Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel
+++DEUTSCHLAND
Das angebliche »Abschiebungsvollzugsdefizit«: Statistisch fragwürdig, aber gut für Schlagzeilen
Mit dem vermeintlichen »Vollzugsdefizit bei Abschiebungen« wird seit
2015 regelmäßig Stimmung gemacht und es werden damit
Gesetzesverschärfungen begründet. Die Zahlengrundlage ist aber
fragwürdig. Die Interpretation dieser Zahlen, etwa durch
Politiker*innen, häufig ebenso. PRO ASYL schaut genau hin.
https://www.proasyl.de/news/das-angebliche-abschiebungsvollzugsdefizit-statistisch-fragwuerdig-aber-gut-fuer-schlagzeilen/
Aufnahme von Schutzsuchenden: Sie müssen weiter ausharren
928 Geflüchtete von den griechischen Inseln will die Bundesregierung
aufnehmen. Dabei haben die Kommunen Platz für Tausende Menschen.
https://taz.de/Aufnahme-von-Schutzsuchenden/!5694910/
Griechische Flüchtlingslager: Bayern nimmt schwer kranke Flüchtlingskinder auf
Die Lage von Migranten auf den griechischen Inseln ist schlecht. Mehrere
Bundesländer wollen kranke Kinder mit ihren Familien aufnehmen. 82
Menschen kommen nach Bayern.
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-07/griechische-fluechtlingslager-bayern-aufnahme-schwerkranker-kinder
+++GRIECHENLAND
Flüchtlinge auf Lesbos: „Moria ist ein vergessener Ort“
Seit vier Monaten ist das Flüchtlingslager Moria wegen einer
Corona-Ausgangssperre abgeschnitten von der Außenwelt. Die Bewohner
fürchten, vergessen zu werden – und schicken Online-Hilferufe.
https://www.tagesschau.de/ausland/moria-fluechtlinge-101.html
Griechenland: Regierung treibt Tausende Flüchtlinge gezielt in die Obdachlosigkeit
In Griechenland droht einer wachsenden Zahl von Geflüchteten mit
schwerwiegenden gesundheitlichen oder psychischen Problemen die
Vertreibung aus ihren Unterkünften. Die internationale
Nothilfeorganisation Ärzte ohne Grenzen kritisiert, dass die Betroffenen
ohne Schutz und angemessene medizinische Versorgung gezielt in die
Obdachlosigkeit gedrängt werden und zudem von finanzieller Unterstützung
abgeschnitten werden.
https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/presse/griechenland-vertreibung-fluechtlinge-aus-unterkuenften
+++EUROPA
Zahl der Asylbewerber in Europa bleibt unter Vor-Corona-Niveau
Die Zahl der Asylsuchenden in Europa lag im Mai wegen der
Corona-Einschränkungen noch immer deutlich unter dem Vor-Krisen-Niveau.
https://www.nau.ch/news/europa/zahl-der-asylbewerber-in-europa-bleibt-unter-vor-corona-niveau-65743413
-> https://www.luzernerzeitung.ch/newsticker/international/zahl-der-asylbewerber-in-europa-bleibt-unter-vor-corona-niveau-ld.1238209
++++DEMO/AKTION/REPRESSION
Un monument pour les résistant-es au colonialisme, pas pour les ésclavagistes !
Dans la nuit de dimanche à lundi, nous avons attaqué la statue de David de Pury avec de la peinture rouge sang.
https://renverse.co/infos-locales/article/un-monument-pour-les-resistant-es-au-colonialisme-pas-pour-les-esclavagistes-2687
-> https://www.rts.ch/info/regions/neuchatel/11465999-la-statue-de-david-de-pury-a-ete-vandalisee-durant-la-nuit-a-neuchatel.html
Nevin Hammad: «Die Revision ist intransparent und undemokratisch»
Bereits im Mai sorgte die Revision der Disziplinarordnung der
Universität Zürich für viel Kritik. Studierende wehren sich nun auf
aktivistischem und parlamentarischem Weg gegen die Ordnung, die
Arbeitseinsätze und Geldstrafen von bis zu 4000 Franken vorsieht.
https://tsri.ch/zh/universitat-zurich-uzh-budnis-gegen-disziplin-disziplinarordnung-die-revision-ist-intransparent-und-undemokratisch/
-> https://www.landbote.ch/studierende-wehren-sich-gegen-disziplinarverordnung-995201100358
Warum fehlen BIPoC in der Pride?
Lässt die Zurich Pride einen Teil ihrer Community zurück? Dies
kritisierte das antirassistische Kollektiv BIPOC.WOC in einem offenen
Brief. Die Meinungen über die Inklusion der Pride gehen auseinander. Das
Kollektiv BIPOC.WOC, Lea Herzig, Präsidentin der Pride und Anna
Rosenwasser von der Lesbenorganisation Schweiz teilen ihre verschiedenen
Sichtweisen auf den schon länger bestehenden Konflikt.
https://tsri.ch/zh/warum-fehlen-bipoc-der-pride/
+++REPRESSION DE
Polizeieinsatz in der Rigaer Straße 94: Gericht ignoriert, Mafiosi hofiert?
Die Polizei hat sich im Zuge ihres Einsatzes womöglich über
Gerichtsentscheidungen hinweggesetzt. Wieder stellt sich die Frage: Wer
ist der Eigentümer?
https://taz.de/Polizeieinsatz-in-der-Rigaer-Strasse-94/!5700850/
-> https://www.neues-deutschland.de/artikel/1139110.liebig-molecule-man-wird-queer.html
-> https://www.morgenpost.de/berlin/article229514098/Fuer-rund-sechs-Stunden-Aktivisten-besetzen-Molecule-Man.html
-> https://www.bz-berlin.de/berlin/so-beschreibt-ein-rigaer-94-aktivist-die-eskalation-am-montagmorgen
-> https://twitter.com/i/status/1282946746868469762
-> https://twitter.com/rigaer94
+++BIG BROTHER
Atlas der Überwachung: Datenbank zeigt Instrumentarium der US-Polizei
US-Bürgerrechtler haben gemeinsam mit Forschern die „größte
durchsuchbare Datenbank zum polizeilichen Einsatz von
Überwachungstechnik“ eingerichtet.
https://www.heise.de/news/Atlas-der-Ueberwachung-Datenbank-zeigt-Instrumentarium-der-US-Polizei-4843765.html
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Nach illegaler Demo in Basel: Feministinnen wollen Bussen wegpolitisieren
Ihre Demonstration wurde von der Basler Polizei aufgelöst und es hagelte
Bussen. Nun wollen die Demonstrantinnen via eine Petition erreichen,
dass die Regierung die Verfahren zurücknimmt.
https://www.bazonline.ch/feministinnen-wollen-bussen-wegpolitisieren-444070639650
-> Petitionsübergabe: https://frauenstreik-bs.ch/2020/07/14/petitionsuebergabe-keine-kriminalisierung-am-feministischen-streiktag/ _UtA8saZZNcib0TeU4
+++POLIZEI BS
Co-Präsident der JSVP-Bern arbeitet nicht mehr als Polizist
Der Politiker arbeitete seit einer Verurteilung wegen
Rassendiskriminierung nur noch im Innendienst der Kantonspolizei
Basel-Stadt. Jetzt ist er ganz aus dem Korps ausgeschieden.
https://www.20min.ch/story/co-praesident-der-jsvp-bern-arbeitet-nicht-mehr-als-polizist-474415330453
-> https://www.bazonline.ch/jungpolitiker-adrian-spahr-verlaesst-die-basler-polizei-600078858566
-> https://www.bernerzeitung.ch/co-praesident-der-jsvp-bern-arbeitet-nicht-mehr-als-polizist-479646823833
-> https://telebasel.ch/2020/07/14/adrian-spahr-arbeitet-nicht-mehr-bei-der-basler-polizei/?channel=105100
-> https://www.derbund.ch/co-praesident-der-jsvp-bern-arbeitet-nicht-mehr-als-polizist-227820710004
-> https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/jungpolitiker-adrian-spahr-und-kapo-basel-gehen-getrennte-wege-138458956
+++POLIZEI ZH
tagesanzeiger.ch 14.07.2020
Zürcher Staatsanwälte wehren sich: Sie ermitteln gegen Polizisten – und arbeiten bald Tür an Tür
Alle Staatsanwälte müssen ins neue Polizei- und Justizzentrum ziehen.
Jene, die gegen gewalttätige Polizisten vorgehen, sprechen von einem
«kapitalen Fehler».
Corsin Zander
Sie kommen dann zum Zug, wenn es besonders heikel wird: die neun
Staatsanwältinnen und Staatsanwälte der Abteilung «Besondere
Untersuchungen». Sie ermitteln, wenn Polizisten Korruption vorgeworfen
wird wie in der sogenannten Chilli’s Affäre, wenn Chefbeamte schwarze
Kassen führen oder wenn Politiker wie der GLP-Nationalrat Martin Bäumle
der Amtsgeheimnisverletzung beschuldigt sind. Kurz: wenn
Staatsangestellte mit dem Gesetz in Konflikt geraten sein könnten
(«Internal Affairs»). Oder wenn es um Strafverfahren geht, die für
besonders grosses öffentliches Interesse sorgen.
Die Abteilung «Besondere Untersuchungen» gilt landesweit als
Vorzeigebehörde. Sie ist organisatorisch der kantonalen
Staatsanwaltschaft II angegliedert, aber räumlich gänzlich unabhängig
von anderen Staatsanwaltschaften. Ihre Büros befinden sich in einem
schmucklosen, in die Jahre gekommenen Bürobau unweit des Stauffachers.
Wenn hier Beschuldigte oder Opfer für Befragungen ein und aus gehen,
bemerkt das kaum jemand. Wenn eine Staatsanwältin gegen einen Kollegen
einer anderen Abteilung ermittelt, so treffen sich die beiden über
Mittag nicht in der Kantine.
Geharnischtes internes Schreiben
Doch die Abteilung «Besondere Untersuchungen» sieht ihre Unabhängigkeit
gefährdet. In zwei Jahren sollen alle spezialisierten
Staatsanwaltschaften, die Kriminalpolizei, die Forensik, die
Polizeischule, das Zwangsmassnahmengericht, ein Polizei- und
Untersuchungsgefängnis gemeinsam im Polizei- und Justizzentrum (PJZ)
arbeiten. Der von seinen Gegnern als «Justizpalast» bezeichnete Bau
kostet fast 750 Millionen Franken und bietet über 2000 Personen einen
Arbeitsplatz – oder «Kunden», wie sie die Abteilung «Besondere
Untersuchungen» auch bezeichnet. Denn würde jemand von diesen 2000
Personen straffällig, wären eigentlich die Sonderermittler der
Staatsanwaltschaft zuständig.
In einer Vernehmlassungsantwort finden die spezialisierten Staatsanwälte
klare Worte. Das interne Papier aus dem Jahr 2017 wurde dem
«Tages-Anzeiger» jetzt zugespielt und ist ein eigentliches
Protestschreiben: «Die Platzierung im PJZ bedeutet absolut keinen
Mehrwert, sondern eine massive Einschränkung durch eine nicht mehr
vollumfänglich zu gewährleistende innere und äussere Unbefangenheit.»
Bis heute wollen die Verantwortlichen diesen «kapitalen Fehler», wie die
Sonderermittler schreiben, nicht korrigieren. Auf einen Fragekatalog
zur gefährdeten Unabhängigkeit antwortet Justizdirektorin Jacqueline
Fehr (SP) mit einem kurzen, allgemein gehaltenen Statement: «Wer eine
Strafuntersuchung führt, muss das unabhängig und unbefangen tun können.
Das ist für den Rechtsstaat zentral.» Dafür, dass diese Unabhängigkeit
gewahrt ist, werde die Oberstaatsanwaltschaft mit einer professionellen
Fallzuteilung sorgen.
Heikle Fälle werden neu zugeteilt
Ausführlicher, inhaltlich aber ähnlich, antwortet die Medienstelle der
Oberstaatsanwaltschaft. Man sei sich bewusst, dass die räumliche Nähe
ein potenzielles Problem darstelle, aber diese werde man mit einer
entsprechenden Fallzuteilung vermeiden. Das heisst, wenn jemand
beschuldigt wird, der im PJZ arbeitet, sollen nicht die Spezialisten
ran, sondern ein regionaler Staatsanwalt, der nicht ins PJZ zieht.
Dieser Fall werde aber selten eintreten, ist die Oberstaatsanwaltschaft
überzeugt. Bei den über 2000 Personen mit einem Büro im neuen Polizei-
und Justizzentrum handle es sich nur um einen Bruchteil der
Zehntausenden Staatsangestellten im Kanton Zürich, schreibt die
Medienstelle.
Doch nicht nur Beschuldigte, auch Geschädigte oder deren Anwälte würden
es schätzen, dass sie für Einvernahmen in ein Gebäude könnten, wo sie
nicht anderen Behördenvertretern über den Weg laufen, heisst es in der
Vernehmlassungsantwort. Darauf antwortet die Medienstelle der
Oberstaatsanwaltschaft, das sehr grosse PJZ biete die Möglichkeit,
Personen diskret ins Gebäude zu lassen. Die Einvernahmen fänden zudem in
speziell ausgeschiedenen und von den übrigen Bereichen abgetrennten
Räumlichkeiten statt.
Der Umzug der Abteilung «Besondere Untersuchungen» ist beschlossene
Sache, und die Verantwortlichen zeigen wenig Lust, daran etwas zu
ändern. Der Zusammenzug im PJZ würde die Führung vereinfachen, man könne
Synergien nutzen. Schliesslich seien auch finanzielle Überlegungen
dafür ausschlaggebend gewesen, «keinen externen Standort in Erwägung zu
ziehen», schreibt die Medienstelle.
Vorschlag findet kein Gehör
Dabei haben die Staatsanwälte der Abteilung «Besondere Untersuchungen»
den Verantwortlichen einen konkreten Lösungsvorschlag unterbreitet: Sie
würden in ein Gebäude der Kantonspolizei ziehen, wo deren Dienst
«Besondere Ermittlungen/Amtsdelikte» sich heute befindet und wo es nach
der Eröffnung des PJZ genügend Platz geben wird. Der Dienst umfasst zehn
Polizisten, die sich ebenfalls um «Internal Affairs» kümmern. Auch sie
müssen ihre Arbeit möglichst unabhängig ausführen und sind der
Schnittstellenpartner der Staatsanwälte. Der Vorschlag wurde aber «ohne
weitere Prüfung von Beginn weg abgelehnt», heisst es in der
Vernehmlassungsantwort.
Man habe verschiedene Workshops – unter anderem mit den betroffenen
Staatsanwälten – durchgeführt und sei dabei auf ihre Meinung
eingegangen, schreibt die Medienstelle der Oberstaatsanwaltschaft.
Geändert haben diese Gespräche am Entscheid, alle Abteilungen im PJZ
zusammenzulegen, offenbar nichts.
Ob es bei der Kantonspolizei und deren «Internal Affairs»-Abteilung auch
zu solchen Diskussionen gekommen war, ist nicht in Erfahrung zu
bringen. Der Mediensprecher des zuständigen Sicherheitsdirektors Mario
Fehr schreibt lediglich, es habe zum PJZ 2011 eine Volksabstimmung und
2014 einen Regierungsratsbeschluss gegeben. Diese demokratischen
Entscheide werde man befolgen.
Politiker wissen von nichts
Die gefährdete Unabhängigkeit der speziellen Abteilungen bei der
Staatsanwaltschaft und der Kantonspolizei war im Abstimmungskampf
genauso wenig ein Thema wie im Parlament. Angefragte Kantonsrätinnen und
Kantonsräte, die sich seit Jahren mit dem PJZ beschäftigen, geben denn
auch an, noch nie etwas davon gehört zu haben.
Die Möglichkeit, die Abteilung «Besondere Untersuchungen» noch
umzuplatzieren, würde es durchaus geben. Ursprünglich dachte man, es
werde zu eng für alle im PJZ. Dann wurde im Frühling 2019 beschlossen,
dass nun noch mehr Abteilungen ins PJZ ziehen als ursprünglich
vorgesehen.
Der zusätzliche Platz wurde damals mit einem angepassten Raumkonzept geschaffen: Gruppenbüros statt Einzelbüros.
(https://www.tagesanzeiger.ch/spezialermittler-verlieren-ihre-diskreten-bueros-540940561673)
+++POLIZEI DE
Rassismus in der Polizei: Der Abwehrreflex hat Geschichte
Es braucht dringend wissenschaftliche Untersuchungen über Rassismus in
der Polizei. Doch Politik und Polizei wehren sie immer wieder mit
fadenscheinigen Argumenten ab.
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-07/rassismus-polizei-wilhelm-heitmeyer-forderung-untersuchungen/komplettansicht
Rechtsextreme Drohschreiben Polizeichef muss Posten räumen
Im Skandal um rechtsextreme Drohschreiben an Politiker tritt der
hessische Polizeipräsident Münch zurück. Nach Angaben von
Landesinnenminister Beuth war Münch bereits im März über die Vorfälle
informiert worden – ohne entsprechend zu reagieren.
https://www.tagesschau.de/inland/hessische-polizei-affaere-rechtsextremismus-101.html
-> https://www.tagesschau.de/inland/polizei-abfragen-101.html
-> https://www.tagesschau.de/inland/idil-baydar-polizei-datenabfrage-101.html
+++RASSISMUS
Dubler-«Mohrenköpfe» auch beim Staatssekretariat für Migration
Sie scheinen als Süssigkeit auf der Arbeit beliebt zu sein. Nicht nur
die Inselspital- sondern auch die SEM-Kantine verkauft weiterhin
Dubler-«Mohrenköpfe».
https://www.nau.ch/news/schweiz/dubler-mohrenkopfe-auch-beim-staatssekretariat-fur-migration-65742541
Nach Engpass gibts Dubler- «Mohrenköpfe» sogar im Outlet
Wegen Solidaritäts-Käufen war es kurzzeitig schwierig, an
Dubler-«Mohrenköpfe» zu kommen. Nun werden sie verbilligt angeboten –
ist der Hype vorbei?
https://www.20min.ch/story/nach-engpass-gibts-dubler-mohrenkoepfe-sogar-im-outlet-977399287772
—
derbund.ch 14.07.2020
Streit um Süssgebäck: Nicht alle nehmen die «Mohrenköpfe» aus dem Regal
Trotz Rassismusdebatte: Einige Berner Läden verkaufen weiterhin die Dubler-Süssspeise. Das stösst auf Kritik.
Sven Niederhäuser
In der Stadt Bern wurde während Wochen intensiv über Rassismus
gesprochen. Und das nicht ohne Auswirkungen. So beschloss beispielsweise
die Bar Colonial, ihren Namen zu ändern. In der Bäckerei Hirschibeck im
Berner Mattenhofquartier sieht man jedoch keinen Anlass zur Änderung.
Hier werden weiterhin die umstrittenen «Mohrenköpfe» von Dubler
verkauft.
Seit zwölf Jahren stehen dort die Süssspeisen im Sortiment. Bis jetzt
habe Geschäftsführer Hirschi nur eine negative Erfahrung mit einem
Kunden gehabt. «Er kam in den Laden, sah das Produkt und ging sofort
wieder.» Ansonsten habe seine Kundschaft durchwegs positiv reagiert.
«Sie schätzte vor allem die Qualität.» Darum geht es auch Hirschi. «Es
sind nun einmal die besten.»
Die Debatte um den Namen versteht der Geschäftsführer nicht. Denn das
Problem werde so nicht gelöst. «Indem wir diesen streichen, bleibt die
Geschichte bestehen.» Hirschi beschäftige selbst zwei dunkelhäutige
Angestellte, eine aus Eritrea, und eine sei Tamilin. «Keine der beiden
störte sich am Namen.» Die Probleme müssten bei den Wurzeln angepackt
werden. «Es sollte über Sklaverei gesprochen werden, nicht über
Mohrenköpfe.»
Verkaufsverbot gefordert
Der Berner Stadtrat Mohamed Abdirahim (Juso) fordert, dass die
Süssspeise von Dubler nirgends mehr verkauft wird. «Weil er
unreflektiert in dieser Thematik ist und den Namen nicht ändern will.»
Auch von der ganzen Debatte um die umstrittene Süssspeise ist Abdirahim
nicht begeistert. «Wenn wir über Rassismus reden wollen, bringt diese
oberflächliche Diskussion nicht viel.» Die Leute blieben nur beim
Süssgebäck hängen. Zudem sei die Argumentation mancher Menschen, man
wolle ihnen etwas wegnehmen, abstrus. «Es geht um die Abstammung des
Wortes.» Sowie darum, dass die Schweiz durchaus an der Kolonialisierung
mitgeholfen und profitiert habe, sagt der Berner Stadtrat. Für ihn ist
es unverständlich, dass man sich über die Abschaffung eines Wortes so
aufregt, «aber bei der Ausschüttung von Dividenden während der
Kurzarbeit keinen Pieps von sich gibt».
Die Berner Stadträtin Marianne Schild (GLP) ist über die gesamte
Süssgebäckdebatte überrascht. «Ich finde es erstaunlich, das so eine
Affäre daraus wurde.» Obwohl ihr das Wort keine schlaflosen Nächte
bereitet, wünscht sie sich eine Namensänderung. Es sei ein Zeichen des
guten Zusammenlebens und Respekts. «Es würde zeigen, dass die Zeiten
vorbei sind, als man sich über Andersfarbige lustig machte.»
Schild redet zudem den Unternehmenden ins Gewissen: «Als zuständige
Produktmanagerin hätte ich das Produkt schon lange und unauffällig
umbenannt.» Dies sei weder eine Einschränkung der Meinungsfreiheit noch
eine Bevormundung durch Political Correctness.
Lage normalisiert
Das umstrittene Dubler-Produkt sorgte für wochenlange Diskussionen, die
zu Solidaritätskäufen führten. Dadurch war die Süssspeise zeitweise fast
überall ausverkauft. Gemäss «20 Minuten» wird in Bern das Produkt noch
in einem Emmi-Outlet-Store in Ostermundigen angeboten. Die Überzeiten
sind für Firmenchef Robert Dubler somit zu Ende. «Die Lage hat sich
wieder normalisiert.»
(https://www.derbund.ch/nicht-alle-nehmen-die-mohrenkoepfe-aus-dem-regal-592984201071)
+++RECHTSEXTREMISMUS
Kleiner antifaschistischer Rückblick aus der Region Ostschweiz 2017-2020
Wir haben diverse Informationen über rechtsextreme Aktivitäten in der
Region Ostschweiz zusammen getragen. Viele der Informationen wurden uns
an unsere E-Mailadresse antifaostschweiz(a)immerda.ch geschickt. Dafür
bedanken wir uns herzlich und hoffen ihr haltet uns weiter auf dem
Laufenden. Falls ihr noch etwas zu ergänzen habt, schreibt uns einfach.
Wir können nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben.
Wir haben daraus nachfolgend eine kleine Übersicht erstellt, wo und wie
Rechtsextreme in Erscheinung treten und wie ihnen begegnet wird. Sie
soll uns daran erinnern, dass Antifaschismus immer wichtig ist. Und sie
soll gerne auch inspirieren antifaschistisch zu handeln und dem
Faschismus entgegen zu treten.
https://barrikade.info/article/3681
Warum Twitter Martin Sellner rauswirft – und die FPÖ dagegen protestiert
Immer mehr soziale Medien geben den Identitären keine Bühne mehr. Damit
werden sie von ihrer Basis getrennt und ihr Aktionsradius erheblich
eingeschränkt
https://www.derstandard.at/story/2000118671987/warum-twitter-martin-sellner-rauswirft-und-die-fpoe-dagegen-protestiert?ref=rss
Der „Große Rauswurf“: Rechtsextreme Identitäre nun auch bei Youtube gesperrt
Sellner verliert wichtige Einnahmequelle – Google folgt Facebook und Twitter
https://www.derstandard.at/story/2000118695556/identitaere-nun-auch-bei-youtube-gesperrt?ref=article
-> https://www.spiegel.de/netzwelt/web/youtube-sperrt-konten-der-rechtsextremen-identitaeren-bewegung-a-a8487c3c-05ff-44b3-87e4-0997d5e8a3ab
-> https://www.heise.de/news/Auch-Youtube-sperrt-Konten-von-Identitaeren-4843510.html
-> https://www.nau.ch/news/europa/youtube-sperrt-konten-von-rechtsextremen-identitaren-65743531
-> https://www.zeit.de/digital/internet/2020-07/rechtsextremismus-identitaere-bewegung-youtube-sperrung-konten
+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Nach BAG-Warnung: Links auf Maskengegner-Flyer plötzlich ungültig
Wer am Wochenende einen Anti-Maskenpflicht-Flyer erhalten hat und nun
die QR-Codes scannt, landet auf Google. Dies nach Einschreiten des BAG.
Zufall?
https://www.nau.ch/news/schweiz/nach-bag-warnung-links-auf-maskengegner-flyer-plotzlich-ungultig-65743294
«Stasi in der Schweiz» – Facebook-Gruppe greift «Blick» an und flyert gegen Maskenpflicht
Wegen Fotos von ÖV-Passagieren ohne Maske wirft die «StayAwake»-Bewegung
dem «Blick» Stasi-Methoden vor. Mitglieder der Facebook-Gruppe kämpfen
ausserdem mit einem Flyer gegen die Maskenpflicht – und berufen sich
dabei auf fragwürdige Quellen.
https://www.watson.ch/schweiz/coronavirus/440758745-coronavirus-facebook-gruppe-verteilt-fake-flyer-gegen-maskenpflicht
-> https://www.blick.ch/news/politik/bag-warnt-vor-fake-news-die-masken-mythen-im-faktencheck-id15987770.html
Podcast: Existiert die Stadt Bielefeld gar nicht?
1994 verbreiten Studenten die Verschwörungstheorie, dass es die deutsche
Stadt nicht gibt. Die Fake Busters wissen, was dahinter steckt.
Bielefeld? Das gibt es doch gar nicht! Dieser Satz hat sich in die Köpfe
vieler Verschwörungstheoretiker gebrannt und ist auch für jene gängig,
die sich gerne einen Spaß daraus machen. Dort wo sich auf der Landkarte
die deutsche Stadt Bielefeld befinden sollte, müsste eigentlich ein
weißer Fleck sein. Die Stadt soll es in Wirklichkeit nämlich gar nicht
geben. Das besagt zumindest eine knapp 25 Jahre alte
Verschwörungstheorie.
https://kurier.at/podcasts/fakebusters/podcast-existiert-die-stadt-bielefeld-gar-nicht/400967639?utm_medium=Social&utm_source=Twitter#Echobox=1594724187
+++HISTORY
Zur richtigen Zeit
Gord Hills Comicband »Antifa. Hundert Jahre Widerstand« trotz Schwächen gelungene Einführung, die visueller Hymne gleichkommt
https://www.jungewelt.de/artikel/382278.gord-hills-antifacomic-zur-richtigen-zeit.html
Junkie Communism
No one is disposable.
In November of 1970, the Young Lords and the Black Panther Party seized a
section of Lincoln Hospital, establishing the first drug detox program
in the South Bronx, the center of the city’s heroin epidemic. The
“People’s Detox” operated out of the old nurses’ residence under a
coalition of Black and Puerto Rican left nationalists, socialists, and
radical medical workers. Influenced by the psychological work of Frantz
Fanon, they saw revolutionary political education as essential for
overcoming drug addiction. Mutulu Shakur, Vicente “Panama” Alba, Cleo
Silvers, Dr. Richard Taft, and others who ran the program innovated the
use of acupuncture as a drug treatment modality in the US, a practice
that has since become institutionalized and widespread. They won city
funding for the detox program in 1971. They continued to run it until
the police raided the detox facility in 1978, expelling the
revolutionary leadership. These years were peak periods of political
organizing for the Bronx, as well as the years that HIV — still unnamed
and unnoticed by medical authorities — first started to claim the lives
of injection drug users.
https://communemag.com/junkie-communism/
-> https://renverse.co/analyses/article/junkie-communism-2685
—
derbund.ch 14.07.2020
Vernichtete Geschichte: Heimkinder wollen ihr verbotenes Buch zurück
Eine historische Arbeit über ein Könizer Kinderheim sorgt für Ärger: Ein
ehemaliger Heimleiter lässt die Auflage einstampfen, die ehemaligen
Zöglinge sind empört und die Historiker sagen: «Sehr bedenklich».
Naomi Jones, Selina Grossrieder
«Jetzt müssen wir etwas machen», sagte sich Heinz Kräuchi und startete
eine Onlinepetition. Er und eine lose Gruppe von ehemaligen Zöglingen
des mittlerweile geschlossenen Knabenheims Auf der Grube in Niederwangen
wollen «ihr» Buch zurück, das Opfer eines Rechtsstreits wurde. Sie
verlangen, dass ein vor Jahren rechtlich erstrittenes Verbot des Buchs
«Gruebe» aufgehoben wird. Bereits über 150 Personen haben die
Onlinepetition unterzeichnet und kommentiert.
Im 2013 publizierten Buch arbeitete der Journalist und Autor Fredi Lerch
im Auftrag des damaligen Stiftungsrats der Institution deren Geschichte
auf.
«Uns gewidmet»
Das passte Hans-Peter Hofer überhaupt nicht. Der zweitletzte Heimleiter,
der die Institution Anfang des Jahrtausends fünf Jahre lang leitete,
klagte gegen den Autor und die Auftraggeber. Er sah sich und seine Rolle
als Heimleiter im Buch falsch dargestellt. Im Februar 2017 erreichte er
eine gerichtliche Vereinbarung bei der Schlichtungsbehörde
Bern-Mittelland, in der sich der Autor, der Verlag und die Herausgeberin
verpflichteten, das Buch nicht weiterzuverbreiten. Hofer selbst
vernichtete die verbliebenen 2500 Exemplare, wie die «Berner Zeitung»
nun berichtete. Auch eine dazugehörende Website mit digitalisierten
Jahresberichten aus der 188-jährigen Geschichte der Institution ist
nicht mehr erreichbar.
«Das trifft mich und uns alle persönlich», sagt Heinz Kräuchi. Denn er
und andere Betroffene seien zum Verbot des Buchs nicht befragt worden.
Weder von Hofer noch von der Schlichtungsbehörde. «Aber das Buch ist uns
gewidmet.» Für Heinz Kräuchi bedeutet das Buch das «Ende der
Stigmatisierung von uns Heimkindern» und der Beginn einer Reihe «von
Dingen, die gut für uns waren». So habe er zum Beispiel erst nach
Erscheinen des «Gruebe»-Buchs Zugang zu seinen Akten erhalten. Zuvor
habe ihm die Amtsvormundschaft den Einblick zweimal verwehrt, obwohl er
ein Recht darauf gehabt hätte. Kräuchi ist heute Fachmann für
Kinderbetreuung in einer sozial- und heilpädagogischen Institution. Als
Kind lebte der 57-Jährige im Heim in Niederwangen. «Wir möchten das Buch
wieder bestellen können.»
Der ehemalige Heimleiter Hofer ist heute pensioniert. Er sagt: «Eine
Anerkennung des erlittenen Unrechts darf nicht auf der Basis von neuem
Unrecht gemacht werden.» Die Darstellung seiner Zeit als Heimleiter im
Buch sei rufschädigend, vom Autor sei er nie kontaktiert worden. Lerch
wertete vor allem schriftliche Quellen wie Jahresberichte, Protokolle,
Festschriften oder Zeitungsartikel aus.
Hofer zeigt gleichwohl Verständnis für Kräuchi und seine Freunde. Gegen
die Petition will er sich nicht wehren. Dass Kräuchi, der vor Hofers Ära
auf der Grube war, die Verhältnisse im Buch als richtig dargestellt
wahrnimmt, lässt der ehemalige Heimleiter gelten.
«Wissenschaftlich bedenklich»
Die Historikerin Tanja Rietmann von der Universität Bern findet die
Vernichtung des Buchs «aus wissenschaftlicher Sicht sehr bedenklich».
Sie hat Lerchs Buch in der «Berner Zeitschrift für Geschichte»
besprochen. Das Verbot sei ein massiver Eingriff in die Aufarbeitung der
Geschichte fürsorgerischer Zwangsmassnahmen.
Rückblickend findet sie, die Geschichtswissenschaften hätten den Autor
und die Herausgeber stärker unterstützen sollen. Sie ist überzeugt, dass
das Buch aus fachlicher Sicht nicht hätte verboten werden können. Dies
umso mehr, als Hofer in dem Buch eher als Randfigur vorkomme. «Die
Zerstörung des Buchs ist ein Affront gegen die Heimkinder», sagt sie.
Urs Germann, Historiker und Co-Redaktor der unabhängigen
Expertenkommission administrative Versorgungen, sagt: Es sei zwar
verständlich, dass Hofer die Zeit, in der er Heimleiter war, anders
interpretiere als die Autoren des Buchs. Das komme im Zusammenhang mit
der administrativen Versorgung ab und zu vor. «Aber man sollte die
unterschiedliche Interpretation öffentlich und differenziert klären.»
Dass deswegen jemand gleich ein Buch verbieten lasse, habe es bisher
noch nicht gegeben. «Es ist, als würde jemand wortwörtlich versuchen,
unliebsame Informationen zu vernichten.»
Da die Vereinbarung, das Buch nicht weiterzuverbreiten, erst drei Jahre
nach der Veröffentlichung des Buchs unterzeichnet wurde, sei davon
auszugehen, dass es zumindest in einigen Bibliotheken noch vorhanden
sei. So gehe das Wissen nicht verloren, sagt Germann.
Autor hadert mit Vergleich
Fredi Lerch, der Autor Chronik im «Gruebe»-Buch, will Hofers Vorwürfe
nicht kommentieren. «Ich finde es aber gut, dass die ehemaligen
Grubenbuben ihr Buch zurückfordern», sagt er. Denn es sei ein Dokument
geschichtlicher Aufarbeitung, nicht nur der Grube, sondern des über
lange Zeit repressiven Sozialsystems in der Schweiz. Angesichts dessen
frage er sich manchmal, ob es ein Fehler gewesen sei, den Vergleich zu
unterschreiben. «In der Grube ist viel Schweres passiert, und die
Aufarbeitung der Geschichten solcher Institutionen bleibt wichtig.»
(https://www.derbund.ch/heimkinder-wollen-ihr-buch-zurueck-357721271118)
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derbund.ch 14.07.2020
Erzwungene Fürsorge in der «Gruebe»: Ein dunkles Kapitel der Sozialgeschichte
Im ehemaligen Kinderheim in Niederwangen hielt man auch dann am
autoritären Erziehungsstil fest, als sich andere Institutionen längst
reformiert hatten.
Selina Grossrieder
Die Zeit der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen ist ein düsterer Abschnitt
der Schweizer Sozialgeschichte. Ein Beispiel dafür ist der Fall der
ehemaligen Knabenerziehungsanstalt «Gruebe» in Niederwangen. Im nun
verbotenen Buch skizziert der Historiker Fredi Lerch die 188-jährige
Geschichte der Anstalt (lesen Sie an dieser Stelle: «Heimkinder wollen
ihr Buch zurück»). Das Buch zeige ein «informatives und eindringliches
Bild der Geschichte und der aktuellen Gegenwart», wie die Historikerin
Tanja Rietmann in ihrer Rezension schrieb.
Alles begann vor mehr als 200 Jahren, als Mitglieder der pietistischen
Erweckungsbewegung die Anstalt für «arme verlassene Kinder und Waisen»
gründeten. Sie sollte der damals weit verbreiteten Armut entgegenwirken
und die Kinder mit Feldarbeit zu «gutmütigen Armen erziehen».
Im 19. Jahrhundert änderte sich die Philosophie der Kinderheime, so auch
in der «Gruebe». Aufgenommen wurden nicht nur Waisen, sondern auch
«verwahrloste» Kinder aus der Unterschicht und aus Familien, die nicht
dem bürgerlichen Familienideal entsprachen.
Die Erfahrungen der Heimkinder unterschieden sich je nach Heimvorsteher
stark voneinander. Wie Lerch beschrieb, wirkten im Heim über die Jahre
«Pioniere und Pädagogen, Idealisten und Sadisten, Frömmler und Fürsten».
Eine Heimleitung mit nachhaltigem Einfluss auf die Anstalt war das
Ehepaar Paul und Lotti Bürgi-Gutknecht, die in den Jahren 1966 bis 2000
die Leitung übernahmen.
Die Hauseltern wehrten sich damals erfolgreich gegen die Kritik der
68er-Bewegung, die Anstalten als «totale Institutionen» bezeichnete und
pädagogische Reformen forderte. Prügelstrafen etwa galten in
vergleichbaren Heimen bis in die frühen Siebzigerjahre als normal,
wurden aber bald aus dem Repertoire der Disziplinarmassnahmen
gestrichen. Nicht so in der «Gruebe». Dort bestanden die Erzieher
weiterhin auf der Pädagogik aus dem 19. Jahrhundert. So hielt man 1971
im Jahresbericht des Heims fest: «Wir sind der Meinung, dass
antiautoritär keine gute Erziehung möglich ist.»
Bei den Fürsorgeämtern und Amtsvormundschaften galt Bürgis Anstalt
damals als «streng und billig» und wurde dafür geschätzt. Die
Erfahrungen der Heimkinder jedoch unterschieden sich stark vom
öffentlichen Ruf. So erheben 15 Zeugen in einer amtlichen Untersuchung
aus dem Jahr 2003 den Vorwurf, dass sie auf der Grube «körperlich
bestraft worden seien». Eine Zeugenaussage erwähnt zudem sexuelle
Übergriffe des Lehrpersonals.
Die Vorwürfe richteten sich hauptsächlich gegen einen Lehrer, der als
Sadist beschrieben wird, sowie Heimleiter Paul Bürgi und beschränken
sich auf den Zeitraum zwischen 1966 und 1990. Gleichzeitig entlastet die
Untersuchung das spätere Heimleiterpaar Hofer-Hagmann vollständig.
Die amtliche Untersuchung und der zunehmende öffentliche Druck ab der
Jahrtausendwende führten zu einer Professionalisierung des Heims. 2013
schloss die Institution, die zu diesem Zeitpunkt als Schulheim Ried
bekannt war, endgültig und fusionierte mit einer anderen Stiftung.
(https://www.derbund.ch/ein-dunkles-kapitel-der-sozialgeschichte-672997574719)
-> https://www.nzz.ch/schweiz/bern-streit-um-eingestampftes-buch-ld.1566270
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bernerzeitung.ch 13.07.2020
Verbotenes «Gruebe»-Buch: «Ich kann keine Rufschädigung erkennen»
Historikerin Tanja Rietmann kritisiert, dass das Buch über das
Knabenheim «Auf der Grube» wegen einer Vereinbarung nicht mehr
verbreitet werden darf.
Johannes Reichen
Frau Rietmann, Sie bedauern, dass das Buch «Gruebe» nicht mehr verbreitet werden darf. Warum?
Ich finde, es ist ein aussergewöhnlich gutes Buch zur Aufarbeitung einer
Heimgeschichte. Es bemüht sich ernsthaft, der Perspektive und dem
Erleben der Heimkinder Raum zu geben. Zudem schafft es einen Bezug zur
Aktualität.
Weshalb?
Weil es auch Einblicke gibt, wie Kinder heute solche Strukturen erleben.
Sie werfen dem ehemaligen Heimleiter Hans-Peter Hofer eine «verzogene Lesart» des Buchs vor. Warum?
Weil Herr Hofer nicht beschuldigt, sondern als Opfer der Strukturen dargestellt wird. Auch mit viel
Reformwillen lassen sich alte Strukturen nicht von heute auf morgen
ändern. Herr Hofer wünscht, dass seine Reformbemühungen stärker
gewürdigt werden. Dies kann man anbringen. Aber im Buch geht es um eine
fast 200-jährige Institutionengeschichte. Die Zeit von Heimleiter Hofer
wird auf fünf Seiten geschildert. Da lassen sich nicht alle Nuancen
ausleuchten. Deswegen ein Buch aus der Öffentlichkeit zu ziehen und sich
noch bei der Buchzerstörung in Szene zu setzen, ist unverhältnismässig.
Und ein Affront gegenüber den ehemaligen Heimkindern, denen das Buch
gewidmet ist.
Er kommt doch überhaupt nicht gut weg. Beispielsweise wird er als
«Heimvater» dargestellt, sein «Scheitern» wird mehrmals thematisiert.
Aber es wird auch begründet, warum er gescheitert ist. Das Scheitern
wird ihm nicht persönlich zur Last gelegt. Es wird deutlich, dass es der
noch amtierende Stiftungsrat war, der ihn verheizt hat.
Sie haben das Buch bei der Erscheinung in der «Berner Zeitschrift für
Geschichte» sehr positiv besprochen. Sie gingen sicher davon aus, dass
die Fakten stimmen.
Ich hatte und habe keinen Anlass, daran zu zweifeln.
Fredi Lerch schreibt, Hofer habe sich geweigert, die Heimleiterausbildung zu absolvieren. Aber Hofer erhielt 2002 das Diplom.
Im Sozialwesen gibt es verschiedene Arten von Ausbildungen. Entscheidend
ist: In den Augen des Kantons schien seine Ausbildung nicht ausreichend
für eine Betriebsbewilligung. Wenn das Buch tatsächlich fehlerhafte
Darstellungen enthielte, hätte es eine Palette von Möglichkeiten
gegeben, das richtigzustellen. Zum Beispiel eine Gegendarstellung oder
ein Berichtigungsvermerk.
Lerch stützte sich für seine Chronik hauptsächlich auf die
Jahresberichte. Kann man so eine fast 200-jährige Heimgeschichte
umfassend wiedergeben? Er schreibt an einer Stelle selbst,
Jahresberichte seien «immer und überall einseitige Quellen».
Was Fredi Lerch vorlegt, ist keine umfassende Heimgeschichte, er nennt
es eine «historische Skizze», die einen Umfang von etwa fünfzig Seiten
hat. Für einen solchen Abriss ist es legitim, sich auf Jahresberichte zu
beziehen. Er betreibt adäquate Quellenkritik, wenn er sagt, dass
Jahresberichte einer bestimmten Perspektive verpflichtet sind.
Das Buch entstand im Auftrag des damaligen Stiftungsrats unter dem
Präsidium von Regula Mader. Sie gehörte schon dem Stiftungsrat an, der
den Wandel laut Lerch einleitete. Handelt es sich dabei noch um ein
unabhängiges Werk?
Diese Frage kann man grundsätzlich an alle Auftragswerke stellen. In
meiner Wahrnehmung ist es ein aussergewöhnlich kritisches Werk. Es gibt
Heimgeschichten, die die eigene Vergangenheit weniger kritisch
aufarbeiten.
Ehemalige Heimkinder verlangen, dass das Buch wieder zugänglich gemacht wird. Ist das eine berechtigte Forderung?
In meinen Augen ist sie berechtigt. Das Buch leuchtet lange nicht
beachtete Schattenseiten des Schweizer Sozialstaats aus. Dieses Wissen
darf nicht wieder aus der Öffentlichkeit verschwinden. Das Buch ist den
Betroffenen von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen gewidmet. Sie haben
lange für die Anerkennung ihrer Geschichte gekämpft.
Der Verlag und der Autor haben der Vereinbarung freiwillig zugestimmt.
War das nicht ein Eingeständnis, dass tatsächlich Fehler passiert sind?
Ich denke, Fredi Lerch, der Verlag und auch die Nachfolgestiftung haben
der Vereinbarung zugestimmt, weil sie sich nicht auf einen langwierigen
und teuren Prozess einlassen wollten. Ich bin sicher, dass der Vertrieb
des Buches nicht untersagt worden wäre, hätte ein Gericht darüber
entschieden.
Warum nicht?
Weil ich weder Fehler noch eine Rufschädigung erkennen kann.
.
Tanja Rietmann ist Historikerin und an der Universität Bern tätig. Ihr
Forschungsschwerpunkt liegt bei der Geschichte der fürsorgerischen
Zwangsmassnahmen.
–
«Journal B» stellt Buch online
In zwei Artikeln berichtete diese Zeitung kürzlich über das verbotenen
«Gruebe»-Buch (lesen Sie hier Teil 1 und Teil 2). Es behandelt die
188-jährige Geschichte des Knabenheims «Auf der Grube» in Niederwangen,
das später Schulheim Ried hiess und 2013 aufgelöst wurde. 2016 klagte
der ehemalige Heimleiter Hans-Peter Hofer gegen den Verlag X-Time, die
Nachfolgestiftung des Heims sowie den Autor Fredi Lerch, der zum Buch
die Heimchronik beisteuerte. Hofer war mit der Darstellung seiner Ära,
die von 2000 bis 2005 dauerte, nicht einverstanden. In einer
Vereinbarung erklärten sich die Parteien einverstanden damit, dass das
Buch nicht weiter verbreitet, verlegt oder online zugänglich gemacht
werden darf. Die Öffentlichkeit wusste von dieser Vereinbarung nichts.
Als Reaktion wurde nun die Facebook-Gruppe «Gruebe» gegründet, deren
Ziel es ist, dass das Buch wieder zugänglich gemacht wird. Im Namen
ehemaliger «Gruebebuebe» lancierte Heinz Kräuchi dafür eine
Onlinepetition, die er beim Gericht einreichen will. «Hofer hätte besser
nicht in ein Wespennest gestochen», schreibt er in einer Mitteilung. Er
wirft Hofer «Eitelkeit» vor. Der Heimleiter sei nicht der Reformator
gewesen, «für den er sich hält». Und die fehlende Ausbildung «hätte er
ohne weiteres nachholen können», so Kräuchi.
Auch das Onlineportal «Journal B» reagierte auf die beiden Artikel.
Willi Egloff, Anwalt und Vorstandsmitglied des Trägervereins,
veröffentlichte einen Text mit dem Titel «Schmutzwasser aus der Gruebe».
Hofer attackiere Lerch und scheine nicht verkraftet zu haben, dass das
Arbeitsverhältnis 2005 aufgrund seiner fehlenden Qualifikationen
aufgelöst worden sei. Mit seinem Rundumschlag in der «Berner Zeitung»
rühre er «ein weiteres Mal im abgestandenen Wasser seiner
Gruebe-Vergangenheit», so Egloff.
Es sei höchst befremdlich, dass die noch vorhandenen Exemplare des
Buches um eines vermeintlichen privaten Friedens willen vernichtet
worden seien. Anders als die «Berner Zeitung» schreibe, sei das Buch
nicht gerichtlich verboten worden – tatsächlich handelt es sich nicht um
einen Gerichtsentscheid, sondern um eine Vereinbarung, die zum Verbot
führte. «Journal B» findet weiter, es bestehe ein öffentliches Interesse
am Buch, und stellte es deshalb Ende Woche als PDF auf seine Website –
samt der Passagen, die Fredi Lerch auf seiner eigenen Website gemäss der
Vereinbarung einschwärzen musste. Lerch war früher bei «Journal B»
angestellt und schreibt regelmässig für das Portal. (rei)
(https://www.bernerzeitung.ch/ich-kann-keine-rufschaedigung-erkennen-851195980566)
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Kommentar: Die Zerstörung eines Buches
Mit grossem Unbehagen habe ich in zwei gross aufgemachten Artikeln in
der «BZ» vom 4. und 7. Juli 2020 von der Zerstörung des Buches über das
ehemalige Berner Kinderheim «Gruebe» erfahren.
http://www.journal-b.ch/de/082013/kultur/3650/Kommentar-Die-Zerst%C3%B6rung-eines-Buches.htm
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Schmutzwasser aus der «Gruebe»
Das «Knabenheim auf der Grube», zuletzt unter dem Titel «Schulheim Ried»
betrieben, ist 2013 geschlossen worden. Ein früherer Leiter des Heimes
polemisiert in der «BZ» gegen ein Buch über die 188jährige Geschichte
des Heimes. Dieses war vom Stiftungsrat aus Anlass der Schliessung der
Institution herausgegeben worden.
http://www.journal-b.ch/de/082013/kultur/3648/Schmutzwasser-aus-der-%C2%ABGruebe%C2%BB.htm
-> Buch als PDF: http://www.journal-b.ch/attachment/155/04%20Gruebe_Inhalt%2019.3.2013.pdf?g_download=1
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Petition: Wir ehemalige Heimkinder wollen unser Buch „Gruebe“ zurück.
https://www.openpetition.eu/ch/petition/online/wir-ehemalige-heimkinder-wollen-unser-buch-gruebe-zurueck
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tagblatt.ch 14.07.2020
Vor 30 Jahren herrschten dramatische Zustände in Wil: Die Jugend ging für die Kultur auf die Strasse
Eine Gruppe junger Leute, die «Kulturlöwen», forderten in den
80er-Jahren eine Stätte für Alternativkultur. Fündig wurden sie in einem
Schuppen, der von einer Baufirma als Lager genutzt wurde. Heute ist der
Gare de Lion eine etablierte Kulturinstitution.
Adrian Zeller
In den 80er-Jahren herrschte in der Schweiz im kulturellen Bereich
Aufbruchstimmung. Unter dem Slogan «Züri brännt» kam es in Zürich
mehrfach zu Scharmützeln zwischen Demonstranten und der Polizei.
Auch in Wil forderte eine Gruppe junger Leute eine Stätte, die für alle
Formen der Kultur offen sein sollte, vor allem auch für
Alternativkultur. Sie nannten sich «Kulturlöwen». Nach dem Abriss der
Musigbeiz Dufour waren sie heimatlos geworden. Als geeignete
Liegenschaft erkannten sie das stillgelegte Depot der Brauerei Löwenbräu
auf dem Bleichplatz, daher der Name Kulturlöwen.
Eskalation im letzten Moment verhindert
Das damalige Stadtparlament lehnte 1986 den entsprechenden Antrag ab und
beschloss den Abbruch des markanten Backsteingebäudes. Heute sind dort
Parkplätze angelegt. Für die Kulturleute war dies ein Affront. Als neue
Lösung wurde der benachbarte Garagentrakt an der Haldenstrasse, die
sogenannten Stallungen, ins Auge gefasst. Gegen den Kreditbeschluss des
Parlaments wurde jedoch das Referendum ergriffen. Die Wiler
Stimmberechtigten lehnten die Vorlage mehrheitlich ab.
Bei den Kulturlöwen machte sich in der Folge Unmut und Frustration
breit. 1988 wurden diese Garagen von jungen Leuten besetzt. Um weitere
Eskalationen zu verhindern, suchte der damalige Stadtpräsident Hans
Wechsler (CVP) vor Ort das Gespräch mit den Protestierenden.
Er konnte sie besänftigen. Die Gruppe der Kulturlöwen und die
Stadtregierung blieben im Dialog. Man suchte nach Lösungen bezüglich
Kulturräumen, der Hof sowie ein Pavillon wurden als mögliche Standorte
diskutiert. Beide Ideen wurden jedoch nicht realisiert. Auf der Suche
nach einer geeigneten Liegenschaft wurde der Musiker und Videokünstler
Renato Müller in der Nähe des markanten Silos fündig.
Bahnschuppen als Zufallsfund
Ein ehemaliger Schuppen der ehemaligen Mittel-Thurgau-Bahn (MThB) wurde
von einer Baufirma als Lager genutzt. Die Stadt Wil mietete dieses
Gebäude und vermietete es ihrerseits an den Verein Kulturlöwe.
Mietbeginn war der 1. März 1989. Die Baumfirma erhielt ein Ersatzlager
zugewiesen.
Mit Idealismus, Goodwill und Fronarbeit wurde der Schuppen zu einem
Konzertlokal mit Bar umgebaut. Ab 2008 mutierte die ehemaligen Remise
zum Gare de Lion. Heute ist er eine etablierte Kulturinstitution mit
überregionaler Ausstrahlung.
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/wil/vor-30-jahren-herrschten-dramatische-zustaende-in-wil-die-jugend-ging-fuer-die-kultur-auf-die-strasse-ld.1238147)