Rassistische Wissensproduktion

27.07.20
Wie Antirassismus und Technologiekritik zusammenhängen
In Deutschland besteht seit 2005 die Pflicht, für amtliche Dokumente ein biometrisches Passfoto vorzulegen. Seit mehreren Jahren ist aber bekannt, dass die in den Ämtern stehenden offiziellen Fotoautomaten der deutschen Bundesdruckerei Schwarze Menschen regelmässig nicht erkennen und für jene dementsprechend keine brauchbaren Bilder erstellen können. Oft müssen diese Personen weiteren Aufwand betreiben, um für herkömmliche Dokumente normgerechte Fotos von sich vorlegen zu können.
Nachdem die taz die deutsche Bundesdruckerei – das „Sicherheitsunternehmen des Bundes“, das mit „Dienstleistungen und Technologien für den Schutz sensibler Daten und Infrastrukturen“ sorgt – kontaktiert hat und von solch einem Fall in Hamburg informiert hat, wies diese jeglichen Diskriminierungsvorwurf ab, obwohl dieses Phänomen in Deutschland schon mehrmals aufgezeigt wurde: Die Automaten gehörten zu den modernsten des Welt und würden nicht nach Hautfarbe unterscheiden sondern seien von der Qualität der jeweiligen Beleuchtungssituation abhängig. Zusätzliche kenne das optische System genauso wenig Rassismus wie die Bundesdruckerei.
Wer kurz im Internet nachforscht, findet rasch ähnliche Geschichten aus der ganzen Welt, die schon seit über fünfzehn Jahren von Journalist*innen und Aktivist*innen thematisiert werden. Wie modern ein System denn auch sein mag, es wird immer denjenigen Rassismus widerspiegeln, den seine Entwickler*innen inne hatten: bei der Biometrie wird Technologie mit einem Datensatz entwickelt, der vor allem weisse Menschen repräsentiert und Menschen, die von der Norm des Weiss-Seins abweichen im alltäglichen Einsatz nicht erkennen kann, da sie dafür ungenügend mitgedacht wurden. Mehrere Studien belegen dieses rassistische Charakteristikum von Technologie. Das Massachussets Institute of Technology zeigte 2018 zum Beispiel auf, dass die Datensätze, die die Gesichtserkennungssysteme der Marktleader Microsoft, IBM und MEGvii of China nährten, zu 77% aus männlich gelesenen Menschen und zu 83% aus weissen Personen bestehen. Weisse Männer wurden von jenen zu 99.2% richtig von den Systemen erkannt, Schwarze Frauen aber nur zu 65.3%. Dass 2016 in den zehn grössten Technologiekonzernen des Siliconvalley nicht eine einzige Schwarze Frau und bei drei davon überhaupt gar keine Schwarze Person arbeitete, half wohl auch nicht gerade dabei, ausserhalb der weiss-männlichen hegemonialen Norm zu denken.
Bei diesem Thema geht es aber um weit mehr, als lästige Mehraufwände bei den einfachsten staatsbürgerlichen Verfahren für Schwarze Menschen: die rassistischen Tendenzen der Entwickler*innen von Technologie und der Behörden, gekoppelt mit dem strukturellen und lebensgefährlichen Rassismus in der Gesellschaft, kann ganze Leben ruinieren. So wurde in der USA diesen Juni ein unschuldiger Schwarzer Mann festgenommen, weil eine mit künstlicher Intelligenz ausgestatte Überwachungskamera ihn mit einem anderen Schwarzen Mann verwechselte. Antirassismus muss in diesem Sinne auch kritisch technologische Entwicklungen beobachten, repräsentieren diese ja meistens die Interessen derer, die in sie investieren und schlussendlich von ihr profitieren.
https://taz.de/Rassismus-im-Bild/!5700872/
https://metro.co.uk/2020/04/01/race-problem-artificial-intelligence-machines-learning-racist-12478025/https://www.raconteur.net/technology/biometrics-ethics-biashttps://www.nytimes.com/2020/06/24/technology/facial-recognition-arrest.htmlhttps://taz.de/Rassismus-im-Bild/!5700872/

21.07.20
Migration in den Medien: Ein verzerrtes Bild
Wie verzerrt das Bild von Menschen mit Migrationsgeschichte in den Medien ist, verdeutlicht eine jüngst veröffentlichte Studie vom ‚Mediendienst Integration‘. Untersucht wurden die sechs auflagenstärksten überregionalen Zeitungen in Deutschland sowie die acht reichweitenstärksten TV-Sender. Menschen, die migriert oder geflohen sind, kommen nur in 12,3 Prozent der Medienberichte über Flucht und Migration selbst zu Wort. Mehr als 25 Prozent besagter Berichte handeln von Gewalttaten, bei denen Menschen, die migriert oder geflohen sind, als tatverdächtig gelten. Im TV werden diese Gewalttaten 19-mal so häufig genannt, als dass es der tatsächlichen Statistik entspräche, in den Zeitungen sogar 32-mal so häufig. Gewalttaten gegen Menschen mit Migrationsgeschichte finden nur in 2,9 Prozent der untersuchten Berichten Erwähnung. Die Nennung der Staatsangehörigkeit von Tatverdächtigen in der Medienberichterstattung kehrt zudem die Polizeistatistik komplett um. So zeigt diese, dass in den Jahren 2018/2019 69,4 Prozent aller Tatverdächtigen einen deutschen Pass hatten und 30,6 Prozent keinen deutschen Pass. In den Medien allerdings wird die deutsche Staatsangehörigkeit im gleichen Zeitraum nur in 2,9 Prozent der Fälle erwähnt. Nicht-deutsche Staatsangehörigkeit zu 41,2 Prozent. In 55,9 Prozent der Berichte bleibt die Staatsangehörigkeit unbestimmt. Die Praxis, Staatsangehörigkeiten von Tatverdächtigen überhaupt zu erwähnen, hat sich von 2014 bis 2017 fast vervierfacht, dann von 2017 bis 2019 wiederum fast verdoppelt, trotzdem bleiben die mehrheitlich deutschen Tatverdächtigen weiterhin unerwähnt. Die mehrfache Verzerrung in der untersuchten Medienberichterstattung ist zutiefst rassistisch und bildet den Nährboden für andauernde rechte Hetze.
https://mediendienst-integration.de/artikel/migration-in-den-medien-ein-verzerrtes-bild.html
https://mediendienst-integration.de/artikel/wie-oft-nennen-medien-die-herkunft-von-tatverdaechtigen.html
https://mediendienst-integration.de/fileadmin/Expertise_Hestermann_Herkunft_von_Tatverdaechtigen_in_den_Medien.pdf

22. April 2019
EU-Parlament beschliesst Biometrie-Superdatenbank
Ein Prestigeprojekt von Ex-Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und EU-Sicherheitskommissar Julian King hat das EU-Parlament am Dienstag befürwortet. Ziel ist es, unter anderem das Schengen-Informationssystem (SIS) mit rund 80 Millionen Einträgen, das Visa-Register (VIS) oder die Eurodac-Datei, in der vor allem Fingerabdrücke von Asylbewerbern gespeichert werden, über ein Suchportal zu verknüpfen. Dazu kommen werden etwa das neue Ein- und Ausreisesystem zur biometrischen Grenzkontrolle (Smart Borders) sowie das Europäische Reisegenehmigungssystem (ETIAS). Ermöglicht werden soll so ein Abgleich der vorhandenen Daten „mit einem einzigen Klick“.
Auch einen übergeordneten „Speicher für Identitätsdaten“ sehen die Abgeordneten vor, eingeschränkt zunächst auf Angehörige von Drittstaaten. Einfließen sollen Informationen wie Geburtsdatum, Passnummer, Fingerabdrücke oder digitale Gesichtsbilder. Dazu kommt ein „gemeinsamer Dienst“ für den Abgleich biometrischer Daten, mit dem anhand von Fingerabdrücken und Gesichtsbildern alle bestehenden Informationssysteme abgefragt werden können.
Das von den EU-Gremien im Februar geschnürte Paket muss noch den Ministerrat passieren, was als Formsache gilt.
https://www.heise.de/newsticker/meldung/Schengen-Ueberwachung-EU-Parlament-beschliesst-Biometrie-Superdatenbank-4400779.html

14. April 2019
1,7 Millionen Franken zur Förderung einer Kolonialsprache.
‚Frankophonie‘ ist eine internationale Organisation zur Förderung der Verwendung der französischen Sprache. In der ‚Francophonie‘ vertreten sind auch zahlreiche Staaten, die von Frankreich kolonialisiert wurden. In diesen Staaten erstickt die französische Sprache lokale Sprachen und Dialekte. In diversen afrikanischen Staaten ist es in Schulen verboten, die Muttersprache zu sprechen. Ab dem ersten Schultag lernen die Kinder mit dieser zu brechen und sind gezwungen eine Fremdsprache zu sprechen. Auch dominiert Französisch in diesen Ländern die mediale Berichterstattung. Auf der Suche nach Informationen zu lokalen Themen sind Millionen von Afrikaner*innen gezwungen, auf französische Medienberichte zurückzugreifen.
Somit fördert die ‚Francophonie‘ nicht nur das Französisch, sondern auch das Fortbestehen der kolonial-rassistischen Wirkung dieser Sprache.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-74638.html


16. Februar 2019

Fremdenfeindliche Polemik auf Inside Paradeplatz: Journalist des Jahres verbreitet Hetzartikel gegen Geflüchtete

Lukas Hässig wurde vom „Schweizer Journalist“ zum Journalist des Jahres erkohren. Nun publiziert er auf seinem Finanzportal „Inside Paradeplatz“ Hetzartikel gegen Geflüchtete. Die Gastautorin Isabel Villalonhat durfte auf dem von Hässig verwalteten Blog üblen Rassismus-Scheiss verbreiten. Hässig kommentiert dies mit „Die Frau kann schreiben und packt mutig heisse ­Eisen an“ und verweist auf die Meinungsfreiheit. Hässig war Wirtschaftsredaktor der peinlich-langweiligen Blätter Finanz und Wirtschaft, Sonntagszeitung, Facts und schrieb für die Weltwoche und Bilanz.
https://www.blick.ch/news/schweiz/fremdenfeindliche-polemik-auf-inside-paradeplatz-journalist-des-jahres-verbreitet-hetzartikel-gegen-fluechtlinge-id15161334.html
https://insideparadeplatz.ch/2019/02/06/50jaehrig-und-ausgesteuert-verbrenne-pass-und-id-und-lerne-arabisch/

27. Januar 2019
Rechte Kaderschmiede in altem Kloster
Benjamin Harnwell (Leiter des ‘Dignitas Humanae Institute’, einer ultrakonservativen Einrichtung) hat für Steve Bannon – ehemaliger Chefstratege von Trump und rechtsradikaler Verschwörungstheoretiker – östlich von Rom ein riesiges Kloster für die nächsten 19 Jahre gemietet, um einen «halb mittelalterlichen Universitätscampus, halb Gladiatorenschule für Kulturkämpfer» zu betreiben.
Bis zu 350 Studierende sollen ab 2020 hier Blockkurse in Philosophie, Wirtschaft, Geschichte und Theologie besuchen. «Selbstverständlich unter einer populistisch-nationalistischen Perspektive. Wir werden das spirituelle Zuhause des Bannonismus sein», erklärt Harnwell stolz.
Während Bannons politische Organisation «Die Bewegung» euroskeptische nationalistische Parteien vor den Europawahlen stärken und zusammenbringen soll, ist das Ziel der Akademie längerfristig gesetzt: Ideologische Scheisse wie Hetze gegen den Islam, heteronormative sexistische Geschlechterverhältnisse, Evolutions-Gegner*innentum und antisemitische Verschwörungstheorien sollen nachhaltig verbreitet werden.
Im kleinen Dorf Callepardo nebenan regt sich Protest, allerdings weniger aus politischen und mehr aus ökonomischen Gründen, weil Tourist*innen das Kloster nun nicht mehr besichtigen können.
https://rabe.ch/2019/01/23/ei-ei-polizei/
https://www.welt.de/politik/ausland/article186936972/Italien-Protest-gegen-Stephen-Bannons-Kaderschmiede-in-Kloster.html
https://www.nzz.ch/international/gladiatoren-fuer-bannon-ein-kloster-am-fusse-des-apennins-soll-zur-kaderschmiede-der-rechtspopulisten-werden-ld.1453687

30. Dezember 2018
Post-migrantische Schweiz: Der lange Weg von der Figur der „Ausländer*in“ zum „Menschen mit Migrationshintergrund“ – same same but different?  
Statistische Kategorien wirken seit jeher als Kontrollmechanismen und schaffen Realität. Ein Beispiel dafür ist der «Ausländeranteil» in der Bevölkerungsstatistik: Seit über hundert Jahren wird mit dieser Grenzziehung zwischen «wir» und «sie» Politik gemacht. Wissenschaftler*innen betonen allerdings schon lange, dass die alten Ausländerstatistiken allein nicht geeignet sind, die plurale Realität heutiger Einwanderungsgesellschaften abzubilden. Sie verweisen zum Beispiel auf Menschen, die in der zweiten und dritten Generation in der Schweiz leben und hier ihre Heimat haben, aber rechtlich «Ausländer*innen» sind.
Da die rechtliche Unterscheidung Inländer*in/Ausländer*in nicht ausreicht, fand in den 2000er-Jahren eine neue, soziologische Kategorie Eingang in die Statistiken: die Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Auch die schweizer Behörden arbeiten mit dieser Kategorie. Der Migrationsstatus einer Person ergibt sich hier durch die Kombination der persönlichen Merkmale «Geburtsland», «Staatsangehörigkeit bei Geburt» und «aktuelle Staatsangehörigkeit» sowie dem Merkmal «Geburtsland der beiden Eltern». Gemäss der aktuellsten BFS-Statistik werden 37,2 Prozent der in der Schweiz lebenden Menschen in diese Kategorie eingeteilt. Von vielen sei die Kategorie des Migrationshintergrunds am Anfang durchaus auch als Fortschritt und Empowerment wahrgenommen worden, als eine Möglichkeit, dazuzugehören, ohne seine Migrationsgeschichte zu verdecken. Faktisch verschiebt sie aber trotz dieser Anfangsbegeisterung schlussendlich einfach die Linie von Inklusion und Exklusion. Ausserdem ist durch die Kategorie des Migrationshintergrunds noch gar nichts über die Position von Menschen in einer Gesellschaft ausgesagt. Deswegen ist die Funktion dieser Kategorien mehr oder weniger dieselbe: Ängste vor Überfremdung schüren und von Menschen geschaffene, willkürliche Kategorien als «natürlich» erscheinen lassen.
Postmigrantische Forschende erklären aber, dass es nicht einfach darum gehe, ‘bessere’ statistische Kategorien zu finden, sondern um die Bekämpfung des politischen Unwillens zur Anerkennung der pluralen Gesellschaft, welche die Schweiz längst sei. Die Idee einer «richtigen Schweizer*in» müsse endlich aufgegeben werden.
https://www.derbund.ch/schweiz/standard/die-vorstellung-wer-schweizer-ist-braucht-ein-update/story/31117171#mostPopularComment
https://de.wikipedia.org/wiki/Postmigrantische_Gesellschaft