Flucht-/Migrationsrouten: Ärmelkanal

29.06.20
«Operation Sillath» gegen Flucht über den Ärmelkanal
Unter dem Namen «Operation Sillath» will England Migrant*innen im Ärmelkanal abfangen und nach Frankreich zurückführen. Diese Abschottungsmission wird vom britischen «Home Office» (Innenministerium) nach Dublin-Konvention legitimiert. Als Begründung für die «Operation Sillath» gilt wohl die steigende Zahl in England ankommender Migrant*innen, welche in Frankreich in Booten und Kanus starten. 681 Personen erreichten laut britischen Medien im Mai von Nordfrankreich aus die englische Südostküste. Am 8. Mai waren es 145 – so viele wie noch nie an einem einzigen Tag. 1.336 sind es seit Beginn des Lockdowns und 1.715 im gesamten Jahr 2020. Im Vergleich dazu: 1.892 Personen sind im Gesamtjahr 2019 von Nordfrankreich nach England über den Ärmelkanal gefahren. Die Anwaltskanzlei Duncan Lewis arbeitet derzeit an einem Anfechtungsverfahren gegen die Operation und die Rückführungsmassnahmen. Denn obwohl ihre Fingerabdrücke oft nicht in der europaweiten Datenbank Eurodac gefunden wurden und es keine eindeutigen Beweise dafür gibt, dass sie sich längere Zeit in Frankreich aufgehalten oder dort Asyl beantragt haben, werden Migrant*innen zurück nach Frankreich gebracht.
https://ffm-online.org/channel-crossings-kleine-boote-grosse-bedrohung/?fbclid=IwAR1KIP8MUIugo6MUNfXjm32pAxqVzAh0uXNIBkuxj2FeIUHqqAAIuA_fpQU
https://www.theguardian.com/world/2020/may/21/home-office-deporting-migrants-who-cross-channel-in-small-boats

01.06.20
Calais: Restriktive Massnahmen wegen Zunahme an gelungenen Grenzpassagen?
Seit 2016 existiert im britischen Immigration Act ein Paragraf, der vorsieht, einer bestimmten Anzahl unbegleiteter minderjährigen Geflüchteten in Calais und Umgebung die legale Einreise nach Grossbritannien zu ermöglichen. Diese gesetzliche Sonderregelung war nach dem historischen Vorbild der sogenannten Kindertransporte zur Rettung jüdischer Kinder in den Jahren 1938/39 geschaffen worden. Anlässlich der Vorstellung seiner Einwanderungsstatistik am 21. Mai 2020 hat die britische Regierung dieses sogennante Dubs-Verfahren nunfür beendet erklärt. Darüber hinaus plant Boris Johnsons Innenministerium im Rahmen der Brexitverhandlungen auch das derzeitige System der Familienzusammenführung aufzuheben. Über 330’000 Personen haben eine von zwei britischen Calais-Volunteers gestartete Petition gegen diesen Textentwurf unterschrieben. Nebst der Kappung sicherer Passagen für Minderjährige berichtet der Guardian aber auch von einer alarmierenden Entwicklung, die über Schlauchboot angekommenden Asylsuchenden im Rahmen der Operation Sillath automatisch nach Frankreich abzuschieben bevor ihre Asylanträge überhaupt geprüft werden. Laut Calais bordermonitoring könnte der politische Auslöser für diese Entscheide tatsächlich die starke Zunahme an gelungenen Grenzpassagen mithilfe motorisierter Schlauchboote über den Ärmelkanal sein. Effektiv scheinen diese Channel crossings trotz ihrerGefährlichkeit in diesem Frühjahr die wichtigste und erfolgversprechendste Migrationstechnik zu sein. Seit der Etablierung dieser maritimen Migrationsroute vor anderthalb Jahren gelangten im März und April 2020 so viele Geflüchtete auf Booten wie noch nie nach Grossbritannien (siehe Antirawochenschau vom 18. Mai).
https://calais.bordermonitoring.eu/2020/05/25/sichere-passage-eingestellt/

https://www.infomigrants.net/en/post/24920/migrant-channel-crossings-by-boat-surge-during-pandemic-concern-over-illegal-returns-by-uk

18.05.20
Menschen überqueren den Ärmelkanal nach Grossbritannien
Seit Beginn des Lockdowns sind 850 Geflüchtete über den Ärmelkanal nach Grossbritannien gelangt. Insbesondere in den letzten zwei Wochen gab es einen beachtlichen Anstieg der Bootsüberfahrten. Grund könnte die Angst der Geflüchteten vor dem Corona-Virus in Frankreich sein. Seit April werden sie aus den inoffiziellen Camps rund um Calais in Unterkünfte gebracht, die die Regierung zur Verfügung stellt (siehe antira-Wochenschau vom 20.04.20 https://antira.org/2020/04/20/antira-wochenschau-verdurstet-oder-ertrunken-erinnern-statt-verzerren-weggepusht-und-abgeschoben/). Nicht immer passiert dies freiwillig.  Bei der letzten Zwangsräumung des Hauptcamps vor wenigen Tagen wurden mehr als 80 Menschen gezwungen, in Busse zu steigen, wobei es zu zwölf Festnahmen in Abschiebehaft kam. Bei der Räumung wurden auch 170 Zelte zerstört, was die Situation der Menschen, die in das Camp zurückkehren, aktiv erschwert. Die Geflüchteten nennen unterschiedliche Gründe für die Ablehnung der staatlichen Unterkünfte: Einige nannten, dass diese schlicht nicht vor Corona schützen würden, beispielsweise eine Sporthalle, in der fünfzig Personen untergebracht sind. Andere haben kein Vertrauen in die französischen Behörden oder befürchten, von den neuen Standorten aus, keine Chance mehr zu haben, ihr Ziel Grossbritannien zu erreichen. Dieses Jahr erreichten auf dem Seeweg bereits über 1.200 Geflüchtete Grossbritannien. Im gesamten Jahr 2019 waren es 1.850. NGOs fordern einen legalen und sicheren Zugang zum britischen Asylsystem für die Menschen in Calais, um die gefährlichen Überfahrten und das Geschäft damit zu beenden. Die britischen Behörden gaben an, alle Angekommenen in Quarantäne gebracht zu haben. Zudem seien Personen in speziellen Bereichen innerhalb von Haftanstalten isoliert worden, die verdächtigt wurden, in kriminelle Aktivitäten verwickelt oder nicht asylberechtigt zu sein. Was das genau heisst und wie viele der Menschen es betrifft, bleibt unklar.
https://www.zeit.de/gesellschaft/2020-05/migranten-aermelkanal-grossbritannien-ueberfahrt
https://care4calais.org/news/calais-update-reports-of-forced-evictions-at-main-campsite/
https://www.dailymail.co.uk/news/article-8314649/Another-14-migrants-reach-Dover-Home-Office-chiefs-confirm-fortnight-quarantine-arrivals.html
https://www.dailymail.co.uk/news/article-8303351/More-migrants-arrive-Dover-day-record-150-caught-trying-cross-English-Channel.html
https://calais.bordermonitoring.eu/2020/05/14/raeumungen-und-skandalisierungen-zur-situation-in-calais/

 

20.04.20
Corona im Jungle of Calais
Nach Angaben der Präfektur des Departements Pas-de-Calais haben sich bis zum 16. April fünf Migrant*innen in Calais sicher mit dem Coronavirus infiziert. Insgesamt 290 Personen seien seit den Ausgangsbeschränkungen von den Behörden in Aufnahmezentren, Sportstätten und Hotels des Departements untergebracht worden. Die freiwillige Evakuierung der Bewohner*innen des Jungles war zuerst auf den 31. März angesetzt, wurde aber nach dem Bekanntwerden einer ersten Infektion zunächst ausgesetzt, um dann am 3. April zu beginnen. Die Gruppe Care4Calais hat in Calais und Dünkirchen 150 Migrant*innen zu Corona befragt. 48% der Personen sind erst seit drei Monaten oder weniger in Calais. Nur 14 Personen sagten, dass das Coronavirus für sie eine Hauptsorge sei. Fast dreimal so viele sagten, sie hätten Angst um ihre grundlegendsten Bedürfnisse: Nahrung, sanitäre Einrichtungen, Unterkunft oder Kleidung. Kein Wunder: Seit der Ausgangssperre in Frankreich haben sich die meisten NGOs zurückgezogen und der französische Staat hat Kürzungen vorgenommen. Viele Menschen (86%) hatten ernsthafte Vorbehalte, in die von der französischen Regierung betriebenen Notunterkünfte zu gehen; sie befürchten, dass sie dann nie wie beabsichtigt nach England gelangen können. 53% sagen, dass sie dort dem Virus stärker ausgesetzt wären und 13% denken, dass sie den französischen Behörden nicht vertrauen (9%) oder dass sie ihre Freiheit verlieren werden (8%). Seit März 2020 gibt es übrigens einen neuen Blog, der über die Situation im Grenzgebiet in Nordfrankreich, England und Benelux informiert.JungleOfCalais ist somit ein weiteres tolles Projekt, dass in Zusammenarbeit mit bordermonitoring.eu entsteht. https://calais.bordermonitoring.eu/
https://ffm-online.org/weblog-jungleofcalais/
https://care4calais.org/

20. Januar 2019
Deutsche Rüstungsfirmen profitieren von der europäischen Abschottung
Immer mehr Menschen versuchen, über den Ärmelkanal von Frankreich nach Grossbritannien zu fliehen. Unter anderem weil sie in Frankreich keine Chance auf Asyl haben und ihre Camps (z.B in Calais) immer und immer wieder von der Polizei zerstört werden. Die Überfahrt ist extrem gefährlich, da der Kanal täglich von ca. 400 grossen Schiffen passiert wird, es sehr starke Strömungen gibt und das Wasser eiskalt ist. Trotzdem nehmen die Menschen diesen Weg auf sich. Vielleicht können wir uns so die hoffnungslose und auswegslose Situation der Geflüchteten etwas besser vorstellen.
Die Chance, auf diese Weise nach Großbritannien zu kommen, schwindet aber zusehends. Denn die französischen und britischen Behörden haben natürlich sofort auf die neue Fluchtroute reagiert und die Grenzkontrollen massiv verstärkt. Sei dies durch Zäune, die rund um Stadt, Hafen und Eurotunnel in die Höhe schießen oder durch Überwachung. Zu den Gewinner*innen der europäischen Abschottungspolitik gehören zwei deutsche Rüstungskonzerne (Airbus und ATLAS Elektronik, welche sich zu Signalis zusammengeschlossen haben). Diese haben sich auf die Überwachung von Seegrenzen spezialisiert und lieferten den Grenzbehörden in Frankreich das Schiffsverfolgungssystem „STYRIS“. Signalis bestreitet zwar, dass ihre Technik zur Migrationskontrolle eingesetzt würde. Vielmehr sollen gefährliche Zusammenstöße im Ärmelkanal vermieden werden. Airbus hatte seine Grenzüberwachungstechnik vor drei Jahren aber noch als besonders geeignet gegen eine „Welle illegaler Einwanderer“ beworben. Zudem bietet Signalis auch Technologien an, welche Informationen aus der Luftüberwachung nutzen. Das Überwachungssystem sei besonders auf die Erkennung „kleiner Ziele“ spezialisiert. Was sie damit wohl meinen könnten?
Die Technologie von Airbus und ATLAS Elektronik wird nicht nur bei der Überwachung des Ärmelkanals eingesetzt. Auch das deutsche Verteidigungsministerium hat Technik von Airbus gekauft, um damit die Grenzsicherung in Tunesien zum „Schutz vor terroristischen und anderen grenzüberschreitenden Bedrohungen“ zu verbessern.
Der Markt für Technologien zur Grenzüberwachung wird wohl weiter florieren. Sowohl die französischen wie auch die britischen Behörden haben angekündigt, die Häfen und „potentiellen Startplätze“ ausserhalb der Häfen, stärker zu überwachen. Die britische Regierung will zudem zusätzlich zu einem bereits beorderten Marineschiff zwei Patrouillenboote aus dem Mittelmeer in die Nordsee entsenden. Eines der Schiffe wurde bislang in einer Mission der Grenzagentur Frontex eingesetzt.
https://www.heise.de/tp/features/Ru…
https://www.taz.de/!5563185/

30. Dezember 2019
Trotz eisiger Kälte versuchen (flüchtende) Migrant*innen per Boot nach Grossbritannien zu gelangen.
Insgesamt 40 Flüchtende in fünf Booten sind am ersten Weihnachtstag im Ärmelkanal zwischen Grossbritannien und Frankreich aufgegriffen worden. Darunter waren auch mehrere Kinder. Als Teil des «New Arrivals» Projekts des Guardians erklärten Anfang Jahr mehrere Betroffene, wieso sie grössere Hoffnung in Grossbritannien als in Frankreich setzen: Jahrelanges Warten ohne Gewissheit, ein riesiger bürokratischer Aufwand auf französisch und fehlende Sprachkurse. Ausserdem würde GB von vielen als toleranter wahrgenommen und die Wohnungssituation sei besser. Grossbritannien hat bereits vor der Brexit-Abstimmung Binnen-Kontrollen gemacht, die es erschwerten, einzuwandern. Nun ist es aber gut möglich, dass es vor allem für marginalisierte (flüchtende) Migrant*innen noch schwieriger werden wird, nach Grossbritannien zu gelangen.
https://www.theguardian.com/world/2018/mar/09/we-want-to-work-refugees-tell-france-why-uk-is-so-attractive
https://www.tagblatt.ch/newsticker/international/40-fluechtlinge-im-aermelkanal-gerettet-ld.1080885
http://www.infomigrants.net/en/post/8916/how-will-brexit-affect-migrants-and-refugees

2. Dezember 2018
Es flüchten wieder vermehrt Menschen nach Grossbritannien
Die frühere Route, auf der Menschen auf/in LKWs versteckt versuchten, durch den Eurotunnel zu gelangen, wurde mit dem Bau einer Mauer und der Räumung einer Zeltstadt bei Calais verbarrikadiert.
Nun versuchen immer mehr Menschen mit kleinen Booten den Ärmelkanal zu überqueren. In den letzten drei Wochen haben um die 100 Geflüchtete die gefährliche Überfahrt nach Großbritannien gewagt. Der britische Innenminister Sajid Javid schlägt vor, dass Großbritannien ein Rettungsschiff aus dem Mittelmeer abziehen könnte, um die zunehmende Zahl der Migrant*innen, die versuchen, über den Kanal zu kommen, zu „retten“. Tatsächlich geht es Javid aber darum, die Geflüchteten nach Frankreich zurückzuschieben und er bedient mit dem Vorschlag die in Großbritannien wegen des Brexits vorherrschende Antimigrationsstimmung.
https://www.heise.de/tp/features/Migranten-entdecken-den-Seeweg-ueber-den-Kanal-nach-Grossbritannien-4234922.html

23. November 2018
Iranische Migrant*innen fahren in geborgtem Schiff über den Ärmelkanal
Nachdem der „Jungle“ in Calais 2016 gewaltsam geräumt wurde, verteilten sich die Geflüchteten entlang der Küste. Nun haben 17 Migrant*innen in Boulonge-sur-Mer einen Fischkutter geborgt und sind damit über den Ärmelkanal gefahren, wo sie bei der Ankunft festgenommen wurden. Die englischen Behörden machen sich nun in die Hosen, da die englischen Häfen viel zu wenig Personal hätten, alle festzunehmen, wenn mehr Leute diese Art der Überquerung des Ärmelkanals wählen würden. Bis jetzt sind nur Überquerungsversuche in selbstgebastelten Booten bekannt.
https://www.telegraph.co.uk/news/2018/11/13/uk-border-force-arrest-12-migrants-stole-french-fishing-trawler/