Medienspiegel 30. September 2019

+++BERN
(FB Perspektive bauen – Solidarität mit Rojava)

Spontankundgebung gegen die mörderische Flüchtlingspolitik

Nach dem tödlichen Brand und einem äusserst brutalen Polizeieinsatz solidarisierten sich heute Abend rund 150 Personen mit den Menschen im Moria Camp. Nach einigen Reden, einer Schweigeminute für die im Feuer umgekommenen und einem Beitrag eines Helfers direkt aus Lesbos formierte sich ein lautstarker Demozug durch die Stadt Bern. Rund 600 Flyer konnten verteilt werden und es folgten noch Redebeiträge. Die Europäische Abschottungspolitik geht uns alle etwas an, die Stimmen jener, die mit einer rassistischen Politik zum Schweigen gebracht werden sollen, müssen weitertragen werden.

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Die Flüchtlingspolitik tötet

Am 24. August 2019 wurde nach einem Zwischenfall in der Sicherheitszone beim Camp Moria ein 15 jähriger unbegleiteter Minderjähriger getötet und ein weiterer schwer verletzt. Einige Tage später am 4. Sept. 2019 protestierten Jugendliche aus dem Camp Moria gegen die Festhaltung im Camp und die Bedingungen, denen sie ausgesetzt sind. Mit dem Protest wollten sie erwirken, dass sie auf das Festland verlegt werden. Die Polizei eskalierte die Situation und warf Tränengas in das überfüllte Camp, was zu einer Massenpanik führte im Rahmen derer mehrere Menschen verletzt wurden. Das Camp Moria ist auf 3500 Menschen ausgelegt und ist zurzeit mit bis zu fast 13’000 Menschen massiv überbelegt.

Gestern kam es im Camp Moria erneut zu einer Katastrophe. Dadurch, dass es nun auch in Lesbos in den Nächten kälter wird, werden die Wohncontainer beheizt. Auch die Menschen, die ausserhalb des Camps in den Olivenhainen leben versuchen sich und ihre Familien warm zu halten. Dies führte gestern zu zwei Feuer- Im Camp Moria und ausserhalb in den Oliven Heinen. Die Menschen aus dem überfüllten Camp Moria konnten nicht rechtzeitig evakuiert werden. Zudem wurden die Fluchtwege des Camps durch die Polizei gesperrt, da diese eine Massenflucht verhindern wollten. Die, die flüchten wollten wurden durch Schlagstöcke, Tränengas und Blendgranaten der griechischen Polizei daran gehindert. Sechs Wohncontainer brannten komplett nieder. Mindestens eine Frau mit ihrem neugeborenen Kind verloren in den Flammen ihre Leben, zahlreiche wurden verletzt.

Wahlen in Griechenland

Seit den Wahlen im Juli regiert in Griechenland wieder die rechte Partei Nea Dimokratia. Ihr Führer Mitsotakus versprach bereits vor den Wahlen hart gegen Migrant*innen und Anarchist*innen vorzugehen. So kam es dann auch, seit Mitte August wird das anarchistische und Migrant*innen-freundliche Quartier Exarchia von der Polizei belagert. Es kommt immer wieder zu brutalen Übergriffe und Räumungen von besetzen Häusern. Die Strategie des Staates und der Polizei ist klar. Exarchia soll „gesäubert“ werden um besser vermarktet werden zu können. Die dort lebenden Menschen werden verdrängt, umgesiedelt und eingesperrt.

So wurden bereits mehrere migrantische Squats geräumt. Mehrere hundert Migrant*innen, darunter viele Kinder, wurden verschleppt und weit außerhalb der Stadt in geschlossene Asylcamps gebracht. Exarchia wird mit Riotpolizisten belagert.

Jedoch gibt es auch einen grossen Widerstand aus und um das prekarisierte, anarchistisch, migrantische Quartier. So wurde z.B. am 27.9. von einer bewaffneten Anarchistischen Gruppe eine Aktion gegen die militärisch aufgestellte Polizei im viertel durchgeführt. Es kommt zu vielen Demos und auch weiteren direkten Aktionen gegen staatliche und wirtschaftliche Einrichtungen in ganz Athen.

Unsere Solidarität ist wichtig, denn Plätze wie Exarchia bieten nicht nur direkten Schutz und Lebensperspektive für Migrant*innen, sie sind auch eine gelebte Alternative zu einem immer brutaler werdenden kapitalistischen System! Kämpfen wir um unsere Plätze, Häuser, Quartiere!

Die Flüchtlingspolitik tötet. Unsere Gedanken und unsere Solidarität gilt den Flüchtlingen in den Camps und anderswo auf der ganzen Welt.
(https://www.facebook.com/perspektiven.bauen/posts/2999847100031148)
-> https://www.openeyes.ch/single-post/2019/09/30/Spontankundgebung-gegen-die-m%C3%B6rderische-Fl%C3%BCchtlingspolitik



(FB Perspektive bauen – Solidarität mit Rojava)
Spontandemo nach dem Feuer im Flüchtlingscamp Moria.
Seit Jahren beklagen geflüchtete Menschen, Menschenrechtsorganisationen und Aktivist*innen die katastrophale Lage auf Lesbos. Tausende von geflüchteten Menschen werden in Camps gepfercht, welche für viel weniger Menschen ausgelegt sind.
Heute Nachmittag ist es im Camp Moria auf der griecheischen Insel Lesbos zum grossen Brand gekommen. Dabei verloren mehrere Menschen ihr Leben.
Dies ist kein Unglück sonder ein vorhersebares Ereigniss, eine Folge der mieserablen Bedingungen und der griechischen bzw. europäischen Flüchtlingspolitik. Die Menschen sind ermordet worden, wie es unzählige Menschen im Mittelmeer, auf der Balkanroute, in lybischen Knästen oder auf dem Weg durch die Sahara ergeht.
Schauen wir nicht länger zu. Zeigen wir unsere Solidarität und erheben unsere Stimme gegen diese Verbrechen!
Kommt zur Sponti: Montag 30.9. um 19Uhr auf dem Bahnhofplatz Bern
 (https://www.facebook.com/perspektiven.bauen/posts/2997968556885669)


+++GENF
Le Mouvement érythréen de Genève appelle à manifester
Le Mouvement érythréen de Genève appelle à un rassemblement de solidarité avec les personnes sur les routes de l’exil, bloquées en Libye, aux portes de l’Europe. Rendez-vous le vendredi 4 octobre 2019 de 12h à 16h à la Place des Nations, Genève.
https://renverse.co/Le-Mouvement-erythreen-de-Geneve-appelle-a-manifester-2215


+++SOLOTHURN
tagesanzeiger.ch 30.09.2019

Er will bleiben und muss gehen

Abdulatif Ibrahim muss nach Äthiopien zurückkehren. Arbeitgeber, Betreuer und der Asylvorsteher in Härkingen SO sind frustriert.

Tim Wirth

Seine Einzimmerwohnung bezahlt er selbst. Und wenn Abdulatif Ibrahim Ende Monat den Briefkasten leert, dann fischt er keine Zahlungsbestätigung des Sozialamts raus, sondern einen Lohnabrechnung der Firma Mungo, in der er Dübel verpackt, fünf Tage die Woche. Abdulatif Ibrahim – das ist ein 21-jähriger Migrant aus Äthiopien, der den Staat nichts mehr kostet und der angekommen ist in Härkingen im Kanton ­Solothurn, dieser Gemeinde mit gut 1500 Einwohnern, die wegen ihres Autobahnkreuzes ein Stammgast in den Staumeldungen ist.

Anfang August erhält Ibrahim einen Brief aus Bern, Absender: Staatssekretariat für Migration (SEM). Es schreibt: «Ihr Asylgesuch wurde abgelehnt. Sie sind verpflichtet, die Schweiz zu ver­lassen.» Am Tag danach fährt der junge Mann wie jeden Morgen mit dem Bus nach Olten zur Arbeit. Er erzählt seinem Chef vom Brief, Reto Pfister, Produktionsleiter bei Mungo, der ihn eingestellt hat. Pfister trommelt in der Pause die Mitarbeiter zusammen und sagt: «Abdulatif muss gehen. Wir hoffen für ihn.»

Fester Job, eigene Wohnung, ge­brochenes Deutsch – bei Ibrahim würde man von geglückter Integration sprechen. Warum muss er trotzdem gehen?

4000 Franken – wenn er geht

Alles, was er sich hier in Härkingen erarbeitet hat, spielt beim Asylentscheid keine Rolle. Alles, was zählt, ist die Situation in Äthiopien. Die Lage dort habe sich stabilisiert, sagt das SEM. Es sei nicht davon auszugehen, dass Ibrahim bei einer Rückkehr inhaftiert oder unmenschlich behandelt werde.

Anfang Jahr hat die Schweiz mit Äthiopien eine Vereinbarung unterschrieben, Asylsuchende können seither wieder nach Äthiopien zurück­geschickt werden. Zuvor war dies jahrelang praktisch unmöglich. Die Schweiz organisiert den Flug, sie zahlt 1000 Franken Rückkehrhilfe am Flughafen in der Schweiz und noch einmal 3000 Franken, wenn die Abgewiesenen in Addis Abeba landen – sozusagen als Startkapital für ein neues Leben in der alten Heimat.

Achtzehn Äthiopier haben die Schweiz in diesem Jahr bereits freiwillig verlassen, drei wurden gezwungen, einige sind untergetaucht.

Für das SEM ist Abdulatif Ibrahim ein Asylsuchender mit N-Ausweis. Wenn André Grolimund über ihn und die anderen Asylsuchenden in Härkingen spricht, sagt er «unsere Jungs». Grolimund ist der stellvertretende Gemeindepräsident und Ressortchef Asylwesen in Härkingen. Er vertritt die Freie Liste, politisch irgendwo in der Mitte, aber das sei im Gemeinderat sowieso nicht wichtig. Grolimund ist einer, der straffällige Asylbewerber sofort ausschaffen würde. Eine harte Hand im Asylwesen findet er nötig. Und trotzdem kann er nicht verstehen, dass gut integrierte Migranten wie Abdulatif Ibrahim Härkingen verlassen müssen.

«Wir schicken unsere Jungs in Dutzende Deutschkurse, helfen ihnen bei der Stellensuche und richten ihre Wohnung ein. Dann müssen sie zurück, und alles war für nichts.» Er ist frustriert, fühlt sich ohnmächtig, wie in einem falschen Film. Was bringt Abdulatif Ibrahim die deutsche Sprache in der äthiopischen Pampa? Schicken wir die Richtigen zurück? Wieso die ganze Integration? Solche Fragen stellt sich André Grolimund.

Für ihn ist klar: Mit den Asylsuchenden, die hier sind, muss Härkingen das Beste machen. Er nimmt sie mit zum ­lokalen Fussballclub, wo er selbst Vereinsmitglied ist, weil er will, dass sie hier ankommen.

Doch Grolimund zweifelt, ob der finanzielle, personelle und vor allem emotionale Integrationsaufwand der Schweiz etwas bringt. Firmen, die Asylsuchende einstellen, wissen nicht, ob ihre Mitarbeiter plötzlich ausgewiesen werden. Und Vermieter finden ihre Wohnungen vom einen auf den anderen Tag leer vor. Das sei unbefriedigend. Für alle.

Er hat Beschwerde eingereicht

Abdulatif Ibrahim bleibt noch eine letzte Chance. Er hat eine Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht. Die Rechtsberatung des Hilfswerks der evangelischen Kirchen Heks hilft ihm dabei. Ibrahim bat seinen Chef Reto Pfister um ein Zwischenzeugnis. Zuverlässig und belastbar sei er, heisst es dort. Mündlich sagt Pfister es dann so: «Der junge Mann macht einen guten Job, gopferdelli!»

Hat er nichts zu tun, organisiert er sich selbst seinen nächsten Auftrag, versteht er nichts, fragt er nach, auf Deutsch, obwohl er nur gebrochen spricht. Erst einmal sei sein Mitarbeiter krank gewesen. «Da hat er mir schon um vier Uhr in der Nacht eine Nachricht geschickt», sagt Pfister. Das schätze er.

Migranten, die auf ihren Asylentscheid warten, dürfen nach drei Monaten Aufenthalt in der Schweiz arbeiten, wenn sie eine Bewilligung erhalten. Zuerst war Abdulatif Ibrahim bei Mungo Praktikant, er hängte sich rein, interessierte sich für die Dübel. Dann wurde eine Stelle frei. Wieso ausschreiben, wenn der perfekte Mann dasteht? Und schon war er angestellt: Mitarbeiter in der Handpackerei, von seinem Team ­geschätzt. Wenn alle am Freitag im ­Mövenpick-Restaurant essen oder zusammen Bowling spielen, ist Abdulatif Ibrahim immer dabei.

«Seit er arbeitet und in seiner eigenen Wohnung wohnt, hat er einen riesigen Gump gemacht», sagt Renate Dennler, die Abdulatif von der Gemeinde aus betreut, seit er in Härkingen angekommen ist. Er sei heute nicht mehr so scheu, nicht mehr so misstrauisch und auch viel selbstständiger. Jeden Donnerstag geht Renate Dennler bei ihm vorbei. Mal hilft sie bei Rechnungen, mal bringt sie Neocitran, meistens braucht er keine Hilfe mehr.

Abdulatif Ibrahim hat ihr auch schon Bilder von Äthiopien gezeigt. Dort, wo er wohnte, seien keine Häuser, nicht mal Zelte, sagt Dennler. Doch sie weiss auch: Von Härkingen aus kann sie die Lage nicht beurteilen. Sie weiss nur, dass Ibrahim immer alles darangegeben hat, sich hier einzuleben.

Ibrahim sagt, er sei im Jahr 2016 aus Äthiopien in die Schweiz geflohen, weil er von der Regierung unterdrückt wurde. Sein Vater sei von Funktionären ­abgeholt und umgebracht worden, sein Bruder bei einer Demonstration ge­tötet. Er selbst habe auch an Protesten teil­genommen und sei dann verhaftet ­worden. Doch ihm erging es besser. Mit anderen Häftlingen konnte er ein Tor aufbrechen und flüchten. Ein Freund des Vaters half bei der Ausreise. Schlepper brachten ihn über den Sudan, Ägypten und Italien in die Schweiz.

Untergetaucht

Die Rückführungen nach Äthiopien verliefen immer noch zu langsam, lässt das SEM verlauten. 328 Äthiopierinnen und Äthiopier, deren Ausweisung rechts­kräftig ist, sind noch immer hier. Seit diesem Sommer arbeitet ein Rückkehrspezialist auf der Schweizer Botschaft in Addis Abeba. Er soll helfen, den Prozess zu beschleunigen.

Abdulatif Ibrahims Asylgesuch wird nach dem alten Gesetz bearbeitet. Bei allen Migranten, die nach diesem März in die Schweiz gekommen sind, gilt das beschleunigte Asylverfahren. So werden die Asylsuchenden in der Regel gar nicht mehr auf Gemeinden verteilt. Innerhalb von maximal 140 Tagen wird das Verfahren in Bundesasylzentren durch­geführt. Im Vergleich zu vorher sollen die Asylsuchenden so rascher wissen, ob sie bleiben können.

Bis das Gericht seine Beschwerde bearbeitet hat, darf Abdulatif Ibrahim in der Schweiz bleiben. Wie lange die Bearbeitung geht, ist unklar. Erfahrungsgemäss kann das Wochen oder Monate dauern.

Dass Ibrahim überhaupt nach Hause geht, glaubt André Grolimund nicht: «Niemals wird er mit den Koffern an der Bushaltestelle in Härkingen stehen und dann gemütlich in den Linienflug nach Äthiopien steigen.» Ein anderer Asylbewerber, der lange in Härkingen war, sei untergetaucht, als das Datum seiner Abreise feststand. Einige Kleider habe er in der Wohnung zurück­gelassen. Wo bist du? Was ist los? Keine Antwort. Alles für nichts.



Das beschleunigte Asylverfahren

Menschen, die nicht auf Schutz angewiesen sind, sollen die Schweiz rasch wieder verlassen. Dafür soll die Integration bei jenen Personen früher einsetzen, die dauerhaft hier bleiben dürfen. Dieses Ziel verfolgt die Schweiz mit dem revidierten Asylgesetz, das seit vergangenem März in Kraft ist. Zwei Drittel der Stimmbevölkerung haben es 2016 angenommen. In 140 Tagen werden die meisten Asyl­verfahren in einem Bundesasylzentrum abgeschlossen. Die Asylsuchenden werden nur noch auf die Kantone verteilt, wenn weitere Abklärungen nötig sind. (tiw)
(https://www.tagesanzeiger.ch/er-will-bleiben-und-muss-gehen/story/23370875)


+++SCHWEIZ
tagesanzeiger.ch 30.09.2019

 «Ich wusste nur, wie man die Kamera einschaltet – mehr nicht»

Der Zürcher Regiedebütant Lorenz Nufer hat einen Dokfilm gedreht über Schweizer, die Flüchtlingen helfen. Er erzählt, warum er gar nicht anders konnte.

Ev Manz

«Es fühlt sich an wie ein wundersames künstlerisches Nachhausekommen: Mein Debüt als Co-Filmregisseur wird derzeit am Zürcher Filmfestival gezeigt. Wir haben unseren Film Volunteer auch an anderen Festivals eingegeben. Dass er nun ausgerechnet in Zürich erstmals in einem Wettbewerb läuft, freut mich ungemein. Es ist die Stadt, in deren Altstadt ich aufgewachsen bin und in der ich die Mittelschule besucht habe. Für die Schauspielausbildung in Berlin habe ich Zürich vor zwanzig Jahren den Rücken gekehrt. Seither habe ich in Deutschland und Basel meinen Arbeits- und Lebensmittelpunkt als Schauspieler und Regisseur.

Eigentlich war unser Film gar nicht so angedacht. Mir ist wichtig zu erwähnen, dass ich den Film zusammen mit Anna Thommen produziert habe. Anna schien mir für das Projekt die ideale Partnerin, war sie doch mit Neuland, einem Film über Migranten in einer Basler Integrationsklasse, 2013 äusserst erfolgreich gewesen. Gemeinsam wollten wir nun einen Kurzdoku über die Schweizer drehen, die während der Flüchtlingswelle in Griechenland und auf der Balkanroute freiwillig halfen. Das Material sollte mir später für ein Theaterstück dienen. Wir fuhren gerade zu unserem ersten Drehtag für den Kurzfilm, da sagte Anna auf dem Beifahrersitz zu mir: ‹He, das ist doch eine viel grössere Geschichte. Lass uns gemeinsam einen langen Dokfilm daraus machen.›

Begonnen hatte alles mit dem Hilferuf meines Cousins Michael Räber. Er engagierte gleich zu Beginn der Flüchtlingskrise auf Lesbos und suchte freiwillige Mitstreiter aus der Verwandtschaft. Viele folgten ihm, auch meine Mutter. Seine Hilfsorganisation «schwizerchrüz» erlangte medial grosse Aufmerksamkeit. Ich fühlte mich unter Zugzwang, weil ich auch mithelfen wollte, aber wegen diverser Projekte nicht für längere Zeit ins Ausland gehen konnte.

Also engagierte ich mich auf meine Art – mit der Verarbeitung in einem Theaterstück. Dabei ging es mir nicht primär um die Flüchtlinge, sondern mehr um die Helfer. Warum gehen sie? Was macht das Gehen mit ihnen und was passiert, wenn sie in ihren Alltag zurückkehren? Fragen wie diese trieben mich um. Spannend fand ich auch, was diese Art des Helfens über unsere Gesellschaft aussagt.

Mich interessieren die echten Geschichten von Menschen, jene zwischen Schönheit und Verzweiflung. Egal, ob ich auf der Bühne stehe oder Regie führe: Ich will diese Geschichten erzählen. Deshalb habe ich wohl als erstes auch keinen Spielfilm gedreht, sondern eine Doku.

Im Film erzählen neben meinem Cousin fünf Protagonistinnen und Protagonisten über ihren Weg und ihre Beweggründe, Flüchtlingshelfer zu werden. Einer hat das Gefühl auf den Punkt gebracht: ‹Ich kann die Welt nicht verändern, aber ich kann die Welt der Menschen ­verändern.›

Mehrmals war ich auch an den neuralgischen Orten. Ich reiste nach Lesbos und Thessaloniki, in die Türkei und an die serbisch-mazedonische Grenze. Im Gepäck die Filmkamera, aber ich wusste einzig, wie man das Gerät ein- und ausschaltet, mehr nicht. Einige meiner Aufnahmen konnten wir aber doch in den Film einbauen.

Zusätzlich haben wir auf viel Fremdmaterial zurückgegriffen. Die Herausforderung war das Zusammenschneiden. Eineinhalb Jahre haben wir dafür gebraucht. Anna und ich haben uns bei all diesen Arbeiten ergänzt. Und ehrlich gesagt: Ich war richtig froh, konnte ich diesen schweren Stoff zusammen mit jemandem reflektieren.

Bei der ersten Vorstellung von Volunteer am Sonntag waren viele meiner alten Gymigspänli anwesend. Sie wollten bei meiner Rückkehr in die alte Heimat dabei sein. Das rührte mich.»

Volunteer, heute, 18.15 Uhr, Filmpodium, sowie Do, 3.10. und Sa, 5.10. (immer in Anwesenheit der Regisseure Lorenz Nufer und Anna Thommen). www.zff.com
(https://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/stadt/ich-wusste-nur-wie-man-die-kamera-einschaltet-mehr-nicht/story/25966327)

-> https://zff.com/de/archiv/20217/
-> https://www.sulacofilm.ch/portfolio-items/volunteer/
-> https://www.rts.ch/info/culture/cinema/10741332-un-film-retrace-le-bouleversant-voyage-de-suisses-aupres-des-migrants.html


+++BALKANROUTE
Desaströse Zustände in Griechenlands Lager: …dann eben wieder die Balkanroute
Griechenland ist mit der Ankunft Tausender Migranten auf den Inseln überfordert. Und immer mehr Menschen machen sich über die Balkanroute auf den Weg nach Norden: Die Flüchtlingskrise wird wieder akut.
https://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge-in-griechenland-die-balkanroute-erwacht-zum-leben-a-1289336.html


Flüchtlingslager bei Bihać: Illegale Hilfe im bosnischen Wald
In Vučjak leben die Migranten im Elend. Nun hat die Polizei von Bosnien und Herzegowina ausländische Helfer aus dem Flüchtlingslager geworfen.
https://taz.de/Fluechtlingslager-bei-Bihac/!5630745/


+++GRIECHENLAND
Flüchtlingslager auf Lesbos – «Polizei ging bei Brand mit Tränengas gegen Flüchtlinge vor»
Brand im überbelegten Lager Moria: Was genau geschah, weiss Rodothea Seralidou.
https://www.srf.ch/news/international/fluechtlingslager-auf-lesbos-polizei-ging-bei-brand-mit-traenengas-gegen-fluechtlinge-vor
-> https://www.nzz.ch/panorama/wut-und-trauer-nach-braende-mit-zwei-toten-im-fluechtlingslager-vier-antworten-zu-situation-in-moria-ld.1512237
-> https://www.proasyl.de/pressemitteilung/brandkatastrophe-in-moria/
-> https://www.tagesanzeiger.ch/panorama/vermischtes/zwei-tote-bei-brand-in-fluechtlingslager-auf-lesbos/story/10442333
-> https://www.zdf.de/nachrichten/heute/zwei-fluechtlinge-in-lager-auf-lesbos-bei-feuer-umgekommen-100.html
-> https://www.tagesschau.de/ausland/lesbos-fluechtlingslager-105.html
-> https://www.neues-deutschland.de/artikel/1126495.griechenland-zwei-tote-bei-feuer-im-fluechtlingslager-moria-auf-lesbos.html
-> https://www.neues-deutschland.de/artikel/1126500.moria-opfer-einer-moerderischen-eu-politik.html
-> https://www.nzz.ch/panorama/wut-und-trauer-nach-braende-mit-zwei-toten-im-fluechtlingslager-vier-antworten-zu-situation-in-moria-ld.1512237


+++EUROPA
Flüchtlingspolitik: Athen plant Abschiebung von 10.000 Flüchtlingen in die Türkei
Nach dem tödlichen Brand in einem Flüchtlingslager auf Lesbos trifft sich die Regierung zur Krisensitzung. Bis Ende 2020 sollen Tausende Menschen zurück in die Türkei.
https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/fluechtlingspolitik-griechenland-athen-fluechtlinge-tuerkei-rueckfuehrung
-> https://www.srf.ch/news/international/verschaerfte-migrationspolitik-griechenland-will-fluechtlinge-in-die-tuerkei-zurueckschicken
-> https://www.zdf.de/nachrichten/heute/zwei-fluechtlinge-in-lager-auf-lesbos-bei-feuer-umgekommen-100.html
-> https://www.jungewelt.de/artikel/363923.feuer-todesfalle-moria.html
-> https://ffm-online.org/tote-bei-feuer-im-fluechtlingslager-moria/
-> https://www.spiegel.de/video/lesbos-tod-im-fluechtlingslager-die-eu-traegt-eine-mitschuld-video-99030036.html


‚Inhumane‘ Frontex forced returns going unreported
The independence of Frontex’s monitoring system to make sure people are treated humanely when they are forcibly returned is in question. Efforts by some national authorities are underway to create a more credible parallel system based on transparency and scrutiny.
https://euobserver.com/migration/146090


+++RUANDA
Flüchtlinge aus Libyen evakuiert: Endlich ohne Angst
Der erste UN-Flug für in Libyen inhaftierte Migranten ist in Ruanda gelandet. 66 Eritreer, Sudanesen und Somalier waren dabei.
https://taz.de/Fluechtlinge-aus-Libyen-evakuiert/!5625429/


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Mit dem «Mahnbaum» durch Basel
Mit einer Art Totempfahl sind Freunde des verschollenen Basler Umweltaktivisten Bruno Manser am Montag durch Basel gezogen.
https://telebasel.ch/2019/09/30/mit-dem-mahnbaum-durch-basel


+++SPORTREPRESSION
Nach Misstönen am FCSG-Heimspiel: «Hüppi muss niemandem mehr beweisen, dass sein Herz grün-weiss schlägt» +++ Choreoverbot ist wieder aufgehoben
Keine Fahnen, keine Choreos, keine Anfeuerungen vom harten Kern der Anhänger: Der FC St.Gallen hat trotz des 4:0 gegen Thun ein spezielles Heimspiel hinter sich. Dabei gab es auch Missstimmung zwischen einzelnen Zuschauergruppen. Was die Stadtpolizei und der FCSG zu den jüngsten Entwicklungen sagen.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/nach-misstoenen-am-fcsg-heimspiel-hueppi-muss-niemandem-mehr-beweisen-dass-sein-herz-gruen-weiss-schlaegt-choreoverbot-ist-wieder-aufgehoben-ld.1156358
-> https://www.dieostschweiz.ch/artikel/fcsg-solange-familien-angst-haben-ist-der-softie-kurs-fehl-am-platz-NYvorwD


+++REPRESSION TÜRKEI
Türkin in der Schweiz: Auch einer Bernerin nahmen Erdogan-Beamte den Pass ab
Gestern enthüllte SonntagsBlick: Einer Türkin aus Basel wurde bei einem Besuch im türkischen Konsulat der Pass abgenommen. Warum, weiss sie nicht. Sie ist nicht die einzige Betroffene.
https://www.blick.ch/news/schweiz/tuerkin-in-der-schweiz-auch-einer-bernerin-nahmen-erdogan-beamte-den-pass-ab-id15541282.html
-> https://telebasel.ch/2019/09/30/pass-entzug-bei-basler-kurdin-das-geht-gar-nicht/?channel=105100
-> https://www.blick.ch/news/schweiz/mitten-in-der-stadt-zuerich-erdogan-beamte-nehmen-baslerin-den-pass-weg-id15540126.html


Interpol-Ersuchen aus der Türkei: Schlampigkeit des BKA bringt eigene Staatsangehörige ins Gefängnis
Zwei Deutsche sitzen auf Antrag türkischer Behörden in Slowenien und Italien in Auslieferungshaft. Beide stammen aus der Türkei, sie erhielten wegen politischer Verfolgung in Deutschland Asyl und später die Staatsbürgerschaft. Interpol hätte das Fahndungsersuchen zurückziehen müssen. Das BKA hat jedoch den Asylstatus der beiden nicht mitgeteilt.
https://netzpolitik.org/2019/interpol-ersuchen-aus-der-tuerkei-schlampigkeit-des-bka-bringt-eigene-staatsangehoerige-ins-gefaengnis/


+++BIG BROTHER
Sicherheit auf Kosten der Freiheit?
Welche Aufgaben übernimmt der Nachrichtendienst des Bundes (NDB)? Das Bild des Geheimdienstes wird oftmals durch Film und Fernsehen romantisiert. In einer Podiumsdiskussion im Kunsthaus fühlten die Gäste dem Mythos auf den Zahn.
https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/176267/


+++POLIZEI AG
Linke und Rechte zusammen gegen Polizeigesetz
Sowohl die Grünen wie auch die SVP sprechen sich gegen das neue Aargauer Polizeigesetz aus und weisen den Vorschlag der Regierung zurück.
https://www.telem1.ch/aktuell/linke-und-rechte-zusammen-gegen-polizeigesetz-135730420


+++POLIZEI DE
Eine Studie untersucht unrechtmäßige Polizeigewalt in Deutschland
Gewaltaffin in Uniform
Polizisten wenden in Deutschland offenbar deutlich häufiger unrechtmäßige Gewalt an, als offizielle Zahlen nahelegen. Zu diesem Schluss kommt eine Bochumer Forschungsgruppe, die Betroffene befragt hat.
https://jungle.world/artikel/2019/39/gewaltaffin-uniform?page=all


+++ANTIRA
EKR – Grundrechte: Die Meinungsäusserungsfreiheit gilt, solange die Menschenwürde respektiert wird
Darf man im Namen der Meinungsäusserungsfreiheit alles sagen? Wie können strafbare Äusserungen von nicht strafbaren unterschieden werden? Steht die Rassismusstrafnorm im Widerspruch zur Meinungsäusserungsfreiheit? Wo hört die Meinungsäusserungsfreiheit auf, wo fängt die Hassrede an? In einer Zeit, in der die Meinungsäusserungsfreiheit in den sozialen Netzwerken oft strapaziert, wenn nicht garüberstrapaziert wird, setzt sich das neue TANGRAM, das Bulletin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR), mit diesen Fragen auseinander.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-76578.html


Intersectionnalité nécessaire: un interview à Jovita dos Santos Pinto
https://www.lucify.ch/2019/09/27/intersectionnalite-necessaire-un-interview-a-jovita-dos-santos-pinto/


+++RECHTSEXTREM
Eine Frau redet sich ins Elend: Pfarrerin mischte bei einem rechtsextremen Anti-Islam-Blog mit
Schaut man genauer hin, gibt es eine Reihe von Indizien, die die Distanzierung der Kleinhüninger Pfarrerin Christine Dietrich von der Vergangenheit als fraglich erscheinen lassen. Nach anfänglichem Schweigen suchte Dietrich plötzlich das Gespräch.
https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/eine-frau-redet-sich-ins-elend-pfarrerin-mischte-bei-einem-rechtsextremen-anti-islam-blog-mit-135724229


+++RECHTSTERRORISMUS
„André S. gründete den obskuren Verein #Uniter mit, kürzlich wurde er zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt. Am 11.10. will der Verein erneut in #Luzern ein Treffen durchführen. https://spiegel.de/politik/deutschland/ex-ksk-soldat-hannibal-scheidet-aus-der-bundeswehr-aus-a-1288533.html via @antifaluzern #nonazis“
(https://twitter.com/antifa_bern/status/1178757470002565122)
-> https://twitter.com/antifaluzern


Rechtsterrorismus in Frankreich: Auch hochrangiger Diplomat in die Action des forces opérationnelles involviert
Rechtsterrorismus ist in Deutschland nach dem Mord an dem Politiker Walter Lübke wieder mehr Menschen im Bewusstsein. Das Hannibal Netzwerk hat ebenfalls für einiges Aufsehen gesorgt, auch wenn rechtsterroristische Umtriebe von Soldaten und Polizisten, die sich schon Leichensäcke bestellt haben, durchaus mehr Aufmerksamkeit verdient hätten. In Frankreich gingen Mitte September die Action des forces opérationnelles zumindest kurzzeitig durch die Medien. Was es mit dieser rechten Terrorgruppe auf sich hat, darüber sprachen wir mit dem freien Journalisten Bernard Schmid.
https://www.freie-radios.net/97505


+++SOZIALES
Luzerner Familie lebte jahrelang zu Unrecht in tiefster Armut
Ein Ehepaar mit vier Kindern wird von Sozialdetektiven beobachtet und gerät in den Verdacht, die Sozialhilfe zu betrügen. Die Unterstützung wird per sofort eingestellt. Es dauert vier Jahre bis sich herausstellt: Das war ein Fehler.
https://www.zentralplus.ch/luzerner-familie-lebte-jahrelang-zu-unrecht-in-tiefster-armut-1621215/


+++KLIMAAKTIV
derbund.ch 30.09.2019

Gesetze brechen für den Klimaschutz

Schweizer Mitglieder von Extinction Rebellion machen mit immer radikaleren Aktionen auf sich aufmerksam. Wer sind diese Leute?

Lisa Aeschlimann, Stephanie Jungo, Claudia Blumer

«Make Love, not CO2» – die Klimademonstration vom Samstag in Bern erinnerte an eine Friedenskundgebung. Pace-Fahnen, Rastafrisuren, Familien und ältere Leute. Keine Gewalt, dazu mahnten die Organisatoren eindringlich.

Und tatsächlich: An der Demonstration – einer der grössten der Schweizer Geschichte – flogen keine Steine, selbst ein parkierter SUV, der den Weg versperrte, bekam nur Kleber ab. Die Berner Kantonspolizei bedankte sich auf Twitter bei den Organisatoren für die tatkräftige Hilfe.

Seit Dezember streiken Schülerinnen und Schüler fürs Klima, schwänzen freitags die Schule, marschieren durch die Städte, fordern «Klimanotstand jetzt», halten Uhren hoch, auf denen der Zeiger bei fünf vor zwölf steht. Die Demonstrationen, Proteste und Aktionen der Klimajugend sind friedlich, freundlich, ausdauernd.

Für gewisse Klimaschützer reicht diese Art von Protest aber nicht mehr: Sie fordern schnellere und härtere Massnahmen – und greifen ­dafür zu drastischeren Mitteln. Eine ­dieser radikaleren Gruppierungen ist Extinction Rebellion (XR), zu Deutsch: «Rebellion gegen das Aussterben».

Kunstblut auf dem Bundesplatz

In letzter Zeit haben sie mit spektakulären Aktionen für Aufmerksamkeit ­gesorgt. In Lausanne blockierten rund 200 von ihnen die Bessières-Brücke und legten so eine wichtige Verkehrsachse lahm. Im Juni vergossen Aktivisten in einer unbewilligten Aktion Kunstblut in der Nähe des Berner Bundesplatzes – «um die Politiker an ihren Schwur auf die Bundesverfassung zu erinnern», wie die Gruppe schrieb.

Und am 10. September färbten Mitglieder der Gruppe die Limmat in Zürich giftgrün. Zwar war die Substanz ungefährlich, trotzdem haben die Behörden Ermittlungen aufgenommen.

Wer sind die Aktivisten, und was wollen sie? Vor einem Jahr in Grossbritannien gegründet, gilt XR als grösste Bewegung des zivilen Ungehorsams in der britischen Geschichte. Mittlerweile soll es in mehr als 60 Ländern Ableger geben. In ihrem Ursprungsland agieren sie extremer als in der Schweiz: Über Ostern kletterten Aktivisten im Londoner Stadtzentrum auf Züge und richteten so ein Verkehrschaos an. Über 1000 Aktivisten wurden festgenommen. Und erst vor zwei Wochen wollten sie mit Drohnen den Londoner Flughafen Heathrow lahmlegen. Die Polizei kam ihnen zuvor.

Nächste Aktionen sind schon geplant: Ab dem 7.Oktober planen die radikalen Umweltschützer, weltweit Innenstädte lahmzulegen. Zuerst Berlin, dann Paris, New York, Amsterdam und London. Unter dem Hashtag #rebelforlife rufen sie dazu auf, dem Aufstand zu folgen.

Auch in der Schweiz? Das lassen die Rebellen im Gespräch durchblicken. Konkreteres sagen sie nicht. Sicher ist aber: Sie gehen viel weiter als die Schweizer Klimajugendlichen. Ihr Ton ist rauer, ihre Forderungen extremer und ihre Aktionen radikaler. Ihre Haltung: Nicht Demos, sondern der zivile Ungehorsam führt zum Ziel. Ihre Ziele: Regierungen sollen «die Wahrheit über die tödliche Bedrohung durch die ökologische Krise offenlegen und alle Gesetze revidieren, die ihrer Bewältigung entgegenstehen». Die CO2-Emissionen sollen bis 2025 netto null betragen. Bürgerversammlungen sollen überwachen, ob die Ziele tatsächlich erreicht werden, und allenfalls Massnahmen ergreifen.

«Bringt uns das jetzt weiter?»

Trotz aller Radikalität ist eines der obersten Gebote der «Rebellen», gewaltfrei zu bleiben. Verstösst jemand dagegen, wird er ausgeschlossen. «Gewalt würde die Bewegung diskreditieren», sagt Serge Miserez. Der 41-Jährige aus Meggen LU kämpft an vorderster Front fürs Klima, war auch an der Kunstblutaktion in Bern beteiligt.

Der alarmierende Bericht des Klimarats habe ihn schockiert. Nur XR, so ist er überzeugt, könne etwas ändern. Mit Miserez kämpfen Familien, Studentinnen und Senioren für die sofortige Rettung des Klimas. 13 Lokalgruppen existieren in der Schweiz, der harte Kern umfasst laut Miserez etwa 200 Mitglieder.

Auch an der Grossdemonstration in Bern war der radikale Flügel zu sehen: Auf dem Bundesplatz war die Demonstration gesitteter, ruhiger, während im Umfeld von Schützenmatte und Reitschule das Klima rauer und die Musik lauter war. Hin und wieder sah man dort ein Plakat mit dem X im Kreis, das Wahrzeichen der Rebellion.

Wie steht die Klimajugend zu den Aktivisten? Schadet der radikalere Flügel der breiten Klimabewegung mit seinen Störaktionen? Nein, sagt Jann Kessler von Klimastreik Schweiz. Zwischen XR und Fridays for Future bestehe eine gute Zusammenarbeit, man spreche sich vor Aktionen ab. «Wir teilen dieselben Werte, unterscheiden uns aber im Ansatz», sagt Kessler. Die Klimajugend versuche, möglichst alle anzusprechen, inklusiv zu sein. «Die Mitglieder von XR gehen da einen radikaleren Weg.» Obwohl ­radikal der falsche Ausdruck sei: «Radikal ist nicht XR. Radikal ist, wie schlimm es um unsere Welt steht und wie wenig dagegen gemacht wird.»

Immer radikalere Aktionen

Zu Diskussionen kam es trotzdem schon, bei einer gemeinsamen Aktion im Bundeshaus: Eine Gruppe störte Mitte September die Nationalratsdebatte, just als Verteidigungsministerin Viola Amherd zu einem Vorstoss Stellung nehmen wollte. Von der Zuschauer­tribüne aus sangen sie und rollten ein riesiges Transparent aus. «It’s the final countdown, 16 months left», stand da.

Zuvor hatten sie die Security-Gruppe ausgetrickst, indem sie sich als Chor ausgegeben hatten. «Viele fragten sich: Bringt uns das jetzt weiter? Wollen wir das, so kurz vor den Wahlen?», sagt Kessler.

Aber der Mann vom Klimastreik Schweiz weiss auch: Aufmerksamkeit ist ein kostbares Gut. Auch wenn die Demonstrationen immer wieder Hunderte und Tausende anlocken – es nutzt sich ab. Aufmerksamkeit, um das gehe es den XR-Aktivisten vor allem, sagt Mike Schäfer, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Zürich. «Das ist eine professionelle Gruppe, die weiss, wie Medien funktionieren.»

Sie suchten sich bewusst symbolträchtige Orte – Brücken, Flüsse, Flughäfen – aus und planten ihre Aktionen so, dass starke Bilder entstehen. Wie bei der Limmat-Aktion: giftgrünes Wasser, dazu Aktivisten, die sich als Leichen flussabwärts treiben liessen. «Da waren nicht mehr als ein paar Dutzend Leute beteiligt», sagt Schäfer. Mit wenig Aufwand erzielten sie einen maximalen Effekt.

Aber auch das nutze sich ab: «Um weiter Aufmerksamkeit zu erhalten, müssten sie sich immer radikalere ­Aktionen ausdenken.» Davon geht der Wissenschaftler aber nicht aus, weil die Aktivisten Gewalt in allen Varianten deutlich ablehnen.

Noch lange nicht am Ziel

Bei Politikern werfen die Aktionen von XR Fragen auf. GLP-Nationalrat Beat Flach sagt: «Mir ist nicht klar, was sie uns mit Aktionen wie der grünen Limmat mitteilen wollen.» FDP-Ständerat Damian Müller stört, dass die Aktivisten den Politikern vorwerfen, nichts fürs Klima zu unternehmen. Das neue CO2-Gesetz sei ein Meilenstein in der Klimapolitik. Diese Errungenschaft sei bei der Klimabewegung aber kaum auf Resonanz gestossen. Für Regula Rytz, Präsidentin der Grünen, ist man auf politischer Ebene betreffend Klima noch lange nicht am Ziel. Sie befürchtet, dass der Nationalrat das neue CO2-Gesetz wieder abschwächt. «Darum muss der Druck bestehen bleiben. Friedliche Aktionen von XR bringen die dazu nötige Aufmerksamkeit.»

«Die Klimajugend hat mehr erreicht, als ich erwartete», sagt Kommunikationswissenschaftler Schäfer. «Sie ist aber noch lange nicht am Ziel.» Die grosse Herausforderung für die Aktivisten und Fridays for Future wird sein, ihre Forderungen in die Politik zu übersetzen. Die grosse Bewährungsprobe steht noch an. In knapp drei Wochen sind Wahlen.



Wie aus der Einzelkämpferin eine Weltbewegung wurde

20. August 2018 Greta Thunberg setzt sich am ersten Schultag nach den Ferien vor das schwedische Reichstagsgebäude in Stockholm. Neben ihr ein Schild mit der Aufschrift «Skolstrejk för klimatet» – Schulstreik fürs Klima.

Dezember 2018 Weltweit streiken Schülerinnen und Schüler fürs Klima, am 21. Dezember erstmals auch in der ganzen Deutschschweiz. Thunberg spricht an der UNO-Klimakonferenz in Kattowitz.

Januar bis April 2019 «Unser Haus steht in Flammen», sagt Thunberg im Januar am WEF in Davos. Ihr Auftritt mobilisiert die Massen: In den nächsten Monaten finden in Schweizer Städten Demos mit Tausenden, manchmal Zehntausenden Teilnehmern statt.

10. September 2019 Einige Aktivisten wollen mehr, sie organisieren radikalere Aktionen: So färben am 10. September Aktivisten die Limmat in Zürich giftgrün.

25. September 2019 Nachdem der Nationalrat das CO2-Gesetz noch im Dezember 2018 versenkt hat, stimmt der Ständerat einer neuen, verschärften Vorlage zu. Sie sieht unter anderem eine Flugticketabgabe von 30 bis 120 Franken vor.
(https://www.derbund.ch/die-radikalen-klimaschuetzer/story/24250569)


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