Medienspiegel 9. November 2018

+++BERN
Neustrukturierung des Asyl- und Flüchtlingsbereichs im Kanton Bern: Rückkehrzentrum in Prêles – Gespräche und Abklärungen
Voraussichtlich per Mitte 2019 wird das Rückkehrzentrum für abgewiesene Asylsuchende in Prêles den Betrieb aufnehmen. Die Polizei- und Militärdirektion (POM) führt zurzeit Gespräche und Abklärungen für Eröffnung dieses Zentrums durch. Kürzlich fand auch ein Treffen mit dem Petitionskomitee statt. Die dabei aufgeworfenen Fragen wird die POM in die bereits laufenden Abklärungsarbeiten einbeziehen.
https://www.be.ch/portal/de/index/mediencenter/medienmitteilungen.meldungNeu.mm.html/portal/de/meldungen/mm/2018/11/20181109_0945_rueckkehrzentruminprelesgespraecheundabklaerungen
-> https://www.bielertagblatt.ch/nachrichten/kanton-bern/abgewiesene-asylsuchende-werden-im-rueckkehrzentrum-preles-untergebracht

Reformierte Kirchen werben für ein Ja zum Asylsozialhilfekredit
Kanton Bern – Die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn befürworten den Kredit für die Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden.
https://www.bernerzeitung.ch/region/kanton-bern/reformierte-kirchen-werben-fuer-ein-ja-zum-asylsozialhilfekredit/story/11838870
-> http://www.refbejuso.ch/inhalte/news/?tx_refbejuso_pi1%5Bload%5D=6263&cHash=26d039dd97ce319399b1c157fe4231e1

+++AARGAU
Regierung sagt Nein – Der Aargau will kein Bundesasylzentrum
Dem Regierungsrat sind die finanziellen Risiken zu hoch.
https://www.srf.ch/news/regional/aargau-solothurn/regierung-sagt-nein-der-aargau-will-kein-bundesasylzentrum
-> https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/aargauer-asyl-grossunterkunft-mehrere-gemeinden-fuehlen-sich-von-franziska-roth-ueberrumpelt-133697405
-> https://www.srf.ch/news/regional/aargau-solothurn/kanton-aargau-an-diesen-acht-orten-koennte-es-eine-asyl-grossunterkunft-geben
-> https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/kanton-klaert-acht-standorte-fuer-asyl-grossunterkunft-ab-franziska-roth-sie-sind-gut-geeignet-133695559
-> https://www.telem1.ch/news/moegliche-standorte-fuer-asylunterkuenfte-133697403#video=0_y1p630md
-> https://www.ag.ch/de/weiteres/aktuelles/medienportal/medienmitteilung/medienmitteilungen/mediendetails_110601.jsp

+++APPENZELL
Neues Asylzentrum bei der Psychiatrie Herisau? Vorgehen der Regierung sorgt für Unmut
Die Ankündigung der Ausserrhoder Regierung, bei der Psychiatrischen Klinik in Herisau alternativ zum «Sonneblick» in Walzenhausen die Einrichtung eines Asylzentrums zu prüfen, löst Ärger aus. CEO Paola Giuliani sagt, dass der Spitalverbund vom Kanton zur Räumung des betreffenden Gebäudes gezwungen wurde.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/appenzellerland/uns-wurde-ein-ultimatum-gestellt-ld.1068267

+++ZUG
Flüchtlingszahlen sind schweizweit rückläufig – Kanton Zug schliesst Asylunterkunft im Salesianum
Die Asylunterkunft im Salesianum an der Artherstrasse in Zug wird per Ende Februar 2019 geschlossen. Der Kanton Zug hat das Mietverhältnis mit der Alfred Müller AG, die Eigentümerin der Liegenschaft ist, gekündigt. Der Grund dafür sind die sinkenden Zuweisungen von Flüchtlingen durch den Bund.
https://www.zentralplus.ch/de/news/aktuell/5581089/Kanton-Zug-schliesst-Asylunterkunft-im-Salesianum.htm
-> https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/zug/salesianum-wird-verkauft-saniert-und-renoviert-ld.1068696

+++SCHWEIZ
Geflüchtete Kurdinnen: Die Angst und das Warten im Transit
Vierzehn KurdInnen – darunter kleine Kinder – stecken seit Wochen im Transitbereich des Zürcher Flughafens fest. Weil sie alle über «sichere» Drittstaaten eingereist sind, lehnte die Schweiz ihre Asylgesuche ab.
https://www.woz.ch/1845/gefluechtete-kurdinnen/die-angst-und-das-warten-im-transit

Bundeshaushalt – Nationalratskommission will Ausgaben begrenzen
(…)
Weniger Asylsuchende
Am meisten sparen will die Kommission bei der Sozialhilfe für Asylsuchende, vorläufig Aufgenommene und Flüchtlinge. Hier beantragt sie eine Reduktion um 45 Millionen Franken. Der Grund dafür ist, dass die Zahl der Asylgesuche zurückgegangen ist. Der Bundesrat stellt sich jeweils auf den Standpunkt, dass Entwicklungen nach Abschluss des Budgetprozesses in der Verwaltung erst im Folgejahr berücksichtigt werden sollten.
Das Budget des Bundesamtes für Umwelt will die Kommission um 7,7 Millionen Franken reduzieren. Das beschloss sie mit Stichentscheid des Präsidenten. Die Vollzugsstelle für den Zivildienst soll 1,6 Millionen Franken weniger erhalten als der Bundesrat vorschlägt, das Bundesamt für Gesundheit 1,4 Millionen weniger.
https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/mk-sda-fk-n-2018-11-09.aspx
-> https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/bundesbudget-soll-um-70-millionen-franken-gekuerzt-werden/story/18357194

Totgeburt bei einer syrischen Flüchtlingsfrau: Ankläger akzeptiert das Urteil
Der militärische Auditor verzichtet auf Anfechtung der relativ milden Strafe.
https://www.nzz.ch/zuerich/totgeburt-bei-einer-syrischen-fluechtlingsfrau-anklaeger-akzeptiert-das-urteil-ld.1435084

+++DEUTSCHLAND
Neue Pflichten für Flüchtlinge: Bundestag verschärft Asylgesetz
Anerkannte Asylsuchende sind künftig bei Widerrufs- und Rücknahmeverfahren zur Mitwirkung verpflichtet. Das Bamf kann diese Regelung mit der Auferlegung von Zwangsgeldern durchsetzen.
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/asylgesetz-bundestag-beschliesst-mitwirkungspflichten-fuer-fluechtlinge-a-1237524.html

+++FRANKREICH
A Gap, prison ferme requise contre deux militants accusés d’avoir « aidé » des migrants
Le procureur a requis douze mois, dont quatre ferme, contre deux prévenus et six mois avec sursis contre cinq autres, dépourvus de casier judiciaire.
https://www.lemonde.fr/police-justice/article/2018/11/09/prison-requise-contre-les-sept-militants-accuses-d-avoir-aide-des-migrants_5380931_1653578.html

+++MITTELMEER
Verzweiflung im zentralen Mittelmeer
Das Alarmphone kann die Boat People, die von Libyen aus auf die Gummiboote gebracht werden, nicht selbst retten. Sie sind auf die Seenotrettung angewiesen. Derzeit gibt es aber nur die Mare Jonio und das kleine Flugzeug Moonbird, das von Malta aus startet.
https://ffm-online.org/verzweiflung-im-zentralen-mittelmeer/

+++FREIRÄUME
Wie steht es um die Grosse Halle?
2018 war ein ereignisreiches Jahr für die Grosse Halle der Reitschule. Viele Fragen tun sich auf: Was beschäftigt die Trägerschaft? Was ist von der Besetzung im Frühjahr noch geblieben? Haben die BesetzerInnen ihre Ziele erreicht? Gibt es noch eine Zusammenarbeit?
http://www.journal-b.ch/de/082013/alltag/3189/Wie-steht-es-um-die-Grosse-Halle.htm

+++GASSE
(via Lea Bill)
Werden Jugendliche oder Menschen mit Lebensmittelpunkt Gasse durch die gezielte Belebung des öffentlichen Raumes verdrängt?
Heute habe ich mit Rahel Ruch im Stadtrat ein Postulat eingereicht: Dass der Gemeinderat die Berner Bevölkerung dabei unterstützt, sich den öffentlichen Raum anzueignen, ist durchaus begrüssenswert. Bis jetzt fehlt aber eine fundierte Begleitung.
Wir fordern deshalb eine sozialräumliche Studie, welche Auskunft über die Veränderung des Lebens im öffentlichen Raum gibt, mit einem besonderen Augenmerk auf marginalisierte Gruppen wie Menschen mit Lebensmittelpunkt auf der Gasse, Jugendliche, Migrant_innen und Menschen, die aufgrund fehlenden Geldes von Konsum ausgeschlossen sind.
https://www.facebook.com/lea.bill.7/posts/10155542866106431
-> https://www.gbbern.ch/blog/moeblierung-und-aneignung-des-oeffentlichen-raumes-begleiten/
-> Postulat: https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=e7276b4b27014b0e94ebb51bc56d37c8

+++POLICE BE
Fahren mit Blaulicht und Sirene will gelernt sein
Bei dringenden Einsätzen kommt es manchmal auf Sekunden an: Fahrten mit Blaulicht und Sirene sind für Polizistinnen und Polizisten sehr herausfordernd. Seit diesem Sommer haben unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Möglichkeit, ihr Können am neuen Fahrsimulator auf den Prüfstand zu stellen und weiter zu vertiefen.
https://www.blog.police.be.ch/2018/11/08/fahren-mit-blaulicht-und-sirene-will-gelernt-sein/
-> https://www.securnews.ch/blaulicht-sirene-test-training-fahren-polizeiauto-bern-simulator/

+++POLIZEI SZ
Kantonspolizei Schwyz zügelt in ein Polizeizentrum
Der Sicherheitsstützpunkt Biberbrugg (SSB) im Kanton Schwyz soll zu einem Polizei- und Verwaltungszentrum für rund 320 Mitarbeitende erweitert werden.
https://www.securnews.ch/kantonspolizei-schwyz-biberbrugg-ssb-standort-polizeizentrum/
-> https://www.sz.ch/behoerden/information-medien/medienmitteilungen/medienmitteilungen/details.html/72-416-412-1379-1377-4603/news/11821

+++POLIZEI CH
Gesetz zu Versicherungsdetektiven spaltet Polizisten
In einer Umfrage des Verbandes Schweizerischer Polizeibeamter (VSPB) lehnt rund die Hälfte der Mitglieder das Gesetz zu Versicherungsdetektiven ab. Auch ein bürgerlicher Polizeidirektor kann sich damit nicht anfreunden.
https://www.nzz.ch/schweiz/gesetz-zu-versicherungsdetektiven-spaltet-polizisten-ld.1435288
-> https://www.vspb.org/de/medien/medienmitteilungen/
-> https://www.vspb.org/__/frontend/handler/document/42/3579/181109%20DE%20MM%20Versicherungsgesetz.pdf

+++ANTIFA
Basler Pnos-Demonstration findet statt — Polizei bewilligt keine Gegendemonstration vor Ort
Eric Weber und die Pnos werden am 24. November auf dem Messeplatz demonstrieren. Die Juso Basel-Stadt reichte ein Gesuch für eine Gegendemonstration ein. Eine Konfrontation zwischen Rechts und Links will die Polizei aber verhindern.
https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/basler-pnos-demonstration-findet-statt-polizei-bewilligt-keine-gegendemonstration-vor-ort-133697311

Konzert in der Schützi mit angeblich Nazi-freundlicher Band Horna sorgt für Aufregung
Die Band Horna, die am Freitagabend in der Oltner Schützi auftrat, soll mit dem Nationalsozialismus sympathisieren: Das Konzert wurde trotz Beschwerden aus antifaschistischen Kreisen nicht abgesagt – Daniel Kissling vom «Coq d’Or» hätte anders reagiert.
https://www.solothurnerzeitung.ch/solothurn/olten/konzert-in-der-schuetzi-mit-angeblich-nazi-freundlicher-band-horna-sorgt-fuer-aufregung-133696485
-> https://barrikade.info/NS-Blackmetal-Band-Horna-soll-am-Freitag-9-11-in-der-Schutzi-in-Olten-spielen-1576

Berner demonstrieren für eine solidarische Zukunft
Am 9. November jährt sich zum 80. Mal die Reichspogromnacht von 1938. Mit der Demo in Bern will man den Opfern gedenken und daran erinnern, dass noch lange nicht alles getan ist.
https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/berner-demonstrieren-fuer-eine-solidarische-zukunft/story/19238015

Communiqué zur „Erinnern heisst Kämpfen“-Demonstration von 09.11.2018
https://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=319883125507521&id=297667917729042&__tn__=K-R
Heute Abend haben sich 450 Menschen zu einer lautstarken, kämpferischen und vielfältigen Demonstration eingefunden um ein starkes Zeichen für eine solidarische Zukunft zu setzen. Fünf Reden begleiteten den Umzug durch den Abend. Zu Beginn der Demo wurde ein Video mit Augenzeug*innen-Berichte an die Heiliggeistkirche projiziert.

Heute jährte sich zum achzigsten Mal die Reichpogromnacht, was wir zum Anlass nahmen, den Opfern des NS-Regimes zu gedenken. Wir gingen gegen antisemitische Ressentiments, die menschenverachtende Migrationspolitik und das Wiederaufflammen faschistischer Bewegungen auf die Strasse.

Die Reichspogromnacht 1938 bildete den Auftakt zur systematischen Vernichtung der jüdischen Bevölkerung Europas. In den folgenden Tagen des 9. Novembers 1938 verschleppten die Nationalsozialisten über 30‘000 jüdische Menschen in Konzentrationslager. Nie wieder wollen wir solche Ereignisse tatenlos akzeptieren. Wenn wir uns umblicken, sehen wir eine Welt, die nicht nur zum Nachdenken, sondern um Handeln auffordert!

Die Ereignisse in Chemnitz und Köthen, wo Neonazis mit Parolen wie „Für jeden toten Deutschen einen toten Ausländer“, „Frei, sozial und national!“, sowie mit Hitlergrüssen durch die Strassen marschierten, sind Sinnbild für das vergiftete gesellschaftliche Klima. Fremdenfeindlichkeit und rechtsradikales Gedankengut konnten sich wieder bis weit in die Mitte der Gesellschaft etablieren. Systematische Diskriminierung und Angriffe auf Geflüchtete gehören in Europa zur Tagesordnung. An der Grenze zur Festung Europa ertrinken tausende Menschen im Mittelmeer oder verdursten in der Wüste. Nationalistische und faschistische Parteien und Bewegungen gewinnen immer mehr an Stärke. Die Rechten in Chemnitz griffen und pöbelten Menschen an, welche nicht in ihr Weltbild passten, und in der Folge wurde ein jüdisches Restaurant angegriffen. In Ungarn wurde mit antisemitischen Plakaten Wahlkampf geführt. In Basel gab es mehrere Attacken gegen eine jüdische Metzgerei. In Pittsburgh ermordete ein weisser Amerikaner, durch Verschwörungstheorien radikalisert, in einer Synagoge elf Menschen.

Die Angriffe und antisemitischen und rassistischen Vorstellungen sind eine Folge falscher Ideologien über Gesellschaft und Ökonomie. Jüdische Menschen werden, u.a. aufgrund historisch gewachsener, religiöser Verbote für Christ*innen mit Zins zu handeln, mit eben dieser Sphäre des Kapitalismus assoziiert. Anstatt also systematische Ursachen für Krisen und Ungerechtigkeiten im Kapitalismus zu suchen,werden Angst und Hass auf jüdische Personen gelenkt. Die NSDAP sah sich beispielsweise im Kampf für das ‚gute Industrie-Kapital‘ und gegen das ‚raffende, jüdische Kapital‘, worunter u.a. der Zins verstanden wurde. Anstatt die kapitalistische Konkurrenzgesellschaft aufzuheben, wird eine weitere Konkurrenz eröffnet. Ein heute erschienener Artikel des Ajour-Magazins erklärt die komplexen Zusammenhänge zwischen Antisemitismus und falscher Kapitalismus-Kritik besser, als wir es mit diesen wenigen Worten könnten: https://www.ajour-mag.ch/gesellschaft-und-gewitter-aus-sta…/

Heute Abend standen wir nicht nur gegen menschenfeindliche Ideologien, sondern auch für eine solidarische Zukunft ein. Wir wollen eine Welt, die auf gegenseitiger Hilfe basiert, bedürfnisorientiert und nachhaltig produziert. Eine Welt, in der Menschen im Einklang mit der Natur und ohne Herrschaft untereinander leben. Eine Welt, in der wir Menschen nicht in Kategorien zwängen und nach diesen bewerten. Das bedeutet für uns, dass wir genau jene Systematiken aufheben wollen, die für Krisen, Ausbeutung, Kriege, humanitäre Katastrophen und die Zerstörung der Umwelt verantwortlich sind: Staat und Kapital. Für eine staats- und klassenlose Gesellschaft! Es lebe die Freiheit!

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Folgender Flyer wurde an der Demo verteilt:

Erinnern heisst kämpfen – Für eine solidarische Zukunft!
Erinnern…
In der Nacht vom 9. Auf den 10. November 1938 brannten in Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei die Synagogen. Am 09. November 2018 jährt sich die Reichspogromnacht[1], oft als ‘Reichskristallnacht’[2] verharmlost, zum achtzigsten Mal. Die Reichspogrome stellen für Historiker*innen einen Wendepunkt für die Radikalisierung der nationalsozialistischen Judenpolitik dar: eine «Kriegserklärung an die Juden»[3]. Die Reichpogrome wurden durch die SA-Führung organisiert, nachdem Propagandaminister Josef Goebbels bei einer Hetzrede auf bereits stattgefundene Pogrome in Kurhessen und Madgeburg-Anhalt verwies. Goebbels liess verlauten, die nationalsozialistische Partei wolle nicht als Organisator antijüdischer Aktionen in Erscheinung treten, werde aber diese, sofern sie spontan ausbrächen, auch nicht verhindern. Die anwesenden Gauleiter und SA-Führer verstanden dies als indirekte, aber unmissverständliche Aufforderung, die ‘spontanen’ Aktionen des ‘Volkszorns’ zu organisieren. Am 10. November um 01:20 Uhr versandte Reinhard Heydrich, in seiner Funktion als Chef der Sicherheitspolizei und SS-Gruppenführer, ein dringendes Fernschreiben an die Hauptquartiere und Stationen der Polizei und SA-Führung. Das Fernschreiben enthielt genaue Anweisungen, wie die ‘spontanen’ Aktionen auszusehen hatten: es durften «keine Gefährdung deutschen Lebens oder Eigentums mit sich bringen (zB. Synagogenbrände nur, wenn keine Brandgefahr für die Umgebung ist)», ausserdem seien im Verlaufe der Nacht «in allen Bezirken so viele Juden – insbesondere wohlhabende – festzunehmen, als in den vorhandenen Hafträumen untergebracht werden können.»[4] Die SA, Hitlerjugend und SS wütete in der folgenden Nacht im ganzen Deutschen Reich, wobei sich auch zahlreiche deutsche Bürger*innen den Pogromen anschlossen. Viele SA-Angehörige trugen Zivilkleidung, um die Fiktion zu unterstützen, bei den Pogromen handle es sich um ‘spontanen Volkszorn’.[5] Über 7’500 jüdische Geschäfte (von insgesamt 9000) wurden ge
plündert und zerstört, sowie 1000 Synagogen beschädigt oder abgefackelt. In der Reichpogromnacht wurden mindestens 91 Jüdinnen und Juden ermordet.
Als Aufhänger für die Reichspogrome diente ein Attentat des siebzehnjährigen Herschel Grynszpan auf den deutschen Diplomaten Ernst vom Rath.[6] Grynszpan, damals in Paris wohnhaft, erfuhr von der gewaltsamen Zwangsdeportierung seiner Eltern und Geschwistern.[7] Seine Familie, seit 1911 im Deutschen Reich wohnhaft, wurde nach Polen abgeschoben, wo sie jedoch nicht aufgenommen wurden. Mit tausenden anderen polnischen Jüdinnen und Juden wurden sie in ein Flüchtlingscamp in der Grenzregion zwischen Polen und dem Deutschen Reich einquartiert.[8] Grynszpan wollte sich laut eigener Aussage dafür rächen. Er besorgte sich einen Revolver und suchte die deutsche Botschaft in Paris auf, wo er auf den Botschaftsmitarbeitenden vom Rath schoss, der einige Tage später an seinen Verletzungen erlag. Grynszpans Attentat wurde von der NSDAP genutzt, ihre Vorstellung einer internationalen jüdischen Verschwörung zu propagieren.
Die Reichpogromnacht war der Auftakt des Holocausts, also des Versuchs, alle jüdischen Menschen industriell zu ermorden. Noch in der Nacht vom 09. auf den 10. November wurden über 30’000 Jüdinnen und Juden in die Konzentrationslager Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen verschleppt; mehrere hundert kamen dort um, viele wurden wieder freigelassen und versuchten in der Folge aus dem Deutschen Reich zu fliehen. Die deutsche Regierung gab dem ‘Judentum’ die Schuld an den Pogromen und verurteilte die jüdische Gemeinschaft Deutschlands zu einer Geldstrafe von einer Milliarde Reichsmark. Die Reichsregierung beschlagnahmte daraufhin die Versicherungszahlungen an jüdische Menschen deren Geschäfte und Häuser zerstört und geplündert wurden.
Zwischen 1941 und 1944 wurden Millionen Jüdinnen und Juden, zusammen mit Homosexuellen, Sozialisten und Kommunisten, Roma und Fahrenden, Menschen mit Behinderungen, und anderen, als minderwertig angesehene Menschen, aus dem Deutschen Reich, besetzten Territorien und vielen Gebieten der Achsenmächte in Ghettos und Konzentrations-/Vernichtungslager deportiert. Dort wurde eine Grosszahl von ihnen in speziell dafür entwickelten Gaskammern ermordet.
… heisst kämpfen!
Auch heute noch ist Fremdenfeindlichkeit und rechtsradikales Gedankengut weit verbreitet. Die Ereignisse in Chemnitz und Köthen, wo Neonazis mit Sprüchen wie «Für jeden toten Deutschen einen toten Ausländer», «Frei, national und sozial», sowie Hitlergrüssen durch die Strassen marschierten[9] sind Sinnbild für das vergiftete gesellschaftliche Klima. Die Rechten griffen und pöbelten Menschen an, die ihnen nicht ‘deutsch genug’ oder ‘zu links’ aussahen.[10] Ein jüdisches Restaurant wurde demoliert.[11] Europaweit sind Angriffe auf Geflüchtete in den letzten Jahren wieder häufiger geworden: in Italien,[12] Österreich,[13] der Schweiz…[14] In Ungarn wird mit antisemitischen Poster Wahlkampf betrieben.[15] Angriffe auf Geflüchtete und Menschen bestimmter Religionszugehörigkeit, primär Muslim*innen und Juden und Jüdinnen, gehören in Europa wieder zur Tagesordnung.
Dabei dürfen wir jedoch nicht vergessen, dass neben Neonazis und Rassist*innen primär die bürgerlichen Nationalstaaten für die systematische Diskriminierung von Personen verantwortlich sind. Rassist*innen reproduzieren die Logik, die ihnen Nationalstaaten vorgeben – ein Denken in Grenzen und das Einnehmen des nationalen Standpunktes. Es sind die Nationalstaaten und der Nationalismus, die zu Ausgrenzung und „Feindbilddenken“ führen. Wer sich auf den Standpunkt seiner*ihrer Nation stellt, übernimmt damit das kategoriale Denken von „Inländer vs. Ausländer“ und damit die Einteilung in für das Kapital «nützliche» und «unnütze» Subjekte. Die Nationalstaaten und ihr Interesse am möglichst reibungslosem Funktionieren der Verwertungslogik sind es, die Politiker*innen dazu bringen, Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken zu lassen. Denn während für Kapital, Güter und Menschen mit dem richtigen Pass die Grenzen offenstehen, werden zunehmend «Überflüssige» aufgehalten, die in Europa ihrer Perspektivenlosigkeit zu entrinnen versuchen.[16] Die Aufgabe der Nationalstaaten ist es schliesslich, eine für Kapital möglichst profitable und attraktive Umgebung zu schaffen. Davon hängen auch ihre Mittel, in Form der Steuern, ab. Gerade in Zeiten von Wirtschaftskrisen wird diese Logik augenscheinlich, da die bürgerliche Politik[17] keine nachhaltigen Mittel gegen die Wirtschaftskrise hat. Die Überakkumulationskrisen sind eine Folge der kapitalistischen Verwertungslogik; es gibt keinen Kapitalismus ohne (Wert-)Krisen.[18] Die globale Krise von 2008 hallt bis heute nach und was vor 10 Jahren noch undenkbar war, ist heute (wieder) Realität: Strafzölle, quasi-Handelskriege, Stellvertreterkriege, das Schwächeln der europäischen Vision mit der Wiedereinführung von Grenzkontrollen an zahlreichen Binnengrenzen und dem Austritt der Briten aus der EU. Im Gegensatz dazu fordern neoliberale Ökonom*innen, z.B. im ‘The Economist’ (13.07.17), nach offenen Grenzen, da deren Schliessung einen Ertragsausfall in
Milliardenhöhe produzieren, für einen ineffektiven Arbeitsmarkt sorgen und ausserdem Entwicklungspotenziale ausbremsen würde.[19] Die kapitalistische Logik bricht an der Krise: einerseits müssen die Nationalstaaten Steuern generieren, um beispielsweise Kredite aufzunehmen und Banken zu retten, wozu sie Arbeiter*innen brauchen. Andererseits sind für das Kapital nicht alle Arbeiter*innen zu jeder Zeit gleich rentabel: ein weltweites «Surplus-Proletariat»[20] versucht, sich verzweifelt für das Kapital nutzbar zu machen, um in Zeiten von Sozialabbau, ebenfalls einem wiederkehrenden Phänomen in Krisenzeiten, nicht unterzugehen. Die Welt gleicht heute einem Pulverfass.[21] Während die Kapitalist*innen sich fragen, wie sie ihre Profitrate weiter erhöhen (oder zumindest erhalten) können, gehen wir im Chaos unter.
Damit schliesst sich der Bogen zur rassistischen Gesellschaft: durch die Krise und die daraus resultierenden Migrationsbewegungen wächst der Konkurrenzdruck bei der Job- und Wohnungssuche. Die arbeitssuchenden Migrant*innen scheinen als Eindringlinge und ihnen wird die Schuld an der ganzen Misère, der sie genauso zu entfliehen suchen, gegeben. Die Rassist*innen und rechten Parteien glauben, mit Grenzschliessungen das Problem beheben zu können. Dies soll Arbeitsplätze sichern, die Wohnungssuche vereinfachen und die Probleme der Sozialdienste auflösen. Der Staat solle sich also wieder um ‘seine*ihre Bürger*innen’ kümmern, so der Tenor.
Anstatt also den systemischen Ursachen, der Krise, die wiederum ihre Ursache im warenproduzierenden Konkurrenzsystem hat, zu bekämpfen, werden Hass und Angst auf Migrant*innen gelenkt. Ähnliche Tendenzen fanden sich bei der NSDAP in den 1930er Jahren, welche ebenfalls durch die Krise der 20er erstarkte. Die NSDAP sah sich im Kampf für das ‘gute Kapital’, das ‘deutsche’ Industriekapital, welches durch die Kriegsindustrie Arbeitsplätze schaffen soll. Das ‘schlechte’, ‘raffende’ Kapital, worunter u.a. der Zins verstanden wurde, setzten die Nazis mit den Jüdinnen und Juden gleich.[22] Sie würden, in den Banken sitzend, der guten Industrie auf der Tasche sitzen, ohne dass sie wirklich produktiv seien. Diese verquerte Logik, die eine kapitalistische Wirtschaft und ‘gutes’ und ‘schlechtes’ Kapital aufteilt und die Schuld an der Krisenhaftigkeit des Systems nicht beim System selber, sondern bei den ‘Anderen’ gesucht wird, ist aus zweierlei Gründen gefährlich. Erstens werden Menschen für systemische Ursachen verantwortlich gemacht, zweitens wird dadurch die Klassengesellschaft nicht infrage gestellt, sondern zementiert. Anstatt die kapitalistische Konkurrenzgesellschaft aufzuheben, wird eine weitere Konkurrenz eröffnet – die zwischen «Einheimischen» und «Ausländern».

Für eine solidarische Zukunft!
An diesem Abend stehen wir nicht nur gegen menschenfeindliche Ideologien, sondern auch für eine solidarische Zukunft ein. Wir wollen eine Welt, die auf gegenseitiger Hilfe basiert, bedürfnisorientiert und nachhaltig produziert. Eine Welt, in der Menschen im Einklang mit der Natur und ohne Herrschaft untereinander leben. Eine Welt, in der wir Menschen nicht in Kategorien zwängen und nach diesen bewerten. Das bedeutet für uns, dass wir genau jene Zustände aufheben wollen, die für Krisen, Ausbeutung, Kriege, humanitäre Katastrophen und die Zerstörung der Umwelt verantwortlich sind: Staat und Kapital. Wir streben eine klassen- und staatenlose Gesellschaft an, in der die Konkurrenz zwischen den Menschen aufgehoben wird. Wir wehren uns auch gegen die neoliberale Bewertung der Menschen in «produktive» und «unproduktive» Geflüchtete und die Idee, wirtschaftliche Überlegungen seien keine Fluchtgründe.

[1] Pogrome bezeichnen gewaltsame Ausschreitungen gegen nationale, religiöse oder ethnische Minderheiten.
[2] Der Begriff ‘Reichskristallnacht’ bezieht sich auf Scherben, die nach dem Novemberpogrom auf der Strasse lagen. Der Begriff lässt fälschlicherweise den Anschein entstehen, als seien lediglich Scheiben zu Bruch gegangen.
[3] Wilfred Mairgünther: Reichskristallnacht. Kiel 1987.
[4] Das gesamte Fernschreiben findet sich hier: https://www.ns-archiv.de/verfolgung/pogrom/heydrich.php (Zugriff: 08.10.2018).
[5] Vgl. https://encyclopedia.ushmm.org/cont…/…/article/kristallnacht (Zugriff: 08.10.2018).
[6] Vgl. Raphael Gross November 1938. Die Katastrophe vor der Katastrophe. Beck, München 2013
[7] Zur sog. ‘Polenaktion’, die sich gegen im Deutschen Reich wohnhafte polnische Juden richtete, vgl. etwa: Jerzy Tomaszewski: Auftakt zur Vernichtung. Die Vertreibung der polnischen Juden aus Deutschland 1938. Osnabrück 2002.
[8] Vgl. https://encyclopedia.ushmm.org/cont…/…/article/kristallnacht (Zugriff: 08.10.2018).
[9] Z.B. in diesem Video ersichtlich: http://www.spiegel.de/…/koethen-rechtsextreme-skandierten-f… (Zugriff: 10.10.18).
[10] Z.B. in diesem Video ersichtlich: https://www.youtube.com/watch?v=pgBnYvEEbns (Zugriff: 10.10.18)
[11] https://www.welt.de/…/Am-27-August-Attacke-von-Neonazis-auf… (Zugriff: 10.10.18).
[12] https://www.tagesspiegel.de/…/stadt-macerata-…/20924302.html (Zugriff: 10.1018).
[13] https://derstandard.at/…/Zahl-der-Angriffe-auf-Asylquartier… (Zugriff: 10.1018).
[14] https://www.blick.ch/…/rassismus-in-der-schule-und-am-arbei… (Zugriff: 10.10.18).
[15] https://www.bbc.com/news/world-europe-40554844 (Zugriff: 10.10.18).
[16] Vgl. Doreen Massey: A global sense of place.
[17] Mit bürgerliche Politiken sind jene Politiken gemeint, die innerhalb der Kapital- und Nationslogik verharren.
[18]Vgl. Paul Mattick: Business as usual. Krise und Scheitern des Kapitalismus. Hamburg 2012.
[19] https://www.economist.com/…/a-world-of-free-movement-would-… (Paywall; Zugriff: 16.10.18).
[20] Vgl. https://kosmoprolet.org/…/reflexionen-ueber-das-surplus-pro… (Zugriff: 17.10.18).
[21] Vgl. https://kosmoprolet.org/…/krise-krieg-und-smog-die-welt-als… (Zugriff: 16.10.18).
[22] Vgl. Moishe Postone: Antisemitismus und Nationalsozialismus.

Rund 500 Menschen erinnerten heute an den 80. Jahrestag der Reichspogromnacht. Die Gefahr des Faschismus ist in Europa wieder Realität. Leider haben sich in den letzten 10-15 Jahren viele antifaschistische Gruppen demobilisiert. Deswegen waren wir heute mit einem Transparent “Antifaschismus reorganisieren” präsent. Auch in Bern war die antifaschistische Bewegung um die Jahrtausendwende prägend für die revolutionäre Bewegung. Damals war es unausweichlich aufgrund des Naziproblemes. Lasst uns nicht warten, bis es wieder zu spät ist.
Deswegen kommt alle am 24.11. in Basel gegen die PNOS Demo und am 01.12. gegen den PNOS Parteitag in Bern auf die Strasse. Lasst uns zusammen tagtäglich antifaschistische Präsenz zeigen und uns Reorganisieren.
https://www.facebook.com/InfoAGB/posts/1171938229621198