01.06.20
Neues Polizeigesetz in Schwyz verabschiedet
Der Kantonsrat Schwyz hat in seiner letzten Sitzung der Verschärfung des Polizeigesetzes mit deutlicher Mehrheit zugestimmt. Begründet wurden die Verschärfungen mit verschiedenen Vorfällen im Jahre 2019: Der Auftritt einer Gruppe Neonazis in Kostümen des Ku-Klux-Klan zur Fasnacht in Brunnen, Angriffe auf die Demo «für ein buntes Schwyz» und die Versammlung von ca. 100 Neonazis in einer Berghütte bei Galgenen zum «Völkischen Forum». Generell eine gute Entscheidung, könnte mensch meinen. Aber Verschärfungen der Polizeigesetze in ganz Europa haben gezeigt, dass es im Zuge der Terrorismusabwehr und Extremist*innenbekämpfung zu erheblichem Abbau von Grundrechten und massiver Erweiterung von Überwachungsmassnahmen kommen kann. Ein durch Polizist*innen, Justiz und Behörden umgesetzter systematischer Rassismus ist der Alltag, die zahllosen Fälle von Racial Profiling und vielen weiteren Diskriminierungsformen gegenüber BIPoC sprechen eine eindeutige Sprache. Eine weitere Gefahr besteht, wenn die verschärften polizeilichen Massnahmen schlussendlich gegen «Links» angewandt werden und die Polizei sowie Strafverfolgungsbehörden wie so oft auf dem „rechten Auge“ blind bleiben. Dies alles sind Gründe, um Verschärfungen von Polizeigesetzen mit äusserst kritischen Augen zu betrachten.
https://www.srf.ch/news/regional/zentralschweiz/neues-polizeigesetz-schwyzer-parlament-beraet-veranstaltungsverbot-fuer-extremisten
https://www.sz.ch/public/upload/assets/44968/48_2020_Polizeigesetz_Bericht.pdf
25.05.20
Freispruch für das Verbrechen der Solidarität in Frankreich
Cédric Herrou, einem französischen Olivenbauern, wurde im August 2018 vorgeworfen, über 200 Migrant*innen bei der sog. illegalen Einreise geholfen zu haben. Ein französisches Gericht hat nun aber alle Anklagepunkte gegen den zu einem Symbol des „Verbrechens der Solidarität“ [délit de solidarité] gewordenen Bauern fallen gelassen. Dies geschah, obwohl der Staatsanwalt im März meinte, dass Herrou sich „entschieden hatte, im wahrsten Sinne des Wortes ein Gesetzloser zu sein“ und „nicht nur humanitäre Motive, aber auch politische und ideologische Forderungen hatte.“ Den Entscheid, Cédric Herrou für straflos zu erklären, begründete das Berufungsgericht damit, dass sich sein Handeln vom verfassungsmässigen Brüderschaftsprinzip [principe de fraternité] ableiten lässt, nämlich von der „Freiheit, anderen zu humanitären Zwecken zu helfen, unabhängig von der Rechtmässigkeit seines oder ihres Aufenthalts im Staatsgebiet“
https://www.infomigrants.net/fr/post/24730/la-justice-relaxe-cedric-herrou-symbole-de-l-aide-citoyenne-aux-migrants
https://www.lemonde.fr/immigration-et-diversite/article/2018/07/06/aide-aux-migrants-le-conseil-constitutionnel-consacre-le-principe-de-fraternite_5326929_1654200.html
https://www.theguardian.com/…/french-court-scraps-olive-far…
04.05.20
Tschüss Lex-Fahrende
Letzte Woche hat sich das Bundesgericht gegen die „Lex Fahrende“ im Berner Polizeigesetz ausgesprochen. Fahrende Minderheiten dürfen auch künftig nicht ohne entsprechende Verfügung und rechtliches Gehör innert kürzester Frist weggewiesen werden. Das Berner Polizeigesetz hätte vorgesehen, dass Personen, die ein Grundstück ohne Erlaubnis der Besitzenden als Halteplatz nutzen, ohne rechtliches Gehör und entsprechende Verfügung weggewiesen werden dürfen und eine polizeiliche Räumung innerhalb von 24 Stunden erfolgen darf. Der Artikel schaffte ein Sondergesetz, welches lediglich auf eine bestimmte Personengruppe und Lebensweise abzielte und diese gegenüber anderen ungleich behandelte. Unter anderem deshalb haben die Demokratischen JuristInnen Bern (DJB), die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) sowie weitere Organisationen und Privatpersonen im März 2019 gemeinsam beim Bundesgericht eine Beschwerde eingereicht.
Letzte Woche hat das Bundesgericht nun entschieden, dass die Lex-Fahrende aus dem Berner Polizeigesetz zu streichen sei. Aufgrund der kurzen Frist würden die aufschiebende Wirkung und jegliche Verfahrensgarantien genommen. Zudem sei das Gesetz nicht mit dem Recht auf Privat- und Familienleben vereinbar. Die SVP lässt sich das natürlich nicht gefallen und reagiert prompt: Die Abstimmung um den Transitplatz in Wileroltigen müsse wiederholt werden, weil sich die Menschen nur für einen solchen ausgesprochen hätten, weil er eine Relevanz für die antiziganistische Lex-Fahrende besitzt: Vorgesehen war nämlich, dass Fahrende nur weggewiesen werden können, wenn ihnen im Kanton ein Transitplatz zur Verfügung steht. Da dieser Zweck des Transitplatzes nun wegfällt, würde die Stimmbevölkerung den Platz in einer wiederholten Abstimmung wohl ablehnen, so die Hoffnung der SVP.
https://www.gfbv.ch/de/medien/medienmitteilungen/berner-polizeigesetz-abfuhr-fuer-lex-fahrende/
27.04.20
Was war eher gut?
Richtungsweisendes Gerichtsurteil in Leipzig
Ein 47-jähriger Asylsuchender aus Kamerun hat vor dem Verwaltungsgericht Leipzig erstritten, dass er nicht länger im Lager in Schkeuditz, Sachsen bleiben muss. Die Abstandsregelungen von 1,5 Metern seien in dem Doppelzimmer à zwei mal zwei Quadratmeter, in dem er untergebracht ist, nicht einzuhalten. Das Offensichtliche ist gerichtlich bestätigt worden. Der Freistaat Sachsen muss nun die Massenunterkünfte auflösen. Mal schauen, was passiert. Wie mit den Menschen verfahren wird. Und ob es auch über die Bundeslandgrenze einen Effekt haben wird.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1135835.corona-und-fluechtlinge-gericht-pocht-auf-einhaltung-von-abstandsregeln-in-asylunterkunft.html
27.04.20
Institutioneller Rassismus bei Administrativhaftentlassungen wegen Corona
Letzte Woche wurden in mehreren Kantonen Menschen aus der Administrativhaft freigelassen. Dies wurde seit Wochen von Organisationen wie den demokratischen Jurist*innen gefordert, da aufgrund von Corona viele Ausschaffungen nicht mehr durchgesetzt werden können und somit der für die Inhaftierung benötigte Haftgrund fehlt. Wegen des im Strafrecht verankerten Rassismus wurden aber nicht alle freigelassen. In Bern beispielsweise wurden nur Migrant*innen freigelassen, denen ausschliesslich der «illegale Aufenthalt» vorgeworfen wird. Menschen, die sich in Administrativhaft befinden, weil sie im Strafvollzug ein Urteil absassen und jetzt wegen der rassistischen Doppelbestrafung ausgeschafft werden sollen, bleiben weiterhin inhaftiert. Weil sie eine «Gefahr für die öffentliche Sicherheit» darstellen würden. Dies ist ein krasses Beispiel von institutionellem Rassismus. Eine Person mit schweizer Pass kann – mit gleicher Begründung – nach Verbüssung der Haftstrafe sehr viel schwieriger weiterhin in Haft behalten werden. WICHTIG: Die Freilassung aus der Administrativhaft erfolgte unseres Wissens nicht automatisch, sondern immer erst nachdem Druck gemacht wurde. Wir empfehlen allen betroffenen Personen ein individuelles Haftentlassungsgesuch einzureichen. Allgemein können die Behörden auch mit folgenden bürgerlichen Argumenten unter Druck gesetzt werden: Wegen des Corona-Virus steht der internationale Flugverkehr. In absehbarer Zeit können Wegweisungen nicht oder sehr erschwert vollzogen werden. Deshalb müssen gestützt auf die Art. 78 Abs. 6 lit a, Art, 80 Abs. 6 lit. a und Art. 80a lit. Abs. 7 lit. a AIG sämtliche Insass*innen in ausländerrechtlicher Administrativhaft von Amtes wegen sofort entlassen werden.
https://www.nau.ch/news/schweiz/kanton-bern-muss-14-ausschaffungshaftlinge-freilassen-65695147
https://www.bernerzeitung.ch/statt-ausgeschafft-ploetzlich-frei-380337277132
https://www.20min.ch/schweiz/news/story/Kanton-Bern-laesst-Auszuschaffende-frei-20714139
https://www.blick.ch/news/schweiz/bern/keine-rueckfuehrung-wegen-corona-14-ausschaffungs-haeftlinge-freigelassen-darunter-drei-verurteilte-drogendealer-id15850656.html
27.04.20
Neue institutionelle Einschätzungen zur Diskriminierung in Camps bleiben folgenlos
Insgesamt acht Geflüchtete können das Lager Moria verlassen und müssen „menschenwürdig“ untergebracht werden. Das haben die Organisationen Pro Asyl und Refugee Support Aegan (RSA) vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erstritten. Ein enormer Aufwand steht hinter der Hilfe für Einzelpersonen: Ausführliche medizinische Gutachten müssen verfasst werden, während der Zugang ins Camp und die medizinische Versorgung vor Ort nahezu unmöglich sind. Umfassende Dokumentationen müssen juristisch nachweisen, dass die Personen besonders vulnerabel sind. Karl Kopp von Pro Asyl nennt es einen „Ausdruck einer niederträchtigen Asylpolitik“, dass es nur auf juristischem Wege möglich ist, Grundrechte für Menschen zu erstreiten. Diese „Erfolge“ für Einzelpersonen werden keine Auswirkungen auf die verbleibenden Tausenden Menschen in den Camps haben. Ähnlich ist die Lage in den ungarischen Lagern, in denen ebenfalls immer wieder die Versorgung mit Lebensmitteln für Geflüchtete juristisch erstritten werden muss. Der Generalanwalt des europäischen Gerichtshofs meint zum ungarischen Lager Röszke nun zudem, dass „die Bewegungsfreiheit der Menschen in so hohem Mass eingeschränkt [sei], dass es sich um Haft handele“. Die Argumentation der ungarischen Regierung, sie sei nicht für die Versorgung der dort lebenden Menschen verantwortlich, ist damit erneut hinfällig. Ungarn gibt an, die Menschen könnten das Lager jederzeit nach Serbien verlassen – allerdings verlieren sie dann ihr Recht auf ein Asylgesuch. Der Generalanwalt machte im Gutachten auch deutlich, dass Ungarn die Bearbeitung der Asylanträge nicht mit dem Hinweis ablehnen dürfe, die Betroffenen seien durch ein sicheres Transitland (Serbien) gekommen. Ob der Europäische Gerichtshof dem nicht bindenden Gutachten folgt, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Vor kurzem waren Polen, Ungarn und Tschechien vom Europäischen Gerichtshof verurteilt worden, da sie sich 2015 nicht an der anteiligen Aufnahme von 160.000 Geflüchteten beteiligt hatten. Auch das blieb ohne Folge.
https://www.proasyl.de/pressemitteilung/menschenrechtsgerichtshof-zwingt-griechenland-fluechtlinge-aus-dem-hotspot-moria-menschenwuerdig-unterzubringen-und-medizinische-behandlung-sicherzustellen/
https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-04/fluechtlingsunterkunft-transitlager-ungarn-rechtswidrige-lebensbedingungen
https://www.spiegel.de/politik/ausland/ungarn-eugh-gutachter-nennt-transitlager-fuer-asylbewerber-rechtswidrig-a-21582bd5-9032-4e0f-a35c-b4a1de3c157a
13.04.20
Widerstand angesichts der Normalisierung der Willkür oder: Wenn plötzlich zu viele Menschen von einem Recht Gebrauch machen könnten, schaffen wir es besser schnell wieder ab
Im Moment zeigt sich oft die Situation, dass linke Strukturen für gewisse Minimalstandards kämpfen, die ursprünglich von nationalstaatlich denkenden Akteur*innen geschaffen wurden. Gerade im Migrationsregime zeigt sich dies relativ deutlich. Zivilgesellschaftliche Strukturen, die dann als «linksradikal» kriminalisiert werden, müssen dafür kämpfen, dass z.B. Menschen überhaupt noch Zugang zu Asylverfahren erhalten, dass die Rechtsweggarantie gegeben ist, dass keine illegalen Push-backs von Geflüchteten stattfinden – weil nationalstaatliche Akteur*innen von ihren eigenen Regeln abweichen. Die Grenze des Mach- und Sagbaren verschiebt sich dauernd nach rechts. Plötzlich sind ehemals bürgerlich nationalistische Positionen linke Positionen. Doch wo kommen wir hin, wenn selbst linke Zusammenhänge für «faire» Asylverfahren kämpfen? Wer führt dann die Kämpfe, die sich grundsätzlich gegen das Asylregime richten, weil sie die Bewegungsfreiheit für alle fordern, ohne Eintrittsprüfungen und -bedingungen?
Jedenfalls werden in den nächsten Wochen einmal mehr linke Strukturen für eine sich selbst auferlegte Regel der Dublin-Staaten kämpfen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Deutschland (BAMF) hat nämlich diese Woche entschieden, die Überstellungsfrist in den Dublin-Verfahren auszusetzen. Die Überstellungsfrist ist eine der Grundprinzipien der Dublin-III-Verordnung und sagt, dass eine Person im aktuellen Dublin-Mitgliedsstaat bleiben kann und Zugang zu einem Asylverfahren erhält, wenn sie nicht innerhalb von sechs Monaten in denjenigen Dublin-Staat ausgeschafft wird, in dem die Person ihre Fingerabdrücke abgeben musste bzw. erstmals registriert wurde. Die Regel wurde dafür geschaffen, dass Betroffene nach einer bestimmten Zeit endlich eine minimale Rechtssicherheit erhalten und nicht während des gesamten Asylverfahrens damit rechnen müssen, ausgeschafft zu werden.
Seit Corona könnten plötzlich relativ viele Menschen von dieser Regel «profitieren», weil im Moment keine Dublin-Ausschaffungen stattfinden. Somit überschreitet bei vielen Menschen ihre Zeit in Deutschland die 6-Monate-Frist. Dadurch sollten sie laut Dublin-Verordnung in Deutschland bleiben dürfen. Doch hier zeigt sich das Verlogene an europäischer Rechtsstaatlichkeit. Das Rechtssystem ist nicht neutral, es ist nicht «fair» und es ist vor allem nicht unveränderbar, wie es von sich selbst behauptet. Verändern können es die Mächtigen, wenn es ihnen nicht mehr passt und das tun sie jetzt, weil die Menschen, die sie unterdrücken wollen, von ihren Alibi-Regeln profitieren könnten. Darum haben sie die Überstellungsfrist kurzum ausgesetzt. Geflüchtete im Dublin-Verfahren können sich jetzt also nach sechs Monaten nicht mehr sicher sein, dass sie nicht ausgeschafft werden, sondern müssen ständig damit rechnen. Und das möglicherweise über eine längere Zeit, denn wer weiss schon, wie lange sich die Corona-Situation noch hinzieht. Nebst der Aussetzung der Überstellungsfrist wird auch gleich die bereits in Deutschland verbrachte Zeit gelöscht. Wenn also eine Person vor Corona bereits 5 Monate in Deutschland durchgehalten hat, wird ihr Zeitzähler nach der Aussetzung der Überstellungsfrist wieder auf null gesetzt.
Weil Nationalstaaten in Konkurrenz zueinander stehen, wollen sie auf keinen Fall bessere Bedingungen für gesellschaftlich diskriminierte Gruppen schaffen als ihre Nachbar*innen. Darum rechnen wir damit, dass die schweizer Regierung und weitere Dublin-Staaten in den nächsten Wochen nachziehen werden.
https://www.proasyl.de/news/aussetzung-der-dublin-fristen-erst-chaos-dann-klagewelle/
06.04.20
Inhaftierung Geflüchteter in Griechenland landet vor dem Menschengerichtshof
Die NGOs Pro Asyl und Refugee Support Aegean unterstützen 20 der Personen juristisch, die sich auf dem Militärschiff vor Lesbos befanden. Mitte März wurden sie mit einem Rückführungsbescheid in das Haftlager Malakasa auf dem Festland verlegt, von wo aus sie ohne Asylverfahren in die Türkei abgeschoben werden sollen. Die Haftbedingungen in Malakasa sind so unwürdig, dass sie sogar von der örtlichen Polizeigewerkschaft angeprangert werden. Unter Corona sei zu befürchten, dass sich das Lager zu einer »Brandbombe entwickelt, da grundlegende sanitäre Schutzmassnahmen fehlen (Toiletten, Sauberkeit, Masken, Handschuhe, Anzahl der in Zelten wohnenden Personen usw.)«. Die Menschen sind seit ihrer Ankunft in Griechenland ohne Rechte. Umso wichtiger ist es, dass es Pro Asyl und Refugee Support Aegean nun gelungen ist, Mandate für die Rechtsvertretung zu erlangen. Der Fall zweier Jugendlicher, die ohne Wahrung der Kinderrechte in Malakasa inhaftiert sind, ist nun vor dem Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg hängig.
https://www.proasyl.de/news/kriegsschiff-voller-fluechtlinge-von-lesbos-nach-malakasa-und-jetzt-nach-strassburg
Trotz Kritik an fehlenden Corona-Massnahmen lässt KKS im Asylsystem alles beim Alten
Nachdem an den bundesrätlichen Corona-Massnahmen im Asylverfahren mehrere Wochen lang laute Kritik geäussert wurde, sah sich Karin Keller-Sutter (KKS) wohl doch gezwungen, so zu tun, als würde sie etwas dagegen unternehmen. Diese Woche reagierte sie auf die Forderungen: Dass im Moment aufgrund des fehlenden Rechtsschutzes keine negativen Asylentscheide getroffen werden sollen, findet sie nicht nötig. Sie reagiert lediglich mit einer Erhöhung der Beschwerdefrist von 7 auf 30 Tagen in den beschleunigten Verfahren. Aus ihrer Sicht können Asylinterviews auch gut auch ohne rechtlichen Beistand geführt werden.Diese Massnahme wird die Situation kaum verbessern. Erstens bringt in der Abwesenheit von rechtlichem Beistand auch eine verlängerte Beschwerdefrist nichts und zweitens gilt die Massnahme ausschliesslich für die beschleunigten Verfahren. Bei Dublin und erweiterten Verfahren gelten somit die üblich kurzen Beschwerdefristen. Statt die sonst überall angeordneten Gerichtsferien auch auf das Asylwesen auszudehnen, wird jetzt also gerade mal in ca. der Hälfte aller Verfahren die Beschwerdefrist ausgeweitet, die dann aber von keinem Rechtsbeistand ausgenutzt werden kann. Noch heuchlerischer als die Massnahme selbst sind deren Begründungen: (1) „Menschen, die auf den Schutz unseres Landes angewiesen sind, sollen diesen auch in der aktuellen Situation rasch erhalten.“ Das sollte kein Problem sein, da ja auch nie gefordert wurde, keine Menschen mehr aufzunehmen, sondern lediglich, kein Menschen mehr abzuweisen. (2) „Eine Sistierung der Asylverfahren würde ausserdem zu Kapazitätsproblemen in den Bundesasylzentren (BAZ) führen und die Einhaltung der vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) empfohlenen Hygiene- und Verhaltensmassnahmen zur Bewältigung der Coronakrise in Frage stellen. Die Gesundheit aller am Asylsystem beteiligten Personen hat oberste Priorität.“ – Die Grenzen sind zu. Es kommen keine neuen Menschen. Wir sehen nicht wirklich ein Kapazitätsproblem. Ausserdem: Von welchen Corona-Massnahmen für die Menschen, deren Gesundheit angeblich oberste Priorität hat, spricht sie genau? Bis jetzt werden Asylsuchende immer noch in Asyllagern untergebracht, statt sie in Wohnungen oder momentan sowieso leerstehenden Hotelzimmern unterzubringen und sind so überhaupt nicht vor einer Ansteckung mit dem Virus geschützt. Der einzige Vorschlag, den der Bundesrat macht, sind alte Militärbunker zu nutzen. In seiner Logik gehören wohl Geflüchtete einfach eher in unterirdische Bunker als in Hotels. Auf die Forderung, keine Ausschaffungen mehr durchzuführen und Menschen aus der Ausschaffungshaft zu entlassen, reagiert KKS gar nicht. Einzige Massnahme: Weil es im Moment nicht ganz so einfach ist, aus einem Pandemiegebiet wie der Schweiz auszureisen, können die geltenden Fristen für „freiwillige Ausreisen“ weggewiesener Asylsuchender auf 30 Tage verlängert werden.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-78646.htmlhttps://www.tagesanzeiger.ch/kritik-an-neuen-asylregeln-959546376381
https://www.fluechtlingshilfe.ch/medien/medienmitteilungen/2020/covid-19-anpassungen-bei-asylverfahren-rechtsschutz-muss-stets-garantiert-sein.html
30.03.20
15% der negativen Asylentscheide sind nicht korrekt
Asylverfahren können per Definition nicht „fair“ sein. Niemals und unter keinen Umständen wollen wir es jemals als fair bezeichnen, wenn irgendeine Behörde darüber entscheiden kann, ob eine Person hier leben darf oder zurück in das Land muss, in welchem sie offensichtlich nicht mehr leben will. Asylverfahren können höchstens formal-rechtlich korrekt oder nicht ablaufen. Der neuste Bericht des Bundesverwaltungsgerichts (BVGer) zeigt, dass ein grosser Teil der in der Schweiz getroffenen Asylentscheide nicht korrekt abläuft. Sogar das SVP-domminierte BVGer musste seit der Einführung des neuen Asylgesetzes im März 2019 15 Prozent der Fälle, die durch einen Rekurs vors BVGer gezogen wurden, ans SEM zurückweisen. Bei den Entscheiden nach altem Asylrecht betrug der Anteil 6.5 Prozent. Die Rückweisungen erfolgten in den weitaus meisten Fällen, weil das SEM den Sachverhalt nicht hinreichend festgestellt hatte. Dies betraf in erster Linie den Asylgrund. Zweithäufigste Ursache war, dass das SEM die medizinischen Probleme der Asylsuchenden zu wenig abgeklärt hatte. Diese Zahlen zeigen, dass es im Falle eines negativen Entscheides enorm wichtig ist, Rekurs dagegen einzulegen, da die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass das SEM formal inkorrekt entschieden hat. Die Frist für einen Rekurs ist unter dem neuen Asylgesetz mit nur 5 bis 7 Arbeitstagen enorm kurz. Bereits unter „normalen“ Bedingungen ist es fraglich, ob die Rechtsweggarantie hier noch gegeben ist, da es schwierig ist, in einer so kurzen Zeit juristische Unterstützung für einen Rekurs zu finden. Unter Corona hat sich die Situation nochmals enorm verschlechtert, da der Zugang zu Fürsprechenden und Rechtsvertretungen nicht mehr gegeben ist. Dies hat zur Folge, dass Asylsuchende in der momentanen Situation einen Negativentscheid kaum mehr anfechten können. Trotz dieser Tatsache, laufen die Asylverfahren im Moment ganz normal weiter und es sei laut SEM nicht vorgesehen, irgendetwas daran zu ändern. Mehrere NGOs und Basisorganisationen üben seit Wochen Kritik an diesem Vorgehen und fordern, dass entweder momentan keine negativen Asylentscheide getroffen werden dürfen oder dass die Beschwerdefristen während der Corona-Massnahmen stillstehen. Unterschreibe den folgenden Appell oder überlege dir andere Wege, dagegen zu protestieren.
https://riseagainstborders.org/2020/03/20/appeal-to-the-federal-council-and-the-sem-appell-an-den-bundesrat-und-ans-sem/
https://www.bvger.ch/bvger/de/home/medien/medienmitteilungen-2019/mm-asylbilanz-0320.htm
16.03.20
KKS will immer noch kein Asylentscheidmoratorium wegen Corona
Bundesrätin Karin Keller-Sutter (KKS) weigert sich, das längst überfällige Moratorium für Asylentscheide zu erlassen. Derweilen trifft und tangiert das Corona-Virus alle. Auch alle Asylsuchenden, alle Asylbehörden, alle Gratisanwält*innen in den Camps sowie alle anderen (Rechts)Beratungs- und Anlaufstellen. Beratungsstellen haben ihre Beratungsangebote stark reduziert oder ausgesetzt. Der Rechtsschutz in den Bundesasylcamps wird folgen. Gratisanwält*innen fallen aus oder erkranken während eines laufenden Mandats und können es nicht korrekt beenden. Asylsuchende können sich deshalb nicht oder nur alleine gegen allfällig negative Asylentscheide wehren. KKS und ihre Behörden nehmen somit das Risiko in Kauf, die „Rechtsweggarantie“ für Geflüchete nicht mehr zu gewährleisten. So viel zur derzeit hoch gelobten und geforderten Corona-Solidarität.
http://freiplatzaktion-basel.ch/entscheidmoratorium/?fbclid=IwAR0iYFoK0GXRC89Wh9KDpAndrl0BkK0Tk8dHCAiyxQ_8cYiltZ5uRVDE9do
2. Februar 2019
schweizer Behörden verstossen gegen Refoulement-Verbot
Die schweizer Behörden schieben – mit Verweis auf die Dublin-Verordnung – immer wieder Menschen nach Italien ab. Dies obwohl klar ist, dass Geflüchtete dort oft keine angemessene Unterstützung erhalten.
Nun wurde die schweiz in einem solchen Fall verurteilt, weil ihre Praxis gegen die Antifolterkonvention verstösst. Die schweizer Behörden haben eine schwer traumatisierte Person, die in Äthiopien gefoltert wurde, nach Italien abgeschoben, obwohl klar war, dass die Person dort nicht ausreichend unterstützt würde. Laut dem UNO-Ausschuss für Folter hätte die Schweiz die Person aufnehmen und medizinisch behandeln müssen. Ob dieses Urteil die grausame Praxis der schweizer Behörden verändern wird, bleibt aber fraglich.
https://www.fluechtlingshilfe.ch/medien/medienmitteilungen/2019/schweiz-verstoesst-gegen-refoulement-verbot.html
20. Januar 2019
Gericht verurteilt zwei Mitglieder der Jung-SVP wegen Rassismus
In ihrem antiziganistischen Kampf gegen Fahrende schreckt die SVP vor nichts zurück. Nils Fiechter und Adrian Spahr der jung-SVP mussten sich deshalb vor Gericht verantworten. Auf einem Plakat hatten sie pauschalisierende, herabsetzende Bilder von Fahrenden verwendet, um gegen diese zu hetzen und einen geplanten Transitplatz in der Gemeinde Wileroltigen zu verhindern. Die Illustration zeigt einen Schweizer in Sennentracht, der sich vor einem Abfallhaufen einer Wohnwagensiedlung die Nase zuhält. «Wir sagen Nein zu Transitplätzen für ausländische Zigeuner» war auf dem Plakat zu lesen.
Das Gericht verurteilte Fiechter und Spahr zu bedingten Geldstrafen von je 30 Tagessätzen. Fiechter, der beim kantonalen Amt für Sozialversicherungen arbeitet, muss 3300 Franken bezahlen. Spahr, der für die Kantonspolizei Basel-Stadt arbeitet, bezahlt eine Busse von 3600 Franken.
https://www.tagesanzeiger.ch/schwei…
6. Januar 2019
Luzerner Gericht hebt Bewegungsverbote gegen Geflüchtete auf
Im Kanton Luzern stehen derzeit knapp 100 Migrant*innen unter Bewegungsverboten, die die Betroffenen auf ein bestimmtes Gebiet eingrenzen oder aus Gebieten aussperren. Im Juni wurde etwa ein junger Mann aus dem Kanton Luzern verbannt, da er zuviel getrunken habe. In diversen solchen Fällen mussten die Gerichte schon intervenieren und die Entscheide aufheben. Das Luzerner Amt für Migration (Amigra) wurde für ihre Praxis schon mehrfach scharf kritisiert, zuletzt auch vom Bundesgericht. Der Fall eines Tibeters, der für unbestimmte Zeit die Stadt Luzern nicht verlassen durfte, gab dafür den Anstoss. Der Leiter des Amtes legitimiert diese menschenfeindliche Praxis mit dem Verweis darauf, dass abgewiesene Asylsuchende so zu einer Ausreise bewogen werden können. Leider findet man solche Praktiken sogar im „linken“ Lager. SP-Regierungsrat Mario Fehr genehmigte als Sicherheitsdirektor des Kanton Zürichs ähnliche Bewegungsverbote.
https://www.zentralplus.ch/de/news/gesellschaft/5584099/Nach-R%C3%BCge-des-Gerichts-Amt-f%C3%BCr-Migration-passt-Praxis-an.htm
30. Dezember 2018
Bundesgericht hebt ein Urteil gegen einen Genozid-Leugner auf
Srebrenica sei eine propagandistische Lüge. Das schrieb ein Autor 2012 in einem Zeitungsartikel, indem der Genozid geleugnet wird, dem 1995 mehr als 8000 bosnische Muslim*innen zum Opfer fielen. Ein Gericht im Tessin sprach den Autor wegen mehrfacher Rassendiskriminierung schuldig. Nun revidiert das Bundesgericht dieses Urteil. Der Tatbestand der „Leugnung von Völkermord“ sei zwar erfüllt, doch weil sich der Autor im Rahmen einer aktuellen Debatte zur jüngeren Geschichte äussere, sei das Recht auf freie Meinungsäusserung höher zu gewichten. Eine Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit erscheine in solchen Fällen in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig, so das Bundesgericht.
https://www.nzz.ch/schweiz/rassendiskriminierung-bundesgericht-hebt-verurteilung-auf-ld.1447657?mktcid=nled&mktcval=106&kid=_2018-12-27
21. Dezember 2018
Abschiebungen: Schweizer Behörden verstossen gegen UN Anti-Folter-Konvention
Der UN-Ausschuss gegen Folter entschied in einem Urteil vom 7. Dezember 2018, dass die schweizer Behörden mit der Abschiebung eines Geflüchteten aus der Schweiz nach Eritrea gegen die Anti-Folter-Konvention (CAT) der Vereinten Nationen verstösst. Der UN-Ausschuss fordert nun die schweizer Behörden auf, den Fall erneut zu prüfen, unter Berücksichtigung der Risiken, denen die Person im Falle einer Abschiebung ausgesetzt wäre. Es ist nicht das erste Mal, dass die schweizer Behörden mit ihrer unmenschlichen Abschiebepraxis gegen die Anti-Folter-Konvention verstossen (siehe hier: https://www.humanrights.ch/de/menschenrechte-schweiz/uno/antifolterkonvention/cat-pos/antifolterkonvention-individualbeschwerdeverfahren).
https://migrant-solidarity-network.ch/2018/12/19/info-die-schweiz-hat-in-einem-entscheid-nach-eritrea-auszuschaffen-gegen-die-anti-folter-konvention-der-uno-verstossen/?fbclid=IwAR1yQW4bCZebQQL9yHJHayVfkg5xypWYVHCLf21uhTIBNQV4tU2YWR53JX0
http://centre-csdm.org/la-suisse-a-viole-la-convention-contre-la-torture-dans-une-decision-de-renvoi-vers-lerythree/
http://centre-csdm.org/wp-content/uploads/2018/12/M.G.-c.-Suisse-Communication-n%C2%B0-811_2017-CSDM.pdf
https://www.amnesty.ch/de/laender/europa-zentralasien/schweiz/dok/2018/uno-ausschuss-gegen-folter-ruegt-die-schweiz#
Verurteilter Spanier wird nicht ausgeschafft
Erstmals nach der Annahme der Ausschaffungsinitiative wird die Härtefallklausel angewandt. Ein Spanier, der in der Schweiz geboren wurde und hier zwei Kinder hat, wird nach einem Entscheid vom Bundesgericht nicht ausgeschafft. Obwohl die von ihm begangene Straftat des Raubes automatisch zur Auschaffung führen würde, griff in diesem Fall die Härtefallklausel, da die Person gut integriert und immer einer Arbeit nachgegangen sei. Im Angesicht dieser erstmaligen Anwendung der Härtefallklausel, zwei Jahre nach der Einführung des obligatorischen Landesverweises, muss festgestellt werden, dass das SVP-Gejammer bezüglich einer zu laschen Anwendung ihrer Ausschaffungsinitiative völlig unbegründet war. Gesamtschweizerisch werden jährlich immer noch die hohe Zahl von 500 bis 800 Personen aufgrund einer Straftat ausgeschafft. Jede dieser Ausschaffungen stellt eine rassistische Doppelbestrafung dar, zuerst die Haft, dann die Ausschaffung, welche Schweizer*innen, die für die selben Straftaten verurteilt wurden, nicht trifft.
https://www.derbund.ch/schweiz/standard/erster-haertefall-spanier-wird-nicht-des-landes-verwiesen/story/17321863
https://www.nzz.ch/schweiz/haertefall-regelung-bundesgericht-konkretisiert-die-anwendung-ld.1446348?mktcid=nled&mktcval=106&kid=_2018-12-20
13. Juli 2018
Urteil gegen Geflüchtete aus Eritrea
Am Montag unterzeichneten der Staatschef Eritreas und der Ministerpräsident Äthiopiens einen Friedens- und Freundschaftsvertrag. Er soll die jahrzehntelange Feindschaft zwischen den beiden Staaten beenden. Anstelle auf eine Verbesserung der Lebensgrundlage in den beiden Ländern zu hoffen, titelt der TagesAnzeiger zynisch: „Eine historische Chance. Wir müssen Äthiopien und Eritrea beim Frieden helfen – schon aus Eigennutz.“ Nebst dem Tagi-Journi handeln auch die Herrschenden der Schweiz einmal mehr aus Eigennutz. Anstelle dass sie den Menschen aus dem autoritären Staat Asyl bieten, verschärfen sie schon wieder die Praxis gegenüber eritreischen Asylsuchenden: St. Galler Richter*innen haben in einem Grundsatzentscheid festgehalten, dass die Wegweisung von abgewiesenen Asylsuchenden nach Eritrea nicht generell unzumutbar sei – selbst wenn ihnen dort die Einberufung in den Nationaldienst droht. Zur Erinnerung: Bereits 2016 beschloss das SEM, dass Menschen aus Eritrea, die das Land illegal verlassen, in der Schweiz nicht automatisch als Geflüchtete aufgenommen werden. Bleibt nur noch zu hoffen, dass die Schweiz den Friedensvertrag zwischen Äthiopien und Eritrea nicht zum Anlass nimmt, weitere Verschärfungen gegenüber eritreischen Staatsangehörigen vorzunehmen. Denn der Frieden zwischen den beiden Staaten ändert nichts an der miserablen Menschenrechtslage in Eritrea.
Welche grausamen Auswirkungen eine Abschiebung von Menschen in ihre Herkunftsländer haben kann, zeigte sich letzte Woche einmal mehr: Nachdem 69 Personen im Auftrag von Deutschlands Innenminister Horst Seehofer nach Afghanistan ausgeschafft wurden, nahm sich einer davon das Leben.
https://www.nau.ch/nachrichten/schweiz/2018/07/12/eritrea-urteil-wird-von-schweizerischer-fluchtlingshilfe-kritisiert-65368873
https://www.bvger.ch/bvger/de/home/medien/2018/asylwesen–weiterer-gerichtsentscheid-zur-rueckkehr-nach-eritrea.html