Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel
+++BERN
Aufruf zu Solidarität mit Stop Isolation!
Der Kanton Bern ist gegen alle Forderungen der Gruppe «Stop Isolation».
Das hat er in einer Medienmitteilung und einem Antwortbrief
veröffentlicht. Stop Isolation – eine Gruppe von Personen mit
Negativentscheid im Kanton Bern hat letzte Woche protestiert und stellte
in einem Brief an den Kanton Bern und den Bund konkrete Forderungen (1)
Aufenthaltsbewilligungen, (2) keine Isolation in Rückkehrcamps, (3)
keine ständigen Kontrollen, Bussen und Haftstrafen, (4) Respekt und
Würde.
https://migrant-solidarity-network.ch/2020/07/17/aufruf-zu-solidaritaet-mit-stop-isolation/
Nach Protest gegen Rückkehrzentren: Asylsuchende finden bei Polizeidirektor Müller kein Gehör
Regierungsrat Philippe Müller (FDP) kritisiert die Proteste als «undemokratisch» und «unsolidarisch».
https://www.derbund.ch/sicherheitsdirektion-wehrt-sich-gegen-vorwuerfe-der-demonstranten-529360223371
-> https://www.bernerzeitung.ch/berner-sicherheitsdirektion-verteidigt-rueckkehrzentren-369919912788
-> Medienmitteilung kantonale Sicherheitsdirektion: https://www.be.ch/portal/de/index/mediencenter/medienmitteilungen.meldungNeu.mm.html/portal/de/meldungen/mm/2020/07/20200716_1644_forderungen_der_gruppestoppisolationundemokratischundunsolidaris
-> Schreiben des Amts für Bevölkerungsdienste an die Gruppe «Stopp Isolation»: https://www.be.ch/portal/de/index/mediencenter/medienmitteilungen.assetref/dam/documents/portal/Medienmitteilungen/de/2020/07/2020-07-17-sid-schreiben-abev-stopp-isolation.pdf
-> https://www.neo1.ch/news/news/newsansicht/datum/2020/07/17/kanton-bern-verteidigt-seine-rueckkehrzentren.html
-> https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/183374/
-> https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/rueckkehrzentren-menschenunwuerdig-die-sicherheitsdirektion-des-kanton-bern-sagt-klar-nein-138481031
Pfleger (28) muss Land verlassen: «Wenn Fuad ausgeschafft wird, haben wir ein Problem»
Fuad Hussein (28) aus Äthiopien muss innert 30 Tagen die Schweiz
verlassen. Im Thuner Alterszentrum, wo der junge Mann arbeitet, hat man
wegen der bevorstehenden Ausschaffung ein Problem. Auf die Hilfskraft
ist man derzeit nämlich besonders angewiesen.
https://www.20min.ch/story/wenn-fuad-ausgeschafft-wird-haben-wir-ein-problem-783236119655
+++ZÜRICH
Streit um Zürcher Asyl-Rückkehrzentren: Die Strafanzeige verhärtet die Fronten unnötig
Während der Corona-Krise ist der Konflikt um die abgewiesenen
Asylsuchenden in Zürich eskaliert. Was es jetzt braucht, ist eine
konstruktive Diskussion, keine Strafanzeigen.
https://www.nzz.ch/meinung/streit-um-abgewiesene-asylsuchende-strafanzeige-schadet-diskurs-ld.1566677
+++ITALIEN
Ventimiglia: Reportage von der italienisch-französischen Grenze
Reportage aus dem Rotkreuzlager „Campo Roia“ und der Anlaufstelle „Bar Hobbit“
https://ffm-online.org/ventimiglia-reportage-von-der-italienisch-franzoesischen-grenze/
+++MITTELMEER
Seenotrettung: Leiche eines Migranten treibt zwei Wochen im Meer
Die Hilfsorganisation Sea-Watch publizierte verstörende Bilder. Sie
zeigen, wie die Leiche eines verstorbenen Migranten über Wochen im
Mittelmeer treibt. Keine Behörde scheint sich für die Bergung des
leblosen Körpers verantwortlich zu fühlen.
https://www.20min.ch/video/leiche-eines-migranten-treibt-zwei-wochen-im-meer-758476321982
+++EUROPA
EUGH – Asylbewerber haben Recht auf persönliche Anhörung auch in mehreren EU-Staaten
Asylbewerber haben auch dann das Recht auf eine persönliche Anhörung
ihres Falls, wenn ihnen bereits in einem anderen EU-Land Asyl gewährt
wurde.
https://www.deutschlandfunk.de/eugh-asylbewerber-haben-recht-auf-persoenliche-anhoerung.1939.de.html?drn:news_id=1151893
+++GASSE
Erster Basler Obdachloser ist weg von der Strasse – aber nicht alle wollen überhaupt eine eigene Wohnung
«Housing First» ermöglicht Randständigen ein Zuhause. Nun zeigt sich: Nicht alle Wohnungslosen wollen ihre eigenen vier Wände.
https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/erster-basler-obdachloser-ist-weg-von-der-strasse-aber-nicht-alle-wollen-ueberhaupt-eine-eigene-wohnung-138473545
Lebensmittelverteilaktion wegen Corona: Sozialwerk Pfarrer Sieber übernimmt «Essen für alle»
Das Sozialwerk Pfarrer Sieber übernimmt ab sofort das Projekt «Essen für
alle». Die Lebensmittelverteilaktion wurde im Frühling während der
Corona-Pandemie von Amine Conde ins Leben gerufen.
https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/lebensmittelverteilaktion-wegen-corona-sozialwerk-pfarrer-sieber-uebernimmt-essen-fuer-alle-138477365
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
UNO-Menschenrechtsrat: Menschenrechte gilt es auch während Demonstrationen zu wahren
Der UNO-Menschenrechtsrat nimmt auf Initiative der Schweiz eine
Resolution über die Förderung und den Schutz der Menschenrechte im
Kontext friedlicher Demonstrationen an. Zudem reicht die Schweiz mit
Partnerstaaten eine Resolution zum 15. Jahrestag der Schutzverantwortung
ein.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-79883.html
+++REPRESSION DE
Elbchaussee-Prozess: Von fürsorglicher und rachsüchtiger Klassenjustiz
Im richtigen Lichte betrachtet ist „Elbchaussee-Prozess“ eine
schillernde Wortschöpfung, mit der man alles Mögliche assoziieren kann.
Es ließe sich zum Beispiel die angenehme Vorstellung an diesen Begriff
knüpfen, es sei ein Verfahren gemeint, bei dem all die
Steuerhinterzieher, Waffenhändler und sonstigen Schwer- und
Wirtschaftsverbrecher*innen, die an dieser den Reichtum Hamburgs wie
keine andere symbolisierenden Straße in ihren Villen mit Elbblick
residieren, auf der Anklagebank sitzen. Ein Verfahren, für das eine Soko
„Weiße Weste“ in monatelanger mühsamer Kleinarbeit mit Hilfe modernster
Software vorgearbeitet hat. In dem die Staatsanwaltschaft ein
flammendes Plädoyer hält und die Angeklagten als einen „skrupellosen und
raffgierigen Mob, der auf unterster sittlicher Stufe steht“ anprangert.
In dem die Angeklagten zu hohen Haftstrafen mit anschließender
Sicherungsverwahrung verurteilt werden, auf dass sie die Allgemeinheit
fürder hin nicht mehr schädigen können.
https://lowerclassmag.com/2020/07/17/elbchaussee-prozess-von-fuersorglicher-und-rachsuechtiger-klassenjustiz/
Nennung im Verfassungsschutzbericht: Wie ein Urteil zur Jungen Freiheit Indymedia helfen könnte
Der Verfassungsschutz nennt das Portal de.indymedia.org in seinem
jüngsten Bericht einen Verdachtsfall. Ausgerechnet ein Urteil, das eine
rechte Zeitung erstritten hat, könnte jetzt dem linken Portal helfen. Es
hebt hervor, dass der Verfassungsschutz wegen einzelner
verfassungsfeindlicher Artikel nicht dem ganzen Medium einen Strick
drehen darf.
https://netzpolitik.org/2020/nennung-im-verfassungsschutzbericht-wie-ein-urteil-zur-jungen-freiheit-indymedia-helfen-koennte/
+++KNAST
derbund.ch 17.07.2020
Funkstille im Gefängnis: Kanton Bern rüstet gegen verbotene Handys auf
In der Justizvollzugsanstalt auf dem Thorberg soll eine neue
Überwachungsanlage reingeschmuggelte Handys aufspüren. Das strenge
Mobileverbot wird jedoch auch kritisiert.
Andres Marti
Auf dem Thorberg soll noch dieses Jahr eine Handy-Detektionsanlage
installiert werden. Damit wollen die Vollzugsbehörden das bestehende
Handyverbot durchsetzen. Zwar seien die Kontrollen der Gefangenen, der
Pakete aber auch der Besuchenden in den letzten Jahren stetig
intensiviert und verbessert worden, sagt Thorberg-Direktor Hans-Rudolf
Schwarz auf Anfrage. «Dennoch kann nicht ganz verhindert werden, dass
Mobiltelefone in die Zellen der Gefangenen eingeschleust werden.» Die
Geräte seien heute so klein, «dass sie auch via Körperöffnungen, etwa
beim Besuch, ins Gefängnis geschmuggelt werden», sagt Schwarz.
Laut dem Thorberg-Direktor werden bei Zellkontrollen auf dem Thorberg
jährlich rund 20 Telefone sichergestellt. Die Vollzugsbeamten spüren
diese unter anderem mit mobilen Detektoren auf. Wer erwischt wird, muss
mit einer mehrtägigen Isolationsstrafe rechnen. Nach der Installation
der neuen Anlage werden die mobilen Detektionsgeräte nicht mehr
benötigt.
Für die Vollzugsbehörden sind Handys im Knast aus verschiedenen Gründen
ein Risiko. So befinden sich laut dem Amt für Justizvollzug zwei Drittel
der Thorberg-Insassen im vorzeitigen Vollzug. Sie sind also noch nicht
rechtskräftig verurteilt. Mit dem Handyverbot soll unter anderem
verhindert werden, dass sie Druck auf Opfer oder Zeugen ausüben können.
Auch Absprachen unter Komplizen und Fluchtversuche will man damit
ausschliessen.
Falls der begründete Verdacht einer strafbaren Handlung bestehe, könne
die Staatsanwaltschaft gefundene Mobiltelefone auswerten, so Olivier
Aebischer, Pressesprecher beim Amt für Justizvollzug. Dies sei aus
Gründen des Datenschutzes aber nur durch eine Untersuchungsbehörde
möglich.
Kein Internet im Knast
Vor allem aber ist es der durch Smartphones ermöglichte unkontrollierte
Zugang ins Internet, der den Behörden Sorge bereitet. Dass pädophile
Straftäter weiterhin auf dem Smartphone Kinderpornografie konsumieren,
soll unbedingt verhindert werden. Das Telefon kann auch für das
Versenden betrügerischer E-Mails oder das Überweisen von Zahlungen per
E-Banking verwendet werden.
Die meisten Insassen wollen aber wohl einfach im Internet surfen, die
sozialen Medien nutzen und Kontakte zu Angehörigen und Bekannten
pflegen. Zahlen, wie oft Gefangene tatsächlich ein Smartphone für ein
Delikt verwenden, werden allerdings nicht erhoben. Thorberg-Direktor
Schwarz sind lediglich einzelne Fälle bekannt, in denen eine Überwachung
durch die Staatsanwaltschaft angeordnet wurde.
Kritik am Handyverbot
An dem rigorosen Handyverbot wird jedoch auch Kritik geäussert: Für
David Mühlemann, Strafvollzugsexperte bei Humanrights.ch, wird mit dem
Verbot die Resozialisierung der Gefangenen gefährdet. Schliesslich
gehörten Mobiltelefone ausserhalb der Mauern zum Alltag und seien zur
Aufrechterhaltung von Beziehungen für die meisten Menschen ein absolut
zentrales Kommunikationsmittel. «Auch für die Kinder der Gefangenen wäre
es unheimlich wertvoll, unkompliziert mit dem inhaftierten Elternteil
telefonieren oder auf per SMS in Kontakt sein zu können.»
Für Mühlemann legt das Handyverbot das «Kernparadox» des Strafvollzuges
offen: «Man redet von Resozialisierung und betreibt stattdessen
symbolische Sicherheitspolitik um jeden Preis.» Ein striktes Handyverbot
ist für Mühlemann letztlich kontraproduktiv: «Das Aufrechterhalten des
sozialen Beziehungsnetzes spielt für die Resozialisierung und damit auch
für die allgemeine Sicherheit eine zentrale Rolle.» Durch die
Erschwerung von sozialen Beziehungen werde diese Sicherheit hingegen
nachhaltig gefährdet.
In der Schweiz gilt jedoch in allen geschlossenen Vollzugsanstalten ein
Handyverbot. Im zürcherischen Pöschwies, dem grössten Gefängnis der
Schweiz, soll noch diesen Sommer eine Detektionsanlage installiert
werden. Pionierknast bei der Handyabwehr ist das Gefängnis in Lenzburg:
Dort hat eine fest installierte Detektionsanlage bereits 2012 den
Betrieb aufgenommen.
Stress fällt weg
Das System funktioniere einwandfrei, sagt Gefängnisdirektor Marcel Ruf
auf Anfrage. «Dank der Anlage ist der Schmuggel von Handys bei uns
komplett zum Erliegen gekommen.» Dies habe im Gefängnis zu einer
spürbaren Entspannung geführt. Der Handyschmuggel sorgte nämlich für
Unruhe und Beschaffungsstress. Der Preis im Gefängnis für ein
internetfähiges Handy liegt laut Ruf bei rund 1000 Franken.
Für Probleme sorgte in der Pilotphase in Lenzburg der Warenverkehr:
Viele Lastwagen sind mit einem Fahrtenschreiber ausgerüstet, der ihre
GPS-Daten per Mobilfunknetz übermittelt. Fahren diese in Lenzburg an der
Gebäudefassade entlang, löste das in der Anlage jeweils Alarm aus.
–
Handyortung kostet 750’000 Franken
Das für den Thorberg beantragte System lokalisiert mithilfe fest
installierter Antennen den genauen Standort von eingeschalteten Handys
und zeigt diesen auf den Bildschirmen der Überwachungsanlage an.
Mobilnummern erfasst das System nicht. Für Beschaffung und Installation
einer solchen Anlage hat der Regierungsrat kürzlich 750’000 Franken
beantragt. Im Gegensatz zu einer Mobilfunkblockierung sei mit diesem
System keine Beeinträchtigung der umliegenden Privathaushalte zu
befürchten, schreibt der Regierungsrat. (ama)
(https://www.derbund.ch/kanton-bern-ruestet-gegen-verbotene-handys-auf-154176372882)
+++BIG BROTHER
WhatsApp, israelische Spyware und der spanische Lauschangriff auf eine katalanische Politikerin in der Schweiz
Die nach Genf geflohene katalanische Ex-Abgeordnete Anna Gabriel wurde
abgehört. Spanien wird der illegalen Spionage verdächtigt. Politiker
fordern eine Untersuchung durch die Bundesanwaltschaft.
https://www.tagblatt.ch/schweiz/whatsapp-israelische-spyware-und-der-spanische-lauschangriff-auf-eine-katalanische-politikerin-in-der-schweiz-ld.1239011?mktcid=smsh&mktcval=OS%20Share%20Hub
+++POLICE BE
derbund.ch 17.07.2020
Gedenken an Toten in Polizeihaft: Angehörige beklagen «feige» Vandalenakte
Das Mahnmal auf dem Berner Waisenhausplatz für den in Haft gestorbenen
Kilian S. wird auch eineinhalb Jahre nach seiner Errichtung regelmässig
zerstört. So geschehen in der Nacht auf Donnerstag.
Simon Preisig
«Wir werden nie vergessen, auch wenn sich dies jemand wünscht», heisst
es in einer Nachricht, die Angehörige und Freunde von Kilian an ihre
Verwandten und Bekannten geschickt haben. Der Grund für die Mitteilung:
In den vergangenen Wochen wurde das Mahnmal auf dem Berner
Waisenhausplatz mehrere Male beschädigt. So auch in der Nacht auf
Donnerstag: Über die Erinnerungsplakette wurde weisse Farbe gegossen,
Äste der kleinen Bergföhre wurden von Unbekannten abgeschnitten.
Seit der damals 20-jährige Kilian im Dezember 2018 in einer Zelle in der
benachbarten Polizeiwache gestorben ist, kam es gar zu gut einem
Dutzend Vandalenakten auf Kerzen, Blumen und Erinnerungskarten.
Vermutet wird eine bewusste Störung des Gedenkens: «Was uns Mühe macht,
ist diese Respektlosigkeit und die Feigheit mancher Menschen», heisst es
in der Nachricht weiter. Als wolle jemand nicht, dass die Umstände von
Kilians Tod öffentlich benannt werden. Doch die Mutter, die Schwester
und ein Grüppchen von Freunden geben auch nach den verschiedenen
Farbanschlägen und Zerstörungen nicht klein bei: Nach wie vor treffen
sie sich regelmässig und ersetzen die fehlenden und beschädigten
Erinnerungsstücke beim Mahnmal. Dies, um zu trauern, aber auch um eine
«lückenlose Aufarbeitung» zu fordern, wie sie schreiben. Wegen der
neuesten Beschädigungen wollen sie nun Strafanzeige gegen unbekannt
erstatten.
Stadt toleriert Mahnmal weiter
Das Mahnmal ist politisch nicht unumstritten: Kurz nach dem Tod von
Kilian kritisierte SVP-Stadtrat Henri Beuchat das Mahnmal in einer
Anfrage an die Stadtregierung als beleidigend für Polizistinnen und
Polizisten. Der Gemeinderat entschied aber, das Mahnmal zu tolerieren.
Dieser Entschied ist nach wie vor gültig, wie das Tiefbauamt auf Anfrage
sagt. Es soll mindestens so lange bestehen bleiben dürfen, bis die
Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Tod des jungen Mannes abgeschlossen
sind.
Derweil läuft das Strafverfahren gegen den Arzt weiter, der damals
entschied, dass Kilian statt ins Spital in eine Zelle kam. Der
20-Jährige wurde laut der Polizei wegen Drogenbesitz festgenommen. Er
hatte zu diesem Zeitpunkt aber bereits selber viele gefährliche
Substanzen im Blut und starb später in Haft an einer Überdosis.
(https://www.derbund.ch/angehoerige-beklagen-feige-vandalenakte-973905493973)
—
Bern: Tod in der Polizeizelle
(augenauf Bern) – An Weihnachten 2018 starb ein 20-jähriger Berner in
einer Zelle der Waisenhaus-Polizeiwache. Angesichts der Umstände in
diesem Fall muss mensch sich generell wieder einmal fragen, ob die
Polizei bei Verhaftungen – insbesondere von Angehörigen bestimmter
Bevölkerungsgruppen – ihre Sorgfaltspflicht genügend wahrnimmt.
https://barrikade.info/article/1918
++POLIZEI SO
«Stopp dem Schnüffelstaat» – Bürgerliches Komitee wehrt sich gegen Polizeigesetz
Bürgerliche wollen eine Volksabstimmung über das Solothurner
Polizeigesetz. Das Gesetz gibt der Kantonspolizei mehr Möglichkeiten zur
Verhinderung von schweren Straftaten, laut den Gegner ist es jedoch ein
Eingriff in die Freiheitsrechte und in die Privatsphäre der Bürger.
https://www.20min.ch/story/stopp-dem-schnueffelstaat-buergerliches-komitee-wehrt-sich-gegen-polizeigesetz-313107211983
+++POLIZEI AT
Polizeigewalt wird Fall für die Staatsanwaltschaft
Nach dem Auftauchen eines Prügelvideos und der Suspendierung von acht
Polizisten leitet die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen die Beamten
ein
https://www.derstandard.at/story/2000118822999/polizeigewalt-wird-fall-fuer-die-staatsanwaltschaft?ref=rss
-> https://www.derstandard.at/story/2000118813853/staatsanwaltschaft-ermittelt-gegen-wiener-polizei?ref=rss
-> https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-07/oesterreich-polizei-wien-polizeigewalt-suspendierte-beamte
+++POLIZEI DE
Rechtsextreme Beschimpfungen: Die «Kartoffelkultur» fühlt sich von dieser Frau bedroht
Die deutsche TV-Moderatorin Maybrit Illner hat einen mit «NSU 2.0»
unterzeichneten Drohbrief erhalten. Dahinter könnten Mitglieder der
Polizei stecken.
https://www.derbund.ch/die-kartoffelkultur-fuehlt-sich-von-dieser-frau-bedroht-622175956583
Racial Profiling bei der Polizei: Rassismus-Studie ohne Seehofer
Niedersachsens Innenminister will mit anderen Ländern Racial Profiling
bei der Polizei untersuchen. Der Bundesinneminister hatte das abgelehnt.
https://taz.de/Racial-Profiling-bei-der-Polizei/!5701185/
-> https://www.spiegel.de/politik/deutschland/racial-profiling-und-die-polizei-innenminister-der-laender-bei-studie-uneins-a-c1e98c2d-e00c-498c-b209-4532d9b71d75
-> https://www.tagesschau.de/inland/pistorius-polizei-rassismus-101.html
-> https://www.tagesschau.de/kommentar/rassismus-studie-103.html
Wie die Bundesländer zu Seehofers Nein zur Rassismus-Studie bei der Polizei stehen
Bundesinnenminister Seehofer sieht keine Notwendigkeit für eine Studie
zum Thema „Racial Profiling“ bei der Polizei. Justizministerin Lambrecht
dagegen möchte weiterhin den Sachstand ermitteln. Doch wie sehen das
die Bundesländer? Wir haben nachgefragt.
https://www.deutschlandfunk.de/racial-profiling-wie-die-bundeslaender-zu-seehofers-nein.2852.de.html?dram:article_id=480150
—
spiegel.de 17.07.2020
Rechtsextremismus bei der Polizei: Seehofer-Ministerium verzögert weitere Rassismusstudie
Die Deutsche Hochschule der Polizei will „rechtsextremistische Haltungen
und Handlungen“ bei Beamten untersuchen. Der Finanzierungsantrag liegt
laut SPIEGEL-Informationen beim Bundesinnenministerium vor – und auf
Eis.
Von Christian Teevs und Wolf Wiedmann-Schmidt
Auf drei Jahre ist das Forschungsprojekt angelegt, es soll die
Einstellungen von Polizisten untersuchen, vor allem mögliche
extremistische Gesinnungen unter den Beamten. „Einstellungstendenzen in
der Polizei“ lautet der Titel der geplanten Studie der Deutschen
Hochschule der Polizei in Münster, die 16-seitige Projektskizze liegt
dem SPIEGEL vor. „In den letzten Monaten häufen sich die Meldungen
bezüglich rechtsextremistischer Haltungen und Handlungen bei der
Polizei“, heißt es in dem Papier. Zuletzt wurden Vorfälle in Hessen
bekannt, wo unbekannte Drohbriefschreiber mithilfe von Polizisten an die
Daten von Politikern und Prominenten gelangt sein sollen.
Eigentlich sollte die Studie noch im Laufe des Jahres starten, auf
Arbeitsebene sollen Beamte aus dem Bundesinnenministerium bereits
Unterstützung signalisiert haben. Doch wie zu hören ist, liegt das
Projekt nun erst einmal auf Eis. Ob die Untersuchung tatsächlich
durchgeführt wird, ist offen. Die Entscheidung hängt von
Bundesinnenminister Horst Seehofer und seinem Ministerium ab. Zuletzt
hatte sich der CSU-Politiker wenig begeistert von der Idee gezeigt,
rechtsextreme oder rassistische Tendenzen unter Polizisten untersuchen
zu lassen.
Anfang Juli ließ Seehofer seinen Sprecher mitteilen, dass es entgegen
vorheriger Ankündigungen keine Studie zu Racial Profiling durch
Polizisten geben soll, also Kontrollen allein aufgrund äußerer Merkmale
wie der Hautfarbe. Sollte so eine Untersuchung in seinem Ministerium
vorbereitet werden, sagte Seehofer vor Abgeordneten, „wird das
gestoppt“.
Zuvor hatte das Ministerium mit widersprüchlichen Aussagen für
Verwirrung gesorgt. So hatte ein Sprecher im Juni noch mitgeteilt,
Seehofers Haus sei mit dem Justizressort „in der konzeptionellen
Entwicklung“ einer solchen Studie. In der vergangenen Woche dann die
Kehrtwende: Der Sprecher sagte nun, seine damals gemachte Aussage über
eine geplante Untersuchung sei „unpräzise“ gewesen.
Die Weigerung Seehofers, wissenschaftlich aufzuklären, wie groß das
Problem des Racial Profiling ist, stieß auf Unverständnis beim
Koalitionspartner SPD, dem Bund Deutscher Kriminalbeamter und bei Teilen
der CDU.
Von dem begrenzten Erkenntnisinteresse Seehofers könnte nun auch die
Studie aus Münster betroffen sein. Die Forscher der Polizeihochschule
wollten empirisch untersuchen, „wie die Einstellungen der Polizeibeamten
des Bundes und der Länder insgesamt ausgeprägt sind und ob sich
tatsächlich proportional über dem Bevölkerungsdurchschnitt
extremistische Tendenzen feststellen lassen“. Außerdem gelte es
herauszufinden, wie die Polizei intern mit Extremismusvorwürfen umgehe
und diese verfolge, heißt es in der Projektskizze.
Laut dem Papier haben die Münsteraner beim Innenministerium bereits eine
Finanzierung von rund 530.000 Euro beantragt, Forschungsstand und
Methodik wurden ausführlich beschrieben. So sollten „die
Polizeivollzugsbeamten des Bundes und der Länder per Onlinefragebögen zu
ihren Einstellungen befragt werden“. Die Ergebnisse wollten die
Forscher mit der sogenannten Mitte-Studie vergleichen, die seit 2006
rechtsextreme, rechtspopulistische und autoritäre Einstellungen in der
Bevölkerung untersucht. Aber geht es mit der Polizeistudie überhaupt
weiter?
Ein Sprecher des Innenministeriums bestätigte lediglich, dass die
Hochschule „einen Zuwendungsantrag gestellt“ habe. Dieser werde vom
zuständigen Fachreferat geprüft. Wann eine Entscheidung geplant ist und
ob der Minister die Studie persönlich absegnen möchte, wollte der
Sprecher mit Verweis auf das laufende Verfahren nicht beantworten.
Seehofer selbst hatte den Eindruck, er ignoriere rechtsextreme Tendenzen
in den Sicherheitsbehörden, zuletzt weit von sich gewiesen. Man dürfe
aber nicht einzelne Berufsgruppen stigmatisieren, begründete er seine
Entscheidung, keine Untersuchung über Racial Profiling durch die Polizei
anzustoßen.
Der Minister will nun zunächst abwarten, was der Verfassungsschutz in
seinem ersten Lagebild zu rechtsextremen Umtrieben im öffentlichen
Dienst zusammenträgt. Der Bericht soll Ende September vorliegen,
kündigte Seehofer an. Ob er allerdings so umfassend ausfällt wie
ursprünglich geplant ist fraglich. Einige der beteiligten Ämter machten
bereits Bedenken geltend und verwiesen auf den Datenschutz.
(https://www.spiegel.de/politik/deutschland/horst-seehofer-ministerium-verzoegert-weitere-rassismusstudie-zur-polizei-a-f5539bb8-b552-42e7-a8c9-35b6cecd4806)
Polizeigewalt und Rassismus – Wer kontrolliert die Polizei? | WDR Doku
WDR und Handelsblatt haben gemeinsam recherchiert: Wer kontrolliert die
Polizei in Deutschland? Wo können sich BürgerInnen und Bürger beschweren
– und finden sie Gehör? Das Ergebnis: eine flächendeckende unabhängigen
Kontrolle der Polizei in Deutschland gibt es nicht.
https://youtu.be/3w2qHK1AlKU
»Wer nicht passt, wird ausgegrenzt«
Der hessische Polizist Martin Kirsch zum »NSU 2.0« und rechten Netzwerken unter Beamten
Martin Kirsch engagiert sich bei den hessischen Grünen und bei dem
Verein Polizei Grün. Dieser strebt nach eigener Aussage eine »tolerante,
kritikfähige und rechtsstaatliche Bürgerpolizei« an. Im Interview
spricht er über den »NSU 2.0« und rechte Netzwerke bei den Behörden.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1139309.nsu-wer-nicht-passt-wird-ausgegrenzt.html
-> https://www.jungewelt.de/artikel/382446.beuth-in-aktion-neuer-chef-altes-problem.html
24 Todesfälle in Gewahrsam:Wie fahrlässig handelte die Polizei?
Die taz hat 24 Fälle untersucht, bei denen Menschen, die von Rassismus
betroffen waren, in Gewahrsam ums Leben kamen. Eine Dokumentation.
https://taz.de/24-Todesfaelle-in-Gewahrsam/!5700481/
+++EUROPOL
EU-Ratsvorsitz: Bundesregierung für „Europäische Polizeipartnerschaft“
Das deutsche Bundesinnenministerium will in seiner EU-Präsidentschaft
Europol und den internationalen Datentausch ausbauen. Europäische
Polizeibehörden werden mit Gesichtserkennung und Fähigkeiten zur
Entschlüsselung unterstützt. Auf der Agenda stehen außerdem die
europaweite Abfrage von Polizeiakten und der Austausch über eine
Definition von „Gefährdern“.
https://netzpolitik.org/2020/bundesregierung-fuer-europaeische-polizeipartnerschaft/
+++HOMOHASS
Schutz von Minderheiten: Mit 500’000 Franken gegen Hassattacken
Erstmals wurden Bundesgelder für Einrichtungen gesprochen, die besonders
durch terroristische Angriffe bedroht sind. Der Schwulenverband Pink
Cross ist allerdings leer ausgegangen.
https://www.tagesanzeiger.ch/bundesgelder-werden-eingesetzt-um-hassattacken-zu-verhindern-296590659104
+++RECHTSPOPULISMUS
bielertagblatt.ch 17.07.2020
Ein Rebell will für die Schweiz kämpfen
Mit seiner dunklen Hautfarbe gehöre er selber zu einer Minderheit, sagt
Adrian Spahr. Deshalb versteht er nicht, weshalb er ein Rassist sein
soll. Nach seinem Weggang bei der Basler Polizei denkt der Jungpolitiker
bereits an die nächsten Wahlen.
Interview: Brigitte Jeckelmann
Seit das Verfahren wegen Rassendiskriminierung gegen ihn läuft, steht
der Lengnauer Jungpolitiker Adrian Spahr (26) in den Schlagzeilen.
Zusammen mit Nils Fiechter steht er der Jungen SVP des Kantons Bern vor.
Beide haben ein Plakat zu verantworten, das sie in den sozialen Medien
verbreitet hatten. Die Karikatur darauf brachte ausländische Fahrende
mit Schmutz, Fäkalien und Diebstahl in Verbindung. Wie das
Regionalgericht Bern-Mittelland befand auch das Berner Obergericht die
beiden im letzten Dezember schuldig und verurteilte sie zu einer
bedingten Geldstrafe. Spahr und Fiechter zogen darauf vor Bundesgericht.
Das Urteil steht noch aus. Spahr, der als Polizist bei der
Kantonspolizei Basel-Stadt arbeitete, musste vom Aussen- in den
Innendienst wechseln. Die Basler Polizei sah sich zunehmend politischem
Druck ausgesetzt, Spahr zu entlassen. Dieser hat nun nach eigenen
Angaben selber reagiert und auf Ende Juni die Kündigung eingereicht.
Adrian Spahr, wie fühlen Sie sich?
Adrian Spahr: Schwierig zu sagen. Einerseits mache ich mir Gedanken, in
welche Richtung es jetzt gehen soll: Weiterhin im Polizeiberuf bleiben
oder einen anderen Weg wählen? Andererseits fühle ich mich aber auch
befreit.
In welcher Hinsicht?
Ich habe eine schöne Zeit verbracht bei der Basler Polizei. Vor allem
die Tätigkeit im Aussendienst hat mir gefallen. Als man mich wegen des
Verfahrens in den Innendienst versetzt hat, war das zugegebenermassen
eine Qual für mich.
Warum?
Bei Medienanfragen hat man mir zu verstehen gegeben, dass ich vorsichtig
sein soll bei dem, was ich sage. Ich fühlte mich als Privatperson nicht
mehr frei. Nach der Arbeit konnte ich nur noch mit Mühe abschalten. Das
ist auf Dauer nicht gesund. Zudem hat mir die Arbeit draussen auf
Patrouille gefehlt. Nachdem diese weggefallen war, hatte ich natürlich
schon weniger Freude an der Arbeit.
Als Polizist sind Sie eine öffentliche Person mit Vorbildfunktion. Sie
hätten doch damit rechnen müssen, dass die Öffentlichkeit Adrian Spahr
nach dem Vorgefallenen als Rassisten wahrnimmt und es stossend findet,
dass Sie Polizist sind?
Ich habe mein Arbeits- und Privatleben immer strikt getrennt. Bei der
Arbeit habe ich nie politisiert und das hat mir auch niemand
vorgeworfen. Mir war schon bewusst, dass die Öffentlichkeit auf einen
Politiker aufmerksam wird, der zugleich Polizist ist. Das finde ich auch
legitim. Es ist wichtig, dass gerade Polizisten, die in der Politik
kaum vertreten sind, eine Stimme haben. Lehrer und Sozialarbeiter sind
da eher politisch aktiv und sie stehen auch in der Öffentlichkeit. Diese
Berufsgruppen haben ebenfalls eine grosse Verantwortung. Auch sie
sollten sich neutral verhalten, sich aber dennoch politisch betätigen.
Dann fänden Sie also rassistische Äusserungen in der Öffentlichkeit von Lehrern und Sozialarbeitern in Ordnung?
Nein. Wenn Sie aber damit meinen, auf nicht zitierfähige Missstände mit
einigen ausländischen Fahrenden hinzuweisen und den Willen der ganzen
Gemeinde Wileroltigen zum geplanten Transitplatz für ausländische
Fahrende zu missachten, dann wäre das auch für einen Lehrer eine
legitime Äusserung.
Vonseiten der Politik gab es Druck auf die Basler Polizei, Sie zu entlassen. Haben Sie das zu spüren bekommen?
Das mag schon sein. Doch wenn die Öffentlichkeit von mir verlangt, als
Privatperson genau gleich zu reden wie als Polizist, dann kann ich das
vor mir selber nicht verantworten. Wie gesagt gibt es den Adrian Spahr
als Polizisten und als Mensch mit einem Privatleben, der seine eigene
Meinung hat. Als ich mich für den Beruf entschied, war ich bereits
politisch aktiv und hatte einen Vorstandsposten inne. Meine Vorgesetzten
haben das gewusst und mich trotzdem angestellt.
Was haben Sie jetzt vor?
Im Detail kann und will ich mich noch nicht dazu äussern. Vorerst werde
ich arbeiten gehen, um Geld zu verdienen. Politisch werde ich
weitermachen wie bisher. Gerade letzte Woche hat man Nils Fiechter und
mich für weitere drei Jahre als Co-Präsidenten der Jungen SVP Kanton
Bern gewählt. Wegen des guten Resultats und dem ersten Ersatzplatz bei
den letzten Grossratswahlen, habe ich vor, bei den nächsten Wahlen
wieder anzutreten. Es geht also weiter.
Sie sagten vorhin, es gebe einen Polizisten Adrian Spahr und eine Privatperson. Können Sie diese beschreiben?
Der private Adrian Spahr ist politisch engagiert. Er traut sich, zu
sagen, was man vielleicht nicht so gern hört. Er ist auch ein
Pflichtethiker, der sich durchwegs korrekt und dem Gesetz entsprechend
verhält. Der Polizist Adrian Spahr vertritt sein Korps. Er tut seine
Arbeit, wie es von einem Polizisten erwartet wird. Er geht neutral an
eine Sache heran und behandelt jeden Menschen gleich.
Aber als Privatmann behandeln Sie nicht alle Menschen gleich.
Nein, das stimmt so nicht. Beim politischen Engagement kann man nicht
neutral sein. Man hat Präferenzen, wofür man sich einsetzt und was man
bekämpft. Als Polizist Spahr bin ich nicht gegen einen Transitplatz
sondern bin bei der Verwaltung angestellt und tue das, was man von mir
verlangt.
Die Privatperson Adrian Spahr sagt und tut also Dinge, die sie als
Polizist nie tun würde. Nun haben Sie Ihre berufliche Laufbahn Ihrem
politischen Engagement geopfert.
Das würde ich so nicht sagen. Ich hätte meinen Beruf aufgeben müssen,
wenn ich ihn weiterhin in Basel hätte ausüben wollen und man mir
gekündigt hätte. Für mich ist aber wichtig, dass ich mich privat so
äussern kann – immer im gemässigten Rahmen natürlich – wie mir der
Schnabel gewachsen ist. Wenn ich das nicht mehr kann, fühle ich mich
nicht mehr wohl und muss gewisse Anpassungen machen.
Glauben Sie, dass Sie je wieder als Polizist arbeiten werden?
Nicht in Basel. Aber ich bin im Besitz des eidgenössischen Fachausweises
und einem grossen praktischen Erfahrungsschatz aus dem gemäss Statistik
kriminellsten Kanton der Schweiz, das kann mir niemand nehmen. In
welche Richtung ich beruflich gehe, kann ich jetzt noch nicht sagen.
Polizist ist eine Zweitausbildung – welchen Erstberuf haben Sie erlernt?
Ich bin gelernter Restaurationsfachmann. Nach der dreijährigen Lehre bin
ich praktisch direkt ins Militär gegangen und danach zur Polizei.
Was hat Sie dazu bewogen, Polizist zu werden?
Man kann einen Beitrag zu einer funktionierenden Gesellschaft leisten.
Ein Polizist kann den Menschen beistehen. Bei Ereignissen, bei denen
andere davonlaufen, weil es gefährlich ist, kann der Polizist als letzte
Instanz Sicherheit und Ordnung wiederherstellen. Das hat mich
angezogen.
Fühlen Sie sich von der Öffentlichkeit, der Politik und der Justiz ungerecht behandelt?
Ja, das kann man schon sagen. Das klingt zwar nach Opferrolle. Aber ich
lebe nicht in einer Blase. Ich habe Kontakt mit den verschiedensten
Menschen. Mindestens 80 Prozent davon finden bei dem Plakat nichts
Schlimmes. Klar, es war etwas überspitzt. Aber die Darstellung darauf
entspricht ja der Realität. Wenn man nicht mehr sagen kann, was
tatsächlich ist, dann fühlen Nils Fiechter und ich uns schon ungerecht
behandelt.
Können Sie nachvollziehen, dass sich Fahrende von der Karikatur auf dem Plakat diskriminiert fühlen?
Wenn ein Fahrender zu mir kommt und mir sagt, dass ihn das Plakat
verletzt, dann sage ich ihm, dass mir das leid tut und es nicht so
gemeint war.
Würden Sie das Plakat noch einmal gleich gestalten?
Im Nachhinein nicht mehr, wenn ich sehe, was dies alles ausgelöst hat.
Auch wenn wir zum damaligen Zeitpunkt Abklärungen getroffen hatten und
sicher waren, dass das so geht. Solche Szenen wie auf dem Plakat hat es
tatsächlich gegeben. Und dazu stehe ich auch weiterhin.
Warum sind Sie ausgerechnet der Jungen SVP beigetreten?
Ich bin in Lengnau geboren und bürgerlich aufgewachsen. Ich konnte es
nie begreifen, wenn jemand Probleme mit patriotischen, heimatliebenden
Ansichten hatte. Meine Einstellung war immer bürgerlich. Da ich in einer
ländlichen Gegend gross geworden bin, liegt das auf der Hand. Mich
haben die Positionen der Jungen SVP angesprochen.
Mit populistischen Plakaten und Sprüchen auf Minderheiten einprügeln sagt Ihnen zu?
Nein, sicher nicht, das tun wir nicht. Ich gehöre ja selber zu einer Minderheit, meine Hautfarbe ist dunkel.
Das ist keine Entschuldigung
Das weiss ich. Aber es widerspricht sich, wenn Sie mich anschuldigen,
auf Minderheiten einzuschlagen, wenn ich selber dazu gehöre. Ich
persönlich will, dass die Schweiz wieder so wird, wie ich sie als Kind
kennengelernt habe, auch wenn ich mal 50 bin. Dafür kämpfe ich. Das
bedeutet Sicherheit im Land, eine geordnete Migrationspolitik. Wer sich
integriert, ist herzlich willkommen. Rassismus entsteht auch dann, wenn
man einfach wegschaut. Das schadet auch den Ausländern, die sich gut
integriert haben. Wenn etwa die Medien von verbrecherischen Kosovaren
berichten, schadet das auch jenen Kosovaren, die sich vorbildlich
verhalten. Es braucht eine Partei, die das anspricht.
Gerade wegen eines Plakats mit der Aufschrift «Kosovaren schlitzen
Schweizer auf» hat das Bundesgericht vor drei Jahren zwei
SVP-Kadermitglieder wegen Rassismus verurteilt.
Ich halte das für ein Fehlurteil. Dieser Sachverhalt hat ja tatsächlich
stattgefunden. Dasselbe ist auch mit unserem Plakat passiert. Man darf
Dinge, die geschehen sind, nicht mehr aussprechen. Die SVP und die Junge
SVP haben eine rebellische Art, die zu mir passt. So war schon der
Gründer der Bauern- Gewerbe- und Bürgerpartei, der späteren SVP, Ruedi
Minger. Der klopfte auch mal auf den Tisch, obwohl das nicht allen
passte.
Sehen Sie sich als Rebell, der für die Schweiz kämpft?
Das ist vielleicht etwas überspitzt, kann man aber so sagen.
Nun sind Sie an den Ort Ihrer Kindheit zurückgekehrt. Was bedeutet Lengnau für Sie?
Heimat. Hier sind meine Erinnerungen. In Lengnau und im Seeland fühle
ich mich wohl wie sonst nirgends. Auch meine Eltern leben hier und das
Grosi. Meine Mutter stammt ursprünglich aus Brasilien.
Haben Sie selber wegen Ihrer Hautfarbe Rassismus erlebt?
Das hat man mich in jüngster Zeit oft gefragt. Ich habe viel darüber
nachgedacht, aber mir ist kein Ereignis eingefallen. Man hat mich immer
als Schweizer angesehen, auch wenn ich dunkler bin als andere. Ich sehe
mich auch als nichts Anderes. Ich habe mich nie als Fremder gefühlt,
weil ich es ja nicht bin.
Was verbindet Sie mit dem Heimatland Ihrer Mutter?
Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Mein Heimatland ist die Schweiz.
Brasilien ist für mich ein fremdes Land. Nach der Schulzeit habe ich ein
halbes Jahr dort verbracht, im Bundesstaat Bahia. Bis jetzt hat es mich
nicht mehr zurückgezogen. Aber ich hatte nie das Gefühl, dort auch
einen Teil meiner Wurzeln zu haben. Meine Mutter kam vor 30 Jahren in
die Schweiz, sie ist prima integriert.
Jetzt warten Sie auf den Entscheid des Bundesgerichts. Was, wenn es den Vorinstanzen folgt?
Dann kann ich damit leben. Beim Weiterzug ging es uns um grundsätzliche
Fragen zur Freiheit, seine Meinung zu äussern. Viele Bekannte sind
derselben Meinung wie ich. Nämlich, dass eine Verurteilung wegen des
Plakats völlig übertrieben wäre. Das gibt mir einen gewissen inneren
Frieden. Auch die Tatsache, dass wir Geldspenden aus der ganzen Schweiz
erhalten haben. Diese haben uns den Gang vor das Bundesgericht
ermöglicht.
(https://www.bielertagblatt.ch/nachrichten/seeland/ein-rebell-will-fuer-die-schweiz-kaempfen)
+++RECHTSEXTREMISMUS
Basler Zeitung 17.07.2020
Drohbrief an Sarah Wyss -Belästigung von Grossrätin: Es war Eric Weber
Die SP-Grossrätin fand in ihrem Briefkasten Flyer der rechtsextremen
Pnos sowie ein angriffiges Schreiben. Der Rechtsaussen-Politiker gibt es
zu. Eine Graphologin sagt zur BaZ: «Das stimmt höchstwahrscheinlich.»
Martin Regenass
«Hier wohnst Du also! Eine Schande! Sozi in Luxuswohnung». Diese
handgeschriebenen Worte sowie haufenweise Aufkleber der Partei National
Orientierter Schweizer (Pnos) fand SP-Politikerin Sarah Wyss vor den
National- und Ständeratswahlen im vergangenen September in ihrem
Briefkasten. «Als Juso-Präsidentin gehörte es zu meinem Alltag, bedroht
und beleidigt zu werden, in den letzten Jahren wurde es ruhiger», sagte
Wyss gegenüber den Medien vor knapp einem Jahr dazu. Diese Worte, die
Wyss als Drohung wahrnahm, waren aber nicht alles. So habe die
unbekannte Täterschaft auch Unterlagen aus dem Briefkasten gestohlen und
auf den Briefkasten eingeschlagen. Wyss erstattete wegen der
Vorkommnisse bei der Staatsanwaltschaft Anzeige gegen unbekannt.
Wie sich nun zeigt, dürfte es sich beim Täter mit höchster
Wahrscheinlichkeit um den ehemaligen Rechtsaussen-Grossrat Eric Weber
von der «Volksaktion gegen zu viele Ausländer und Asylanten in unserer
Heimat» gehandelt haben. Zu diesem Schluss kommt ein Schriftvergleich,
den Graphologin Iris Meier für die BaZ vorgenommen hat. Sie hat die
Buchstaben der Zeilen aus dem Briefkasten mit Buchstaben von Schreiben
verglichen, die Weber per Post an die BaZ geschickt hat. «Aus
graphologischer Sicht handelt es sich zu 95 Prozent um den gleichen
Schreiber», sagt Meier. Die Expertin macht dies an verschiedenen
Merkmalen des Schriftbildes fest, etwa der Grösse, der Unverbundenheit,
den vielen Winkeln, den grossen Wort- und Zeilenabständen oder der
Rechtslage der Schrift. Ebenso sieht Meier bei den Schreibweisen der
Buchstaben aus den verschiedenen Schreiben Webers Parallelen.
«Traurige Geschichte»
Weber bestätigt, die Flyer der Pnos und das Schreiben in den Briefkasten
gelegt zu haben. «Sie war mit dem Enkel einer rechten Politikerin
verheiratet, die auf meiner Wahlliste ist und klar gegen kriminelle
Ausländer Stellung bezieht. Dass sie mit einem Rechten verheiratet war,
hat Frau Wyss immer verschwiegen. Zudem hat sie nach meinem Wahlsieg
2012 gesagt, ich sei die ‹Schande für Basel›. Daher warf ich ihr den
Zettel ein.» Weber, der sich selber als der «jüngste und schönste
Grossrat» betitelt, streitet hingegen ab, Dokumente entwendet zu haben.
Ebenso verneint er, den Briefkasten beschädigt zu haben.
Wie Sarah Wyss auf Anfrage sagt, hat sie nicht gewusst, dass ihr Weber
das Schreiben und die Zettel in den Briefkasten gelegt hat. «Ich habe es
allerdings geahnt, dass er es war. Das Ganze ist eine traurige
Geschichte eines Mannes, der krank ist. Ich hoffe, dass er damit nicht
wieder anfängt.» Wegen der Anzeige, die Wyss damals gemacht hat, habe
sie seitens der Polizei nichts mehr gehört. Es sei auch nichts
Derartiges mehr vorgefallen.
(https://www.bazonline.ch/belaestigung-von-grossraetin-es-war-eric-weber-975251156956)
—
MAD ermittelt zu möglichen „Graue Wölfe“-Anhängern in der Bundeswehr
Bei vier Personen der Bundeswehr prüft der Militärische Abschirmdienst
einen Bezug zu den „Grauen Wölfen“. Der Verfassungsschutz stuft die
Bewegung als rechtsextrem ein.
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-07/extremismus-graue-woelfe-bundeswehr-ermittlungen-militaerischer-abschirmdienst
-> https://www.tagesschau.de/investigativ/report-mainz/graue-woelfe-bundeswehr-101.html
—
Warum Neonazis im Rap nichts verloren haben
https://www.antifainfoblatt.de/artikel/warum-neonazis-im-rap-nichts-verloren-haben
+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Corona-Faktencheck: «Infodemie in der Pandemie»
Seit Beginn der Pandemie nimmt die Zahl von Fake-News drastisch zu.
Faktencheck-Organisationen aus 5 Ländern liefern eine Analyse.
https://www.infosperber.ch/Artikel/Gesundheit/Corona-Faktencheck-Infodemie-in-der-Pandemie
—
derbund.ch 17.07.2020
Verschwörungstheorien und Flyer: Das unheimliche Netzwerk der Schweizer Masken-Feinde
Der Widerstand gegen eine Maskenpflicht wird aufwendig orchestriert:
unter anderem von einer prominenten Kesb-Gegnerin und einem Zürcher
Ex-Polizisten, der die Maskenpflicht mit dem Holocaust vergleicht.
Jacqueline Büchi
Und plötzlich sind sie da, in der ganz realen Welt. Als «digitale
Krieger» machen sie im Netz Stimmung gegen die Massnahmen zur Bekämpfung
der Corona-Pandemie und verbreiten teils krude Theorien zur Entstehung
des Virus. Nun ist ihnen der virtuelle Raum offenbar nicht mehr genug.
Als am vergangenen Wochenende plötzlich in vielen Schweizer Städten in
grosser Zahl Flyer auftauchten, die vor einer Maskenpflicht im
öffentlichen Raum warnten, zeigten sich Experten alarmiert. «Fake
News!», warnte der Direktor des Bundesamtes für Gesundheit. «Äusserst
verantwortungslos» seien die Botschaften, sagte Epidemiologe Marcel
Tanner von der wissenschaftlichen Corona-Taskforce.
Die Flugblätter warnen, das Tragen von Masken führe zu Bewusstlosigkeit,
zu Hautpilzen und zur Vermehrung von Bakterien in der Lunge. Wer den
QR-Code auf dem Flugblatt scannt, landet auf bekannten
Informationskanälen verschwörungstheoretischer Kreise.
Kesb-Gegnerin in Planungsgruppe
Recherchen zeigen nun, wie organisiert die Maskengegner vorgehen – und wer sie sind.
Da wäre einmal eine schweizweit bekannte Gegnerin der Kindes- und
Erwachsenenschutzbehörden (Kesb), die regelmässig in den Medien
auftritt. Sie ist eines von vierzehn Mitgliedern einer Gruppe, die unter
dem Namen «Motivations-Flyer für Masken-Verweigerer» die Flugblätter
konzipiert hat.
Der Austausch fand über die Chat-App Telegram statt, die beliebt ist bei
politischen und religiösen Randgruppen. Tagelang diskutierten die
Mitglieder, wie die Flyer gestaltet werden sollen. Auch eine Zürcher
Designerin wirkte mit.
Um möglichst viele Flugblätter unter die Leute zu bringen, plante die
Gruppe die Verteilung minutiös: Freiwillige konnten die Flugblätter nach
Vorbestellung an zahlreichen «Bezugspunkten» in verschiedenen
Stadtkreisen Zürichs, in Winterthur, St. Gallen, Baden, Aarau, Olten,
Solothurn, Bern, Basel, Luzern, Zug und Altdorf abholen, wie ein
Screenshot aus der Telegram-Gruppe belegt. Kostenpunkt pro tausend
Stück: 15 Franken. Fein säuberlich wird zwischen bestehenden und
geplanten Abholstellen unterschieden.
Trump, der Erlöser
Der Administrator der Gruppe nennt sich «Q the Plan», in Anlehnung an
die unter Corona-Skeptikern populäre Verschwörungsbewegung QAnon. Diese
vertritt die Theorie, dass eine satanistische Elite die Welt beherrsche.
In unterirdischen Tunnelsystemen sollen deren Mitglieder – darunter
bekannte Politiker, Wirtschaftsgrössen und Schauspieler – angeblich
Kinder missbrauchen und ihr Blut trinken.
Erlösung erhoffen sich die Anhänger der Theorie von US-Präsident Donald
Trump, welcher mithilfe des Militärs den «Deep State» zerschlagen soll.
Was abstrus klingt, stellt eine reale Gefahr dar: In den USA stuft das
FBI QAnon als potenzielle terroristische Bedrohung ein. Auch der
Schweizer Nachrichtendienst (NDB) hat Kenntnis von der Gruppierung, wie
Sprecherin Isabelle Graber auf Anfrage bestätigt.
Bisher sei die Gruppe in der Schweiz noch nicht mit
gewalttätig-extremistischen Aktivitäten aufgefallen, so die
NDB-Sprecherin. Allgemein hätten gewalttätige rechts- und linksextreme
Gruppierungen in der Vergangenheit aber wiederholt versucht, «friedliche
Protestbewegungen zu unterwandern, zu radikalisieren und als
Plattformen für Gewaltanwendung zu missbrauchen». Teilweise mit Erfolg.
Auch im Zusammenhang mit der Coronavirus-Krise hält der
Nachrichtendienst des Bundes solche Radikalisierungsszenarien für
möglich. Graber bestätigt: «Der NDB steht diesbezüglich in Kontakt mit
den kantonalen Sicherheitsbehörden.»
«Pizzagate» und «Adrenochrom»
Eines der vierzehn Mitglieder der Anti-Masken-Gruppe nimmt auf Facebook
regelmässig Bezug auf die QAnon-Verschwörung. «Pizzagate» und
«Adrenochrom» ist auf einem Plakat zu lesen, welches die junge Frau
während einer Demonstration am Zürcher Sechseläutenplatz in die Kamera
hielt.
Unter dem Schlagwort «Pizzagate» wurde im US-Präsidentschaftswahlkampf
2016 eine Fake-News-Kampagne geführt, wonach die demokratische
Kandidatin Hillary Clinton in einen Kinderpornoring verwickelt ist,
welcher von einer Pizzeria aus agiere.
«Adrenochrom» ist der Name einer weiteren verwandten
Verschwörungstheorie: Diese besagt, dass aus dem Blut entführter
Kleinkinder das Stoffwechselprodukt Adrenochrom gewonnen werde, welches
Prominente als Jugendelexier einsetzten.
Die Frau mit dem Plakat schreibt in den sozialen Medien, die Bewegung
habe nichts mit Rechtsextremismus oder Gewalt zu tun. Die Mitglieder
seien im Gegenteil «voller Liebe». (Lesen Sie hier unseren Faktencheck
zu den Corona-Verschwörungstheorien.)
Maskenpflicht mit Holocaust verglichen
In manchen Chats fantasieren die Maskengegner allerdings zuweilen auch
von einer gewaltsamen Rebellion gegen die Corona-Massnahmen. In der
Gruppe «Widerstand 2020», die auch Mitglieder aus der Maskengruppe
enthält, ist etwa ein Zürcher Ex-Polizist an vorderster Front aktiv, der
seinen Job nach einer Verurteilung wegen Körperverletzung verloren
hatte.
Immer wieder ziehen Teilnehmer in den Chats Parallelen zum Holocaust –
so auch er. Die Juden hätten sich nicht gewehrt, deshalb seien sie
«vernichtet» worden, schrieb der Mann kurz vor Einführung der
Maskenpflicht im ÖV. «Unsere Freiheit wird jetzt vernichtet.» Er ruft
die Maskengegner auf, sich zu widersetzen. «Wenn viele nicht mitmachen,
sind Kontrollen nicht durchsetzbar. Deshalb organisierter Widerstand.
Lokal. Mit Nachbarn. Im Tram. Im Zug. Zusammen sind wir stark. Allein
können sie uns einfach brechen.»
Später berichtet er von einer Auseinandersetzung, die er aufgrund seiner
fehlenden Maske mit einer betagten Frau im ÖV hatte. Er ist sich
sicher: «Der Widerstand lebt. Jugendliche werden bis spätestens Herbst
rebellieren. In Europa werden soziale Unruhen eskalieren. Nur Geduld.»
«Verhältnisblödsinn»
Im Gespräch mit dieser Zeitung distanziert sich der Ex-Polizist von der
QAnon-Bewegung. Diese sei nur ein Ablenkungsmanöver – «eine Operation
des Pentagons, um Leute zu diffamieren, die kritisch denken». Er selber
agiere faktenbasiert. So erkrankten jährlich mehr Leute am Norovirus als
an Corona. «Die Maskenpflicht ist ein Verhältnisblödsinn», so der Mann,
«der Staat tut dem Volk Gewalt an, indem er ihm die Freiheit nimmt.»
Das Virus werde genutzt, um eine Impfpflicht einzuführen, mit dem
Datenschutz aufzuräumen und das Bargeld abzuschaffen.
Die Kesb-Kritikerin, die in der Vergangenheit bereits in Videos des
«alternativen» Newsportals «WakeNews» auftrat, will sich auf Anfrage
nicht näher zum Sachverhalten äussern. In die Maskengruppe sei sie eher
zufällig geraten, weil sie in der Szene sonst für ihre «guten Inputs»
bekannt sei. Mit dem Flyer habe sie aber «nicht wirklich viel zu tun».
Häufig werden in den Chats auch Videos des rechtsextremen
Pnos-Politikers Ignaz Bearth geteilt. Dieser warnt ebenfalls vor einem
Impfzwang und behauptet mit Verweis auf eine Grazer Ärztin: «Die
Schutzmasken haben nur den Sinn, uns zu demütigen.»
Eine Erklärung für «das Böse»
Wer hinter dem Anti-Masken-Flugblatt steht, wäre ohne die Arbeit von
zwei Recherchekollektiven, die sich «Adornochrom» und «Alu TV» nennen,
nicht bekannt geworden. Die Mitglieder, die nach eigenen Angaben
antifaschistisch motiviert sind, haben sich unter Fake-Namen in die
Chatgruppen geschlichen und über Monate Informationen gesammelt.
Marko Kovic, der an der Universität Zürich zu Verschwörungstheorien
geforscht hat, beobachtet die QAnon-Bewegung schon länger. Er sagt: «So
abwegig die Theorien für Aussenstehende klingen mögen, so sehr
identifizieren sich die Menschen, die daran glauben, mit ihnen.»
Mitglieder berichteten von einem starken Zusammenhalt in der Community.
Antisemitische Motive sind laut Kovic weit verbreitet in der Szene. Und
auch die Verbindung zu Kesb-kritischen Kreisen passt laut Kovic ins
Gesamtbild: «Das Narrativ, dass sich eine Elite über die Bedürfnisse der
Menschen hinwegsetze und Kindern vorsätzlich schade, ist ja geradezu
zentral in der Bewegung.»
Einiges deute daraufhin, dass QAnon häufig Menschen anspricht, die
sozioökonomisch eher schlechtergestellt sind. Dies kommt laut Kovic
nicht von ungefähr: «Die Welt, man muss es sagen, ist häufig ungerecht.
Und QAnon gibt vor, eine grosse Erklärung für all das Böse zu liefern,
das auf der Welt passiert.» Gerade in Krisenzeiten wie diesen sehnten
sich viele Menschen nach solch einfachen Erklärungen.
Laut Kovic ist es wichtig, dass die Gesellschaft die Entwicklungen
öffentlich thematisiert. «Die wissenschaftliche Evidenz ist klar: Es ist
keine zielführende Strategie, solche Parallelwelten totzuschweigen und
zu hoffen, dass sie in ihrem virtuellen Raum bleiben.» Vielmehr gelte
es, mit den Betroffenen das Gespräch zu suchen und ihnen auf Augenhöhe
zu begegnen. «Sie auszulachen oder ihre Theorien ins Lächerliche zu
ziehen, ist hingegen höchst kontraproduktiv.»
(https://www.derbund.ch/das-unheimliche-netzwerk-der-schweizer-masken-feinde-184682932068)
+++WORLD OF CORONA
Datenschutz in der Gastronomie: Was habt Ihr mit meiner Handynummer gemacht?
Wer im Restaurant isst, muss in Zeiten von Corona seine Kontaktdaten
hinterlassen. Wer hat Zugriff auf die Angaben? Ein Hack und eine
Polizeianfrage werfen Fragen auf.
https://www.zeit.de/digital/datenschutz/2020-07/datenschutz-gastronomie-corona-handynummer-kontaktdaten-hacking-polizei/komplettansicht
Polizeieinsicht in Corona-Listen: Schulze sieht Vertrauensbruch
Wegen der Corona-Pandemie müssen Gäste in der Gastronomie ihre
Kontaktdaten hinterlassen. Jetzt wurde bekannt: Auch die Polizei greift
für ihre Fahndung darauf zu. Viele BR-Nutzer zeigen sich empört. Kritik
kommt auch von den Grünen.
https://www.br.de/nachrichten/bayern/polizeieinsicht-in-corona-listen-schulze-sieht-vertrauensbruch,S4vN6Mj
+++HISTORY
Kolonialismus in Schulbüchern: „Gewalt wird nicht thematisiert“
Viele Lehrmaterialien beschönigen die deutsche Kolonialgeschichte, sagt
die Afrikaforscherin Josephine Apraku. Sie kritisiert die
eurozentristischen Ansätze.
https://taz.de/Kolonialismus-in-Schulbuechern/!5694899/
—
bielertagblatt.ch 17.07.2020
Schwarze Frauengeschichte: Bielerisch, bunt, bewegt
Das Buch «I will be different every time» widmet sich einem
vernachlässigten Teil der Geschichte: Den Lebenswelten schwarzer Frauen
in Biel und in der Schweiz. Und es ist auch ein Stück Machtkritik.
Sarah Zurbuchen
«Seit heute Morgen ist es ein anderes Gefühl, hier in Biel zu leben»,
sagt die afro-amerikanische Künstlerin und Lyrikerin Fork Burke, die
seit rund zehn Jahren in Biel wohnt. Es ist der Tag im Juli, an dem das
Buch «I will be different every time – Schwarze Frauen in Biel»
herauskommt. Im Atelier der Fotografin Anja Fonseka, die die 17 Frauen
für das Buch fotografiert hat, stapeln sich die in Folie
eingeschweissten, schwarz-gelben Bücher. «Es ist grossartig, ich bin
sehr stolz», sagt Myriam Diarra gerührt. Diarra ist gebürtige Bielerin,
Bewegungspädagogin und Fachfrau Betreuung. Die beiden schwarzen Frauen
sind zusammen mit Franziska Schutzbach, einer weissen Schweizerin, die
Herausgeberinnen des Buches.
Die Stimmung ist heiter, herzlich, aber es gibt auch nachdenkliche
Momente. Denn es geht hier um viel mehr als um die Tatsache, dass ein
Buch geschrieben und herausgegeben worden ist. Es geht darum, dass mit
diesem Druckerzeugnis schwarzen Frauen eine Stimme gegeben wird. Fork
Burke: «Ich fühle mich unterstützt. Dieses Buch zeigt mir, dass es in
Biel eine potenziell gesunde Gesellschaft gibt.» Und auch Myriam Diarra
betont: «Endlich wahrgenommen und gehört zu werden, ist ein wunderbares
Gefühl.» Dass das Buch zeitgleich mit der Black-Lives-Matter-Bewegung
erscheint, war natürlich nicht vorherzusehen, helfe aber der Sache, sind
sich die Frauen einig.
Die Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach verdeutlicht: «In diesem
Buch wird sichtbar gemacht, was schwarze Frauen bereits seit langer
Zeit leisten und womit sie sich in ihrem Alltag auseinandersetzen
müssen.» Sie ist sich bewusst, dass das Buch auch Abwehr hervorrufen
kann. Die gebürtige Bielerin, die unter anderem auch als engagierte
Feministin in der Öffentlichkeit steht, weiss, wovon sie spricht. Sie
kennt die Mechanismen, gerade, wenn es um das Aufzeigen von Privilegien
geht. Viele seien sich in der Schweiz nicht gewohnt, über Rassismus
nachzudenken. «Denn sich selbst zu hinterfragen, ist schmerzhaft, und
das kann Wut auslösen. Auf Englisch heisst es ‹Progress and Agression›,
also Fortschritt und Aggression, zwei Begriffe, die oft zusammen gehen.»
Lücke in der Geschichte
Die Idee zum Buch kam den drei befreundeten Frauen nach intensiven
Gesprächen an gemeinsamen Abenden. Myriam Diarra: «Wir waren der
Meinung, dass es in Bezug auf die Geschichte und das Leben von schwarzen
Frauen in Biel eine Lücke gibt.» Mit dem Begriff «schwarze Frauen»
seien nicht nur Frauen aus Afrika gemeint, betont sie. «Schwarze Frauen
sind auch Frauen, die in der Schweiz geboren oder die aus westlichen
Ländern hierhin ausgewandert sind.» Es seien ganz unterschiedliche
Menschen mit eigenen Erfahrungen, Perspektiven und Lebensgeschichten.
«Aber es gibt eben auch Gemeinsamkeiten, das haben wir in den zwei
Jahren der Entstehungsgeschichte dieses Buches gemerkt.» So sei
eindrücklich, dass alle dieselbe Sehnsucht hätten, nämlich akzeptiert zu
werden, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe und Klischees. Denn schwarze
Frauen seien ganz besonders betroffen von Vorurteilen, wie die Texte im
Buch eindrücklich zeigen (siehe auch gegenüberliegende Seite). «Die
Gesellschaft traut schwarzen Frauen weniger zu, sie werden
infantilisiert oder sexualisiert, nicht ernst genommen und sehr rasch
be- und verurteilt. Es sind oft andere, die darüber entscheiden, wer wir
sind und was wir können, beziehungsweise nicht können.» Das wiederum
führe dazu, dass sich schwarze Frauen in unserer Gesellschaft
unverstanden und ungesehen fühlten und sich ständig beweisen müssten.
«Das ist erschöpfend», sagt Diarra. Gerade auch, weil sie doppelt
diskriminiert würden. «Sie tragen die Last der sogenannten
Intersektionalität: die Gleichzeitigkeit von verschiedenen
Diskriminierungsformen wie Rassismus und Sexismus.»
Was heisst schwarz?
Die Herausgeberinnen betonen in ihrem Vorwort, dass es sich beim Buch
nicht um die schwarzen Frauen in Biel als homogene Gruppe handelt. Es
sei eine Sammlung höchst individueller Geschichten, Lebenswelten und
Erkenntnissen. Eine Gemeinsamkeit der im Buch sprechenden Frauen sei das
Bestreben, Erfahrungen und Sichtweisen mit anderen zu teilen. Den
Begriff «schwarz» definieren die drei Frauen folgendermassen:
«Rassistisch markierte Menschen und Kollektive, die einen gemeinsamen
Erfahrungshorizont teilen. Einen Erfahrungshorizont, der geprägt wurde
von der globalen Geschichte rassistischer Hierarchisierungen rund um den
transatlantischen Sklavenhandel, den damit einhergehenden
Kolonialisierungen und deren Legitimierung.»
Im Buch wird das Wort «Schwarz» ausserdem mit grossem Anfangsbuchstaben
geschrieben. Diese Schreibweise steht für eine Strategie des
Widerstandes, um sich den Begriff selbstbestimmt anzueignen. «Schwarz»
sei in dieser Schreibweise als eine klar politische und nicht
biologische Positionierung zu verstehen. «Denn bekanntlich gibt es keine
biologischen Rassen», ist dem Vorwort des Buches zu entnehmen.
Grosse Einsamkeit
Auch die Geschichte von Myriam Diarra und ihrer Halbschwester Thaïs
wird im Buch anhand eines Gesprächs zwischen den beiden Frauen
offengelegt. Die Schwestern haben denselben Vater, aber nicht dieselbe
Mutter und sind getrennt voneinander in Biel aufgewachsen. Kennengelernt
haben sie sich erst, nachdem sie sich im Schulalter zufälligerweise auf
der Strasse begegnet sind. Myriam und Thaïs Diarra gehörten zu den
ersten Kindern of Color in Biel. Ihr Vater stammt aus Mali, ihre Mutter
aus der Schweiz.
«Als Kind erfuhr ich viel Einsamkeit», sagt Myriam Diarra. Das hatte
auch damit zu tun, dass sie Eltern unterschiedlicher Hautfarbe hatte. So
steht im Buch: «Damals gab es ausser uns praktisch keine anderen Kinder
von Eltern unterschiedlicher Hautfarbe. Es war nicht einfach, sich in
einer Welt von Weissen zurechtzufinden. (…) Die Leute sahen nur die
Schwarze/afrikanische Seite an uns. Entweder Schwarz oder adoptiert,
andere Kategorien für Menschen wie uns gab es nicht. Viele konnten sich
gar nicht vorstellen, dass afrikanisch auch schweizerisch sein kann.»
Der Text über sie und ihre Schwester habe viele Leute sehr berührt.
«Manche waren gar zu Tränen gerührt», sagt sie. Und genau das sei das
Ziel dieses Buches: Empathie zu wecken, das Schicksal von Menschen
aufzuzeigen und vor allem auch ihre Stärke, ihre Perspektiven und
Denkweisen und ihren Beitrag zur Schweizer Gesellschaft. Myriam Diarra
ist eines vor allem wichtig. Sie möchte «eine Spur legen». Eine Spur
auch für die nächste Generation dieser Frauen, deren Geschichte genauso
zu der Stadt gehöre wie die eines jeden Menschen, der hier lebe. Und das
hat ihr das Buchprojekt gezeigt: «Wir sind nicht allein, und das fühlt
sich gut an. Denn wir gehören zu Biel.»
„Leute sprechen Blödelideutsch mit mir“
« Ich heisse Emma Moumbana, bin 18 Jahre alt und in der Schweiz geboren
und aufgewachsen. Meine Mutter ist gebürtige Bernerin, mein Vater stammt
aus Kamerun. Ich bin also bi-racial. Am liebsten mag ich aber den
französischen Ausdruck ‹métisse›. Früher haben meine Schwester und ich
immer und immer wieder das Lied ‹Métisse› von Yannick Noah gehört und
mitgesungen.
Als Kind habe ich mit meiner Hautfarbe und meinen Haaren gehadert. Ich
sehnte mich danach, so zu sein wie die anderen: blond und weiss.
Irgendwann begann ich, mich mit meiner Hautfarbe und meinen Haaren
auseinanderzusetzen. Ich schaute mir Beiträge im Internet an,
beschäftigte mich mit der Haarkultur von farbigen Frauen, mit dem
Afro-Look (Frisur mit stark gekrausten, nach allen Seiten abstehenden
Locken) oder den Braids (Flechtfrisur). Da steckt eine lange,
interessante Geschichte dahinter, die bis in die Sklavenzeit reicht.
Leider wird dieses Wissen hierzulande viel zu wenig vermittelt, das habe
ich auch in der Schule immer wieder gemerkt. Lange Zeit mussten sich
schwarze Frauen die Haare mit allerlei chemischen Mitteln strecken, um
den reichen und privilegierten Weissen ähnlicher zu sein und so weniger
diskriminiert zu werden.
Heute habe ich mich mit meinem Aussehen und meiner Herkunft versöhnt und
gelernt, wie ich meine Haare am besten pflege. Dazu stelle ich meine
Haarpflegeprodukte selbst her, etwa aus Leinsamen und verschiedenen Ölen
als ‹leave in› (Mittel, das nicht ausgewaschen wird).
Ich sehe mich weder als schwarz noch als weiss. Denn ich bin beides.
Viele glauben mir das nicht, aber wenn ich meine Familie in Kamerun
besuche, bin ich ‹la blanche›, also die Weisse. Und auf eine gewisse
Weise stimmt das ja auch, denn ich bin aufgewachsen wie eine Weisse, in
einer weissen Gesellschaft mit weissen Privilegien. Aber hier bin ich
die Schwarze, die Woman of Color. Und das kann sich auch im Negativen,
in rassistischen Bemerkungen, Beschimpfungen und Vorurteilen äussern. So
wurde ich auf der Strasse auch schon wegen meiner Hautfarbe, meiner
Haare oder meines Geschlechts beschimpft. Auch werde ich sehr rasch be-
und verurteilt. Ein Aushilfslehrer sagte mir nach wenigen Tagen, ich sei
für die Matura zu wenig intellektuell und solle doch eine Lehre machen.
Nach nicht mal einer Woche! Er hat mich gar nicht gekannt. Oder dann
das mit dem ‹Blödelideutsch›, wie ich es nenne: Viele Menschen denken,
ich könne kein Deutsch. Dann sprechen sie mit mir in gebrochenem
Hochdeutsch. Kürzlich habe ich in einem Betrieb geschnuppert. Um es klar
und deutlich zu sagen: Ich bin hier geboren und bilingue aufgewachsen,
spreche perfekt Schweizerdeutsch, Hochdeutsch und Französisch und
ausserdem ein fehlerfreies Englisch, das ich mir während eines
dreimonatigen Amerikaaufenthalts angeeignet habe. Und dann sagt dir
jemand im Blödelideutsch: ‹Ich möchten dass du holen die Glas.› Wie
kommt sowas?
Ich bin durch und durch Schweizerin. Hätte ich keine Laktoseintoleranz,
ich würde wohl mehr Fondue und Raclette essen als die meisten
hierzulande.
Dass ich weder schwarz noch weiss oder beides zusammen bin, hat es für
mein Selbstvertrauen nicht gerade einfacher gemacht. Ich wollte mich
konstant beweisen, um zu zeigen: Ich bin genau wie ihr.
Weisse Menschen können sich nur schlecht vorstellen, wie es sich
anfühlt, nicht zur Norm zu gehören. Viele Menschen kategorisieren und
urteilen ständig über ihre Mitmenschen. Entweder bist du schwarz oder
weiss, Frau oder Mann, straight oder queer, cis oder trans.
Doch es ist auch eine Chance, eine ‹métisse› zu sein und einen Fuss in
beiden Welten zu haben. Ich durfte und darf tiefe Einblicke in zwei
verschiedene Mentalitäten und Kulturen haben. Das ist eine Bereicherung.
Ausserdem habe ich von meinen beiden Herkunftsfamilien so viel Liebe
bekommen! Dafür bin ich sehr dankbar.»
Aufgezeichnet: Sarah Zurbuchen
„Es ist nicht genug, du bist nicht genug“
« Ich heisse Juliet Bucher und bin 1996 aus Ghana in die Schweiz
gekommen, damals war ich 29 Jahre alt. Hier habe ich meinen späteren
Ehemann kennengelernt. Er sagt noch heute, als er mich zum ersten Mal
gesehen habe, habe er gewusst, dass ich die Liebe seines Lebens sei.
Dass das Buch «I will be different every time – Schwarze Frauen in Biel»
realisiert werden konnte, gibt mir ein unglaublich gutes Gefühl. Auch
die schlimmen Geschehnisse rund um George Floyd in den USA und die
daraus entstandene Black-Live-Matters-Bewegung bestätigen mir, dass
endlich etwas geschehen muss. Das Thema war schon lange präsent für uns
People of Color, aber jahrelang nahm uns niemand ernst. Es war, als
klopften wir immer wieder an die Wand, und niemand hörte hin. Das führt
zu einem Gefühl von grosser Ohnmacht. Wenn ich jetzt sehe, dass auch
weisse Menschen auf die Strasse gehen, um gegen Rassismus zu
de-monstrieren, bekomme ich Hühnerhaut.
Als ich mit meinem Sohn in die Schweiz auswanderte, hatten wir beide
grosse Mühe mit der Umstellung. Mein Sohn litt unter der fremden Kultur,
den anderen Gewohnheiten und Ansprüchen an die Kinder.
In Ghana war alles freier, es ging ums Spielen, einfach darum, frei zu
spielen. Hier musste er stillsitzen. Stundenlang. Er wurde ständig
beurteilt: Er sei zu laut, zu aggressiv. Das hatte schlimme Auswirkungen
auf ihn. Die ganze Zeit diese negativen Feedbacks. Immer war er schuld
an allem.
In Ghana war er ein ganz normaler Junge, hier war er plötzlich ein Problemkind.
Auch ich habe in der Schweiz Erfahrungen mit Rassismus gemacht, in den letzten Jahren ist er gar expliziter geworden.
Ich werde öfter angegriffen, im Zug, im Funiculaire. Ich erhalte anonyme
Drohbriefe. Auf der Strasse wird mir manchmal sogar der Mittelfinger
gezeigt, einfach so. Oft werde ich, eine Schwarze Frau, als Sexobjekt
angesprochen und auf der Strasse gefragt: ‹Wieviel kostet es?›
Zuerst habe ich gar nicht begriffen, was die Männer meinen. Wieviel
kostet was? Bis ich begriffen habe. Das ist sehr demütigend. Oder bei
der Arbeit. Ich habe in der Schweiz meine Ausbildung zur Fachfrau
Gesundheit absolviert und arbeite auch als solche. Trotzdem haben manche
Leute das Gefühl, ich sei weniger fähig als eine weisse Person. Manche
Patienten weigern sich gar, sich von mir betreuen zu lassen und
verlangen eine weisse ‹Krankenschwester›.
Beim Einkaufen: Vor Dir steht ein weisser Mann, der mit einem
Hundertfrankenschein zahlt, alles geht schnell, die Kassiererin nimmt
das Geld und wechselt. Als ich an der Reihe bin und ebenfalls mit einem
Hundertfrankenschein zahle, inspiziert sie die Note von allen Seiten,
als ob sie gefälscht sei.
Ich spreche immer wieder auch mit weissen Menschen über Rassismus (…).
Sie wollen nicht sehen, dass es Rassismus gibt, sie wehren ab, das ist
sehr erschöpfend. Man hat das Gefühl, sich dauernd für die eigenen
Erfahrungen rechtfertigen zu müssen.
Bevor ich die deutsche Sprache lernte, war ich total hilflos und
abhängig von anderen. Mein Selbstbewusstsein war am Boden, ich
versteckte mich zuhause. Dank der Sprache kann ich mein Leben heute
selbst organisieren, mich verständigen, mich für mich und meine
Community einsetzen. Die Sprache ist deshalb der Schlüssel zu allem.
Integration ist ein Wort, mit dem eigentlich immer gesagt wird: Es ist
nicht genug, du bist nicht genug. (…) Integration ist ein Wort, um zu
sagen: Du machst Fehler, wir nicht. Und man weiss nie, wann dieses
Integrations-Ding eigentlich abgeschlossen ist, man hält uns damit
ständig auf Trab.
Ich bin politisch und gesellschaftlich sehr engagiert, weil auch ich
mich am öffentlichen Leben hierzulande beteiligen will. Deshalb
kandidiere ich nun zum dritten Mal für den Bieler Stadtrat, für die SP.
Gewählt wurde ich noch nie, aber es wurden immer mehr Stimmen.
Vielleicht klappt es ja dieses Jahr.»
Info: Der Text wurde durch Auszüge aus dem Buch «I will be different
every time – Schwarze Frauen in Biel» ergänzt (in kursiver Schrift).
Aufgezeichnet: Sarah Zurbuchen
„Gravierende Wissenslücken“
Dieser Text ist ein gekürzter Auszug aus dem Buch «I will be different
every time – Schwarze Frauen in Biel». Der Text wurde von der Bieler
Kulturwissenschaftlerin Melissa Flück verfasst.
Schwarz-Sein und Diskriminierung in Biel
Weder für Biel noch für die übrige Schweiz gibt es statistische
Erhebungen zur Grösse der Schwarzen Diaspora, schon gar nicht solche,
die auf einer Selbstidentifizierung von Menschen of Color basieren.
Erhobene Zahlen, auf die für Aussagen über rassistische
Diskriminierungen oft ausgewichen wird, beruhen auf der registrierten
nationalen Zugehörigkeit. Das Problem hierbei ist: Wenn nationale
Zugehörigkeit als Grundlage rassistischer Diskriminierung gesetzt wird,
wird dadurch auch die problematische koloniale Unterscheidung zwischen
einem weissen Europa und einem Schwarzen Afrika gefestigt. Diese
vermeintlich klare Unterscheidung bestärkt die Vorstellung, dass
Menschen of Color nicht «wirklich» hierhergehören, und verweist Schwarze
Menschen automatisch auf den afrikanischen Kontinent – anstatt solche
Kategorisierungen beispielsweise in Zusammenhang mit historisch
entstandenen Machtbeziehungen zu reflektieren.
Die Problematik besteht dabei nicht darin, dass tatsächlich die meisten
in der Schweiz lebenden Menschen, die aus Afrika migriert sind oder
afrikanische Vorfahr_innen haben, Schwarz sind, sondern darin, dass
diese vorangestellte Annahme zum einen den Blick verschliesst für die
Marginalisierungen und Diskriminierungen von Schwarzen Schweizer_innen
und Schwarzen Menschen aus anderen europäischen und nichteuropäischen
Ländern. Zum anderen gerät struktureller Rassismus als Bestandteil der
Organisationsform der Schweizer Gesellschaft aus dem Blick und wird
stattdessen als Effekt von Migration problematisiert. Das heisst, es
wird der Rückschluss nahegelegt, es gebe Rassismus wegen der Migration
oder gar wegen der «Fremden» – und nicht etwa wegen einer rassistisch
strukturierten Gesellschaft.
Das Bieler Kompetenzzentrum Multimondo (…) publiziert jährlich einen
Bericht über seine Beratungsfälle. Leider sind die Werte weder nach
Regionen aufgeschlüsselt, noch werden die Diskriminierungen konsequent
in Zusammenhang mit den Lebensbereichen (Arbeitsplatz, Öffentlichkeit,
Wohnungsmarkt usw.), mit dem Geschlecht und der Art der Diskriminierung
ausgewertet. Dennoch lässt sich festhalten, dass seit Jahren Rassismus
«nach dem generellen Motiv der Ausländerfeindlichkeit das am häufigsten
genannte Diskriminierungsmotiv» gegen Schwarze ist und 2018 35 Prozent
der gemeldeten Fälle ausmachte. Im selben Jahr waren der Arbeitsplatz,
der Bildungsbereich, der öffentliche Raum und die Nachbarschaft die
Orte, an denen die meisten antischwarze Diskriminierungen gemeldet
wurden.
Denise Efionayi-Mäder vom Schweizerischen Forum für Migrations- und
Bevölkerungsstudien der Universität Neuenburg forscht zur afrikanischen
Bevölkerung in der Schweiz. Diese sei sozioökonomisch unterprivilegiert,
habe häufig ein tiefes Einkommen und sei in besonderem Masse von
Arbeitslosigkeit betroffen. Neben der Aberkennung von schulischen
Ausbildungen in den Herkunftsländern und vermeintlich oder tatsächlich
fehlenden Kompetenzen für den Schweizer Arbeitsmarkt liege diese
Ungleichheit (…) vor allem an Diskriminierungen. Auch hier fehlt
allerdings eine Aufschlüsselung für die Stadt Biel, die mit 17 Prozent
den grössten Anteil einer afrikanischen Bevölkerung für eine Schweizer
Stadt dieser Grösse aufweist.
Was also lässt sich aus diesen Zahlen in Bezug auf Schwarze Frauen in
Biel ableiten? Vor allem weitere Fragen. (…) So lassen sich kaum
Aussagen machen darüber, inwiefern sich strukturelle Ungleichheit,
beispielsweise in Bezug auf Lohnungleichheit aufgrund von Rassisierung
und Geschlecht, auf Schwarze Frauen nochmal verstärkt und anders
auswirkt als auf Schwarze Männer oder weisse Frauen, die ebenfalls
strukturellen Ungleichheiten unterworfen sind. Wenn man bedenkt, dass
die Diskriminierungsdaten des Beratungsnetzes noch zu den
repräsentativsten gehören, zeigt sich eine gravierende Wissenslücke in
Bezug auf Schwarze und andere Frauen of Color.
(…)
Das Fehlen soziologischer Daten sowie rassismuskritischer und
intersektionaler Forschung zur Diskriminierung in den verschiedenen
Lebensbereichen hat zur Folge, dass Antidiskriminierungsmassnahmen und
Angebote, die spezifisch der Benachteiligung von Schwarzen Frauen und
Frauen of Color entgegenwirken sollen, oft unzureichend sind oder
schlicht nicht existieren.
Schwarze feministische Geschichte
Menschen afrikanischer Herkunft, teils mit einem Schwarzen und einem
weissen Elternteil, die in der Schweiz und als Schweizer_innen geboren
und aufgewachsen sind, werden heute im allgemeinen Diskurs sowie in der
Ethnizitätsforschung als «zweite Generation» bezeichnet. Dieser Begriff
ist jedoch diffus und eher irreführend, da er den Fokus wiederum auf
Migrationsprozesse legt. Soziale Markierungen und Ausschlussmechanismen,
die erst in der Schweiz wirksam sind, werden dadurch ausgeblendet. So
wird, wie die Historikerin Fatima El-Tayeb schreibt, eine
«unüberbrückbare Kluft impliziert», die zwischen Schweizer_innen und
Migrierten eine klare Grenze zieht.
Wenn es darum geht, eine Geschichte von Schwarzen Frauen in der Schweiz
oder in Biel zu verfassen, sind Begriffe, die von einem
essenzialistischen Verständnis von «Boden, Wurzeln und Verwandtschaft»
ausgehen, ungeeignet, weil sie über in der Schweiz geteilte Erfahrungen
von Rassifizierung und Sexualisierung wenig aussagen. (…)
Schwarze Frauengeschichte in der Schweiz und in Biel ist immer auch eine
Machtkritik, die sich parallel zu historisch geformten rassistischen,
patriarchalen und kapitalistischen Strukturen erzählen lässt. Diese
Strukturen treiben Schwarze Frauen politisch, sozial und historisch
immer wieder an die Ränder der Existenz – und manchmal darüber hinaus.
Das vorliegende Buch setzt an diesen Rändern an und lädt ein, dort zu
verweilen. Nicht nur weil es einen Einblick gibt, wie Schwarze Frauen in
Biel auf vielfältige Weise ihren Alltag bestreiten (…). Sondern weil
der Blick auf die Ränder gleichzeitig den Blick auf das Zentrum
verschiebt und dort gravierende Lücken offenlegt. Schwarze Geschichte,
Schwarze feministische Geschichte ist nie lediglich Gewalt,
Entmenschlichung und Tod, sondern verweist immer auch auf Überleben,
Widerstand und die Möglichkeit, sich die Welt auf eine andere, bessere
Weise zu wünschen und damit auch ein Stück weit utopisch
hervorzubringen.
(https://www.bielertagblatt.ch/nachrichten/biel/schwarze-frauengeschichte-bielerisch-bunt-bewegt)