Medienspiegel 11. November 2018

+++ZÜRICH
Wo wie viele Asylsuchende leben, bleibt geheim
Jede Gemeinde im Kanton Zürich muss gemäss ihrer Grösse Asylsuchende aufnehmen. Darüber, ob die Gemeinden ihre Quoten erfüllten, gebe es zu wenig Transparenz, kritisiert die SVP.
https://www.nzz.ch/zuerich/wo-wie-viele-asylsuchende-leben-bleibt-geheim-ld.1435646

+++SCHWEIZ
Ausschaffungen gegen Hilfsgelder
Rückführungen von abgewiesenen Asylbewerbern nach Äthiopien sind schwierig. Die Schweiz will sich deshalb einer Asyl-Vereinbarung zwischen Addis Abeba und der EU anschliessen. Doch sie hat ihren Preis.
https://www.nzz.ch/schweiz/ausschaffungen-gegen-hilfsgelder-ld.1435023

Trotz Einigung bleibt die Blockade: Asylsuchenden werden nicht nach Afghanistan zurück geschickt
Im Frühling haben sich die Schweiz und Afghanistan auf die Wiederaufnahme von Rückführungen geeinigt. Effektiv durchgeführt worden ist bislang aber noch keine einzige. Die Zusammenarbeit sei «schwierig», heisst es beim Bund.
https://www.solothurnerzeitung.ch/schweiz/trotz-einigung-bleibt-die-blockade-asylsuchenden-werden-nicht-nach-afghanistan-zurueck-geschickt-133701442

+++ITALIEN
Italien: Vertreibung aus dem Paradies
Seit genau 20 Jahren versucht Domenico “Mimmo” Lucano, der Bürgermeister des kalabresischen Dorfes Riace den Ort in einen für Frieden und Integration zu verwandeln. Auch damit der Ort nicht ausstirbt, hat er dieses Konzept entwickelt. https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/weltspiegel/sendung/italien-vertreibung-aus-dem-paradies-102.html

Antirassistischer Massenprotest in Rom
Demonstration gegen Regierungspläne zur Beschneidung des Asylrechts und von Integrationsprojekten
Etwa 100.000 Menschen haben am Samstag in Rom gegen den immer stärker werdenden Rassismus in Italien und gegen die sogenannten »Sicherheitsgesetze« der Regierung protestiert.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1105388.italien-antirassistischer-massenprotest-in-rom.html

+++EUROPA
Frontex wird Grenzpolizei
Die EU-Kommission hat einen neuen Verordnungsvorschlag für eine „gestärkte und voll funktionsfähige“ Agentur für die Grenz- und Küstenwache (EBCG) vorgestellt.[1] Die aus der Grenzagentur Frontex hervorgegangene EBCG erhielte demnach eine ständige Eingreiftruppe von 10.000 BeamtInnen und könnte mit eigenen Schiffen und Flugzeugen wie eine „echte Grenzpolizei“ handeln. Das Budget für die nächsten beiden Jahre soll deshalb um 577,5 Mio. EUR aufgestockt werden. Im mehrjährigen Finanzrahmen für 2021-2027 will die Kommission weitere 11,3 Mio. EUR in die Grenz- und Küstenwache investieren. Hinzu kommen 22 Mrd. EUR für die Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Sicherung und Kontrolle ihrer Grenzen.[2] Dazu werden der „Fonds für die innere Sicherheit“ und der „Visa und Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds“ deutlich aufgestockt sowie ein „Fonds für Grenzmanagement“ eingerichtet. Die Überwachung und Kontrolle von Migration kostet von 2021-2027 insgesamt 34,9 Mrd. EUR, dies ist in etwa das Dreifache des derzeitigen mehrjährigen Finanzrahmens.
https://www.cilip.de/2018/11/10/frontex-wird-grenzpolizei/

+++FREIRÄUME
Kitchen Battle in der Reitschule
Gestern wurde die Koch-Show das erste Mal in der Reitschule durchgeführt. Der Clue ist, dass beide Teams dieselben Zutaten bekommen und daraus ein 4-Gang Menü kreieren müssen.
https://www.telebaern.tv/news/kitchen-battle-in-der-reitschule-133704053#video=1_cw5vr7fl

+++GASSE
Betreuer über seelisch kranke Obdachlose: „Vom System ausgespuckt“
Der Straßensozialarbeiter Julien Thiele und der Psychiater Richard Becker suchen Obdachlose auf, die psychische Probleme haben. Der Handlungsbedarf wird ihrer Einschätzung nach völlig unterschätzt, auf offizieller Seite regiert die Hilflosigkeit
http://taz.de/Betreuer-ueber-seelisch-kranke-Obdachlose/!5546792/
-> http://taz.de/Verstorbene-Obdachlose-in-Hamburg/!5546771/

+++DEMO/AKTION/REPRESSIONN
Was denken kommende Generationen über uns?
Zollikofen/Bern – Von wegen Ruhestand: Susanne und Marc Bonanomi, beide 87, kämpfen in Bern jeden Tag für eine bessere Welt.
https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/was-denken-kommende-generationen-ueber-uns/story/19903891

Über den Kampf gegen das Bässlergut und aufständische Praktiken
Dieser kleine Text, der vielleicht eine kleine Übersicht über die Kämpfe gegen das Bässlergut in Basel verschafft sowie ein paar Gedanken zu dieser spezifischen Art des Kämpfens formuliert, wurde von mir als Einzelperson geschrieben. Es sind meine Gedanken und meine Geschichte, die sich darin widerspiegeln. Der Text spricht, selbstverständlich, nicht für den gesamten Kampf. Andere würden wohl andere Dinge hervorheben und/oder anders gewichten.
https://barrikade.info/Uber-den-Kampf-gegen-das-Basslergut-und-aufstandische-Praktiken-1597

+++REPRESSION DE/G-20
G20-Verfahren eingestellt: Student war in Japan
Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat ein Ermittlungsverfahren gegen einen 29-jährigen Studenten aus Göttingen eingestellt. Dem Studenten war gefährliche Körperverletzung im Rahmen des G20-Gipfels in Hamburg vorgeworfen worden. Allerdings war der Mann während der gesamten Zeit des G20-Gipfels in Japan, wie sein Anwalt am Freitag mitteilte. Ein Großaufgebot der Polizei hatte Ende Juni über mehrere Stunden die Wohngemeinschaft des Göttingers durchsucht. Der Anwalt wirft den Behörden vor, nicht ergebnisoffen ermittelt zu haben. Deshalb werde sein Mandant nun eine Entschädigung für die bei der Durchsuchung entstandenen Schäden bei der Staatsanwaltschaft Hamburg einfordern.
https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/braunschweig_harz_goettingen/G20-Verfahren-eingestellt-Student-war-in-Japan,gipfel3752.html
-> http://taz.de/G20-Razzia-war-ein-Irrtum/!5549619/

+++BIG BROTHER
Passagierdaten in Zügen
Die belgische Regierung hat die Ausweitung ihres Passagierdatensystems auf Bus- und Bahnreisen beschlossen.[1] Nach einer Vereinbarung mit der britischen Regierung erhalten belgische Behörden in einer Testphase vor jeder Ankunft des Fernzugs Eurostar, der zwischen Brüssel und London im Tunnel unter dem Ärmelkanal verkehrt, die Daten der Reisenden. Mit Flixbus nimmt auch erstmals ein Busunternehmen am Austausch von Passagierdaten teil. Belgien ist damit der erste Mitgliedstaat, der die EU-Richtlinie über die Verwendung von Fluggastdaten (PNR) auf landbasierte Verkehrsmittel anwendet.
https://www.cilip.de/2018/11/10/passagierdaten-in-zuegen/

+++POLIZEI DE
Was kann ich gegen Racial Profiling tun?
Tipps für Betroffene und Zeugen.
https://www.jetzt.de/gutes-leben/racial-profiling-wie-kann-ich-mich-wehren-wie-betroffenen-helfen

+++ANTIFA
Basel Nazifrei: Gegen die PNOS-Kundgebung am 24.11.
Die PNOS („Partei national orientierter Schweizer“) plant am 24. November 2018 von 14-17 Uhr auf dem Messeplatz in Basel eine Platzkundgebung „gegen den UNO-Migrationspakt“. Die neonazistische Partei versucht sich den öffentlichen Raum zu nehmen, um so Propaganda für ihre Positionen zu betreiben. Die PNOS pflegt gute Kontakte zu Faschist*innen aus aller Welt. So posierte der Basler Sektionschef Tobias Steiger gerne mit dem ehemaligen Ku Klux Klan-Anführer David Duke. Die Partei plant zudem am 1. Dezember einen internationalen Kongress im Raum Bern, zu dem bekannte Faschist*innen eingeladen sind.
https://barrikade.info/Basel-Nazifrei-Gegen-die-PNOS-Kundgebung-am-24-11-1602

Jugendliche wünschen sich autoritäre Führer
Ein Drittel der Schweizer Jugendlichen können sich ein diktatorisches System vorstellen. Auch die Verunglimpfung von Minderheiten ist verbreitet.
https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/jugendliche-wuenschen-sich-autoritaere-fuehrer/story/17612375
-> https://www.blick.ch/news/schweiz/extremismus-studie-zeigt-autoritaere-neigungen-unter-schweizer-jugendlichen-jeder-dritte-wuenscht-sich-einen-strengen-fuehrer-id15011372.html

Illegale Grosspende an AD: „Gönner aus der Schweiz“
2017 gingen bei der AfD gut 130 000 Euro für den Wahlkampf von Alice Weidel ein. Derartige Zuwendungen sind illegal. Die Partei zahlte mittlerweile 124 000 Euro zurück. Doch viele Fragen bleiben offen.
https://www.sueddeutsche.de/politik/illegale-grossspende-an-afd-goenner-aus-der-schweiz-1.4206322
-> https://www.sueddeutsche.de/politik/parteienfinanzierung-afd-nahm-offenbar-illegale-grossspende-an-1.4206221
-> https://www.20min.ch/schweiz/news/story/Pharma-Konzern-spendete-AfD-130-000-Euro-19681227
-> https://www.watson.ch/!780131608
-> https://www.tagesanzeiger.ch/ausland/europa/afd-soll-illegale-wahlspenden-aus-der-schweiz-erhalten-haben/story/22656531
-> https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/verdacht-auf-illegale-parteispenden-an-afd,R96uxOR
-> https://www.deutschlandfunk.de/medienberichte-afd-droht-parteispendenaffaere.1939.de.html?drn:news_id=944788
-> https://www.blick.ch/news/ausland/spenden-skandal-bei-der-afd-weidel-bekam-mehr-als-145000-franken-von-zuercher-pharmafirma-id15012354.html
-> https://www.tagesschau.de/inland/afd-parteispenden-101.html
-> https://www.srf.ch/news/international/wegen-pharmafirma-aus-zuerich-afd-droht-spendenaffaere
-> https://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-11/parteispenden-afd-nahm-offenbar-illegale-grossspende-an
-> http://www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-droht-laut-medienberichten-spendenaffaere-a-1237892.html
-> Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/popupvideoplayer?id=e693792d-a0ef-4828-a3a6-99c6ac0cda98
-> https://www.blick.ch/news/schweiz/145000-fr-von-pharma-firma-bekam-afd-geld-von-einer-tarn-firma-id15012680.html

+++ANTIRA
«Ich dachte zuerst, das sei ein schlechter Witz»
Unter dem Namen Anti-black verkauft eine Innerschweizer Firma an der Herbstmesse Reinigungsprodukte. Eine dunkelhäutige Leserin findet das gar nicht lustig.
https://www.20min.ch/schweiz/basel/story/-Ich-dachte-erst–es-sei-ein-schlechter-Scherz–12187201

Schwulenhass in Afrika – Das letzte grosse Tabu
Für viele Afrikaner ist Homosexualität etwas Abartiges. Die katholische Kirche und Evangelikale schüren den Hass.
https://www.srf.ch/news/international/schwulenhass-in-afrika-das-letzte-grosse-tabu

NZZ am Sonntag 11.11.2018

Wir basteln uns ein Feindbild: George Soros ist an allem schuld

Manchmal ist es verdammt schwer, keine Satire zu schreiben – vor allem nicht, wenn die «Weltwoche» Fake News über den Investor George Soros verbreitet.

Von Charles Lewinsky

Vielleicht liegt es ja an der Post. Oder an einem Fehler im Bankcomputer. Oder vielleicht hat sich der maskierte Geheimbote in der Hausnummer geirrt. Wie auch immer: Bei mir ist immer noch kein Geld von George Soros eingetroffen. Dabei bin ich doch linksliberal. Und Jude bin ich auch. Da müsste er doch eigentlich…

Wie ich darauf komme? Als regelmässiger Leser der «Weltwoche» (wer informiert sein will, kann seine Lektüre nicht immer nach Kategorien des Vergnügens auswählen) weiss ich, dass auch die Operation Libero zum Netzwerk dieses amerikanischen Milliardärs gehört. Roger Köppel hat es selber geschrieben, und der muss es wissen.

Ein Mann wie er würde nie auf den Gedanken kommen, Pseudoinformationen von irgendeiner obskuren Facebook-Seite zu übernehmen. Und da ich eine Menge Anliegen von Operation Libero teile, möchte ich doch, bitte, bitte, auch von einem geheimnisvollen Strippenzieher gekauft sein. Wenn schon links, dann doch wenigstens bestochen.

Ganz ohne Ironie: Die Geschichte von George Soros, der wie eine Spinne in einem riesigen Netz von linken Gesellschaftsumstürzlern die Fäden zieht, gehört zu den Urban Legends. Oder in diesem Fall zu den Orban Legends. (Wobei Viktor Orban originellerweise nur durch ein Stipendium der Soros Foundation studieren konnte.)

Ein reicher Mann, der linksliberale Anliegen unterstützt? Das muss ein Verschwörer sein. Ein Hinter-den-Kulissen-Agierer. Einer so ganz direkt aus den Protokollen der Weisen von Zion. Wobei er, das ist das Hinterhältige an ihm, seine Unterstützung ganz offen und demonstrativ betreibt. Universitäten gründet und solche Gemeinheiten. Damit man nicht merkt, dass er eigentlich heimlich…

Entschuldigung. Die Ironie ist schon wieder mit mir durchgegangen. Manchmal ist es verdammt schwer, keine Satire zu schreiben. Obwohl die Tatsache, dass die orbanschen und trumpschen Verschwörungstheorien jetzt auch in die Schweiz überschwappen, ja nun wirklich nicht zum Lachen ist.

Dass George Soros an allem schuld sein soll, was einem im öffentlichen Diskurs nicht passt, und dass man meint, den politischen Gegner damit unglaubwürdig machen zu können, dass man ihn als seinen Geldempfänger denunziert, kommt mir vor wie eine praktische Übung aus dem Anfängerkurs «Wir basteln uns ein Feindbild».

Bei Flavia Kleiner, der Mitbegründerin von Operation Libero, wird diese vermeintliche Abhängigkeit damit begründet, dass sie Ratsmitglied im European Council on Foreign Relations ist. Zusammen mit ein paar hundert anderen, unter ihnen so bekannte Linksextreme wie der österreichische Kanzler Sebastian Kurz oder der deutsche CDU-Politiker Norbert Röttgen.

Und dieser European Council wird nicht nur von Soros’ Open Society Foundation unterstützt, sondern auch von anderen bekannten kriminellen Organisationen wie der Robert-Bosch-Stiftung oder dem schwedischen Aussenministerium. Und da eins und eins bekanntlich siebenunddreissigeinhalb ergibt, ist ja wohl klar, dass auch die Operation Libero…

Sorry, ich bin schon wieder ironisch geworden. Dabei ist mir überhaupt nicht zum Lachen. Weil nämlich hinter dieser Dämonisierung eines Milliardärs, mit dem man politisch nicht einer Meinung ist, noch etwas anderes mitschwingt. Etwas Gefährliches. Etwas Ekelhaftes. Ich meine die uralte Mär von der jüdischen Weltverschwörung. Man nennt es nur nicht mehr so. Oder nicht so direkt.

Die Meinungsgenossen werden schon verstehen, was man meint, und wenn es die anderen nicht mitbekommen, umso besser. Die direkte Formulierung ist seit 1945 ein bisschen aus der Mode gekommen.

Also redet man, wie Viktor Orban, von einer «Hintergrundsmacht». Oder wie Jaroslaw Kaczynski von jemandem, der eine «identitätslose Gesellschaft» anstrebe. Oder man behauptet, wie Donald Trump, George Soros habe die Flüchtlinge, die sich von Honduras zu Fuss auf den Weg nach Norden gemacht haben, mit Geld zu ihrer ach so gefährlichen Invasion angestiftet. Ach ja, und dank Roger Köppel weiss ich jetzt, dass auch die Operation Libero nur ein Produkt dieses jüdischen Doktor Mabuse ist.

Erwarten Sie hier jetzt nicht einen Aufruf im Sinn von «Wehret den Anfängen!». Über die Anfänge sind wir schon längst hinaus. Wir sind schon mitten in der Hetze und den hinterhältigen Andeutungen. Mitten in einer Welt, wo Fake News nicht nur bewusst eingesetzte Mittel im politischen Kampf sind, sondern der Versuch, sich die Welt so zurechtzuzimmern, dass sie in den engen Rahmen der eigenen Vorurteile passt. Wir sind schon wieder mittendrin in einer Zeit, die wir eigentlich für endgültig vergangen hielten.

Ach ja, und das Honorar für diesen gekauften Artikel, liebe Soros Foundation, überweisen Sie bitte direkt auf mein Konto. Da Ihre Agenten ja überall sitzen, werden Sie die IBAN sicher schon haben.

Charles Lewinsky

Der Schweizer Drehbuchautor und Schriftsteller (*1946), erhielt 2001 den Schillerpreis für den Roman «Johannistag». Ein Grosserfolg wurde «Melnitz» (2006). Zuletzt erschien «Der Wille des Volkes». Lewinsky schreibt neu für den Kulturteil der «NZZ am Sonntag».
(https://nzzas.nzz.ch/kultur/wir-basteln-uns-ein-feindbild-george-soros-schuld-ld.1435061)

NZZ am Sonntag 11.11.2018

Antisemitismus ist an Schulen weit verbreitet

Klassenkameraden beschimpfen jüdische Jugendliche. Soziale Netzwerke verschärfen das Problem.

von Andreas Schmid

Die Klassenkameraden haben ihrem jüdischen Mitschüler antisemitische Textnachrichten und Hitlersymbole geschickt. Über Whatsapp wurde der Gymnasiast verunglimpft, bis sein Vater einschritt und das Gespräch mit der Schulleitung suchte.

Der Vorfall spielte sich kürzlich ab, an einer Kantonsschule in einem bürgerlichen Grossstadtquartier. Er frage sich, wie es dazu komme, dass im Jahr 2018 «anständige Buben» Naziparolen verwendeten, sagt der Vater. Die Verantwortlichen der Schule versicherten ihm, Rassismus werde nicht toleriert und die Jugendlichen würden für das Thema sensibilisiert.

An einer Zentralschweizer Kantonsschule eskalierten die Angriffe gegen einen 12-jährigen Erstgymnasiasten jüdischen Glaubens letztes Jahr sogar derart, dass die Eltern der Klassenkameraden mit einem Brief darüber informiert werden mussten. Begonnen hatte das Mobbing mit Hitler-Bildern und antisemitischen Karikaturen, die Mitschüler über soziale Netzwerke verbreiteten.

Alle Schulstufen betroffen

Wiederholt gelangten betroffene Eltern mit derartigen Fällen an ihn, sagt Dominic Pugatsch, Geschäftsführer der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA). An Schulen gebe es immer wieder rassistische Vorfälle. «Die sozialen Netzwerke dienen dabei häufig als Brandbeschleuniger.» Mitläufer schliessen sich laut Pugatsch den Rädelsführern an, die Kameraden anderen Glaubens beschimpfen. «Das Internet ist der Stammtisch der Jugendlichen.»

Die gemeldeten Vorkommnisse an Gymnasien zeigten, dass das Rassismusproblem an Mittelschulen genauso bestehe wie an Sekundar- und Realschulen, hält Pugatsch fest. Die Stiftung GRA bietet sich als Anlaufstelle für Schulleitungen und Betroffene an, um in Konflikten zu vermitteln und Lösungen zu suchen. Die Statistik aller 27 in diesem Bereich tätigen Schweizer Beratungsstellen zeigt, dass die Schule nach dem Arbeitsplatz am stärksten von rassistischen Vorfällen tangiert ist. Wie Jugendliche jüdischen Glaubens sind auch Muslime und Schüler mit schwarzer Hautfarbe betroffen.

In einer Mitteilung schilderte die eidgenössische Kommission gegen Rassismus im Frühling ein Beispiel aus dem letzten Jahr: Die Mutter eines Zehnjährigen wandte sich an eine Beratungsstelle, weil ihr Sohn von den Mitschülern als «Negerlein» beschimpft worden war. Zudem sollen ihn die Klassenkameraden gefragt haben, warum er stinke und ob er Ebola habe.

GRA-Geschäftsführer Dominic Pugatsch beobachtet, dass Rassismus im Alltag oft hingenommen werde, ohne dass jemand interveniere oder eine Fachstelle einschalte. Deshalb wisse man nur von einem Bruchteil der Fälle. Pugatsch erwähnt, dass ihn auch die Entwicklung ausserhalb von Schule und Arbeitsplatz beunruhige. Kinder, die jüdische Zürcher Schulen besuchen, gingen aus Sicherheitsgründen stets begleitet ins Fussballtraining. Während der Partien des FC Hakoah – der jüdische Fussballverein in Zürich existiert seit 1922 – müssten sich Spieler und Anhänger regelmässig verunglimpfen lassen.
Gefährliche Dynamik

Ein Vater, dessen Söhne in Nachwuchsmannschaften des Klubs mittun, erzählt von den Negativerlebnissen, die er Sonntag für Sonntag haben müsse. Übelste Beschimpfungen seien von den Gegnern auf dem Platz oder aus den Reihen der Zuschauer zu hören. «Die Juden haben wieder den Schiedsrichter gekauft» sei noch eine der harmloseren Diffamierungen. Die Hasstiraden kämen ebenso von Schweizern wie von Personen ausländischer Herkunft, von Christen und Muslimen. Der Vater sagt: «Wenn sich Zwölfjährige so äussern, frage ich mich, woher sie das haben.» Einiges müsse von den Eltern übernommen worden sein, mutmasst er.

Jugendliche sähen sich ausserdem durch Botschaften in den sozialen Netzwerken animiert, sich rassistisch zu verhalten, sagt Experte Pugatsch. Internetplattformen böten Kleingruppen die Gelegenheit, sich schnell zu vergrössern und etwa in einem Klub oder einer Klasse eine verheerende Dynamik auszulösen. Laut Pugatsch stehen oft Beschimpfungen in Whatsapp-Chats oder in sozialen Netzwerken am Anfang.

Sicherheit von Synagogen: Öffentliche Hand soll mehr beisteuern

Seit Jahren fordern religiöse Minderheiten in der Schweiz, dass sich Bund und Kantone finanziell stärker am Schutz ihrer Einrichtungen beteiligen. Der Anschlag auf eine Synagoge in Pittsburgh in den USA von Ende Oktober, bei dem ein Antisemit Ende Oktober elf Menschen erschossen hatte, bestärkt die jüdischen Organisationen im Ansinnen.

80 Jahre nach der Pogromnacht vom 9. November stellt Antisemitismus nach wie vor ein akutes Problem dar. Die Gefahr terroristischer Anschläge zwingt die jüdischen Gemeinden, viel Geld für den Schutz ihrer Synagogen aufzuwenden. Die baselstädtische Regierung beantragte deshalb kürzlich dem Parlament, mehr an die Sicherheitskosten der jüdischen Gemeinde beizutragen.

In allen anderen Kantonen sei aber bisher noch keine Lösung für die Deckung dieser Ausgaben gefunden worden, sagt Jonathan Kreutner, Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds. Der Bundesrat machte im Juli einen Schritt: Er willigte ein, künftig einen Teil der Sicherheitskosten religiöser Minderheiten zu übernehmen. Die Kantone müssen sich paritätisch beteiligen. Man sei nun auf gutem Weg, sagt Kreutner. (asc.)
(https://nzzas.nzz.ch/schweiz/antisemitismus-an-schulen-weit-verbreitet-ld.1435537)