21.07.20
Grenzbeamt*innen auf der Balkanroute zerschneiden Hände, erniedrigen Menschen, schieben ab
Das Border Violence Monitoring Network (BVMN) veröffentlichte im Juni 20 Fälle von illegalen Push-backs und dokumentierte die Erfahrungen von 351 Menschen, deren Rechte an der EU-Aussengrenze verletzt wurden. Menschen vor Ort registrierten eine Vielzahl von grausamen und missbräuchlichen Handlungen von Offizier*innen aus mindestens zehn verschiedenen nationalen Behörden. Einige der beschriebenen Entwicklungen der europäischen Grenzpolitik auf der Balkanroute:
- Kroatien: In der Grenzregion verletzten Polizist*innen bei Push-backs Geflüchtete mit Messerschnitten in die Hände. Dies geschieht zur Abschreckung gezielt vor den Augen anderer Geflüchteter und auch die bleibenden Narben sollen in die Camps getragen werden. Des weiteren gab es mehrere Fälle von Schlägen mit Gewehrkolben auf die Köpfe von Geflüchteten. Anschliessend wurden die blutenden Wunden mit Lebensmitteln wie Ketchup verschmiert – ein grausames Verhöhnen der Menschen. Im Landesinneren starben erneut Menschen, vermutlich sechs, bei dem Versuch, die Flüsse Mrežnice und Korona zu überqueren. Ihre genaue Zahl ist schwer zu ermitteln, da die toten Körper häufig im Fluss verschwinden. Die beiden Flüsse verlaufen mitten durch das Land und zeigen beispielhaft, dass entlang der Fluchtrouten nicht nur die Grenzregionen gefährlich sind. Auch im Landesinneren kommt es zu Racial Profiling, Festnahmen und Pushbacks ohne jegliche behördliche Notiz. Eine Untersuchung zur Verwendung von EU-Geldern wirft Fragen zur Rolle der EU in diesem Gewaltszenario auf. 2018 bekam Kroatien von der EU 6,8 Millionen € zur Grenzsicherung zugesprochen. Ein Monitoring sollte eingerichtet werden um sicherzustellen, dass alle Tätigkeiten der Grenzbehörden „verhältnismässig“ sind und den Grundrechten sowie den europäischen Asylgesetzen entsprechen. Dieses wurde jedoch nie eingerichtet. Von den 300.000 € (von den 6,8 Millionen), die für Überwachungsstrukturen budgetiert waren, wurden insgesamt 84.672 € an die kroatische Polizei vergeben. Der Rest wurde für andere Zwecke umgenutzt oder überhaupt nicht ausgegeben. Die EU finanziert dadurch direkt eine Polizeibehörde, die in illegale Pushback-Praktiken verwickelt ist.
- Rumänien: Auch hier kommt es zu physischer und psychischer Gewalt durch Grenzbeamt*innen, insbesondere werden Menschen mit Kabeln und Schlagstöcken verletzt. Die Grenzen werden gewaltsam gesichert, um das Stellen von Asylanträgen im Land zu verhindern.
- Griechenland: Nach der neuen Akkreditierungspflicht sind neben den NGOs in den Camps auch viele Gruppen von einer Kriminalisierung betroffen, die solidarische Hilfe auf der Strasse leisten, z.B. durch Versorgung mit Lebensmitteln oder medizinische Dienste. In diesem Umfeld wurden Geflüchtete mit dem Versprechen einer Legalisierung von den Behörden mitgenommen und fanden sich wenige Stunden später nach einer Sammelabschiebung in der Türkei wieder.
- Italien: Zu Täuschungen kommt es auch in Italien, wo die Behörden Geflüchteten Fingerabdrücke abnehmen und suggerieren, sie könnten nun einen Asylantrag stellen, nur um sie anschliessend nach Slovenien und in sogenannten Ketten-Push-Backs über mindestens zwei weitere Grenzen abzuschieben. In einer öffentlichen Rede vor dem Schengen-Ausschuss erklärte Innenminister Lamorgese, dass vom 1. Januar bis 25. Juni 2020, 343 Personen, deren Fingerabdrücke in das EURODAC-System eingelesen wurden, nach Slowenien gedrängt wurden.
- Serbien: Nachdem es fast unmöglich geworden ist, in Ungarn einen Asylantrag zu stellen, gehen immer mehr Menschen nach Serbien, das bisher für viele lediglich ein Transitland war. Aktuell leben allein in den offiziellen Camps 6.000 Menschen. Nun zeigt sich, dass es auch dort extrem schwierig ist, einen Asylantrag zu stellen: Das Vorgehen ist unklar. Die Fristen kurz, alle Unterlagen müssen auf serbisch ausgefüllt werden und es gibt einen Mangel an Rechtsberatung. Nur 3% der Geflüchteten sind als Asylsuchende registriert. Weiterhin wurde das „Ausländergesetz“ geändert, um Abschiebungen zu erleichtern, und Rücknahmeabkommen mit dem Irak, Afghanistan und Pakistan initiiert.
Im Bericht werden die Daten und Erzählungen von Menschen auf der Flucht wiedergegeben. Sie machen das Ausmass der Grenzgewalt sichtbar – die immer drohende körperliche und psychische Gewalt, Erniedrigungen, falsche Versprechungen, Push-backs. Jeder Fall eine individuelle Geschichte eines Menschen, dem im weiss dominierten Europa jeglicher Wert abgesprochen wird.https://www.borderviolence.eu/balkan-region-report-june-2020/

21.07.20
NSU 2.0 – Verbindungen zur Polizei
Seit 2018 werden Morddrohungen an Seda Başay-Yıldız verschickt, die mit ‚NSU 2.0‘ unterzeichnet sind. Die Frankfurter Anwältin hatte während der NSU-Prozesse eine Betroffenen-Familie vertreten. Nach dem ersten Drohbrief kam heraus, dass ihre Daten kurz zuvor grundlos auf einem Frankfurter Polizeirechner abgefragt worden waren. Die Ermittlungen lieferten erstaunlicherweise keine Ergebnisse – schliesslich musste gegen ‚die eigenen Reihen‘ ermittelt werden. Im Zuge dessen wurde auch eine WhatsApp-Gruppe von Frankfurter Polizeibeamt*innen entdeckt, die sich gegenseitig Hakenkreuze und andere rechtsextreme Symbole schickten. 2019 erhält die Berliner Kabarettistin Idil Baydar Morddrohungen vom ‚SS-Obersturmbannführer’. Auch in diesem Fall werden kurz vorher ihre Daten hintergrundlos auf einem Polizeicomputer eingesehen. Und schliesslich das gleiche Muster im Jahr 2020: Janine Wisser, Fraktionsvorsitzende der Linken im Hessischen Landtag, erhält Morddrohungen, nachdem ihre Daten in einem Wiesbadener Polizeicomputer abgefragt wurden.
Wie lange bürgerliche Medien, Politik und Polizeibeamt*innen (in führenden Posten) noch an der Einzelfallthese festhalten können, bleibt fraglich. Die Fehler nicht im System des Polizeiapparats zu suchen, sondern weiterhin auf einige Ausnahmen zu schieben, bleibt fahrlässig. Zu ignorieren, dass selbst Ausnahmen in den gegebenen Strukturen geschützt werden und somit systematisch sind, bleibt gefährlich naiv.
https://fr.timesofisrael.com/extreme-droite-demission-dun-responsable-de-la-police-allemande/?mc_cid=dc397bccd0&mc_eid=889a716329
https://www.i24news.tv/fr/actu/international/europe/1594355968-polemique-en-allemagne-sur-les-liens-entre-police-et-extreme-droite?mc_cid=a1bb964e77&mc_eid=889a716329
https://www.freitag.de/autoren/martina-mescher/so-viele-einzelfaelle
https://www.derbund.ch/die-spur-fuehrt-zu-hessischen-polizeicomputern-946135210342
13.07.20
Erschossen an der bosnisch-kroatischen Grenze
Im Grenzgebiet zwischen Bosnien-Herzegowina und Kroatien wurde eine Person beim Versuch, die Grenze zu überqueren, erschossen. Der Mann soll aus einem Jagdgewehr in den Rücken getroffen worden sein und erlag seinen Verletzungen. Der mutmassliche Täter stellte sich später der Polizei. Er gab an, in den Wäldern gewildert zu haben und dass es sich bei dem tödlichen Schuss um einen Unfall gehandelt habe. Die Umstände, unter denen dieser Mann starb, können hingegen nicht als Unfall bezeichnet werden. Warum sind Menschen in diesen Wäldern, in unwegsamem Gelände, zu jeder Jahreszeit? Aktuell bis zu 7.000 wählen diese gefährliche und oftmals tödliche Fluchtroute, weil es keinen legalen und sicheren Weg gibt, in Europa Asyl zu beantragen. Stattdessen gibt es seit Jahren geschlossene Grenzen, Milliardeninvestitionen in die Kontrolle dieser und Gewalt gegen Menschen auf der Flucht. Die kroatische Grenze ist in diesem Gebiet eine grüne Grenze. Es gibt keinen meterhohen Zaun mit Stacheldraht. Dennoch ist das Gebiet bestens überwacht, mehrfach technisch aufgerüstet und zuletzt auf einem kilometerlangen Streifen für eine bessere Sichtbarkeit der Menschen auf der Flucht entwaldet worden. Gewaltsame Push-backs sind an der Tagesordnung. Das Border Violence Monitoring Network, das auf der Balkanroute ein Monitoring betreibt, spricht von sechs Toten Menschen allein im Juni und jährlich zehntausenden Push-backs auf der Balkanroute.
https://deutsch.rt.com/europa/104139-bosnien-herzegowina-wilderer-erschiesst-migranten/
https://kroatien-nachrichten.de/fluchtling-auf-dem-weg-nach-kroatien-erschossen/
https://thefirethisti.me/2020/07/06/35-the-european-unions-violence-against-asylum-seekers/
13.07.20
Horst Seehofer verhindert eine Studie zu Racial Profiling
Als Begründung liess der Innenminister der deutschen Regierung verlauten, dass die Praxis ohnehin verboten sei. Dafür, dass diese Argumentation nicht schlüssig und die Entscheidung, die Studie abzusagen, ohnehin fragwürdig ist, hagelt es nun von allen Seiten Kritik. Sogar der Vorsitzende des Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) äusserte Kritik an Seehofers Entscheidung. Sein fehlendes Bewusstsein für Rassismus wurde allerdings in einem Interview deutlich, in dem er sagte, der polizeiintern verwendete Begriff ‚Nafri’ (Nordafrikanischer Intensivtäter) sei vorurteilsfrei. Genau, schliesslisch verwenden Polizeibeamt*innen auch regelmässig den Begriff Deui (Deutscher Intenisvtäter), nicht wahr? Diese Ungereimtheit scheint ihm nicht aufgefallen zu sein. Wenn wir uns anschauen, was bisher von öffentlicher Seite getan wurde, um Daten bezüglich Alltags- und institutionellem Rassismus in der Polizei zu sammeln, fällt das Ergebnis ziemlich dürftig aus. 2013 gab es eine lediglich qualitative Erhebung zu Racial Profiling von Hendrik Cremer am ‚Deutschen Institut für Menschenrechte‘, der daraufhin die Empfehlung gab, die Möglichkeit für verdachtsunabhängige Kontrollen aus dem Polizeigesetz zu streichen. Selbst der 2017 vom Bundeskabinett verabschiedete ‚Nationale Aktionsplan gegen Rassismus‘ geht davon aus, dass Racial Profiling im deutschen Polizeiapparat regelmässige Praxis ist und zuletzt liess die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) im Jahre 2019 vernehmen: „Auch wenn es hinreichende Beweise für ein extensives Racial Profiling gibt, sind sich viele Polizeidienste und -vertreter dessen nicht bewusst.“ Und empfahl eine Studie diesbezüglich. Und das sind nur Forderungen von offiziellen Stellen. Alle Forderungen von nicht-institutioneller Seite und von Einzelpersonen of Color, sich mit Rassismus in der Polizei auseinanderzusetzen, werden seit Jahren ignoriert. Dass dieser weiter reicht als Racial Profiling zeigen alleine diese Woche drei Fälle, die in den Medien zirkulieren. Einerseits der Suizid von Rooble Warsame, der sich angeblich in Polizeigewahrsam erhängt haben soll. Es gibt jedoch zahlreiche Ungereimtheiten und seine Angehörigen fordern eine unabhängige Untersuchung. Oder der Fall vom 19-jährigen Aman Alizada, der von einem Beamten erschossen wurde. Dass der Beamte sich anhand des Arguments, er habe aus Notwehr gehandelt, der Strafverfolgung entziehen konnte und keine Folgen für sein Handeln zu fürchten braucht, trägt dazu bei, dass regelmässig Schusswaffen eingesetzt werden. Und letztlich eine weitere Wendung im Fall Oury Jalloh, der 2005 unter ominösen Umständen in einer Dessauer Polizeizelle umkam. Die zwei letztes Jahr eingesetzten Sonderermittler werden nun vom Justizministerium in Sachsen-Anhalt daran gehindert, sieben Staatsanwält*innen und Richter*innen zu befragen, u.a. jenen Staatsanwalt, der 2017 ausgesagt hatte, es handle sich vermutlich um Totschlag durch Polizeibeamt*innen und er werde die Ermittlungen wieder aufnehmen. Der Fall wurde ihm daraufhin entzogen und seine Nachfolgerin stellte das Verfahren prompt wieder ein. Ihr steht nun eine Beförderung zur Generalstaatsanwältin von Sachsen-Anhalt bevor. Und diese Fälle stehen vor dem Hintergrund der aktuellen Dokumentation ‚Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen‘ der Antirassistischen Initiative. Derzufolge beträgt die Zahl geflüchteter Menschen, die in den letzten 27 Jahren durch Polizei- oder Sicherheitsbeamte verletzt wurden 1298 – 28 von ihnen tödlich. Zusätzlich sind 3375 Selbstverletzungen und Suizidversuche angesichts drohender Ausschaffungen verzeichnet – 309 Menschen begingen Suizid. 568 Menschen wurden durch Zwangsmassnahmen und Misshandlungen während ihrer Ausschaffung verletzt, 5 von ihnen tödlich. Und das sind nur die dokumentierten Fälle. Dass diese Übergriffe System haben, liegt daran, dass geflüchtete Menschen in den vorherrschenden Strukturen weitgehend entrechtet und isoliert werden und sie somit den Beamt*innen nahezu schutzlos ausgeliefert sind. Rassismus organisiert sich in den Regeln, Anordnungen und der geübten Praxis des Polizeiapparats systematisch.
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-07/rassismus-polizei-racial-profiling-deutschland-analyse/komplettansicht
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-07/racial-profiling-studie-polizei-abgesagt-justizministerium-horst-seehofer
https://www.deutschlandfunk.de/bdk-zu-racial-profiling-studie-wir-muessen-vertrauen.694.de.html?dram:article_id=480051
https://www.jungewelt.de/artikel/381754.seehofer-sperrt-sich-gegen-studie-untersuchung-unerw%C3%BCnscht.html
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1138851.polizei-und-rassismus-seehofer-willrs-nicht-wissen.html
https://www.derstandard.at/story/2000118543227/innenminister-seehofer-glaubt-nicht-an-rassismus-bei-deutscher-polizei?ref=rss
https://taz.de/Abgesagte-Studie-zu-Racial-Profiling/!5694005/
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1138853.polizeigewalt-im-sitzen-selbst-erhaengt.html
https://www.jungewelt.de/artikel/381908.rassismus-licht-ins-dunkelfeld.html
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-07/fall-oury-jalloh-gescheiterte-aufklaerung-behinderung-justizministerium-polizeirevier-dessau
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1138854.oury-jalloh-sabotierte-sachverstaendige-im-fall-jalloh.html
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/oury-jalloh-warum-das-schweigen-a-b6aed5e1-1cde-4b1a-a5a0-a27a72bb73ad
https://taz.de/Wurde-Oury-Jalloh-ermordet/!5698603/
07.07.20
Strukturen rassistischer Polizeigewalt

In der Auseinandersetzung mit rassistischer Polizeigewalt begegnen sich zwei Systeme – Rassismus und die Polizei – die beide darauf gründen, eine Norm gewaltvoll durchzusetzen, zu entmenschlichen und anhand dieser Entmenschlichung Ungleichheiten in der Behandlung zu rechtfertigen. Die Polizei baut letztlich auf dem Prinzip auf, alle Menschen zu kontrollieren, die sie ausserhalb der gesellschaftlichen Norm verortet. So berichtet z.B. die Zeitung neues deutschland davon, dass allein in den Jahren 2007 bis 2014 in Deutschland 16 Menschen von der Polizei getötet wurden, die eine psychiatrische Diagnose oder Psychiatrie-Erfahrung innehatten. Diese Zahlen sind nicht willkürlich und haben ihren Ursprung in der Entstehung des Polizeiapparates: Der Polizeiapparat, wie es ihn heute gibt, besteht auf ähnliche Weise erst seit dem 19. Jahrhundert. Er fusst auf dem Schutz der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse vor den Eigentumslosen. Dass Polizeibeamt*innen und Gesetze neutral sein können, ist ein Irrtum, eine Fehleinschätzung. Sie waren es nie. So statteten damals Herrschende in den USA Menschen mit Uniformen und Waffen aus und ermöglichten ihnen sogar ein Rentensystem, um ihre eigenen Interessen vertreten zu sehen. Die Uniformierten gingen daraufhin vor allem gegen sog. Verbrechen gegen die öffentliche Ordnung und gegen Landstreicherei vor. Im Süden der Nachkriegszeit wurden vor allem Schwarze verhaftet und in das System der Sträflingsarbeit gezwungen. Bis heute hat sich nicht viel an der Grundmotivation des Daseins der Polizei geändert: nämlich die bestehende Ordnung gegenüber Menschen durchzusetzen, die diese hinterfragen oder sie ablehnen. Und jede Änderung der Polizeiarbeit wird die Kontrolle und Überwachung jener Menschen lediglich verschieben, aber nicht aufheben. In Bremen z.B. versucht die links-grün-rote Stadtregierung die Polizei zu reformieren. Schwierig in einem System, das grundsätzlich krankt. Um gegen Befangenheit in Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamt*innen vorzugehen, soll dort eine unabhängige Instanz eingeführt werden, die z.B. Kompetenzen zur Akteneinsicht und zur Zeug*innen-Befragung erhält. Um gegen Racial Profiling vorzugehen, wurde endlich eingeführt, dass Menschen an sog. Gefahrenorten nicht mehr willkürlich kontrolliert werden dürfen, sondern nur noch aufgrund von ‚verdächtigem Verhalten‘ – wie verdächtiges Verhalten letztlich ausgelegt wird, liegt aber weiterhin in der Definitionsmacht der Polizist*innen. Die Betroffenen dürfen nun also einfach einen Grund für ihre Kontrolle erfragen. Auch werden gleichzeitig neue Gesetze zur Video-Überwachung eingeführt und der Zugriff auf Handy- und Internet-Daten erleichtert. Die Hamburger Polizei macht lieber mit ihren Plakatkampagnen auf sich aufmerksam: „Geh auf Nr. sicher, ruf die Polizei.“ Für welche Personen es letztlich ‚sicher‘ ist, wenn die Polizei gerufen wird, ist ohnehin eine der wichtigsten Fragen, die Menschen sich stellen müssen, bevor sie nach ihrem Telefon greifen. Die Plakatkampagne zumindest stigmatisiert Heroinabhängige und Diabetiker*innen, macht fragwürdige Anspielungen zu einem schwulen Pärchen und zieht zusätzlich noch die Debatte über rassistische Polizeigewalt ins Lächerliche. Und von Einsicht darüber, dass die Kampagne nicht witzig, sondern schlicht diskriminierend ist, gibt es selbstredend keine Spur. Uneinsichtigkeit zeigt auch ein Polizist in Basel-Stadt. Harry Szedenyi, zurzeit stellvertretender Ressortleiter der Einsatzzentrale sowie Vizepräsident des Polizeibeamtenverbands Basel-Stadt, lässt verlauten, es gebe keinen Rassismus in der Polizei und kein Racial Profiling. Er könne den pauschalen Vorwürfen nichts abgewinnen – doch genau darum geht es. Dass Rassismus eben keine persönliche Einzelmeinung ist, sondern ein System, auf dem das globale Weltgeschehen fusst und dies seit Jahrhunderten. Und an diesem System wirken alle mit. Das sagen auch Fatos Cebir und Hülya Emec, nachdem sie im Mai in der S-Bahn von einem weissen Mann aus rassistischen und sexistischen Motiven attackiert worden waren. Lange hatten andere Fahrgäste nicht eingegriffen und die herbeigerufene Polizei meldete sich erst über eine halbe Stunde nach dem Übergriff: «Es geht nicht nur um diesen Mann, der uns angegriffen hat. Es sind auch die gesellschaftliche Stille und die Rolle der Polizei, die diesen Angriff möglich gemacht haben.» Szedenyi erklärt trotzdem, es gebe schliesslich keine Anzeigen wegen Rassismus im Dienst. Doch Rassimus kann sich eben auch so ’subtil‘ äussern, dass ein Übergriff auf BIPoC (Black Indigenous and People of Color) von (weissen) Polizist*innen weniger ernst genommen wird. Und das ist nicht mehr subtil, wenn es mit schweren Verletzungen oder tödlich endet. Die Polizeibeamt*innen, die in besagtem Fall spät agierten, müssen sich die Frage stellen, ob sie schneller vor Ort gewesen wären, wenn die attackierten Frauen weiss gewesen wären oder derjenige, der sie attackierte nicht-weiss. Dass es keine Anzeigen gegen Polizt*innen im Dienst gibt, ist also auf keinen Fall ein Zeichen dafür, dass es rassistische Übergriffe aus den Reihen der Polizei nicht gibt. Eher ist es ein Zeichen dafür, dass Rassismus bis jetzt von vielen Weissen nicht ernst genommen und gesamtgesellschaftlich nicht aufgearbeitet wird. Und vor allem ein Zeichen dafür, dass dem Polizeiapparat kein Vertrauen geschenkt wird. Szedenyi beschreibt weiterhin, er würde niemanden aufgrund der Hautfarbe kontrollieren, sondern aufgrund des Verhaltens. Nun stellt sich aber wiederum die Frage: Würde er eine weisse Person, die das gleiche Verhalten an den Tag liegt, auch kontrollieren? Und genau dort fängt Rassismus an. Nicht in Hass und offenen Vorurteilen, sondern in eingeschriebenen Gedankenmustern, dem verschobenen Blick auf Menschen, der ungleich betrachtet. Es geht um Misstrauen. Es geht darum, nicht zuzuhören. Es geht darum, zu glauben, Menschen nicht ernst nehmen zu müssen. Zu behaupten, es gäbe kein Racial Profiling ist zum Beispiel rassistisch, denn es spricht allen BIPoC-Menschen, die tagtäglich kontrolliert werden, ihre Erfahrung ab.
https://antira.org/2020/07/02/medienspiegel-1-juli-2020/
https://twitter.com/human124/status/1276470267506757639
https://antira.org/2020/06/27/medienspiegel-26-juni-2020/
https://taz.de/Geplantes-Polizeigesetz-in-Bremen/!5691466/
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1138394.polizei-im-ausnahmezustand.html
https://wirkommen.akweb.de/ausgaben/661/warum-sich-die-polizei-nicht-aendern-wird/
https://taz.de/Plakatkampagne-der-Polizei-Hamburg/!5693622/
https://www.woz.ch/2026/alltagsrassismus/spaetabends-in-der-s-bahn
22.06.20
Kroatische Polizist*innen markieren Geflüchtete bei Push-backs mit Farbe
Bei illegalen Push-backs von Kroatien nach Bosnien wurden mehrere Gruppen von Menschen auf der Flucht von Grenzbeamt*innen mit Farbspray markiert. Ein Betroffener berichtet, dass ihm zusammen mit weiteren Personen das Stellen eines Asylantrags auf der kroatischen Polizeiwache verweigert wurde. Anschliessend wurden sie an die Grenze gefahren und von alkoholisierten Polizeibeamt*innen beraubt, geschlagen, gezwungen ihre Kleider und Schuhe auszuziehen und mit einem orangenen Kreuz auf dem Kopf besprayt. Die sichtbare Markierung von Menschen kennen wir von faschistischen Regimes, die auf diese Weise Menschen kennzeichnen, die sie als „Untermenschen“ sehen.
Der aktuelle Border-Violence Report zeigt auf, dass über 80% der dokumentierten Push-backs in den letzten zwölf Monaten „Folter oder grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung“ umfassten. Die Farbmarkierungen ergänzen eine Reihe etablierter Gewaltmethoden: Gebrauch von Elektroimpulswaffen, Zwang zum Ausziehen, Bedrohung und Gewalt mit Schusswaffen, inhumane Behandlung in Polizeifahrzeugen und Gefangenschaft. Die Grenzbeamt*innen bringen ungehindert und ungeniert ihre Verachtung gegenüber diesen Menschen zum Ausdruck. Lachend wenden sie körperliche und psychische Gewalt an und bringen so ihre rassistische Haltung und ihre Islamfeindlichkeit zum Ausdruck. Diese Taten werden durch strukturellen Rassismus, ein gut entwickeltes System der Anonymität für die Täter*innen und einen Staat ermöglicht, der die Anwendung von Gewalt als Methode des Grenzschutzes toleriert und fördert.

Der Report „Illegal Push-backs and Border Violence Report, Balkan Region April/ Mai 20“ zeigt ausserdem folgende Vorfälle und Entwicklungen auf:
- Nachdem der Weg über Albanien von Geflüchteten als eine Alternative zur West-Balkan-Route erschlossen wurde, setzte Frontex im Mai 2019 erstmals Beamt*innen in einem Nicht-EU-Staat ein. Seither kam es zu 11’344 Festnahmen von Geflüchteten an der albanischen Grenze, gefolgt von gewaltsamen und illegalen Push-backs nach Griechenland.
- Mindestens 49 Menschen wurden in „Ketten“-Push-backs über mindestens drei Grenzen aus Serbien nach Griechenland ausgeschafft. Diese spezielle Form der Push-backs hat sich etabliert und kann nun zu den Methoden des europäischen „Migrationsmanagements“ gezählt werden. Das erste Glied dieser Kette ist nicht selten Italien, welches Aussschaffungen nach Serbien durchführt.
- Die griechischen Behörden erhöhen erneut die Zahl der Einsatzkräfte in der Region des Grenzflusses Evros. 14 Einheiten der Bereitschaftspolizei wurden bereits entsandt. 125 weitere Polizeibeamt*innen sollen folgen. Im April und Mai wurden über 600 illegale Push-backs in die Türkei dokumentiert – mit Sicherheit nur ein Bruchteil der tatsächlich durchgeführten gewaltsamen Rückführungen. Dabei nehmen auch Rückführungen grösserer Gruppen aus dem Landesinneren zu, zum Beispiel aus Thessaloniki und Igoumenitsa. In den Städten kommt es zu gezielten Polizeirazzien, um obdachlose Geflüchtete aufzugreifen und bereits registrierte Personen auszuschaffen. Dabei geben Polizeibeamt*innen vor, den Menschen zu einem Aufenthaltsstatus zu verhelfen, schieben sie jedoch ab.
- Forstarbeiter*innen haben einen 8 km langen Abschnitt der kroatisch-bosnischen Grenze entwaldet. Auf dieser Sichtbarkeitslinie sollen manuelle und technologisch unterstützte Überwachungsoperationen ansetzen können.
- Im EU-finanzierten Lager Miral in Bosnien wurden weitere schwere Körperverletzungen dokumentiert. Videos zeigen beispielsweise, wie Beamt*innen der bosnischen Polizei und des Sicherheitsdienstes beliebige Container betreten und die Menschen darin schlagen. Auch strukturelle Gewalt gehört zum Alltag in den bosnischen Camps. Dazu zählen die nur begrenzte Versorgung mit Lebensmitteln, die eingeschränkte Gesundheitsversorgung, die Unterbringung in überfüllten Wohncontainern und die unverhältnismässige Kontrolle der Sperrstunden.
- Ebenfalls in Bosnien einigten sich die zuständigen Behörden darauf, eine Lösung für die Schliessung der temporären Lager in Bihać und Velika Kladusa zu finden. Es soll ein neues Lager ausserhalb der Städte errichtet werden, in das die Menschen aus informellen Unterkünften zwangsumgesiedelt werden. Gleichzeitig müssen Privatpersonen vor Ort und Hilfsorganisationen, die ohne Genehmigung der UNO arbeiten, mit Repression rechnen, wenn sie weiterhin Geflüchtete ausserhalb der offiziellen Strukturen unterbringen oder unterstützen. Die neuen Beschränkungen in der Unterbringung und fehlende Solidaritätsarbeit werden wahrscheinlich dazu führen, dass Menschen vermehrt und wiederkehrend Gewalt ausgesetzt sind.
- Anfang Mai kam es zu einem Angriff auf Menschen in einem serbischen Lager, indem ein Rechtsextremist der Gruppe Leviathan mit hoher Geschwindigkeit und gezielt in das Lager fuhr. Ein Video zeigt seine gewalttätigen, rassistischen und islamfeindlichen Äusserungen, die keinen Zweifel an seiner Motivation lassen, Menschen zu verletzen oder zu töten. Die Leviathan-Bewegung fällt seit Monaten mit rassistischen Provokationen und Attacken auf. Sie bedrohen Geflüchtete in den Städten und patrouillieren an der Grenze zu Rumänien.
- Im Mai wurde serbisches Militär im westlichen Grenzgebiet zu Kroatien rund um die Lager Adaševci, Šid und Principovac stationiert. Die Bewachung von Camps gehört klar nicht zu den Aufgaben der Armee. Das Innenministerium argumentiert, die Massnahme sei zur Gewährleistung der Sicherheit der Bevölkerung notwendig. Damit zeichnet sie erneut das rassistische Bild gefährlicher Migrant*innen. Dabei geht die Sicherheitsbedrohung in der Region ganz klar von rechtsextremistischen Gruppen und der Polizei aus, wie Berichte gut dokumentieren. Gut zur staatlichen Argumentation passt die Beschaffung von 2,5 Tonnen Rasierdraht für den Bau von Lagerumzäunungen.
- Anfang März versuchten tausende Menschen, die griechische Grenze zu überqueren, nachdem die türkische Regierung sie als geöffnet erklärt hatte. Zum sogenannten Grenzschutz schossen griechische Beamt*innen mit tödlicher Munition über die Grenze auf unbewaffnete Menschen auf der Flucht. Untersuchungen dazu belegen nun, dass dabei acht Menschen von Schüssen der griechischen Beamt*innen getroffen wurden, darunter Muhammad Gulzar tödlich.
https://www.borderviolence.eu/wp-content/uploads/Balkan-Region-Report-May-2020.pdf
15.06.20
Defund Police – Die Polizei wegsparen
Die Polizei ist nicht dazu da, Rassismus ab- oder eine solidarische herrschaftsarme Welt aufzubauen. Im Gegenteil: Zu viele BIPoC und zu viele, die Widerstand leisten, mussten konkret erfahren, dass Polizist*innen da sind, um die «Ruhe und Ordnung» innerhalb der Herrschaftsstrukturen und -verhältnisse zu wahren. Hierfür soll die Polizei Autorität ausstrahlen und Gewalt ausüben. Rassistische Handlungen wie Abschiebungen, Racial Profiling, Verhaften und Einknasten von rassismus-klassismus-diskriminierten Menschen und rassistische Doppelbestrafungen gehören deshalb für Polizist*innen zum täglichen Brot. Und wenn es bei einigen nicht ganz klappt mit der „professionellen“ Ausübung von Gewalt, wenn sich z.B. privater und beruflicher Rassismus vermengen und Polizist*innen schwere Verbrechen oder Morde begehen, dann decken sich Polizist*innen gegenseitig – inkl. Vorgesetzte – und haben wegen ihres ausgeprägten soldatischen Zwangs zum Korpsgeist und einem polizeifreundlichen Justizsystem selten etwas zu befürchten.
Was tun gegen ein solch geöltes strukturelles Übel? Die Allianz gegen Racial Profiling und mitunterzeichnende Organisationen in der Schweiz haben diese Woche einen Aufruf veröffentlicht. Sie schlagen vor, «proaktiv gegen rassistische Polizeigewalt» vorzugehen. Dies setze die Schaffung eines Problembewusstseins voraus bzw. «dass politische Entscheidungsträger*innen und die operative Polizeileitung das Problem der rassistischen Polizeigewalt, des Racial Profilings und der tödlichen Ausschaffungspolitik als grundlegendes, strukturelles und institutionelles Problem jenseits von Einzelfällen anerkennen» und Verantwortung übernehmen, die eigene Praxis auf Rassismus hin zu untersuchen. Zweitens brauche es mehr Kotrollen der staatlichen Repression. Diese solle «von unabhängigen Untersuchungskommissionen geprüft werden». Schliesslich fordert die Allianz auch, dass der Polizei die Gelder gekürzt werden, um sie «zugunsten von Organisationen und Projekten, die sich aktiv gegen rassistische Diskriminierung einsetzen» umzuverteilen. Dieser Punkt entspricht einer wichtigen Forderung der Black Lives Matter Bewegung: „Defund the Police“ oder auf Deutsch „Entzieht der Polizei die Finanzierung“ und bietet eine gute Alternative zur klassischen Forderung nach mehr Mittel für die Polizei, damit sich diese bessere rassismuskritische Sensibilisierungsworkshops leisten könne. Doch was nützen in letzter Instanz sensibilisierte Polizist*innen, wenn ihr Job weiterhin darin bestehen soll, institutionelle Rassismen mit Gewalt durchzuboxen? Die „Defund the Police“-Forderung gibt es schon länger. Im Zuge der Proteste hat nun das Human Rights Department in Minneapolis beschlossen, prüfen zu lassen, ob die Polizei im Sinne der Defund-Forderung umstrukturiert oder gar abgeschafft werden soll, weil sie die Sicherheit der Bevölkerung nicht schütze, sondern bedrohe. Eine Kursänderung, denn noch vor einem Jahr hatte es das dortige Parlament abgelehnt, das Polizeibudget um 45 Millionen Dollar zu kürzen. Verschieben wir es also nicht unnötigerweise auf morgen, uns am Aufbau von Strukturen von kollektiver Sorge, Selbstbestimmung und Transformative Justice zu beteiligen, denn sonst nehmen die fragenden Skeptischen und ihre Annahme „ohne Polizei kein Schutz, dafür Chaos“, die Überhand.
http://www.stop-racial-profiling.ch/de/2020/06/11/blm/https://wirkommen.akweb.de/bewegung/wir-koennen-fuer-uns-selbst-sorgen/
https://www.reclaimtheblock.org
https://www.spiegel.de/politik/ausland/minneapolis-defund-the-police-warum-eine-stadt-die-polizei-abschaffen-will-a-57d8d048-d686-439d-a3ee-90e85de77f97
15.06.20
Anhaltende rassistische Polizeigewalt – in den USA und überall

Es werden momentan zwei weitere Polizeimorde in den USA untersucht. In Atlanta, Georgia, wurde letzte Woche der Schwarze Rayshard Brooks von dem weissen Polizeibeamten Garrett Rolfe erschossen. Brooks hatte auf einem Parkplatz vor einem Restaurant der Fast Food-Kette Wendy’s in seinem Auto geschlafen. Vierzig Minuten bevor die tödlichen Schüsse fallen, klopft der weisse Polizeibeamte Devin Brosnan an Brooks Autofenster. Es folgen eine lange Diskussion und ein Promille-Test. Die Beamten wollen Brooks festnehmen. Brooks wehrt sich. Er reisst einen Taser der Beamten an sich und rennt weg. Sofort eröffnet Rolfe das Feuer und gibt drei Schüsse ab. Brooks erliegt im Krankenhaus seinen Verletzungen. Wie könnte Rolfe den Mord rechtfertigen? Etwa damit, dass Brooks betrunken war und sich gegen seine Verhaftung wehrte? L. Chris Stewart, ein Anwalt der Familie Brooks, drückt es folgendermassen aus: “You can’t have it both ways in law enforcement: You can’t say a Taser is a nonlethal weapon … but when an African American grabs it and runs with it, now it’s some kind of deadly, lethal weapon that calls for you to unload on somebody.” (dt. „Bei der Strafverfolgung kann man nicht beides haben: Man kann nicht sagen, dass ein Taser eine nicht-tödliche Waffe ist … aber wenn eine schwarze Person ihn sich schnappt und mit ihm wegrennt, dann ist der Taser plötzlich eine Art tödliche Waffe, die einen dazu zwingt, auf jemanden zu schiessen.“) Rolfe wurde mittlerweile gefeuert.
Der zweite Fall ereignete sich im März dieses Jahres, als der Schwarze Manuel Ellis in Tacoma, Washington, während seiner Verhaftung getötet wurde. Die Todesursache lautet Atemstillstand nach physischer Gewalteinwirkung. Der Fall weist Parallelen zum Totschlag an George Floyd auf, denn auch Ellis hatte vor seinem Tod mehrmals vergeblich gesagt: „Ich kann nicht atmen, Sir.“ Die Ermittlungen diesbezüglich wurden nun vom Gouverneur wieder aufgenommen. Die vier Polizeibeamten, die an seiner Verhaftung beteiligt waren, sind vorläufig suspendiert.
Auch im deutschsprachigen Raum kommt es weiterhin zu rassistischer Polizeigewalt. Einige Beispiele: In Zürich im Hauptbahnhof wurde letzte Woche ein vierzehnjähriger Schwarzer Junge von mehreren weissen Sicherheitsbeamten zu Boden gedrückt. Einer der Beamten hält den Jugendlichen im Würgegriff. Ein Video aus Hamburg aus dem Jahr 2019 zeigt, wie drei weisse Polizeibeamte minutenlang auf einem Schwarzen Mann knien. Er ruft mehrere Male: „Ihr werdet mich umbringen!“ Und selbst während der Demonstrationen gegen rassistische Polizeigewalt in Berlin und Hamburg wurden knapp hundert Schwarze Menschen willkürlich und brutal festgenommen. Vier weisse Polizeibeamte knieten minutenlang auf einem 19-Jährigen. Zwei junge Schwarze Frauen wurden aufgrund ihrer Plakate festgenommen, während ihre daneben stehende weisse Freundin ignoriert wurde. Ein Schwarzer Mann wurde von weissen Polizeibeamt*innen gegen eine Bushaltestelle geschleudert und ihm daraufhin stundenlang medizinische Versorgung verweigert. Eine Schwarze Augenzeugin von der Demo in Berlin lässt vermelden, dass mit weissen Menschen weniger hart umgegangen wurde, Schwarze Menschen jedoch sofort verhaftet wurden. Der weisse Polizeipräsident wies allerdings jede Kritik zurück und die Polizeigewerkschaften und der weisse CDU-Abgeordnete Thomas Strobl liessen verlauten: „Strukturellen Rassismus gibt es bei unserer Polizei nicht.“ Und diese Aussage wird getroffen, während das Rechercheprojekt „Death in Custody“ 159 Todesfälle von Schwarzen Menschen und Menschen of Color in Gewahrsamssituationen in Deutschland seit 1990 verzeichnet. Diese Ignoranz ist erschreckend. Viele der oben erwähnten Gewalttaten wurden von der Polizei damit gerechtfertigt, dass Widerstand gegen Vollstreckungsbeamt*innen geleistet oder eine Amtshandlung behindert worden sei. Aber die Frage lautet doch: Warum solltest du bei deiner eigenen Verhaftung kooperieren? Es ist verstörend, dass die Gewaltverteilung so aufgebaut ist, dass eine zivile Person gegen eine Verhaftung nicht vorgehen kann. Wenn du nichts tust, wirst du einfach festgenommen und wenn dich wehrst, wird nur noch härter gegen dich vorgegangen. Ein Gedankenexperiment: Wenn mehrere Personen ohne Uniform auf dir knien und dich zu Boden drücken würden, wäre es selbstverständlich, dich zu wehren. Sobald die Staatsmacht dir das Knie in den Nacken setzt, dir die Luft abschnürt, dir den Arm verrenkt, dich bewegungsunfähig macht, dich in Gewahrsam nimmt, also dich deiner Freiheit beraubt, gilt es als gerechtfertigt? Und sobald du Widerstand gegen diese Gewaltanwendung leistest, bist du auf einmal der Störenfried? Im Umgang mit rassistischer Polizeigewalt muss es auch darum gehen, den gesamten Polizeiapparat zu hinterfragen.
https://apnews.com/e5741e6b7d1a3c9be991201d21b90e13?utm_source=Twitter&utm_campaign=SocialFlow&utm_medium=AP
https://www.20min.ch/story/festnahme-von-dunkelhaeutigem-14-im-hb-geht-viral-755773473086
https://www.kapo.zh.ch/internet/sicherheitsdirektion/kapo/de/aktuell/medienmitteilungen/2020_06/2006071h.html
https://daserste.ndr.de/panorama/aktuell/Du-wirst-mich-umbringen-Rassismus-Vorwurf-gegen-Polizei,rassismus184.html
https://www.jungewelt.de/artikel/380127.repression-in-berlin-rassismus-hautnah.html
https://www.tagesschau.de/ausland/usa-polizeigewalt-105.html
https://www.spiegel.de/politik/ausland/usa-nach-dem-fall-george-floyd-tod-eines-schwarzen-in-tacoma-wird-neu-untersucht-a-93ec7624-d174-431f-874f-d3ec9fb1a003
https://www.derstandard.at/story/2000118011597/weiterer-todesfall-in-us-polizeigewahrsam-untersucht
https://www.srf.ch/news/international/in-polizeigewahrsam-gestorben-staat-washington-untersucht-tod-eines-afroamerikaners-neu
08.06.20
Strukturen rassistischer Polizeigewalt

Laut der Organisation „Mapping Police Violence“ wurden im Jahr 2019 in den USA 1.098 Menschen durch die Polizei ermordet. Schwarze Menschen wurden drei Mal so häufig getötet wie weisse Menschen, obwohl sie häufiger unbewaffnet waren. 99 Prozent der Beamt*innen wurden nicht angeklagt. In Deutschland wurden seit 1994 mindestens 14 Fälle dokumentiert, in denen Schwarze Menschen bei ihrer Verhaftung, in Polizeigewahrsam oder während einer Ausschaffung getötet wurden.
William Tonou-Mbobda am 21. April 2019 in Hamburg
Amad Ahmad am 17. September 2018 in Kleve
Matiullah Jabarkil am 13. April 2018 in Fulda
Ousmane Sey am 7. Juli 2012 in Dortmund
Christy Schwundeck am 19. Mai 2011 in Frankfurt
Slieman Hamade am 5. März 2010 in Berlin
Dominique Kumadio am 14. April 2006 in Dortmund
Oury Jalloh am 7. Januar 2005 in Dessau
Laye-Alama Kondé am 7. Januar 2005 in Bremen
Achidi John am 12. Dezember 2001 in Hamburg
N’deye Mareame Sarr am 14. Juli 2001 in Aschaffenburg
Amir Aageb am 28. Mai 1999 im Flugzeug von Frankfurt nach Kairo
Kola Bankole am 30. August 1994 in Frankfurt
In Österreich gibt es mindestens 5 dokumentierte Fälle von Todesfällen durch Polizeigewalt seit 1999.
Edwin Ndupu am 19. August 2004 in Krems
Cheibani Wague am 15. Juli 2003 in Wien
Richard Ibekwe am 3. Mai 2000 in Wien
Marcus Omofuma am 1. Mai 1999 im Flugzeug zwischen Wien und Sofia
Ahmed F. am 19. Februar 1999 in Wien
In der Schweiz sind seit 1999 mindestens 9 rassistische Polizeimorde dokumentiert.
Subramaniam H. im September 2018 in Brissago
Mike Ben Peter am 28. Februar 2018 in Lausanne
Lamine Fatty am 22. Oktober 2017 in Lausanne
Hervé M. am 6. November 2016 in Bex
Joseph Ndukaku Chiakwa am 17. März 2010 in Zürich
Skander Vogt am 11. März 2010 in Bochuz
Cemal G. am 3. Juni 2001 in Bern
Samson Chukwu am 1. Mai 2001 in Granges
Khaled Abuzarifa am 3. März 1999 in Zürich
Auch in Spanien, Belgien, Ungarn und Grossbritannien gibt es dokumentierte rassistische Polizeimorde. Frankreich hat mit dem Projekt „Urgence-notre-police-assassine“ eine weiter reichende Dokumentation von Polizeigewalt gestartet, welche 100 rassistische Polizeimorde seit 2005 verzeichnet. Die im Vergleich dazu ‚niedrige’ Zahl dokumentierter Fälle in anderen Ländern Europas könnte also am fehlenden Monitoring liegen. Es gibt unzählige George Floyds überall auf der Welt. Die Morde an Schwarzen Menschen durch die Polizei haben System. Und auch, dass die (weissen) Täter*innen nicht zur Verantwortung gezogen werden. Der Polizeiapparat als Machtinstitution ist prädestiniert dafür, diese Macht zu missbrauchen. Der ‚Korpsgeist’ innerhalb der (zumeist weissen) Polizei und fehlende unabhängige Untersuchungskommissionen verhindern die Möglichkeit der ‚Aufklärung’. Das Justizsystem, das eng mit der Exekutive verbunden und von (weissen) Menschen mit rassistischen Vorurteilen durchzogen ist, bewirkt ebenfalls, dass Polizeigewalt möglich ist und keine Folgen für die Verantwortlichen hat. Die vorherrschende Vorstellung von Recht und Ordnung, die der Ausübung der staatlichen Organe zugrunde liegt, prägt die Legitimation von polizeilichen Handlungen. Das weit verbreitete Gewaltverständnis macht die systematische Gewalt unsichtbar und verschiebt das Machtverhältnis. Zerbrochene Fensterscheiben lösen hierbei mehr Empörung aus als Gewalt gegen Menschen durch die Polizei. Das bestätigt den Eindruck, dass stabile Eigentumsverhältnisse die Grundlage der Gesellschaft bilden und nicht die Würde und Rechte von Menschen. Dass das gesamte System von Weissen für Weisse gemacht wurde, trägt schliesslich seinen Teil dazu bei. Sara Ahmed schreibt dazu in einem Eintrag auf ihrem Blog ‚feministkilljoys’ über das Essay ‚A Burst of Light’ der Schwarzen, feministischen, lesbischen Aktivistin und Dichterin Audre Lorde: „When you are not supposed to live, as you are, where you are, with whom you are with, then survival is a radical action. We have to work out how to survive in a system that decides life for some requires the death or removal of others. Sometimes: to survive in a system is to survive a system.“
https://www.bonvalot.net/schwarze-menschen-sind-auch-in-oesterreich-von-polizisten-getoetet-worden-382/
https://www.derstandard.at/story/2000117818438/frankreichs-cant-breathe-affaere?ref=rss
https://www.watson.ch/!600783781
https://www.tagblatt.ch/schweiz/auch-die-schweiz-hat-einen-fall-george-floyd-und-er-ist-nicht-minder-dramatisch-ld.1225632
https://www.derbund.ch/er-starb-nach-tritten-in-die-genitalien-389063126382
https://www.blick.ch/news/schweiz/tod-nach-polizeigewalt-in-lausanne-auch-die-schweiz-hat-einen-george-floyd-fall-id15921105.html
https://www.facebook.com/LinkePoC/posts/539125486754708
https://www.tagblatt.ch/schweiz/auch-in-der-schweiz-gibt-es-polizeigewalt-gegen-schwarze-ein-anti-rassismus-demonstrant-klagt-an-ld.1225445
http://www.urgence-notre-police-assassine.fr/123663553
https://alp.org/%E2%80%98we-were-never-meant-survive%E2%80%99-statement-police-violence-hate-violence-and-anti-black-racism
https://feministkilljoys.com/2014/08/25/selfcare-as-warfare/
https://taz.de/Proteste-gegen-Rassismus-in-den-USA/!5686160/
https://taz.de/US-Proteste-gegen-rassistische-Gewalt/!5686120/
https://taz.de/Berichterstattung-durch-Polizei-behindert/!5686168/
https://taz.de/Unterstuetzung-fuer-US-Proteste/!5686328/
https://www.heise.de/tp/features/Grundsaetzliches-zu-Rassismus-und-Polizeigewalt-in-den-USA-4770638.html
https://www.freitag.de/autoren/the-guardian/gewalt-im-dienste-der-gewalt
https://www.jungewelt.de/artikel/379419.arbeiterproteste-in-den-usa-keine-gefangenentransporter.html
https://www.jungewelt.de/artikel/379359.proteste-gegen-rassismus-trump-heizt-riots-an.html
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1137363.antirassismus-tote-bei-protesten-in-den-usa.html
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1137361.polizeigewalt-in-den-usa-wir-haben-immer-wieder-gesagt-dass-das-keine-einzelfaelle-sind.html
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1137362.george-floyd-von-minneapolis-geht-ein-flaechenbrand-aus.html
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1137350.polizeigewalt-straflosigkeit-ist-das-problem.html
https://www.zeit.de/kultur/2020-06/polizeigewalt-usa-george-floyd-proteste-demonstrationen-bilder/komplettansicht
https://www.republik.ch/2020/06/02/es-war-als-waere-ein-vorhang-gelueftet-worden
https://rabe.ch/2020/06/02/zunehmende-unruhen/
https://www.dw.com/de/kommentar-george-floyds-tod-erinnert-an-europas-rassismus/a-53650095
https://www.srf.ch/play/radio/echo-der-zeit/audio/weisse-muessen-ihre-privilegien-hinterfragen?id=5f32acb3-a5c8-45a5-98e9-64351744a5a9
https://www.watson.ch/international/usa/521723655-hoert-auf-uns-zu-toeten-das-sagen-us-zeitungen-zu-den-ausschreitungen
https://tvthek.orf.at/profile/ZIB-2/1211/ZIB-2/14053870/Douglas-Robinson-ORF-Washington-Fruechte-des-Zorns/14707498
08.06.20
8.000 französische Polizist*innen nutzen Facebook für Rassismus und Sexismus
In einem privaten Facebookchat tauschen über 8.000 französische Polizist*innen rassistische und sexistische Inhalte aus. Ursprünglich zur sachlichen Diskussion erstellt, sind die Inhalte der Gruppennachrichten massiv diskriminierend geprägt. Verstorbene werden verhöhnt, Proteste und Versammlungsfreiheit aberkannt. Weder das Innenministerium, noch die Administrator*innen der Facebook-Gruppe reagierten auf Anfragen zum Inhalt der Gruppe. Doch die wiederholten Polizeimorde und die systematische Polizeigewalt in Frankreichs Banlieues zeigen, dass sich Rassismus in der französischen Polizei nicht nur in virtuellen und ideologischen Äusserungen zeigt. Vom Januar 1977 bis im Dezember 2019 wurden 676 Menschen von der Polizei getötet. Und alleine während der Lockdown-Periode zwischen März und Mai dieses Jahres wurden schon zwölf Personen von der Polizei getötet.
https://www.streetpress.com/sujet/1591288577-milliers-policiers-echangent-messages-racistes-groupe-facebook-racisme-violences-sexisme
https://bastamag.net/webdocs/police/
https://mars-infos.org/meurtres-et-mensonges-d-etat-la-5090
01.06.20
Tod von George Floyd nach Polizeigewalt: Geballte Wut
Am Montagabend, den 25. Mai, wurde der Afroamerikaner George Floyd von vier Polizeibeamten in Minneapolis, Minnesota, USA festgenommen. Obwohl die Festnahme laut den Aufnahmen einer Videokamera widerstandslos verlief, drückten sie Floyd zu Boden. Drei der Beamten knieten sich auf ihn. Der weisse Polizeibeamte Derek Chauvin kniete auf Floyds Nacken – insgesamt 8 Minuten und 46 Sekunden, von denen Floyd 2 Minuten und 53 Sekunden bewusstlos war. Floyd rief mehrfach: „I can’t breathe!“, „Ich kann nicht atmen!“. Ein Ausruf, der bereits seit 2014 zu einer Parole im Kampf gegen Rassismus geworden war, nachdem der Afroamerikaner Eric Garner in New York auf die gleiche Weise von Polizist*innen ermordet worden war und ebenfalls „I can’t breathe!“ gerufen hatte. Auch auf die wiederholte Aufforderung von Passant*innen, die Beamten sollten von Floyd ablassen oder seinen Puls fühlen, kam keine Reaktion. Floyd verstarb wenig später. Sein Tod ist ein weiterer auf der langen Liste rassistisch motivierter Polizeimorde. Bis zu 1000 sollen es jährlich in den USA sein, nur wenige werden juristisch verfolgt. Der Umgang mit Rassismus im Polizeiapparat wird anhand folgender Zahlen deutlich: In Minneapolis gingen seit 2012 über 2.600 Beschwerden wegen Polizeigewalt und institutionellem Rassismus ein. In nur zwölf Fällen kam es daraufhin zu disziplinarischen Massnahmen. Und die schärfste dieser Massnahmen war eine 48-stündige Suspendierung vom Dienst. Die rassistischen Strukturen dahinter sind sehr eindeutig: Schwarze Menschen waren zu über 60 Prozent betroffen von Polizeigewalt, obwohl sie nur 20 Prozent der Bevölkerung in Minneapolis ausmachen. Der tatverdächtige Derek Chauvin und die anwesenden drei Beamten wurden direkt nach dem Mord entlassen, allerdings erst am Freitag, nachdem die Proteste den öffentlichen Druck verstärkt hatten, wurde Chauvin verhaftet und wegen Mordes und Totschlag angeklagt. Seit 2008 lagen bereits 17 Beschwerden gegen ihn vor. Floyds Tod kommt in einer Zeit, in der viele Menschen in den USA im Zuge des verheerenden Umgangs der Regierung mit der Covid-19-Pandemie ihren Job, ihre Krankenversicherung, ihre Wohnung oder ihr Leben verloren haben. Und so führt innerhalb eines rassistischen Systems der fehlende Zugang zur Gesundheitsversorgung, prekäre Arbeits- und beengte Wohnverhältnisse dazu, dass Afroamerikaner*innen 23% der Menschen ausmachen, die an Covid-19 gestorben sind. Obwohl sie nur 13% der (registrierten) Gesamtbevölkerung stellen. Auch die besonders gefährdeten Gefängnisinsass*innen in den USA sind überproportional afroamerikanisch – Folge eines rassistischen Strafsystems. Floyds Tod kommt auch während der Amtszeit von Trump, der mit seiner spalterischen Art Konflikte befeuert, ein Klima von weisser Vorherrschaft propagiert, faktenfeindlich unterwegs ist und die Verfassung gerne zu seinen Zwecken anpassen möchte. Dass die Zerstörungswut der Proteste, die momentan allein in 30 Städten in den USA, in London, Berlin, Kopenhagen oder auf Zypern passieren, angeprangert wird, ist irritierend. Diese Wut ist schliesslich Ausdruck für jahrhundertelange und anhaltende Ungleichbehandlung und Unterdrückung. In den meisten Medien wird darüber berichtet, dass die Ausschreitungen von den friedlichen Protesten ablenken würden und dass es nichts mehr mit George Floyds Tod zu tun haben würde. Aber es hat alles damit zu tun. Es wurde ein Mensch umgebracht. Und nicht nur einer. Die rassistische Polizeigewalt hat System – in den USA und überall. Daraufhin zu erwarten, dass Menschen sich nett und freundlich auf die Strasse begeben, ist verlogen und zeugt von weisser Privilegiertheit. Die Verurteilung der Riots von den Medien lenkt von den eigentlichen Beweggründen ab. Und diese sind nachvollziehbar. Kein Riot der Welt kann die Ungerechtigkeit ausdrücken – und alltägliche Polizeigewalt, Stigmatisierung und Ausbeutung sind nur ein Teil davon – die BIPoC (Black, Indigeneous und People of Color) täglich erfahren. Eine Demonstrantin in Berlin hielt ein Plakat hoch, das es auf den Punkt bringt: „If only our pain bothered you as much as our protests.“
https://taz.de/Tod-von-George-Floyd-nach-Polizeigewalt/!5688995/https://www.jungewelt.de/artikel/379187.rassismus-in-den-usa-wut-%C3%BCber-rassistischen-mord.html
https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-05/usa-rassismus-george-floyd-minneapolis-polizisten
hthttps://twitter.com/hashtag/GeorgeFloyd?src=hashtag_clicktps://twitter.com/hashtag/Minneapolis?src=hashtag_click
https://twitter.com/UR_Ninja/status/1266218065512919043
25.05.20
Oury Jalloh und die Toten des Polizeireviers Dessau
Ein Mensch verbrennt 2005 im Polizeigewahrsam. Der an Händen und Füßen Gefesselte habe sich selbst angezündet, behaupten die Beamte. 15 Jahre lang scheitert die Justiz trotz mehrfacher Anläufe daran, den Fall aufzuklären – und macht ihn damit zum Politikum.
https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/tiefenblick/polizei-dessau-oury-jalloh-100.html
04.05.20
Eine neue App, um gegen die poliziliche Straffreiheit zu kämpfen
Das Kollektiv Urgence Notre Police Assassine hat in Frankreich eine App entwickelt, um die zivilgesellschaftliche Überwachung der Polizei zu fördern. Das Kollektiv kämpft seit 2014 gegen Polizeigewalt, die sich systematisch gegen Personen mit Migrationshintergrund richtet. Es wurde von Amal Bentounsi gegründet, nachdem ihr Bruder Amine im Jahre 2012 von der Polizei erschossen wurde. Seither haben sich mehrere Angehörige der Opfer von Polizeimorden an das Kollektiv angeschlossen. In der Mehrheit der Fälle von Polizeigewalt kommen Polizist*innen ohne Strafverfolgungen davon, da die Zeug*innenaussagen der Opfer als unrechtmässig dargestellt werden und es regelmässig vorkommt, das Zeug*innenvideos im Kommissariat gelöscht werden. Die Hauptfunktion der App Urgences Violences Policières besteht darin, Zeug*innenvideos und -fotos auf einen Server zu laden, sodass sie gesichert sind und später benützt werden können.
Dass solche Initiativen wichtig sind, hat sich diese Woche noch einmal bewiesen: ein weiterer skandalöser Fall von rassistischem Polizeiverhalten fand in Seine-Saint-Denis (Paris) statt. Ein Video dokumentiert die menschenverachtenden Kommentare mehrer Polizist*innen, nachdem sie einen vor ihnen flüchtenden Mann, der in die Seine gesprungen war, aus dem Wasser gezogen haben. „Solch ein Kameltreiber, der schwimmt doch nicht. Der sinkt. Hättest ihm einen Klotz an den Fuss hängen sollen.“ Nachdem zwei Journalist*innen das Video veröffentlichten, hat die Police Nationale zwei Polizisten vorläufig administrativ suspendiert.
Die App, die es auf Englisch und Französisch gibt: https://play.google.com/store/apps/details?id=com.onpvp.uvp&hl=fr
https://reporterre.net/Une-application-mobile-pour-filmer-les-violences-policieres;
https://play.google.com/store/apps/details?id=com.onpvp.uvp&hl=fr
https://www.lesinrocks.com/2020/04/27/actualite/societe/un-bicot-comme-ca-ca-ne-nage-pas-racisme-et-violences-policieres-en-seine-saint-denis/
Kollektiv Urgence Notre Police Assassine: https://www.facebook.com/Urgence.notre.police.assassine/ und http://www.urgence-notre-police-assassine.fr/
04.05.20
Toleranz mit Faschos und Gewalt gegen Migrant*innen auf Lesbos
Vor zwei Jahren griffen auf Lesbos mehr als 200 Faschist*innen eine friedliche Demo von Migrant*innen mit Steinen, Knallern Flaschen und anderen Wurfgegenständen an. Die Polizei war dort und beobachtete die Gewaltorgie. Obwohl die Cops filmten kam es zu keinen Anklagen. Lokale Antirassist*innen sagen, dass dieselben Personen auch dieses Jahr im Januar mit dabei waren, als auf Lesbos die Jagt gegen Migrant*innen auf offener Strasse losging. Auch im Januar schwieg die Polizei. Letzte Woche gipfelte die Gewalt in Schüssen, gefeuert gegen Mirgant*innen. Der Schütze musste diese Woche bei der Polizei erscheinen um auszusagen. Eine Gruppe Faschos und Sympatisant*innen des mutmasslichen Schützen demonstrierten vor dem Anhörungsgebäude…Trotz Verstoss gegen das in Griechenland geltende Corona-Ausgangsverbot liess die Polizei sie gewähren. Während die Cops Medienschaffende aufforderten den Platz zum Schutz ihrer eigenen Sicherheit zu verlassen, konnte sich der mutmassliche Täter gegen Kaution freikaufen. Das selbe Gericht hatte Migrant*innen, die vermutlich ein Schaf geklaut hatten für ein Jahr in Untersuchungshaft gesteckt. So funktioniert rassistische Justiz halt: Offene Toleranz der Behörden gegenüber faschistischer Gewalt bei zeitgleicher Diskrimierung von Migrant*innen – durch die Polizei, die Behörden und die Justiz.
AUTHORITIES’ TOLERANCE OF FASCIST VIOLENCE AND BRUTALITY TOWARDS MIGRANTS IN LESVOS CONTINUES, TWO YEARS AFTER SAPFOUS…
Gepostet von Legal Centre Lesvos am Dienstag, 28. April 2020
27.04.20
Frankreich: 5 Polizeimorde innerhalb von drei Wochen
Seit dem ersten Tag der nationalen Ausgangssperre in Frankreich bezeugten Videos und Zeitungsberichte die Polizeigewalt in den französischen Banlieues und einkommensschwachen Quartieren. Aktivist*innen dieser Orte warnten aber auch schnell, dass die nun leeren Strassen für dessen Bewohner*nnen eine besondere Gefahr darstellen, da es viel weniger Passant*nnen gebe, die Polizeigewalt verhindern oder dokumentieren könnten. In diesen Quartieren, in denen die grosse Mehrheit der Bevölkerung Menschen mit Migrationshintergrund sind, ist die andauernde Polizeipräsenz und die damit einhergehende rassistische Repression eine allgegenwärtige Realität. Im Zusammenhang mit der nun ausgehängten Ausgangssperre hat die Polizei seit dem 8. April schon 5 Personen getötet und 3 weitere schwer verletzt, in allen Fällen gibt es aber ausser den Polizeibeamt*innen keine Zeugen.
Nachdem in Villeneuve-la Garenne (Region Île-de-France/Paris) am Abend des Samstags, 18. April ein Motarradfahrer ohne Helm von der offenen Türe eines zivilen Polizeiautos schwer verletzt wurde, sind während drei Nächten in Villeneuve-la-Garenne, aber auch in anderen Banlieues rund um Lyon, Strassburg oder Toulouse, Aufstände gegen die Polizei ausgebrochen, dabei wurden mehrere Polizeikommissariate angegriffen.
Hier ein gutes Video zur Wut in den Banlieues und zu einigen Strategien, um mit Polizeigewalt zu brechen.
https://larotative.info/espece-de-sale-bougnoule-tu-vas-3773.html
https://rebellyon.info/Au-nom-de-la-lutte-contre-le-covid-19-la-22174
https://www.bondyblog.fr/societe/a-villeneuve-la-garenne-retour-sur-une-colere-raisonnee/

20. Januar 2019
Neonazi-Netzwerk in der Polizei weiterhin aktiv
Die hessische Anwältin Başay-Yıldız hat ein weiteres, mit „NSU 2.0“ unterzeichnetes Fax erhalten, das sie und ihre Familie bedroht. Es stammt, wie bereits das erste, offenbar von einem Neonazi-Netzwerk im Polizeiapparat. Aber der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) hielt es nicht für notwendig, das Parlament oder auch nur den innenpolitischen Ausschuss, geschweige denn die Öffentlichkeit, darüber zu informieren. Das Drohfax wurde erst bekannt, als die Anwältin sich letzte Woche selbst an die Süddeutsche Zeitung wandte. Hinzu kommt, dass der hessische Staat heute offenbar keinen Finger rührt, um Frau Başay-Yıldız zu schützen. Die Polizei habe ihr bloß angeboten, „dass ich einen Waffenschein haben kann, um mich zu schützen“. Lehrreich ist auch das Verhalten führender Politiker*innen aller Parteien. Vor wenigen Tagen überboten sie sich noch in Solidaritätserklärungen für den AfD-Abgeordneten Frank Magnitz, der einen gewaltsamen Angriff durch Unbekannte auf sich selbst maßlos aufgebauscht und falsch dargestellt hatte. Von den Politiker*innen, die Magnitz öffentlich verteidigten –Heiko Maas, Frank-Walter Steinmeier (Sozis), Cem Özdemir (Grüne) und viele andere – hat sich bisher nicht ein einziger oder eine einzige mit Başay-Yıldız solidarisiert. Wie der Phönix aus der Asche kommen die deutschen Nazis aus ihren Löchern und die sogenannten „linken“ Parteien mischen kräftig mit.
https://www.wsws.org/de/articles/20…
6. Januar 2019
Immer mehr rechte und rassistische Vorfälle bei Polizeibehörden werden bekannt
In den letzten Monaten häuften sich Meldungen über rechte Netzwerke in Polizei und Militär in Deutschland. Nach der Enttarnung des rechten Netzwerks »Hannibal«, in das Polizist*innen und ehemalige Soldat*innen involviert waren, wurde kürzlich auch bei der frankfurter Polizei ein rechtsextremes Netzwerk bekannt. Auch wurden mehrere Kasernen ganz im Nazi-Style dekoriert. Soldat*innen und Polizist*innen, die sich in rechten Chats austauschten, sind auch im Verein Uniter aktiv. Dieser baut eine Kampfeinheit auf.
Auch in der Schweiz sind solche rechten Netzwerke fester Teil der staatlichen Gewaltsturkturen. Offiziell herrscht zwar „Nulltoleranz“, doch eben erst ist ein Sympathisant des Neonazi-Netzwerks Blood and Honour zum Unteroffizier befördert worden. Verfahren gegen Militärgrenadiere, die sich mit dem Hitlergruss begrüssen, wurden vom Militärgericht eingestellt.
Immer wenn solche Fälle ans Licht kommen, wird von bedauernswerten Einzelfällen gesprochen. Doch die rechte Tendenz von Polizei und Militär ist ganz klar institutionell. Korpsgeist, starre Hierarchien und Männerbündelei bei Polizei und Militär wirken auf rechtes Pack sehr anziehend, weshalb es überhaupt nicht erstaunlich ist, wenn sie sich dort organisieren. Dass juristische Verfahren gegen rassistisches Verhalten sehr oft eingestellt werden oder mit Freisprüchen enden, trägt auch noch dazu bei.
https://jungle.world/artikel/2019/01/hutbuerger-uniform
https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5557397&s=netzwerk%2Bpolizei/
https://www.derbund.ch/schweiz/standard/armee-befoerdert-rechtsextremisten/story/17023644
http://www.fr.de/frankfurt/rassismus-bei-der-polizei-polizisten-haben-haeufig-rechte-weltbilder-a-1648534,0?fbclid=IwAR1OiaNOEvm513wdPNzaS_ma2BQfuN3iLBu7wauJPQaJGsOVGLekgYUu_IM#artpager-1648534-1
21. Dezember 2018
Rechtsextreme Strukturen in der frankfurter Polizei
Eine Gruppe von fünf frankfurter Polizist*innen schickten der Anwältin einer Opferfamilie des NSU-Prozesses einen Drohbrief. Sie wurde als «miese Türkensau» beschimpft und ihr wurde gedroht ihre Tochter zu «schlachten». Unterschrieben wurde der Brief mit «NSU 2.0». Im Gruppenchat der Polizist*innen fand man ausserdem Hakenkreuze, Hitler-Bilder und rassistische Kommentare. Die Gruppe habe sich über die polizeiinterne Datenbank Zugang zu der Wohnadresse der Anwältin verschafft. Insgesamt werde jetzt schon gegen 9 Polizist*innen ermittelt, die sich rechtsextrem geäussert hätten. Wie weit sich das Ganze noch ausweitet, bleibt vorerst offen. Der Vorfall weist einmal mehr auf ein strukturelles Rassismusproblem innerhalb der Polizei hin.
https://www.deutschlandfunk.de/rechtsextreme-in-der-polizei-wir-haben-ein-strukturelles.694.de.html?dram:article_id=436518
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1108503.rechtsextremismus-in-der-polizei-gruenen-chef-habeck-fordert-meldesystem-fuer-polizei.html
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/robert-habeck-fordert-meldesystem-fuer-mutmasslich-rechtsextreme-polizisten-a-1244790.html
https://taz.de/!5560395/
https://www.srf.ch/news/international/skandal-in-frankfurt-wirbel-um-rechtsextreme-polizisten
https://www.deutschlandfunk.de/polizei-skandal-in-hessen-debatte-ueber-unabhaengige.1766.de.html?dram:article_id=436554
7. Dezember 2018
Grenzgewalt: griechische Cops zwingen Migrant*innen in die Türkei zurück
Im griechisch-türkischen Grenzgebiet beim Grenzfluss Evros wurden die Leichen von drei erfrorenen Männern entdeckt. Sie wurden von der griechischen Polizei zurück in die Türkei gebracht. Immer wieder gibt es Berichte darüber, dass Geflüchtete von der griechischen Polizei (illegalerweise) gezwungen werden, zurück in die Türkei zu kehren. Vor zwei Wochen tauchten 14 halbnackte Männer in der Türkei auf, die berichteten, maskierte griechische Grenzpolizist*innen hätten ihnen ihre Oberbekleidung, Wertsachen und Handys abgenommen und sie dann unter Schlägen in die Türkei zurückgetrieben. Nach Berichten türkischer Medien, die sich offenbar auf Angaben aus Polizeikreisen stützen, sollen in diesem Jahr etwa 4000 Migrant*innen von griechischen Grenzpolizist*innen zur Rückkehr in die Türkei gezwungen worden sein. Die Türkei selber hinderte in den ersten zehn Monaten 2018 fast 60000 Migrant*innen am Grenzübertritt nach Griechenland und Bulgarien.
http://www.fr.de/politik/griechenland-drei-fluechtlinge-sterben-am-grenzfluss-evros-a-1633210