Medienspiegel 14. Juli 2020

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++DEUTSCHLAND
Das angebliche »Abschiebungsvollzugsdefizit«: Statistisch fragwürdig, aber gut für Schlagzeilen
Mit dem vermeintlichen »Vollzugsdefizit bei Abschiebungen« wird seit 2015 regelmäßig Stimmung gemacht und es werden damit Gesetzesverschärfungen begründet. Die Zahlengrundlage ist aber fragwürdig. Die Interpretation dieser Zahlen, etwa durch Politiker*innen, häufig ebenso. PRO ASYL schaut genau hin.
https://www.proasyl.de/news/das-angebliche-abschiebungsvollzugsdefizit-statistisch-fragwuerdig-aber-gut-fuer-schlagzeilen/


Aufnahme von Schutzsuchenden: Sie müssen weiter ausharren
928 Geflüchtete von den griechischen Inseln will die Bundesregierung aufnehmen. Dabei haben die Kommunen Platz für Tausende Menschen.
https://taz.de/Aufnahme-von-Schutzsuchenden/!5694910/


Griechische Flüchtlingslager: Bayern nimmt schwer kranke Flüchtlingskinder auf
Die Lage von Migranten auf den griechischen Inseln ist schlecht. Mehrere Bundesländer wollen kranke Kinder mit ihren Familien aufnehmen. 82 Menschen kommen nach Bayern.
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-07/griechische-fluechtlingslager-bayern-aufnahme-schwerkranker-kinder


+++GRIECHENLAND
Flüchtlinge auf Lesbos: „Moria ist ein vergessener Ort“
Seit vier Monaten ist das Flüchtlingslager Moria wegen einer Corona-Ausgangssperre abgeschnitten von der Außenwelt. Die Bewohner fürchten, vergessen zu werden – und schicken Online-Hilferufe.
https://www.tagesschau.de/ausland/moria-fluechtlinge-101.html


Griechenland: Regierung treibt Tausende Flüchtlinge gezielt in die Obdachlosigkeit
In Griechenland droht einer wachsenden Zahl von Geflüchteten mit schwerwiegenden gesundheitlichen oder psychischen Problemen die Vertreibung aus ihren Unterkünften. Die internationale Nothilfeorganisation Ärzte ohne Grenzen kritisiert, dass die Betroffenen ohne Schutz und angemessene medizinische Versorgung gezielt in die Obdachlosigkeit gedrängt werden und zudem von finanzieller Unterstützung abgeschnitten werden.
https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/presse/griechenland-vertreibung-fluechtlinge-aus-unterkuenften


+++EUROPA
Zahl der Asylbewerber in Europa bleibt unter Vor-Corona-Niveau
Die Zahl der Asylsuchenden in Europa lag im Mai wegen der Corona-Einschränkungen noch immer deutlich unter dem Vor-Krisen-Niveau.
https://www.nau.ch/news/europa/zahl-der-asylbewerber-in-europa-bleibt-unter-vor-corona-niveau-65743413
-> https://www.luzernerzeitung.ch/newsticker/international/zahl-der-asylbewerber-in-europa-bleibt-unter-vor-corona-niveau-ld.1238209


++++DEMO/AKTION/REPRESSION
Un monument pour les résistant-es au colonialisme, pas pour les ésclavagistes !
Dans la nuit de dimanche à lundi, nous avons attaqué la statue de David de Pury avec de la peinture rouge sang.
https://renverse.co/infos-locales/article/un-monument-pour-les-resistant-es-au-colonialisme-pas-pour-les-esclavagistes-2687
-> https://www.rts.ch/info/regions/neuchatel/11465999-la-statue-de-david-de-pury-a-ete-vandalisee-durant-la-nuit-a-neuchatel.html


Nevin Hammad: «Die Revision ist intransparent und undemokratisch»
Bereits im Mai sorgte die Revision der Disziplinarordnung der Universität Zürich für viel Kritik. Studierende wehren sich nun auf aktivistischem und parlamentarischem Weg gegen die Ordnung, die Arbeitseinsätze und Geldstrafen von bis zu 4000 Franken vorsieht.
https://tsri.ch/zh/universitat-zurich-uzh-budnis-gegen-disziplin-disziplinarordnung-die-revision-ist-intransparent-und-undemokratisch/
-> https://www.landbote.ch/studierende-wehren-sich-gegen-disziplinarverordnung-995201100358


Warum fehlen BIPoC in der Pride?
Lässt die Zurich Pride einen Teil ihrer Community zurück? Dies kritisierte das antirassistische Kollektiv BIPOC.WOC in einem offenen Brief. Die Meinungen über die Inklusion der Pride gehen auseinander. Das Kollektiv BIPOC.WOC, Lea Herzig, Präsidentin der Pride und Anna Rosenwasser von der Lesbenorganisation Schweiz teilen ihre verschiedenen Sichtweisen auf den schon länger bestehenden Konflikt.
https://tsri.ch/zh/warum-fehlen-bipoc-der-pride/


+++REPRESSION DE
Polizeieinsatz in der Rigaer Straße 94: Gericht ignoriert, Mafiosi hofiert?
Die Polizei hat sich im Zuge ihres Einsatzes womöglich über Gerichtsentscheidungen hinweggesetzt. Wieder stellt sich die Frage: Wer ist der Eigentümer?
https://taz.de/Polizeieinsatz-in-der-Rigaer-Strasse-94/!5700850/
-> https://www.neues-deutschland.de/artikel/1139110.liebig-molecule-man-wird-queer.html
-> https://www.morgenpost.de/berlin/article229514098/Fuer-rund-sechs-Stunden-Aktivisten-besetzen-Molecule-Man.html
-> https://www.bz-berlin.de/berlin/so-beschreibt-ein-rigaer-94-aktivist-die-eskalation-am-montagmorgen
-> https://twitter.com/i/status/1282946746868469762
-> https://twitter.com/rigaer94


+++BIG BROTHER
Atlas der Überwachung: Datenbank zeigt Instrumentarium der US-Polizei
US-Bürgerrechtler haben gemeinsam mit Forschern die „größte durchsuchbare Datenbank zum polizeilichen Einsatz von Überwachungstechnik“ eingerichtet.
https://www.heise.de/news/Atlas-der-Ueberwachung-Datenbank-zeigt-Instrumentarium-der-US-Polizei-4843765.html


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Nach illegaler Demo in Basel: Feministinnen wollen Bussen wegpolitisieren
Ihre Demonstration wurde von der Basler Polizei aufgelöst und es hagelte Bussen. Nun wollen die Demonstrantinnen via eine Petition erreichen, dass die Regierung die Verfahren zurücknimmt.
https://www.bazonline.ch/feministinnen-wollen-bussen-wegpolitisieren-444070639650
-> Petitionsübergabe: https://frauenstreik-bs.ch/2020/07/14/petitionsuebergabe-keine-kriminalisierung-am-feministischen-streiktag/ _UtA8saZZNcib0TeU4


+++POLIZEI BS
Co-Präsident der JSVP-Bern arbeitet nicht mehr als Polizist
Der Politiker arbeitete seit einer Verurteilung wegen Rassendiskriminierung nur noch im Innendienst der Kantonspolizei Basel-Stadt. Jetzt ist er ganz aus dem Korps ausgeschieden.
https://www.20min.ch/story/co-praesident-der-jsvp-bern-arbeitet-nicht-mehr-als-polizist-474415330453
-> https://www.bazonline.ch/jungpolitiker-adrian-spahr-verlaesst-die-basler-polizei-600078858566
-> https://www.bernerzeitung.ch/co-praesident-der-jsvp-bern-arbeitet-nicht-mehr-als-polizist-479646823833
-> https://telebasel.ch/2020/07/14/adrian-spahr-arbeitet-nicht-mehr-bei-der-basler-polizei/?channel=105100
-> https://www.derbund.ch/co-praesident-der-jsvp-bern-arbeitet-nicht-mehr-als-polizist-227820710004
-> https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/jungpolitiker-adrian-spahr-und-kapo-basel-gehen-getrennte-wege-138458956


+++POLIZEI ZH
tagesanzeiger.ch 14.07.2020

Zürcher Staatsanwälte wehren sich: Sie ermitteln gegen Polizisten – und arbeiten bald Tür an Tür

Alle Staatsanwälte müssen ins neue Polizei- und Justizzentrum ziehen. Jene, die gegen gewalttätige Polizisten vorgehen, sprechen von einem «kapitalen Fehler».

Corsin Zander

Sie kommen dann zum Zug, wenn es besonders heikel wird: die neun Staatsanwältinnen und Staatsanwälte der Abteilung «Besondere Untersuchungen». Sie ermitteln, wenn Polizisten Korruption vorgeworfen wird wie in der sogenannten Chilli’s Affäre, wenn Chefbeamte schwarze Kassen führen oder wenn Politiker wie der GLP-Nationalrat Martin Bäumle der Amtsgeheimnisverletzung beschuldigt sind. Kurz: wenn Staatsangestellte mit dem Gesetz in Konflikt geraten sein könnten («Internal Affairs»). Oder wenn es um Strafverfahren geht, die für besonders grosses öffentliches Interesse sorgen.

Die Abteilung «Besondere Untersuchungen» gilt landesweit als Vorzeigebehörde. Sie ist organisatorisch der kantonalen Staatsanwaltschaft II angegliedert, aber räumlich gänzlich unabhängig von anderen Staatsanwaltschaften. Ihre Büros befinden sich in einem schmucklosen, in die Jahre gekommenen Bürobau unweit des Stauffachers. Wenn hier Beschuldigte oder Opfer für Befragungen ein und aus gehen, bemerkt das kaum jemand. Wenn eine Staatsanwältin gegen einen Kollegen einer anderen Abteilung ermittelt, so treffen sich die beiden über Mittag nicht in der Kantine.

Geharnischtes internes Schreiben

Doch die Abteilung «Besondere Untersuchungen» sieht ihre Unabhängigkeit gefährdet. In zwei Jahren sollen alle spezialisierten Staatsanwaltschaften, die Kriminalpolizei, die Forensik, die Polizeischule, das Zwangsmassnahmengericht, ein Polizei- und Untersuchungsgefängnis gemeinsam im Polizei- und Justizzentrum (PJZ) arbeiten. Der von seinen Gegnern als «Justizpalast» bezeichnete Bau kostet fast 750 Millionen Franken und bietet über 2000 Personen einen Arbeitsplatz – oder «Kunden», wie sie die Abteilung «Besondere Untersuchungen» auch bezeichnet. Denn würde jemand von diesen 2000 Personen straffällig, wären eigentlich die Sonderermittler der Staatsanwaltschaft zuständig.

In einer Vernehmlassungsantwort finden die spezialisierten Staatsanwälte klare Worte. Das interne Papier aus dem Jahr 2017 wurde dem «Tages-Anzeiger» jetzt zugespielt und ist ein eigentliches Protestschreiben: «Die Platzierung im PJZ bedeutet absolut keinen Mehrwert, sondern eine massive Einschränkung durch eine nicht mehr vollumfänglich zu gewährleistende innere und äussere Unbefangenheit.»

Bis heute wollen die Verantwortlichen diesen «kapitalen Fehler», wie die Sonderermittler schreiben, nicht korrigieren. Auf einen Fragekatalog zur gefährdeten Unabhängigkeit antwortet Justizdirektorin Jacqueline Fehr (SP) mit einem kurzen, allgemein gehaltenen Statement: «Wer eine Strafuntersuchung führt, muss das unabhängig und unbefangen tun können. Das ist für den Rechtsstaat zentral.» Dafür, dass diese Unabhängigkeit gewahrt ist, werde die Oberstaatsanwaltschaft mit einer professionellen Fallzuteilung sorgen.

Heikle Fälle werden neu zugeteilt

Ausführlicher, inhaltlich aber ähnlich, antwortet die Medienstelle der Oberstaatsanwaltschaft. Man sei sich bewusst, dass die räumliche Nähe ein potenzielles Problem darstelle, aber diese werde man mit einer entsprechenden Fallzuteilung vermeiden. Das heisst, wenn jemand beschuldigt wird, der im PJZ arbeitet, sollen nicht die Spezialisten ran, sondern ein regionaler Staatsanwalt, der nicht ins PJZ zieht. Dieser Fall werde aber selten eintreten, ist die Oberstaatsanwaltschaft überzeugt. Bei den über 2000 Personen mit einem Büro im neuen Polizei- und Justizzentrum handle es sich nur um einen Bruchteil der Zehntausenden Staatsangestellten im Kanton Zürich, schreibt die Medienstelle.

Doch nicht nur Beschuldigte, auch Geschädigte oder deren Anwälte würden es schätzen, dass sie für Einvernahmen in ein Gebäude könnten, wo sie nicht anderen Behördenvertretern über den Weg laufen, heisst es in der Vernehmlassungsantwort. Darauf antwortet die Medienstelle der Oberstaatsanwaltschaft, das sehr grosse PJZ biete die Möglichkeit, Personen diskret ins Gebäude zu lassen. Die Einvernahmen fänden zudem in speziell ausgeschiedenen und von den übrigen Bereichen abgetrennten Räumlichkeiten statt.

Der Umzug der Abteilung «Besondere Untersuchungen» ist beschlossene Sache, und die Verantwortlichen zeigen wenig Lust, daran etwas zu ändern. Der Zusammenzug im PJZ würde die Führung vereinfachen, man könne Synergien nutzen. Schliesslich seien auch finanzielle Überlegungen dafür ausschlaggebend gewesen, «keinen externen Standort in Erwägung zu ziehen», schreibt die Medienstelle.

Vorschlag findet kein Gehör

Dabei haben die Staatsanwälte der Abteilung «Besondere Untersuchungen» den Verantwortlichen einen konkreten Lösungsvorschlag unterbreitet: Sie würden in ein Gebäude der Kantonspolizei ziehen, wo deren Dienst «Besondere Ermittlungen/Amtsdelikte» sich heute befindet und wo es nach der Eröffnung des PJZ genügend Platz geben wird. Der Dienst umfasst zehn Polizisten, die sich ebenfalls um «Internal Affairs» kümmern. Auch sie müssen ihre Arbeit möglichst unabhängig ausführen und sind der Schnittstellenpartner der Staatsanwälte. Der Vorschlag wurde aber «ohne weitere Prüfung von Beginn weg abgelehnt», heisst es in der Vernehmlassungsantwort.

Man habe verschiedene Workshops – unter anderem mit den betroffenen Staatsanwälten – durchgeführt und sei dabei auf ihre Meinung eingegangen, schreibt die Medienstelle der Oberstaatsanwaltschaft. Geändert haben diese Gespräche am Entscheid, alle Abteilungen im PJZ zusammenzulegen, offenbar nichts.

Ob es bei der Kantonspolizei und deren «Internal Affairs»-Abteilung auch zu solchen Diskussionen gekommen war, ist nicht in Erfahrung zu bringen. Der Mediensprecher des zuständigen Sicherheitsdirektors Mario Fehr schreibt lediglich, es habe zum PJZ 2011 eine Volksabstimmung und 2014 einen Regierungsratsbeschluss gegeben. Diese demokratischen Entscheide werde man befolgen.

Politiker wissen von nichts

Die gefährdete Unabhängigkeit der speziellen Abteilungen bei der Staatsanwaltschaft und der Kantonspolizei war im Abstimmungskampf genauso wenig ein Thema wie im Parlament. Angefragte Kantonsrätinnen und Kantonsräte, die sich seit Jahren mit dem PJZ beschäftigen, geben denn auch an, noch nie etwas davon gehört zu haben.

Die Möglichkeit, die Abteilung «Besondere Untersuchungen» noch umzuplatzieren, würde es durchaus geben. Ursprünglich dachte man, es werde zu eng für alle im PJZ. Dann wurde im Frühling 2019 beschlossen, dass nun noch mehr Abteilungen ins PJZ ziehen als ursprünglich vorgesehen.

Der zusätzliche Platz wurde damals mit einem angepassten Raumkonzept geschaffen: Gruppenbüros statt Einzelbüros.
(https://www.tagesanzeiger.ch/spezialermittler-verlieren-ihre-diskreten-bueros-540940561673)


+++POLIZEI DE
Rassismus in der Polizei: Der Abwehrreflex hat Geschichte
Es braucht dringend wissenschaftliche Untersuchungen über Rassismus in der Polizei. Doch Politik und Polizei wehren sie immer wieder mit fadenscheinigen Argumenten ab.
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-07/rassismus-polizei-wilhelm-heitmeyer-forderung-untersuchungen/komplettansicht


Rechtsextreme Drohschreiben Polizeichef muss Posten räumen
Im Skandal um rechtsextreme Drohschreiben an Politiker tritt der hessische Polizeipräsident Münch zurück. Nach Angaben von Landesinnenminister Beuth war Münch bereits im März über die Vorfälle informiert worden – ohne entsprechend zu reagieren.
https://www.tagesschau.de/inland/hessische-polizei-affaere-rechtsextremismus-101.html
-> https://www.tagesschau.de/inland/polizei-abfragen-101.html
-> https://www.tagesschau.de/inland/idil-baydar-polizei-datenabfrage-101.html


+++RASSISMUS
Dubler-«Mohrenköpfe» auch beim Staatssekretariat für Migration
Sie scheinen als Süssigkeit auf der Arbeit beliebt zu sein. Nicht nur die Inselspital- sondern auch die SEM-Kantine verkauft weiterhin Dubler-«Mohrenköpfe».
https://www.nau.ch/news/schweiz/dubler-mohrenkopfe-auch-beim-staatssekretariat-fur-migration-65742541


Nach Engpass gibts Dubler- «Mohrenköpfe» sogar im Outlet
Wegen Solidaritäts-Käufen war es kurzzeitig schwierig, an Dubler-«Mohrenköpfe» zu kommen. Nun werden sie verbilligt angeboten – ist der Hype vorbei?
https://www.20min.ch/story/nach-engpass-gibts-dubler-mohrenkoepfe-sogar-im-outlet-977399287772



derbund.ch 14.07.2020

Streit um Süssgebäck: Nicht alle nehmen die «Mohrenköpfe» aus dem Regal

Trotz Rassismusdebatte: Einige Berner Läden verkaufen weiterhin die Dubler-Süssspeise. Das stösst auf Kritik.

Sven Niederhäuser

In der Stadt Bern wurde während Wochen intensiv über Rassismus gesprochen. Und das nicht ohne Auswirkungen. So beschloss beispielsweise die Bar Colonial, ihren Namen zu ändern. In der Bäckerei Hirschibeck im Berner Mattenhofquartier sieht man jedoch keinen Anlass zur Änderung. Hier werden weiterhin die umstrittenen «Mohrenköpfe» von Dubler verkauft.

Seit zwölf Jahren stehen dort die Süssspeisen im Sortiment. Bis jetzt habe Geschäftsführer Hirschi nur eine negative Erfahrung mit einem Kunden gehabt. «Er kam in den Laden, sah das Produkt und ging sofort wieder.» Ansonsten habe seine Kundschaft durchwegs positiv reagiert. «Sie schätzte vor allem die Qualität.» Darum geht es auch Hirschi. «Es sind nun einmal die besten.»

Die Debatte um den Namen versteht der Geschäftsführer nicht. Denn das Problem werde so nicht gelöst. «Indem wir diesen streichen, bleibt die Geschichte bestehen.» Hirschi beschäftige selbst zwei dunkelhäutige Angestellte, eine aus Eritrea, und eine sei Tamilin. «Keine der beiden störte sich am Namen.» Die Probleme müssten bei den Wurzeln angepackt werden. «Es sollte über Sklaverei gesprochen werden, nicht über Mohrenköpfe.»

Verkaufsverbot gefordert

Der Berner Stadtrat Mohamed Abdirahim (Juso) fordert, dass die Süssspeise von Dubler nirgends mehr verkauft wird. «Weil er unreflektiert in dieser Thematik ist und den Namen nicht ändern will.» Auch von der ganzen Debatte um die umstrittene Süssspeise ist Abdirahim nicht begeistert. «Wenn wir über Rassismus reden wollen, bringt diese oberflächliche Diskussion nicht viel.» Die Leute blieben nur beim Süssgebäck hängen. Zudem sei die Argumentation mancher Menschen, man wolle ihnen etwas wegnehmen, abstrus. «Es geht um die Abstammung des Wortes.» Sowie darum, dass die Schweiz durchaus an der Kolonialisierung mitgeholfen und profitiert habe, sagt der Berner Stadtrat. Für ihn ist es unverständlich, dass man sich über die Abschaffung eines Wortes so aufregt, «aber bei der Ausschüttung von Dividenden während der Kurzarbeit keinen Pieps von sich gibt».

Die Berner Stadträtin Marianne Schild (GLP) ist über die gesamte Süssgebäckdebatte überrascht. «Ich finde es erstaunlich, das so eine Affäre daraus wurde.» Obwohl ihr das Wort keine schlaflosen Nächte bereitet, wünscht sie sich eine Namensänderung. Es sei ein Zeichen des guten Zusammenlebens und Respekts. «Es würde zeigen, dass die Zeiten vorbei sind, als man sich über Andersfarbige lustig machte.»

Schild redet zudem den Unternehmenden ins Gewissen: «Als zuständige Produktmanagerin hätte ich das Produkt schon lange und unauffällig umbenannt.» Dies sei weder eine Einschränkung der Meinungsfreiheit noch eine Bevormundung durch Political Correctness.

Lage normalisiert

Das umstrittene Dubler-Produkt sorgte für wochenlange Diskussionen, die zu Solidaritätskäufen führten. Dadurch war die Süssspeise zeitweise fast überall ausverkauft. Gemäss «20 Minuten» wird in Bern das Produkt noch in einem Emmi-Outlet-Store in Ostermundigen angeboten. Die Überzeiten sind für Firmenchef Robert Dubler somit zu Ende. «Die Lage hat sich wieder normalisiert.»
(https://www.derbund.ch/nicht-alle-nehmen-die-mohrenkoepfe-aus-dem-regal-592984201071)


+++RECHTSEXTREMISMUS
Kleiner antifaschistischer Rückblick aus der Region Ostschweiz 2017-2020
Wir haben diverse Informationen über rechtsextreme Aktivitäten in der Region Ostschweiz zusammen getragen. Viele der Informationen wurden uns an unsere E-Mailadresse antifaostschweiz(a)immerda.ch geschickt. Dafür bedanken wir uns herzlich und hoffen ihr haltet uns weiter auf dem Laufenden. Falls ihr noch etwas zu ergänzen habt, schreibt uns einfach.
Wir können nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben.
Wir haben daraus nachfolgend eine kleine Übersicht erstellt, wo und wie Rechtsextreme in Erscheinung treten und wie ihnen begegnet wird. Sie soll uns daran erinnern, dass Antifaschismus immer wichtig ist. Und sie soll gerne auch inspirieren antifaschistisch zu handeln und dem Faschismus entgegen zu treten.
https://barrikade.info/article/3681


Warum Twitter Martin Sellner rauswirft – und die FPÖ dagegen protestiert
Immer mehr soziale Medien geben den Identitären keine Bühne mehr. Damit werden sie von ihrer Basis getrennt und ihr Aktionsradius erheblich eingeschränkt
https://www.derstandard.at/story/2000118671987/warum-twitter-martin-sellner-rauswirft-und-die-fpoe-dagegen-protestiert?ref=rss


Der „Große Rauswurf“: Rechtsextreme Identitäre nun auch bei Youtube gesperrt
Sellner verliert wichtige Einnahmequelle – Google folgt Facebook und Twitter
https://www.derstandard.at/story/2000118695556/identitaere-nun-auch-bei-youtube-gesperrt?ref=article
-> https://www.spiegel.de/netzwelt/web/youtube-sperrt-konten-der-rechtsextremen-identitaeren-bewegung-a-a8487c3c-05ff-44b3-87e4-0997d5e8a3ab
-> https://www.heise.de/news/Auch-Youtube-sperrt-Konten-von-Identitaeren-4843510.html
-> https://www.nau.ch/news/europa/youtube-sperrt-konten-von-rechtsextremen-identitaren-65743531
-> https://www.zeit.de/digital/internet/2020-07/rechtsextremismus-identitaere-bewegung-youtube-sperrung-konten


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Nach BAG-Warnung: Links auf Maskengegner-Flyer plötzlich ungültig
Wer am Wochenende einen Anti-Maskenpflicht-Flyer erhalten hat und nun die QR-Codes scannt, landet auf Google. Dies nach Einschreiten des BAG. Zufall?
https://www.nau.ch/news/schweiz/nach-bag-warnung-links-auf-maskengegner-flyer-plotzlich-ungultig-65743294


«Stasi in der Schweiz» – Facebook-Gruppe greift «Blick» an und flyert gegen Maskenpflicht
Wegen Fotos von ÖV-Passagieren ohne Maske wirft die «StayAwake»-Bewegung dem «Blick» Stasi-Methoden vor. Mitglieder der Facebook-Gruppe kämpfen ausserdem mit einem Flyer gegen die Maskenpflicht – und berufen sich dabei auf fragwürdige Quellen.
https://www.watson.ch/schweiz/coronavirus/440758745-coronavirus-facebook-gruppe-verteilt-fake-flyer-gegen-maskenpflicht
-> https://www.blick.ch/news/politik/bag-warnt-vor-fake-news-die-masken-mythen-im-faktencheck-id15987770.html


Podcast: Existiert die Stadt Bielefeld gar nicht?
1994 verbreiten Studenten die Verschwörungstheorie, dass es die deutsche Stadt nicht gibt. Die Fake Busters wissen, was dahinter steckt.
Bielefeld? Das gibt es doch gar nicht! Dieser Satz hat sich in die Köpfe vieler Verschwörungstheoretiker gebrannt und ist auch für jene gängig, die sich gerne einen Spaß daraus machen. Dort wo sich auf der Landkarte die deutsche Stadt Bielefeld befinden sollte, müsste eigentlich ein weißer Fleck sein. Die Stadt soll es in Wirklichkeit nämlich gar nicht geben. Das besagt zumindest eine knapp 25 Jahre alte Verschwörungstheorie.
https://kurier.at/podcasts/fakebusters/podcast-existiert-die-stadt-bielefeld-gar-nicht/400967639?utm_medium=Social&utm_source=Twitter#Echobox=1594724187


+++HISTORY
Zur richtigen Zeit
Gord Hills Comicband »Antifa. Hundert Jahre Widerstand« trotz Schwächen gelungene Einführung, die visueller Hymne gleichkommt
https://www.jungewelt.de/artikel/382278.gord-hills-antifacomic-zur-richtigen-zeit.html


Junkie Communism
No one is disposable.
In November of 1970, the Young Lords and the Black Panther Party seized a section of Lincoln Hospital, establishing the first drug detox program in the South Bronx, the center of the city’s heroin epidemic. The “People’s Detox” operated out of the old nurses’ residence under a coalition of Black and Puerto Rican left nationalists, socialists, and radical medical workers. Influenced by the psychological work of Frantz Fanon, they saw revolutionary political education as essential for overcoming drug addiction. Mutulu Shakur, Vicente “Panama” Alba, Cleo Silvers, Dr. Richard Taft, and others who ran the program innovated the use of acupuncture as a drug treatment modality in the US, a practice that has since become institutionalized and widespread. They won city funding for the detox program in 1971. They continued to run it until the police raided the detox facility in 1978, expelling the revolutionary leadership. These years were peak periods of political organizing for the Bronx, as well as the years that HIV — still unnamed and unnoticed by medical authorities — first started to claim the lives of injection drug users.
https://communemag.com/junkie-communism/
-> https://renverse.co/analyses/article/junkie-communism-2685



derbund.ch 14.07.2020

Vernichtete Geschichte: Heimkinder wollen ihr verbotenes Buch zurück

Eine historische Arbeit über ein Könizer Kinderheim sorgt für Ärger: Ein ehemaliger Heimleiter lässt die Auflage einstampfen, die ehemaligen Zöglinge sind empört und die Historiker sagen: «Sehr bedenklich».

Naomi Jones, Selina Grossrieder

«Jetzt müssen wir etwas machen», sagte sich Heinz Kräuchi und startete eine Onlinepetition. Er und eine lose Gruppe von ehemaligen Zöglingen des mittlerweile geschlossenen Knabenheims Auf der Grube in Niederwangen wollen «ihr» Buch zurück, das Opfer eines Rechtsstreits wurde. Sie verlangen, dass ein vor Jahren rechtlich erstrittenes Verbot des Buchs «Gruebe» aufgehoben wird. Bereits über 150 Personen haben die Onlinepetition unterzeichnet und kommentiert.

Im 2013 publizierten Buch arbeitete der Journalist und Autor Fredi Lerch im Auftrag des damaligen Stiftungsrats der Institution deren Geschichte auf.

«Uns gewidmet»

Das passte Hans-Peter Hofer überhaupt nicht. Der zweitletzte Heimleiter, der die Institution Anfang des Jahrtausends fünf Jahre lang leitete, klagte gegen den Autor und die Auftraggeber. Er sah sich und seine Rolle als Heimleiter im Buch falsch dargestellt. Im Februar 2017 erreichte er eine gerichtliche Vereinbarung bei der Schlichtungsbehörde Bern-Mittelland, in der sich der Autor, der Verlag und die Herausgeberin verpflichteten, das Buch nicht weiterzuverbreiten. Hofer selbst vernichtete die verbliebenen 2500 Exemplare, wie die «Berner Zeitung» nun berichtete. Auch eine dazugehörende Website mit digitalisierten Jahresberichten aus der 188-jährigen Geschichte der Institution ist nicht mehr erreichbar.

«Das trifft mich und uns alle persönlich», sagt Heinz Kräuchi. Denn er und andere Betroffene seien zum Verbot des Buchs nicht befragt worden. Weder von Hofer noch von der Schlichtungsbehörde. «Aber das Buch ist uns gewidmet.» Für Heinz Kräuchi bedeutet das Buch das «Ende der Stigmatisierung von uns Heimkindern» und der Beginn einer Reihe «von Dingen, die gut für uns waren». So habe er zum Beispiel erst nach Erscheinen des «Gruebe»-Buchs Zugang zu seinen Akten erhalten. Zuvor habe ihm die Amtsvormundschaft den Einblick zweimal verwehrt, obwohl er ein Recht darauf gehabt hätte. Kräuchi ist heute Fachmann für Kinderbetreuung in einer sozial- und heilpädagogischen Institution. Als Kind lebte der 57-Jährige im Heim in Niederwangen. «Wir möchten das Buch wieder bestellen können.»

Der ehemalige Heimleiter Hofer ist heute pensioniert. Er sagt: «Eine Anerkennung des erlittenen Unrechts darf nicht auf der Basis von neuem Unrecht gemacht werden.» Die Darstellung seiner Zeit als Heimleiter im Buch sei rufschädigend, vom Autor sei er nie kontaktiert worden. Lerch wertete vor allem schriftliche Quellen wie Jahresberichte, Protokolle, Festschriften oder Zeitungsartikel aus.

Hofer zeigt gleichwohl Verständnis für Kräuchi und seine Freunde. Gegen die Petition will er sich nicht wehren. Dass Kräuchi, der vor Hofers Ära auf der Grube war, die Verhältnisse im Buch als richtig dargestellt wahrnimmt, lässt der ehemalige Heimleiter gelten.

«Wissenschaftlich bedenklich»

Die Historikerin Tanja Rietmann von der Universität Bern findet die Vernichtung des Buchs «aus wissenschaftlicher Sicht sehr bedenklich». Sie hat Lerchs Buch in der «Berner Zeitschrift für Geschichte» besprochen. Das Verbot sei ein massiver Eingriff in die Aufarbeitung der Geschichte fürsorgerischer Zwangsmassnahmen.

Rückblickend findet sie, die Geschichtswissenschaften hätten den Autor und die Herausgeber stärker unterstützen sollen. Sie ist überzeugt, dass das Buch aus fachlicher Sicht nicht hätte verboten werden können. Dies umso mehr, als Hofer in dem Buch eher als Randfigur vorkomme. «Die Zerstörung des Buchs ist ein Affront gegen die Heimkinder», sagt sie.

Urs Germann, Historiker und Co-Redaktor der unabhängigen Expertenkommission administrative Versorgungen, sagt: Es sei zwar verständlich, dass Hofer die Zeit, in der er Heimleiter war, anders interpretiere als die Autoren des Buchs. Das komme im Zusammenhang mit der administrativen Versorgung ab und zu vor. «Aber man sollte die unterschiedliche Interpretation öffentlich und differenziert klären.» Dass deswegen jemand gleich ein Buch verbieten lasse, habe es bisher noch nicht gegeben. «Es ist, als würde jemand wortwörtlich versuchen, unliebsame Informationen zu vernichten.»

Da die Vereinbarung, das Buch nicht weiterzuverbreiten, erst drei Jahre nach der Veröffentlichung des Buchs unterzeichnet wurde, sei davon auszugehen, dass es zumindest in einigen Bibliotheken noch vorhanden sei. So gehe das Wissen nicht verloren, sagt Germann.

Autor hadert mit Vergleich

Fredi Lerch, der Autor Chronik im «Gruebe»-Buch, will Hofers Vorwürfe nicht kommentieren. «Ich finde es aber gut, dass die ehemaligen Grubenbuben ihr Buch zurückfordern», sagt er. Denn es sei ein Dokument geschichtlicher Aufarbeitung, nicht nur der Grube, sondern des über lange Zeit repressiven Sozialsystems in der Schweiz. Angesichts dessen frage er sich manchmal, ob es ein Fehler gewesen sei, den Vergleich zu unterschreiben. «In der Grube ist viel Schweres passiert, und die Aufarbeitung der Geschichten solcher Institutionen bleibt wichtig.»
(https://www.derbund.ch/heimkinder-wollen-ihr-buch-zurueck-357721271118)



derbund.ch 14.07.2020

Erzwungene Fürsorge in der «Gruebe»: Ein dunkles Kapitel der Sozialgeschichte

Im ehemaligen Kinderheim in Niederwangen hielt man auch dann am autoritären Erziehungsstil fest, als sich andere Institutionen längst reformiert hatten.

Selina Grossrieder

Die Zeit der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen ist ein düsterer Abschnitt der Schweizer Sozialgeschichte. Ein Beispiel dafür ist der Fall der ehemaligen Knabenerziehungsanstalt «Gruebe» in Niederwangen. Im nun verbotenen Buch skizziert der Historiker Fredi Lerch die 188-jährige Geschichte der Anstalt (lesen Sie an dieser Stelle: «Heimkinder wollen ihr Buch zurück»). Das Buch zeige ein «informatives und eindringliches Bild der Geschichte und der aktuellen Gegenwart», wie die Historikerin Tanja Rietmann in ihrer Rezension schrieb.

Alles begann vor mehr als 200 Jahren, als Mitglieder der pietistischen Erweckungsbewegung die Anstalt für «arme verlassene Kinder und Waisen» gründeten. Sie sollte der damals weit verbreiteten Armut entgegenwirken und die Kinder mit Feldarbeit zu «gutmütigen Armen erziehen».

Im 19. Jahrhundert änderte sich die Philosophie der Kinderheime, so auch in der «Gruebe». Aufgenommen wurden nicht nur Waisen, sondern auch «verwahrloste» Kinder aus der Unterschicht und aus Familien, die nicht dem bürgerlichen Familienideal entsprachen.

Die Erfahrungen der Heimkinder unterschieden sich je nach Heimvorsteher stark voneinander. Wie Lerch beschrieb, wirkten im Heim über die Jahre «Pioniere und Pädagogen, Idealisten und Sadisten, Frömmler und Fürsten». Eine Heimleitung mit nachhaltigem Einfluss auf die Anstalt war das Ehepaar Paul und Lotti Bürgi-Gutknecht, die in den Jahren 1966 bis 2000 die Leitung übernahmen.

Die Hauseltern wehrten sich damals erfolgreich gegen die Kritik der 68er-Bewegung, die Anstalten als «totale Institutionen» bezeichnete und pädagogische Reformen forderte. Prügelstrafen etwa galten in vergleichbaren Heimen bis in die frühen Siebzigerjahre als normal, wurden aber bald aus dem Repertoire der Disziplinarmassnahmen gestrichen. Nicht so in der «Gruebe». Dort bestanden die Erzieher weiterhin auf der Pädagogik aus dem 19. Jahrhundert. So hielt man 1971 im Jahresbericht des Heims fest: «Wir sind der Meinung, dass antiautoritär keine gute Erziehung möglich ist.»

Bei den Fürsorgeämtern und Amtsvormundschaften galt Bürgis Anstalt damals als «streng und billig» und wurde dafür geschätzt. Die Erfahrungen der Heimkinder jedoch unterschieden sich stark vom öffentlichen Ruf. So erheben 15 Zeugen in einer amtlichen Untersuchung aus dem Jahr 2003 den Vorwurf, dass sie auf der Grube «körperlich bestraft worden seien». Eine Zeugenaussage erwähnt zudem sexuelle Übergriffe des Lehrpersonals.

Die Vorwürfe richteten sich hauptsächlich gegen einen Lehrer, der als Sadist beschrieben wird, sowie Heimleiter Paul Bürgi und beschränken sich auf den Zeitraum zwischen 1966 und 1990. Gleichzeitig entlastet die Untersuchung das spätere Heimleiterpaar Hofer-Hagmann vollständig.

Die amtliche Untersuchung und der zunehmende öffentliche Druck ab der Jahrtausendwende führten zu einer Professionalisierung des Heims. 2013 schloss die Institution, die zu diesem Zeitpunkt als Schulheim Ried bekannt war, endgültig und fusionierte mit einer anderen Stiftung.
(https://www.derbund.ch/ein-dunkles-kapitel-der-sozialgeschichte-672997574719)
-> https://www.nzz.ch/schweiz/bern-streit-um-eingestampftes-buch-ld.1566270



bernerzeitung.ch 13.07.2020

Verbotenes «Gruebe»-Buch: «Ich kann keine Rufschädigung erkennen»

Historikerin Tanja Rietmann kritisiert, dass das Buch über das Knabenheim «Auf der Grube» wegen einer Vereinbarung nicht mehr verbreitet werden darf.

Johannes Reichen

Frau Rietmann, Sie bedauern, dass das Buch «Gruebe» nicht mehr verbreitet werden darf. Warum?

Ich finde, es ist ein aussergewöhnlich gutes Buch zur Aufarbeitung einer Heimgeschichte. Es bemüht sich ernsthaft, der Perspektive und dem Erleben der Heimkinder Raum zu geben. Zudem schafft es einen Bezug zur Aktualität.

Weshalb?

Weil es auch Einblicke gibt, wie Kinder heute solche Strukturen erleben.

Sie werfen dem ehemaligen Heimleiter Hans-Peter Hofer eine «verzogene Lesart» des Buchs vor. Warum?

Weil Herr Hofer nicht beschuldigt, sondern als Opfer der Strukturen dargestellt wird. Auch mit viel
Reformwillen lassen sich alte Strukturen nicht von heute auf morgen ändern. Herr Hofer wünscht, dass seine Reformbemühungen stärker gewürdigt werden. Dies kann man anbringen. Aber im Buch geht es um eine fast 200-jährige Institutionengeschichte. Die Zeit von Heimleiter Hofer wird auf fünf Seiten geschildert. Da lassen sich nicht alle Nuancen ausleuchten. Deswegen ein Buch aus der Öffentlichkeit zu ziehen und sich noch bei der Buchzerstörung in Szene zu setzen, ist unverhältnismässig. Und ein Affront gegenüber den ehemaligen Heimkindern, denen das Buch gewidmet ist.

Er kommt doch überhaupt nicht gut weg. Beispielsweise wird er als «Heimvater» dargestellt, sein «Scheitern» wird mehrmals thematisiert.

Aber es wird auch begründet, warum er gescheitert ist. Das Scheitern wird ihm nicht persönlich zur Last gelegt. Es wird deutlich, dass es der noch amtierende Stiftungsrat war, der ihn verheizt hat.

Sie haben das Buch bei der Erscheinung in der «Berner Zeitschrift für Geschichte» sehr positiv besprochen. Sie gingen sicher davon aus, dass die Fakten stimmen.

Ich hatte und habe keinen Anlass, daran zu zweifeln.

Fredi Lerch schreibt, Hofer habe sich geweigert, die Heimleiterausbildung zu absolvieren. Aber Hofer erhielt 2002 das Diplom.

Im Sozialwesen gibt es verschiedene Arten von Ausbildungen. Entscheidend ist: In den Augen des Kantons schien seine Ausbildung nicht ausreichend für eine Betriebsbewilligung. Wenn das Buch tatsächlich fehlerhafte Darstellungen enthielte, hätte es eine Palette von Möglichkeiten gegeben, das richtigzustellen. Zum Beispiel eine Gegendarstellung oder ein Berichtigungsvermerk.

Lerch stützte sich für seine Chronik hauptsächlich auf die Jahresberichte. Kann man so eine fast 200-jährige Heimgeschichte umfassend wiedergeben? Er schreibt an einer Stelle selbst, Jahresberichte seien «immer und überall einseitige Quellen».

Was Fredi Lerch vorlegt, ist keine umfassende Heimgeschichte, er nennt es eine «historische Skizze», die einen Umfang von etwa fünfzig Seiten hat. Für einen solchen Abriss ist es legitim, sich auf Jahresberichte zu beziehen. Er betreibt adäquate Quellenkritik, wenn er sagt, dass Jahresberichte einer bestimmten Perspektive verpflichtet sind.

Das Buch entstand im Auftrag des damaligen Stiftungsrats unter dem Präsidium von Regula Mader. Sie gehörte schon dem Stiftungsrat an, der den Wandel laut Lerch einleitete. Handelt es sich dabei noch um ein unabhängiges Werk?

Diese Frage kann man grundsätzlich an alle Auftragswerke stellen. In meiner Wahrnehmung ist es ein aussergewöhnlich kritisches Werk. Es gibt Heimgeschichten, die die eigene Vergangenheit weniger kritisch aufarbeiten.

Ehemalige Heimkinder verlangen, dass das Buch wieder zugänglich gemacht wird. Ist das eine berechtigte Forderung?

In meinen Augen ist sie berechtigt. Das Buch leuchtet lange nicht beachtete Schattenseiten des Schweizer Sozialstaats aus. Dieses Wissen darf nicht wieder aus der Öffentlichkeit verschwinden. Das Buch ist den Betroffenen von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen gewidmet. Sie haben lange für die Anerkennung ihrer Geschichte gekämpft.

Der Verlag und der Autor haben der Vereinbarung freiwillig zugestimmt. War das nicht ein Eingeständnis, dass tatsächlich Fehler passiert sind?

Ich denke, Fredi Lerch, der Verlag und auch die Nachfolgestiftung haben der Vereinbarung zugestimmt, weil sie sich nicht auf einen langwierigen und teuren Prozess einlassen wollten. Ich bin sicher, dass der Vertrieb des Buches nicht untersagt worden wäre, hätte ein Gericht darüber entschieden.

Warum nicht?

Weil ich weder Fehler noch eine Rufschädigung erkennen kann.
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Tanja Rietmann ist Historikerin und an der Universität Bern tätig. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt bei der Geschichte der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen.



«Journal B» stellt Buch online

In zwei Artikeln berichtete diese Zeitung kürzlich über das verbotenen «Gruebe»-Buch (lesen Sie hier Teil 1 und Teil 2). Es behandelt die 188-jährige Geschichte des Knabenheims «Auf der Grube» in Niederwangen, das später Schulheim Ried hiess und 2013 aufgelöst wurde. 2016 klagte der ehemalige Heimleiter Hans-Peter Hofer gegen den Verlag X-Time, die Nachfolgestiftung des Heims sowie den Autor Fredi Lerch, der zum Buch die Heimchronik beisteuerte. Hofer war mit der Darstellung seiner Ära, die von 2000 bis 2005 dauerte, nicht einverstanden. In einer Vereinbarung erklärten sich die Parteien einverstanden damit, dass das Buch nicht weiter verbreitet, verlegt oder online zugänglich gemacht werden darf. Die Öffentlichkeit wusste von dieser Vereinbarung nichts.

Als Reaktion wurde nun die Facebook-Gruppe «Gruebe» gegründet, deren Ziel es ist, dass das Buch wieder zugänglich gemacht wird. Im Namen ehemaliger «Gruebebuebe» lancierte Heinz Kräuchi dafür eine Onlinepetition, die er beim Gericht einreichen will. «Hofer hätte besser nicht in ein Wespennest gestochen», schreibt er in einer Mitteilung. Er wirft Hofer «Eitelkeit» vor. Der Heimleiter sei nicht der Reformator gewesen, «für den er sich hält». Und die fehlende Ausbildung «hätte er ohne weiteres nachholen können», so Kräuchi.

Auch das Onlineportal «Journal B» reagierte auf die beiden Artikel. Willi Egloff, Anwalt und Vorstandsmitglied des Trägervereins, veröffentlichte einen Text mit dem Titel «Schmutzwasser aus der Gruebe». Hofer attackiere Lerch und scheine nicht verkraftet zu haben, dass das Arbeitsverhältnis 2005 aufgrund seiner fehlenden Qualifikationen aufgelöst worden sei. Mit seinem Rundumschlag in der «Berner Zeitung» rühre er «ein weiteres Mal im abgestandenen Wasser seiner Gruebe-Vergangenheit», so Egloff.

Es sei höchst befremdlich, dass die noch vorhandenen Exemplare des Buches um eines vermeintlichen privaten Friedens willen vernichtet worden seien. Anders als die «Berner Zeitung» schreibe, sei das Buch nicht gerichtlich verboten worden – tatsächlich handelt es sich nicht um einen Gerichtsentscheid, sondern um eine Vereinbarung, die zum Verbot führte. «Journal B» findet weiter, es bestehe ein öffentliches Interesse am Buch, und stellte es deshalb Ende Woche als PDF auf seine Website – samt der Passagen, die Fredi Lerch auf seiner eigenen Website gemäss der Vereinbarung einschwärzen musste. Lerch war früher bei «Journal B» angestellt und schreibt regelmässig für das Portal. (rei)
(https://www.bernerzeitung.ch/ich-kann-keine-rufschaedigung-erkennen-851195980566)



Kommentar: Die Zerstörung eines Buches
Mit grossem Unbehagen habe ich in zwei gross aufgemachten Artikeln in der «BZ» vom 4. und 7. Juli 2020 von der Zerstörung des Buches über das ehemalige Berner Kinderheim «Gruebe» erfahren.
http://www.journal-b.ch/de/082013/kultur/3650/Kommentar-Die-Zerst%C3%B6rung-eines-Buches.htm



Schmutzwasser aus der «Gruebe»
Das «Knabenheim auf der Grube», zuletzt unter dem Titel «Schulheim Ried» betrieben, ist 2013 geschlossen worden. Ein früherer Leiter des Heimes polemisiert in der «BZ» gegen ein Buch über die 188jährige Geschichte des Heimes. Dieses war vom Stiftungsrat aus Anlass der Schliessung der Institution herausgegeben worden.
http://www.journal-b.ch/de/082013/kultur/3648/Schmutzwasser-aus-der-%C2%ABGruebe%C2%BB.htm
-> Buch als PDF: http://www.journal-b.ch/attachment/155/04%20Gruebe_Inhalt%2019.3.2013.pdf?g_download=1



Petition: Wir ehemalige Heimkinder wollen unser Buch „Gruebe“ zurück.
https://www.openpetition.eu/ch/petition/online/wir-ehemalige-heimkinder-wollen-unser-buch-gruebe-zurueck



tagblatt.ch 14.07.2020

Vor 30 Jahren herrschten dramatische Zustände in Wil: Die Jugend ging für die Kultur auf die Strasse

Eine Gruppe junger Leute, die «Kulturlöwen», forderten in den 80er-Jahren eine Stätte für Alternativkultur. Fündig wurden sie in einem Schuppen, der von einer Baufirma als Lager genutzt wurde. Heute ist der Gare de Lion eine etablierte Kulturinstitution.

Adrian Zeller

In den 80er-Jahren herrschte in der Schweiz im kulturellen Bereich Aufbruchstimmung. Unter dem Slogan «Züri brännt» kam es in Zürich mehrfach zu Scharmützeln zwischen Demonstranten und der Polizei.

Auch in Wil forderte eine Gruppe junger Leute eine Stätte, die für alle Formen der Kultur offen sein sollte, vor allem auch für Alternativkultur. Sie nannten sich «Kulturlöwen». Nach dem Abriss der Musigbeiz Dufour waren sie heimatlos geworden. Als geeignete Liegenschaft erkannten sie das stillgelegte Depot der Brauerei Löwenbräu auf dem Bleichplatz, daher der Name Kulturlöwen.

Eskalation im letzten Moment verhindert

Das damalige Stadtparlament lehnte 1986 den entsprechenden Antrag ab und beschloss den Abbruch des markanten Backsteingebäudes. Heute sind dort Parkplätze angelegt. Für die Kulturleute war dies ein Affront. Als neue Lösung wurde der benachbarte Garagentrakt an der Haldenstrasse, die sogenannten Stallungen, ins Auge gefasst. Gegen den Kreditbeschluss des Parlaments wurde jedoch das Referendum ergriffen. Die Wiler Stimmberechtigten lehnten die Vorlage mehrheitlich ab.

Bei den Kulturlöwen machte sich in der Folge Unmut und Frustration breit. 1988 wurden diese Garagen von jungen Leuten besetzt. Um weitere Eskalationen zu verhindern, suchte der damalige Stadtpräsident Hans Wechsler (CVP) vor Ort das Gespräch mit den Protestierenden.

Er konnte sie besänftigen. Die Gruppe der Kulturlöwen und die Stadtregierung blieben im Dialog. Man suchte nach Lösungen bezüglich Kulturräumen, der Hof sowie ein Pavillon wurden als mögliche Standorte diskutiert. Beide Ideen wurden jedoch nicht realisiert. Auf der Suche nach einer geeigneten Liegenschaft wurde der Musiker und Videokünstler Renato Müller in der Nähe des markanten Silos fündig.

Bahnschuppen als Zufallsfund

Ein ehemaliger Schuppen der ehemaligen Mittel-Thurgau-­Bahn (MThB) wurde von einer Baufirma als Lager genutzt. Die Stadt Wil mietete dieses Gebäude und vermietete es ihrerseits an den Verein Kulturlöwe. Mietbeginn war der 1. März 1989. Die Baumfirma erhielt ein Ersatzlager zugewiesen.

Mit Idealismus, Goodwill und Fronarbeit wurde der Schuppen zu einem Konzertlokal mit Bar umgebaut. Ab 2008 mutierte die ehemaligen Remise zum Gare de Lion. Heute ist er eine etablierte Kulturinstitution mit überregionaler Ausstrahlung.
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/wil/vor-30-jahren-herrschten-dramatische-zustaende-in-wil-die-jugend-ging-fuer-die-kultur-auf-die-strasse-ld.1238147)