alle Wohnungslosen wollen ihre eigenen vier Wände.
https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/erster-basler-obdachloser-ist-weg-von-der-strasse-aber-nicht-alle-wollen-ueberhaupt-eine-eigene-wohnung-138473545


Lebensmittelverteilaktion wegen Corona: Sozialwerk Pfarrer Sieber übernimmt «Essen für alle»
Das Sozialwerk Pfarrer Sieber übernimmt ab sofort das Projekt «Essen für alle». Die Lebensmittelverteilaktion wurde im Frühling während der Corona-Pandemie von Amine Conde ins Leben gerufen.
https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/lebensmittelverteilaktion-wegen-corona-sozialwerk-pfarrer-sieber-uebernimmt-essen-fuer-alle-138477365


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
UNO-Menschenrechtsrat: Menschenrechte gilt es auch während Demonstrationen zu wahren
Der UNO-Menschenrechtsrat nimmt auf Initiative der Schweiz eine Resolution über die Förderung und den Schutz der Menschenrechte im Kontext friedlicher Demonstrationen an. Zudem reicht die Schweiz mit Partnerstaaten eine Resolution zum 15. Jahrestag der Schutzverantwortung ein.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-79883.html


+++REPRESSION DE
Elbchaussee-Prozess: Von fürsorglicher und rachsüchtiger Klassenjustiz
Im richtigen Lichte betrachtet ist „Elbchaussee-Prozess“ eine schillernde Wortschöpfung, mit der man alles Mögliche assoziieren kann. Es ließe sich zum Beispiel die angenehme Vorstellung an diesen Begriff knüpfen, es sei ein Verfahren gemeint, bei dem all die Steuerhinterzieher, Waffenhändler und sonstigen Schwer- und Wirtschaftsverbrecher*innen, die an dieser den Reichtum Hamburgs wie keine andere symbolisierenden Straße in ihren Villen mit Elbblick residieren, auf der Anklagebank sitzen. Ein Verfahren, für das eine Soko „Weiße Weste“ in monatelanger mühsamer Kleinarbeit mit Hilfe modernster Software vorgearbeitet hat. In dem die Staatsanwaltschaft ein flammendes Plädoyer hält und die Angeklagten als einen „skrupellosen und raffgierigen Mob, der auf unterster sittlicher Stufe steht“ anprangert. In dem die Angeklagten zu hohen Haftstrafen mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt werden, auf dass sie die Allgemeinheit fürder hin nicht mehr schädigen können.
https://lowerclassmag.com/2020/07/17/elbchaussee-prozess-von-fuersorglicher-und-rachsuechtiger-klassenjustiz/


Nennung im Verfassungsschutzbericht: Wie ein Urteil zur Jungen Freiheit Indymedia helfen könnte
Der Verfassungsschutz nennt das Portal de.indymedia.org in seinem jüngsten Bericht einen Verdachtsfall. Ausgerechnet ein Urteil, das eine rechte Zeitung erstritten hat, könnte jetzt dem linken Portal helfen. Es hebt hervor, dass der Verfassungsschutz wegen einzelner verfassungsfeindlicher Artikel nicht dem ganzen Medium einen Strick drehen darf.
https://netzpolitik.org/2020/nennung-im-verfassungsschutzbericht-wie-ein-urteil-zur-jungen-freiheit-indymedia-helfen-koennte/


+++KNAST
derbund.ch 17.07.2020

Funkstille im Gefängnis: Kanton Bern rüstet gegen verbotene Handys auf

In der Justizvollzugsanstalt auf dem Thorberg soll eine neue Überwachungsanlage reingeschmuggelte Handys aufspüren. Das strenge Mobileverbot wird jedoch auch kritisiert.

Andres Marti

Auf dem Thorberg soll noch dieses Jahr eine Handy-Detektionsanlage installiert werden. Damit wollen die Vollzugsbehörden das bestehende Handyverbot durchsetzen. Zwar seien die Kontrollen der Gefangenen, der Pakete aber auch der Besuchenden in den letzten Jahren stetig intensiviert und verbessert worden, sagt Thorberg-Direktor Hans-Rudolf Schwarz auf Anfrage. «Dennoch kann nicht ganz verhindert werden, dass Mobiltelefone in die Zellen der Gefangenen eingeschleust werden.» Die Geräte seien heute so klein, «dass sie auch via Körperöffnungen, etwa beim Besuch, ins Gefängnis geschmuggelt werden», sagt Schwarz.

Laut dem Thorberg-Direktor werden bei Zellkontrollen auf dem Thorberg jährlich rund 20 Telefone sichergestellt. Die Vollzugsbeamten spüren diese unter anderem mit mobilen Detektoren auf. Wer erwischt wird, muss mit einer mehrtägigen Isolationsstrafe rechnen. Nach der Installation der neuen Anlage werden die mobilen Detektionsgeräte nicht mehr benötigt.

Für die Vollzugsbehörden sind Handys im Knast aus verschiedenen Gründen ein Risiko. So befinden sich laut dem Amt für Justizvollzug zwei Drittel der Thorberg-Insassen im vorzeitigen Vollzug. Sie sind also noch nicht rechtskräftig verurteilt. Mit dem Handyverbot soll unter anderem verhindert werden, dass sie Druck auf Opfer oder Zeugen ausüben können. Auch Absprachen unter Komplizen und Fluchtversuche will man damit ausschliessen.

Falls der begründete Verdacht einer strafbaren Handlung bestehe, könne die Staatsanwaltschaft gefundene Mobiltelefone auswerten, so Olivier Aebischer, Pressesprecher beim Amt für Justizvollzug. Dies sei aus Gründen des Datenschutzes aber nur durch eine Untersuchungsbehörde möglich.

Kein Internet im Knast

Vor allem aber ist es der durch Smartphones ermöglichte unkontrollierte Zugang ins Internet, der den Behörden Sorge bereitet. Dass pädophile Straftäter weiterhin auf dem Smartphone Kinderpornografie konsumieren, soll unbedingt verhindert werden. Das Telefon kann auch für das Versenden betrügerischer E-Mails oder das Überweisen von Zahlungen per E-Banking verwendet werden.

Die meisten Insassen wollen aber wohl einfach im Internet surfen, die sozialen Medien nutzen und Kontakte zu Angehörigen und Bekannten pflegen. Zahlen, wie oft Gefangene tatsächlich ein Smartphone für ein Delikt verwenden, werden allerdings nicht erhoben. Thorberg-Direktor Schwarz sind lediglich einzelne Fälle bekannt, in denen eine Überwachung durch die Staatsanwaltschaft angeordnet wurde.

Kritik am Handyverbot

An dem rigorosen Handyverbot wird jedoch auch Kritik geäussert: Für David Mühlemann, Strafvollzugsexperte bei Humanrights.ch, wird mit dem Verbot die Resozialisierung der Gefangenen gefährdet. Schliesslich gehörten Mobiltelefone ausserhalb der Mauern zum Alltag und seien zur Aufrechterhaltung von Beziehungen für die meisten Menschen ein absolut zentrales Kommunikationsmittel. «Auch für die Kinder der Gefangenen wäre es unheimlich wertvoll, unkompliziert mit dem inhaftierten Elternteil telefonieren oder auf per SMS in Kontakt sein zu können.»

Für Mühlemann legt das Handyverbot das «Kernparadox» des Strafvollzuges offen: «Man redet von Resozialisierung und betreibt stattdessen symbolische Sicherheitspolitik um jeden Preis.» Ein striktes Handyverbot ist für Mühlemann letztlich kontraproduktiv: «Das Aufrechterhalten des sozialen Beziehungsnetzes spielt für die Resozialisierung und damit auch für die allgemeine Sicherheit eine zentrale Rolle.» Durch die Erschwerung von sozialen Beziehungen werde diese Sicherheit hingegen nachhaltig gefährdet.

In der Schweiz gilt jedoch in allen geschlossenen Vollzugsanstalten ein Handyverbot. Im zürcherischen Pöschwies, dem grössten Gefängnis der Schweiz, soll noch diesen Sommer eine Detektionsanlage installiert werden. Pionierknast bei der Handyabwehr ist das Gefängnis in Lenzburg: Dort hat eine fest installierte Detektionsanlage bereits 2012 den Betrieb aufgenommen.

Stress fällt weg

Das System funktioniere einwandfrei, sagt Gefängnisdirektor Marcel Ruf auf Anfrage. «Dank der Anlage ist der Schmuggel von Handys bei uns komplett zum Erliegen gekommen.» Dies habe im Gefängnis zu einer spürbaren Entspannung geführt. Der Handyschmuggel sorgte nämlich für Unruhe und Beschaffungsstress. Der Preis im Gefängnis für ein internetfähiges Handy liegt laut Ruf bei rund 1000 Franken.

Für Probleme sorgte in der Pilotphase in Lenzburg der Warenverkehr: Viele Lastwagen sind mit einem Fahrtenschreiber ausgerüstet, der ihre GPS-Daten per Mobilfunknetz übermittelt. Fahren diese in Lenzburg an der Gebäudefassade entlang, löste das in der Anlage jeweils Alarm aus.



Handyortung kostet 750’000 Franken

Das für den Thorberg beantragte System lokalisiert mithilfe fest installierter Antennen den genauen Standort von eingeschalteten Handys und zeigt diesen auf den Bildschirmen der Überwachungsanlage an. Mobilnummern erfasst das System nicht. Für Beschaffung und Installation einer solchen Anlage hat der Regierungsrat kürzlich 750’000 Franken beantragt. Im Gegensatz zu einer Mobilfunkblockierung sei mit diesem System keine Beeinträchtigung der umliegenden Privathaushalte zu befürchten, schreibt der Regierungsrat. (ama)
(https://www.derbund.ch/kanton-bern-ruestet-gegen-verbotene-handys-auf-154176372882)


+++BIG BROTHER
WhatsApp, israelische Spyware und der spanische Lauschangriff auf eine katalanische Politikerin in der Schweiz
Die nach Genf geflohene katalanische Ex-Abgeordnete Anna Gabriel wurde abgehört. Spanien wird der illegalen Spionage verdächtigt. Politiker fordern eine Untersuchung durch die Bundesanwaltschaft.
https://www.tagblatt.ch/schweiz/whatsapp-israelische-spyware-und-der-spanische-lauschangriff-auf-eine-katalanische-politikerin-in-der-schweiz-ld.1239011?mktcid=smsh&mktcval=OS%20Share%20Hub


+++POLICE BE
derbund.ch 17.07.2020

Gedenken an Toten in Polizeihaft: Angehörige beklagen «feige» Vandalenakte

Das Mahnmal auf dem Berner Waisenhausplatz für den in Haft gestorbenen Kilian S. wird auch eineinhalb Jahre nach seiner Errichtung regelmässig zerstört. So geschehen in der Nacht auf Donnerstag.

Simon Preisig

«Wir werden nie vergessen, auch wenn sich dies jemand wünscht», heisst es in einer Nachricht, die Angehörige und Freunde von Kilian an ihre Verwandten und Bekannten geschickt haben. Der Grund für die Mitteilung: In den vergangenen Wochen wurde das Mahnmal auf dem Berner Waisenhausplatz mehrere Male beschädigt. So auch in der Nacht auf Donnerstag: Über die Erinnerungsplakette wurde weisse Farbe gegossen, Äste der kleinen Bergföhre wurden von Unbekannten abgeschnitten.

Seit der damals 20-jährige Kilian im Dezember 2018 in einer Zelle in der benachbarten Polizeiwache gestorben ist, kam es gar zu gut einem Dutzend Vandalenakten auf Kerzen, Blumen und Erinnerungskarten.

Vermutet wird eine bewusste Störung des Gedenkens: «Was uns Mühe macht, ist diese Respektlosigkeit und die Feigheit mancher Menschen», heisst es in der Nachricht weiter. Als wolle jemand nicht, dass die Umstände von Kilians Tod öffentlich benannt werden. Doch die Mutter, die Schwester und ein Grüppchen von Freunden geben auch nach den verschiedenen Farbanschlägen und Zerstörungen nicht klein bei: Nach wie vor treffen sie sich regelmässig und ersetzen die fehlenden und beschädigten Erinnerungsstücke beim Mahnmal. Dies, um zu trauern, aber auch um eine «lückenlose Aufarbeitung» zu fordern, wie sie schreiben. Wegen der neuesten Beschädigungen wollen sie nun Strafanzeige gegen unbekannt erstatten.

Stadt toleriert Mahnmal weiter

Das Mahnmal ist politisch nicht unumstritten: Kurz nach dem Tod von Kilian kritisierte SVP-Stadtrat Henri Beuchat das Mahnmal in einer Anfrage an die Stadtregierung als beleidigend für Polizistinnen und Polizisten. Der Gemeinderat entschied aber, das Mahnmal zu tolerieren. Dieser Entschied ist nach wie vor gültig, wie das Tiefbauamt auf Anfrage sagt. Es soll mindestens so lange bestehen bleiben dürfen, bis die Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Tod des jungen Mannes abgeschlossen sind.

Derweil läuft das Strafverfahren gegen den Arzt weiter, der damals entschied, dass Kilian statt ins Spital in eine Zelle kam. Der 20-Jährige wurde laut der Polizei wegen Drogenbesitz festgenommen. Er hatte zu diesem Zeitpunkt aber bereits selber viele gefährliche Substanzen im Blut und starb später in Haft an einer Überdosis.
(https://www.derbund.ch/angehoerige-beklagen-feige-vandalenakte-973905493973)



Bern: Tod in der Polizeizelle
(augenauf Bern) – An Weihnachten 2018 starb ein 20-jähriger Berner in einer Zelle der Waisenhaus-Polizeiwache. Angesichts der Umstände in diesem Fall muss mensch sich generell wieder einmal fragen, ob die Polizei bei Verhaftungen – insbesondere von Angehörigen bestimmter Bevölkerungsgruppen – ihre Sorgfaltspflicht genügend wahrnimmt.
https://barrikade.info/article/1918


++POLIZEI SO
«Stopp dem Schnüffelstaat» – Bürgerliches Komitee wehrt sich gegen Polizeigesetz
Bürgerliche wollen eine Volksabstimmung über das Solothurner Polizeigesetz. Das Gesetz gibt der Kantonspolizei mehr Möglichkeiten zur Verhinderung von schweren Straftaten, laut den Gegner ist es jedoch ein Eingriff in die Freiheitsrechte und in die Privatsphäre der Bürger.
https://www.20min.ch/story/stopp-dem-schnueffelstaat-buergerliches-komitee-wehrt-sich-gegen-polizeigesetz-313107211983


+++POLIZEI AT
Polizeigewalt wird Fall für die Staatsanwaltschaft
Nach dem Auftauchen eines Prügelvideos und der Suspendierung von acht Polizisten leitet die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen die Beamten ein
https://www.derstandard.at/story/2000118822999/polizeigewalt-wird-fall-fuer-die-staatsanwaltschaft?ref=rss
-> https://www.derstandard.at/story/2000118813853/staatsanwaltschaft-ermittelt-gegen-wiener-polizei?ref=rss
-> https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-07/oesterreich-polizei-wien-polizeigewalt-suspendierte-beamte


+++POLIZEI DE
Rechtsextreme Beschimpfungen: Die «Kartoffelkultur» fühlt sich von dieser Frau bedroht
Die deutsche TV-Moderatorin Maybrit Illner hat einen mit «NSU 2.0» unterzeichneten Drohbrief erhalten. Dahinter könnten Mitglieder der Polizei stecken.
https://www.derbund.ch/die-kartoffelkultur-fuehlt-sich-von-dieser-frau-bedroht-622175956583


Racial Profiling bei der Polizei: Rassismus-Studie ohne Seehofer
Niedersachsens Innenminister will mit anderen Ländern Racial Profiling bei der Polizei untersuchen. Der Bundesinneminister hatte das abgelehnt.
https://taz.de/Racial-Profiling-bei-der-Polizei/!5701185/
-> https://www.spiegel.de/politik/deutschland/racial-profiling-und-die-polizei-innenminister-der-laender-bei-studie-uneins-a-c1e98c2d-e00c-498c-b209-4532d9b71d75
-> https://www.tagesschau.de/inland/pistorius-polizei-rassismus-101.html
-> https://www.tagesschau.de/kommentar/rassismus-studie-103.html


Wie die Bundesländer zu Seehofers Nein zur Rassismus-Studie bei der Polizei stehen
Bundesinnenminister Seehofer sieht keine Notwendigkeit für eine Studie zum Thema „Racial Profiling“ bei der Polizei. Justizministerin Lambrecht dagegen möchte weiterhin den Sachstand ermitteln. Doch wie sehen das die Bundesländer? Wir haben nachgefragt.
https://www.deutschlandfunk.de/racial-profiling-wie-die-bundeslaender-zu-seehofers-nein.2852.de.html?dram:article_id=480150



spiegel.de 17.07.2020

Rechtsextremismus bei der Polizei: Seehofer-Ministerium verzögert weitere Rassismusstudie

Die Deutsche Hochschule der Polizei will „rechtsextremistische Haltungen und Handlungen“ bei Beamten untersuchen. Der Finanzierungsantrag liegt laut SPIEGEL-Informationen beim Bundesinnenministerium vor – und auf Eis.

Von Christian Teevs und Wolf Wiedmann-Schmidt

Auf drei Jahre ist das Forschungsprojekt angelegt, es soll die Einstellungen von Polizisten untersuchen, vor allem mögliche extremistische Gesinnungen unter den Beamten. „Einstellungstendenzen in der Polizei“ lautet der Titel der geplanten Studie der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster, die 16-seitige Projektskizze liegt dem SPIEGEL vor. „In den letzten Monaten häufen sich die Meldungen bezüglich rechtsextremistischer Haltungen und Handlungen bei der Polizei“, heißt es in dem Papier. Zuletzt wurden Vorfälle in Hessen bekannt, wo unbekannte Drohbriefschreiber mithilfe von Polizisten an die Daten von Politikern und Prominenten gelangt sein sollen.

Eigentlich sollte die Studie noch im Laufe des Jahres starten, auf Arbeitsebene sollen Beamte aus dem Bundesinnenministerium bereits Unterstützung signalisiert haben. Doch wie zu hören ist, liegt das Projekt nun erst einmal auf Eis. Ob die Untersuchung tatsächlich durchgeführt wird, ist offen. Die Entscheidung hängt von Bundesinnenminister Horst Seehofer und seinem Ministerium ab. Zuletzt hatte sich der CSU-Politiker wenig begeistert von der Idee gezeigt, rechtsextreme oder rassistische Tendenzen unter Polizisten untersuchen zu lassen.

Anfang Juli ließ Seehofer seinen Sprecher mitteilen, dass es entgegen vorheriger Ankündigungen keine Studie zu Racial Profiling durch Polizisten geben soll, also Kontrollen allein aufgrund äußerer Merkmale wie der Hautfarbe. Sollte so eine Untersuchung in seinem Ministerium vorbereitet werden, sagte Seehofer vor Abgeordneten, „wird das gestoppt“.

Zuvor hatte das Ministerium mit widersprüchlichen Aussagen für Verwirrung gesorgt. So hatte ein Sprecher im Juni noch mitgeteilt, Seehofers Haus sei mit dem Justizressort „in der konzeptionellen Entwicklung“ einer solchen Studie. In der vergangenen Woche dann die Kehrtwende: Der Sprecher sagte nun, seine damals gemachte Aussage über eine geplante Untersuchung sei „unpräzise“ gewesen.

Die Weigerung Seehofers, wissenschaftlich aufzuklären, wie groß das Problem des Racial Profiling ist, stieß auf Unverständnis beim Koalitionspartner SPD, dem Bund Deutscher Kriminalbeamter und bei Teilen der CDU.

Von dem begrenzten Erkenntnisinteresse Seehofers könnte nun auch die Studie aus Münster betroffen sein. Die Forscher der Polizeihochschule wollten empirisch untersuchen, „wie die Einstellungen der Polizeibeamten des Bundes und der Länder insgesamt ausgeprägt sind und ob sich tatsächlich proportional über dem Bevölkerungsdurchschnitt extremistische Tendenzen feststellen lassen“. Außerdem gelte es herauszufinden, wie die Polizei intern mit Extremismusvorwürfen umgehe und diese verfolge, heißt es in der Projektskizze.

Laut dem Papier haben die Münsteraner beim Innenministerium bereits eine Finanzierung von rund 530.000 Euro beantragt, Forschungsstand und Methodik wurden ausführlich beschrieben. So sollten „die Polizeivollzugsbeamten des Bundes und der Länder per Onlinefragebögen zu ihren Einstellungen befragt werden“. Die Ergebnisse wollten die Forscher mit der sogenannten Mitte-Studie vergleichen, die seit 2006 rechtsextreme, rechtspopulistische und autoritäre Einstellungen in der Bevölkerung untersucht. Aber geht es mit der Polizeistudie überhaupt weiter?

Ein Sprecher des Innenministeriums bestätigte lediglich, dass die Hochschule „einen Zuwendungsantrag gestellt“ habe. Dieser werde vom zuständigen Fachreferat geprüft. Wann eine Entscheidung geplant ist und ob der Minister die Studie persönlich absegnen möchte, wollte der Sprecher mit Verweis auf das laufende Verfahren nicht beantworten.

Seehofer selbst hatte den Eindruck, er ignoriere rechtsextreme Tendenzen in den Sicherheitsbehörden, zuletzt weit von sich gewiesen. Man dürfe aber nicht einzelne Berufsgruppen stigmatisieren, begründete er seine Entscheidung, keine Untersuchung über Racial Profiling durch die Polizei anzustoßen.

Der Minister will nun zunächst abwarten, was der Verfassungsschutz in seinem ersten Lagebild zu rechtsextremen Umtrieben im öffentlichen Dienst zusammenträgt. Der Bericht soll Ende September vorliegen, kündigte Seehofer an. Ob er allerdings so umfassend ausfällt wie ursprünglich geplant ist fraglich. Einige der beteiligten Ämter machten bereits Bedenken geltend und verwiesen auf den Datenschutz.
(https://www.spiegel.de/politik/deutschland/horst-seehofer-ministerium-verzoegert-weitere-rassismusstudie-zur-polizei-a-f5539bb8-b552-42e7-a8c9-35b6cecd4806)


Polizeigewalt und Rassismus – Wer kontrolliert die Polizei? | WDR Doku
WDR und Handelsblatt haben gemeinsam recherchiert: Wer kontrolliert die Polizei in Deutschland? Wo können sich BürgerInnen und Bürger beschweren – und finden sie Gehör? Das Ergebnis: eine flächendeckende unabhängigen Kontrolle der Polizei in Deutschland gibt es nicht.
https://youtu.be/3w2qHK1AlKU


»Wer nicht passt, wird ausgegrenzt«
Der hessische Polizist Martin Kirsch zum »NSU 2.0« und rechten Netzwerken unter Beamten
Martin Kirsch engagiert sich bei den hessischen Grünen und bei dem Verein Polizei Grün. Dieser strebt nach eigener Aussage eine »tolerante, kritikfähige und rechtsstaatliche Bürgerpolizei« an. Im Interview spricht er über den »NSU 2.0« und rechte Netzwerke bei den Behörden.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1139309.nsu-wer-nicht-passt-wird-ausgegrenzt.html
-> https://www.jungewelt.de/artikel/382446.beuth-in-aktion-neuer-chef-altes-problem.html


24 Todesfälle in Gewahrsam:Wie fahrlässig handelte die Polizei?
Die taz hat 24 Fälle untersucht, bei denen Menschen, die von Rassismus betroffen waren, in Gewahrsam ums Leben kamen. Eine Dokumentation.
https://taz.de/24-Todesfaelle-in-Gewahrsam/!5700481/


+++EUROPOL
EU-Ratsvorsitz: Bundesregierung für „Europäische Polizeipartnerschaft“
Das deutsche Bundesinnenministerium will in seiner EU-Präsidentschaft Europol und den internationalen Datentausch ausbauen. Europäische Polizeibehörden werden mit Gesichtserkennung und Fähigkeiten zur Entschlüsselung unterstützt. Auf der Agenda stehen außerdem die europaweite Abfrage von Polizeiakten und der Austausch über eine Definition von „Gefährdern“.
https://netzpolitik.org/2020/bundesregierung-fuer-europaeische-polizeipartnerschaft/


+++HOMOHASS
Schutz von Minderheiten: Mit 500’000 Franken gegen Hassattacken
Erstmals wurden Bundesgelder für Einrichtungen gesprochen, die besonders durch terroristische Angriffe bedroht sind. Der Schwulenverband Pink Cross ist allerdings leer ausgegangen.
https://www.tagesanzeiger.ch/bundesgelder-werden-eingesetzt-um-hassattacken-zu-verhindern-296590659104


+++RECHTSPOPULISMUS
bielertagblatt.ch 17.07.2020

Ein Rebell will für die Schweiz kämpfen

Mit seiner dunklen Hautfarbe gehöre er selber zu einer Minderheit, sagt Adrian Spahr. Deshalb versteht er nicht, weshalb er ein Rassist sein soll. Nach seinem Weggang bei der Basler Polizei denkt der Jungpolitiker bereits an die nächsten Wahlen.

Interview: Brigitte Jeckelmann

Seit das Verfahren wegen Rassendiskriminierung gegen ihn läuft, steht der Lengnauer Jungpolitiker Adrian Spahr (26) in den Schlagzeilen. Zusammen mit Nils Fiechter steht er der Jungen SVP des Kantons Bern vor. Beide haben ein Plakat zu verantworten, das sie in den sozialen Medien verbreitet hatten. Die Karikatur darauf brachte ausländische Fahrende mit Schmutz, Fäkalien und Diebstahl in Verbindung. Wie das Regionalgericht Bern-Mittelland befand auch das Berner Obergericht die beiden im letzten Dezember schuldig und verurteilte sie zu einer bedingten Geldstrafe. Spahr und Fiechter zogen darauf vor Bundesgericht. Das Urteil steht noch aus. Spahr, der als Polizist bei der Kantonspolizei Basel-Stadt arbeitete, musste vom Aussen- in den Innendienst wechseln. Die Basler Polizei sah sich zunehmend politischem Druck ausgesetzt, Spahr zu entlassen. Dieser hat nun nach eigenen Angaben selber reagiert und auf Ende Juni die Kündigung eingereicht.

Adrian Spahr, wie fühlen Sie sich?

Adrian Spahr: Schwierig zu sagen. Einerseits mache ich mir Gedanken, in welche Richtung es jetzt gehen soll: Weiterhin im Polizeiberuf bleiben oder einen anderen Weg wählen? Andererseits fühle ich mich aber auch befreit.

In welcher Hinsicht?

Ich habe eine schöne Zeit verbracht bei der Basler Polizei. Vor allem die Tätigkeit im Aussendienst hat mir gefallen. Als man mich wegen des Verfahrens in den Innendienst versetzt hat, war das zugegebenermassen eine Qual für mich.

Warum?

Bei Medienanfragen hat man mir zu verstehen gegeben, dass ich vorsichtig sein soll bei dem, was ich sage. Ich fühlte mich als Privatperson nicht mehr frei. Nach der Arbeit konnte ich nur noch mit Mühe abschalten. Das ist auf Dauer nicht gesund. Zudem hat mir die Arbeit draussen auf Patrouille gefehlt. Nachdem diese weggefallen war, hatte ich natürlich schon weniger Freude an der Arbeit.

Als Polizist sind Sie eine öffentliche Person mit Vorbildfunktion. Sie hätten doch damit rechnen müssen, dass die Öffentlichkeit Adrian Spahr nach dem Vorgefallenen als Rassisten wahrnimmt und es stossend findet, dass Sie Polizist sind?

Ich habe mein Arbeits- und Privatleben immer strikt getrennt. Bei der Arbeit habe ich nie politisiert und das hat mir auch niemand vorgeworfen. Mir war schon bewusst, dass die Öffentlichkeit auf einen Politiker aufmerksam wird, der zugleich Polizist ist. Das finde ich auch legitim. Es ist wichtig, dass gerade Polizisten, die in der Politik kaum vertreten sind, eine Stimme haben. Lehrer und Sozialarbeiter sind da eher politisch aktiv und sie stehen auch in der Öffentlichkeit. Diese Berufsgruppen haben ebenfalls eine grosse Verantwortung. Auch sie sollten sich neutral verhalten, sich aber dennoch politisch betätigen.

Dann fänden Sie also rassistische Äusserungen in der Öffentlichkeit von Lehrern und Sozialarbeitern in Ordnung?

Nein. Wenn Sie aber damit meinen, auf nicht zitierfähige Missstände mit einigen ausländischen Fahrenden hinzuweisen und den Willen der ganzen Gemeinde Wileroltigen zum geplanten Transitplatz für ausländische Fahrende zu missachten, dann wäre das auch für einen Lehrer eine legitime Äusserung.

Vonseiten der Politik gab es Druck auf die Basler Polizei, Sie zu entlassen. Haben Sie das zu spüren bekommen?

Das mag schon sein. Doch wenn die Öffentlichkeit von mir verlangt, als Privatperson genau gleich zu reden wie als Polizist, dann kann ich das vor mir selber nicht verantworten. Wie gesagt gibt es den Adrian Spahr als Polizisten und als Mensch mit einem Privatleben, der seine eigene Meinung hat. Als ich mich für den Beruf entschied, war ich bereits politisch aktiv und hatte einen Vorstandsposten inne. Meine Vorgesetzten haben das gewusst und mich trotzdem angestellt.

Was haben Sie jetzt vor?

Im Detail kann und will ich mich noch nicht dazu äussern. Vorerst werde ich arbeiten gehen, um Geld zu verdienen. Politisch werde ich weitermachen wie bisher. Gerade letzte Woche hat man Nils Fiechter und mich für weitere drei Jahre als Co-Präsidenten der Jungen SVP Kanton Bern gewählt. Wegen des guten Resultats und dem ersten Ersatzplatz bei den letzten Grossratswahlen, habe ich vor, bei den nächsten Wahlen wieder anzutreten. Es geht also weiter.

Sie sagten vorhin, es gebe einen Polizisten Adrian Spahr und eine Privatperson. Können Sie diese beschreiben?

Der private Adrian Spahr ist politisch engagiert. Er traut sich, zu sagen, was man vielleicht nicht so gern hört. Er ist auch ein Pflichtethiker, der sich durchwegs korrekt und dem Gesetz entsprechend verhält. Der Polizist Adrian Spahr vertritt sein Korps. Er tut seine Arbeit, wie es von einem Polizisten erwartet wird. Er geht neutral an eine Sache heran und behandelt jeden Menschen gleich.

Aber als Privatmann behandeln Sie nicht alle Menschen gleich.

Nein, das stimmt so nicht. Beim politischen Engagement kann man nicht neutral sein. Man hat Präferenzen, wofür man sich einsetzt und was man bekämpft. Als Polizist Spahr bin ich nicht gegen einen Transitplatz sondern bin bei der Verwaltung angestellt und tue das, was man von mir verlangt.

Die Privatperson Adrian Spahr sagt und tut also Dinge, die sie als Polizist nie tun würde. Nun haben Sie Ihre berufliche Laufbahn Ihrem politischen Engagement geopfert.

Das würde ich so nicht sagen. Ich hätte meinen Beruf aufgeben müssen, wenn ich ihn weiterhin in Basel hätte ausüben wollen und man mir gekündigt hätte. Für mich ist aber wichtig, dass ich mich privat so äussern kann – immer im gemässigten Rahmen natürlich – wie mir der Schnabel gewachsen ist. Wenn ich das nicht mehr kann, fühle ich mich nicht mehr wohl und muss gewisse Anpassungen machen.

Glauben Sie, dass Sie je wieder als Polizist arbeiten werden?

Nicht in Basel. Aber ich bin im Besitz des eidgenössischen Fachausweises und einem grossen praktischen Erfahrungsschatz aus dem gemäss Statistik kriminellsten Kanton der Schweiz, das kann mir niemand nehmen. In welche Richtung ich beruflich gehe, kann ich jetzt noch nicht sagen.

Polizist ist eine Zweitausbildung – welchen Erstberuf haben Sie erlernt?

Ich bin gelernter Restaurationsfachmann. Nach der dreijährigen Lehre bin ich praktisch direkt ins Militär gegangen und danach zur Polizei.

Was hat Sie dazu bewogen, Polizist zu werden?

Man kann einen Beitrag zu einer funktionierenden Gesellschaft leisten. Ein Polizist kann den Menschen beistehen. Bei Ereignissen, bei denen andere davonlaufen, weil es gefährlich ist, kann der Polizist als letzte Instanz Sicherheit und Ordnung wiederherstellen. Das hat mich angezogen.

Fühlen Sie sich von der Öffentlichkeit, der Politik und der Justiz ungerecht behandelt?

Ja, das kann man schon sagen. Das klingt zwar nach Opferrolle. Aber ich lebe nicht in einer Blase. Ich habe Kontakt mit den verschiedensten Menschen. Mindestens 80 Prozent davon finden bei dem Plakat nichts Schlimmes. Klar, es war etwas überspitzt. Aber die Darstellung darauf entspricht ja der Realität. Wenn man nicht mehr sagen kann, was tatsächlich ist, dann fühlen Nils Fiechter und ich uns schon ungerecht behandelt.

Können Sie nachvollziehen, dass sich Fahrende von der Karikatur auf dem Plakat diskriminiert fühlen?

Wenn ein Fahrender zu mir kommt und mir sagt, dass ihn das Plakat verletzt, dann sage ich ihm, dass mir das leid tut und es nicht so gemeint war.

Würden Sie das Plakat noch einmal gleich gestalten?

Im Nachhinein nicht mehr, wenn ich sehe, was dies alles ausgelöst hat. Auch wenn wir zum damaligen Zeitpunkt Abklärungen getroffen hatten und sicher waren, dass das so geht. Solche Szenen wie auf dem Plakat hat es tatsächlich gegeben. Und dazu stehe ich auch weiterhin.

Warum sind Sie ausgerechnet der Jungen SVP beigetreten?

Ich bin in Lengnau geboren und bürgerlich aufgewachsen. Ich konnte es nie begreifen, wenn jemand Probleme mit patriotischen, heimatliebenden Ansichten hatte. Meine Einstellung war immer bürgerlich. Da ich in einer ländlichen Gegend gross geworden bin, liegt das auf der Hand. Mich haben die Positionen der Jungen SVP angesprochen.

Mit populistischen Plakaten und Sprüchen auf Minderheiten einprügeln sagt Ihnen zu?

Nein, sicher nicht, das tun wir nicht. Ich gehöre ja selber zu einer Minderheit, meine Hautfarbe ist dunkel.

Das ist keine Entschuldigung

Das weiss ich. Aber es widerspricht sich, wenn Sie mich anschuldigen, auf Minderheiten einzuschlagen, wenn ich selber dazu gehöre. Ich persönlich will, dass die Schweiz wieder so wird, wie ich sie als Kind kennengelernt habe, auch wenn ich mal 50 bin. Dafür kämpfe ich. Das bedeutet Sicherheit im Land, eine geordnete Migrationspolitik. Wer sich integriert, ist herzlich willkommen. Rassismus entsteht auch dann, wenn man einfach wegschaut. Das schadet auch den Ausländern, die sich gut integriert haben. Wenn etwa die Medien von verbrecherischen Kosovaren berichten, schadet das auch jenen Kosovaren, die sich vorbildlich verhalten. Es braucht eine Partei, die das anspricht.

Gerade wegen eines Plakats mit der Aufschrift «Kosovaren schlitzen Schweizer auf» hat das Bundesgericht vor drei Jahren zwei SVP-Kadermitglieder wegen Rassismus verurteilt.

Ich halte das für ein Fehlurteil. Dieser Sachverhalt hat ja tatsächlich stattgefunden. Dasselbe ist auch mit unserem Plakat passiert. Man darf Dinge, die geschehen sind, nicht mehr aussprechen. Die SVP und die Junge SVP haben eine rebellische Art, die zu mir passt. So war schon der Gründer der Bauern- Gewerbe- und Bürgerpartei, der späteren SVP, Ruedi Minger. Der klopfte auch mal auf den Tisch, obwohl das nicht allen passte.

Sehen Sie sich als Rebell, der für die Schweiz kämpft?

Das ist vielleicht etwas überspitzt, kann man aber so sagen.

Nun sind Sie an den Ort Ihrer Kindheit zurückgekehrt. Was bedeutet Lengnau für Sie?

Heimat. Hier sind meine Erinnerungen. In Lengnau und im Seeland fühle ich mich wohl wie sonst nirgends. Auch meine Eltern leben hier und das Grosi. Meine Mutter stammt ursprünglich aus Brasilien.

Haben Sie selber wegen Ihrer Hautfarbe Rassismus erlebt?

Das hat man mich in jüngster Zeit oft gefragt. Ich habe viel darüber nachgedacht, aber mir ist kein Ereignis eingefallen. Man hat mich immer als Schweizer angesehen, auch wenn ich dunkler bin als andere. Ich sehe mich auch als nichts Anderes. Ich habe mich nie als Fremder gefühlt, weil ich es ja nicht bin.

Was verbindet Sie mit dem Heimatland Ihrer Mutter?

Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Mein Heimatland ist die Schweiz. Brasilien ist für mich ein fremdes Land. Nach der Schulzeit habe ich ein halbes Jahr dort verbracht, im Bundesstaat Bahia. Bis jetzt hat es mich nicht mehr zurückgezogen. Aber ich hatte nie das Gefühl, dort auch einen Teil meiner Wurzeln zu haben. Meine Mutter kam vor 30 Jahren in die Schweiz, sie ist prima integriert.

Jetzt warten Sie auf den Entscheid des Bundesgerichts. Was, wenn es den Vorinstanzen folgt?

Dann kann ich damit leben. Beim Weiterzug ging es uns um grundsätzliche Fragen zur Freiheit, seine Meinung zu äussern. Viele Bekannte sind derselben Meinung wie ich. Nämlich, dass eine Verurteilung wegen des Plakats völlig übertrieben wäre. Das gibt mir einen gewissen inneren Frieden. Auch die Tatsache, dass wir Geldspenden aus der ganzen Schweiz erhalten haben. Diese haben uns den Gang vor das Bundesgericht ermöglicht.
(https://www.bielertagblatt.ch/nachrichten/seeland/ein-rebell-will-fuer-die-schweiz-kaempfen)


+++RECHTSEXTREMISMUS
Basler Zeitung 17.07.2020

Drohbrief an Sarah Wyss -Belästigung von Grossrätin: Es war Eric Weber

Die SP-Grossrätin fand in ihrem Briefkasten Flyer der rechtsextremen Pnos sowie ein angriffiges Schreiben. Der Rechtsaussen-Politiker gibt es zu. Eine Graphologin sagt zur BaZ: «Das stimmt höchstwahrscheinlich.»

Martin Regenass

«Hier wohnst Du also! Eine Schande! Sozi in Luxuswohnung». Diese handgeschriebenen Worte sowie haufenweise Aufkleber der Partei National Orientierter Schweizer (Pnos) fand SP-Politikerin Sarah Wyss vor den National- und Ständeratswahlen im vergangenen September in ihrem Briefkasten. «Als Juso-Präsidentin gehörte es zu meinem Alltag, bedroht und beleidigt zu werden, in den letzten Jahren wurde es ruhiger», sagte Wyss gegenüber den Medien vor knapp einem Jahr dazu. Diese Worte, die Wyss als Drohung wahrnahm, waren aber nicht alles. So habe die unbekannte Täterschaft auch Unterlagen aus dem Briefkasten gestohlen und auf den Briefkasten eingeschlagen. Wyss erstattete wegen der Vorkommnisse bei der Staatsanwaltschaft Anzeige gegen unbekannt.

Wie sich nun zeigt, dürfte es sich beim Täter mit höchster Wahrscheinlichkeit um den ehemaligen Rechtsaussen-Grossrat Eric Weber von der «Volksaktion gegen zu viele Ausländer und Asylanten in unserer Heimat» gehandelt haben. Zu diesem Schluss kommt ein Schriftvergleich, den Graphologin Iris Meier für die BaZ vorgenommen hat. Sie hat die Buchstaben der Zeilen aus dem Briefkasten mit Buchstaben von Schreiben verglichen, die Weber per Post an die BaZ geschickt hat. «Aus graphologischer Sicht handelt es sich zu 95 Prozent um den gleichen Schreiber», sagt Meier. Die Expertin macht dies an verschiedenen Merkmalen des Schriftbildes fest, etwa der Grösse, der Unverbundenheit, den vielen Winkeln, den grossen Wort- und Zeilenabständen oder der Rechtslage der Schrift. Ebenso sieht Meier bei den Schreibweisen der Buchstaben aus den verschiedenen Schreiben Webers Parallelen.

«Traurige Geschichte»

Weber bestätigt, die Flyer der Pnos und das Schreiben in den Briefkasten gelegt zu haben. «Sie war mit dem Enkel einer rechten Politikerin verheiratet, die auf meiner Wahlliste ist und klar gegen kriminelle Ausländer Stellung bezieht. Dass sie mit einem Rechten verheiratet war, hat Frau Wyss immer verschwiegen. Zudem hat sie nach meinem Wahlsieg 2012 gesagt, ich sei die ‹Schande für Basel›. Daher warf ich ihr den Zettel ein.» Weber, der sich selber als der «jüngste und schönste Grossrat» betitelt, streitet hingegen ab, Dokumente entwendet zu haben. Ebenso verneint er, den Briefkasten beschädigt zu haben.

Wie Sarah Wyss auf Anfrage sagt, hat sie nicht gewusst, dass ihr Weber das Schreiben und die Zettel in den Briefkasten gelegt hat. «Ich habe es allerdings geahnt, dass er es war. Das Ganze ist eine traurige Geschichte eines Mannes, der krank ist. Ich hoffe, dass er damit nicht wieder anfängt.» Wegen der Anzeige, die Wyss damals gemacht hat, habe sie seitens der Polizei nichts mehr gehört. Es sei auch nichts Derartiges mehr vorgefallen.
(https://www.bazonline.ch/belaestigung-von-grossraetin-es-war-eric-weber-975251156956)



MAD ermittelt zu möglichen „Graue Wölfe“-Anhängern in der Bundeswehr
Bei vier Personen der Bundeswehr prüft der Militärische Abschirmdienst einen Bezug zu den „Grauen Wölfen“. Der Verfassungsschutz stuft die Bewegung als rechtsextrem ein.
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-07/extremismus-graue-woelfe-bundeswehr-ermittlungen-militaerischer-abschirmdienst
-> https://www.tagesschau.de/investigativ/report-mainz/graue-woelfe-bundeswehr-101.html



Warum Neonazis im Rap nichts verloren haben
https://www.antifainfoblatt.de/artikel/warum-neonazis-im-rap-nichts-verloren-haben


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Corona-Faktencheck: «Infodemie in der Pandemie»
Seit Beginn der Pandemie nimmt die Zahl von Fake-News drastisch zu. Faktencheck-Organisationen aus 5 Ländern liefern eine Analyse.
https://www.infosperber.ch/Artikel/Gesundheit/Corona-Faktencheck-Infodemie-in-der-Pandemie



derbund.ch 17.07.2020

Verschwörungstheorien und Flyer: Das unheimliche Netzwerk der Schweizer Masken-Feinde

Der Widerstand gegen eine Maskenpflicht wird aufwendig orchestriert: unter anderem von einer prominenten Kesb-Gegnerin und einem Zürcher Ex-Polizisten, der die Maskenpflicht mit dem Holocaust vergleicht.

Jacqueline Büchi

Und plötzlich sind sie da, in der ganz realen Welt. Als «digitale Krieger» machen sie im Netz Stimmung gegen die Massnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie und verbreiten teils krude Theorien zur Entstehung des Virus. Nun ist ihnen der virtuelle Raum offenbar nicht mehr genug.

Als am vergangenen Wochenende plötzlich in vielen Schweizer Städten in grosser Zahl Flyer auftauchten, die vor einer Maskenpflicht im öffentlichen Raum warnten, zeigten sich Experten alarmiert. «Fake News!», warnte der Direktor des Bundesamtes für Gesundheit. «Äusserst verantwortungslos» seien die Botschaften, sagte Epidemiologe Marcel Tanner von der wissenschaftlichen Corona-Taskforce.

Die Flugblätter warnen, das Tragen von Masken führe zu Bewusstlosigkeit, zu Hautpilzen und zur Vermehrung von Bakterien in der Lunge. Wer den QR-Code auf dem Flugblatt scannt, landet auf bekannten Informationskanälen verschwörungstheoretischer Kreise.

Kesb-Gegnerin in Planungsgruppe

Recherchen zeigen nun, wie organisiert die Maskengegner vorgehen – und wer sie sind.

Da wäre einmal eine schweizweit bekannte Gegnerin der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (Kesb), die regelmässig in den Medien auftritt. Sie ist eines von vierzehn Mitgliedern einer Gruppe, die unter dem Namen «Motivations-Flyer für Masken-Verweigerer» die Flugblätter konzipiert hat.

Der Austausch fand über die Chat-App Telegram statt, die beliebt ist bei politischen und religiösen Randgruppen. Tagelang diskutierten die Mitglieder, wie die Flyer gestaltet werden sollen. Auch eine Zürcher Designerin wirkte mit.

Um möglichst viele Flugblätter unter die Leute zu bringen, plante die Gruppe die Verteilung minutiös: Freiwillige konnten die Flugblätter nach Vorbestellung an zahlreichen «Bezugspunkten» in verschiedenen Stadtkreisen Zürichs, in Winterthur, St. Gallen, Baden, Aarau, Olten, Solothurn, Bern, Basel, Luzern, Zug und Altdorf abholen, wie ein Screenshot aus der Telegram-Gruppe belegt. Kostenpunkt pro tausend Stück: 15 Franken. Fein säuberlich wird zwischen bestehenden und geplanten Abholstellen unterschieden.

Trump, der Erlöser

Der Administrator der Gruppe nennt sich «Q the Plan», in Anlehnung an die unter Corona-Skeptikern populäre Verschwörungsbewegung QAnon. Diese vertritt die Theorie, dass eine satanistische Elite die Welt beherrsche. In unterirdischen Tunnelsystemen sollen deren Mitglieder – ­darunter bekannte Politiker, Wirtschaftsgrössen und Schauspieler – angeblich Kinder missbrauchen und ihr Blut trinken.

Erlösung erhoffen sich die Anhänger der Theorie von US-Präsident Donald Trump, welcher mithilfe des Militärs den «Deep State» zerschlagen soll.

Was abstrus klingt, stellt eine reale Gefahr dar: In den USA stuft das FBI QAnon als potenzielle terroristische Bedrohung ein. Auch der Schweizer Nachrichtendienst (NDB) hat Kenntnis von der Gruppierung, wie Sprecherin Isabelle Graber auf Anfrage bestätigt.

Bisher sei die Gruppe in der Schweiz noch nicht mit gewalttätig-extremistischen Aktivitäten aufgefallen, so die NDB-Sprecherin. Allgemein hätten gewalttätige rechts- und linksextreme Gruppierungen in der Vergangenheit aber wiederholt versucht, «friedliche Protestbewegungen zu unterwandern, zu radikalisieren und als Plattformen für Gewaltanwendung zu missbrauchen». Teilweise mit Erfolg.

Auch im Zusammenhang mit der Coronavirus-Krise hält der Nachrichtendienst des Bundes solche Radikalisierungsszenarien für möglich. Graber bestätigt: «Der NDB steht diesbezüglich in Kontakt mit den kantonalen Sicherheitsbehörden.»

«Pizzagate» und «Adrenochrom»

Eines der vierzehn Mitglieder der Anti-Masken-Gruppe nimmt auf Facebook regelmässig Bezug auf die QAnon-Verschwörung. «Pizzagate» und «Adrenochrom» ist auf einem Plakat zu lesen, welches die junge Frau während einer Demonstration am Zürcher Sechseläutenplatz in die Kamera hielt.

Unter dem Schlagwort «Pizzagate» wurde im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 eine Fake-News-Kampagne geführt, wonach die demokratische Kandidatin Hillary Clinton in einen Kinderpornoring verwickelt ist, welcher von einer Pizzeria aus agiere.

«Adrenochrom» ist der Name einer weiteren verwandten Verschwörungstheorie: Diese besagt, dass aus dem Blut entführter Kleinkinder das Stoffwechselprodukt Adrenochrom gewonnen werde, welches Prominente als Jugendelexier einsetzten.

Die Frau mit dem Plakat schreibt in den sozialen Medien, die Bewegung habe nichts mit Rechtsextremismus oder Gewalt zu tun. Die Mitglieder seien im Gegenteil «voller Liebe». (Lesen Sie hier unseren Faktencheck zu den Corona-Verschwörungstheorien.)

Maskenpflicht mit Holocaust verglichen

In manchen Chats fantasieren die Maskengegner allerdings zuweilen auch von einer gewaltsamen Rebellion gegen die Corona-Massnahmen. In der Gruppe «Widerstand 2020», die auch Mitglieder aus der Maskengruppe enthält, ist etwa ein Zürcher Ex-Polizist an vorderster Front aktiv, der seinen Job nach einer Verurteilung wegen Körperverletzung verloren hatte.

Immer wieder ziehen Teilnehmer in den Chats Parallelen zum Holocaust – so auch er. Die Juden hätten sich nicht gewehrt, deshalb seien sie «vernichtet» worden, schrieb der Mann kurz vor Einführung der Maskenpflicht im ÖV. «Unsere Freiheit wird jetzt vernichtet.» Er ruft die Maskengegner auf, sich zu widersetzen. «Wenn viele nicht mitmachen, sind Kontrollen nicht durchsetzbar. Deshalb organisierter Widerstand. Lokal. Mit Nachbarn. Im Tram. Im Zug. Zusammen sind wir stark. Allein können sie uns einfach brechen.»

Später berichtet er von einer Auseinandersetzung, die er aufgrund seiner fehlenden Maske mit einer betagten Frau im ÖV hatte. Er ist sich sicher: «Der Widerstand lebt. Jugendliche werden bis spätestens Herbst rebellieren. In Europa werden soziale Unruhen eskalieren. Nur Geduld.»

«Verhältnisblödsinn»

Im Gespräch mit dieser Zeitung distanziert sich der Ex-Polizist von der QAnon-Bewegung. Diese sei nur ein Ablenkungsmanöver – «eine Operation des Pentagons, um Leute zu diffamieren, die kritisch denken». Er selber agiere faktenbasiert. So erkrankten jährlich mehr Leute am Norovirus als an Corona. «Die Maskenpflicht ist ein Verhältnisblödsinn», so der Mann, «der Staat tut dem Volk Gewalt an, indem er ihm die Freiheit nimmt.» Das Virus werde genutzt, um eine Impfpflicht einzuführen, mit dem Datenschutz aufzuräumen und das Bargeld abzuschaffen.

Die Kesb-Kritikerin, die in der Vergangenheit bereits in Videos des «alternativen» Newsportals «WakeNews» auftrat, will sich auf Anfrage nicht näher zum Sachverhalten äussern. In die Maskengruppe sei sie eher zufällig geraten, weil sie in der Szene sonst für ihre «guten Inputs» bekannt sei. Mit dem Flyer habe sie aber «nicht wirklich viel zu tun».

Häufig werden in den Chats auch Videos des rechtsextremen Pnos-Politikers Ignaz Bearth geteilt. Dieser warnt ebenfalls vor einem Impfzwang und behauptet mit Verweis auf eine Grazer Ärztin: «Die Schutzmasken haben nur den Sinn, uns zu demütigen.»

Eine Erklärung für «das Böse»

Wer hinter dem Anti-Masken-Flugblatt steht, wäre ohne die Arbeit von zwei Recherchekollektiven, die sich «Adornochrom» und «Alu TV» nennen, nicht bekannt geworden. Die Mitglieder, die nach eigenen Angaben antifaschistisch motiviert sind, haben sich unter Fake-Namen in die Chatgruppen geschlichen und über Monate Informationen gesammelt.

Marko Kovic, der an der Universität Zürich zu Verschwörungstheorien geforscht hat, beobachtet die QAnon-Bewegung schon länger. Er sagt: «So abwegig die Theorien für Aussenstehende klingen mögen, so sehr identifizieren sich die Menschen, die daran glauben, mit ihnen.» Mitglieder berichteten von einem starken Zusammenhalt in der Community.

Antisemitische Motive sind laut Kovic weit verbreitet in der Szene. Und auch die Verbindung zu Kesb-kritischen Kreisen passt laut Kovic ins Gesamtbild: «Das Narrativ, dass sich eine Elite über die Bedürfnisse der Menschen hinwegsetze und Kindern vorsätzlich schade, ist ja geradezu zentral in der Bewegung.»

Einiges deute daraufhin, dass QAnon häufig Menschen anspricht, die sozioökonomisch eher schlechtergestellt sind. Dies kommt laut Kovic nicht von ungefähr: «Die Welt, man muss es sagen, ist häufig ungerecht. Und QAnon gibt vor, eine grosse Erklärung für all das Böse zu liefern, das auf der Welt passiert.» Gerade in Krisenzeiten wie diesen sehnten sich viele Menschen nach solch einfachen Erklärungen.

Laut Kovic ist es wichtig, dass die Gesellschaft die Entwicklungen öffentlich thematisiert. «Die wissenschaftliche Evidenz ist klar: Es ist keine zielführende Strategie, solche Parallelwelten totzuschweigen und zu hoffen, dass sie in ihrem virtuellen Raum bleiben.» Vielmehr gelte es, mit den Betroffenen das Gespräch zu suchen und ihnen auf Augenhöhe zu begegnen. «Sie auszulachen oder ihre Theorien ins Lächerliche zu ziehen, ist hingegen höchst kontraproduktiv.»
(https://www.derbund.ch/das-unheimliche-netzwerk-der-schweizer-masken-feinde-184682932068)


+++WORLD OF CORONA
Datenschutz in der Gastronomie: Was habt Ihr mit meiner Handynummer gemacht?
Wer im Restaurant isst, muss in Zeiten von Corona seine Kontaktdaten hinterlassen. Wer hat Zugriff auf die Angaben? Ein Hack und eine Polizeianfrage werfen Fragen auf.
https://www.zeit.de/digital/datenschutz/2020-07/datenschutz-gastronomie-corona-handynummer-kontaktdaten-hacking-polizei/komplettansicht


Polizeieinsicht in Corona-Listen: Schulze sieht Vertrauensbruch
Wegen der Corona-Pandemie müssen Gäste in der Gastronomie ihre Kontaktdaten hinterlassen. Jetzt wurde bekannt: Auch die Polizei greift für ihre Fahndung darauf zu. Viele BR-Nutzer zeigen sich empört. Kritik kommt auch von den Grünen.
https://www.br.de/nachrichten/bayern/polizeieinsicht-in-corona-listen-schulze-sieht-vertrauensbruch,S4vN6Mj


+++HISTORY
Kolonialismus in Schulbüchern: „Gewalt wird nicht thematisiert“
Viele Lehrmaterialien beschönigen die deutsche Kolonialgeschichte, sagt die Afrikaforscherin Josephine Apraku. Sie kritisiert die eurozentristischen Ansätze.
https://taz.de/Kolonialismus-in-Schulbuechern/!5694899/



bielertagblatt.ch 17.07.2020

Schwarze Frauengeschichte: Bielerisch, bunt, bewegt

Das Buch «I will be different every time» widmet sich einem vernachlässigten Teil der Geschichte: Den Lebenswelten schwarzer Frauen in Biel und in der Schweiz. Und es ist auch ein Stück Machtkritik.

Sarah Zurbuchen

«Seit heute Morgen ist es ein anderes Gefühl, hier in Biel zu leben», sagt die afro-amerikanische Künstlerin und Lyrikerin Fork Burke, die seit rund zehn Jahren in Biel wohnt. Es ist der Tag im Juli, an dem das Buch «I will be different every time – Schwarze Frauen in Biel» herauskommt. Im Atelier der Fotografin Anja Fonseka, die die 17 Frauen für das Buch fotografiert hat, stapeln sich die in Folie eingeschweissten, schwarz-gelben Bücher. «Es ist grossartig, ich bin sehr stolz», sagt Myriam Diarra gerührt. Diarra ist gebürtige Bielerin, Bewegungspädagogin und Fachfrau Betreuung. Die beiden schwarzen Frauen sind zusammen mit Franziska Schutzbach, einer weissen Schweizerin, die Herausgeberinnen des Buches.

 Die Stimmung ist heiter, herzlich, aber es gibt auch nachdenkliche Momente. Denn es geht hier um viel mehr als um die Tatsache, dass ein Buch geschrieben und herausgegeben worden ist. Es geht darum, dass mit diesem Druckerzeugnis schwarzen Frauen eine Stimme gegeben wird. Fork Burke: «Ich fühle mich unterstützt. Dieses Buch zeigt mir, dass es in Biel eine potenziell gesunde Gesellschaft gibt.» Und auch Myriam Diarra betont: «Endlich wahrgenommen und gehört zu werden, ist ein wunderbares Gefühl.» Dass das Buch zeitgleich mit der Black-Lives-Matter-Bewegung erscheint, war natürlich nicht vorherzusehen, helfe aber der Sache, sind sich die Frauen einig.

Die Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach verdeutlicht: «In diesem Buch wird sichtbar gemacht, was schwarze Frauen bereits seit langer Zeit leisten und womit sie sich in ihrem Alltag auseinandersetzen müssen.» Sie ist sich bewusst, dass das Buch auch Abwehr hervorrufen kann. Die gebürtige Bielerin, die unter anderem auch als engagierte Feministin in der Öffentlichkeit steht, weiss, wovon sie spricht. Sie kennt die Mechanismen, gerade, wenn es um das Aufzeigen von Privilegien geht. Viele seien sich in der Schweiz nicht gewohnt, über Rassismus nachzudenken. «Denn sich selbst zu hinterfragen, ist schmerzhaft, und das kann Wut auslösen. Auf Englisch heisst es ‹Progress and Agression›, also Fortschritt und Aggression, zwei Begriffe, die oft zusammen gehen.»

Lücke in der Geschichte

Die Idee zum Buch kam den drei befreundeten Frauen nach intensiven Gesprächen an gemeinsamen Abenden. Myriam Diarra: «Wir waren der Meinung, dass es in Bezug auf die Geschichte und das Leben von schwarzen Frauen in Biel eine Lücke gibt.» Mit dem Begriff «schwarze Frauen» seien nicht nur Frauen aus Afrika gemeint, betont sie. «Schwarze Frauen sind auch Frauen, die in der Schweiz geboren oder die aus westlichen Ländern hierhin ausgewandert sind.» Es seien ganz unterschiedliche Menschen mit eigenen Erfahrungen, Perspektiven und Lebensgeschichten. «Aber es gibt eben auch Gemeinsamkeiten, das haben wir in den zwei Jahren der Entstehungsgeschichte dieses Buches gemerkt.» So sei eindrücklich, dass alle dieselbe Sehnsucht hätten, nämlich akzeptiert zu werden, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe und Klischees. Denn schwarze Frauen seien ganz besonders betroffen von Vorurteilen, wie die Texte im Buch eindrücklich zeigen (siehe auch gegenüberliegende Seite). «Die Gesellschaft traut schwarzen Frauen weniger zu, sie werden infantilisiert oder sexualisiert, nicht ernst genommen und sehr rasch be- und verurteilt. Es sind oft andere, die darüber entscheiden, wer wir sind und was wir können, beziehungsweise nicht können.» Das wiederum führe dazu, dass sich schwarze Frauen in unserer Gesellschaft unverstanden und ungesehen fühlten und sich ständig beweisen müssten. «Das ist erschöpfend», sagt Diarra. Gerade auch, weil sie doppelt diskriminiert würden. «Sie tragen die Last der sogenannten Intersektionalität: die Gleichzeitigkeit von verschiedenen Diskriminierungsformen wie Rassismus und Sexismus.»

Was heisst schwarz?

Die Herausgeberinnen betonen in ihrem Vorwort, dass es sich beim Buch nicht um die schwarzen Frauen in Biel als homogene Gruppe handelt. Es sei eine Sammlung höchst individueller Geschichten, Lebenswelten und Erkenntnissen. Eine Gemeinsamkeit der im Buch sprechenden Frauen sei das Bestreben, Erfahrungen und Sichtweisen mit anderen zu teilen. Den Begriff «schwarz» definieren die drei Frauen folgendermassen: «Rassistisch markierte Menschen und Kollektive, die einen gemeinsamen Erfahrungshorizont teilen. Einen Erfahrungshorizont, der geprägt wurde von der globalen Geschichte rassistischer Hierarchisierungen rund um den transatlantischen Sklavenhandel, den damit einhergehenden Kolonialisierungen und deren Legitimierung.»
Im Buch wird das Wort «Schwarz» ausserdem mit grossem Anfangsbuchstaben geschrieben. Diese Schreibweise steht für eine Strategie des Widerstandes, um sich den Begriff selbstbestimmt anzueignen. «Schwarz» sei in dieser Schreibweise als eine klar politische und nicht biologische Positionierung zu verstehen. «Denn bekanntlich gibt es keine biologischen Rassen», ist dem Vorwort des Buches zu entnehmen.

Grosse Einsamkeit

Auch die Geschichte von Myriam Diarra und ihrer Halbschwester Thaïs  wird im Buch anhand eines Gesprächs zwischen den beiden Frauen offengelegt. Die Schwestern haben denselben Vater, aber nicht dieselbe Mutter und sind getrennt voneinander in Biel aufgewachsen. Kennengelernt haben sie sich erst, nachdem sie sich im Schulalter zufälligerweise auf der Strasse begegnet sind. Myriam und Thaïs Diarra gehörten zu den ersten Kindern of Color in Biel. Ihr Vater stammt aus Mali, ihre Mutter aus der Schweiz.
«Als Kind erfuhr ich viel Einsamkeit», sagt Myriam Diarra. Das hatte auch damit zu tun, dass sie Eltern unterschiedlicher Hautfarbe hatte. So steht im Buch: «Damals gab es ausser uns praktisch keine anderen Kinder von Eltern unterschiedlicher Hautfarbe. Es war nicht einfach, sich in einer Welt von Weissen zurechtzufinden. (…) Die Leute sahen nur die Schwarze/afrikanische Seite an uns. Entweder Schwarz oder adoptiert, andere Kategorien für Menschen wie uns gab es nicht. Viele konnten sich gar nicht vorstellen, dass afrikanisch auch schweizerisch sein kann.»

Der Text über sie und ihre Schwester habe viele Leute sehr berührt. «Manche waren gar zu Tränen gerührt», sagt sie. Und genau das sei das Ziel dieses Buches: Empathie zu wecken, das Schicksal von Menschen aufzuzeigen und vor allem auch ihre Stärke, ihre Perspektiven und Denkweisen und ihren Beitrag zur Schweizer Gesellschaft. Myriam Diarra ist eines vor allem wichtig. Sie möchte «eine Spur legen». Eine Spur auch für die nächste Generation dieser Frauen, deren Geschichte genauso zu der Stadt gehöre wie die eines jeden Menschen, der hier lebe. Und das hat ihr das Buchprojekt gezeigt: «Wir sind nicht allein, und das fühlt sich gut an. Denn wir gehören zu Biel.»

„Leute sprechen Blödelideutsch mit mir“

« Ich heisse Emma Moumbana, bin 18 Jahre alt und in der Schweiz geboren und aufgewachsen. Meine Mutter ist gebürtige Bernerin, mein Vater stammt aus Kamerun. Ich bin also bi-racial. Am liebsten mag ich aber den französischen Ausdruck ‹métisse›. Früher haben meine Schwester und ich immer und immer wieder das Lied ‹Métisse› von Yannick Noah gehört und mitgesungen.

Als Kind habe ich mit meiner Hautfarbe und meinen Haaren gehadert. Ich sehnte mich danach, so zu sein wie die anderen: blond und weiss.

Irgendwann begann ich, mich mit meiner Hautfarbe und meinen Haaren auseinanderzusetzen. Ich schaute mir Beiträge im Internet an, beschäftigte mich mit der Haarkultur von farbigen Frauen, mit dem Afro-Look (Frisur mit stark gekrausten,  nach allen Seiten abstehenden Locken) oder den Braids (Flechtfrisur). Da steckt eine lange, interessante Geschichte dahinter, die bis in die Sklavenzeit reicht. Leider wird dieses Wissen hierzulande viel zu wenig vermittelt, das habe ich auch in der Schule immer wieder gemerkt. Lange Zeit mussten sich schwarze Frauen die Haare mit allerlei chemischen Mitteln strecken, um den reichen und privilegierten Weissen ähnlicher zu sein und so weniger diskriminiert zu werden.

Heute habe ich mich mit meinem Aussehen und meiner Herkunft versöhnt und gelernt, wie ich meine Haare am besten pflege. Dazu stelle ich meine Haarpflegeprodukte selbst her, etwa aus Leinsamen und verschiedenen Ölen als ‹leave in› (Mittel, das nicht ausgewaschen wird).
Ich sehe mich weder als schwarz noch als weiss. Denn ich bin beides. Viele glauben mir das nicht, aber wenn ich meine Familie in Kamerun besuche, bin ich ‹la blanche›, also die Weisse. Und auf eine gewisse Weise stimmt das ja auch, denn ich bin aufgewachsen wie eine Weisse, in einer weissen Gesellschaft mit weissen Privilegien. Aber hier bin ich die Schwarze, die Woman of Color. Und das kann sich auch im Negativen, in rassistischen Bemerkungen, Beschimpfungen und Vorurteilen äussern. So wurde ich auf der Strasse auch schon wegen meiner Hautfarbe, meiner Haare oder meines Geschlechts beschimpft. Auch werde ich sehr rasch be- und verurteilt. Ein Aushilfslehrer sagte mir nach wenigen Tagen, ich sei für die Matura zu wenig intellektuell und solle doch eine Lehre machen. Nach nicht mal einer Woche! Er hat mich gar nicht gekannt. Oder dann das mit dem ‹Blödelideutsch›, wie ich es nenne: Viele Menschen denken, ich könne kein Deutsch. Dann sprechen sie mit mir in gebrochenem Hochdeutsch. Kürzlich habe ich in einem Betrieb geschnuppert. Um es klar und deutlich zu sagen: Ich bin hier geboren und bilingue aufgewachsen, spreche perfekt Schweizerdeutsch, Hochdeutsch und Französisch und ausserdem ein fehlerfreies Englisch, das ich mir während eines dreimonatigen Amerikaaufenthalts angeeignet habe. Und dann sagt dir jemand im Blödelideutsch: ‹Ich möchten dass du holen die Glas.› Wie kommt sowas?
Ich bin durch und durch Schweizerin. Hätte ich keine Laktoseintoleranz, ich würde wohl mehr Fondue und Raclette essen als die meisten hierzulande.

Dass ich weder schwarz noch weiss oder beides zusammen bin, hat es für mein Selbstvertrauen nicht gerade einfacher gemacht. Ich wollte mich konstant beweisen, um zu zeigen: Ich bin genau wie ihr.

Weisse Menschen können sich nur schlecht vorstellen, wie es sich anfühlt, nicht zur Norm zu gehören. Viele Menschen kategorisieren und urteilen ständig über ihre Mitmenschen. Entweder bist du schwarz oder weiss, Frau oder Mann, straight oder queer, cis oder trans.
Doch es ist auch eine Chance, eine ‹métisse› zu sein und einen Fuss in beiden Welten zu haben. Ich durfte und darf tiefe Einblicke in zwei verschiedene Mentalitäten und Kulturen haben. Das ist eine Bereicherung. Ausserdem habe ich von meinen beiden Herkunftsfamilien so viel Liebe bekommen! Dafür bin ich sehr dankbar.»

Aufgezeichnet: Sarah Zurbuchen


„Es ist nicht genug, du bist nicht genug“

« Ich heisse Juliet Bucher und bin 1996 aus Ghana in die Schweiz gekommen, damals war ich 29 Jahre alt. Hier habe ich meinen späteren Ehemann kennengelernt. Er sagt noch heute, als er mich zum ersten Mal gesehen habe, habe er gewusst, dass ich die Liebe seines Lebens sei.
Dass das Buch «I will be different every time – Schwarze Frauen in Biel» realisiert werden konnte, gibt mir ein unglaublich gutes Gefühl. Auch die schlimmen Geschehnisse rund um George Floyd in den USA und die daraus entstandene Black-Live-Matters-Bewegung bestätigen mir, dass endlich etwas geschehen muss. Das Thema war schon lange präsent für uns People of Color, aber jahrelang nahm uns niemand ernst. Es war, als klopften wir immer wieder an die Wand, und niemand hörte hin. Das führt zu einem Gefühl von grosser Ohnmacht. Wenn ich jetzt sehe, dass auch weisse Menschen auf die Strasse gehen, um gegen Rassismus zu de-monstrieren, bekomme ich Hühnerhaut.
Als ich mit meinem Sohn in die Schweiz auswanderte, hatten wir beide grosse Mühe mit der Umstellung. Mein Sohn litt unter der fremden Kultur, den anderen Gewohnheiten und Ansprüchen an die Kinder.

In Ghana war alles freier, es ging ums Spielen, einfach darum, frei zu spielen. Hier musste er stillsitzen. Stundenlang. Er wurde ständig beurteilt: Er sei zu laut, zu aggressiv. Das hatte schlimme Auswirkungen auf ihn. Die ganze Zeit diese negativen Feedbacks. Immer war er schuld an allem.
In Ghana war er ein ganz normaler Junge, hier war er plötzlich ein Problemkind.

Auch ich habe in der Schweiz Erfahrungen mit Rassismus gemacht, in den letzten Jahren ist er gar expliziter geworden.
Ich werde öfter angegriffen, im Zug, im Funiculaire. Ich erhalte anonyme Drohbriefe. Auf der Strasse wird mir manchmal sogar der Mittelfinger gezeigt, einfach so. Oft werde ich, eine Schwarze Frau, als Sexobjekt angesprochen und auf der Strasse gefragt: ‹Wieviel kostet es?›

Zuerst habe ich gar nicht begriffen, was die Männer meinen. Wieviel kostet was? Bis ich begriffen habe. Das ist sehr demütigend. Oder bei der Arbeit. Ich habe in der Schweiz meine Ausbildung zur Fachfrau Gesundheit absolviert und arbeite auch als solche. Trotzdem haben manche Leute das Gefühl, ich sei weniger fähig als eine weisse Person. Manche Patienten weigern sich gar, sich von mir betreuen zu lassen und verlangen eine weisse ‹Krankenschwester›.
Beim Einkaufen: Vor Dir steht ein weisser Mann, der mit einem Hundertfrankenschein zahlt, alles geht schnell, die Kassiererin nimmt das Geld und wechselt. Als ich an der Reihe bin und ebenfalls mit einem Hundertfrankenschein zahle, inspiziert sie die Note von allen Seiten, als ob sie gefälscht sei.

Ich spreche immer wieder auch mit weissen Menschen über Rassismus (…). Sie wollen nicht sehen, dass es Rassismus gibt, sie wehren ab, das ist sehr erschöpfend. Man hat das Gefühl, sich dauernd für die eigenen Erfahrungen rechtfertigen zu müssen.

Bevor ich die deutsche Sprache lernte, war ich total hilflos und abhängig von anderen. Mein Selbstbewusstsein war am Boden, ich versteckte mich zuhause. Dank der Sprache kann ich mein Leben heute selbst organisieren, mich verständigen, mich für mich und meine Community einsetzen. Die Sprache ist deshalb der Schlüssel zu allem.

Integration ist ein Wort, mit dem eigentlich immer gesagt wird: Es ist nicht genug, du bist nicht genug. (…) Integration ist ein Wort, um zu sagen: Du machst Fehler, wir nicht. Und man weiss nie, wann dieses Integrations-Ding eigentlich abgeschlossen ist, man hält uns damit ständig auf Trab.
Ich bin politisch und gesellschaftlich sehr engagiert, weil auch ich mich am öffentlichen Leben hierzulande beteiligen will. Deshalb kandidiere ich nun zum dritten Mal für den Bieler Stadtrat, für die SP. Gewählt wurde ich noch nie, aber es wurden immer mehr Stimmen. Vielleicht klappt es ja dieses Jahr.»

Info: Der Text wurde durch Auszüge aus dem Buch «I will be different every time – Schwarze Frauen in Biel» ergänzt (in kursiver Schrift). Aufgezeichnet: Sarah Zurbuchen

„Gravierende Wissenslücken“

Dieser Text ist ein gekürzter Auszug aus dem Buch «I will be different every time – Schwarze Frauen in Biel». Der Text wurde von der Bieler Kulturwissenschaftlerin Melissa Flück verfasst.

Schwarz-Sein und Diskriminierung in Biel

Weder für Biel noch für die übrige Schweiz gibt es statistische Erhebungen zur Grösse der Schwarzen Diaspora, schon gar nicht solche, die auf einer Selbstidentifizierung von Menschen of Color basieren. Erhobene Zahlen, auf die für Aussagen über rassistische Diskriminierungen oft ausgewichen wird, beruhen auf der registrierten nationalen Zugehörigkeit. Das Problem hierbei ist: Wenn nationale Zugehörigkeit als Grundlage rassistischer Diskriminierung gesetzt wird, wird dadurch auch die problematische koloniale Unterscheidung zwischen einem weissen Europa und einem Schwarzen Afrika gefestigt. Diese vermeintlich klare Unterscheidung bestärkt die Vorstellung, dass Menschen of Color nicht «wirklich» hierhergehören, und verweist Schwarze Menschen automatisch auf den afrikanischen Kontinent – anstatt solche Kategorisierungen beispielsweise in Zusammenhang mit historisch entstandenen Machtbeziehungen zu reflektieren.

Die Problematik besteht dabei nicht darin, dass tatsächlich die meisten in der Schweiz lebenden Menschen, die aus Afrika migriert sind oder afrikanische Vorfahr_innen haben, Schwarz sind, sondern darin, dass diese vorangestellte Annahme zum einen den Blick verschliesst für die Marginalisierungen und Diskriminierungen von Schwarzen Schweizer_innen und Schwarzen Menschen aus anderen europäischen und nichteuropäischen Ländern. Zum anderen gerät struktureller Rassismus als Bestandteil der Organisationsform der Schweizer Gesellschaft aus dem Blick und wird stattdessen als Effekt von Migration problematisiert. Das heisst, es wird der Rückschluss nahegelegt, es gebe Rassismus wegen der Migration oder gar wegen der «Fremden» – und nicht etwa wegen einer rassistisch strukturierten Gesellschaft.

Das Bieler Kompetenzzentrum Multimondo (…) publiziert jährlich einen Bericht über seine Beratungsfälle. Leider sind die Werte weder nach Regionen aufgeschlüsselt, noch werden die Diskriminierungen konsequent in Zusammenhang mit den Lebensbereichen (Arbeitsplatz, Öffentlichkeit, Wohnungsmarkt usw.), mit dem Geschlecht und der Art der Diskriminierung ausgewertet. Dennoch lässt sich festhalten, dass seit Jahren Rassismus «nach dem generellen Motiv der Ausländerfeindlichkeit das am häufigsten genannte Diskriminierungsmotiv» gegen Schwarze ist und 2018 35 Prozent der gemeldeten Fälle ausmachte. Im selben Jahr waren der Arbeitsplatz, der Bildungsbereich, der öffentliche Raum und die Nachbarschaft die Orte, an denen die meisten antischwarze Diskriminierungen gemeldet wurden.

Denise Efionayi-Mäder vom Schweizerischen Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien der Universität Neuenburg forscht zur afrikanischen Bevölkerung in der Schweiz. Diese sei sozioökonomisch unterprivilegiert, habe häufig ein tiefes Einkommen und sei in besonderem Masse von Arbeitslosigkeit betroffen. Neben der Aberkennung von schulischen Ausbildungen in den Herkunftsländern und vermeintlich oder tatsächlich fehlenden Kompetenzen für den Schweizer Arbeitsmarkt liege diese Ungleichheit (…) vor allem an Diskriminierungen. Auch hier fehlt allerdings eine Aufschlüsselung für die Stadt Biel, die mit 17 Prozent den grössten Anteil einer afrikanischen Bevölkerung für eine Schweizer Stadt dieser Grösse aufweist.

Was also lässt sich aus diesen Zahlen in Bezug auf Schwarze Frauen in Biel ableiten? Vor allem weitere Fragen. (…) So lassen sich kaum Aussagen machen darüber, inwiefern sich strukturelle Ungleichheit, beispielsweise in Bezug auf Lohnungleichheit aufgrund von Rassisierung und Geschlecht, auf Schwarze Frauen nochmal verstärkt und anders auswirkt als auf Schwarze Männer oder weisse Frauen, die ebenfalls strukturellen Ungleichheiten unterworfen sind. Wenn man bedenkt, dass die Diskriminierungsdaten des Beratungsnetzes noch zu den repräsentativsten gehören, zeigt sich eine gravierende Wissenslücke in Bezug auf Schwarze und andere Frauen of Color.
(…)
Das Fehlen soziologischer Daten sowie rassismuskritischer und intersektionaler Forschung zur Diskriminierung in den verschiedenen Lebensbereichen hat zur Folge, dass Antidiskriminierungsmassnahmen und Angebote, die spezifisch der Benachteiligung von Schwarzen Frauen und Frauen of Color entgegenwirken sollen, oft unzureichend sind oder schlicht nicht existieren.

Schwarze feministische Geschichte

Menschen afrikanischer Herkunft, teils mit einem Schwarzen und einem weissen Elternteil, die in der Schweiz und als Schweizer_innen geboren und aufgewachsen sind, werden heute im allgemeinen Diskurs sowie in der Ethnizitätsforschung als «zweite Generation» bezeichnet. Dieser Begriff ist jedoch diffus und eher irreführend, da er den Fokus wiederum auf Migrationsprozesse legt. Soziale Markierungen und Ausschlussmechanismen, die erst in der Schweiz wirksam sind, werden dadurch ausgeblendet. So wird, wie die Historikerin Fatima El-Tayeb schreibt, eine «unüberbrückbare Kluft impliziert», die zwischen Schweizer_innen und Migrierten eine klare Grenze zieht.

Wenn es darum geht, eine Geschichte von Schwarzen Frauen in der Schweiz oder in Biel zu verfassen, sind Begriffe, die von einem essenzialistischen Verständnis von «Boden, Wurzeln und Verwandtschaft» ausgehen, ungeeignet, weil sie über in der Schweiz geteilte Erfahrungen von Rassifizierung und Sexualisierung wenig aussagen. (…)

Schwarze Frauengeschichte in der Schweiz und in Biel ist immer auch eine Machtkritik, die sich parallel zu historisch geformten rassistischen, patriarchalen und kapitalistischen Strukturen erzählen lässt. Diese Strukturen treiben Schwarze Frauen politisch, sozial und historisch immer wieder an die Ränder der Existenz – und manchmal darüber hinaus. Das vorliegende Buch setzt an diesen Rändern an und lädt ein, dort zu verweilen. Nicht nur weil es einen Einblick gibt, wie Schwarze Frauen in Biel auf vielfältige Weise ihren Alltag bestreiten (…). Sondern weil der Blick auf die Ränder gleichzeitig den Blick auf das Zentrum verschiebt und dort gravierende Lücken offenlegt. Schwarze Geschichte, Schwarze feministische Geschichte ist nie lediglich Gewalt, Entmenschlichung und Tod, sondern verweist immer auch auf Überleben, Widerstand und die Möglichkeit, sich die Welt auf eine andere, bessere Weise zu wünschen und damit auch ein Stück weit utopisch hervorzubringen.
(https://www.bielertagblatt.ch/nachrichten/biel/schwarze-frauengeschichte-bielerisch-bunt-bewegt)