Medienspiegel 11. Januar 2019

+++BERN
Theater als Rundgang – Vivaldi in Ausschaffungshaft
Die Theatergruppe Vorort inszeniert ihr Stück «Winterkrieg im Galgenfeld» in der anonymen Berner Vorstadt.
https://www.srf.ch/news/regional/bern-freiburg-wallis/theater-als-rundgang-vivaldi-in-ausschaffungshaft

Soziale Innovation  – Das Hotel als Sprungbrett – SIBA XXVI
Der Verein Gastwerk ist eine zivilgesellschaftliche Initiative, die sich für die Integration und Inklusion geflüchteter Menschen einsetzt. Im Hotellerie- und Gastrobereich sollen Arbeits- und Ausbildungsplätze geschaffen werden, in denen man sich auf Augenhöhe begegnet.
http://www.journal-b.ch/de/082013/alltag/3232/Das-Hotel-als-Sprungbrett—SIBA-XXVI.htm

Stiftung Intact darf weiterhin Asylsuchende betreuen
Die Beschäftigung von Asylsuchenden bei der Stiftung intact musste nicht wie ursprünglich angenommen bis Ende 2018 eingestellt werden. Der Migrationsdienst des Kantons Bern hat der Durchführung der gemeinnützigen Beschäftigungsprogramme (GeBePro) unter den gleichen Bedingungen wie im Jahr 2018 zugestimmt. Mehr Mittel stehen allerdings von Seiten des Kantons nicht zur Verfügung, die Finanzierung durch Dritte (Gemeinden oder Betriebe) bleibt aber ausdrücklich erlaubt. Gestützt auf diese Rechtsgrundlage hat die Flüchtlingshilfe der Heilsarme erneut eine Bewilligung für die Stiftung intact eingeholt und vom kantonalen Migrationsdienst erhalten, heisst es in einer Mitteilung der Gemeinde Langnau. Diese unterstützt die Stiftung für das Jahr 2019 mit einem Betrag von 16’000 Franken.
Intact-Geschäftsleiter Theophil Bucher zeigt sich gegenüber neo1 erfreut über den Entscheid des Kantons Bern.
https://www.neo1.ch/news/news/newsansicht/datum/2019/01/11/stiftung-intact-darf-weiterhin-asylsuchende-betreuen.html

+++AARGAU
Wie sich ein junger Migrant mit Hilfe einer Familie in die Schweiz integriert
In Suhr haben eine Architektin und ihr Sohn einen jungen Migranten aus Iran bei sich aufgenommen. Sie bezeichnen sich inzwischen als gute Wohngemeinschaft.
https://www.nzz.ch/gesellschaft/integration-wie-ein-junger-migrant-im-aargau-in-einer-wg-lebt-ld.1447655

+++ZÜRICH
Jetzt grassiert das mysteriöse Easyjet-Plakat auch in Zürich
Da will jemand der Billigairline Easyjet tüchtig eins auswischen. Nach Bern sind die gefakten und mit etlichen Rechtschreibefehlern gespickten Werbeplakate von Easyjet auch in Zürich aufgetaucht.  Dies am Helvetiaplatz und im HB.
https://www.watson.ch/!811571099?
-> https://www.nzz.ch/zuerich/gefaelschtes-plakat-in-zuerich-wirbt-fuer-easyjet-fluege-ueber-fluechtlingsrouten-ld.1450533

+++SCHWEIZ
Bundesasylzentren: Menschenrechtskonforme Unterbringung, Verbesserungspotential in einzelnen Bereichen
Die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) überprüfte 2017 und 2018 die Zentren des Bundes im Asylbereich und veröffentlicht heute ihre Erkenntnisse und Empfehlungen in einem Gesamtbericht. Die Unterbringung von asylsuchenden Personen durch den Bund ist nach Einschätzung der Kommission grundsätzlich menschen- und grundrechtskonform. Als besonders positiv wertet die Kommission den seit der Aufhebung des allgemeinen Handyverbots erleichterten Zugang zu Kontakten mit Angehörigen. Dennoch sieht die Kommission in einzelnen Bereichen Verbesserungspotential, namentlich bei der Handhabung der körperlichen Durchsuchungen, den Disziplinarmassnahmen, der Identifikation von Opfern von Menschenhandel und vulnerablen Personen sowie beim Zugang zur psychiatrischen Grundversorgung.
https://www.nkvf.admin.ch/nkvf/de/home/publiservice/news/2019/2019-01-11.html
-> https://www.blick.ch/news/schweiz/asyl-kommission-maengel-bei-identifikation-von-menschenhandel-opfern-id15108446.html
-> https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/kommission-maengel-bei-identifikation-von-menschenhandel-opfern-133947560

10 Jahre Dublin – Nicht einmal ein Drittel der Rückführungen gelang: Die meisten Asylsuchenden tauchten unter
Seit die Schweiz beim Dublin-System mitmacht, wollte sie mehr als 100’000 Asylsuchende in ein EU-Land schicken. Obwohl das nur bei 30’000 Personen gelang, spricht der Bund von einer Erfolgsgeschichte.
https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/nicht-einmal-ein-drittel-der-rueckfuehrungen-gelang-die-meisten-asylsuchenden-tauchten-unter-133945728
-> https://www.watson.ch/schweiz/migration/797357901-weniger-als-ein-drittel-der-rueckfuehrungen-gelingt-asylsuchenden-tauchen-unter
-> https://www.luzernerzeitung.ch/schweiz/die-meisten-tauchen-unter-ld.1084241
-> https://www.luzernerzeitung.ch/schweiz/zwiespaltiger-dublin-erfolg-ld.1084339

Die Schweiz verletzt die Anti-Folterkonvention
Gemäss dem UN-Ausschuss gegen Folter (CAT) hat die Schweiz mit der Wegweisung eines Eritreers in sein Heimatland die Anti-Folterkonvention verletzt.
https://beobachtungsstelle.ch/news/die-schweiz-verletzt-die-anti-folterkonvention/

+++FRANKREICH
Bayonne: Großes Durchgangszentrum mit Willkommenskultur
Bayonne ist zum Durchgangspunkt für die Flucht über das westliche Mittelmeer, durch Spanien nach Frankreich geworden. Eine regelrechte Willkommenskultur hat sich in der Region Bayonne entwickelt. Im Dezember konnte ein Gebäude hergerichtet werden, nun unter dem Namen „Pausa“. 2.500 Geflüchtete haben in den letzten zwei Monaten dort übernachtet, 450 AktivistInnen unterstützen dort die zeitweilige Aufnahme und Weiterfahrt. Das Zentrum wird mit 60.000 Euro pro Monat von der Stadt finanziert; sieben Ehrenamtliche wurden in ein Angestelltenverhältnis übernommen. Protestaktionen gibt es am Busbahnhof und an den Mautstellen. Selbst der Bürgermeister (politisch: mitte-rechts) hilft tatkräftig mit gegen Racial Profiling und Busausweiskontrolle.
https://ffm-online.org/bayonne-grosses-durchgangszentrum-mit-willkommenskultur/

+++MITTELMEER
From the „Australian Solution“ to the „European Solution“
Das neue Dispositiv der afrikaphoben Flüchtlingsabwehr im Mittelmeer
Am Freitag, dem 4. Januar 2019 kam es zu einer heftigen Demonstrations-Kundgebung auf der Straße in Palermo. Antirassist*innen, wütende Bürger*innen, und sogar der Bürgermeister fanden sich im Protest dagegen zusammen, dass 49 gerettete Boat-people auf zwei NGO-Schiffen nicht an europäisches Land gelassen wurden. Die Boat-people waren in Libyen gestartet. Viele waren dort unmenschlicher Internierung und Folterhaft ausgesetzt. Auf der „Sea Watch 3“ und auf der „Professor Penck“, die direkt vor der Küste Maltas lagen, spitzte sich die Situation zu. Ein Flüchtling war ins Wasser gesprungen und musste zurückgeholt werden. Andere weigerten sich, Nahrung zu sich zu nehmen. Die psychische Verunsicherung an Bord entwickele sich in gefährlicher Weise, hieß es.
https://ffm-online.org/from-the-australian-solution-to-the-european-solution/

Bootspassagen im zentralen Mittelmeer im Frühjahr 2019
https://ffm-online.org/bootspassagen-im-zentralen-mittelmeer-im-fruehjahr-2019/

Kalabrien, Melissa: Segelboot mit 51 kurdischen Migrant*innen vor der Küste gekentert, Boat-people von Anwohnern gerettet
Ein Segelboot mit 51 kurdischen Migrant*innen an Bord ist im Morgengrauen kurz vor der kalabrischen Küste bei Melissa auf Grund gelaufen und gekentert. Durch die Schreie der Schiffbrüchigen, die sich an den Rumpf klammern konnten, wurden Bewohner der Gegend geweckt. Innerhalb weniger Minuten war auch der Bürgermeister vor Ort, der den Rettungseinsatz koordinierte. Ein Mann wird vermisst, alle anderen konnten gerettet werden, darunter auch ein neugeborenes Kind. Das Boot war zuvor tagelang unterwegs, ohne von der Küstenwache geortet worden zu sein.
https://ffm-online.org/kalabrien-melissa-segelboot-mit-51-kurdischen-migrantinnen-vor-der-kueste-gekentert/

+++EUROPA
Abwehr statt Hilfe
Transkontinentale Abschottung. Die Europäische Union schleift das Asylrecht und strebt an, kaum noch einen Migranten hinein zu lassen
https://www.jungewelt.de/artikel/347036.eu-migrationspolitik-abwehr-statt-hilfe.html

Berlin und Athen pochen auf gemeinsame EU-Migrationspolitik
Deutschland und Griechenland bestehen darauf, dass die EU das Migrationsproblem gemeinsam und solidarisch angeht. Das betonten Bundeskanzlerin Angela Merkel und der griechische Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos am Freitag bei einem Gespräch in Athen.
https://www.tagblatt.ch/newsticker/international/berlin-und-athen-pochen-auf-gemeinsame-eu-migrationspolitik-ld.1084342

+++DROGENPOLITIK
«Es gibt eine politische Mehrheit für die Drogenregulierung»
Er will den problemfreien Konsum ermöglichen, auch von Kokain: Der Appenzeller FDP-Ständerat Andrea Caroni im Gespräch. Teil 6 unserer Serie «Let’s Talk About Drugs».
https://www.republik.ch/2019/01/11/es-gibt-eine-politische-mehrheit-fuer-die-drogenregulierung?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=republik%2Fnewsletter-editorial-drogen-donald-debussy

Immer mehr Menschen konsumieren Cannabis. Deshalb wollen die Zürcher Apotheken künftig Marihuana verkaufen
Der Apothekenverband der Stadt Zürich plant den Verkauf von Marihuana in seinen Geschäften. Damit soll der Schwarzmarkt bekämpft werden. Experten applaudieren.
https://www.nzz.ch/zuerich/apotheken-in-zuerich-wollen-cannabis-verkaufen-ld.1450593
-> https://www.telezueri.ch/zuerinews/zuercher-apotheken-wollen-thc-haltiges-gras-verkaufen-133949579

Der Cannabis-Verkauf in Apotheken ist eine clevere Idee, um die Schweizer Drogenpolitik zu entstauben
In Zürich wollen Apotheker künftig Cannabis in den eigenen Geschäften verkaufen. Sie bringen mit der Idee dringend benötigten Schwung in die angestaubte Schweizer Drogenpolitik.
https://www.nzz.ch/zuerich/der-cannabis-verkauf-in-apotheken-ist-eine-clevere-idee-um-die-schweizer-drogenpolitik-zu-entstauben-ld.1450534

+++SOZIALES
Kaltherzige Schweiz?
Die Schweiz ist eines der reichsten Länder der Welt. Aber auch hier sind Menschen von Armut betroffen. Im Winter heisst das: Wer kein Geld hat für einen warmen Mantel, der friert. Ermöglicht Sozialhilfe heute allen in der Schweiz ein würdiges Leben – oder ist sie zu knapp bemessen?
https://www.srf.ch/sendungen/arena/kaltherzige-schweiz

Eine Sozialhilfe-Empfängerin und ein Betreuer übertrumpfen in der «Arena» die Politiker
Eine neue Studie zeigt, dass der Grundbedarf von 986 Franken der Schweizer Sozialhilfe zu knapp berechnet ist. In der «Arena» streiten sich nun die Politiker darüber, wie die Zukunft des Schweizer Sozialstaates aussehen soll. Doch die Show wird ihnen von zwei Personen aus der Praxis gestohlen.
https://www.watson.ch/schweiz/wirtschaft/173224275-eine-sozialhilfe-empfaengerin-und-ein-betreuer-fertigen-in-der-arena-die-politiker-ab

+++ANTITERRORSTAAT
Terrorismusbekämpfung: Kommission will präventive und strafrechtliche Massnahmen stärken
Die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerates ist auf die Vorlage 18.071 des Bundesrates eingetreten. Da sie neben Anpassungen im Strafrecht in erster Linie eine Erweiterung der präventiven Massnahmen als zentral erachtet, hat die Kommission aber entschieden, die Detailberatung zu sistieren und die Vorlage gemeinsam mit dem Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus zu behandeln. Mit diesem Vorgehen möchte sie eine Gesamtsicht auf die Massnahmen zur Terrorismusbekämpfung ermöglichen.
https://www.parlament.ch/press-releases/Pages/2019/mm-sik-s-2019-01-11.aspx

+++ARMEE
World Economic Forum 2019: Armee im Einsatz
Der Einsatz der Armee zugunsten des Kantons Graubünden für das Jahrestreffen des World Economic Forums (WEF) 2019 in Davos hat begonnen. Unter der Einsatzverantwortung der zivilen Behörden des Kantons Graubünden sind bereits etliche Armeeangehörige am Erstellen des Sicherheitsdispositivs.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-73633.html

+++POLICE BE
Demonstrieren in Bern könnte künftig teuer werden
Am 10. Februar stimmen die Berner über das neue Polizeigesetz ab. Einige Artikel sind umstritten.
https://www.derbund.ch/bern/kanton/demonstrieren-in-bern-koennte-kuenftig-teuer-werden/story/25107121

Die letzte bewilligte Demo – RaBe-Info 11.01.2019
Linksparteien und Basisorganisationen rufen mit der «letzten bewillgten Demo» zu Protesten gegen das neue Polizeigesetz auf. In ihrem neuen Stück «Winterkrieg im Galgenfeld» bespielt die Theatergruppe Vorort ein Hochhaus und dessen weitläufige Bunker-Anlage. Ein einziges Bild für einen Kontinenten mit 54 Ländern und 1 Milliarde Menschen? Im Radioblog hinterfragen wir die westliche Vorstellung von «Afrika».
https://rabe.ch/2019/01/11/die-letzte-bewilligte-demo/

derbund.ch 11.01.2019

Polizei-Pranger sorgt für Kontroverse

Aktivisten haben eine Video-Plattform eingerichtet, um darauf Berner Polizeieinsätze zu veröffentlichen. Unter Rechtsexperten ist die Idee umstritten.

Carole Güggi

12. September 2015, ein sonniger Samstagnachmittag auf dem Berner Helvetiaplatz. Gummigeschosse fliegen durch Tränengasschwaden. Polizisten in Vollmontur stehen Demonstranten einer Kurden-Kundgebung gegenüber, die sich schützend ihre Jacken über den Kopf ziehen. Jemand filmte diese Szene und veröffentlichte sie im Internet. Für Videos wie dieses wurde kürzlich eine eigene Online-Plattform geschaffen. Sie heisst «Police the Police», und ihre Betreiber rufen dazu auf, gefilmte Polizeieinsätze darauf publik zu machen.

Die Plattformbetreiber sind zwar anonym. Kontakt zu ihnen konnte über Facebook hergestellt werden. Ihr Vorhaben erklären sie auf Anfrage so: Es werde der Bevölkerung eine Möglichkeit gegeben, allfällige Vergehen der Polizei aufzuzeigen.«Videodokumentationen können als Beweismittel gelten oder Kritik an fehlbarem Verhalten üben.» Denn die Kontrolle über die Polizei sei im Kanton Bern sehr dürftig. «Es gibt nicht einmal eine Ombudsstelle», prangern die Aktivisten an. Zur Lancierung ihres Projekts haben sie Ende Januar zu einer Aktionswoche aufgerufen. In dieser soll so viel Polizeiarbeit wie möglich gefilmt und veröffentlicht werden. Durch das Filmen erhoffen sie sich «angepasstes Verhalten» der Beamten. So würden durch die Involvierung einer Kamera Polizeikontrollen fairer verlaufen, es werde weniger Gewalt angewendet und es komme seltener zu Racial Profiling – Polizeikontrollen aufgrund äusserlicher Merkmale, nicht verdächtigen Verhaltens.

Polizei ortet Probleme

Beim Stadtberner Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) findet die Plattform wenig Anklang. Er sieht sie bloss als Ablenkungsmanöver. «Das ist klare Stimmungsmache vor der Abstimmung am 10. Februar.» An diesem Datum entscheidet die bernische Stimmbevölkerung über die Annahme oder Ablehnung des neuen Polizeigesetzes (siehe Text rechts).

Doch nicht nur dem Zeitpunkt ihrer Lancierung, sondern auch dem Inhalt der Plattform steht Nause äusserst kritisch gegenüber. Er fürchtet Willkür. «Werden Beamte bedroht, kommt es zu Reaktionen der Polizisten und teils unschönen Szenen.» Werde davon nur ein Ausschnitt gefilmt, könne dies falsche Eindrücke vermitteln. Wenn durch die Veröffentlichung auf der Seite zudem nicht ersichtlich ist, wer dahintersteht, und potenziell gefälschte Inhalte publiziert werden, scheint für Nause das Chaos perfekt. Gegen Fehlverhalten könne man sich über den Rechtsweg wehren. «Fühlt sich jemand ungerecht behandelt, kann er oder sie Anzeige erstatten.»

Wenn es bei Demonstrationen oder vor der Reitschule zu Gewalt kommt, sind sich Aktivisten und Polizisten immer uneins, wer diese nun provoziert hat. So auch bei einem Vorfall vor der Reitschule vom vergangenen Herbst. Damals hat nicht nur die Polizei gefilmt, sondern auch Reitschule-Besucher. Dass die Bevölkerung nun dazu aufgerufen wird, Polizeieinsätze konsequenter zu dokumentieren, sieht die Berner Kantonspolizei als Problem. «In der Vergangenheit ist es bereits zu Verletzungen der Persönlichkeitsrechte gekommen», sagt Mediensprecher Dominik Jäggi.

«Das ist aus unserer Sicht störend.» Jäggi fügt an, dass Polizei-Mitarbeitende damit umgehen könnten, bei der Arbeit gefilmt zu werden. Wie die internen Weisungen dazu lauten, will er jedoch nicht preisgeben. Dazu ein Beispiel: Nach den Ausschreitungen bei der Reitschule vergangenen Herbst kursierte im Internet ein Bild, auf dem eine Polizistin mit Gummischrotgewehr direkt in die Kamera zielt.

Unklare Rechtslage

Ist es denn erlaubt, Polizisten im Einsatz zu filmen? Die Betreiber von «Police the Police» sehen darin kein Problem. In einer Instruktion auf ihrer Website heisst es: «Schau darauf, dass du nicht spezifisch auf das Gesicht fokussierst, dann ist das Filmen erlaubt.» Rechtsexperten sind sich darüber uneinig. Markus Kern widerspricht der auf dem Portal beschriebenen Einschätzung. Der Assistenzprofessor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Bern sieht Aufnahmen von anderen Personen ohne deren Einverständnis als problematisch. «Deren Veröffentlichung ist in der Regel unzulässig.» Weiter stelle sich die Frage, für welchen Zweck die Aufnahme oder Veröffentlichung erfolge. «Geht es hauptsächlich darum, eine Person an den Pranger zu stellen, dürfte eine Publikation im Internet kaum je statthaft sein», so Kern. Denn neben dem Recht am eigenen Bild werde mit der Plattform ebenfalls gegen Datenschutzrecht verstossen.

Hugo Wyler, Leiter Kommunikation des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB), fordert Transparenz. «Es muss ersichtlich sein, wer hinter der Plattform steht und für welche Zwecke die Daten verwendet werden.» Der Zweck der Verwendung der Daten müsse innerhalb einer Datenschutzerklärung auf der Website geklärt werden. Dennoch sieht Wyler durchaus positive Aspekte am Vorhaben und widerspricht Kern. So sei es grundsätzlich wichtig, dass staatliches Handeln – in diesem Fall das Verhalten von Polizisten – beobachtet und dokumentiert werde. «Das macht schliesslich einen Rechtsstaat aus.»

Personen nur verpixelt

Dass dem Staat auf die Finger geschaut werden soll, dem stimmt auch Martin Steiger, Rechtsanwalt aus Zürich, zu. «Polizisten müssen es sich gefallen lassen, gefilmt zu werden» sagt er. Dabei gelte es aber, gewisse Punkte zu beachten. Zum einen solle die Arbeit der Polizisten durch das Filmen nicht behindert werden. Zum anderen müsse bei der Veröffentlichung darauf geachtet werden, dass sämtliche aufgenommenen Personen anonymisiert seien. «Ist dies der Fall, so sehe ich rechtlich kein Problem an der Plattform», sagt Steiger.
(https://www.derbund.ch/bern/stadt/polizeipranger-sorgt-fuer-kontroverse/story/18979895)

Aktivisten lancieren Polizei-Pranger
Mittels Video-Plattform im Internet rufen Aktivisten dazu auf, vermehrt Polizeieinsätze zu filmen.
https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/aktivisten-lancieren-polizei-pranger/story/20946437
-> https://www.telebaern.tv/telebaern-news/swissnews-133949034

Police the police
Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.
https://policethepolice.ch/

AUFRUF ZUR AKTIONSWOCHE «DIE POLIZEI BEI DER ARBEIT FILMEN» (26.01. – 02.02.2019)
Wer schon einmal die Polizei bei ihrer Arbeit gefilmt hat, weiss: Sofort verhalten sich die Polizist*innen anders! Wenn sie wissen, dass sie kontrolliert werden, verlaufen Anhaltungen fairer, es wird von ihnen weniger Gewalt angewandt und Racial Profiling findet seltener statt.

Unser Ziel sollte sein: Sobald wir Polizist*innen sehen, zücken wir eine Kamera und filmen sie! Um dies zu «üben» und er Polizei klarzumachen, dass sie beobachtet werden, fordern wir ganz Bern auf, in dieser Woche so oft als möglich die Polizei zu filmen. Um die Resultate sichtbar zu machen, ladet die Videos doch anschliessend auf www.policethepolice.ch hoch!

Während der Aktionswoche ist auch weiteres spezielles Polizei-Film-Programm geplant, wir haben zudem eine Broschüre für euch mit Tipps & Tricks, die es beim Filmen der Polizei zu beachten gibt, unter anderem auch damit, wenn die Polizei versucht euch daran zu hindern.
https://www.facebook.com/events/325427968064958/

Input-Tag: Die Polizei bei der Arbeit filmen: Know your rights!
Sa 26. Januar 2019, 13.00-17.00 Calvinhaus Bern
https://www.facebook.com/events/1931487820491201/

HINTERGRUND:
Im Herbst 2017 verlangte ein Polizist, dass private Handybilder einer Festnahme gelöscht werden. In der Folge wurde gegen den Polizisten eine Anzeige eingereicht und medial darüber berichtet. Im Lichte eines möglichen baldigen Verfahrens wollen wir einen Workshop-Tag organisieren und folgende Fragen vertiefter analysieren: Wie ist die rechtliche Lage, wenn wir die Polizei bei der Arbeit filmen? Was genau bedeutet das «Recht auf das eigene Bild»? Darf die Polizei uns zwingen, die Aufnahmen zu löschen, was wenn sie das Handy konfiszieren will? Wann und weshalb darf die Polizei uns filmen? Und wie gehen wir künftig mit polizeilichen Bodycams um?

ABLAUF
13:00-15:00 INPUTREFERATE

Rechtliche Grundlagen und offene Fragen zum Filmen der Polizeiarbeit
Was ist erlaubt und was nicht, welche Bedeutung hat das «Recht auf das eigene Bild», wo sind die Graubereiche und was sind die Risiken?
Amr Abdelaziz, Rechtsanwalt LL.M., Zürich

Die BodyCam am RoboCop
Erste Erfahrungen mit polizeilichen Bodycams in Deutschland – mit einem Blick in die USA.
Volker Eick, Politikwissenschaftler, fachlicher Mitarbeiter für den Vorstand des Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein e.V., Berlin.

15:30-17:00 WORKSHOPS (parallel)

«Legal Teams» und ihre Rolle
Was sind die Aufgaben des Legal-Teams an einem Protest? Was kann die Anwesenheit eines Legal Teams bewirken?
Input: Zusammen erarbeiten wir die rechtlichen Grundlagen: Wann und warum darf die Polizei mich filmen? Was passiert wenn ich von der Polizei gefilmt werde? Was sind meine Rechte?
Legal Teams der Demokratischen Juristinnen und Juristen Bern

Tipps und Tricks beim Filmen der Polizei
Was muss beachtet werden, wenn wir die Polizei filmen? Welche Tipps und Tricks gibt es dabei und im Speziellen im Umgang mit der Polizei?
Miklós Klaus Rózsa, Fotograf

17:00 AUSTAUSCH UND APÉRO

Und ab 20:00 im Kino Reitschule: Staatenlos – Klaus Rózsa, Fotograf; Film von Erich Schmid

+++POLIZEI DE
Noch ein hessischer Polizist hat Kontakt zu Neonazis
Das rechtsextreme Netzwerk bei der hessischen Polizei ist offenbar noch größer als bislang angenommen. Ein Beamter aus Osthessen soll gewaltbereite Neonazis mit Informationen versorgt haben.
http://www.fr.de/rhein-main/polizei-und-rechtsextreme-noch-ein-hessischer-polizist-hat-kontakt-zu-neonazis-a-1651960
-> https://www.sueddeutsche.de/politik/hessen-polizei-rechtsradikalismus-1.4282456
-> https://www.hessenschau.de/gesellschaft/weitergabe-von-informationen-offenbar-weiterer-polizist-unter-rechtsextremismus-verdacht,ermittlungen-gegen-polizisten-100.html
-> http://www.spiegel.de/panorama/justiz/hessen-polizist-soll-daten-an-rechtsextreme-verraten-haben-was-bisher-bekannt-ist-a-1247538.html#ref=rss
-> http://taz.de/Rechtsextremes-Netzwerk-bei-der-Polizei/!5559716/

+++ANTIFA
«Opus Dei»-Schützenhilfe für den CVP-Präsidenten
In der Werte-Debatte der CVP und ihres Präsidenten spiegeln sich die konservativen Vorstellungen des erzkatholischen «Opus Dei».
https://www.infosperber.ch/Artikel/Politik/Opus-Dei-leistet-Schutzenhilfe-fur-den-CVP-Prasidenten

Twitter: Dynamik einer Empörungswelle
Der Schweizer Ringier-Journalist Fabian Eberhard wird von Zehntausenden von Nachrichten überrollt, nachdem er sich auf Twitter zum polnischen Unabhängigkeitsmarsch geäussert hat. Was ist da genau passiert? Steckt eine orchestrierte Kampagne dahinter? Und wieso sagt Eberhard nichts dazu?
https://www.woz.ch/-9423

+++ANTIRA
Schutz für Schwule und Lesben – Herr Früh, ist Ihre Partei homophob?
Die Eidgenössisch-Demokratie Union (EDU) bekämpft ein neues Gesetz, das Homophobie unter Strafe stellt. Die kleine, ultrakonservative christliche Partei hat das Referendum gegen die Bestimmung ergriffen, die Hetze gegen Schwule und Lesben verbietet. Interview mit EDU-Vertreter Marc Früh.
https://www.swissinfo.ch/ger/schutz-fuer-schwule-und-lesben_herr-frueh–ist-ihre-partei-homophob-/44670240

+++TRAUMA
bernerzeitung.ch 12.01.2019

Jeder zweite Geflüchtete in der Schweiz ist traumatisiert

Mehmet Özgül verarbeitet im Ambulatorium für Folter- und Kriegsopfer die Spuren von über elf Jahren Gefängnis in der Türkei. Behandlungsplätze sind aber Mangelware. Nun handelt der Bund.

von Aleksandra Hiltmann

Es sei nicht leicht, darüber zu sprechen. Mehmet Özgül tut es trotzdem. Auf seine Art. Keine Einzelheiten. Aber Sätze, die Raum für die Vorstellung des Schreckens lassen.

Elf Jahre und zehn Monate sass er in der Türkei im Gefängnis. Damit sie ihn verurteilen konnten – damals war er 17 –, hatten ihn die Behörden um ein paar Jahre älter gemacht. Özgül war Aktivist in einer legalen sozialistischen Bewegung, stellte bereits damals seine Gesinnung über seine Identität als Kurde. In der Türkei vor dem Militärputsch von 1980 ein Grund, ihn einzusperren. «Nach dem Putsch wurde die Folter schlimmer. Die Methoden waren unmenschlich. Sie machten keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen.»

Özgül sitzt zusammen mit seinem Übersetzer Cemal Özcelik an diesem Nachmittag in einem Berner Café. Beide Männer sprechen ruhig, sie sind ein eingespieltes Team. Sie kennen sich seit acht Jahren, seit Özgül die Therapie im Ambulatorium für Folter- und Kriegsopfer des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) in Bern-Wabern besucht.

Rund die Hälfte der Geflüchteten leiden an Traumafolgeerkrankungen», sagt Manuela Ernst, Leiterin des Ambulatoriums. Sie beruft sich dabei auf internationale Studien, die auch auf die Schweiz anwendbar seien. Genaue Zahlen, wie viele in der Schweiz leben, gebe es jedoch nicht. Doch anhand der Anzahl Menschen, welche seit Beginn der letzten grossen Flüchtlingswelle in die Schweiz gekommen seien, lasse sich schätzen, dass seit 2013 rund 25’000 traumatisierte Personen ins Land kamen und hier ein Bleiberecht erhalten haben, zusätzlich zu all jenen, die bereits seit Jahren in der Schweiz lebten. Jene, die flohen, aus der Türkei, Sri Lanka, dem Iran, aus Kosovo oder Bosnien.

Überleben in der Normalität

Özgül kam 2007 in die Schweiz. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis schien ihm alles fremd. Die Strassen voller Menschen, die Verkehrsgeräusche, die Mentalität. Sein kleiner Bruder stand plötzlich als erwachsener Mann vor ihm. Obwohl er die Flucht nach vorne antrat, Verkäufer wurde, um in Kontakt mit Menschen zu kommen, in sein altes ­Leben fand er nicht zurück. Einen ­Psychologen hatte er nicht zur Seite. «Wir wussten nicht, was mit uns anfangen», sagt er über sich und seine entlassenen Mitgefangenen. Die elf Jahre und zehn Monate hatten ihre Spuren hinterlassen. Sie seien ein Versuch gewesen, ihn und die Mitgefangenen zu brechen. «Unser Ziel war, zusammenzuhalten. Und vor allem: überleben. Elf Jahre, zehn Monate lang.»

Viele Traumatisierte teilen Özgüls Schicksal: Der Überlebenskampf dauert an, obwohl er eigentlich vorbei ist. Der Körper und die Seele können Todesangst, Schmerzen und Anspannung nicht so leicht vergessen.

Traumafolgeerkrankungen sind komplex. Besonders häufig treten sogenannte posttraumatische Belastungsstörungen auf. Betroffene leiden unter Wiedererinnerung und Wiedererleben, Vermeidung und Übererregung.

In vielen Fällen liegen sogenannte sequenzielle Traumatisierungen vor. Die erste geschieht durch Erlebnisse im Herkunftsland, eine weitere auf der Flucht, die nächste nach der Ankunft in der Schweiz. Schwierige Aufnahmestrukturen, unsicherer Aufenthaltsstatus, Diskriminierung, Rassismus, schwierige ­Situationen in Asylunterkünften – postmigratorische Stressfaktoren, so Ma­nue­la Ernst, können den Genesungsprozess behindern oder gar zu einer Re­traumatisierung führen, obwohl die Geflüchteten in der Schweiz eigentlich in Sicherheit seien.

Die Erinnerungen flüchten mit

In der Schweiz angekommen, landete Mehmet Özgül im Durchgangszentrum. Im Gepäck ein Trauma, «schwer wie ein Stein». Nach den Jahren im Gefängnis konnte er sich nicht in geschlossenen Räumen aufhalten. Doch solche Räume gab es viele im Durchgangszentrum. Und er musste drinbleiben. Dazu kamen Aufpasser. Auch allein sein fiel ihm schwer. Rund um ihn aber lauter Fremde, deren Sprachen er nicht verstand. Lange war sein Aufenthaltsstatus unklar. Er berichtet von zwischenzeitlicher Ausweisung, Obdachlosigkeit. All das, zusammen mit der Sprachbarriere, habe den Beginn einer Therapie verzögert.

«Je früher man eine Traumafolgeerkrankung erkennt, und je schneller man mit einer Behandlung beginnt, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Leiden chronisch wird», sagt Manuela Ernst. Doch die Nachfrage übersteigt das Angebot.

In der Schweiz gibt es fünf spezialisierte Therapiezentren für traumatisierte Geflüchtete. Sie bilden den Verbund «Support for Torture Victims». Zusammen können sie pro Jahr etwas mehr als 1000 Personen betreuen. Dass aus Kapazitätsgründen Leute abgelehnt werden müssen, gehört im Berner Ambulatorium zum Alltag. Zudem ist in der Schweiz nicht einheitlich geregelt, wer die Übersetzungskosten für Traumatherapien trägt. Dabei wäre laut Manuela Ernst ein Dolmetscher die Basis für viele Betroffene, überhaupt mit einer Gesprächstherapie beginnen zu können. Faktisch bedeutet das, dass insbesondere traumatisierte Neuankömmlinge von regulären psychotherapeutischen Angeboten ausgeschlossen werden.

Zusätzlich erschwert wird der Zugang zur Behandlung, weil Fachpsychologen für Psychotherapie in der Schweiz nicht über die Grundversicherung abrechnen können. Gegenüber den Betroffenen sei ­diese Situation einerseits humanitär bedenklich. Andererseits entstünden durch die unzureichende Behandlung enorme Folgekosten. Traumatisierte Personen haben oft grosse Schwierigkeiten, sich zu integrieren, der Einstieg ins Arbeitsleben wird erschwert, die Gesundheitskosten steigen, je länger Leiden unbehandelt bleiben. «Unsere Gesellschaft ist sich sowohl der Folgekosten als auch ihrer Verantwortung gegenüber traumatisierten Personen zu wenig bewusst», sagt Ernst.

Suche nach Lösungen

Die Behörden haben das Problem erkannt. Eine vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) in Auftrag gegebene Evaluation konstatiert «Lücken in der psychiatrischen Versorgung von Asylsuchenden, insbesondere für posttraumatische Belastungsstörungen», entsprechend ausgebildete Therapeuten würden fehlen. Dies müsse längerfristig angegangen werden, steht dazu in einem entsprechenden Konzept, bei dessen Umsetzung neben dem BAG auch das Staatssekretariat für Migration (SEM) federführend ist.

Seit 1994 unterstützt das SEM das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) bei der Behandlung traumatisierter Personen im Asylbereich. Die letzten drei Jahre subventionierte es die Therapieplätze der fünf spezialisierten Behandlungsstandorte mit jährlich 600000 Franken, fast doppelt so viel wie vor 2015. Ein weiterer Ausbau der Beiträge sei aus finanziellen Gründen nicht möglich, so Daniel Bach, Informationschef beim SEM.

Für die Finanzierung von Dolmetschkosten in der Psychotherapie suche das BAG derzeit nach Lösungen. Das SEM selbst hat 2016 ein zweijähriges Pilotprojekt lanciert, welches Asylsuchenden und Flüchtlingen den Zugang zu psychotherapeutischen und psychiatrischen Therapien erleichtern und die zuweisenden Stellen für das Thema sensibilisieren soll. Die Ergebnisse zeigen: Dolmetschende sind für Traumabehandlungen unverzichtbar, die Finanzierung bleibt eine Herausforderung.

Folgekosten für die Gesellschaft

Beim Übersetzer Cemal Özcelik klingelt das Telefon, wie mehrmals an diesem Nachmittag, als wolle es zeigen, wie ausgelastet das Ambulatorium und seine Übersetzer sind. Er vereinbart Termine, schreibt sie in die bereits volle Agenda. Er verpasst keinen Anruf. Manchmal müsse es schnell gehen, sagt Özcelik. Doch längst nicht alle, die dringend eine Behandlung benötigen, melden sich.

Psychische Erkrankungen werden noch oft stigmatisiert, in der Schweiz genauso wie in den Herkunftsländern der Geflüchteten. Je nach kulturellem Hintergrund könne die Schwelle, Hilfe aufzusuchen, hoch sein. Es kommt auch vor, dass Betroffene ihre Symptome nicht einordnen können oder sie verdrängen.

Eine systematische Früherkennung für Traumata fehlt in der Schweiz bisher. Wie sinnvoll ein flächendeckendes Screeningprogramm für Asylsuchende wäre, sieht Daniel Bach vom SEM ­kritisch. Der Nutzen für Patienten müsse abgewogen werden, auch gegen ­mögliche Schäden, etwa durch Über­diagnostizierung. Zudem müssten dazu genügend Behandlungsplätze zur ­Verfügung stehen. Im BAG laufen diesbezüglich verschiedene Projekte und Studien.

Bereits angelaufen ist seit Januar 2018 folgende Vorgehensweise: Asylsuchende werden bei ihrem Eintritt in ein Bundesasylzentrum über die wichtigsten Themen im Gesundheitsbereich ­informiert. Auch darüber, dass ihnen eine medizinische Erstkonsultation zusteht. Denn über die Folgekosten, welche eine versäumte Traumabehandlung mit sich bringt, ist sich der Bund durchaus bewusst.

In einer vom Bund in Auftrag ge­gebenen Studie steht, dass ein grosser Bevölkerungsanteil der damals in den 90er-Jahren vor dem Krieg aus Bosnien geflüchteten Personen mit ernsten ­gesundheitlichen Problemen kon­frontiert ist. Die häufigsten Erkran­kungen: Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen und chronische Schmerzen.

«Eine gute Integration führt nachweislich zu besseren Gesundheitswerten und wirkt sich damit auch positiv auf die Gesundheitskosten von vorläufig Aufgenommenen und Flüchtlingen aus», schreibt Bach. Im Mai 2019 tritt dazu ein neuer Plan in Kraft, er heisst: Integrationsagenda Schweiz. Traumatisierten Personen sollen in erster Linie die gesundheitliche Stabilisierung und die soziale Integration, aber auch die Arbeitsintegration erleichtert werden. Der Bund erwartet damit auch eine Senkung der Sozialhilfesubventionen.

Salbe reicht nicht für die Wunden

Um seine «Spuren des Gefängnisses» zu behandeln, suchte Özgül vor acht Jahren das Ambulatorium in Bern auf. Beim Erzählen fährt er sich mit dem Finger über den Handrücken. Es seien keine Wunden wie jene auf der Haut, die man mit Salbe behandeln kann. «Es war so schlimm, dass es schwer ist, Worte dafür zu finden.»

Übersetzer Özcelik weiss das. Er arbeitet seit 17 Jahren als Übersetzer, heute vollberuflich, für das Schweizerische Rote Kreuz und die Caritas. Am ­Anfang würden viele Patienten nur bruchstückhaft erzählen, zeitlich durcheinander, schwer verständlich. Zum Übersetzen eine Herausforderung. Eine Sitzung dauert eine Stunde, manchmal zwei, selten länger. «Für mich ist das Ambulatorium ein Fluchtort», sagt ­Mehmet Özgül. Die Atmosphäre sei freundlich, warm, die Leute herzlich. Er könne Last abladen und Knöpfe lösen. Özgül hat Vertrauen gefasst.

Im Berner Ambulatorium werden derzeit rund 160 Personen behandelt. «Migrationsbewegungen schlagen sich zeitversetzt bei uns nieder», so Manuela Ernst. Zurzeit stammen die meisten Leute in Behandlung aus Syrien und Eritrea. An oberster Stelle stehen jedoch Menschen aus der Türkei, viele Kurden. Sie gehören zur Mehrheit der Patienten, die bereits seit längerer Zeit in Behandlung sind – so wie Özgül.

Ein Trauma einer oder mehrerer Personen betreffe oft die ganze Familie und belaste diese stark, sagt Ernst. Die Auswirkungen auf die nächsten Generationen würden unterschätzt.

Özgül schweigt seiner Familie gegenüber. Was er erleben musste, darüber spreche er mit seiner Familie und den Kindern nur allgemein. Seine engen Freunde würden seine Situation kennen – weil sie teilweise dabei waren. Da brauche es keine weiteren Worte. Das, was ihm persönlich passiert sei, das aber bleibe zwischen ihm und dem Therapeuten – und dem Übersetzer.

Mehr Sensibilität gefordert

Was ist ein Trauma, und wie erkennt man es? Es brauche viel Sensibilisierungsarbeit bei Arbeitgebern, Ämtern, Sozialdiensten, in Schulen, bei der Polizei, erklärt Manuela Ernst. «Wenn jemand zu spät zur Arbeit erscheint oder einen Termin nicht wahrnimmt, muss das nicht heissen, dass er unzuverlässig ist. Es kann sein, dass die Person den Termin aufgrund der Traumatisierung vergessen oder mit sogenannten Flashbacks zu kämpfen hat.» Personen aus dem näheren Umfeld können unterstützend wirken, indem sie Sicherheit bieten und signalisieren: Ich bin da, ich höre zu. Oft seien es auch kleine Dinge, die zu mehr Stabilität im Alltag beitragen können: jemandem helfen, Informationen zum Asylverfahren oder seinem Aufenthaltsstatus zu finden oder eine Tagesstruktur zu schaffen. Was es zu vermeiden gelte: jemanden direkt aufzufordern, über seine Erlebnisse zu sprechen. Dies kann im schlimmsten Fall retraumatisierend wirken, und Laien können mit dem Gehörten schnell überfordert sein.

Was die Frauen, Männer und Kinder erlebt haben, ist schwer vorstellbar. «Die menschlichen Abgründe sind unermesslich», sagt Ernst, die mit dem UNHCR selbst im Irak war. Doch auch deshalb weiss sie: Viele der Betroffenen können ungeahnte Kräfte entwickeln und viel Optimismus aufbringen. «Plötzlich wird wieder vieles möglich.»

Und Herr Özgül, wie findet er den Weg aus den Abgründen? «Im Gefängnis haben wir sogar in den schwierigsten, dunkelsten Zeiten versucht, ein Licht zu finden.» Er habe sich an die Liebe zu Menschen, zur Natur, zu einer schönen Blume, die er aus dem Gefängnis sah, geklammert, habe stets versucht, auch an alle anderen zu denken, denen Schlechtes widerfährt. Dieses Licht habe er nie verloren, bis heute nicht, auch wenn es manchmal etwas dunkler werde, so wie bei einer Lampe, die man dimmen könne.

Als er über seine Söhne spricht, lächelt er zum ersten Mal. Beide studieren. «Das macht mein Licht ein bisschen heller.»

In Zahlen

1131 – So viele Personen wurden 2017 in der Schweiz in fünf spezialisierten Therapiezentren für Überlebende von Folter und Krieg behandelt. Die fünf Standorte bilden zusammen den Verbund «Support for Torture Victims».

675’000 – Das ist der jährliche Betrag in Franken, mit dem das SEM den Verbund «Support for Torture Victims» in den letzten drei Jahren unterstützt hat. 600’000 Franken davon gingen an Therapieplätze.
(https://www.bernerzeitung.ch/leben/gesellschaft/jeder-zweite-gefluechtete-in-der-schweiz-ist-traumatisiert/story/16768564)