Medienspiegel 6. Januar 2019

+++AARGAU
Arabisch-Dolmetscherin: «Ich kann jemandem eine Stimme geben, der selber keine hat»
Die Wettinger Arabisch-Dolmetscherin Danielle Zogg hilft syrischen Flüchtlingen bei ihrer Alltagsbewältigung. Sie brachte sich die Sprache autodidaktisch bei. Ihren Lebenspartner, ein geflüchteter Syrer, lernte sie bei einem Deutschkurs kennen.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/baden/arabisch-dolmetscherin-ich-kann-jemandem-eine-stimme-geben-der-selber-keine-hat-133921288

+++SCHWEIZ
Bund sucht Einheits-Krankenkasse für alle Asylsuchenden
Die öffentliche Ausschreibung läuft. Doch die günstigen Krankenversicherer verzichten auf den Grossauftrag – jetzt drohen Mehrkosten.
https://www.derbund.ch/sonntagszeitung/bund-sucht-einheitskrankenkasse-fuer-alle-asylsuchenden/story/26224183

Bürgerliche starten Grossangriff auf Hilfsgelder
Weniger Budget, aber mehr Geld für Krisengebiete: So will die SVP die Entwicklungshilfe umbauen.
https://www.derbund.ch/sonntagszeitung/buergerliche-starten-grossangriff-auf-die-entwicklungshilfe/story/26171831

Bei der Integration mit Geldern Geld sparen
Für Sprachkurse und andere Eingliederungsmassnahmen von Flüchtlingen zahlt der Bund – nicht aber von jungen Ausländern, die via Familiennachzug in die Schweiz kommen. Die Kantone fordern nun dafür ebenfalls Bundesgelder. Am Ende komme das billiger.
https://www.luzernerzeitung.ch/schweiz/bei-der-integration-mit-geldern-geld-sparen-ld.1082916
-> https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/alle-jungen-auslaender-sollen-mit-bundeshilfe-in-der-schweiz-integriert-werden-133924829

+++DÄNEMARK
Grenzkontrollen im Schengenraum: Dänen laufen Patrouille
Dänemark hat 7.000 Menschen an der Grenze zu Deutschland die Einreise verwehrt. Die Kontrollen gelten insbesondere Geflüchteten.
http://taz.de/Grenzkontrollen-im-Schengenraum/!5559301/

+++MITTELMEER
Interview mit einem crewmember von Iuventa
Anlässlich der Ermittlung in Italien gegen Iuventa Mitglieder und dass im Mittelmeer wieder Schiffe mit Geflüchteten an Bord keine Häfen anlaufen dürfen, hat das Brettchen ein Interview geführt.
https://www.freie-radios.net/92996

Hängepartie für Schiffe von Hilfsorganisationen geht weiter
Selbst Papst Franziskus konnte bis jetzt nichts bewirken. Die Schiffe im Mittelmeer, die Seenotrettungen durchführen, können weiterhin nirgends anlegen.
https://www.nau.ch/news/europa/hangepartie-fur-schiffe-von-hilfsorganisationen-geht-weiter-65469703
-> https://www.neues-deutschland.de/artikel/1109305.seenotrettung-selbst-der-papst-fordert-solidaritaet.html

Retter ohne Hilfe – ein Besuch bei den Seenotrettern am Mittelmeer
Das Bergen von Schiffbrüchigen ist nach Seerecht Pflicht. Doch vor Europa ertrinken wieder Tausende Flüchtlinge. Weil Schiffe wie die „Aquarius“ festsitzen. Vom Sieg des Populismus über die Menschlichkeit.
https://www.stern.de/politik/ausland/aquarius-im-mittelmeer–retter-ohne-hilfe—die-stern-reportage-8516704.html

+++TÜRKEI
Migrationsroute aus der Türkei: Über Zypern in die EU
Um in die EU zu gelangen, nutzen Migranten auch den Luftweg: Aus der Türkei fliegen sie in den türkisch kontrollierten Teil Zyperns. Von dort geht es in den Süden der Insel – und damit in die EU.
https://www.tagesschau.de/ausland/migranten-zypern-101.html

+++FLUCHT
Zahlen des UNHCR: Weltweit mehr Flüchtlinge
Die weltweite Zahl der Flüchtlinge ist nach UN-Angaben im vergangenen Jahr erneut gestiegen. In Deutschland seien jedoch deutlich weniger Asylanträge gestellt worden als in den Vorjahren, teilte das UNHCR mit.
https://www.tagesschau.de/inland/fluechtlinge-deutschland-167.html
-> https://www.zdf.de/nachrichten/heute/unhcr-die-fluechtlingskrise-findet-woanders-statt-100.html

+++FREIRÄUME
Wem gehört die Stadt?
Ein Überblick über den Häuserkampf in Basel
Es ist so einiges passiert während der letzten zwei Jahre in Basel. Viele Orte wurden belebt – aber auch wieder geräumt. Zusammen gings auf die Strasse, Menschen organisierten sich an unterschiedlichsten Ecken gegen die kommerziell orientierte Stadtentwicklung und setzten sich ein für selbstbestimmte Räume – eine selbstgemachte Stadt.
https://barrikade.info/Wem-gehort-die-Stadt-1761

+++POLIZEI TG
2020 fehlen der Kantonspolizei Thurgau Absolventen der Polizeischule
Die Ausbildung zum Polizisten dauert ab nächstem Herbst zwei Jahre. Ein Jahr später erhält also keiner der jungen Angehörigen der Kantonspolizei das Brevet. In den Einsatz können sie dann trotzdem bereits: Das zweite Ausbildungsjahr ist ein Praktikum.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/frauenfeld/2020-fehlen-der-kantonspolizei-thurgau-absolventen-der-polizeischule-ld.1082636

Ausbildung zum Polizisten dauert neu doppelt so lange: «Im Praktikumsjahr dürfen sie eine Waffe tragen»
Die Ausbildung an der Polizeischule Ostschweiz in Amriswil dauert ab nächstem Herbst zwei Jahre. Direktor Marcus Kradolfer weiss, was dies für die angehenden Polizisten bedeutet.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/frauenfeld/ausbildung-zum-polizisten-dauert-neu-doppelt-so-lange-im-praktikumsjahr-duerfen-sie-eine-waffe-tragen-ld.1082627

+++ANTIRA
antira-Wochenschau: Neo-koloniale Banken, rechte Polizei, schöne Plakate
https://antira.org/2019/01/06/antira-wochenschau-neo-koloniale-banken-rechte-polizei-schoene-plakate/

Sonntagszeitung 06.01.2019

So viel Hass gab es im Internet noch nie

Rund 10’000 Anzeigen wegen Beschimpfungen in einem Jahr: Jetzt gehen private Gruppierungen gegen Wutbürger vor.

Roland Gamp, Dominik Balmer

Ueli Maurer hält ein Smartphone in die Kamera. «Ein Symbol für den Fortschritt», sagt er. «Aber es birgt auch Gefahr.» Der Bundespräsident mahnt in seiner Ansprache zum neuen Jahr, sich auf traditionelle Schweizer Werte zu besinnen. Unter anderem auf «einen gewissen Respekt».

Dieser kam 2018 zu kurz, viel eher dominierte Hass die Schlagzeilen. Die Berner Jung-SVP hetzte mit einem Comic gegen Fahrende, Sportler Pascal Mancini machte mit einem Affenvideo Stimmung gegen Dunkelhäutige. Und der Thurgauer BDP-Politiker Thomas Keller verteidigte Adolf Hitler auf Twitter: «So unendlich schlecht kann dieser Mann nicht gewesen sein.» Dazu gab es sexistische Angriffe, etwa auf Juso-Chefin Tamara Funiciello oder SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga.

Alle paar Wochen gelangt ein neuer Fall an die Öffentlichkeit. Was aber noch kein Abbild der Realität ist. Wie weit verbreitet Hassbotschaften tatsächlich sind, zeigt die nationale Kriminalstatistik. Jeden Tag registriert die Polizei über 25 Straftaten wegen Beschimpfung. 9555 Anzeigen erfolgten 2017, so viele wie noch nie. Schweizweit ist die Zahl aller Straftaten seit Erhebungsbeginn 2009 deutlich gesunken. Die Beschimpfungen haben sich in dieser Zeit jedoch fast verdoppelt. Genauso ist es bei vergleichbaren Delikten. 1186 Verleumdungen gab es laut Polizei zuletzt, zudem 1666 Fälle von übler Nachrede.

«Die negative Stimmung gegen Minderheiten nimmt zu», begründet Roman Heggli, Geschäftsleiter der Schwulenorganisation Pink Cross, den Anstieg. Öffentlich auszuteilen, werde wieder salonfähiger. «Wenn man sieht, wie despektierlich sich zum Beispiel Donald Trump auf Twitter äussert, dann ist es nicht verwunderlich, dass auch in der Bevölkerung die Hemmschwelle sinkt.» Die Kriminalstatistik zeigt nicht, wie viele Beschimpfungen online erfolgten und wie viele im realen Leben. Für Experten ist aber gerade das Internet für die hohen Zahlen verantwortlich. «Es hat neue Möglichkeiten gebracht, um Hass zu streuen», sagt Dominic Pugatsch, Geschäftsleiter der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus. «Mit einer Beschimpfung auf der Strasse erreicht man einige Leute. Über soziale Medien hingegen ist der Wirkungskreis viel grösser.»

Hinzu komme die Anonymität im Netz, welche die Täter schützt. «Obwohl wir in letzter Zeit feststellen, dass die Zurückhaltung sinkt», sagt Pugatsch. «Immer mehr Leute teilen mit echtem Namen und Foto offensichtlich strafbare Inhalte. Einfach deshalb, weil sie keine Angst haben, Konsequenzen tragen zu müssen.»

Unternehmen wie Facebook oder Youtube tun laut Pugatsch zu wenig, um verwerfliche Beiträge zu unterbinden. «Oft melden wir Kommentare, und dann geschieht über Wochen nichts, sie bleiben für alle sichtbar.» Die Plattformen hätten kein Interesse, einzugreifen. «Ihnen geht es um möglichst viele Klicks. Diese erhalten sie gerade bei gehässigen Diskussionen und anstössigen Inhalten.»

Über 200 Kinder unter 15 Jahren angezeigt

Der Transparenz-Bericht von Facebook verdeutlicht, wie verbreitet Hassreden in den sozialen Medien sind. In den ersten neun Monaten 2018 griff das Unternehmen weltweit bei mehr als 8 Millionen Kommentaren, Posts und Fotos ein – sei es mit der Löschung eines Beitrags oder der Sperrung eines Users. Wie oft es insgesamt zu Hass-Posts kommt, kann aber nicht einmal das Unternehmen selbst sagen. Die Analyse-Parameter dazu würden erst entwickelt, heisst es. Ebenso wenig weist das Unternehmen detaillierte Zahlen zur Schweiz aus.

Stattdessen zeigt die nationale Kriminalstatistik: Einige der Täter sind noch extrem jung. 2017 wurden in der Schweiz 239 Kinder wegen Beschimpfung angezeigt, die 14 Jahre oder noch jünger waren. Fast genauso viele Anzeigen richteten sich aber auch gegen Senioren über 70. Deutliche Unterschiede zeigen sich beim Geschlecht: Drei von vier Verzeigten waren laut Statistik männlich.

«In den herkömmlichen Medien kommen Frauen weniger zu Wort als Männer», sagt Sophie Achermann von Alliance F, dem Bund Schweizerischer Frauenorganisationen. Social Media verbesserten dieses Ungleichgewicht. «Wir sind es aber wenig gewohnt, dass Frauen sich Gehör verschaffen. Dies scheint vor allem Männer zu verunsichern, sie fühlen sich provoziert und reagieren mit Beleidigungen und Drohungen.»

Verschiedene Gruppen schlagen zurück. Sogenannte Online-Warriors des Vereins #NetzCourage melden gemeinsam verwerfliche Beiträge bei Facebook. Immer mit möglichst vielen Mitgliedern, um so den Druck auf die Plattform zu erhöhen. Der Verein bietet aber auch direkte Unterstützung für Betroffene. «Wir haben mehrere Anfragen pro Tag für Soforthilfe, im Jahr 2018 waren es insgesamt über 1000», sagt Gründerin Jolanda Spiess-Hegglin. Die ehemalige Zuger Kantonsrätin, bekannt geworden als Opfer eines angeblichen sexuellen Übergriffs, ist bis heute Ziel von massivem Hass. «Seit es unseren Verein gibt, haben wir 180 Anzeigen eingereicht – die Hälfte der Fälle betrifft mich selber.»

Täter können mit einer Geldstrafe von bis zu 90 Tagessätzen belangt werden. Das Bezirksgericht Kriens LU sprach 150 Franken für folgenden Facebook-Post: «Die gehört administrativ in eine Klinik gesperrt und nicht mehr raus gelassen.» Eine Geldstrafe von 900 Franken verhängte die Zürcher Staatsanwaltschaft See/Oberland für die Worte «Dreckslügner», «Krimineller» oder «Dummkopf». In Winterthur wiederum stellten die Strafbehörden ein Verfahren wegen Beschimpfung ein, weil das Gegenüber diese provoziert habe. Grundsätzlich stehen die Chancen auf einen Schuldspruch heute aber gut. Anders als auf der Strasse lassen sich Beschimpfungen im Internet besser nachweisen. 2017 ergingen 3512 Urteile. Auch dies ein deutlicher Rekord.
(https://www.derbund.ch/sonntagszeitung/hure-kuh-dummkopf-so-toben-hassredner/story/29601978)

Sonntagszeitung 06.01.2019

«Trotz Morddrohung gegen Kinder gab Facebook keine Daten heraus»

Jolanda Spiess-Hegglin hat viel Hass erlebt – heute weiss sie, wie man Wutbürger im Internet stoppt.

Mit Jolanda Spiess-Hegglin sprach Dominik Balmer

Jolanda Spiess-Hegglin ist Geschäftsführerin des Vereins #NetzCourage, der gegen Hassreden, Diskriminierung und Rassismus im Internet kämpft. Sie selbst hat im Internet viel Hass erlebt. Im Interview erklärt sie, wie man Wutbürger stoppt.

Gibt es typische Beschimpfungen in sozialen Netzwerken?

Bei Frauen geht es fast immer gegen den Körper oder ihre Sexualität. Herabsetzungen wie «Schlampe» oder «Hure» sind gängige Bezeichnungen, um eine fehlende Sexualmoral zu thematisieren, auch wenns frei erfunden ist. Typisch ist auch Bodyshaming, wenn Frauen keine Modelmasse haben zum Beispiel. Ebenfalls häufig sind Vergewaltigungsandrohungen. Bei Männern gibt es dies fast nie – ausser sie sind schwul.

Und wer sind die typischen Opfer?

Ich berate über 90 Prozent Frauen, die tendenziell links stehen. Bürgerliche Frauen haben eher Hemmungen, sich Hilfe zu holen, weil sie glauben, so eine Schwäche zu zeigen – und sie darum denken, sie würden von ihren männlichen Kollegen weniger ernst genommen. Ich habe aber auch schon SVP-Männer beraten und auch schon eine Anzeige geschrieben für einen Jung-SVPler gegen einen Juso-Mann.

Können Sie den klassischen Täter beschreiben?

Plakativ gesagt, ist der Beschimpfer im Netz der alte, weisse Rentner, SVP-Wähler oder -Mandatsträger. Natürlich ist das nicht immer so, aber doch beängstigend oft. Der typische Wutbürger wohnt im Kanton Aargau oder Thurgau, auch mal im Zürcher Oberland – sicher auf dem Land, in den SVP-Hochburgen.

Warum wüten diese Männer?

Sie haben in der Regel einfach zu viel Zeit und kennen die Regeln des Internets noch nicht. Die jüngere Generation lernt die Regeln und Grenzen ja in der Schule kennen. Für die Senioren ist das Internet Neuland. Die Alternative zum Stammtisch im Dorf ist attraktiv, denn plötzlich gibts in den Hetzergruppen Applaus von Dutzenden oder Hunderten Gleichgesinnten.

Wie wehrt man sich gegen Beschimpfungen?

Das Wichtigste ist, einen Screenshot zu machen und den Link zu kopieren. Dann gibt es eine digitale Spur. Das kann später der Polizei helfen, die Täter zu finden.

Also braucht es immer eine Strafanzeige?

Nicht unbedingt. Auf Facebook zum Beispiel haben wir gute ­Erfahrungen gemacht mit unseren Meldegruppen, wo teilweise 150 Leute drin sind. Gibt es beleidigende Kommentare, posten wir den Link dazu in der Gruppe – dann werden viele aktiv und melden dies. Das funktioniert fast immer, manchmal entfernt Facebook die Kommentare schon nach wenigen Minuten.

Und wann klappt es nicht?

Am schwierigsten ist es mit Verleumdungen oder Gerüchten. Diese werden von Facebook kaum gelöscht. Und bei Twitter lässt sich kaum etwas entfernen.

Wann ist trotzdem eine Anzeige nötig?

Selbst Äusserungen wie «Blöde Kuh» oder «Kleekuh» können strafbar sein. Trotzdem rate ich nur in krassen Fällen dazu. Dann muss es aber sein. Leider fehlt der Polizei und den Opferberatungsstellen auch heute noch oft das Know-how. Gerade bei der Polizei heisst es dann: «Das ist doch nicht so schlimm.»

Gibt es noch andere Mittel gegen Hass im Netz?

Es bringt viel, den Kontakt zu den Wutbürgern zu suchen. Erstaunlich viele sind einsichtig, wenn sie mit ihren Taten konfrontiert werden oder merken, dass die Betroffenen Menschen sind und nicht bloss Accounts.

Aber oft erfolgen die Beschimpfungen und Verleumdungen auch anonym.

Ja, solche Hasskommentare sind ein zusätzliches Problem. Wenn Betroffene dagegen vorgehen wollen, müssen sie eine Anzeige einreichen. Und um Konzerne wie Facebook zu zwingen, einen Post zu löschen oder die Nutzerdaten eines anonymen Accounts herauszugeben, braucht es Rechtshilfeersuchen der Schweiz.

Das dauert sehr lange.

Ja, und meistens läuft gar nichts. Meine Erfahrungen zeigen, dass Facebook nur Daten an Schweizer Behörden herausgibt, wenn es um Terrorismus geht. Auf Facebook stiess einmal ein Nutzer Morddrohungen gegen meine Kinder aus. Trotz eines Rechtshilfeersuchens weigerte sich Facebook, die Nutzerdaten des betreffenden Profils herauszugeben.
(https://www.tagesanzeiger.ch/sonntagszeitung/trotz-morddrohung-gab-facebook-keine-daten-heraus/story/20042539)

Gegen digitale Frauenhasser helfen altbewährte Mittel
Offenbar haben mehr Männer, als man glaubt, ein Problem damit, dass Frauen nicht mehr die unterwürfigen Wesen von früher sind.
https://www.tagesanzeiger.ch/gegen-digitale-frauenhasser-helfen-altbewaehrte-mittel/story/23226463

+++GEHEIMDIENSTE
Sonntagszeitung 06.01.2019

«Ein bisschen wie James Bond»: Türkischer Spion packt aus

Adnan K. hat in der Schweiz für den türkischen Geheimdienst jahrelang linksgerichtete Gruppierungen unterwandert.

Kurt Pelda

«Ich bereue, was ich getan habe», sagt der ehemalige Spion und lächelt verlegen. Dann fügt er wie als Entschuldigung hinzu: «Es war ein bisschen wie James Bond.» Adnan K.* nippt an seinem Kaffee. Sein Schädel ist glattrasiert, darunter befinden sich eine hohe Stirn und Augen mit Schalk. Adnan K. ist wachsam. Immer wieder blickt er sich in dem Café um und mustert Eintretende. Aus Angst vor Racheakten hat er Zürich, seinem früheren Wohnort, schon vor längerem den Rücken gekehrt.

Der Mann mit den kurdischen Wurzeln ist jetzt Ende 30. Mitte der Neunzigerjahre kam er in die Schweiz, zusammen mit seiner Familie. «Mein Vater war Maoist, und es war nur natürlich, dass wir uns in der linksgerichteten türkisch-kurdischen Diaspora wohlfühlten.»

Ideale Legende

Im Verlauf der Jahre hatte Adnan K. die verschiedensten Jobs, zum Beispiel an einem Imbissstand im Zürcher Hauptbahnhof. Er war nicht gerade auf Rosen gebettet. Als sich eine Gelegenheit für einen Nebenverdienst ergab, griff er zu. 2006 lernte er einen Mitarbeiter des türkischen Generalkonsulats kennen, und dieser fragte ihn nach Mahir N.*, einem kurdischstämmigen Türken, der ebenfalls zur linksextremen Diaspora gehörte. Spontan antwortete Adnan K.: «Ja, den kenne ich. Was zahlst du mir dafür?»

Weil er schon lange in der linken Szene aktiv war, hatte Adnan K. als Spion eine ideale Legende, wie es im Agentenjargon heisst. Im Auftrag des türkischen Geheimdienstes (MIT) begann er sich nun öfter mit seiner Zielperson zu treffen. Mahir N. führte den militärischen Arm einer kleinen türkischen Linksguerilla an, und der MIT vermutete, dass er im Auftrag eines anderen Nachrichtendienstes handelte. Die Linksguerilla galt in der Türkei und in Deutschland, nicht aber in der Schweiz als Terrororganisation. Sie fiel unter anderem durch einen Anschlag auf ein Armeehauptquartier auf und eine wilde Schiesserei mit drei Todesopfern, beides in Istanbul. Ausserdem bekannte sich die Organisation zu einem Sprengstoffattentat auf die Tochtergesellschaft einer israelischen Bank am Bosporus. Zugleich solidarisierte sie sich mit anti-israelischen Terrorgruppen wie den palästinensischen Al-Aqsa-Märtyrerbrigaden und dem Islamischen Jihad.

Adnan K. sollte aber nicht nur Mahir N. ausforschen, sondern auch Mitglied der linksextremen Gruppe werden. Sein Eintrittsgespräch hatte er mit einem türkischstämmigen Zürcher Kleinunternehmer, der schon lange Teil der militanten Organisation war. Mit der Zeit begann Adnan K. dann auch, Propagandamaterial für diese Formation zu verteilen, mit Wissen und Einverständnis des MIT. Damit wurde seine Legende noch wasserdichter.

Treffen im Zürcher Pub

Sein Führungsoffizier wurde bald durch einen neuen Mann ersetzt. Ali Dogan war bei der türkischen Botschaft in Bern angestellt, offiziell als «Attaché für politische und wirtschaftliche Angelegenheiten». Mit ihm traf sich Adnan K. nun ein- bis zweimal wöchentlich in einem Pub in der Nähe des Zürcher Rennwegs. Wichtig für den MIT war es, dass das schummrige Lokal nicht von anderen Türken oder Kurden frequentiert wurde. Adnan K. erhielt jeweils Erfolgshonorare, in der Regel ein paar Hundert Franken pro Monat. Für die Barzahlungen musste er Quittungen unterschreiben. Darauf prangte der Briefkopf «Türkische Republik – Aussenministerium». Ali Dogan brachte ihm viele Tricks bei, zum Beispiel wie man unbemerkt Fotos mit dem Handy von Zielpersonen schiesst, indem man vorgibt, eine Kurznachricht in die Tastatur einzutippen. Dogan schärfte seinem Agenten immer wieder ein, möglichst keine Fragen zu stellen. Das Motto hiess: Einfach nur zuhören, sich das Gesagte merken und warten, bis die Zielpersonen von sich aus Informationen preisgeben. Ein guter Spion muss warten können.

Adnan K. hatte Geduld – und Erfolg. Mahir N. vertraute ihm und benutzte ihn als Kurier, um geheime Nachrichten in die Türkei zu bringen. Er erzählte ihm auch von Basen, welche seine Gruppe im kurdisch beherrschten Nordirak unterhalte. Später schickte Ali Dogan seinen Agenten zu anderen linksgerichteten Gruppierungen. So spionierte Adnan K. in Zürich den Unia-Gewerkschaftssekretär Mehmet Akyol aus. Akyol verstarb vor zwei Jahren. Ausserdem gab Adnan K. Informationen über einen Journalisten weiter, der in Zürich für eine Zeitung arbeitete, die der kurdischen Arbeiterpartei (PKK) nahestand. Auch die PKK gilt fast überall in Europa als Terrororganisation, nur nicht in der Schweiz.

Ein geheimer Brief?

«Spione wie Adnan K. sind daran mitschuldig, dass Hunderte in der Schweiz lebende Türkischstämmige nicht mehr in die Türkei reisen können aus Angst, verhaftet zu werden», schimpft Mahir N., der vom MIT jahrelang ausgespähte Guerilla-Anführer. Wir sitzen in einem Café, zusammen mit einer Übersetzerin. «Aber nicht nur das», fährt der Kurdischstämmige fort, «dem MIT geht es auch darum, türkische Oppositionelle in der Schweiz zu diskreditieren, ihren Ruf in den Dreck zu ziehen, sie unglaubwürdig zu machen.» Tatsächlich führte die Agententätigkeit von Adnan K. nicht nur zu Verhaftungen in der Türkei, sondern auch zu Berichten in der regierungsnahen türkischen Presse über das Netzwerk der Linksguerilla. Mahir N. wurde als Alkoholiker mit psychischen Problemen dargestellt. «Ausserdem will der MIT einfach Angst in der türkischen Diaspora verbreiten, es ist eine Terrorstrategie», betont der inzwischen 53-Jährige. Mahir N. hat kurzgeschorene graue Haare und ein scharfgeschnittenes Gesicht. Bevor er Anfang der Neunzigerjahre in die Schweiz geflüchtet sei, habe er elf Jahre in türkischen Gefängnissen verbracht, erzählt er mit leiser Stimme.

Ende 2011 habe ihn Mahir N. mit einem geheimen Brief im Gepäck nach Istanbul geschickt, erinnert sich Adnan K. In dem Schreiben sei es auch um die Lieferung von Kriegsmaterial gegangen, Sprengstoff und Funkgeräte. «In Istanbul konnte ich den Brief wartenden Mitarbeitern des MIT übergeben. Sie öffneten ihn vorsichtig und kopierten den Inhalt, bevor sie mir den wieder verschlossenen Umschlag zurückgaben.» Doch dann ging etwas schief. Die Polizei war offenbar nicht informiert worden und verhaftete Adnan K. wegen Verdachts auf Zugehörigkeit zu einer Terrorgruppe. Das Missverständnis wurde zwar rasch aufgeklärt, trotzdem war die Tarnung von Adnan K. aufgeflogen. Sein Name und Foto tauchten in türkischen und kurdischen Medienberichten auf. Nach der Rückkehr aus Istanbul traf er seinen Führungsoffizier Ali Dogan zum letzten Mal. Er erhielt 5000 Franken Abfindung. Danach setzte sich Ali Dogan in die Türkei ab. Die Karriere des MIT-Spions Adnan K. war zu Ende.

K.o.-Tropfen für Gülen-Anhänger

Mahir N. bestreitet allerdings vehement, dass er dem Agenten jemals einen Brief mitgegeben habe oder dass er irgendwelche Anschläge geplant habe. «Dass dieser Brief eine Erfindung war, wurde vor einem türkischen Gericht klar. Der MIT gab dort zu, dass Adnan K. sein Spion war. Die Angeklagten und das Gericht wollten diesen Brief sehen, doch der MIT erklärte, dass es so ein Schreiben gar nicht gebe. Das war der Beweis, dass das Ganze nur ein Komplott gegen mich war.» Und dann fügt Mahir N. hinzu: «Ich bin Revolutionär und Sozialist. Ich bin für den revolutionären Kampf. Gegen das faschistische Regime zu kämpfen ist eine humanitäre Haltung.»

Die Geschichte ist zwar schon einige Jahre alt, doch zeigt sie gut, wie der türkische Geheimdienst in der Schweiz operiert. Auch bei der im letzten März von dieser Zeitung aufgedeckten MIT-Operation in der Region Zürich wurde ein Agent rekrutiert, der schon länger mit der im Fokus des MIT stehenden Zielperson bekannt war. Mit Geldzahlungen sollte der Angeworbene dazu gebracht werden, einem Anhänger des türkischen Predigers Fethullah Gülen K.-o.-Tropfen in ein Getränk zu träufeln, damit dieser nachher vom MIT entführt werden konnte. Nicht zuletzt dank der Observierung der türkischen Agenten durch den Nachrichtendienst des Bundes (NDB) wurde der Kidnappingversuch aber vereitelt.

* Name geändert
(https://www.derbund.ch/sonntagszeitung/wie-ankara-in-der-schweiz-spionieren-laesst/story/26618479)