Flucht-/Migrationsrouten: Mittelmeer

03.08.20
Militär schottet italienischen Hotspot ab, Innenministerin schliesst Fluchtrouten mit weiterer Finanzierung Tunesiens
Die Abfahrten aus Tunesien und Libyen haben in den letzten Wochen wieder zugenommen. Das Auffanglager auf Lampedusa ist um das Zehnfache überfüllt. Der örtliche Bürgermeister verurteilt den Umgang der Regierung mit der Situation: Im Jahr 2011 wurde der Notstand ausgerufen, nachdem das Lager nicht annähernd so überfüllt war wie heute. Die Regierungsverantwortlichen Italiens reagierten sogleich: „Es handelt sich effektiv um einen schwierigen Moment. Diese ständigen Neuankünfte sind inakzeptabel, wir machen alles mögliche.“ Dass es nicht die Neuankünfte sind, die inakzeptabel sind, sondern die europäische Migrationspolitik, scheint erwähnenswert. Aussenminister Luigi Di Maio greift die EU an: „Ich fordere von der EU eine Antwort: In einer solchen Situation, in der ein hohes Gesundheitsrisiko herrscht, erwarten wir eine sofortige Verteilung der angekommenen Geflüchteten auf alle europäischen Länder. In Italien steht die soziale Kohäsion auf dem Spiel.“ Die Rechten nutzen die Situation wieder einmal aus, um ihrer Hetze gegen Geflüchtete freien Lauf zu lassen.
Nicht nur der Überfüllungsgrad des Auffanglagers ist im Vergleich zu 2011 problematisch. Corona-Massnahmen und -Quarantäne schaffen knastähnliche Bedingungen. Um sich diesen Umständen zu entziehen, verliessen mehrere hundert Menschen die Lager auf Sizilien. Die Regierung in Rom entsandte 300 Soldat*innen, um die Lage «in den Griff» zu bekommen. Lager sollen zukünftig militärisch bewacht werden. «Das war alles vorhersehbar», sagt Ida Carmina, die Bürgermeisterin von Porto Empedocle, einer Stadt im Südwesten Siziliens. Die Politikerin der Cinque Stelle hatte schon früh vor diesem Szenario gewarnt, jedoch ohne gehört zu werden.
Italiens Innenministerin Luciana Lamorgese reiste letzte Woche nach Tunesien und forderte die dortige Regierung auf, ihre Küsten besser zu kontrollieren und die Fluchtroute wieder zu schliessen. Von Tunesien aus starten Migrant*innen in Booten in Richtung Lampedusa und Sizilien. Italien sei «bereit, Tunesien dabei zu unterstützen», so die Innenministerin zu Kaies Saied, dem tunesischen Präsidenten.
Auch Libyen sagte sie Unterstützung bei der Schliessung der Fluchtrouten zu. Mitte Juli war Lamorgese in Tripolis und hatte dem international anerkannten libyschen Präsidenten Al-Serraj versichert, dass die Abkommen zur Migrationsabwehr zwischen der EU und der Türkei auch für das zentrale Mittelmeer gelten könnten.
Vergessen geht, dass es sich nicht um eine „neue Notlage“ handelt. Der Zustand der überfüllten Empfangseinrichtungen besteht seit Jahren und ist nicht das Resultat der Zunahme der Ankünfte aus Tunesien und Libyen, sondern das einer politischen Entscheidung: die Einrichtungen unterzufinanzieren und infrastrukturell schlecht auszustatten sowie der generellen Gestalung des europäischen Migrationsregimes. Anstatt also von einem Tag auf den anderen dem tunesischen Staat 30 Millionen Euro zu überweisen, so wie es Innenministerin Lamorgese an diesem Treffen in Tunis am Montag gemacht hat, um die Abfahrten von Geflüchteten zu stoppen, könnte auch die europäische Migrationspolitik überdacht werden. Von dieser Regierung ist das jedoch kaum zu erwarten.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1139686.gefluechtete-im-mittelmeer-fortgesetzte-tragoedie-auf-lampedusa.html
https://www.srf.ch/news/international/asylpolitik-in-coronazeiten-zu-wenig-quarantaeneplaetze-fuer-fluechtlinge-in-italien
https://www.infomigrants.net/en/post/26296/italian-interior-minister-urges-tunisia-to-act-on-migration
https://ffm-online.org/neuauflage-des-eu-tuerkei-deals-mit-libyen/

03.08.20
Libysche Behörden erschiessen nach einem Pushback drei Menschen aus dem Sudan
Die drei Getöteten wurden zuvor im Mittelmeer von der sogenannten libyschen Küstenwache gewaltsam an der Überfahrt nach Europa gehindert. Als die rund 70 gestoppten Migrant*innen im Hafen von al-Khums von Bord gehen mussten, versuchten einige zu fliehen. Skrupellos und vor den Augen der IOM eröffneten die libyschen Behörden das Feuer.
Die IOM, die nach Pushbacks im Hafen Nothilfe leistet, twitterte nach der Tötung der drei Männer, was alle bereits wissen: «We maintain that Libya is not a safe port» („Wir sind der Auffassung, dass #Libyen kein sicherer Hafen ist“). Der EU ist das ganz offensichtlich egal oder sogar recht. Immer mehr Berichte zeigen, wie Frontex und andere Instanzen Europas mit der mörderischen Küstenwache und den libyschen Behörden an Land Hand in Hand zusammenarbeiten, um koordinierte Pushbacks durchzuführen. So spielt es für die europäischen Verantwortlichen auch keine Rolle, dass die Überlebenden nach der Schiesserei nicht in Freiheit leben, sondern in einem der viel kritisierten Gefangenencamps interniert wurden.
Während derzeit auf dem Mittelmeer kein einziges ziviles Seenotrettungsschiff mehr im Einsatz ist, trat diese Woche die US-Africom, ein Schiff des US-Afrikakommando, in Erscheinung. Die US-Regierung signalisiert damit, dass sie den Mittelmeerraum mitüberwachen will und eingreifen könnte. Diese Botschaft richtet sich nicht zuletzt an die türkischen Truppen, die mit der sogenannten libyschen Einheitsregierung (GNA) zusammenarbeiten und diese mit Waffen beliefern – bzw. scheinen die US-Regierenden die Allianz bisher gutzuheissen.
https://www.heise.de/tp/features/US-Africom-schaltet-sich-in-Seenotrettung-vor-Libyen-ein-4858253.html
https://www.infomigrants.net/en/post/26286/3-migrants-killed-in-libya-after-being-intercepted-in-the-mediterranean-and-returned
https://www.vice.com/en_us/article/889dmb/libya-eu-refugees-loophole?fbclid=IwAR1Uwb_ynZddcjLvqzrnON-sOxdfG7axeo7OdIIqhiJlONW29H1Q2UvRlvk

27.07.20
Letztes ziviles Rettungsschiff Ocean Viking festgesetzt
In einer Serie von Schikanen durch Gesetzesänderungen und unhaltbaren Vorwürfen zu Sicherheitsmängeln wurde nun die gesamte zivile Schiffsflotte zur Seenotrettung durch europäische Behörden blockiert. Als Hauptbegründung gaben die Behörden an, dass das Schiff mehr Menschen befördert habe, als das Sicherheitszertifikat zulasse. Eine zynische Behauptung, denn kann man zu viele Menschen aus Seenot holen? Ist es vergleichbar mit einer Kreuzfahrt, in der die Passagier*innenzahl gebucht wird? Was wäre die Alternative gewesen – einen willkürlichen oder ausgewählten Teil der Menschen ertrinken zu lassen, da „das Boot voll ist“? Menschen aus Seenot zu holen ist eine Pflicht, keine Entscheidung. #Freetheships
https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-07/ocean-viking-fluechtlinge-italien-rettungsschiff-festsetzung
https://www.sosmediterranee.fr/journal-de-bord/CP-22-07-2020-sequestreOV

27.07.20
Geeinter Wille zur Abschottung am Treffen der EU-Innenminister*innen

Am 22. und 23. Juli fand ein Treffen einiger EU-Innenminister*innen „zum Kampf gegen illegale Migration“ in Wien statt. Neben Minister*innen aus Deutschland, Dänemark, Griechenland, Slowenien, Tschechien und Ungarn wurden auch Vertreter*innen der Schweiz, der EU-Kommission, FRONTEX (Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache) und ICMPD (International Centre for Migration Policy Development) von österreichs Innenminister Nehammer (ÖVP) eingeladen.
Und was entstand in diesen zwei Tagen des intensiven Austausches? Alle waren sich einig, dass die Staaten enger zusammenarbeiten wollen, um sich effektiver abschotten zu können. Nehammer sprach auf der Pressekonferenz von einem überraschenden Erfolg. Er sei beeindruckt von der gemeinsamen Entschlossenheit der teilnehmenden Akteur*innen gewesen. Selbst Staaten, die sich üblicherweise auf EU-Ebene selten einig werden, scheinen die gemeinsame Haltung von noch mehr Abschottung zu teilen und handeln ausnahmsweise einmal lösungsorientiert.
Um dies zu erreichen sollen erstens eine neue Koordinationsstelle fürs Migrationsmanagement eingerichtet werden, zweitens schnellere Asylverfahren und schnellere Abschiebungen durchgeführt werden und drittens der Ausbau des Grenzschutzes gefördert werden. Die wichtigste Änderung besteht aber wohl in diesen neuen Koordinationszentren. Diese sollen die Zusammenarbeit der einzelnen bestehenden EU-Institutionen und Agenturen (etwa Frontex) und betroffener Staaten in Sachen Grenzschutz, Asylpolitik und Migration verstärken. Unter anderem soll die sogenannte «Schlepperei» effizienter bekämpft werden (was sich meist einfach in noch mehr Grenzmauern und Grenzsoldat*innen manifestiert) und Abschiebungen besser koordiniert werden. Die Details dafür sollen im Herbst ausgearbeitet werden. Je nach Grösse und Ausgestaltung dieser Koordinationsplattform könnte dieses enorme Effizienzgewinne mit sich bringen und die Verwaltung von Menschen auf der Flucht weiter perfektionieren. Teilweise hat dies auch bereits im Rahmen der Neustrukturierung von Frontex stattgefunden. Seither fungiert die Agentur unter anderem als Ausschaffungsinstitution, die einerseits selbständig oder im Auftrag von Staaten koordinierte Ausschaffungen durchführt und dieses auch finanziert. Besonders Deutschland nimmt dieses Angebot oft in Anspruch. Dies hat dazu geführt, dass der Anteil an Charterflügen bei Ausschaffungen stark zugenommen hat. Extra gecharterte Flüge sind zwar meist teurer als eine Ausschaffung per Linienflug, bieten aus Sicht der Behörden aber einen entscheidenden Vorteil: Anders als im Linienflug gibt es keine Dritten, die sich einmischen oder hinterher als Zeug*innen aussagen könnten. Und so geht es dabei wohl deutlich gewaltvoller zu, denn: 2019 wurde rund ein Viertel der Abschiebungen mit Charterflügen vollzogen. Auf diese Sammelabschiebungen entfielen aber nur 0,3 Prozent der Abschiebungen, die wegen Widerstand der Betroffenen abgebrochen wurden. Berichte über massive Gewaltanwendung im Zuge von Abschiebungen gibt es immer wieder. Doch gerade weil Abschiebungen meist nicht in der Öffentlichkeit stattfinden, wird diese Polizeigewalt weder gesehen noch verurteilt. Momentan baut Frontex zudem einen Pool von sogenannten Rückkehrbegleitern (»forced return escorts«) auf. Dabei handelt es sich um Polizist*innen und Grenzschutzbeamt*innen der EU-Staaten, aus denen die Abschiebungen starten und die innerhalb der EU flexibel einsetzbar sind. Mittlerweile gibt es 690 solcher „Expert*innen“. Derzeit sind beispielsweise vier Personen der Bundespolizei als „Escort Officer“ auf Lesbos in Griechenland eingesetzt – offenbar um von dort aus Abschiebungen in die Türkei durchzuführen.
https://barrikade.info/article/3721

https://www.jungewelt.de/artikel/382815.eu-und-fl%C3%BCchtlinge-abschottung-wird-versch%C3%A4rft.html

https://www.derstandard.at/story/2000118937581/eu-staaten-einigen-sich-auf-plattform-fuer-grenzschutz-und-asyl?ref=rss
https://taz.de/EU-Grenzschutzagentur-Frontex/!5701399/

27.07.20
Italienische Staatsanwaltschaft bereitet Klage wegen Push-backs nach Libyen vor

In Italien wird eine Klage vorbereitet. Sie richtet sich den Kapitän des Schiffes Asso Ventotto sowie den verantwortlichen der Reederei Augusta Offshore. Sie brachten im Juli 2018 über hundert Menschen, die sie zuvor aus Seenot  geholt hatten, nach Libyen. Libyen befindet sich im Bürgerkrieg und bietet keine sicheren Häfen. Es ist ein Verstoss gegen internationales Recht, Menschen in das Land zu bringen, wo ihnen wieder Internierung, Folter und Tot drohen. Die italienischen Behörden wurden nicht informiert. Die Geflüchteten haben auf den Schiffen italienisches Hoheitsgebiet betreten und die Anlandung hätte von den italienischen Behörden koordiniert werden müssen. Der Kapitän gab an, sich an die libysche Leitstelle gewendet zu haben. Laut den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Neapel hat er jedoch keine Behörde benachrichtigt und die Menschen willkürlich nach Libyen gebracht und ihnen das Recht verweigert, in Italien Asyl zu beantragen. Bei den Ermittlungen wurde die Staatsanwaltschaft auch auf einen zweiten Fall aufmerksam, in dem Schiffe der gleichen Reederei mindestens 276 Menschen nach Libyen deportiert haben. Er soll in die Klage einbezogen werden.
Die Klage ist die erste ihrer Art und möglicherweise wichtig, weil Rückführungen nach Libyen heute an der Tagesordnung liegen. Überwiegend werden die Push-backs durch die sogenannte libysche Küstenwache durchgeführt, die von Europa dafür bezahlt und ausgebildet wird, sodass sich die europäischen Länder in Unschuld tarnen können. So ist auch das Interesse an einer Aufklärung und Verurteilung durch italienische Behörden fraglich, die sich seit 2018  nicht zu den parlamentarischen Anfragen zum Thema geäussert haben und die Aufzeichnungen unter Verschluss halten.
https://saritalibre.it/interrogazione-parlamentare-deportazione-del-2-luglio/
https://www.welt.de/politik/ausland/article211863735/Italien-will-Kapitaen-wegen-Fluechtlingsrueckfuehrung-nach-Libyen-anklagen.html

21.07.20
Behörden ignorieren Leiche im Mittelmeer zwei Wochen lang
Der leblose Körper eines Menschen trieb über zwei Wochen im Mittelmeer. Die Rettungsorganisation Sea-Watch hat aus ihrem Flugzeug «Seabird», das über dem Mittelmeer kreist, um Boote mit geflüchteten Menschen in Seenot zu sichten, ein Foto von der treibenden Leiche gemacht. Daraufhin hätten sie die zuständigen Stellen in Libyen und die Behörden in Malta und Italien informiert. Es geschah jedoch nichts. Keine der verantwortlichen Länder ging der Meldung nach, denn innerhalb der nächsten zwei Wochen sah das Flugzeug «Seabird» die Leiche drei weitere Male.
Beckmann, Leiterin der Luftaufklärung bei Sea-Watch, drückt den Skandal folgendermassen aus: «Wenn die Körper nicht geborgen und identifiziert werden und die Angehörigen nicht über den Tod informiert werden, damit sie trauern können, worauf sie ein Recht haben, und wenn diese Toten nicht zur Ruhe gebettet werden, zeigt das, dass das letzte bisschen Würde, das die EU noch übrig hatte, mit diesen Menschen im Mittelmeer ertrunken ist»
Es zählen für Europa nicht alle Leben gleich. Und auch nicht alle Toten.
https://www.nau.ch/news/europa/leiche-eines-migranten-trieb-zwei-wochen-im-mittelmeer-65744798
https://www.theguardian.com/world/2020/jul/15/italian-coastguard-and-cargo-ship-ignored-stricken-migrant-boat?CMP=share_btn_tw

21.07.20
Nordafrikanische Polizei soll Menschen von der Überfahrt nach Europa abhalten
Seit dem 1. Juli hat Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft. Schon das Motto „Gemeinsam. Europa wieder stark machen.“ lässt nichts Gutes vermuten. Als zentrales Thema der Ratspräsidentschaft wurde die Reform der europäischen Migrations- und Asylpolitik angekündigt. Dazu heisst es im Programm unter anderem, man wolle Fehlanreize gegenüber Menschen auf der Flucht vermeiden, schnelle Entscheidungen treffen, wer schutzbedürftig sei und mit Verfahren an den EU-Aussengrenzen, also bereits in Nordafrika, prüfen, wen man gar nicht erst nach Europa lässt, um ein Asylgesuch zu stellen.
Das erste Innenminister*innentreffen vor einer Woche, bei dem unter anderem die Verteilung Geflüchteter auf die europäischen Länder besprochen wurde, blieb ohne konkrete Ergebnisse. Einig wird man sich hingegen eine Woche später mit den Innenminister*innen nordafrikanischer Staaten bei einem weiteren Treffen: Die Polizei nordafrikanischer Länder soll Menschen auf der Flucht von der Mittelmeer-Überfahrt nach Europa abhalten. Dafür soll die Zusammenarbeit zwischen der Behörde für Polizeikooperationen der Afrikanischen Union (Afripol) und den EU-Agenturen Frontex und Europol sowie des Europäischen Netzwerks von Verbindungsbeamten für Einwanderung gefördert werden sowie Ausbildungen und technische Ausstattung finanziert werden. Offiziell heisst das dann „Schleuserbekämpfung“. In der Praxis zieht es tägliche Menschenrechtsverletzungen in Libyen und die Inhaftierung Geflüchteter mit sich. Die „Grenzmanagementprogramme“  allein in Libyen belaufen sich jetzt auf 57,2 Millionen Euro u.A. für Schulungen, 20 Gummiboote, 40 Geländewagen, 13 Busse und 17 Krankenwagen. Auffällig ist auch das Machtgefälle von Nord nach Süd. Wie würden europäische Staaten reagieren, wenn ihnen afrikanische Staaten solche Aufgaben übertragen würden?Die europäische Grenzmauer auf dem afrikanischen Festland wird, bildlich gesprochen, immer höher. Leere Worthülsen bleiben die Versprechen, sich um die „Rettung von Menschen aus Seenot zu bemühen oder Direktaufnahmekapazitäten (Resettlement-Programme) auszubauen“.
https://www.migazin.de/2020/07/14/eu-fluechtlingspolitik-afrikanische-polizei-bootsfluechtlinge/https://www.proasyl.de/pressemitteilung/unter-dem-deckmantel-der-schleuserbekaempfung-verhinderung-von-flucht-statt-seenotrettung/https://www.tagesschau.de/ausland/eu-migration-innenminister-103.htmlhttps://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/news_corner/news/eu-delivers-support-border-management-libya_en

13.07.20
Maltas Rolle bei der Abschottung Europas
Als staatlicher Akteur der Abschottung fiel im vergangenen Halbjahr besonders Malta auf: Geschlossene Häfen, Geisterschiffe, neue Hotspots auf See, Zusammenarbeit mit Libyen.
Zuerst erklärte es im April ebenso wie Italien seine Häfen aufgrund der Covid-19-Pandemie als unsicher für Migrant*innen. Auch stellte es seine (Rettungs-) Operationen in der SAR-Zone ein. Die bereits bestehende Rettungslücke im zentralen Mittelmeerraum wurde erweitert, es kam zu Verzögerungen bei der Seenotrettung oder zu gar keiner Unterstützung. Gleichzeitig konnten über Wochen aufgrund der europaweiten Reisebeschränkungen und behördlicher Erschwernisse keine zivilen Rettungsschiffe im Einsatz sein. 
Des weiteren hat die maltesische Regierung mehrere private „Fischereifahrzeuge“ angemietet, einschliesslich der Dar al Salam 1 und der Tremar, die unter libyscher Flagge fahren und unter maltesischer Anleitung Push-backs durchführen. An die Öffentlichkeit gelangten die illegalen Push-backs von 63 Personen nach Libyen während des Osterwochenendes. Durch den Einsatz dieser privaten Schiffe versucht Malta, seine Rolle bei den Push-backs zu verschleiern und sich der Verantwortung zu entziehen. Gestützt wird die maltesische Regierung dabei von der eigenen Justiz. Nach Maltas Taktiken der Verzögerung, der Nichtunterstützung und Sabotage sowie der Organisation von illegalen und privatisierten Push-backs, die allein am Osterwochenende zwölf Todesopfer gefordert hatten, klagte die maltesische GO Repubblika gegen den maltesischen Premierminister und gegen zwölf Mitglieder der Küstenwache. Das Gericht sah erstaunlich schnell und mit juristischen Unzulänglichkeiten keine Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten des Premierministers oder die Pflichtverletzung Maltas.
Das dritte grosse Thema der maltesischen Abschottung ist die Einrichtung schwimmender Hotspots in internationalen Gewässern. Ab dem 30. April hielt Malta 425 Menschen auf vier Kreuzfahrtschiffen fest. In Malta wurde die Schaffung von schwimmenden Gefängnissen nicht nur als Quarantänemassnahme gerechtfertigt, sondern durch fehlende Kapazitäten in den Asyllagern an Land. Die Menschen konnten nicht nur kein maltesisches Territorium betreten, sie wurden auch an der Stellung eines Asylantrags in Europa gehindert. Einige der Inhaftierten traten in den Hungerstreik und protestierten gegen die unmenschlichen Haftbedingungen an Bord, was die maltesische Regierung im Juni zwang, sie an Land zu lassen. Bezeichnenderweise wurden in den Medien die protestierenden Geflüchteten als gewalttätig dargestellt, nicht aber die brutalen physischen und psychischen Bedingungen ihrer Behandlung durch den maltesischen Staat.
Ende Mai unterzeichnete der maltesische Premierminister ein neues Abkommen mit Fayez al-Sarraj, dem Premierminister der libyschen Regierung, um zu verhindern, dass Menschen Malta erreichen. Seit dem 1. Juli arbeiten die beiden Länder durch die Schaffung zweier „Interception Coordination Centers“ noch enger zusammen. Finanziert werden sie von Malta. Die maltesische Regierung stationiert in dieser Einrichtung auf Malta drei libysche Offiziere, die die Grenzkontrolle und die Rückführung von Booten in das libysche Kriegsgebiet unterstützen und koordinieren sollen. Im libyschen Center werden drei maltesische Offiziere eingesetzt, um Push-backs zu arrangieren.
https://alarmphone.org/en/2020/07/06/also-in-the-central-mediterranean-sea-black-lives-matter/

13.07.20
50 Migrant*innen können Frachtschiff verlassen

Nachdem ein in Seenot befindliches Boot mit den 52 Flüchtenden vom Aufklärungs- und Suchflugzeug «Moonbird» gesichtet und gemeldet wurde, bekam der Kapitän des Viehtransportschiffes «TALIA» von der Rettungs- und Koordinierungsstelle in Malta den Auftrag, die Menschen in Seenot aufzunehmen. Danach brachen die Behörden den Kontakt ab. Die Geretteten mussten in den verdreckten Viehstallungen untergebracht werden, behördlich behandelt wie Tiere. Nachdem zwei medizinische Notfälle von den maltesischen Behörden evakuiert worden waren, verweigerte Malta das Anlanden der Menschen. Auch Italien verweigerte dem Frachter die Evakuierung. Auf der „TALIA“ waren zuletzt die Vorräte ausgegangen, um die Menschen zu versorgen. Ausserdem verschlechterte sich die medizinische Lage an Bord von Tag zu Tag. Nach tagelangem Schweigen und Absagen wurden die 50 Menschen nun von der maltesischen Küstenwache übernommen und an Land gebracht.
https://anfdeutsch.com/aktuelles/viehfrachter-mit-52-geretteten-darf-nicht-anlanden-20241
https://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge-auf-viehfrachter-vor-malta-heute-ist-der-letzte-tag-an-dem-ich-sie-versorgen-kann-a-9c6dd4dc-814f-4ec8-8a16-9a49b34ed8fa
https://www.spiegel.de/politik/ausland/malta-50-fluechtlinge-von-viehfrachter-mv-talia-abgeborgen-a-0abaa12b-1533-4776-9a0d-db0c7eaeae95

Bild: «Der libanesische Viehtransporter TALIA mit dem in Seenot befindlichen Schlauchboot»

13.07.20
Notstand auf der «Ocean Viking» ausgerufen
Auch auf dem Seenotrettungsschiff von SOS Mediteranee spielten sich letzte Woche unvorstellbare Szenen ab. Insgesamt rettetet die Crew der «Ocean Viking» 180 Menschen aus Seenot, versorgte sie medizinisch und brachte sie auf ihrem Schiff unter. Da weder Italien noch Malta auf die Anfrage nach einem sicheren Hafen reagierten, sprangen nach tagelanger Irrfahrt zwei Männer über Bord ins Meer und mussten vom Rettungsteam geborgen werden. Ein Mensch versuchte, sich zu erhängen. Weitere haben Selbstmordgedanken geäussert. Viele der Geretteten sind schwer traumatisiert und und zeigten Anzeichen von Depressionen. In einer Pressemitteilung schrieb SOS Mediteranee: «Das besorgniserregende Verhalten und der schlimme psychische Zustand vieler Überlebender an Bord des Schiffes sind eine direkte Folge der unnötig langen Verzögerung und der fehlenden Lösung für ihre Ausschiffung an einem sicheren Ort.»
Insgesamt sieben Malwurden die zuständigen Behörden um die Zuweisung eines sicheren Hafens angefragt, es kamen lediglich zwei negative Antworten zurück. Dabei ist das Seerecht ganz klar: Eine Rettung ist erst dann abgeschlossen, wenn die Überlebenden einen sicheren Ort erreicht haben, und ein solcher Ort ist von den zuständigen Seebehörden schnellstmöglich bereitzustellen.
Nachdem der Notstand an Bord ausgerufen wurde, schickten die italienischen Behörden ein medizinisches Team an Bord, um Abstriche für Covid-19-Tests von den Migrant*innen zu nehmen. Ein beteiligter Psychiater habe enorme psychische Belastungen bei den Geflüchteten auf dem Schiff festgestellt. Nach weiteren Tagen auf See konnte die «Ocean Viking» schlussendlich in den Hafen von Porto Empedocle auf Sizilien eingelaufen, die 180 Menschen sind nun auf der Fähre «Moby Zaza» in Corona-Quarantäne.
https://ffm-online.org/notstand-an-bord-der-ocean-viking-ausgerufen/
https://www.tagesschau.de/thema/ocean_viking/
https://www.infomigrants.net/en/post/25835/ocean-viking-nearly-200-migrants-disembark-from-rescue-ship-in-italy

13.07.20
Sea-Watch 3 erneut an die Kette gelegt

Italienische Behörden haben am Mittwochabend ein Fahrverbot für das deutsche Rettungsschiff «Sea-Watch 3» verhängt. Das Schiff ankert derzeit vor dem sizilianischen Porto Empedocle. Die Küstenwache habe bei einer Inspektion technische und operative Mängel festgestellt, welche die Sicherheit des Schiffs sowie der Besatzung und geretteter Migrant*innen beeinträchtigten, teilte das Innenministerium in Rom mit. Zudem würde es gegen Umweltschutzbestimmungen verstossen. Bereits drei Minuten nachdem die Behörden von Bord der «Sea-Watch 3» gingen, veröffentlichte die italienische Küstenwache eine Pressemitteilung zu den angeblichen Mängeln und den folgenden Massnahmen. Dies beweist einmal mehr, dass die Anschuldigungen zu den Mängeln vorbereitet sind und zum abgekarteten Spiel der Behörden Europas gehören. Das Schiff bleibe bis zur nachgewiesenen Beseitigung der Mängel mit einem Fahrverbot belegt, so die Mitteilung des Innenministeriums. Während die Behörden aufgrund angeblicher technischer Mängel die Sicherheit an Bord hinterfragen, sind sie es selbst, die durch ihre Beteiligung an illegalen Pull-Backs nach Libyen und die Verweigerung der Anlandung in sicheren Häfen Menschen gefährden.
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-07/seenotrettung-sea-watch-3-rettungsschiff-fahrverbot-porto-empedocle-sizilien
https://www.tagesschau.de/ausland/seawatch-sizilien-festgesetzt-101.html

13.07.20
Alarmphone-Bericht: Europäische Strategien, Gewalt und Tod auf dem Mittelmeer
„In den vergangenen sechs Monaten, Januar bis Juni 2020, war das zentrale Mittelmeer weiterhin eine Zone der Gewalt, des Verschwindens und des Todes sowie eine Bühne für Kämpfe um Bewegungsfreiheit, sowohl von Menschen, die aus Libyen fliehen, als auch von der zivilen Flotte,“ heisst es im aktuellen Report des Alarmphones. Der Bericht fasst unter anderem die Erfahrungen des Alarmphones und wichtige Entwicklungen auf dem zentralen Mittelmeer zusammen, stellt die eskalierende Gewalt an Maltas Grenzen dar und gibt eine erste Einschätzung zur neuen EU-Mission Irini ab.
Im Jahr 2020 stand das Alarmphone bisher mit 77 Booten in Seenot im zentralen Mittelmeer und damit mit etwa 4.500 Menschen in Kontakt. Nicht einberechnet sind die Dutzenden Boote, die zwar anriefen, aber keine ausreichende Verbindung hatten und somit wichtige Daten wie ihre Position nicht mitteilen konnten. 1.100 der Personen, die das Alarmphone anriefen, wurden abgefangen und durch die so genannte libysche Küstenwache oder durch Handels- oder Privatschiffe zur Rückkehr nach Libyen gezwungen. Das Alarmphone berichtet auch von mehreren Tragödien auf See, bei denen Hunderte von Menschen starben oder verschwanden. Die amtliche Statistik verzeichnet für das Jahr 2020 bisher 377 Todesfälle. Die tatsächlichen Zahlen liegen sicherlich wesentlich höher, da selbst bei bekannten Seenotvorfällen, von denen es allein im Juni drei im zentralen Mittelmeer gab, die Zahl der Menschen an Bord oft unbekannt bleibt.Am 1. April löste die neue Mittelmeeroperation Irini die Mission Sophia ab. Die Operation behauptet, das UN-Waffenembargo gegen Libyen mit Luft-, See- und Satellitenkapazitäten durchsetzen zu wollen. Darüber hinaus unterstützt sie die Ausbildung der sogenannten libyschen Küstenwache und Marine zur Bekämpfung von „Menschenschmuggel und Menschenhandelsnetzwerken“. Gleichzeitig hat sie explizit ausgeschlossen, Seenotrettungen vorzunehmen und bewegt sich nur vor dem östlichen Teil der libyschen Küste, wo es selten zu Abfahrten nach Europa kommt. Erste Erfahrungen zeigen, dass die Schiffe der Operation Irini sich tatsächlich weigern, Rettungsaktionen einzuleiten, was gegen das Seerecht verstösst. Am 12. Juni wurde eine Rettung von einem Militärschiff der Irini-Operation verweigert. Am 26. Juni wurde das Alarmphone von einem Boot in Seenot im Herzen von Irini’s Einsatzgebiet kontaktiert: Es stand kein EU-Militärschiff zur Rettung zur Verfügung. Stattdessen wurden die in Not geratenen Menschen von der so genannten libyschen Küstenwache abgefangen und zurück nach Libyen deportiert. Das Rettungsschiff Mare Jonio war zum Zeitpunkt des Abfangens vor Ort angekommen und bot an, die Menschen umzuladen, aber die sogenannte libysche Küstenwache lehnte dies ab.
Das Alarmphone weist immer wieder darauf hin, dass das Mittelmeer zu den am besten überwachten Regionen der Welt gehört. „Während es das Mittelmeers umfassend überwacht, versucht Europa, die dramatischen Auswirkungen seiner Politik des Sterbenlassens unsichtbar zu machen, indem es das Mittelmeer aktiv in ein schwarzes Loch verwandelt hat, in dem Schwarze Menschen auf der Flucht systematisch dem Tod überlassen, illegal zurückgedrängt oder tagelang ohne Hilfe auf See gehalten werden.“
https://alarmphone.org/en/2020/07/06/also-in-the-central-mediterranean-sea-black-lives-matter/
https://theconversation.com/black-lives-are-being-lost-in-the-mediterranean-but-the-world-remains-silent-141822

07.07.20
Die Seabird fliegt ihre erste Mission
Auf dem Mittelmeer ist ein neues ziviles Aufklärungsflugzeug im Einsatz. Betrieben von Sea-Watch und der Schweizerischen Humanitarian Pilots Initiative HPI ergänzt die Seabird die Moonbird, die Lampedusa für Wartungsarbeiten verlassen hatte. Das neue Flugzeug hat eine grössere Reichweite und kann flexibler auf  politische Hürden reagieren, wie etwa den Entzug der Starterlaubnis von Malta 2018. Seither musste die Luftaufklärung ab Lampedusa starten.
Die Luftaufklärung ergänzt die zivile Flotte an Rettungsschiffen auf dem zentralen Mittelmeer. Sie kann ein riesiges Seegebiet abdecken, Seenotfälle früher entdecken und melden. Allein im Jahr 2017 sichtete die Moonbird 119 Boote in Seenot, einige davon bereits sinkend. Ohne den Einsatz des Aufklärungsflugzeugs wären es wahrscheinlich bis zu 1.000 Tote mehr im Mittelmeer geworden, ohne dass die Öffentlichkeit etwas davon mitbekommen hätte. 2017 starben etwa 3.500 Menschen im Mittelmeer. Häufig kann die Crew jedoch lediglich dokumentieren, was auf dem Mittelmeer passiert. Sie wird zunehmend Zeugin von Push-backs nach Libyen oder unterlassener Hilfeleistung durch die offiziellen Rettungsleitstellen.
https://www.facebook.com/seawatchprojekt/
https://www.hpi.swiss/moonbird

07.07.20
Ägais: Schwimmende Grenzbarriere, maskierte Angreifer*innen und die Banalisierung von Pushbacks
Anfang des Jahres kündigte die rassistische Regierung in Griechenland an, nordöstlich der Insel Lesbos eine schwimmende Barriere gegen (flüchtende) Migrant*innen zu errichten. Gemäss dem Nachrichtenportal Real und der Nachrichtenagentur AFP wird das Repressionsprojekt nun Ende August in Betrieb genommen. Eine halbe Million Euro kostet die 2.7 km lange Barriere. Starke Lampen sollen das abschottende Signal bereits auf 10 Kilometer sichtbar machen. Um diese Abschottung durchzusetzen, gelten in der Ägäis zwischen Griechenland und der Türkei weder Moral noch Gesetze. Alle Mittel sind recht. Im Juni wurden Schlauchboote mit Geflüchteten mehrmals von maskierten Personen angegriffen, die die Boote zerstörten. Ein Video und Bilder dokumentieren z.B. einen Vorfall am 4. Juni. Sie zeigen das Loch im Boot, den zerstörten Motor und Menschen, die schliesslich ins Wasser springen, um das Boot schwimmend in Richtung Lesbos zu schieben. Der Angriff erfolgte unter Beobachtung der griechischen Küstenwache. Diese war ständig in der Nähe. Eine überlebende Person erklärte gegenüber der Onlinezeitung DW, dass die Maskierten griechische Einsatzkräfte seien, die vom Schiff der Küstenwache gekommen seien und mit diesem ständig im Kontakt standen. Auch die Gruppe Belingcat konnte nachweisen, dass das Boot der maskierten Gewalttäter*innen von der griechischen Küstenwache stammt. Nebst solchen Angriffen finden immer mehr Pushbacks statt. Dass das Zurückdrängen von Booten mit Geflüchteten von griechischen in türkische Gewässer nicht nur lebensgefährlich ist, sondern auch gegen alle denkbaren Abkommen und Gesetze verstösst, stört offizielle Akteur*innen kaum mehr. Der vorherrschende Rassismus hat den Wert eines flüchtenden Menschen derart heruntergedrückt, dass Todesfälle politisch ohne Gefahr in Kauf genommen werden können.
https://www.bellingcat.com/news/uk-and-europe/2020/06/23/masked-men-on-a-hellenic-coast-guard-boat-involved-in-pushback-incident/
https://www.dw.com/de/griechenland-%C3%BCbergriffe-von-maskierten-auf-gefl%C3%BCchtete-in-der-%C3%A4g%C3%A4is/a-53977111
https://www.infomigrants.net/en/post/25739/greece-to-deploy-anti-migrant-barrier-off-lesbos

Bis zu 60 Tote und Vermisste nach Bootsuntergang auf türkischem Gebirgssee
Auf dem Van-See in der Türkei nahe der iranischen Grenze ist ein Boot mit 55-60 Menschen auf der Flucht gesunken. Es bot Platz für 20 Personen und hielt der Überladung bei stürmischen Wetter nicht stand. Es wurden bisher sechs Leichen geborgen. Das Boot befand sich 8 km vom Ufer entfernt. Der See ist dort bis zu 450 Meter tief. Es ist unwahrscheinlich, dass Tage nach dem Unglück Menschen lebend gefunden werden. Der See liegt insbesondere für Menschen aus Pakistan, Afghanistan, dem Iran und dem Irak auf der Fluchtroute nach Europa. Zuletzt sind im Dezember bei einem ähnlichen Vorfall sieben Menschen ertrunken. Die türkischen Behörden geben an, dass sie allein in diesem Jahr etwa 16.000 Migrant*innen daran gehindert haben, über die türkisch-iranische Grenze in die Türkei einzureisen, und dass sie 4.500 weitere festgenommen haben, denen es gelang, illegal in die Provinz Van einzureisen.
Die EU hat der Türkei vergangene Woche eine weitere halbe Milliarde Euro zugesprochen. Im offiziellen Wortlaut, um den syrischen Geflüchteten im Land humanitäre Hilfe zu leisten. In der Praxis wohl eher,  damit die türkischen Behörden Menschen an ihrer Weiterreise nach Europa hindern.
https://www.nytimes.com/reuters/2020/07/01/world/middleeast/01reuters-turkey-migrants-boat.htmlhttps://www.infomigrants.net/en/post/25727/dozens-of-migrants-feared-dead-in-lake-van-turkey
https://www.nzz.ch/international/die-eu-und-die-tuerkei-brauchen-einen-neues-fluechtlingsabkommen-ld.1563124?reduced=true

Europäische Staaten finanzieren weiteres Überwachungssystem vor Tunesien
Eine neue Anlage zur Kontrolle tunesischer Küsten soll die „irreguläre Migration“ über das Mittelmeer verhindern. Es nennt sich „Integrated System for Maritime Surveillance“ (ISMariS) und wird von der Schweiz und der EU finanziert. Es ergänzt unter anderem die Militärmission „Irini“ und die Frontex-Mission „Themis“. ISMariS soll möglichst viele Informationen aller Behörden zusammenführen und mit bereits vorhandenen Komponenten von Behörden in Tunesien kompatibel sein, darunter Führungs- und Kontrollsysteme der Küstenwachen, Radaranlagen, Sender und Empfänger zur Positionsbestimmung, Nachtsichtgeräte sowie thermische und optische Sensoren. Die für Europa vielleicht wichtigste Komponente des „ISMariS“ ist ein ebenfalls enthaltenes Kommunikationssystem. Damit sollen die Küstenwache und Marine „zur Verbesserung der operativen Zusammenarbeit“ mit Italien und anderen EU-Mitgliedstaaten Informationen austauschen, z.B. mit Frontex und EUROSUR, dem europaweiten Überwachungssystem der EU-Grenzagentur. Frontex überwacht die Küstenregionen vor Libyen und Tunesien bereits unter anderem mit Satelliten und einem Flugdienst.
Das Mittelmeer gehört zu den am besten überwachten Gebieten der Welt, dennoch werden Menschen in Not immer seltener von den EU-Mitgliedstaaten gerettet. Stattdessen helfen die Staaten der tunesischen oder libyschen Küstenwache, die Geflüchteten (oft gewaltvoll) zurückzuholen.
https://netzpolitik.org/2020/eu-zahlt-ueberwachung-im-golf-von-tunis/

29.06.20
Wieder vermehrt zivile Seenotrettung auf dem zentralen Mittelmeer
Nachdem die beiden Seenotrettungsschiffe «Mare Jonio» und «Sea-Watch 3» vorletzte Woche in Italien einlaufen und die geretteten Menschen von Bord gehen konnten, machte sich nun auch die «Ocean Viking» am Montag von Marseille aus auf den Weg in die libysche SAR (Search and Rescue) Zone. Bereits nach wenigen Tagen vor Ort wurden in zwei Rettungsaktionen 118 Menschen an Bord genommen. Das zivile Aufklärungsflugzeug «Moonbird» meldet fast täglich in Seenot gesichtete Boote. Einige konnten gerettet werden, viele wurden jedoch von der sogenannten libyschen Küstenwache zurück nach Libyen geschleppt. Derweil sind die Seenotrettungsschiffe «Alan Kurdi» und «Aita Mari» nach mehrwöchiger Blockade auf Sizilien wieder frei gekommen. Die Festsetzung der Schiffe erfolgte aufgrund fadenscheiniger technischer Mängel. Die italienische Argumentation zielte insbesondere auf die angeblich unzureichende Abwasseranlage, die Toiletten und die Müllentsorgungsvorrichtungen der Schiffe. Die «Alan Kurdi» ist nun auf dem Weg nach Spanien. Dort wird in Zusammenarbeit mit den deutschen Behörden geprüft, unter welchen Umständen das Schiff in den nächsten Einsatz fahren kann, ohne erneut von den italienischen Behörden festgesetzt zu werden. Die Zahlen und Berichte über in Seenot geratene Menschen machen einmal mehr deutlich, wie dringend die zivile Seenotrettung ist. Wenn die EU-Staaten es nicht schaffen, staatliche Seenotrettung zu betreiben und zu koordinieren, so mögen sie gefälligst die zivile Seenotrettung nicht behindern, sabotieren und kriminalisieren.
https://www.facebook.com/NewsfromtheMed/posts/974873216299608
https://www.lasicilia.it/news/cronaca/349415/migranti-a-lampedusa-non-si-fermano-gli-sbarchi-otto-in-24-ore.html

https://twitter.com/seawatchcrew/status/1275820226588880896?fbclid=IwAR18D9lIXuBaI3yFiL7Gd5_pGxYYVvtERxQRqUuIBLblEbl6cSzWuOPdGbk
https://www.facebook.com/NewsfromtheMed/posts/974511326335797
https://sea-eye.org/sea-eye-gelingt-die-befreiung-des-rettungsschiffes-alan-kurdi/

29.06.20
Libyen: Waffenlieferungen statt Waffenembargo, Push-Backs und Tote
Deutsche Militärfahrzeuge, zum Teil bewaffnet, wurden im libyschen Hafen heimlich gefilmt. Recherchen daraufhin belegen Folgendes: Am 24. Januar sticht in der türkischen Hafenstadt Mersin ein Schiff namens „Bana“ in See. Das offizielle Ziel ist Genua, die „Bana“ soll dort Autos an Bord nehmen. Sie passiert planmässig Zypern und Kreta. Doch plötzlich, am 27. Januar um 17:28 Uhr, sendet das Schiff ein letztes Positionssignal und verschwindet vom Radar. Die „Bana“ bleibt zwei Tage lang verschollen. Als sie plötzlich wieder auftaucht, befindet sie sich 25 Kilometer vor der libyschen Hauptstadt Tripolis und setzt ihre Fahrt Richtung Italien fort, als wäre nichts gewesen. Das Signal wurde offenbar bewusst abgeschaltet, um einen Abstecher nach Libyen zu verheimlichen. Darauf deuten die Aussagen von Schiffsbesatzungen und Hafenarbeiter*innen bei der Polizei in Genua hin. Das Schiff habe in Tripolis Waffen unter Aufsicht türkischer Soldaten abgeladen, geht aus Vernehmungsprotokollen hervor. Der Inhalt ist auch für die deutsche Bundesregierung äusserst heikel. Es wurden Mercedes-Militärfahrzeuge an Bord gesehen und gefilmt, die teils mit Kanonen und Radaranlagen bestückt gewesen seien. Der offizielle Handelsweg dieser Fahrzeuge geht von Deutschland in die Türkei und die Arabischen Emirate, aber von dort aus verschleiert weiter nach Libyen. Gleichzeitig steht Deutschland immer wieder für das Waffenembargo Libyens ein. Dieser krasse Widerspruch lässt sich nur mit den hohen Gewinnen aus Waffenexportgeschäften nachvollziehen.
Auf der anderen Seite wird die sogenannte «libysche Küstenwache» mit viel Geld und Ausbildung gefördert, um die Migrationsabwehr zu optimieren. Push-Backs von Menschen auf der Flucht aus internationalen Gewässern zurück nach Libyen sind an der Tagesordnung. Europäische Koordinierungszentren lehnen Rettungsmassnahmnen von Seenotfällen ab oder reagieren überhaupt nicht mehr. Menschen in libyschen Lagern harren unter den schlimmsten Bedingungen aus. In der Vergangenheit kam es zu Angriffen und Bombardierungen der Lager mit Toten und Verletzten.
Letzte Woche kam es erneut zu einem schweren Unglück unweit der libyschen Stadt Al-Zawiya. Die Zahl der Todesopfer ist unklar. Anfang letzter Woche wurden nach einem anderen Unglück auf See in der selben Gegend die Leichen dreier Migrant*innen gefunden, darunter ein 5 Monate altes Baby.
https://www.tagesschau.de/investigativ/report-muenchen/waffenembargo-libyen-101.html?fbclid=IwAR3mzRPxwEf6DqhGetPaw9MoKz2uvihLCCSiwAMa2bLRyGeGUzT-VEVfEFw
https://www.infomigrants.net/en/post/25528/several-dead-in-shipwreck-off-libyan-coastsea
https://twitter.com/msehlisafa/status/1276039028278689793?fbclid=IwAR3UqXZGL7jiAUbFE0ZSKRbDwxIp1mrXIcM9gaWxvTEzcEOKC63qaYD1SeU
https://www.fr.de/meinung/vergesst-libyen-nicht-13807052.html?fbclid=IwAR3gh-QNb3g_GrgVQb5FaTW1gRnnUmlA8AkwFCc2KxIFBk06ky7D30UOycI

22.06.20
Private Rettungsschiffe retten 278 Menschenleben
Die beiden Seenotrettungsschiffe Sea-Watch 3 und Mare Jonio waren seit einer guten Woche in der Libyschen SAR-Zone unterwegs. Die Crew der Sea-Watch 3 rettete in weniger als 48 Stunden 211 Menschen aus Seenot und nahm diese an Bord. Auch die Mare Jonio der italienischen NGO «Mediterrenea» rettete in diesen Tagen 67 Menschen aus Seenot. Unterstützung bei ihren Sucheinsätzen bekamen die Schiffe von der «Moonbird», einem Kleinflugzeug zur Suche und Lokalisierung von Seenotfällen. Zuerst verweigerte Italien den beiden Booten einen sicheren Hafen. Malta reagierte überhaupt nicht auf die Anfragen. Schliesslich hatte Italien am Samstag beiden Booten einen Hafen auf Sizilien zugewiesen. Die Mare Jonio konnte in Pazzallo anlegen, die Sea-Watch 3 wurde nach Porte Empedocle geordert. Die 211 Menschen von der Sea-Watch 3 sollen auf einer Fähre, welche im örtlichen Hafen liegt, in 14-tägige Quarantäne gehen. Die Crew der Sea-Watch 3 möchte ihren Einsatz so bald als möglich fortsetzten. Auch das Seenotrettungsschiff Ocean Viking geht wieder in den Einsatz aufs Mittelmeer. Nachdem sich die Bertreiber*innenorganisatioinen «SOS Mediteranee» und «MSF» (Ärzte ohne Grenzen) im Frühjahr überraschend voneinander getrennt hatten, fahren «SOS Mediteranee» nun mit einem eigenen Ärzt*innen-Team in das zentrale Mittelmeer.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1137984.seenotrettung-sea-watch-rettet-rund-gefluechtete-im-mittelmeer.html
https://www.infomigrants.net/en/post/25452/sea-watch-rescues-165-migrants-from-central-mediterranean
https://www.stol.it/artikel/politik/sea-watch-3-mit-211-migranten-darf-auf-sizilien-anlegen
https://www.repubblica.it/cronaca/2020/06/20/news/migranti_rotta_su_pozzallo_per_la_mare_jonio_con_67_a_bordo-259719787/
https://www.laprovence.com/actu/en-direct/6021035/migrants-face-a-lurgence-locean-viking-sapprete-a-retourner-en-mediterranee.html

22.06.20
Neue Pushbacks in der Ägais
In den vergangenen Wochen ist es vermehrt zu Push-Backs aus griechischen Gewässern in die Türkei gekommen. Schlauchboote wurden von Maskierten angegriffen und sabotiert, Menschen werden auf offener See zum Spielball der Küstenwache und sogar in Rettungsinseln wurden Flüchtende von Schiffen der griechischen Küstenwache zurück in türkische Gewässer gezogen (siehe antira-Wochenschau vom 01.06. und 08.06.20). Letzte Woche sind neue Medienberichte zu diesen grausamen Ereignissen erschienen. Der Menschenrechtsexperte Itamar Mann bezeichnet die Gefährdung von Menschenleben bei diesen illegalen Pushbacks in Rettungsinseln als eine Art Folter und unmenschliche und erniedrigende Behandlung. Selbst wenn die griechischen Küstenwache Menschen an Bord nimmt, kommt es immer wieder zu stundenlangen Verzögerungen. So werden die Menschen auf manövrierunfähige Boote über mehr als 14 Stunden sich selbst überlassen, bis die griechischen Küstenwache eingreift. Obwohl sie in unmittelbarer Nähe zu den Seenotfällen kreuzen. Manchmal machen sie Wellen, um die Boote in türkische Gewässer zurückzuschieben. Erst nach stundenlangem Druck von NGO`s wie z.B. Alarmphone werden die Menschen aus ihrer lebensbedrohlichen Lage gerettet.
https://www.ardmediathek.de/daserste/video/report-mainz/wie-die-griechische-kuestenwache-menschen-in-seenot-bringt/das-erste/Y3JpZDovL3N3ci5kZS9hZXgvbzEyNTg3MjA/
https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-06/migration-mittelmeer-kuestenwache-griechenland-fluechtlinge

https://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge-in-der-aegaeis-sie-haben-uns-zurueck-aufs-meer-gezogen-a-e101913d-509f-4c75-8cf5-f04c693b4ef1
https://apps.derstandard.at/privacywall/story/2000118120581/griechenland-setzt-offenbar-fluechtlinge-im-mittelmeer-aus?ref=rss
https://www.deutschlandfunk.de/mittelmeer-36-fluechtlinge-vor-lesbos-aus-dem-meer-gerettet.2932.de.html?drn%3Anews_id=1141194
https://www.infomigrants.net/en/post/25368/36-migrants-rescued-off-lesbos-on-sunday

15.06.20
Über 50 Menschen ertrinken vor Tunesien

Vor Tunesien ist ein Boot mit mutmasslich 53 Personen gekentert. Ein Fischer*innenboot stiess auf das Schiffswrack. Die lebensgefährlichen Überfahrten haben im Vergleich zum Vorjahr um 150% zugenommen. Denn welche Möglichkeiten haben Menschen auf der Flucht, ausser zu versuchen, Europa über das Mittelmeer zu erreichen? Über 50 Prozent der Geflüchteten in Tunesien verloren in der Covid-19-Krise ihren Job. Aussicht auf eine Regularisierung haben sie in dem Land, das kein Asylgesetz hat, sowieso nicht. Offiziell gibt es noch Resettlement-Programme, in denen sich Staaten bereit erklären, direkt Menschen aus Tunesien aufzunehmen. Grosszügige Zahlen werden hier jährlich versprochen. Verlassen haben das Land auf diesem Weg im Jahr 2018 elf Personen, bis September 2019 fünf.
Es bleibt der Weg über das Meer. Meist in überfüllten, nicht seetauglichen Booten. Gleichzeitig gibt es derzeit kaum Seenotrettungsstrukturen. Die offizielle Mittelmeermission Irini soll aus Gebieten abgezogen werden, wenn es dort verstärkt zu Rettungseinsätzen kommt. Die EU hat die Seenotrettung komplett eingestellt und kriminalisiert private Seenotrettung. Die zivilen Seenotrettungsschiffe Aita Mari und Alan Kurdi liegen in Italien an der Kette. Schiffe von Resqship und Mission Lifeline werden von einer Gesetzesänderung im Flaggenstaat Deutschland blockiert. Nach Wochen ohne ein einziges ziviles Rettungsschiff auf dem zentralen Mittelmeer konnten zuletzt die Mare Ionio, die Astral und die Sea Watch 3 wieder auslaufen. So sind Menschen, die übers Mittelmeer fliehen, meist allein ihrem Schicksal überlassen. Seit Beginn des Jahres sind im zentralen Mittelmeer bereits hunderte Menschen auf hoher See gestorben. Jeder einzelne Todesfall ist ein Resultat der brutalen und mörderischen europäischen Abschottungsstrategie.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1135606.fluechtlinge-und-corona-das-corona-logbuch-tote-bei-bootsunglueck-vor-tunesischer-kueste-bundesregierung-blockiert-seenotretter.html
https://www.theguardian.com/world/2020/jun/11/at-least-35-people-dead-as-migrant-boat-sinks-off-tunisia
http://reporting.unhcr.org/tunisia
https://reliefweb.int/report/tunisia/unhcr-tunisia-operational-update-31-october-2019
https://www.evangelisch.de/inhalte/171178/10-06-2020/un-organisation-verlangt-staatliche-seenotrettung-im-mittelmeer?fbclid=IwAR1zKchZTHpsl3Y1Pxg-p_Sm18MRS9PPqsnkc3BYTRmsioS3dkLKg4gcg74

08.06.20
Italien bereitet Anklage gegen Malta wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung vor
Veröffentlichungen der NGO Alarmphone könnten zu rechtlichem Streit zwischen Italien und Malta führen. Wie die Zeitung Guardian berichtet, bereite die italienische Staatsanwaltschaft eine Klage gegen Malta vor: wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung. Es geht dabei erneut um die Vorfälle am Osterwochenende 2020. Nachdem Anfang April sowohl Italien als auch Malta ihre Häfen aufgrund der Corona-Pandemie geschlossen und alle Aktivitäten zur Seenotrettung eingestellt hatten, trieben hunderte Geflüchtete mehrere Tage auf Booten in europäischen Such- und Rettungszonen. Mindestens zwölf Menschen starben auf See durch Dehydrierung oder Ertrinken. Nun dokumentieren Videos und Interviews mit Betroffenen ausführlich einen der Fälle. Nach Angaben der Überlebenden verliess ihr Boot mit 101 Personen am 8. April 2020 Libyen und befand sich am Morgen des 11. April in Sichtweite zu Malta. Dort näherte sich ihnen zunächst ein Handelsschiff ohne zu helfen, später ein zweites Schiff, das Schwimmwesten verteilte, zuletzt ein Schiff der maltesischen Küstenwache (AFM). Nach Angaben der Überlebenden bedrohten die AFM-Offizier*innen sie und versuchten, sie zu zwingen, nach Süden umzukehren. Aus Angst vor diesen Aktionen und um die Rettung durch das maltesische Militär zu erreichen, sprangen mehrere Menschen unter Lebensgefahr ins Meer. Anstatt sie zu retten, hätte die Küstenwache gefährliche Manöver gefahren, die Geflüchteten mit vorgehaltener Waffe bedroht und sie aus maltesischen Gewässer verwiesen. Zudem hätten sie ihnen Treibstoff und die GPS-Koordinaten nach Italien gegeben.
Italien rügt die maltesische Regierung nun einerseits seiner wiederholten Verletzung der Pflicht zur Seenotrettung. Andererseits bereitet es eine Klage wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung vor. Derweil hat das maltesische Gericht die Ermittlungen gegen Premierminister Abela wegen des Todes von fünf Geflüchteten bereits eingestellt. Es fehle an Beweismaterial seiner Schuld.
https://www.theguardian.com/global-development/2020/may/29/italy-considers-charges-over-maltas-shocking-refusal-to-rescue-migrants

https://alarmphone.org/en/2020/05/20/maltas-dangerous-manoeuvres-at-sea/

01.06.20
Weiterhin illegale Push-Backs aus Griechenland dokumentiert
Die griechisch-türkische Grenze bleibt ein Politikum. Bis zum 29. Mai wurde das dortige Polizeiaufgebot weiter aufgestockt. Bis zu 500 neue Grenzpolizist*innen aus Nordgriechenland, Thessalien und Athen wurden an die Grenze geschickt. Zudem inspizierte der griechische Minister für sog. „Bürgerschutz“, Michalis Chryssochoidis, am Mittwoch u.a. den Bau des 26 km langen Grenzzauns. Grund dafür könnten anhaltende Drohgebärden des türkischen Präsidenten Erdogan sein. Er hatte Ende Februar vorübergehend die Grenzen zu Griechenland geöffnet, nachdem er jahrelang von der EU Geld erhalten hatte (6 Milliarden Euro), um geflüchtete Menschen an der türkischen Grenze abzufangen. Im Gegenzug hatte er sich einen EU-Beitritt erhofft. Seitdem ihm dies als aussichtslos erscheint, spielen er und der griechische Ministerpräsident Mitsotakis ein brutales und gefährliches Ping Pong-Spiel mit den Körpern von Menschen auf der Flucht. Das Border Violence Monitoring Network (BVMN) berichtete in seinem jüngsten Monatsbericht von mehr als „200 geheimen Ausweisungen“, seit März – ähnlich der vom 30. April von Chios (vgl. antira-Wochenschau vom 25. Mai 2020 https://antira.org/2020/05/25/antira-wochenschau-migrantische-streiks-in-italien-und-deutschland-rassistischer-mob-in-guben-freispruch-in-frankreich/). So z.B. als am 1. April 26 Menschen und am 28. April 22 Menschen von Samos ‚verschwanden’. Sie wurden nie offiziell im Asylsystem registriert und am nächsten Tag von der türkischen Küstenwache in einer Art schwimmendem Zelt aufgefunden. Die Praxis der griechischen Küstenwache, Menschen in schwimmenden Zelten im offenen Meer auszusetzen (vgl. antira-Wochenschau vom 13. April 2020 https://antira.org/2020/04/13/antira-wochenschau-rassistischer-mord-in-celle-staatlicher-aufruf-zum-sterbenlassen-widerstaendige-hungerstreiks-gegen-isolation/), hat also nicht aufgehört und weiterhin System. Es gibt mindestens 6 weitere dokumentierte Fälle in den letzten Monaten. Am 23., 27., 28. und 29. März, sowie am 13. Mai und 15. Mai wurden insgesamt 123 Menschen von der türkischen Küstenwache aus den – eigentlich zur Rettung aus Seenot vorgesehenen – Vorrichtungen geholt. Von der griechischen Küstenwache werden sie in ihr Gegenteil verkehrt. Sie hatten die Rettungsflosse 2017 von der griechischen, auf Rettungsausrüstung spezialisierten Firma LALIZAS gekauft. Mehrere Ministerien der griechischen Regierung scheinen Verträge mit LALIZAS zu haben. Dass Firmen sich bereit erklären, das Asylregime mitzutragen und von ihm zu profitieren, ist Ausdruck des tief rassisitischen kapitalistischen Systems.
https://www.nzz.ch/international/migrationskrise-die-neusten-entwicklungen-ld.1535949
https://www.jungewelt.de/artikel/379209.eu-au%C3%9Fengrenze-gefl%C3%BCchtete-verschwinden.html
https://www.justsecurity.org/70309/tents-at-sea-how-greek-officials-use-rescue-equipment-for-illegal-deportations/

01.06.20
Sterben im Mittelmeer: Europas Rückzug bei der Seenotrettung
Während Corona die Schlagzeilen dominiert, ertrinken weiter Menschen im zentralen Mittelmeer. Europäische Staaten weigern sich mittlerweile sogar, Menschen in Seenot zu retten. Militärschiffe erhalten die Weisung, sich zurückziehen, sobald Boote mit Geflüchteten auftauchen. Gleichzeitig rüstet die EU libysche Milizen weiter auf, damit diese Geflüchtete zurück in libysche Haftlager bringen. Die Corona-Krise wird von den EU-Staaten genutzt, um Häfen zu schliessen und Rettungsschiffe festzusetzen. Doch die Zahlen der Menschen, welche sich auf die Flucht begeben, sank nicht. Im Gegensatz dazu, wird die Reise über das Mittelmeer immer tödlicher:
– Vor der tunesischen Hafenstadt Sfax kenterte ein Boot. Ein Mensch wurde tot geborgen, 12 weitere werden vermisst. Ein Sprecher der Nationalgarde Tunesiens teilte mit, dass 223 Personen festgenommen wurden, welche versucht hatten, sich auf die Fluchtroute über das Mittelmeer zu begeben.
– Die libysche Küstenwache hat in den vergangenen Tagen rund 400 Migrant*innen aus Europa vor der Mittelmeerküste des Landes abgefangen und in Gefangenenlager in der Nähe der Hauptstadt Tripolis gebracht. Safa Msehli, eine Sprecherin der Internationalen Organisation für Migration (IOM), sagte, die geflüchteten Menschen und Asylsuchenden seien in das al-Nasser-Gefangenenlager in der Stadt Zawya, westlich von Tripolis, gebracht worden. Die Gesamtzahl der Personen, die in diesem Monat die Überfahrt versucht haben, beläuft sich auf etwa 1.000.
– Malta hat nun das vierte Tourist*innenboot für die Quarantäne Geflüchteter gechartert. Die Zahl der auf diesen Booten lebenden Menschen ist somit auf 450 gestiegen. Zudem teilte die maltesische Regierung am Samstagabend mit, dass die maltesische Justiz das Ermittlunsgverfahren gegen Maltas Regierungschef Robert Abela eingestellt habe. Es gebe „keinerlei Beweise“, dass er und die Besatzung eines Patrouillenbootes für den Tod von mindestens fünf Menschen verantwortlich seien, die versuchten, über das Mittlemeer zu flüchten (mehr Infos zum Fall gibt es hier: https://antira.org/2020/04/27/antira-wochenschau-ein-angeklagter-premier-auf-malta-fuenf-polizeimorde-in-frankreich-780-franken-rassistische-lohndiskriminierung-in-der-schweiz/). Dass die Vorwürfe fallen gelassen wurden und Seenotrettung weiter kriminalisiert wird, ist nur ein weiteres Beispiel für die menschenverachtende Abschottungspolitik Europas.
https://www.facebook.com/MareLiberumOfficial/posts/635491837179723
https://www.facebook.com/watchthemed.alarmphone/posts/267155598645196
https://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/seenotrettung-corona-100.html
https://www.middleeasteye.net/news/migrant-boat-capsizes-tunisia-coast-leaves-one-dead-and-six-missing
https://www.aljazeera.com/news/2020/05/libyan-coastguard-detains-hundreds-migrants-200525191125794.html
https://www.facebook.com/SOSMEDITERRANEE/posts/2985077504932871
https://www.irishtimes.com/news/world/africa/migrant-39-who-failed-to-reach-europe-dies-in-libyan-detention-centre-1.4262356
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-05/migration-fluechtlinge-sizilien-mittelmeer-italien
https://timesofmalta.com/articles/view/malta-commissions-fourth-tourist-boat-as-425-migrants-held-offshore.794873?fbclid=IwAR1wCuow9LD7LNEjRCuKSztaSW6CbHyKuyYYaBoiatwMUJJlWQ-8WWawrMU

25.05.20
Mann stirbt durch Sprung vom Quarantäneschiff vor Sizilien
Dass die Unterbringung Geflüchteter auf einem Schiff keine Option ist, zeigen die Geschehnisse auf der Moby Zaza, die vor der Küste Siziliens als Quarantäneschiff im Einsatz ist. Am Mittwoch starb ein Mann, der an diesem Abend mit einer Rettungsweste, aus 15 Metern Höhe in die raue See von Bord gesprungen war. Ob er vom Schiff fliehen oder an Land schwimmen wollte, kann man nur vermuten.
Es folgten Proteste an Bord, mit denen 14 Geflüchtete ihre Ausschiffung erreichen konnten. Die Behörden begründeten die Zusage mit Sicherheitsbefürchtungen. Sie wurden in das Auffangzentrum Villa Sikania auf Sizilien gebracht, von wo aus einige versuchten zu fliehen. Die italienischen Behörden sahen am Donnerstag auch davon ab, neu Angekommene auf der Fähre unterzubringen. Sie kamen ins gleiche Lager wie die Menschen von Bord der Moby Zaza.
https://www.nau.ch/news/europa/migrant-stirbt-nach-sprung-von-quarantane-fahre-65711349
https://volksblatt.at/nach-protesten-14-migranten-verliessen-quarantaeneschiff/
https://www.agrigentonotizie.it/cronaca/lampedusa-migranti-imbarcati-nave-quarantena-no-tunisini-trasferiti-motovedette.html

 

Bild: Am Mittwoch stirbt ein Geflüchteter, der von Bord der Quarantänefähre Moby Zaza vor Lampedusa fliehen oder an Land schwimmen wollte.

18.05.20
Push-backs und Warenschmuggel im Mittelmeer
Die Situation im Mittelmeer spitzt sich immer weiter zu. Seit Anfang März gab es mindestens 28, seit Ende April mindestens drei dokumentierte Fälle, in denen die griechische Küstenwache Boote mit Migrant*innen attackierte, um sie davon abzuhalten, nach Griechenland zu gelangen. Die Schiffe der Küstenwache umkreisten die Boote mit Geflüchteten und erzeugten damit gefährliche Wellen. Sie drängten oder zogen sie in türkische Gewässer zurück oder drangen selbst in türkische Gewässer vor, um die Route zu blockieren. Die Praxis illegaler Push-Backs wird damit weiter normalisiert. Und die ohnehin schon prekäre Lage, in der sich die Menschen befinden, welche versuchen, die Ägäis zu überqueren, wird von der griechischen Küstenwache zusätzlich verschärft. Griechische Offizier*innen, einige davon maskiert, zerstörten die Motoren der Boote oder entliessen das Benzin. Sie bedrohten Menschen mit Schusswaffen und Messern und schlugen auf sie ein. Teilweise gab es Berichte, in denen die griechische Küstenwache Boote rammte und in die Luft oder ins Wasser schoss. Die türkische Küstenwache wiederum stellt sich selbst als Held*innen dar, wenn sie die in Seenot gebrachten Boote zurück in die Türkei bringt. Doch laut Augenzeug*innen-Berichten schauten türkische Offizier*innen den Machenschaften teilweise stundenlang zu und filmten sie, aber griffen nicht ein. Eine Person berichtete ausserdem davon, wie türkische Offizier*innen den Menschen, kaum an Land gebracht, das letzte Geld stahlen. Die Umstände im zentralen Mittelmeer sind nicht besser. Mindestens 146 Menschen sind dort seit Beginn des Jahres gestorben, die Dunkelziffer dürfte viel höher sein. Und das, weil die EU-Länder sich weigern, selbst universelle Menschenrechte einzuhalten. Vielmehr kriminalisieren sie die Seenotrettung und finanzieren libysche Milizen, um Menschen vom Mittelmeer in libysche Folterlager zu bringen. Seit dem 13. April befinden sich keine zivilen Rettungsschiffe mehr auf dem zentralen Mittelmeer. Das Schiff Alan Kurdi der Organisation Sea Eye ist seit vierzehn Tagen beschlagnahmt und wird nicht freigegeben. Trotz der anhaltenden Kämpfe – in der Nacht auf Donnerstag trafen z.B. Granatensplitter ein Krankenhaus in Tripolis – wurden seit Jahresbeginn 3.200 Menschen vom Mittelmeer nach Libyen zurückgeschleppt. Informationen von europäischen ‚Aufklärugsflugzeugen’, Drohnen und Satelliten werden an die libyschen Milizen weitergegeben. So können diese die Boote von Menschen, die versuchen, über das Meer zu gelangen, orten, abfangen und zurückführen. Nun wurde bekannt, dass ein Offizier der sog. libyschen Küstenwache sowie mehrere italienische Militärs, die auf einem italienischen Kriegsschiff vor der libyschen Küste stationiert waren, des Warenschmuggels angeklagt sind. Während also Menschen mithilfe des europäischen Militärs davon abgehalten wurden, nach Europa zu kommen, gelangten seit über zwei Jahren elektrische, hydraulische und nautische Gerätschaften sowie Zigaretten und Potenzmittel nach Italien. Eine Anklageschrift der Anwälte Omer Satz und Juan Branco wurde bereits letzten Juni beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag eingereicht. Sie lautet auf „EU-Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“
https://ffm-online.org/hafen-tripolis-italienisches-kriegsschiff-fuer-push-back-erste-verhaftungen-involvierter-militaers/

https://alarmphone.org/en/2020/05/14/push-backs-the-new-old-routine-in-the-aegean-sea/

https://www.facebook.com/NewsfromtheMed/posts/944400529346877

https://www.facebook.com/SeebrueckeSchafftsichereHaefen/posts/1117114378660744

https://www.facebook.com/seaeyeorg/posts/260796006264320

11.05.20
Malta zieht sich aus Marinemission Irini zurück
Maltas Premierminister Abela verfolgt nach eigenen Aussagen einen pragmatischen Umgang mit Migration: „this is not racism, this is reality“. Zu dieser Realität gehören geschlossene Häfen zum „Schutz“ der eigenen Bevölkerung, das Ignorieren von Notrufen, die Sabotage von Booten mit Geflüchteten und die Koordinierung von Push-backs nach Libyen. Für den Tod von mindestens fünf Migrant*innen, deren Boot vor der Küste Maltas in Seenot geraten war, müssen sich Angehörige der maltesischen Streitkräfte (AFM) wegen Sabotage am Motor des Bootes verantworten. Zu der laufenden Untersuchung veröffentlichte Alarmphone einen detaillierten Bericht über den Notfall, welcher in den frühen Morgenstunden des 8. April 2020 bei ihnen einging. Insgesamt hat Alarmphone 42 Mal das RCC Malta kontaktiert: 34 Mal über das Telefon, wobei sie jedoch nur 11 mal (meist ohne jegliche Information) und acht Mal per E-Mail durchkamen. Menschen, die trotzdem aus Seenot gerettet werden, bringt Malta aktuell auf Touristenschiffen auf See unter. Die maltesische Regierung charterte am 06. Mai das zweite Captain Morgan-Boot, um 120 aus Seenot Gerettete ausserhalb der Territorialgewässer Maltas in Quarantäne zu nehmen. Bei dieser Art Boote handelt es sich um Touristenboote für Hafen- und Tagesrundfahrten. Schwer vorzustellen, wie auf solche einem Boot Menschen mehrere Wochen leben sollen. Das erste Captain Morgan-Boot, auf welchem seit über 10 Tagen 57 Menschen Quarantänezeit verbringen müssen, trägt den Namen „Europa II“. Wie zynisch. Derweil kommen immer wieder auch selbstständig Boote auf Lampedusa an. In der Zeit des Lockdowns waren es bisher ca. 700 Menschen. Zu Maltas „pragmatischem Handeln“ gehört wohl auch der Rückzug aus der EU-Mission IRINI, einer Marine-Mission zur Durchsetzung des Waffenembargos gegen das vom Krieg zerrüttete Libyen. Dies geschieht durch Einfrieren aller finanziellen Beteiligung, bis die „Migrationskrise“ gelöst sei.
https://timesofmalta.com/articles/view/second-captain-morgan-ship-chartered-for-120-more-migrants.790556?fbclid=IwAR2jVHOqOnYpFmFCPcHs_ZKFWa6HN9l3FJz-d_6OE9MRd6ODOlBXySPcVG4
https://taz.de/Seenotrettung-im-Mittelmeer/!5682810/
https://www.repubblica.it/cronaca/2020/05/06/news/sbarco_in_spiaggia_nell_agrigentino_migranti_in_fuga_a_terra_caccia_all_uomo_per_evitare_che_si_dileguino_senza_controlli-255811412/?ref=RHPPLF-BH-I255814270-C8-P1-S1.8-T1
https://alarmphone.org/en/2020/05/03/sabotage-delays-and-non-assistance
https://timesofmalta.com/articles/view/alarm-phone-says-it-called-maltese-authorities-42-times-rarely-heard.789860
https://timesofmalta.com/articles/view/malta-to-withdraw-from-eu-naval-mission-monitoring-libya-arms-traffic.790682?fbclid=IwAR3rmgmlXitwyotnvXzoafT–IFU8bwpCmt4WXCZQSVewcL-it04BxFiAGM#.XrUT1iBSmh8.facebook

11.05.20
Festsetzung mehrerer ziviler Rettungsschiffe durch italienische Behörden
In der vergangenen Woche konnten die beiden Seenotrettungsschiffe Alan Kurdi der Organisation Sea-Eye, sowie die Aita Mari von der Organisation SMH nach zweiwöchiger, behördlich verordneter Quarantäne im Hafen von Palermo einlaufen. Kurz darauf wurden beide Schiffe von italienischen Behörden festgesetzt. Gründe der Festsetzungen seien „technische Unregelmässigkeiten“ sowie „Missachtung der Regeln gegen Meeresverschmutzung“. Die Vorwürfe gehen so weit, dass für die Behörden die Sicherheit der geretteten Menschen auf den Schiffen gefährdet sei.
Sea-Eye und sogar das deutsche Bundesverkehrsministerium weisen die Vorwürfe zurück. Das Bundesamt hatte die Sicherheit der Alan Kurdi geprüft und bestätigt. Sea-Eye erklärte, die Festsetzung sei „reine Schikane, um die zivile Seenotrettung stückweise zum Erliegen zu bringen“. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte fordert die sofortige Aufhebung der Einschränkungen in der zivilen Seenotrettung. Es ist vollkommen absurd, Rettungsschiffe als unsicher für gerettete Menschen zu bezeichnen, während mit der Festsetzung der Schiffe Menschenleben riskiert werden.
Die 183 Menschen, welche im April von den beiden Schiffen aus Seenot gerettet wurden, konnten am 04. Mai die italienische Fähre „Rubattino“ verlassen, auf die sie für eine zweiwöchige Quarantäne übergesetzt worden waren. Ihr Schicksal ist ungewiss.
Das deutsche Containerschiff „MV Marina“ konnte am 08. Mai im sizilianischen Porto Empedocle anlegen und die 78 in Seenot geretteten Menschen nach tagelangem Stand-off von Bord lassen. Zuvor warnte die Reederei des Containerschiffs vor einer Eskalation: die Lebensmittel seien knapp, die geretteten Menschen müssten auf dem blanken Stahlboden des Schiffes schlafen. Nachdem die Geretteten von Bord der „MV Marina“ gegangen waren, legte das Containerschiff mit Kurs auf Malta ab. Ohne irgendeine Quarantänemassnahme wie bei den NGO-Seenotrettungsbooten. Diese drei Fälle zeigen einmal mehr, wie wichtig den Autoritäten die Sabotage und Kriminalisierung der Seenotrettung ist.
Während Italien und Malta ihre Häfen als unsicher erklären, sind die libyschen Häfen tatsächlich unsicher: am 07. Mai musste die Anlandung von Geflüchteten von Bord eines Bootes der sogenannten libyschen Küstenwache abgebrochen werden, da der Hafen von Tripolis unter Beschuss stand.
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-05/alan-kurdi-gefluechtete-minderjaehrige-deutschland
https://taz.de/NGO-Schiff-Alan-Kurdi-festgesetzt/!5683120/
https://www.migazin.de/2020/05/07/seenotrettung-italien-rettungsschiff-alan-kurdi/?fbclid=IwAR059kwoPBD-nzcsIydQeOsdFn5irmXebNjsi_uonmWHOUXtNa83hWqBaYo
https://www.jungewelt.de/artikel/378127.deutsche-beh%C3%B6rde-widerspricht-festsetzung-von-alan-kurdi.html
https://timesofmalta.com/articles/view/78-rescued-migrants-still-stranded-at-sea-on-cargo-ship.789971
https://taz.de/Seenotrettung-im-Mittelmeer/!5682810/
https://reliefweb.int/report/world/press-briefing-note-migrant-rescues-mediterranean-spokesperson-un-high-commissioner

04.05.20
Nach der Quarantäne ist vor der Quarantäne
Nach den dramatischen Ereignissen auf der Alan Kurdi liegt das Schiff von Sea-Eye mit seiner Crew in der Bucht von Palermo in Quarantäne. Im Interview spricht Bordärztin Caterina über die Verarbeitung der Ereignisse der letzten Wochen und die Notwendigkeit der Seenotrettung in Zeiten der Pandemie.
https://sea-eye.org/nach-der-quarantaene-ist-vor-der-quarantaene/

04.05.20
Statliche Migrationsabwehr mit privaten Fischerbooten und der Forderung, Libyen zum sicheren Hafen zu erklären
Erneut kam es diese Woche zu einem Seenotfall in der maltesischen Such- und Rettungszone. Am Dienstag meldet Alarmphone 61 Menschen in Seenot. Malta koordiniert die „Rettung“ mit einem Fischerboot, statt mit der eigenen Küstenwache. Dieses brachte die Menschen wiederum auf das gecharterte Touristenschiff Europa I des Anbieters Captain Morgan Cruises. Dort sollen die Menschen bleiben, bis eine europäische Lösung für ihre Aufnahme gefunden wurde. Dies sei laut Regierungschef Abela die einzige Möglichkeit, die Malta habe, ohne die Menschen nach Libyen zurückzuführen. Genau das tat Malta bei einem Seenotfall am Osterwochenende. Was auffällt: Das gleiche Fischerboot war bereits dort an der illegalen Rückführung der Menschen nach Libyen beteiligt gewesen, nachdem durch den tagelang verzögerten Rettungseinsatz 12 Menschen gestorben waren. Nach Aussagen des Kapitäns eines der Boote, eines hochrangigen Kommandeurs der libyschen Küstenwache und eines ehemaligen maltesischen Beamten, der an dem Vorfall beteiligt war, entsandte Malta am Osterwochenende eine kleine Flotte privater Schiffe, um Geflüchtete auf See abzufangen und sie gewaltsam in das Kriegsgebiet Libyen zurückzubringen. Die eingesetzten Fischtrawler befinden sich in Privatbesitz, handelten aber auf Anweisung der maltesischen Streitkräfte, so der Kapitän. Nachdem Malta bereits seine Häfen geschlossen hatte, um die Ankunft weiterer Menschen zu verhindern, ist der Einsatz einer ausgewählten Privatflotte eine neue Taktik. Diese Methode ähnelt in erschreckender Weise dem organisierten Verbrechen und den Operationen von Menschenschmugglern, die von europäischen Politiker*innen so hartnäckig angeprangert werden. Weil das Vorgehen der sogenannten libyschen Küstenwache der maltesischen Regierung zu gefallen scheint, hat diese sich nun auch noch dafür eingesetzt, Libyen zum sicheren Hafen zu erklären. Nach internationalem Recht ist es verboten, aus Seenot geholte Menschen in Tripolis abzusetzen. Libyen gilt nicht als sicherer Ort. Malta setzt sich zudem als Sprachrohr Libyens bei der EU dafür ein, dass Libyen weitere 100 Millionen Euro zugunsten der lokalen Bevölkerung und der Menschen in Gefangenenlagern erhalte. Derweil wollen NGOs die EU auf juristischem Wege zwingen, Zahlungen an die sogenannte libysche Küstenwache einzustellen. Konkret soll das „Integrated Border Management Programme“ überprüft werden, in dessen Rahmen die EU der libyschen Küstenwache bereits mehr als 90 Millionen Euro gezahlt hat. Das Geld kommt vom EU‑Treuhandfonds für Afrika. Es soll eigentlich der „Entwicklung“ afrikanischer Länder dienen. Die EU-Aussenminister*innen haben bereits über 15 Millionen Euro beraten, die zusätzlich an die libysche Küstenwache gegeben werden sollen und mit deren Hilfe der europäische Grenzschutz weiterhin auslagert werden soll.
https://www.spiegel.de/politik/ausland/libyen-europa-und-seine-handlanger-am-pranger-a-65ff0309-5b9c-4a07-98f0-bd3a474aa03f
https://timesofmalta.com/articles/view/private-fishing-vessel-on-route-to-stranded-migrants.788738
https://www.nytimes.com/2020/04/30/world/europe/migrants-malta.html?auth=login-email&login=email
https://www.avvenire.it/attualita/pagine/lettera-di-malta-riconoscere-libia-porto-sicuro?fbclid=IwAR36AT2G1ScGHdybQFRciOkRaZnxL6XFYXWaIEtWsdqa2WF1besSH_fwmAA

27.04.20
Fluchtroute Mittelmeer: Maltesischer Premierminister angeklagt, weil er mindestens fünf Menschen ertrinken liess
Letzte Woche liess die maltesische Regierung in Koordination mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex zwischen 5 und 12 Menschen im Mittelmeer ertrinken (Zahlen variieren je nach Quelle). Sämtliche Instanzen waren über die Notlage, sowie über die genaue Position der sinkenden Schiffe informiert, unternahmen aber keinerlei Rettungsversuche. Offiziell wegen Corona. Erst nach sechs Tagen wurde eine Übergabe auf Fischerboote koordiniert. Diese schleppten die verbliebenen Menschen, welche die sechs Tage in Seenot überlebten, zurück nach Libyen. (vgl. antira-Wochenschau vom 20. April).
Nun haben das AlarmPhone und die maltesische Bürgerrechtsorganisation Republika Anklage wegen Totschlags gegen den maltesischen Premierminister Robert Abela erhoben. Die Anklage wird sich wahrscheinlich auch auf weitere Instanzen ausweiten, da Abela möglicherweise auch Frontex in die Verantwortung ziehen wird. Deren Flugzeug hatte die Menschen in Seenot während dieser sechs Tage mehrfach überflogen, ohne etwas zu unternehmen.Trotzdem meint Abela als Reaktion auf die Anklage, «sein Gewissen sei rein, weil er alles in seiner Macht Stehende getan habe, um das maltesische Volk vor einer möglichen Corona-Ansteckung zu schützen.» Obwohl wir die Anzahl Menschenleben nicht als Argument benutzen wollen, ist es erschreckend zu sehen, wie leichtfertig der Tod von geflüchteten Menschen in Kauf genommen wird, um das Leben der maltesischen Bevölkerung zu schützen. Bisher starben auf Malta drei Menschen an Corona.
Während Malta nun immerhin zugegeben hat, dass es seine Häfen „zum Schutz“ der maltesischen Bevölkerung geschlossen hält, stellt die italienische Regierung das Anlegeverbot in italienischen Häfen immer noch als Schutzmassnahme für die Geflüchteten dar. Aufgrund des derzeitigen Gesundheitsnotstands entsprächen die italienischen Häfen nicht den Anforderungen des Internationalen Abkommens für Seenotrettung an einen »Place of Safety«. Diese Begründung ist einfach nur absurd, lässt doch die italienische Regierung sonst so gerne Menschen im Mittelmeer ertrinken oder in libyschen Haftlagern foltern. Aufgrund der erneuten Hafenschliessung befinden sich nun also wie bereits vor einem halben Jahr zivile Rettungsschiffe mit Geflüchteten an Bord vor der italienischen Küste, ohne anlegen zu dürfen.
https://ffm-online.org/malta-anklage-gegen-premier-verschaerft-einbeziehung-frontex-eu/
https://www.spiegel.de/politik/ausland/malta-justiz-ermittelt-wegen-toten-bootsfluechtlingen-gegen-regierungschef-a-dbfa58d6-6876-401a-addf-302423dc55fb
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1135641.flucht-und-migration-nach-europa-aita-mari-fluechtlinge-muessen-auf-quarantaene-schiff.html

20.04.20
Push-backs über mehrere Grenzen und von Italien nach Griechenland dokumentiert
Der Monatsbericht März von Bordermonitoring.eu zeigt Entwicklungen in der illegalen Rückführungspraxis auf. Die rechtliche und humanitäre Situation von Menschen auf der Flucht hat sich im März aus zwei Gründen weiter verschlechtert: Zum einen zog die Situation an der griechisch-türkischen Grenze Massenabschiebungen und massive Gewalt nach sich. Zum anderen dient der Coronavirus als politische Rechtfertigung für weitreichende Verschärfungen wie eine zunehmende Grenzmilitarisierung.
Ein Fall von Ketten-Push-backs wird in Slowenien dokumentiert. Über 30 Menschen wurden auf einem Güterzug in Serbien aufgegriffen. Sie waren lebensgefährlich unter einer Tonschicht versteckt, die sie hätte einschliessen können. Die slowenischen Medien stellten die Polizeiarbeit als heldenhafte Rettung dar, ohne auf die strukturelle Gewalt und die anschliessenden Push-backs einzugehen. Die Menschen wurden über mehrere Grenzen hinweg nach Serbien gebracht, ohne in Europa einen Asylantrag stellen zu können.
Zwei Berichte dokumentieren weitere illegale Rückführungen aus italienischen Häfen in die griechische Stadt Patras. Ein Mann beispielsweise kam mit der Fähre in Venedig an, erlebte Gewalt durch Grenzbeamt*innen und wurde am gleichen Tag via Fähre zurückgeschickt. Dabei begann das Recht des Geflüchteten, in Italien Asyl zu beantragen, bereits 12 Seemeilen vor dem Hafen. Es gibt viele Parallelen zu den Push-back-Praktiken auf der Balkanroute: Verweigerung des Asylrechts, Anwendung extremer Gewalt, Diebstahl, der Einsatz von Hunden und die fehlerhafte Anwendung der Rückübernahmeabkommen.
Zahlreiche Push-backs und Fälle von massiver Gewalt und Erniedrigung gab es an der griechisch-türkischen Grenze. Einzelheiten dazu und ein Update der Situation entlang der Balkanroute finden sich im Report.
https://www.borderviolence.eu/wp-content/uploads/Monthly-Report_March-2020.pdf

20.04.20
Zwölf Tote und Push-back nach Libyen nach tagelanger Ignoranz europäischer Staaten
„Zwölf Menschen haben durch europäisches Handeln und Nicht-Handeln im Mittelmeer ihr Leben verloren. Die Behörden in Malta, Italien, Libyen, Portugal, Deutschland sowie die EU-Grenzagentur Frontex wurden über eine Gruppe von etwa 55 (später bestätigten 63) Personen in Seenot informiert. Sie entschieden sich aber dafür, zwölf von ihnen verdursten oder ertrinken zu lassen, während sie die Zwangsrückführung der Überlebenden nach Libyen, einem Ort des Krieges, der Folter und Vergewaltigung, koordinierten,“ heisst es im Bericht von Alarmphone zur verzögerten Rettung und dem anschliessenden Push-back eines Bootes in der maltesischen Such- und Rettungszone. Die Behörden waren bereits sechs Tage lang über den Seenotfall informiert, bevor die maltesischen Behörden die Übergabe der Menschen auf Fischerboote koordinierte, welche die Menschen zurück nach Libyen brachte. In dieser Zeit waren bereits drei Menschen ertrunken, die auf ein nicht helfendes Schiff in Sichtweite zugeschwommen waren. Vier weitere Menschen haben sich aus Verzweiflung ins Meer gestürzt. Fünf Menschen sind an Bord verdurstet. Italien, Malta und Libyen hatten zuvor ihre Häfen als geschlossen erklärt, da sie aufgrund von Corona angeblich keine Sicherheit bieten könnten.
Auf staatlicher Seite hat sich das Ertrinken-lassen im Mittelmeer normalisiert. NGOs springen gezwungenermassen ein, um diese Rettungslücke zu füllen. Und selbst das wird ihnen von den europäischen Staaten so stark wie möglich erschwert: Mit der Aufforderung, nicht mehr zu retten, der Nicht-Erreichbarkeit oder Nicht-Koordination von Rettungsleitstellen, der Verweigerung von Anlegeerlaubnissen an europäischen Häfen, der fehlenden Bereitschaft aller europäischen Länder, die Geretteten aufzunehmen. Das NGO-Schiff Alan Kurdi musste zwölf Tage mit 146 Geflüchteten auf einen Hafen warten. Die Lage an Bord hatte sich auch dort immer weiter zugespitzt. Ein Mann sprang aus Verzweiflung über Bord, um sich das Leben zu nehmen. Nun wurden alle auf ein Quarantäne-Schiff verlegt. Am Montag ist das spanische NGO-Schiff „Aita Mari“ anlässlich der zahlreichen Notrufe mit einer Spontanbesatzung losgefahren und hat vor Malta insgesamt 43 Menschen aus einem sinkenden Schlauchboot gerettet. Vor der italienischen Insel Lampedusa wartet es weiterhin auf einen Hafen zum Anlegen. Hier könnte auch die offizielle Schweiz aktiv werden und sich bereit erklären, aus Seenot gerettete Menschen aufzunehmen. Die Organisation Seebrücke Schweiz hat dazu Kontakt mit verschiedenen Politiker*innen aufgenommen und sie aufgefordert, die Themen Evakuierung aus Griechenland und Seenotrettung in die Frühjahrssession einzubringen.
https://sea-watch.org/zwoelf-tote-und-eine-illegale-rueckfuehrung-nach-libyen/
https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-04/seenotrettung-mittelmeer-fluechtlinge-malta-libyen-eu
https://www.br.de/nachrichten/bayern/nach-zwoelf-tagen-alan-kurdi-gefluechtete-auf-quarantaene-schiff,RwPzXZ5>
https://www.tagesschau.de/ausland/seenotrettung-mittelmeer-107.html
https://seebruecke.org/lokalgruppen/schweiz/

13.04.20
Frontex schaut beim Sterben zu
In der Nacht von Samstag auf Sonntag erreichten das Alarmphone gleich vier Notrufe aus dem zentralen Mittelmeerraum. Insgesamt 250 Menschen befinden sich in Seenot, 118 davon in der Such- und Rettungszone Maltas. Zu zwei der Boote hat die NGO den Kontakt verloren und twittert: „EU-Luftkräfte überwachten einige von ihnen. Wie ist es, von oben zuzusehen, wie Menschen langsam sterben? Fröhlichen Ostersonntag.“ Zahlreiche Flüge der europäischen Agentur Frontex und anderer internationaler Luftstreitkräfte wurden im Laufe des Tages gemeldet. Es wird vermutet, dass sie wie bereits seit zwei Jahren der sogenannten libyschen Küstenwache die Standorte der Boote meldeten. Diese verkündet unterdessen, sie benötige mehr Gelder, um die Geflüchteten von der Überfahrt abzuhalten. Mit dieser Forderung und der Verkündung geschlossener Häfen übt sie Druck auf die EU nach weiterer Finanzierung aus. Die Lage vor Ort ist für die Geflüchteten hoffnungslos. Es sind, ausser der Alan Kurdi, die keine weiteren Menschen aufnehmen kann, keine Rettungsboote von NGOs vor Ort und offizielle Stellen lehnen ihre Pflicht zur Seenotrettung ab. In einer einzigen Woche, vom 5. bis 11. April 2020, haben mehr als 1.000 Menschen auf mehr als 20 Booten die libysche Küste verlassen, berichtet das Alarmphone. Das Schicksal vieler Menschen bleibt unklar. Frontex hat unterdessen 4 Boote gefunden. Vermutlich die von Alarmphone gemeldeten. Eines ist gesunken. Wir müssen annehmen, dass alle ertrunken sind, da es keine Infos über Rettungen gibt. Position& Notlage waren bekannt.
https://www.avvenire.it/attualita/pagine/il-ricatto-della-libia-messi-in-mare-10-barconi-in-pochi-giorni
https://lovinmalta.com/news/happy-easter-sunday-118-people-could-soon-die-in-maltas-waters-migrant-hotline-warns/

13.04.20
Vier Dramen im Mittelmeer
(1) Libysche Milizen behindern das NGO-Schiff Alan Kurdi: Die Alan Kurdi rettet am vergangen Montag in zwei Einsätzen 150 Menschen aus Seenot. Während des ersten Einsatzes fahren libysche Milizen aggressiv an das Holzboot heran und schiessen Warnschüsse ab. Auf dem Holzboot bricht Panik aus, viele springen ohne Rettungswesten ins Wasser. Trotzdem kann die Crew alle retten. Bereits während des Einsatzes geht ein zweiter Notruf von einem Holzboot ein. Das italienische Versorgungsschiff Asso Ventinove ist bereits seit Stunden vor Ort ohne zu helfen. Die Alan Kurdi nimmt auch diese Menschen auf. Dass das NGO-Schiff an einem Tag zwei schiffbrüchige Boote antrifft, zeigt die Dringlichkeit und Wichtigkeit von Rettungsschiffen vor Ort. Wie viele Menschen letzte Woche ertranken, ist unbekannt. Doch laut Alarmphone sind wegen des guten Wetters etwa 1000 Menschen aus Libyen auf das Mittelmeer gestartet.
(2) Italien, Malta und Libyen erklären ihre Häfen – wegen Corona – als unsicher: Rettungsschiffe mit Geflüchteten können deshalb auch nicht mehr anlegen. Die italienischen Behörden sagen, sie würden nicht für die Sicherheit der Menschen garantieren können. Wie zynisch ist denn diese Aussage, wenn wir bedenken, dass die Alternative Libyen heisst. Zudem könnten sich Corona-Infizierte unter den Geretteten befinden. Nach Italien erklärten auch Malta und Libyen ihre Häfen als unsicher. Aktuell verbietet Libyen einem Schiff der sogenannten libyschen Küstenwache mit rund 280 Personen das Einlaufen in einen libyschen Hafen. Die libysche Küstenwache erklärte derweil, dass sie keine weiteren Rettungen durchführen könne, weil keine Atemschutzmasken vorhanden seien. Vor Malta rief ein Boot mit rund 70 Menschen an Bord das Alarmphone an. „Ich sehe Malta. Das maltesische Militär kommt und schneidet das Kabel für den Motor durch“, ruft ein Mann am Donnerstagnachmittag ins Telefon. Wasser sei bereits ins Boot eingedrungen. „Sie wollen nicht, dass irgendjemand nach Malta kommt, das sagen sie. Wir werden sterben. Bitte, wir brauchen Hilfe.“  Später nimmt die maltesische Küstenwache die Menschen doch noch an Bord. Bereits am Vortag hatten sie sich dem Boot genähert und statt zu helfen, die Rettung aktiv verzögert bzw. Menschenleben bewusst aufs Spiel gesetzt. Es wird also weggesehen, gewartet, nicht geholfen, nicht aufgenommen.
(3) Das deutsche Innenministerium fordert die NGOs auf, keine Menschen mehr zu retten: Bereits Ende März hatte sich die italienische Innenministerin Lamorgese mit dem Hinweis an das deutsche Innenministerium gewandt, dass das unter deutscher Flagge fahrende Schiff Alan Kurdi seine Rettungsaktivitäten im zentralen Mittelmeer wieder aufnehme und dass Italien seine Häfen für das Rettungsschiff schliessen wird. Das deutsche Innenministerium unter Horst Seehofer fordert daraufhin allgemein NGOs auf, „angesichts der aktuellen schwierigen Lage“ derzeit „keine Fahrten aufzunehmen und bereits in See gegangene Schiffe zurückzurufen“. Mehrere NGOs bezeichnen diese Forderung als „Aufruf zur unterlassenen Hilfeleistung“ oder einen „Appell, Menschen ertrinken zu lassen“. Das deutsche Innenministerium bemüht sich nicht einmal um eine Lösung für die Aufnahme der Menschen, die von der Alan Kurdi gerettet wurden. Dabei benötigen die Menschen an Bord dringend Lebensmittel und Medikamente, die ihnen die maltesischen und die italienischen Behörden verweigern.
(4) Geschlossene Häfen führen zu einem neuen Stand-off vor Lampedusa: Das im September 2019 erarbeitete Malta-Abkommen zur Verteilung aus Seenot geretteter Menschen in Europa ist aufgrund der Corona-Pandemie ausgesetzt und es gibt wieder einen Stand-off vor Lampedusa. Dieselbe Situation also, wie wir sie aus Zeiten des Salvini-Dekrets in Erinnerung haben. Damals waren die italienischen Häfen zum „Schutz der nationalen Sicherheit“ geschlossen.
https://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge-erheben-schwere-vorwuerfe-gegen-malta-a-4f311e15-89b1-46dd-afde-919bf429ea0f?fbclid=IwAR26WwIuZOHQ2CDXc2RaFnSf_OSXeFGxNiaSKA34qitmvDicJRRwkEQF7dAhttps://www.maltatoday.com.mt/news/national/101526/malta_tells_germany_it_will_refuse_disembarkation_to_rescued_seaeye_migrantshttps://www.theguardian.com/world/2020/apr/08/italy-declares-own-ports-unsafe-to-stop-migrants-disembarkinghttps://sea-eye.org/alan-kurdi-erhaelt-weder-lebensmittel-noch-medikamente/https://www.tagesspiegel.de/politik/ein-appell-menschen-ertrinken-zu-lassen-seehofer-ministerium-fordert-stopp-der-seenotrettung-im-mittelmeer/25729784.htmlhttps://www.tagesspiegel.de/politik/ein-appell-menschen-ertrinken-zu-lassen-seehofer-ministerium-fordert-stopp-der-seenotrettung-im-mittelmeer/25729784.html

06.04.20
Geflüchtete wählen zunehmend andere Wege als die Fluchtroute über das zentrale Mittelmeer
Seit Beginn dieses Jahres hat sich die Fluchtroute übers zentrale Mittelmeer in andere Regionen verschoben. Entsprechend sinken auch die Todeszahlen im zentralen Mittelmeer. Nach Angaben der IOM kamen dieses Jahr bis zum 31. März 133 Menschen auf der zentralen Mittelmeerroute ums Leben. In den Jahren zuvor waren es jeweils deutlich mehr. Wohin sich die Fluchtroute verschoben hat, ist noch nicht klar. Meist müssen Geflüchtete aber noch gefährlichere und tödlichere Wege auf sich nehmen, wenn bisherige Fluchtrouten blockiert werden. Nebst dem Krieg und der Gewalt in Libyen könnte ein Grund für den Rückgang in der höheren Aktivität der libyschen „Küstenwache“ liegen. Diese wird seit Jahren immer stärker von der EU mit Geld und Know-how ausgestattet, um Geflüchtete zurück in die Haftlager in Libyen zu schleppen. Im ersten Quartal dieses Jahres hat sie bereits 2.500 Geflüchtete vom Meer zurück an die libysche Küste geschleppt. Auch die Schliessung der EU-Aussengrenzen für Nichteuropäer*innen aufgrund von Corona könnte sich auf die Überfahrten auswirken. Zwar dürfen Geflüchtete theoretisch immer noch einreisen; doch in der Praxis wird dies nicht nur in Griechenland, sondern auch auf der zentralen Mittelmeerroute zunehmend unmöglich. Der italienische Aussenminister Luigi Di Maio sagte vergangene Woche, sein Land sei nicht bereit, „seine eigenen Häfen“ für gerettete Migrant*innen zu öffnen. Als weiteren Grund für de Rückgang häufen sich Berichte über private Handelsschiffe, die im Meer aufgegriffene Menschen wieder nach Libyen zurückschleppen. Von 2011 bis 2017 gab es lediglich einen solchen (bekannten) Fall. Seit 2018 hat es rund 30 solcher Vorfälle gegeben. Grund dafür könnte die immer stärkere Kriminalisierung der Seenotrettung in Europa sein. Hat ein Handelsschiff Geflüchtete an Bord, wird es an europäischen Häfen kaum eine Anlegeerlaubnis erhalten und zudem riskieren, des Schleppertums bezichtigt zu werden. Bringt es die Menschen dagegen zurück in die libyschen Folterlager, kann ihnen rechtlich nichts vorgeworfen werden, da das völkerrechtliche Verbot der Zurückweisung in einen Verfolgerstaat nur für staatliche Akteur*innen gilt.
https://www.welt.de/politik/deutschland/article206928183/Migration-Zahl-der-Todesopfer-im-zentralen-Mittelmeer-sinkt.html
https://www.deutschlandfunk.de/von-der-tuerkei-in-die-eu-immer-mehr-fluechtlinge-landen.795.de.html?dram:article_id=473395

EU „Friedensmission“ IRINI startet, soll aber nicht retten
Ab Mittwoch startet im östlichen Mittelmeer die Mission IRINI zur Überwachung des Waffenembargos gegen Libyen. Die Mission IRINI, was zynischerweise „Frieden“ auf griechisch heisst, wird aber nicht nur zur Durchsetzung des Waffenembargos eingesetzt. Sie wird auch die libysche Küstenwache ausbilden und Satellitenüberwachungen durchführen, um das „Schleppertum“ zu bekämpfen. Ob diese Daten dann nicht eher einfach an die libysche Küstenwache weitergegeben werden, damit diese Push-backs durchführen kann, würde uns nicht erstaunen. Der Einsatz der neuen Mission war bis vor kurzem noch nicht gesichert. Einige europäische Staaten wie Italien und Österreich wehrten sich gegen IRINI. Sie befürchteten, dass die Mission Menschen auf der Flucht retten könnte. Damit das zentrale Mittelmeer eine absolute Todeszone für Geflüchtete bleibt, soll das Einsatzgebiet von IRINI nun deutlich weiter östlich und damit abseits der Fluchtroute von Libyen nach Italien liegen. Dennoch aus Seenot gerettete Menschen werden wegen der Aufnahmeweigerung Italiens in griechische Häfen gebracht. Es scheint uns eine sehr durchdachte Idee, noch mehr Geflüchtete in jenes Land zu bringen, das (1) jetzt gerade einen Monat kein Asylrecht kannte, (2) eine rechte Regierung hat, die im Stundentakt neue Repressalien gegenüber Geflüchteten einsetzt, (3) völlig überfüllte Camps ohne jeglichen Zugang zu gar nichts hat und (4) dabei zusieht, wie Faschist*innen Geflüchtete verprügeln oder ihre Zelte anzünden.
https://www.welt.de/politik/deutschland/article206928183/Migration-Zahl-der-Todesopfer-im-zentralen-Mittelmeer-sinkt.html
https://www.consilium.europa.eu/en/press/press-releases/2020/03/31/eu-launches-operation-irini-to-enforce-libya-arms-embargo/

30.03.20
Handelsschiffe übernehmen für EU Pushbacks nach Libyen
Auf dem Mittelmeer hat sich eine neue Praxis privatisierter Push-backs etabliert. Handelsschiffe, die ihre Pflicht auf Seenotrettung wahrnehmen, sind gezwungen, den Weisungen offizieller Stellen wie der sogenannten libyschen Küstenwache zu folgen. Anders als zivile Seenotrettungsschiffe, die in Berufung auf den Krieg und die humanitären Zustände in Libyen eine Rückführung dorthin verweigern und auf einen „sicheren“ Hafen in Europa beharren, wurden seit November 2018 dreissig Fälle dokumentiert, in denen Handelsschiffe mehr als 1.800 Personen nach Libyen zurück brachten. Die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher liegen. In einigen Fällen ist bekannt geworden, dass die italienische Küstenwache in dieses Vorgehen involviert ist. Das Handelsschiff Nivin beispielsweise hatte im November 2018 auf Anweisung der italienischen Seenotrettungsleitzentrale in Rom (MRCC) nach einer Meldung der NGO Alarmphone, das als erstes den Notruf erhielt, 95 Menschen aus einem sinkenden Boot in internationalen Gewässern vor der libyschen Küste geholt und zurück nach Libyen geschleppt. Das MRCC Rom war also direkt involviert und hatte nicht, wie sonst üblich, darauf verwiesen, eine Seenotrettungsstelle in Libyen anzurufen. Vor zwei Wochen forderte die maltesische Rettungsstelle die sogenannte libysche Küstenwache auf, ein Holzboot mit 49 Geflüchteten an Bord aus der maltesischen SAR-Zone nach Libyen zurückzubringen. Ein weiterer Fall ist der der El Hiblu 1 (mehr dazu unter „Was nun“). Mit der Nutzung der Handelsschiffe für „Seenotrettung“ und Push-backs lagert die EU ein weiteres Mal ihre Grenzsicherung aus und gibt Verantwortung ab. Die Grenze verschiebt sich immer weiter in den Süden. Nach der Einstellung eigener Seenotrettungsstrukturen und der wiederholten Kriminalisierung und Boykottierung von zivilen Rettungsschiffen, die diese Lücke zu füllen versuchten, ist dies ein weiteres Kapitel europäischer Menschenverachtung. Seit Wochen ist kein einziges ziviles Rettungsboot auf dem Mittelmeer im Einsatz. Einschränkungen in den Werften behindern Reparaturen, Reiseeinschränkungen erschweren das Crewing und auch ein zukünftiges Anlegen von Rettungsschiffen in europäischen Häfen scheint unmöglich. Wann sich die Situation ändert, ist unklar. Die neue EU-Marinemission „Irini“, Nachfolgerin der Mission „Sophia“, ist noch nicht gestartet. Im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 16. März  2020 haben bereits 219 Menschen im Mittelmeer ihr Leben verloren. Mindestens 940 Personen wurden in dieser Zeit von der sogenannten libyschen Küstenwache in das Bürgerkriegsland zurückgeschleppt.
https://www.migazin.de/2020/03/20/keine-seenotrettung-wegen-corona-pandemie/
https://www.nytimes.com/2020/03/20/world/europe/mediterranean-libya-migrants-europe.htmlhttps://ffm-online.org/privatized-pushbacks-how-merchant-ships-guard-europe/
https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/eu-staaten-einigen-sich-auf-libyen-mission-im-mittelmeer-16697937.html
https://alarmphone.org/en/2020/01/05/central-mediterranean-regional-analysis/
https://www.borderline-europe.de/sites/default/files/projekte_files/Salvinis%20Italien%202%20-%20Abschottungspolitik%20auf%20Kosten%20von%20Menschen%20in%20Seenot.pdf
https://euobserver.com/migration/147768

16.03.20
Keine Antwort auf Notruf: 49 Menschen in Seenot
Ein Notruf eines Bootes in Seenot ist gestern beim Alarm Phone eingegangen. An Bord befinden sich 49 Menschen, die aus Libyen geflohen sind. Es befindet sich in der maltesischen Such- und Rettungszone. Sie brauchen dringend Hilfe, doch die maltesische Küstenwache reagiert nicht auf den Notruf. Wenn wir nicht gerade 49 Menschen absichtlich sterben lassen wollen, muss ein privates Rettungsschiff einspringen, deren Besatzung im Anschluss mit hoher Wahrscheinlichkeit vor Gericht erscheinen und sich des „Schleppertums“ verantworten muss. Aktuell ist aufgrund der fortwährenden Kriminalisierung kein einziges NGO-Schiff auf der zentralen Mittelmeerroute im Einsatz und die seit 2014 erfasste Zahl der Menschen, die bei der Flucht über das Mittelmeer gestorben sind, hat im März 2020 20’000 erreicht.
https://twitter.com/alarm_phone/status/1238850047758008320
https://www.tagesspiegel.de/politik/fragen-des-tages-mehr-als-20-000-mittelmeer-tote-und-suche-nach-trompete-besuchern-was-heute-wichtig-war/25619478.html

28. Juni 2019
Italien und Slowenien vereinbaren verstärkte Grenzkontrollen
Ab dem 1. Juli wollen Italien und Slowenien gemeinsam verstärkt die Grenzen kontrollieren, um die Zuwanderung von Migrant*innen nach Friaul-Julisch-Venetien zu stoppen. Dies teilte der Lega-Gouverneur der Region Massimiliano Fedriga nach einem Gespräch mit dem slowenischen Generalkonsul mit. Kommentar des Parteifreunds und Innenministers Matteo Salvini: „Wir haben die Meeresübergänge blockiert und jetzt verschärfen wir die Kontrollen, um die Landesgrenzen zu schützen.“ Fredriga
beschuldigte insbesondere Kroatien, die Außengrenze nicht effektiv zu schützen und damit indirekt Italien ‚das Problem‘ aufzuhalsen. Deshalb ziehe er in Erwägung, die italienische Regierung aufzufordern, den Schengen-Vertrag zu suspendieren, um die Balkanroute zu schließen. Die Balkanroute führt über Triest, den Karst, Gorizia und in geringerem Maß über den Tarvisio-Pass und wird vor allem von Afghan*innen und Iraker*innen genutzt, die seit Monaten in den Lagern von Biha und Velika Kladuša im Norden Bosniens aufgehalten werden.
https://ffm-online.org/italien-und-slowenien-vereinbaren-verstaerkte-grenzkontrollen/

Wegen ihrer Solidarität riskiert die Sea Watch 3 eine 50’000 Euro-Busse
Das Seenotrettungsschiff Sea-Watch 3 rettete 42 Menschen und wollte sie nach Italien bringen. 15 Tage nach ihrer Rettung stellte sich die Situation an Bord verzweifelter denn je dar. Die Crew entschloss sich, wegen der Notlage in italienische Hoheitsgewässer zu fahren. Inzwischen ist das sogenannte Salvini-Dekret in Kraft. Dieses bestraft die Solidarität der NGOs mit Geldstrafen in Höhe von 50’000 Euro, wenn sie mit Geretteten in italienische Hoheitsgewässer fahren. Auf juristische Hilfe kann die Sea Watch 3 Crew kaum zählen. Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat sich verweigert, Italien in Berufung auf Artikel 39 anzuweisen, die Geflüchteten an Land gehen zu lassen. Eine dafür notwendige Notsituation sei nicht gegeben, meinten die Richter*innen. Anders als früher haben die Verhandlungen mit der EU-Kommission über die Verteilung der Flüchtenden auf verschiedene EU-Länder nichts erbracht. Mit anderen Worten: Die EU-Staaten stehen faktisch zum ersten Mal geschlossen hinter der Abschottungs- und Kriminalisierungspolitik der italienischen Regierung.
https://ffm-online.org/zentrales-mittelmeer-gegeninformation-ausbauen/

22. Juni 2019
Gier nach Repression gegen Seenotrettung
Seit zehn Tagen liegt das NGO-Rettungsschiff „Sea Watch 3“ blockiert vor Lampedusa. An Bord befinden sich noch 43 Menschen, unter ihnen Kranke und Kinder.
Viele sind dehydriert und seekrank, da sich das Schiff auf hoher See stark bewegt. Eine Einfahrt in italienische Hoheitsgewässer ist ausgeschlossen, weil Italiens Regierung seit kurzem Seenotretter*innen, die ohne explizite Erlaubnis einfahren, mit hohen Geldstrafen bedroht. Zwischen 10’000 und 50’000 Euro können diese betragen. Um sicherzustellen, dass die Besatzung der Sea Watch 3 über das neue Dekret Bescheid weiß, wurde sogar ein Boot der italienischen Finanzpolizei zu den privaten Seenotretter*innen geschickt. Zynischer gehts kaum.
https://ffm-online.org/gier-nach-repression-gegen-seenotrettung/

Mittelmeerroute so gefährlich wie nie
Die Situation im Mittelmeer hat sich für Menschen auf der Flucht in den vergangene Monaten noch einmal zugespitzt. Proportional ist die Strecke zwischen Nordafrika und Europa eine der gefährlichsten Fluchtrouten und die Wahrscheinlichkeit, dabei ums Leben zu kommen, hat sich erheblich erhöht. Derzeit kommt jede sechste Person, die versucht, von Libyen nach Italien zu gelangen, ums Leben. Damit ist die Gefahr zu sterben, fast fünfmal größer als im vergangenen Jahr. Insgesamt sind seit Anfang 2019 519 Personen im Mittelmeer gestorben. Über die Hälfte der Todesfälle ereignete sich beim Versuch, Italien oder Malta zu erreichen.
Grund für das gestiegene Risiko ist unter anderem die Kriminalisierung der Seenotrettung, sodass Geflüchtete im Mittelmeer momentan so ziemlich auf sich alleine gestellt sind. Und die Kriminalisierung nimmt stetig zu. Jüngst hat italiens Innenminister Salvini ein Gesetz verabschiedet, das Strafen für private Schiffe vorsieht, die Migrant*innen im Mittelmeer retten: Die Schiffe sollen gebüsst werden und zwar mit 10’000 bis 50’000 Euro.
https://www.tagesschau.de/ausland/fluechtlingsroute-unhcr-101.html
https://www.infomigrants.net/en/post/17287/519-migrants-dead-in-mediterranean-since-the-start-of-2019

8. Juni 2019
Mittelmeer

  • Nachdem die europäischen Behörden letzte Woche einem Boot im Mittelmeer einen Tag lang beim Sinken zugeschaut haben, wurden die ca. 100 Geflüchteten am Wochenende schliesslich von einem italienischen Kriegsschiff nach Genua gebracht. In den zwei Tagen auf See seien aber mehrere Person gestorben.
  • Auch am Sonntag hat die europäische Abschottungspolitik wieder zwei Tote im Mittelmeer gefordert: Ein Boot mit ca. hundert Menschen verliess die libysche Küste Richtung Europa, wobei ihnen auf See der Motor geklaut wurde. Daraufhin begann das Boot zu sinken. Zwei Personen starben, die restlichen wurden von der libyschen Küstenwache aufgegriffen und zurück in die libyschen Lager geschleppt.
  • Am Donnerstag haben Alarmphone und die NGO-Flugzeuge Colibri und Moonbird über 700 Personen auf mehreren Schlauchbooten im Mittelmeer erkannt und ihr SOS an die Seenotrettungsleitstellen weitergegeben. Nach dem Schweigen, das einen Tag andauerte, gab die maltesische Seenotrettung schliesslich bekannt, dass sie insgesamt 370 Personen gerettet hat. Die sogenannte libysche Küstenwache, die sich zu Übungen ganz woanders aufhielt, will 80 Personen aufgegriffen und in die libyschen Lager zurückgebracht haben. Somit fehlt von über 250 Personen im zentralen Mittelmeer jede Spur. Nach eineinhalb Tagen zahlreicher SOS-Rufe und unbeantworteter Telefone an die verschiedenen Küstenwachen wird davon ausgegangen, dass sie ertrunken sind.
  • Die beschlagnahmte Sea-Watch 3 ist wieder freigegeben worden. Das Schiff hatte Mitte Mai vor der Küste Libyens 65 Personen aus Seenot geholt und wurde anschliessend von den italienischen Behörden beschlagnahmt.
    Obwohl das Schiff nun wieder freigegeben ist, laufen immer noch Ermittlungen wegen „Begünstigung illegaler Einwanderung“ gegen den Kapitän der Sea-Watch 3.
    https://www.dw.com/de/sea-watch-3-ist-wieder-frei/a-49001491
    https://www.sbs.com.au/news/woman-and-baby-drown-migrants-missing-in-libya-boat-capsize
    https://ffm-online.org/italien-170-boat-people-am-wochenende-angelandet/
    https://ffm-online.org/malta-libyen-heute-ueber-250-boat-people-unter-eu-beobachtung-ertrunken/


Frontex erhält knapp eine halbe zusätzliche Milliarde 
Die Europäische Kommission will 2020 420,6 Mio. Euro für die Grenz- und Küstenagentur Frontex der EU ausgeben. Dies entspricht einer Steigerung von 34,6 Prozent gegenüber 2019 und folgt dem Beschluss des europäischen Parlaments und Rats, bis 2027 über ein ständiges Heer von 10’000 Grenzschutzbeamt*innen zu verfügen.
http://europa.eu/rapid/press-release_IP-19-2809_en.htm?utm_source=ECRE+Newsletters&utm_campaign=3af04401eb-EMAIL_CAMPAIGN_2019_06_06_11_44&utm_medium=email&utm_term=0_3ec9497afd-3af04401eb-422328393

Erster Juni 2019
Unterlassene Hilfe im Mittelmeer
Dass sich die europäischen Behörden nicht darum scheren, ob im Mittelmeer gerade Menschen ertrinken oder nicht, haben zahlreiche Entscheide der europäischen Behörden in den letzten Monaten gezeigt. Zb. wurde die zivile Seenotrettung stark kriminalisiert, staatliche oder europäische Rettungsmissionen fast vollständig abgezogen und die libysche Küstenwache finanziell und logistisch aufgerüstet.
Gestern ereignete sich im zentralen Mittelmeer ein Seenotfall, auf den die italienischen Behörden mit einer kaum zu überbietenden Ignoranz reagierten. Das Alarmphone, sowie mehrere zivile Rettungsmissionen sendeten seit gestern Abend öffentliche SOS-Nachrichten über ein Boot in Seenot im zentralen Mittelmeer aus. Laut ihnen befand sich ein italienisches Kriegsschiff in der Nähe und ein Hubschrauber sei immer wieder über das sinkende Boot geflogen. Hilfe wurde keine geleistet, da die italienischen Behörden anscheinend auf die libysche „Küstenwache“ warten würden. Die Verantwortungsabgabe an die libysche Küstenwache konnte in den letzten Monaten immer wieder beobachtet werden, da die italienischen Behörden so verhindern können, dass die Migrant*innen das Recht auf ein Asylverfahren in Italien haben.
Am nächsten Morgen berichteten die Menschen auf dem Boot via Alarmphone, dass immer noch keine Hilfe geleistet wurde, obwohl der Hubschrauber immer noch über das Boot kreise und somit sehr genau weiss, dass sich die Menschen in Seenot befinden. Mittlerweile liege ein 5-jähriges Kind im Sterben. Nach 23 Stunden in Warteposition kann sich die italienische Küstenwache dann endlich dazu durchringen, mit der Evakuierung des Bootes zu beginnen. Die Rettung der Überlebenden erfolgte aber widerwillig und nur auf Druck der protestierenden zivilgesellschaftlichen Kräfte, die versuchen, das Sterben und Sterbenlassen im Mittelmeer öffentlich zu machen.
Zur gleichen Zeit informieren die bürgerlichen Medien völlig unkritisch darüber, dass die libysche Marine 87 Menschen in einem anderen Boot vor dem Ertrinken „gerettet“ hat. Wir sagen Bravo. Die „Geretteten“ wurden den libyschen Behörden wegen illegaler Einwanderung übergeben und dürfen jetzt wahrscheinlich auf unbestimmte Zeit in libyschen Lagern eingesperrt sein.
https://ffm-online.org/boat-people-nach-ueberwachtem-sterben-eines-babys-rettet-italienisches-kriegsschiff/
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1119799.sea-watch-sea-watch-meldet-tod-eines-kindes-auf-fluechtlingsboot.html
https://www.zeit.de/gesellschaft/2019-05/fluechtlinge-libyen-seenotrettung-marine-mittelmeer-migration

26. Mai 2019
Drei Boote mit Geflüchteten unter italienischem Luftkommando zurück nach Libyen geschleppt
Diese Woche gerieten vier Boote mit insgesamt 340 Menschen im zentralen Mittelmeer in Seenot. Das Alarmphone hatte einen Notruf aus einem dieser Boote erhalten und informierte die italienische Küstenwache. Dieses fuhr aber nicht zu den Schiffbrüchigen, sondern schickte einen Hubschrauber, der aus der Luft an der Deportation dieser Menschen durch die sogenannte libysche Küstenwache teilnahm. Zwei weitere der vier Boote wurden ebenfalls von den libyschen Küstenmilizen gekapert. Dem vierten Boot gelang anscheinend die Flucht. Am Freitag Morgen um 4 Uhr legte es mit 57 Menschen in Lampedusa an. In den letzten 48 Stunden haben 9 Boote mit insgesamt 130 Geflüchteten die Ankunft an der italienischen Küste aus eigener Kraft geschafft und konnten sich so einer Verschleppung zurück in die libyschen Lager entziehen.
https://ffm-online.org/1-boot-erreicht-lampedusa-3-boote-unter-italienischem-luftkommando-nach-libyen/

Salvini gegen Seenotrettung im Mittelmeer
Die „Sea-Watch 3“ hatte vorletzten Mittwoch vor der Küste Libyens 65 Migrant*innen gerettet. Am Samstag war das Schiff dann in italienische Hoheitsgewässer eingelaufen. Zunächst durften 18 Menschen auf Lampedusa an Land gehen und am Sonntag auch die übrigen 47. Danach wurde die „Sea-Watch 3“ von den italienischen Behörden beschlagnahmt und in die sizilianische Stadt Licata eskortiert. Die italienische Staatsanwaltschaft ermittelt nun gegen den Kapitän der „Sea-Watch 3“. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Begünstigung illegaler Migration vor. Die Crew der „Sea-Watch 3“ erwartet keine Sanktionen: „Wir haben kein Gesetz gebrochen und wir erwarten deshalb keine weiteren rechtlichen Folgen“.
Da sich Salvini mit seinen menschenverachtenden Massnahmen gegen Seenotrettung nicht durchsetzen kann, ziehlt er nun mit einer neuen Verordnung gegen Seenotrettungsschiffe ab. Er plant eine Notverordnung, die dem Kabinett womöglich bereits nächste Woche zur Abstimmung vorgelegt wird. Die Verordnung sieht Strafen für private Schiffe vor, die Migrant*innen im Mittelmeer retten: Die Schiffe sollen gebüsst werden und zwar mit 3500 bis 5000 Euro für jede geretette geflüchtete Person. Wenn das Schiff mit italienischer Flagge unterwegs ist, droht der Lizenzentzug bis zu einem Jahr. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte rief Italien in einem Brief an das Außenministerium in Rom dazu auf, diese Notverordnung nicht zu beschließen.
https://www.srf.ch/news/international/hilfe-im-mittelmeer-italienische-staatsanwaltschaft-ermittelt-gegen-sea-watch-kapitaen
https://www.nzz.ch/international/uno-menschenrechtsbuero-warnt-vor-salvinis-neuem-sicherheitspaket-ld.1483089
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1119091.sea-watch-fluechtlinge-auf-lampedusa-an-land-gegangen.html

19. Mai 2019
Geschehnisse der letzten Woche im Mittelmeer
Vor der Küste Tunesiens ertranken letzten Freitag mindestens 65 Menschen beim Versuch, nach Europa zu gelangen. Die wenigen Überlebenden mussten 8 Stunden im kalten Wasser ausharren, bevor Hilfe eintraf. Auf der zentralen Mittelmeerroute starb dieses Jahr jede*r Vierte, der*die diese Reise auf sich nahm. Trotz sinkender Migration war die Flucht noch sie so gefährlich wie jetzt. Unter anderem lässt sich diese traurige Entwicklung auf die verminderten Rettungsbemühungen der EU-Staaten, sowie der verstärkten Kriminalisierung der privaten Seenotrettung zurückführen.
Auf der westlichen Mittelmeeroute verstärkt die EU weiter die Zusammenarbeit mit dem marokkanischen Staat. Die Quasi-Verlegung des europäischen Grenzschutzes nach Nordafrika hin zeigt Früchte: Der marokkanische Grenzschutz stoppte in den letzten Tagen drei Boote mit Flüchtenden und nahm weitere 40 Personen fest, die versuchten, den Grenzzaun zur spanischen Enklave Melilla zu überqueren. Der Preis dafür ist die unmenschliche Behandlung der Flüchtenden von Seiten des marokkanischen Sicherheitsapparates aus: Menschen werden geschlagen, systematisch schikaniert und in die Wüste deportiert, ohne irgendein ordentliches Verfahren zu erhalten.
Ein Lichtblick im Ganzen ist die Rettung von 65 Menschen vor der Küste Libyens. Die Sea-Watch 3 konnte alle Personen sicher an Bord bringen.
https://www.unhcr.org/news/press/2019/5/5cd5a74c4/unhcr-65-reported-drowned-shipwreck-coast-tunisia.html
https://www.nytimes.com/aponline/2019/05/13/world/africa/ap-europe-migrants.html?utm_source=ECRE+Newsletters&utm_campaign=bd39a4f990-EMAIL_CAMPAIGN_2019_05_14_11_24&utm_medium=email&utm_term=0_3ec9497afd-bd39a4f990-422328393
https://www.maltatoday.com.mt/news/national/95019/seawatch_3_rescue_65_migrants_off_libyan_coast?utm_source=ECRE+Newsletters&utm_campaign=5f5ad5f847-EMAIL_CAMPAIGN_2019_05_16_11_39&utm_medium=email&utm_term=0_3ec9497afd-5f5ad5f847-422328393#.XN01BVIzZpg

11. Mai 2019
Die libysche Küstenwache mausert sich zur Push-Back-Agentur Europas
Weil sie nicht rechtzeitig zu zwei Booten mit insgesamt 180 Flüchtenden gelangen konnte, wurde die Besatzung des NGO-Rettungsschiff „Mare Jonio“ Zeugin einer illegalen Push-Back-Aktion der neuen Art. Ein maltesisches Militärflugzeug (‘AS1126’) und weitere Flugzeuge (wahrscheinlich der italienischen Luftwaffe) führten aus der Luft ein libysches Patrouillenboot mit Milizen aus Misrata zu zwei Booten mit 180 Personen. 15 Seemeilen von der Seenotrettungszone von Malta entfernt, wurde dann die Verschleppung nach Libyen eingeleitet. Ein Push-Back ist ein gewaltsames Abdrängen von flüchtenden oder migrierenden Menschen über eine Grenze oder in einen anderen Landesteil. Im vorliegenden Fall verstösst der Push-Back gegen das Non-refoulement-Gebot. Dieser völkerrechtliche Grundsatz verbietet Verschleppungen in Staaten – wie Libyen – in denen den Abgeschobenen Folter oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. Dass die sogenannte libysche Küstenwache direkt als Push-Back-Agentur der EU arbeitet, konnte bereits mehrmals in diesem Jahr dokumentiert werden. Beispielhaft krass belegt dies ein Video der forensic-architectre. (Achtung: Video enthält sehr brutale Szenen).
https://forensic-architecture.org/investigation/seawatch-vs-the-libyan-coastguard
https://ffm-online.org/eu-flugzeuge-koordinieren-neue-push-backs-nach-libyen/
https://www.thenational.ae/world/europe/malta-denounced-after-assisting-libyan-coastguard-to-intercept-migrant-boat-1.856853

3. Mai 2019
Zivile Seenotrettung: Weiteres Schiff durch europäische Behörden blockiert
Es scheint, als würden die europäischen Staaten mit allen Mitteln versuchen, die zivile Seenotrettung zu verhindern. Dass dies für viele Menschen im Mittelmeer den sicheren Tod oder die Internierung in libyschen Gefangenenlagern bedeutet, scheint die Herrschenden nicht weiter zu kümmern. Wir würden zwar gerne mal eine Woche nicht darüber berichten, aber auch diese Woche wurde auf Weisung des deutschen Verkehrsministeriums ein Schiff einer zivilen Seenotrettungsorganisation blockiert. Es handelt sich um die „Mare Liberum“ der gleichnamigen Nichtregierungsorganisation. Das Schiff wird in einem griechischen Hafen am Auslaufen und damit an der Beobachtung von Fluchtrouten zwischen der Türkei und Griechenland gehindert.
Grund für die Festsetzungsverfügung seien nicht eingehaltene Sicherheitsanforderungen, da die „Mare Liberum“ neuerdings nicht mehr als Sport –und Freizeitboot sondern als gewerblicher Frachter eingestuft wird. Die „Mare Liberum“ ist aber nur ein Beobachtungsschiff, kein Rettungsschiff. Hier die Massstäbe für Frachter anzuwenden, ist offensichtlich willkürlich und dient nur dem Ziel, zivile Seenotrettung noch weiter zu kriminalisieren und zu verunmöglichen
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1117729.mare-liberum-bundesregierung-laesst-hilfsorganisation-festsetzen.html

26. April 2019
Italien: Küstenwache stoppt Mare Jonio
Die italienische Küstenwache blockiert einmal mehr das Seenotrettungsschiff „Mare Jonio“ im Hafen von Marsala in Sizilien und verbietet der Crew, Such- und Rettungsaktivitäten durchzuführen. Die Küstenwache begründet das Verbot mit angeblichen technischen Mängeln, die bei einer siebenstündigen Durchsuchung des Bootes im Hafen von Marsala festgestellt worden sind. Die „Mare Jonio“ musste ihre letzte Mission am 18. April wegen schlechten Wetters abbrechen und nach Sizilien zurückkehren. Eine Sprecherin des Netzwerks Mediterranea erklärte zu der Blockade durch die Küstenwache: „Wie jede*r weiß, besteht unsere Aufgabe darin, das Geschehen im zentralen Mittelmeer zu überwachen und darüber zu berichten. Wenn wir auf ein Boot stoßen, das sich in Schwierigkeiten befindet, sind wir aus ethischen und aus rechtlichen Gründen verpflichtet, einzugreifen. Wenn Menschen ertrinken, brauchen wir keine Autorisierung durch die Küstenwache, um ihnen zu helfen.“
https://ffm-online.org/italien-kuestenwache-stoppt-mare-jonio/
https://www.thelocal.it/20190425/italian-migrant-rescue-ship-judged-unfit-for-sea-by-coastguard

14. April 2019
Rettungsschiff „Alan Kurdi“ seit 9 Tagen ohne Anlegehafen
Der Gesundheitszustand der 64 geretteten Migrant*innen auf der „Alan Kurdi“ verschlechtert sich rapide. Seit dem 3. April ersucht das Rettungsboot um einen Anlegehafen. Zwei Personen mussten bereits notfallmässig evakuiert werden, eine davon ist schwanger und erlitt einen epileptischen Anfall. Bislang zeigt sich kein Land bereit, die Flüchtenden aufzunehmen. Wieder einmal mehr werden die Folgen der unkoordinierten und menschenfeindlichen Europapolitik deutlich. NGO-Schiffen wird jegliche Hilfe verwährt, während die libysche Regierung Millionen erhält, um die Migration nach Europa zu stoppen. Eine Regierung, die kaum mehr Gebiete im eigenen Land kontrolliert und gerade mit der militärischen Verteidigung ihrer Hauptstadt beschäftigt ist. Dass einer solchen Regierung nicht diese Verantwortung übertragen werden darf, zeigte sich gestern wieder, als 8 Personen vor der libyschen Küste ertranken, nach dem stundenlang jegliche Notrufe ignoriert wurden.
https://www.dw.com/cda/de/k%C3%A4mpfe-in-libyen-verschlimmern-die-lage/a-48273940
https://www.theguardian.com/world/2019/apr/10/stranded-ship-runs-low-on-vital-supplies-for-migrants-and-refugees
https://sea-eye.org/lage-an-bord-der-alan-kurdi-spitzt-sich-zu/
https://ffm-online.org/seit-6-uhr-sos-vor-libyen-eu-laesst-in-oeffentlichkeit-ertrinken/


6. April 2019

Mittelmeer: Schlimmer gehts immer
– Das Rettungsschiff „Alan Kurdi“ von Sea Eye hat vor der libyschen Küste 64 Menschen aus Seenot gerettet. Und wieder einmal finden sie keinen sicheren Hafen zum Anlegen, da ihnen Salvini die Hafeneinfahrt verweigert. Dies, weil Sea Eye die Menschen aus  libyschen Gewässern geholt hat, wofür eigentlich seit Juni 2018 offiziell die libysche „Küstenwache“ zuständig sei. Das Problem mit dieser „Küstenwache“ ist aber, dass sie äusserst selten auf Notrufe reagiert. Laut Sea-Eye hat die libysche Küstenwache weder Schiffe noch Suchflugzeuge zur Hilfe für das Schlauchboot in Seenot geschickt. Auch beim Hilferuf am Mittwoch hätten die libyschen Behörden nicht geantwortet.
Bereits am Dienstag ereignete sich ein Seenotfall, woraufhin das „Alarmphone“ einen Notruf absetzte. Italien und Malta verweigerten jegliche Hilfe und verwiesen auf die Zuständigkeit der libyschen Küstenwache. Diese nahm wieder das Telefon nicht ab, woraufhin ihnen die letzbekannten Koordinaten des Schiffes per E-Mail mitgeteilt wurden. Die libysche „Küstenwache“ unternahm jedoch nichts zur Rettung der Personen und begründete dies damit, dass sie keine genauen Koordinaten von dem gesuchten Boot erhalten habe. So könne sie keine Boote aussenden, wenn sie nicht wisse, wohin sie fahren solle. Die Koordinaten waren der libyschen „Küstenwache“ zu diesem Zeitpunkt aber schon 14 Stunden lang bekannt. Die Frage ist zudem, weshalb die libysche „Küstenwache“ überhaupt Koordinaten aus Italien erwartet, wenn doch Libyen die Verantwortung für dieses Seegebiet übertragen bekommen hat?  Was ist das für ein Verständnis von Seenotrettung, wenn man erst darauf wartet, dass Schiffbrüchige selbst jemenschen finden, um dann um Hilfe bitten zu können?
Von den 50 Menschen, die am Dienstag in Seenot gerieten, fehlt bis heute jede Spur. Wie auch von den 40 Menschen, die letzte Woche einen Notruf aussendeten, auf welchen keine einzige Küstenwache reagierte. Aktiv suchen tut momentan nur die Crew der „Alan Kurdi“. Ein Suchflugzeug könnte das Boot innerhalb weniger Stunden finden. Doch es gibt keine Suchflugzeuge.
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2019-04/seenotrettung-mittelmeer-fluechtlinge-libyen-sea-eye
https://sea-eye.org/alan-kurdi-rettet-64-menschenleben/

– Diese Woche trat in den Niederlanden ein neues Gesetz in Kraft, welches es den Behörden erlaubt, zivile Rettungsboote, die unter der dänischer Flagge fahren, wegen „Sicherheitsbedenken“ zu blockieren. Unter anderem  betroffen von diesem Gesetz ist die Sea-Watch 3, welche deshalb momentan keine Rettungsmissionen durchführen kann. Die Kommunikation zwischen den dänischen Ministerien zeigt aber, dass „Sicherheitsbedenken“ nie die tatsächliche Motivation für das neue Gesetz waren, sondern das gesamteuropäische Ziel der Abschottung, wofür die zivile Seenotrettung unterbunden werden muss. Zudem gab es bisher keinen einzigen Zwischenfall mit einem zivilen Rettungsschiff, welches diese Sicherheitsbedenken erklären könnte.
Die politische Motivation des Gesetzes bestätigt sich zudem durch die Tatsache, dass die neuen Regulationen stets mit den dänischen Migrations –und Aussenministerien besprochen wurden, welche offensichtlich nichts zur Sicherheitsfrage von Rettungsschiffen zu sagen haben. Die Sea-Watch 3 meint dazu: Blocking us for ‘safety’ concerns in a standoff is a fundamentally illogical argument when the alternative is that people are left to drown.”
https://sea-watch.org/en/dutch-government-blocks-sea-watch-3/?utm_source=ECRE+Newsletters&utm_campaign=5d41fab7e0-EMAIL_CAMPAIGN_2019_04_02_11_49&utm_medium=email&utm_term=0_3ec9497afd-5d41fab7e0-422328393

– Mithilfe von Satellitenaufklärung wird die zivile Rettunsorganisation „Sea-Eye“ ein Monitoring der libyschen Küste aufbauen. Das neue Projekt läuft unter dem Namen „Space-Eye“. Die Satellitenaufklärung deckt einen 30 breiten Abschnitt über 100 km längs der Küste ab. Ziel des Monitorings ist es, zivile Rettungsschiffe in Echtzeit benachrichtigen zu können und unterlassene Hilfeleistungen mit Todesfolge zu dokumentieren. Auf den Satellitenbildern sind beispielsweise Frontex-Schiffe eindeutig zu identifizieren.

– Aktivist*innen des ‚Forensic Oceanography‘ Projekts verwenden seit 2011 Daten, die eigentlich zur Überwachung generiert werden, dafür, unterlassene Hilfeleistungen auf dem Mittelmeer nachzuweisen. Sie verwenden diese Beweise dafür, verschiedene NATO Staaten anzuklagen. In diesem Video https://vimeo.com/89790770 kann mensch den Fall des ‚Left do die‘ Bootes (2011)und die Methode der ‚Forensic Oceanography‘ verfolgen.
https://ffm-online.org/seenotrettung-sea-eye-wird-satellitenaufklaerung-im-zentralen-mittelmeer-einsetzen/

30. März 2019
Mittelmeer: Mehr Abschottung, mehr Tote
– Wir berichteten bereits letzte Woche über die Strategien und Ziele der EU-Mission Sophia. Der einzige positive Aspekt der Mission war die Tatsache, dass sie durch das internationale Seerecht dazu verpflichtet war, Menschen in Seenot zu retten. Da die Sophia-Mission relativ oft im Mittelmeer unterwegs war, hat sie so (mehr oder weniger unbeabsichtigt) tausende Menschen aus Seenot gerettet. Vor allem auf Druck der italienischen Regierung wird die EU-Mission ihre „Anti-Schmuggel-Aktion“ aber in Zukunft ohne die Präsenz von Schiffen im Mittelmeer durchführen, sondern beispielsweise stärker auf die Ausbildung der libyschen „Küstenwache“ fokussieren. Somit entfällt nun auch noch der letzte positive Nebeneffekt der Sophia-Mission, was sehrwahrscheinlich zu noch mehr Toten im Mittelmeer führen wird, da es jetzt nebst einigen zivilen Rettungsbooten fast keine Rettungsschiffe mehr im Mittelmeer gibt.
Einmal mehr forderte die Abschottung und das Grenzregime Europas Tote. Beim Versuch von der türkischen Küste zur griechischen Insel Lesbos zu gelangen, sind vier Personen ertrunken.
Die rassistische Haltung hinter der Verhinderung von Seenotrettung im Mittelmeer zeigte sich diese Woche wieder einmal in seiner ganzen Deutlichkeit. Geht es nämlich um weisse Menschenleben, klappt das mit dieser Seenotrettung plötzlich ganz wunderbar. Nachdem das Kreuzfahrtschiff „Viking Sky“ vor der norwegischen Küste in Seenot geraten ist, haben sich gleich mehrere Rettunsorganisationen mit hunderten von Retter*innen inkl. Hubschrauber bemüht, die privilegierten Menschen sicher an Land zu bringen. Schön wäre es, wenn sich dieser Elan auch mal bei der Rettung von Nicht-weissen Menschen zeigen würde.
https://www.derbund.ch/panorama/vermischtes/viking-sky-sicher-in-norwegischen-hafen-geleitet/story/25274974

22. März 2019
Mittelmeer: Tote, U-Boot und Beschlagnahmung von NGO-Schiff
Die EU-Operation Sophia hat zum Ziel, die Routen illegalisierter Migration im zentralen Mittelmeer aufzuspüren und „Schleuserbanden“ zu unterbinden. Obwohl die Sophia-Mission seit 2015 fast 50’000 Menschen aus Seenot gerettet hat, beteiligt sie sich aktiv an der europäischen Abschottung, indem sie beispielsweise die libysche „Küstenwache“ unterstützt und so das Risiko erhöht, dass Menschen auf See zurück in die libyschen Lager geschleppt werden.
Neu wurde ein portugiesisches U-Boot in die EU-Mission „Sophia“ integriert. Dieses soll es erleichtern, die genauen Seerouten von illegalisierter Migration zu ermitteln. Laut einem Communiqué der Sophia-Mission werde dadurch „das Risiko verringert, dass Menschen in dieser Region sterben.“ Da ein U-Boot aber unglaublich ungeeignet ist, um Menschen zu retten und es im zentralen Mittelmeer sozusagen keine Rettungsschiffe mehr gibt, an welche das U-Boot die Koordinaten von Schiffen in Seenot weitergeben könnte, scheint uns dieses Ziel eher unrealistisch. Sehr wahrscheinlich geht es (wie immer) darum, dass sich Europa durch die genauere Info über Fluchtrouten noch effektiver abschotten will.
Ausserdem hat sich vor der libyschen Küste von Sabratha diese Woche eine erneute Schiffskatastrophe ereignet. Auf dem Schiff befanden sich ca. 50 Menschen, wovon mindestes 30 gestorben sind. Solche tragischen Ereignisse liessen sich vermeiden, gäbe es im zentralen Mittelmeer Rettungsstrukturen, die Menschen in Seenot helfen. Faktisch passiert aber im Moment das genaue Gegenteil. Auch diese Woche wurde mit der Mare Jonio wieder ein ziviles Rettungsschiff beschlagnahmt. Nachdem das Schiff mit 49 geflüchteten Menschen an Bord im Hafen von Lampedusa angelegt hatte, wurde es von der Guardia di Finanza durchsucht und vorläufig für 48 Stunden beschlagnahmt. Die Staatsanwaltschaft hat eine Ermittlung gegen Unbekannt wegen Beihilfe zur illegalen Einreise eingeleitet.
https://ffm-online.org/im-hafen-lampedusa-angelegt-gerettete-an-land-salvini-schaeumt/
http://www.spiegel.de/politik/ausland/italien-beschlagnahmt-rettungsschiff-mare-jonio-a-1258707.html
http://www.taz.de/Fluechtlinge-auf-Mare-Jonio-im-Mittelmeer/!5581163/
https://www.zeit.de/gesellschaft/2019-03/libyen-gefluechtete-italien-hilfsschiff-mare-jonio
https://ffm-online.org/libyen-neue-schiffskatastrophe-vor-sabratha/
https://www.algarve-entdecker.com/2019/03/u-boot-portugals-soll-schleuser-im-mittelmeer-aufspueren/

16. Februar 2019
Behördenscheisse verhindert Seenotrettung im Mittelmeer
Die Seawatch 3, ein Rettungsschiff der deutschen Hilfsorganisation Sea-Watch, wird im Hafen in Sizilien blokiert. Die italienische Küstenwache gab dafür den niederländischen Behörden die Schuld, weil diese das Schiff darauf prüfen wollten, ob es geeignet sei, gerettete Menschen für längere Zeiträume aufzunehmen. Dass die europäischen Behördern die Sicherheit geretteter Personen als Argument benutzen, um ihre Rettung zu behindern, ist mehr als zynisch. Die Sea Watch 3 wird geprüft, obwohl die eigenen Rettungsschiffe des königlichen niederländischen Seenotrettungsdienstes dieselben unangemessene Forderung selbst nicht erfüllen würden. Das ist auch nicht notwendig, da ein Rettungsschiff nicht für diesen Zweck gebaut wird. Denn das Seerecht besagt eindeutig, dass gerettete Menschen so schnell wie möglich an einen sicheren Ort gebracht werden müssen. Es sind die europäischen Regierungen selbst, die immer wieder unannehmbar lange Wartezeiten für das Ausschiffen geretteter Menschen herbeigeführt haben.
Sea Watch erhob mittlerweile Klage gegen Transport Malta, die Behörde, welche die maltesischen Häfen betreibt, und fordert Schadensersatz. Transport Malta blockierte insgesamt 4 Monate lang das Auslafen eines der Seenotrettungsschiffe von Sea Watch. Dass zur selben Zeit in Malta zwei weitere zivile Seenotrettungschiffe blockiert waren und der rechtliche Status des Sea Watch-Schiffes bis zum Auslaufen gleich blieb, zeigt, dass es Transport Malta nur darum ging, die maltesische Regierung zu unterstützen, welche die Seenotrettung im Mittelmeer stoppen will. Transport Malta habe sich illegal und aggressiv gegenüber der Besatzung verhalten.
Tragischerweise haben vergangene Woche die Behöredn Gibraltars und Panamas der Aquarius, dem Seenotrettungsschiff der NGO Ärzt*innen ohne Grenzen, nun entgültig die Flagge entzogen. Die Aquarius war das letze zivile Seenotrettungsschiff, das auf der Route zwischen Libyen und Europa operierte. Seit Oktober 2018 war die Aquarius in Marseille blockiert und im Dezember musste die Aquarius ihre Operation aufgeben. Bereits letztes Jahr drohten die Behörden Panamas und Gibraltars, der Aquarius die Flagge zu entziehen. Eine Petition forderte im Dezember 2018 die schweizer Regierung auf, der Aquarius eine Flagge zu geben. Das schweizerische Parlament hielt dies nicht für nötig.
http://www.spiegel.de/politik/ausland/italien-sea-watch-3-muss-nach-migranten-rettung-in-catania-bleiben-a-1253088.html
https://sea-watch.org/sea-watch-3-ist-kein-schwimmendes-hotel/
https://www.theguardian.com/global-development/2019/feb/12/deflagging-refugee-rescue-ship-aquarius-a-dark-moment-for-europe?CMP=twt_gu
https://www.timesofmalta.com/articles/view/20190211/local/sea-watch-seeks-compensation-for-having-been-blocked-in-malta.701766?utm_source=ECRE+Newsletters&utm_campaign=700a84c5ff-EMAIL_CAMPAIGN_2019_02_12_12_49&utm_medium=email&utm_term=0_3ec9497afd-700a84c5ff-422315889

9. Februar 2019
Katastrophe in Libyen
Am vergangenen Samstag sind es 2 Jahre her, seit Italien, mit Rückendeckung der EU, den dreckigen Deal mit libyschen “Küstenwache” eingegangen ist, dass diese Menschen im Mittelmeer abfängt und zurück nach Libyen bringt. Dieser Deal ist eine von der europäischen Politik verschuldete humanitäre Katastrophe, denn Libyen ist defakto ein Kriegsgebiet, kontrolliert und umkämpft von verschiedenen Milizen. Geflüchtete werden in Gefängnisse eingesperrt, teils über ein Jahr, bekommen keine medizinische Hilfe und müssen oft tagelang ohne Nahrung ausharren. Viele der Geflüchteten berichten davon, unter Folter um Lösegeld erpresst worden zu sein, oder auch für die Milizen kämpfen zu müssen. Die UNHCR haben zwar angekündigt, dieses Jahr 2500 Geflüchtete aus dem Gebiet zu evakuieren und auch die kanadische Regierung versprach, 750 Geflüchtete aus Libyen aufzunehmen, aber angesichts dessen, dass allein letztes Jahr (2018) 15’000 Menschen aus dem Mittelmeer zurück nach Libyen gebracht wurden, sind solche Versprechen ein trauriger Tropfen auf den heissen Stein.
https://www.theguardian.com/commentisfree/2019/feb/05/eu-deal-libya-refugees-libyan-detention-centres
https://www.tagesschau.de/ausland/kanada-libyen-fluechtlinge-101.html

2. Februar 2019
Krieg gegen Geflüchtete: Mittelmeer
Seit Anfang Januar verhindert die spanische Regierung das Auslaufen von NGO-Seenot-Rettungsschiffen mit fadenscheinigen Argumenten. In Barcelona ist die „Open Arms“ blockiert und im Baskenland die „Aita Mari“. Bei beiden Schiffen begründet die Regierung die Blockade damit, die Schiffe seien ungeeignet, bzw nur für 20 Personen zugelassen.
Die Blockade gehört zum Teil eines neuen Regierungsplanes, der vorsieht, die Seenotrettung im westlichen Mittelmeer ganz abzuschaffen. Die spanische Regierung plant nämlich den Abzug des Salvamento Marítimo, um die Fluchtpassage von Marokko und Algerien nach Spanien einzuschränken. Die Schiffe und Hubschrauber der Seenotrettung sollen nicht mehr proaktiv das Seegebiet patrouillieren, sondern nur noch in dokumentierten Notfällen zur Rettung auslaufen. Aus diesem Grund haben es die spanischen Behörden wohl auch unterlassen, die Radarsysteme der Seenotrettungs-Flugzeuge zu reparieren. Ohne diese Radars ist das Aufspüren von Booten in Seenot praktisch unmöglich. Die NGO-Rettungsschiffe sollen nach Regierungsplan stillgelegt werden. Die Taktik der spanischen Regierung ist es, die Menschen ertrinken zu lassen und darauf zu hoffen, dass weniger Leute über Spanien migrieren. „Open Arms“ hat auf Twitter einen Zähler eingerichtet. Dort ist zu lesen, dass seit der Blockade knapp 250 Menschen ertrunken seien.
Ähnliche menschenverachtende Pläne hat die italienische Regierung, sie will NGO-Seenotrettungsschiffe verbieten. Die italienischen Hafenbehörden setzen die faschistische Politik von Innenminister Matteo Salvini bereits konsequent durch: Kein*e Migrant*in darf italienischen Boden betreten, solange nicht geklärt ist, welches EU-Land die betreffende Person aufnimmt. So liegt vor der italienischen Küste bei Syrakus das Rettungsschiff „Sea Watch 3“ mit 47 Geretteten und wartet darauf, anlegen zu dürfen. Da das Warten auf einen Anlegeplatz die maximale Zeit eines Polizeigewahrsams überschritten hat und das Schiff immer noch unter menschenunwürdigen Umständen vom Anlanden ferngehalten wird, bereiten italienische Staatsanwält*innen eine Klage gegen Salvini vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof vor. Trotz des von Salvini staatlich angeordneten Verbots gelang es einer Gruppe von Parlamentarier*innen, Ärzt*innen und Rechtsanwält*innen an Bord zu gelangen und Folter-Gründe der Geflüchteten, sowie den zunehmend lamentablen Zustand an Bord des blockierten Schiffs zu dokumentieren. Ebenso ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen unterlassener Hilfeleistung, da die italienische Küstenwache am 19.1.19 117 Menschen hatte ertrinken lassen. Eine Rettung wäre möglich gewesen, da die Notlage frühzeitig gemeldet wurde. Die italienische Küstenwache reagierte aber erst als es bereits zu spät war (s. antira-Wochenschau vom 26. Januar 2019)
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1110933.open-arms-open-arms-von-madrid-festgehalten.html
https://ffm-online.org/spanien-plant-abzug-der-seenotrettung-im-westlichen-mittelmeer/
https://ffm-online.org/sea-watch-salvini-vor-dem-europaeischen-menschenrechtsgerichtshof-egmr/
https://ffm-online.org/117-tote-staatsanwaltschaften-ermitteln-wegen-behoerdlicher-unterlassener-hilfeleistung/

2018 starben jeden Tag sechs Personen beim Versuch, das Mittelmeer zu überqueren
Ein Bericht des UNHCR zeigt, dass die Todesrate im Mittelmeer wegen unterlassener Hilfeleistungen im vergangenen Jahr gestiegen ist. Schätzungsweise 2’275 Menschen starben oder verschwanden 2018 bei der Überquerung des Mittelmeers. Die Zahl der Menschen die es über das Mittelmeer in die Festung Europa schafften (139’300 Migrant*innen), war in den letzten fünf Jahren nie so niedrig. Das UNHCR wirft den Herrschenden in den EU-Staaten eine Mitschuld am Sterben vor. Ihre Politik führte dazu, dass eine grosse Zahl von Menschen tagelang auf See festsass und auf die Erlaubnis zum Andocken wartete. NGO-Boote und ihre Besatzungen sahen sich wachsenden Einschränkungen bei ihren Such- und Rettungsaktionen gegenüber. Auf den Routen von Libyen nach Europa starb jede*r 14. Mensch beim Versuch das Meer zu überqueren – ein starker Anstieg gegenüber 2017. Tausende weitere wurden nach Libyen zurückgeschickt, wo sie in Haftanstalten unter schrecklichen Bedingungen lebten.
https://www.unhcr.org/dach/de/29057-sechs-tote-jeden-tag-unhcr-legt-erschuetternde-bilanz-fuer-2018-vor.html

27. Januar 2019
Deutschland weiter auf Abschottungskurs
Die deutsche Regierung lässt keine Möglichkeit ungenutzt, sich noch stärker gegenüber Geflüchteten abzuschotten. Einerseits will sie sich aus der EU-Mission Sophia im Mittelmeer zurückziehen. Die deutsche Marine wird nach Ablauf des Mandats Anfang Februar 2019 kein neues Schiff zur EU-Mission vor der libyschen Küste schicken, sondern sich statt dessen lieber an Nato-Manövern in der Nordsee beteiligen. Obwohl die Sophia-Mission grundsätzlich zum Ziel hat, gegen „Schlepperbanden“ vorzugehen, den Mittelmeerraum zu überwachen und die libysche „Küstenwache“ auszubilden, wäre deren Wegfall trotzdem nicht nur positiv zu beurteilen. Denn im internationalen Seerecht ist die Pflicht zur Seenotrettung festgehalten, was auch für die Sophia-Mission gilt. Da die Seenotrettung im Mittelmeer momentan sozusagen inexistent ist (unter anderem aufgrund der Kriminalisierung ziviler Seenotrettung), wurde die Sophia-Mission zu einer wichtigen Rettungsakteurin. Allein seit 2014 hat sie 42.000 Personen aus Seenot gerettet. Wenn also die Mission Sophia nicht durch eine zivile Mission ersetzt wird (was natürlich zu begrüssen wäre), wird ihre Wegfall zu nur noch mehr Toten im Mittelmeer führen.
Zudem versucht die deutsche Regierung momentan mit aller Kraft, Geflüchtete abzuschieben. Dabei scheut sie auch nicht davor zurück, Menschen nach Afghanistan abzuschieben (siehe antira-Wochenschau vom 12. Januar 2019: https://antira.org/2019/01/12/allahu-akbar-abschiebung-nach-afghanistan-ueberschwemmungen-in-camps/). Zudem schiebt Deutschland so viele Menschen in andere EU-Staaten ab wie nie zuvor. Von Januar bis Ende November 2018 wurden 8658 Menschen unter Andwendung der Dublin-Verordnung in andere EU-Staaten abgeschoben. Hauptzielland der innereuropäischen Abschiebungen war Italien: Dorthin wurde fast jede*r Dritte gebracht. Nebst der unsäglichen Praxis, Menschen wie Waren zwischen unterschiedlichen Orten hin –und herzuschieben, erscheint gerade eine Abschiebung nach Italien mehr als problematisch. Wir berichteten vor einigen Wochen über die brutalen Auswirkungen des neuen „Sicherheitsdekrets“ von Salvini (antira-Wochenschau vom 15. Dezember: https://antira.org/2018/12/15/antira-wochenschau-nutella-banane-karin-keller-sutter/)
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2019-01/eu-mittelmeermission-sophia-deutsche-beteiligung-gestoppt
https://www.sueddeutsche.de/politik/fluechtlinge-deutschland-schiebt-so-viel-in-andere-eu-staaten-ab-wie-nie-zuvor-1.4295346

2019 bereits über 200 Ertrunkene im Mittelmeer
Im Mittelmeer ertranken am Wochenende wieder mindestens 170 Menschen beim Versuch, nach Europa zu fliehen. Niemand war bereit zu helfen: die privaten Rettungsschiffe sind vertrieben und die Behörden in Italien und Malta fühlten sich nicht zuständig, obwohl sie genau wussten, dass Menschen am ertrinken sind. Sie schoben die Verantwortung der libyschen ‘Küstenwache’ zu. Diese nahmen das Telefon jedoch erst ab, als der italienische Premierminister Giuseppe Conte auf eine zehn Stunden verspätete Rettung bestand. Die wenigen Überlebenden wurden dann von einem libyschen Frachtschiff direkt in die Hafenstadt Misrata zurückgebracht, von wo aus sie geflohen waren. Sie befinden sich also wieder in jenem Bürgerkriegsland, in dem Milizen Foltergefängnisse für Migrant*innen betreiben, um von deren Angehörigen ein Lösegeld zu erpressen.
Auf der sogenannten «Spanienroute» ertranken zudem diese Woche 53 Menschen.
Allein in diesem Januar sind schon über 230 Menschen im Mittelmeer ertrunken! Die Fluchtwege müssen endlich geöffnet werden, damit nicht noch mehr Menschen im Mittelmeer ermordet werden.
https://www.unhcr.org/dach/de/28847-unhcr-entsetzt-ueber-erneute-ungluecke-im-mittelmeer.html
https://www.watson.ch/international/eu/944474986-2019-und-das-sterben-geht-weiter-das-musst-du-zur-situation-auf-dem-mittelmeer-wissen
https://www.srf.ch/play/radio/popupaudioplayer?id=334ba557-4012-4903-8c29-a786f35e8dec
https://www.luzernerzeitung.ch/international/fluechtlinge-auf-dem-mittelmeer-kaum-aussicht-auf-rettung-ld.1087177

12. Januar 2019
Die Früchte der Abschottungspolitik 2018: Tausende Leichen im Mittelmeer
Die blutigen Kosten der Abschottungspolitik Salvinis werden im neuen UNHCR-Bericht deutlich. Die populärsten Fluchtrouten verlagerten sich ins westliche Mittelmeer hinein, was wohl eine direkte Folge der prekären Situation im östlichen Mittelmeer ist. Das Risiko, die Überfahrt von Libyen nach Italien nicht zu überleben, hat sich im letzten Jahr verdoppelt, von 2,4 auf 5,6 Prozent. Dies ist der tragische Preis der koordinierten Bemühungen, private Seenotrettung zu unterbinden.
https://www.nzz.ch/international/andrang-im-mittelmeer-gedrosselt-und-verlagert-ld.1449998
https://www.tagesschau.de/inland/fluechtlinge-deutschland-167.html

7. Dezember 2018
„Aquarius“ darf nicht unter schweizer Flagge fahren
Der Bundesrat hat eine Interpellation abgelehnt, welche forderte, das Rettungsschiff „Aquarius“ unter schweizer Flagge fahren zu lassen. Solange die „Aquarius“ keinen Flaggenstaat findet (was momentan der Fall ist), kann sie nicht mehr zu Rettungsaktionen in internationale Gewässer auslaufen, um Menschen in Seenot zu helfen. Die Ablehnung des Bundesrates basiert nicht auf rechtlichen Schwierigkeiten, sondern auf politischem Kalkül. Denn die Vergabe der schweizer Flagge für private Rettungsschiffe wäre grundsätzlich möglich.
Der Bundesrat hat aber Angst, die internationale Zusammenarbeit zu gefährden, wenn die Schweiz im Alleingang Rettungsaktionen durchführt, bevor eine europäische Gesamtlösung gefunden wird. Diese Argumentation ist mehr als zynisch. Lieber lässt er tausende von Menschen ertrinken, als dass irgendeine diffuse, weit entfernte europäische Gesamtlösung gefährdet wird.
Würden wir die Argumente des Bundesrates auf eine x-beliebige andere Rettungsmassnahme anwenden, merkten wir, wie rassistisch das ist.
https://www.derbund.ch/schweiz/standard/bundesrat-lehnt-schweizer-flagge-fuer-aquarius-ab/story/19062386
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1107226.seenotrettung-aquarius-darf-nicht-unter-schweizer-flagge-fahren.html

Seenotrettung: Médecins Sans Frontières und SOS Méditerranée ziehen sich aus der Mittelmeerrettung zurück
Die beiden NGOs, die mit dem Rettungsschiff Aquarius im Mittelmeer tätig waren, sehen sich gezwungen ihre Rettungsaktionen einzustellen. Der politische und juristische Druck, der von gewissen EU-Regierungen auf sie ausgeübt wurde, würde es verunmöglichen, weiter zu operieren. Ausserdem kann die Aquarius momentan unter keiner Flagge auslaufen (siehe oben).
Die Organisationen konnten seit 2016 über 80’000 Menschen in Not retten. Ob jemand diese riesige Lücke zu füllen vermag, bleibt fraglich. Etwas Aushilfe schaffen zumindest die Schiffe von Sea-Watch und Open Arms, die kürzlich wieder auslaufen durften.
https://www.msf.org/aquarius-forced-end-operations-europe-condemns-people-drown
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-11/flucht-mittelmeer-zivile-seenotrettung-private-rettungsaktionen-organisationen-sea-watch

Eruopäische Abschottung fordert erneut viele Verletzte und Tote
Ein spanisches Fischerboot mit elf Geflüchteten an Bord kann endlich in Malta anlegen. Die Besatzung des Schiffs hatte am 22. November zwölf Geflüchtete von einem Schlauchboot gerettet, das aus Libyen kam. Die Regierung in Madrid versuchte anschließend ohne Erfolg, Libyen zur Rücknahme der Geflüchteten zu bewegen. Da auch Italien und Malta das Boot vorerst nicht anlegen liessen, musste das Boot zehn Tage lang nach einem aufnahmebereiten Mittelmeerhafen suchen. Die hygienischen und gesundheitlichen Bedingungen an Bord waren katastrophal. Eine Person musste wegen akuter Dehydrierung mit einem Rettungshubschrauber an Land geflogen werden.
Zwei weitere Tragödien ereigneten sich diese Woche auf den Fluchtrouten nach Europa: 15 Menschen sind im Meer vor Libyen verhungert und verdurstet. Zwölf Tage ist ihr Boot vor den Küsten Libyens herumgetrieben. Und an der Grenze zwischen Griechenland und der Türkei wurden die Leichen von drei Migrant*innen gefunden, die wahrscheinlich erfroren sind.
https://www.zeit.de/gesellschaft/2018-12/seenotrettung-spanisches-fischerboot-gefluechtete-malta-mittelmeer-open-arms
https://ffm-online.org/odyssee-der-12-migranten-am-tiefpunkt/
https://ffm-online.org/vor-libyen-12-boat-people-verhungert-und-verdurstet/

23. November 2018
Libysches Spezialkommando stürmt Migrant*innen-Boot
Libysche Sicherheitskräfte stürmten mit Tränengas und Gummischrot ein Containerschiff. Die 92 Geflüchteten an Bord weigerten sich von Bord zu gehen und bewaffenten sich mit Stangen zur Selbstverteidigung. Lieber würden sie sterben als zurück in die libyschen „Lager“ zugehen: »In libyschen Gefängnissen ist Folter und Missbrauch an der Tagesordnung. Unsere Verwandten mussten 1000 Dollar für unsere Freilassung nach Libyen schicken. Ich gehe um keinen Preis in der Welt zurück nach Libyen.«
Die Küstenwache behandelte die Flüchtenden als Entführ*innen und Pirat*innen. Dies führte dazu, dass die Zuständigkeit an Spezialkräfte überging, die das Feuer eröffneten.
https://www.heise.de/tp/features/Libyen-Spezialkommando-schiesst-auf-Migranten-4229645.html
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1106151.seenotrettung-libyer-stuermen-containerschiff.html

29. September 2018
Aufnahme der Flüchtenden auf Aquarius geregelt, Schiff immer noch blockiert. Portugal, Frankreich, Spanien und Deutschland haben sich über die Aufnahme der Flüchtenden an Bord der „Aquarius“ geeinigt. Malta lässt die 58 Menschen nun an Land. Da aber auf Betreiben der italienischen Regierung Panama dem Rettungsschiff Aquarius seine Flagge entzieht, hat dieses keine Lizenz mehr. Das Rettungsschiff ist damit endgültig blockiert. Es gibt damit im zentralen Mittelmeer immer noch kein nichtstaatliches Schiff, das Menschen retten kann. Neu soll das Rettungsschiff «Aquarius» die schweizer Flagge erhalten. Dies fordert Grünen-Nationalrätin Aline Trede im Nationalrat per Vorstoss.
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-09/seenotrettung-aquarius-panama-entziehung-zulassung-fluechtlinge
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-09/rettungsschiff-aquarius-pariser-regierung-angriff-italien-seenotrettung
https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/gruenen-nationalraetin-fordert-aquarius-soll-unter-schweizer-flagge-fluechtlinge-retten-133510508

28. Juni 2018
Die Seenotrettung im Mittelmeer wird auch diese Woche staatlich blockiert und sabotiert. Zum einen verweigern Italien und mittlerweile auch weitere europäische Staaten den Schiffen mit geretteten Geflüchteten das Einlaufen in ihre Häfen. Zum anderen wird die Seenotrettung kriminalisiert. Den Besatzungen wird mit der Verhaftung und den NGO’s mit Beschlagnahmung ihrer Schiffe gedroht. Diese Woche durfte das deutsche Rettungsschiff «Lifeline» mit rund 230 Menschen an Bord zuerst tagelang nirgends einlaufen. Schliesslich war Malta bereit, das Schiff einlaufen zu lassen. Allerdings wurde heute bekannt, dass die Behörden das Schiff beschlagnahmt haben.

13. Juli 2018
Noch mehr Schiffsblockaden in Italien
Salvini will nach der Hafensperrung für private Rettungsboote nun auch (italienischen) Küstenwachschiffen das Anliegen verbieten, wenn diese Flüchtende an Bord haben. Das führte diese Woche erneut dazu, dass ein Schiff mit 67 Migrant*innen tagelang auf See blockiert wurde. Salvini verlangte, dass die Menschen das Schiff erst verlassen dürfen, wenn alle Personalien festgestellt sind. Dies ging selbst dem Präsidenten Mattarella zu weit, der die Blockade am Donnerstag auflöste. Salvini droht den Flüchtenden weiterhin mit rechtsradikaler Rhetorik.
https://www.n-tv.de/politik/Praesident-laesst-Migranten-in-Italien-anlanden-article20528093.html